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Die Anträge der Beklagten zu 1. und 2. und der Beklagten zu 3. vom 14. Februar 2019, den Tatbestand des am 23. Januar 2019 verkündeten Senatsurteils – VI-U (Kart) 17/17 – zu berichtigen, werden zurückgewiesen.
Gründe
2Das Tatbestandsberichtigungsverfahren dient nach § 320 ZPO – allein – dem Zweck, zu verhindern, dass unrichtig wiedergegebener Parteivortrag infolge der in § 314 Satz 1 ZPO angeordneten positiven Beweiskraft des Urteilstatbestandes zur fehlerhaften Entscheidungsgrundlage des Rechtsmittelgerichts wird. Eine Tatbestandsberichtigung ist daher nur zulässig, soweit der Tatbestand die verstärkte Beweiskraft gemäß § 314 ZPO besitzt. Eine Unrichtigkeit im Sinne des § 320 Abs. 1 ZPO meint vor diesem Hintergrund, dass das Gericht den ihm unterbreiteten Sach- oder Streitstand unzutreffend wiedergibt und im Tatbestand etwas beurkundet, was die Parteien nicht oder nicht so vorgetragen haben, oder etwas als streitig oder unstreitig behandelt, was es aber nicht ist. Im Hinblick auf § 320 Abs. 5 ZPO von vornherein unstatthaft ist dagegen der Versuch einer Partei, durch das Stellen eines Antrags auf Tatbestandsberichtigung in die rechtliche Beurteilung und Würdigung des Tatgerichts einzudringen; dies gilt auch in dem Fall, dass wertende Entscheidungsteile des gerichtlichen Urteils mit Hinweisen auf Tatsachen verbunden sind.
3Der Senat vertritt die vorstehend genannten Grundsätze in ständiger Rechtsprechung und befindet sich insoweit in Einklang mit höchst- und obergerichtlicher Judikatur sowie im Schrifttum anerkannter Auffassung (vgl. etwa Senat, Beschluss v. 20. Februar 2014 – VI-U (Kart) 6/13; Beschluss v. 9. April 2014 – VI-U (Kart) 7/13; Beschluss v. 17. Dezember 2014 - VI-U (Kart) 18/13; Beschluss v. 30. März 2015 – VI-U (Kart) 3/14; Beschluss v. 10. August 2016 – VI-Kart 3/16 (V), Rz. 3 bei juris; Beschluss v. 6. April 2017 – VI-Kart 10/15 (V); Beschluss v. 5. September 2017 – VI-U (Kart) 16/13, jeweils mit weiteren zahlreichen Nachweisen). Er hat diese Grundsätze, und zwar weit vor Verkündung des den hiesigen Anträgen zu Grunde liegenden Senatsurteils vom 23. Januar 2019, auch bei der Behandlung der – zahlreichen – Anträge auf Tatbestandsberichtigung dargelegt und angewandt, die ihm in bereits mit Berufungsurteilen abgeschlossenen Parallelrechtsstreitigkeiten des „Schienenkartell-Komplexes“ zur Entscheidung vorgelegt wurden (vgl. Senat, Beschluss v. 17. Oktober 2018 – VI-U (Kart) 2/17 – bei juris; Beschluss v. 29. Oktober 2018 – VI-U (Kart) 1/17 – bei juris; Beschluss v. 29. Oktober 2018 – VI-U (Kart) 11/17 – bei juris; Beschluss v. 21. November 2018 – VI-U (Kart) 12/17); an jenen Verfahren sind u.a. auch die beklagten Parteien des vorliegenden Rechtsstreits und mit ihnen dieselben Prozessbevollmächtigten wie im Streitfall beteiligt gewesen.
4Die vorliegend eingereichten Tatbestandsberichtigungsanträge zeigen indes schon für sich genommen auf, dass die Beklagten bzw. ihre Prozessbevollmächtigten die eingangs genannten – und ihnen in den vorbezeichneten Parallelverfahren wiederholt mitgeteilten - Grundsätze entweder nicht zur Kenntnis genommen oder nicht verstanden haben oder aber ignorieren; auf andere Weise ist das Stellen dieser Anträge schlechterdings nicht zu erklären. Diese Anträge gehen nämlich an dem Sinn und Zweck des Tatbestandsberichtigungsverfahrens völlig vorbei, da sie in keinem einzigen Punkt auf eine Richtigstellung von im Urteil (womöglich) fehlerhaft wiedergegebenem Parteivortrag gerichtet sind, sondern vielmehr – und zwar ausschließlich – darauf abzielen, das im Urteil wiedergegebene Verständnis des Senats von dem Inhalt der kartellbehördlichen Feststellungen zum streitbefangenen Kartell anzugreifen und/oder in die rechtliche Würdigung des Senats einzudringen und dabei den im Senatsurteil dargelegten Erwägungen diesen zu Grunde liegende argumentative Elemente zu entziehen oder sogar den Parteien nicht konvenierende Begriffe im Urteil auszulöschen bzw. durch ihnen genehmere zu ersetzen. Dies ist in Ansehung der Anträge und der ihnen beigelegten Begründung derart offensichtlich, dass sich weitere Ausführungen hierzu erübrigen.
5Zur gebotenen Wahrung des für die Garantie und die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats unverzichtbaren Interesses an dem Erhalt des allgemeinen Vertrauens in die Gültigkeit und Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung sieht der Senat allerdings Veranlassung, zu Ziffer 3. des Tatbestandsberichtigungsantrags der Beklagten zu 3. das Folgende auszuführen:
6Mit diesem Antrag will die Beklagte zu 3. den im Senatsurteil an verschiedenen Stellen verwendeten Begriff des „Kartelltäters“ mortifiziert und durch den Begriff des „bebußten Unternehmens“ ersetzt wissen. In der Sache zielt der Antrag damit im Grunde genommen auf nichts anderes ab, als die Tatsache der Verstrickung des eigenen Unternehmens sowie der weiteren Beteiligten in das dem streitbefangenen Kartell anhaftende – objektiv schwerwiegende – Unrecht zumindest zu relativieren, wenn nicht von der jeweiligen (Unternehmens-) Persönlichkeit abzuspalten. Dies offenbart auch die beigegebene Begründung, mit der darauf hingewiesen wird, dass bei den Beklagten bzw. den „beteiligten Personen“ ein strafbares Verhalten nicht festgestellt worden sei. Dass es sich bei diesem Begehren ganz offensichtlich nicht um ein solches handelt, das zulässigerweise im Rahmen eines Tatbestandsberichtigungsverfahrens nach § 320 ZPO verfolgt werden kann, bedarf zwar keiner Erörterung. Bedenken begegnet das – von ihren Prozessbevollmächtigten als Organen der Rechtspflege (§ 1 BRAO) unterstützte – Begehren der Beklagten zu 3. aber insoweit, als es ein grundlegendes Fehlverständnis dieser Partei davon verrät, welche Schwere das Unrecht aufweist, das die Beklagte zu 3. und ihre Mitkartellanten durch den von ihnen verwirklichten Kartellverstoß begangen haben.
7Der Hinweis der Beklagten zu 3. darauf, dass ein strafbares Verhalten der Beklagten bzw. der beteiligten Personen nicht festgestellt worden sei, ist zwar für sich genommen zutreffend, liegt indes im hier interessierenden Zusammenhang schlechterdings neben der Sache. Der diesem Hinweis immanente Vorwurf, der Senat habe mit dem Begriff des „Kartelltäters“ eine Strafbarkeit der Beklagten bzw. der für sie handelnden Personen zum Ausdruck gebracht, ist im Übrigen haltlos und entbehrt jeder Grundlage. Die nicht festgestellte Strafbarkeit ändert freilich nichts daran, dass Kartelle wie das im Streitfall zu beurteilende gesetzlich verboten sind, weil sie die Institution des freien Wettbewerbs als wesentlichen Bestandteil der freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung sowie individuelle Handlungsfreiheiten der Marktteilnehmer gefährden und auf diese Weise regelmäßig erhebliche Schäden zum Nachteil der Gesamtwirtschaft verursachen. Diese Tatsache bedarf vorliegend der Hervorhebung, weil namentlich der hier zur Debatte stehende Antrag auf Tatbestandsberichtigung aus den vorstehend genannten Gründen Anlass zu Zweifeln daran gibt, ob die vom Bundeskartellamt gegen die Beklagte zu 3. wegen ihrer Beteiligung an dem streitbefangenen Kartell verhängte Geldbuße von immerhin 88 Mio. € für sich genommen ausreichend gewesen ist, um dieser Partei die erhebliche Schwere des durch ihre Tat verwirklichten Unrechts mit der gebotenen Eindringlichkeit zu verdeutlichen. Dies gilt umso mehr, als das Begehren der Beklagten zu 3., den Begriff des „Kartelltäters“ aus dem Senatsurteil eliminiert zu sehen, nicht nur dem Verfahren nach § 320 ZPO von vornherein nicht zugänglich ist, sondern darüber hinaus auch in der Sache selbst - ganz offensichtlich – jedweder Nachvollziehbarkeit und Berechtigung entbehrt. Durch seine Bezeichnung im Senatsurteil als Kartelltäter ist das (jedenfalls nominell recht reichlich) „bebußte Unternehmen“ U. – anders als der Tatbestandsberichtigungsantrag allerdings suggeriert – mitnichten zu Unrecht stigmatisiert oder gar zu einem Opfer staatlicherseits an ihm verübten Unrechts gemacht worden. Denn tatsächlich ist die Beklagte zu 3. (ebenso wie die weiteren an dem streitbefangenen Kartell beteiligten Unternehmen) eine Kartelltäterin, weil sie täterschaftlich an dem streitbefangenen gemäß § 1 GWB und Art. 81 EG a.F. (heute: Art. 101 Abs. 1 AEUV) verbotenen Kartell beteiligt gewesen ist. Bemerkenswert ist, dass die Beklagte zu 3. diesen Befund mit der Begründung, der Begriff des Kartelltäters lehne an den strafrechtlichen Täterschaftsbegriff des § 25 Abs. 1 StGB an, ausgeräumt wissen will. Dieser Ansatz versagt, weil der Begriff des „Täters“ in der Rechtsprechung und der juristischen Literatur - wie schon dem durchschnittlichen Rechtskundigen durchaus bekannt ist - mitnichten allein in Zusammenhang mit dem materiellen Strafrecht im engeren Sinne (StGB, strafrechtliche Nebengesetze), sondern auch bei der Erörterung anderweitiger Rechtsgebiete wie gerade auch dem Ordnungswidrigkeitenrecht und dem Zivilrecht gängig ist und allgemein Verwendung findet. Es ist daran zu erinnern, dass der Begriff des Täters im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) – um eben eine solche handelt es sich bei einem Kartellverstoß im Sinne des Art. 101 AEUV bzw. § 1 GWB (§ 81 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB) – an zahlreichen Stellen Erwähnung findet, so nur zum Beispiel in §§ 6 Satz 1, 7 Abs. 1, 11 Abs. 2, 13 Abs. 3 Satz 1, 14 Abs. 4, 17 Abs. 3 Sätze 1 und 2, Abs. 4 Satz 1, 111 Abs. 2, 113 Abs. 2 und 128 Abs. 2 OWiG. Des Weiteren ist daran zu erinnern, dass der Täterbegriff ebenso im Zivilrecht, insbesondere auch dem Deliktsrecht, verankert ist, wie zum Beispiel die Vorschriften des BGB zu Täterschaft und Teilnahme (§ 830 Abs. 2) und zur verbotenen Eigenmacht (§§ 859 Abs. 2, Abs. 3, 864 Abs. 2) und Kommentierungen etwa zum Recht der unerlaubten Handlungen (vgl. nur etwa Spindler in beck-online.Großkommentar zum Zivilrecht, Stand:01.07.2018, § 823 BGB Rzn. 20, 77; Förster in BeckOK-BGB, Stand:01.11.2018, § 823 BGB Rz. 59; Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. [2017], § 823 BGB Rzn. 24, 35, 40, 43, 50; J. Lange in jurisPK-BGB, 8. Aufl. [2017], § 823 Abs. 1 BGB Rzn. 62, 66, 84; Hager in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2017, § 823 BGB Rzn. A3, A6, A9, A10, A13) belegen. Hiermit steht schließlich in Einklang, dass der Begriff des Kartelltäters Eingang auch in die höchstrichterliche kartellrechtliche Jurisdiktion gefunden hat (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil v. 28. Juni 2011 – KZR 75/10, BGHZ 190, 145 = WuW/E DE-R 3431 Rzn. 10, 17, 20, 22, 28, 62 und 68 – ORWI; Urteil v. 12. Juni 2018 – KZR 56/16, NZKart 2018, 315 = WuW 2018, 405 Rz. 32 – Grauzementkartell II).
8Nach alledem ist hinreichend deutlich gemacht, dass die Beklagte zu 3. (ebenso wie die weiteren Beteiligten des streitbefangenen Kartells) in dem Senatsurteil sachlich zu Recht als Kartelltäterin bezeichnet worden ist.