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Als zuständiges Gericht für den Rechtsstreit wird das Amtsgericht Hamburg-Altona bestimmt.
Gründe
2I.
3Die Klägerin nimmt die Beklagte auf hälftige Erstattung einer Mietkaution in Anspruch. Die Kaution hatten die Klägerin und ihr damaliger Lebensgefährte für die Wohnung A.-Straße 0 in Hamburg entrichtet. Nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten zog die Klägerin aus der gemeinsam angemieteten Wohnung aus, und die Beklagte trat aufgrund einer schriftlichen Vereinbarung zwischen allen Beteiligten (der Klägerin und ihrem ehemaligen Lebensgefährte als bisherigen Mietern, der Beklagten als künftiger Mieterin und dem Vermieter) anstelle der Klägerin in den Mietvertrag ein. Die Kaution sollte nach dieser Regelung „bestehen bleiben“. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Bezahlung der Hälfte der Kaution in Höhe von 607,19 €. Diesbezüglich hat sie zunächst ein Mahnverfahren beim Amtsgericht Hamburg-Altona als Mahngericht eingeleitet und als Gericht für die Durchführung des streitigen Verfahrens das Amtsgericht Solingen angegeben. Hintergrund war, dass die Beklagte zumindest ihren Erstwohnsitz unstreitig in Solingen hatte. Der Mahnbescheid wurde der Beklagten am 13.03.2019 zugestellt. Mit Schreiben an das Mahngericht vom 27.03.2019 beantragte die Klägerin die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Hamburg-Altona mit der Begründung, der Anspruch betreffe die anteilige Kaution für die Wohnung in Hamburg, dem Zweitwohnsitz der Beklagten, so dass gemäß § 29a ZPO das Amtsgericht Hamburg ausschließlich zuständig sei. Gleichzeitig teilte sie mit, in Solingen befinde sich der Erstwohnsitz der Beklagten. Gleichwohl gab das Mahngericht die Sache zur Durchführung des Streitverfahrens am 24.04.2019 an das Amtsgericht Solingen ab. Mit Schreiben vom 16.04.2019 begründete die Klägerin ihren Anspruch. Das Amtsgericht gewährte der Beklagte mit Verfügung vom 02.05.2019 Gelegenheit zur Stellungnahme zum Verweisungsantrag und übersandte den Verweisungsantrag vom 27.03.2019, nicht jedoch die Anspruchsbegründung. Die Beklagte teilte hierauf mit, mit einer Verweisung an das „tatsächlich örtlich zuständige Gericht“ einverstanden zu sein und verwies auf das Fehlen einer Anspruchsbegründung. Daraufhin erklärte sich das Amtsgericht Solingen mit Beschluss vom 15.05.2019 für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit antragsgemäß an das Amtsgericht Hamburg-Altona. Zur Begründung führte es an, es sei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zuständig, insbesondere da das Amtsgericht Hamburg-Altona gemäß § 29a Abs. 1 ZPO als das Gericht, in dessen Bezirk sich der vermietete Raum befinde, ausschließlich zuständig sei. Das Amtsgericht Hamburg-Altona hat sich nach entsprechendem Hinweis an die Parteien mit Beschluss vom 27.06.2019 ebenfalls für „funktionell unzuständig“ erklärt und die Sache dem hiesigen Oberlandesgericht gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO vorgelegt. Zur Begründung hat es auf seinen vorangegangenen Hinweis Bezug genommen. Danach hält das Amtsgericht Hamburg-Altona den Verweisungsbeschluss für willkürlich und daher nicht bindend. Das Amtsgericht Solingen sei als Wohnortgericht gemäß § 13 ZPO jedenfalls zuständig gewesen. Ob darüber hinaus im Hamburger Bezirk ein Zweitwohnsitz bestehe, sei im Hinblick auf das gemäß § 35 ZPO ausgeübte Wahlrecht bedeutungslos. Eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamburg-Altona komme allenfalls aufgrund einer ausschließlichen Zuständigkeit gem. § 29a ZPO in Betracht. Eine dafür erforderliche Streitigkeit aus Miet- oder Pachtverhältnissen über Räume sei indessen offensichtlich nicht Streitgegenstand. Ein Mietverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten behaupte keine der Parteien. Unter die Vorschrift fielen nach Rechtsprechung des BGH nur Rechtsstreitigkeiten, bei denen die Prozessbeteiligten als Parteien des Mietvertrages, seiner Anbahnung oder Abwicklung beteiligt seien und nicht einmal Ansprüche des Vermieters aus dem Mietvertrag gegen Dritte. Der vom Amtsgericht Solingen begangene Rechtsfehler sei für jeden Rechtskundigen ohne weiteres ersichtlich, weshalb es sich objektiv um Willkür handele. Dies sei ohnedies auch schon deshalb der Fall, da das Gericht der Beklagten kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt habe, da nur der Verweisungsantrag, nicht aber die Anspruchsbegründung übersandt worden sei. Die im Tenor des Verweisungsbeschlusses angeführte angebliche Zustimmung der Beklagtenseite sei rechtlich irrelevant, habe aber auch nicht vorgelegen, da die Beklagte sich nur mit einer Verweisung an das tatsächlich zuständige Gericht einverstanden erklärt habe.
4Im Rahmen ihrer Stellungnahme auf den Hinweis des Amtsgerichts Hamburg-Altona hat die Beklagte erklärt, sie sei in Solingen gemeldet und habe dort ihren Lebensmittelpunkt. In der Wohnung in Hamburg halte sie sich lediglich zu Besuchszwecken auf.
5Im hiesigen Bestimmungsverfahren haben die Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
6II.
71.) Das Oberlandesgericht Düsseldorf ist zur Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1, Abs. 2 ZPO berufen. Die Amtsgerichte Solingen und Hamburg-Altona gehören zu verschiedenen Landgerichts- und Oberlandesgerichtsbezirken. Das Oberlandesgericht Düsseldorf ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zuständig, da das zuerst mit der Sache befasste Amtsgericht Solingen zu seinem Bezirk gehört.
82.) Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Solingen als auch das Amtsgericht Hamburg-Altona haben sich jeweils durch Beschluss für unzuständig erklärt.
93.) Zu bestimmen war das Amtsgericht Hamburg-Altona, das jedenfalls durch bindenden Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Solingen zuständig geworden ist, § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO.
10Ein Verweisungsbeschluss nach § 281 ZPO entfaltet Bindungswirkung für das aufnehmende Gericht. Dies gilt selbst bei einer rechtlich fehlerhaften Verweisung. Im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung nimmt das Gesetz auch solche fehlerhaften Verweisungen ausdrücklich hin, wobei die Bindungswirkung auch nicht über ein Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO überwunden werden kann, weil das zur Zuständigkeitsbestimmung berufene Gericht die Bindungswirkung bei seiner Entscheidung zu beachten hat. Das heißt, es bleibt bei der Verweisung auch dann, wenn das im Rechtszug zunächst höhere Gericht zu der Erkenntnis gelangt, das verweisende Gericht sei nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften zuständig gewesen. Einem Verweisungsbeschluss kann die gesetzlich vorgesehene bindende Wirkung nur dann abgesprochen werden, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008 – X ARZ 45/08,
11= NJW-RR 2008, 1309; Beschluss vom 13. Dezember 2005 – X ARZ 223/05, NJW 2006, 383; Beschluss vom 10. Juni 2003 – X ARZ 92/03 = NJW 2003, 3201).
12a) Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, eines elementaren, in der Verfassung (Art. 103 Abs. 1 GG) verankerten Gebots für das Gerichtsverfahren, stellt einen so schwerwiegenden Mangel des Verweisungsbeschlusses dar, dass dieser Verfahrensfehler einem willkürlichen Rechtsverstoß gleichzustellen ist mit der Folge, dass die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses aberkannt wird (BGH, Beschluss vom 15. März 1978 – IV ARZ 17/78 –, BGHZ 71, 69-75, Rn. 4 m.w.N.).
13Vorliegend ist der Beklagten vom Amtsgericht Solingen rechtliches Gehör grundsätzlich gewährt worden, allerdings mit der Einschränkung, dass ihr nicht sämtliche hierfür relevanten Schriftsätze der Gegenseite zugänglich gemacht wurden. Allerdings kann es genügen, wenn der Betroffene jedenfalls Gelegenheit hatte, auf einen gerichtlichen Hinweis hin vorzutragen, welches Gericht seiner Meinung nach zuständig ist; entscheidend ist, dass die Partei die Möglichkeit hatte, zu der aufgeworfenen Zuständigkeitsfrage Stellung zu beziehen, und vorzutragen, welches Gericht für die Verhandlung des Rechtsstreits ihrer Auffassung nach berufen ist (BGH, Beschluss vom 26. August 2014 – X ARZ 275/14 –, juris, Rz. 8). So liegt die Sache hier. Die Beklagte hatte den Verweisungsantrag vom 27.03.2019 und den Mahnbescheid erhalten, als sie Gelegenheit zur Stellungnahme erhielt. Daraus war ihr bekannt, dass die Klägerin die hälftige Mietkaution in Höhe von 607,19 € für die Wohnung A.-Straße 0 in Hamburg „gemäß Schreiben vom 17.10.2018“ verlangte und dass die Klägerin die Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamburg-Altona auf Grundlage von § 29a ZPO als gegeben sah. Damit lagen der Beklagten alle wesentlichen Informationen vor, die ihr eine Stellungnahme zur Zuständigkeitsfrage ermöglicht hätten. Zwar ist hierin nicht ausdrücklich erwähnt, dass die Klägerin ihren Anspruch auf die Nachtragsvereinbarung vom 01.01.2018 stützte, die sich mit der Übernahme des Mietvertrages befasste. Da diese – zumindest nach derzeitigem Kenntnisstand – jedoch von der Beklagten unterzeichnet ist und auch in dem in Bezug genommenen vorgerichtlichen Schreiben vom 17.10.2018 (Anlage K4) erwähnt wurde, darf unterstellt werden, dass die Beklagte diesen Rückschluss aufgrund der ihr vorliegenden Informationen ziehen konnte.
14b) Auch eine sachlich falsche und darüber hinausgehend willkürliche Entscheidung des Amtsgerichts Solingen ist nicht ersichtlich. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008, X ARZ 45/08, NJW-RR 2008, 1309; Beschluss vom 13. Dezember 2005, X ARZ 223/05, NJW 2006, 383; Beschluss vom 10. Juni 2003, X ARZ 92/03, NJW 2003, 3201).
15aa) Das Amtsgericht Solingen hat seinen Verweisungsbeschluss auf eine ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamburg-Altona aus § 29a BGB gestützt. Nach § 29a BGB ist das Amtsgericht am Ort der Mieträumlichkeiten (hier Hamburg-Altona) ausschließlich zuständig für Streitigkeiten über Ansprüche aus Miet- oder Pachtverhältnissen über Räume oder über das Bestehen solcher Verhältnisse. Richtig ist, dass zwischen den Prozessparteien unmittelbar kein Mietvertrag besteht. Insoweit hat der BGH (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – X ARZ 270/03 –, BGHZ 157, 220-223 Rn. 5, juris) entschieden, dass § 29a ZPO nur Rechtsstreitigkeiten erfasst, „an denen die Prozessbeteiligten als Parteien des Vertrages, seiner Anbahnung oder Abwicklung beteiligt sind“. Hierunter sollen deshalb nicht Ansprüche des Vermieters gegen einen Dritten aus einem selbständigen Gewähr- oder Garantievertrag oder aus einer Bürgschaft fallen, da diese Ansprüche aus einem selbständigen Rechtsgeschäft betreffen und sich insoweit von einem Schuldbeitritt unterscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – X ARZ 270/03 –, BGHZ 157, 220-223 Rn. 5). Ein vergleichbarer Fall ist hier indessen nicht gegeben.
16Die Klägerin stützt ihre Ansprüche auf § 426 BGB. Sollte dies zutreffend sein und hätte zwischen der Klägerin und der Beklagten eine Gesamtschuld in Bezug auf die von der Klägerin geleistete Mietkaution bestanden, wäre der originäre mietvertragliche Anspruch auf Bezahlung der Kaution gemäß § 426 Abs. 2 S. 1 BGB durch Legalzession anteilig auf sie übergegangen. Die Rechtsnatur des Anspruchs ändert sich dadurch nicht. Es handelt sich um einen Anspruch aus Mietvertrag. Zwar hat das Amtsgericht Solingen sich nicht mit der Frage befasst, ob diese rechtliche Begründung der Klägerin von dem behaupteten Sachverhalt getragen wird. Fraglich ist insofern unter anderem, ob die getroffene Vereinbarung dahin auslegbar ist, dass die Klägerin trotz ihrer Entlassung aus dem Mietverhältnis weiterhin für bereits entstandene Ansprüche als Gesamtschuldnerin haften sollte. Ebenfalls dürfte näher zu hinterfragen sein, ob eine Gesamtschuld überhaupt begrifflich in Bezug auf eine bereits erfüllte Verpflichtung (Kautionszahlung) bestehen kann, etwa im Hinblick auf die fortbestehende Sicherungsabrede über das Behaltendürfen und die Verwendung der Kaution.
17Sollte dies im Ergebnis verneint werden, kämen Ansprüche darüber hinaus nach ergänzender Auslegung unmittelbar aus der Mietübernahmevereinbarung in Betracht sowie aus § 812 Abs. 1 BGB. Auch insoweit ist die Beklagte jedoch Partei der vertraglich geregelten Abwicklung eines Mietvertrages im Sinne der zitierten Vorgaben des BGH. Zudem bildet eine originär mietvertragliche Verpflichtung zur Kautionszahlung die Grundlage für einen etwaigen Ausgleichsanspruch zwischen den Parteien. Der Anwendung von § 29a ZPO steht nicht entgegen, dass Streitgegenstand möglicherweise in dogmatischer Hinsicht nicht der originäre Kautionsanspruch sondern nur ein hierauf bezogener Regressanspruch ist. So ist auch die zitierte Entscheidung des BGH nicht zu verstehen. Lediglich wenn die mietvertraglichen Besonderheiten, die Grund für die Schaffung des § 29a ZPO waren, keine Bedeutung mehr haben, da ein völlig selbständiges Rechtsverhältnis wie eine Garantievereinbarung begründet wird, für das die mietvertragliche Charakteristik keine Rolle spielt, ist die Anwendung des § 29a ZPO abzulehnen.
18bb) Selbst wenn man diese Rechtsfrage zum Anwendungsbereich des § 29a ZPO anders bewerten würde, ist die Entscheidung des Amtsgerichts Solingen nach den oben ausgeführten Kriterien nicht willkürlich. Willkür lässt sich insbesondere nicht durch einen reinen Rechtsirrtum des Gerichts oder sonstige Fehlerhaftigkeit der Entscheidung begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 1993 – X ARZ 845/92 –, Rn. 4, juris). Auch der Umstand, dass das Gericht vorliegend die Frage der Anwendbarkeit des § 29a ZPO nicht näher erörtert hat und unkritisch ohne nähere Begründung von der Einschlägigkeit der Norm ausgegangen ist, macht seine Entscheidung nicht willkürlich. Denn aufgrund der Behauptung der Klägerin, einen Anspruch auf Mietkaution geltend zu machen und der Nennung von § 426 BGB als Anspruchsgrundlage lag die Anwendung von § 29a ZPO zumindest nahe.
19cc) Daher kommt es auch nicht mehr darauf an, dass das Amtsgericht Hamburg-Altona jedenfalls nicht nach §§ 12, 13 ZPO zuständig war, da die Klägerin ihr Wahlrecht gemäß § 35 ZPO zum maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheides (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 1993 – X ARZ 845/92 –, Rn. 2, juris) am 13.03.2019 zwischen den beiden Wohnsitzen Solingen und Hamburg (die auch bei Zugrundelegung des Beklagtenvortrags im Sinne des § 13 ZPO gegeben sind) zu Gunsten von Solingen unwiderruflich ausgeübt hatte. Vorrangig ist jedenfalls die ausschließliche Zuständigkeit nach § 29a ZPO zu beachten.