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1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Kleve vom 20.03.2019 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Beschwerdewert: 3.000 €
Gründe:
2I. Die Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet.
3Zu Recht und mit zutreffender wie fortgeltender Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht gemäß § 1674 Abs. 2 BGB festgestellt, dass die Antragstellerin nicht mehr an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert ist.
41. Unerheblich ist, dass sowohl die Antragstellerin in ihrem Antrag vom 21.02.2018 als auch das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss darauf abgestellt haben, dass die Antragstellerin aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Essen vom 21.11.2014 (108b F 257/14), in welchem das Ruhen der elterlichen Sorge der Kindesmutter festgestellt wurde, an der Ausübung des Sorgerechts gehindert ist. Tatsächlich ist dieser Beschluss aufgrund des zwischenzeitlich durchgeführten Sorgerechtsverfahrens vor dem Amtsgericht Essen (108b F 50/15), in welchem dem Antragsgegner mit Beschluss vom 29.12.2015 gemäß § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB das alleinige Sorgerecht übertragen wurde, gegenstandslos geworden. Auch wenn dieser Beschluss auf die Beschwerde der Kindesmutter durch Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 12.05.2016 (II-4 UF 20/16) abgeändert und der Antrag des Kindesvaters auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts zurückgewiesen wurde, änderte dies nichts daran, dass er zwischenzeitlich alleiniger Sorgerechtsinhaber war. Das Amtsgericht Essen sah sich daher veranlasst, im Verfahren 108b F 184/16 durch Beschluss vom 30.06.2016 erneut das Ruhen der elterlichen Sorge gemäß § 1674 Abs. 1 BGB festzustellen. Da die Beschlüsse des Amtsgerichts Essen vom 21.11.2014 und 30.06.2016 letztlich inhaltsgleich sind, ist unerheblich, dass das Amtsgericht Kleve in der Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht auf den aktuellen Beschluss abgestellt hat. Jedenfalls wurde durch den angefochtenen Beschluss im Ergebnis der aktuell wirksame Beschluss vom 30.06.2016 abgeändert.
52. Das Amtsgericht Kleve war auch zuständig, über den Antrag nach § 1674 Abs. 2 BGB zu entscheiden, weil dort zum maßgeblichen Zeitpunkt das Scheidungsverfahren anhängig war, § 152 Abs. 1 FamFG. Allerdings wäre der Antrag beim Amtsgericht Essen zu stellen gewesen, weil das Verfahren nach § 1674 BGB bis zur Entscheidung über die Aufhebung des Ruhens der elterlichen Sorge dort noch rechtshängig war. Das Amtsgericht Essen hätte das Verfahren aber nach § 153 FamFG an das Gericht der Ehesache, also an das Amtsgericht Kleve, abgeben müssen, so dass im Ergebnis das zuständige Gericht über den Antrag entschieden hat.
63. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist auch in der Sache nicht zu beanstanden.
7a) Dem Aufheben des Ruhens der elterlichen Sorge steht zunächst nicht entgegen, dass sich die Antragstellerin nach wie vor im Maßregelvollzug in der A.-Klinik befindet. Entscheidend für die Ausübung des Sorgerechts ist nicht die physische Abwesenheit, da stets zu prüfen ist, ob dem abwesenden Elternteil angesichts moderner Kommunikationsmöglichkeiten nicht die Möglichkeit der Sorgerechtsausübung aus der Ferne verblieben ist (BGH, Beschluss vom 06.10.2014, XII ZB 80/04, zit. nach juris Rn. 9). Hierauf beruft sich der Antragsgegner auch nicht, zumal er sich selbst aufgrund seines Wohnsitzes im Vereinigten Königreich nicht am Aufenthaltsort der Kinder, die in verschiedenen Pflegefamilien in B.-Stadt untergebracht sind, aufhält.
8b) Entscheidend ist daher allein, ob die Antragstellerin nach wie vor aufgrund ihrer psychischen Erkrankung an der Ausübung des Sorgerechts gehindert ist.
9In Fällen einer psychischen Erkrankung unterhalb der Schwelle der Geschäftsunfähigkeit (§ 1673 BGB), die hier offenkundig nicht (mehr) vorliegt, verbleibt das Spannungsverhältnis des § 1674 BGB zu §§ 1666 ff. BGB (hierzu Staudinger-Coester, BGB (2016), § 1674 Rn. 16 f.). Zu beachten ist hier, dass, wenn die Verhinderung selbst zweifelhaft ist, nicht nach § 1674 BGB, sondern – bei Kindeswohlgefährdung – nur nach § 1666 BGB entschieden werden kann (Staudinger-Coester, a.a.O., Rn. 18; ebenso: MüKo-Hennemann, BGB, 7. Auflage, § 1674 Rn. 41). Das Verfahren nach § 1674 BGB eignet sich daher nicht zu einer vollständigen Aufklärung, inwieweit gesundheitliche Einschränkungen eines Elternteils bei Ausübung des Sorgerechts zu einer Kindeswohlgefährdung führen könnten. Diese Frage müsste einem gesonderten Sorgerechtsentziehungsverfahren vorbehalten bleiben.
10Nichts anderes gilt, wenn keine Sorgerechtsentziehung nach § 1666 BGB in Betracht kommt, sondern vielmehr ggf. eine Sorgerechtsübertragung auf den anderen Elternteil nach § 1671 BGB. Auch hier müsste in einem gesonderten Verfahren geprüft werden, inwieweit ein möglicherweise krankheitsbedingt in seiner Erziehungsfähigkeit eingeschränkter Elternteil an der gemeinsamen Sorgerechtsausübung gehindert ist, und ob aus Kindeswohlgesichtspunkten die Übertragung des Sorgerechts auf den anderen Elternteils angezeigt ist.
11c) Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht auf der Grundlage des von ihm eingeholten familienpsychologischen Gutachtens der Sachverständigen C. vom 02.12.2018 festgestellt hat, dass der Grund für das Ruhen der elterlichen Sorge nicht mehr besteht. Die Antragstellerin habe sich offensichtlich unter konsequenter medikamentöser Behandlung mit Neuroleptika psychisch stabilisiert. Sie zeige sich krankheits- und behandlungseinsichtig, medikamentös compiliant und bereit, aktiv an ihrem therapeutischen Prozess mitzuarbeiten. Mit ihren Kindern und den jeweiligen Pflegeeltern stehe sie im regelmäßigen Kontakt, um die Bindung und Beziehung mit ihren Kindern im Rahmen ihrer aktuellen Möglichkeiten aufrechtzuerhalten. Die Kindesmutter sei ausreichend gut gefestigt und befähigt, Verantwortung für das Wohl ihrer Kinder zu übernehmen. Sie erscheine nach aktueller Einschätzung in der Lage, Entscheidungen zum Wohl ihrer Kinder treffen zu können. Es bestünden aus fachlicher Sicht keine ausreichenden Hinweise dafür, dass das Ruhen des Sorgerechts der Kindesmutter zum aktuellen Zeitpunkt weiterhin erforderlich ist.
12d) Diese fachlichen Feststellungen der Sachverständigen reichen nach den oben genannten Kriterien für das Wiederaufleben der elterlichen Sorge aus. Soweit der Antragsgegner erstinstanzlich Einwendungen gegen die Feststellungen der Sachverständigen erhoben hat, sind diese für das vorliegende Verfahren unerheblich, so dass nicht zu beanstanden ist, dass das Amtsgericht von einer mündlichen Anhörung der Sachverständigen abgesehen hat.
13Insbesondere wären die Bedenken gegen die Kooperationsfähigkeit und Kompromissbereitschaft der Kindesmutter in einem ggf. noch durchzuführenden Sorgerechtsverfahren nach § 1671 BGB zu prüfen, da es die mit dem Kindesvater zu treffenden Absprachen beträfe. Auch die vom Kindesvater geäußerte Befürchtung, die Kindesmutter könne unabgesprochen die Herausnahme der Kinder aus den jeweiligen Pflegefamilien verlangen, orientiert sich nicht an der rechtlichen Problematik des vorliegenden Verfahrens. Soweit die elterliche Sorge der Antragstellerin wieder auflebt, hat dies eine gemeinsame elterliche Sorge beider Elternteile zufolge, so dass ein Elternteil ohne Zustimmung des anderen Elternteils gehindert ist, die Herausgabe der Kinder zu verlangen.
14Die vom Antragsgegner geäußerten Bedenken gegen die gemeinsame Ausübung des Sorgerechts sind aus den genannten Gründen nicht im vorliegenden Verfahren, sondern in einem gesonderten Verfahren zu prüfen. Dass er bereits erfolglos ein solches Verfahren vor dem Amtsgericht Essen und später vor dem Oberlandesgericht Hamm durchgeführt hat, steht dem nicht entgegen. Seinerzeit waren die Voraussetzungen für das Ruhen der elterlichen Sorge aufgrund der damaligen Erkrankung der Antragstellerin unstreitig. Dies war der Grund dafür, dass das Oberlandesgericht Hamm die Anordnung des Ruhens nach § 1674 Abs. 1 BGB als milderen Eingriff in das Elternrecht angesehen hat. Nunmehr liegen aufgrund des in diesem Verfahren eingeholten Sachverständigengutachtens ausreichend fundierte Feststellungen dafür vor, dass die Voraussetzungen für die Anordnung des Ruhens der elterlichen Sorge nachträglich entfallen sind. Die danach jedenfalls bestehenden Zweifel an der Ausübung der elterlichen Sorge sind in einem weiteren Verfahren nach § 1671 BGB, in welchem auch die konkreten Kindeswohlgesichtspunkte eine entscheidende Rolle spielen werden, zu prüfen.
154. Auch die Verfahrensbeiständin hat sich in ihrer Stellungnahme vom 12.06.2019 für das Wiederaufleben des (gemeinsamen) Sorgerechts auf Seiten der Antragstellerin ausgesprochen.
165. Von der Durchführung eines Anhörungstermins und auch der Anhörung der Kinder verspricht sich der Senat keine entscheidungserheblichen Erkenntnisse, so dass hiervon abgesehen wurde.
17II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG.
18Es besteht kein Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.