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Die Angeklagte ist schuldig der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen Eigentum.
Sie wird zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten verurteilt.
Die Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Freiheitsentziehung, die die Angeklagte in der Zeit vom 23. Oktober 2016 bis zum 25. Oktober 2016 in der Türkei erlitten hat, wird im Verhältnis 1:2 auf die Freiheitsstrafe angerechnet.
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Angewendete Vorschriften:
§§ 129a Abs. 1 Nr. 1, 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, 9 Abs. 1 VStGB, 52 StGB.
G r ü n d e
3Vorbemerkungen:
4Die Angeklagte beteiligte sich im Tatzeitraum von Mitte September 2015 bis Mitte Dezember 2015 als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“, indem sie sich mit dem später getöteten IS-Kämpfer M. D. gemeinsam einihnen zugewiesenes Haus angeeignet hat, um den Gebietsanspruch des Islamischen Staates im Raum Tal Afar zu festigen.
5Soweit der Senat darüber hinaus Feststellungen zur Eingliederung und mitgliedschaftlichen Beteiligung der Angeklagten ab ihrer Einreise in das Gebiet des Islamischen Staates am 19. März 2015 getroffen hat, war dies aus Sicht des Senats zum Nachweis derEingliederung sowie zur Begründung der Betätigung der Angeklagten als Mitglied der Terrororganisation „IS“ für die angeklagte Tat erforderlich, obgleich der Generalbundesanwalt gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StPO von der Verfolgung weiterer mitgliedschaftlicher Betätigungsakte der Angeklagten abgesehen hat, die nicht gleichzeitig den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen und in ihrer Gesamtheit zu der angeklagten Tat in Realkonkurrenz stehen. Darüber hinaus hat der Senat entsprechend einem vorherigen Hinweis die insoweit festgestellten Betätigungsakte im Rahmen der Strafzumessung auch zum Nachteil der Angeklagten berücksichtigt.
6Dem Urteil liegt keine Verständigung zugrunde.
71. Teil: Tatsächliche Feststellungen
8A. Die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten
9Die Angeklagte wurde am … in … geboren, während sichihr Vater, H. K., als sogenannter Gastarbeiter in Deutschland aufhielt, um für sich und seine Familie in der Türkei ein Haus errichten zu können. Der Vater der Angeklagten war zuvor bei der türkischen Bahngesellschaft tätig gewesen, nachdem ihm in seiner Familie die finanzielle Unterstützung für die Aufnahme eines Hochschulstudiums in Istanbul verwehrt worden war. Anfang des Jahres … siedelte die Mutter der Angeklagten, S.K., mit der Angeklagten sowie deren etwa vier Jahre älterer Schwester, der ZeuginN. Se., nach Deutschland über. Die Familie wohnte zunächst im … Stadtteil…. Einige Jahre später zog die Familie in den … Stadtteil …, wo deretwa sechs Jahre jüngere Bruder, der Zeuge F. K., zur Welt kam. Beide Elternder Angeklagten waren in Deutschland berufstätig, der Vater arbeitete bei …in ….Die Angeklagte besuchte zunächst einen Kindergarten und sodann die Gemeinschaftsgrundschule … in … von … bis …. Die Angeklagte, die ineiner westlich geprägten kemalistischen Familie aufwuchs, war dort eine gute Schülerin und nach eigenen Angaben die beste Schülerin der Schule. Sie wechselte sodann auf das Gymnasium … in …. Dort war sie nach eigenemBekunden lediglich eine mittelmäßige Schülerin, die sich in der Mittelstufe zum Schwänzen von Unterrichtsstunden in Mathematik und im naturwissenschaftlichen Bereich verleiten ließ. Nachdem die Angeklagte eine Klasse wiederholen musste, durchlief sie die weiteren Jahrgangsstufen und erreichte im Jahr … den Schulabschluss mit dem Ab-tur. Die Angeklagte, die sich bereits während ihrer Schulzeit in der Oberstufe zunehmend für Politik interessierte, begann bereits im Wintersemester … mit dem Magiste-studium Politikwissenschaften als Hauptfach sowie Amerikanistik und Geschichtswissenschaften als Nebenfächer. Nach mehrfachem Wechsel des zweiten Nebenfachs entschloss sich die Angeklagte, neben ihrem Hauptfach und Amerikanistik die Islamwissenschaften zu studieren, besuchte jedoch diesbezüglich keine Vorlesungen mehr, denn die Angeklagte begann sich im weiteren Verlauf ihres Studiums für das … Partyleben zuinteressieren, wo sie trotz ihres Studiums in … nach wie vor lebte. Sie ging mehrmalspro Woche aus und konsumierte sogenannte Partydrogen. Sie befasste sich in der Zeit neben linker Politik auch mit Esoterik, Buddhismus und Hinduismus. … nahm sie einenStudentenjob bei der …-Versicherung an, machte dort eine interne Ausbildung zurVersicherungsberaterin und war dort bis … beschäftigt – zuletzt in einem Umfang von30 Stunden pro Woche. Die Angeklagte verließ die Universität im Zusammenhang mit der Einführung der Studiengebühren. Sie wurde …von der Universität exmatrikuliert.
10Die ältere Schwester der Angeklagten besuchte die Realschule und die Höhere Handelsschule, hat eine Ausbildung absolviert und lebt mit ihrer Familie in ….Der Bruder der Angeklagten ist von Beruf Arzt und lebt mit seiner Familie ebenfalls in…. Während das Verhältnis zu ihrer älteren Schwester bereits seit län-gerer Zeit – ohne näheren Kontakt – belastet ist, ist der Kontakt zu ihrem Bruder spätestens seit Februar 2015 weitgehend abgebrochen.
11Die Angeklagte lernte im Winter des Jahr … den Zeugen M. S. ken-nen und heiratete ihn am …. Der Zeuge stammt aus … und lebte damalsohne gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland. Die Beziehung gestaltete sichschwierig, wofür sich die Beteiligten gegenseitig verantwortlich machen. Die Angeklagteerwarb im Jahr … oder … die deutsche Staatsangehörigkeit. Am … 2006wurde der gemeinsame Sohn Y. S. geboren. Kurz nachdem Y. S. ein Jahr altgeworden war, trennte sich die Angeklagte von dem Zeugen, der sodann aus der gemeinsamen Wohnung auszog. Im Jahr … versuchten die Eheleute letztlich erfolgloseine Versöhnung und machten mit Y. S. einen gemeinsamen Urlaub in Marokko. Endedes Jahres Y. S. begab sich die Angeklagte aus Furcht vor ihrem Ehemann in ein Frauenhaus. Die Ehe wurde am … geschieden. Y. S. lebte seit der erstenTrennung bei seiner Mutter. Die Eltern behielten auch nach der Ehescheidung das gemeinsame Sorgerecht bei. Mittlerweile wird es einstweilen durch den Zeugen M. S. alleineausgeübt. Die Angeklagte führte seit der Scheidung wieder ihren Mädchennahmen –K. – und ließ diesen spätestens … dahingehend ändern.
12Die Angeklagte selbst wohnte bis zu ihrer Ausreise aus Deutschland Anfang Februar 2015 in …, zuletzt unter der Anschrift …. Vorihrer Rückkehr nach Deutschland am 17. Oktober 2018 lebte sie mit Y. S. seit etwaEnde Oktober 2016 in einem Haus ihres Vaters in …/Türkei, wo sich auch dieEltern der Angeklagten im Frühjahr und Sommer eines jeden Jahres aufhielten. Der Vaterder Angeklagten ist wenige Tage vor Beginn der Hauptverhandlung verstorben. Y. S.lebt zurzeit in öffentlicher Betreuung und hält sich an den Wochenenden bei seinem Vaterauf.
13Für ihre Reise aus der Türkei nach Deutschland benötigte die Angeklagte für sich oder ihren Sohn Ausweispapiere, die sie in der Deutschen Botschaft in Ankara abholte. Die Angeklagte wurde bei Gelegenheit dieses Botschaftsbesuchs am 13. Juli 2018 durch Beamte des Bundeskriminalamtes ausführlich belehrt und befragt. Die Angeklagte machte in diesem Zusammenhang umfangreiche Angaben zu den Motiven ihrer Ausreise sowie zu ihrem Aufenthalt in Syrien und im Irak.
14Die Angeklagte wurde unmittelbar nach ihrer Ankunft in Deutschland am 17. Oktober 2018 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. Oktober 2018 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt ….
15Die Angeklagte ist in Deutschland strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Durch Urteil des Schwurgerichts …/Türkei wurde sie am … 2017 wegen Mitglied-schaft in der bewaffneten terroristischen Organisation „DAES“ zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Das Landgericht des Bezirks …hat … 2018 auf die Berufung der Angeklagten – unter Abweisung des Rechtsmittelsim Übrigen – den Rechtsfolgenausspruch abgeändert und sie zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig.
16Die deutlich übergewichtige Angeklagte, die nach eigenen Angaben in den letzten Jahren etwa 50 kg zugenommen hat, leidet unter mehreren Krankheiten. So leidet sie bereits seit einigen Jahren unter Morbus Menière, einem attackenweise auftretenden Schwindel, der auch zu Hörbeeinträchtigungen führt, jedoch keine überdauernde neurologische oder organische Ursache hat. Die Erkrankung kann durch Medikation so behandelt werden, dass keine Einschränkungen auf Befundebene erkennbar sind. Darüber hinaus leidet die Angeklagte unter Bluthochdruck, der ebenfalls medikamentös behandelt wird.
17Schließlich besteht bei der Angeklagten eine Hüftarthrose, die rechts besonders ausgeprägt ist und derzeit mit Schmerzmitteln behandelt wird, jedoch im weiteren mit dem Einsatz einer Prothese behandelt werden muss. Neben oder zusammen mit ihrem Körpergewicht bewirkt diese Erkrankung eine erhebliche und deutlich sichtbare Einschränkung des Gehens. Darüber hinaus schildert die Angeklagte Schmerzen im Bereich des Bauches sowie der Halsweichteile. Schließlich wurde bei der Angeklagten im Herbst diesen Jahres Brustkrebs mit einem relativ großen Karzinom diagnostiziert. Bezüglich dieser Erkrankung ist mit einer alsbaldigen Behandlung durch Operation und gegebenenfalls mit Chemotherapie zu rechnen.
18B. Die Bürgerkriegssituation im Irak und in Syrien und die terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“
19Der sogenannte „Islamische Staat“ (im Folgenden: IS) war und ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamistischer Ausrichtung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, unter Inkaufnahme auch ziviler Opfer, die von Schiiten dominierte Regierung im Irak und das Assad-Regime in Syrien zu stürzen sowie einen zumindest das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „al-Sham“ (Syrien, Libanon, Jordanien sowie Palästina) umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Scharia zu errichten.
20I. Historische Entwicklung und Verlauf des Bürgerkrieges im Irak und Syrien
21Die terroristische Vereinigung IS geht auf eine Gruppierung zurück, die bereits im Jahr 2003 von dem Jordanier Abu Musab al-Zarqawi unter dem Namen at-Tauhid gegründet worden war und die sich 2004, nachdem al-Zarqawi gegenüber dem damaligen al-Qaida Führer Usama Bin Laden die Gefolgschaft geschworen hatte, in „al-Qaida im Irak“ umbenannte. Ab Oktober 2006 operierte sie als „Islamischer Staat im Irak“ mit dem Ziel, im Irak einen eigenen sunnitischen Staat aufzubauen. Zur Erreichung dieses Ziels wurden zahlreiche Anschläge sowohl gegen Politiker und Sicherheitskräfte als auch gegen die schiitische Zivilbevölkerung verübt. Aufgrund der Beteiligung amerikanischer Truppen geriet die Gruppierung jedoch ab 2007 immer mehr in Bedrängnis, sie konnte sich jedoch bis zum Abzug der US-Truppen Ende 2011 halten.
22Im April 2010 war Abu Bakr al-Baghdadi zum neuen Befehlshaber der Organisation ernannt worden. Er sah den Beginn des Bürgerkrieges in Syrien als Gelegenheit, den Einfluss seiner Organisation über den Irak hinaus nach Syrien auszudehnen, und schickte einzelne Kämpfer nach Syrien, um die Möglichkeiten einer Beteiligung am Bürgerkrieg auszuloten. Nach dem Abzug der amerikanischen Truppen gelang es der Organisation im Irak wieder zu erstarken, so dass syrische Mitglieder des „Islamischen Staates im Irak“ unter Führung von Abu Muhammad al-Jaulani die Jabhat al-Nusra li-Ahl al-Sham (Hilfsfront für die Menschen Syriens) gründeten. Die Jabhat al-Nusra wurde im Laufe des Jahres 2012 zu einem der wichtigsten Akteure im syrischen Bürgerkrieg.
23Nachdem zunehmend Spannungen zwischen al-Baghdadi und al-Jaulani über den Führungsanspruch in der Jabhat al-Nusra bzw. dem Verhältnis der beiden Organisationen aufgetreten waren, rief al-Baghdadi am 8. April 2013 unter Hinweis darauf, dass die Jabhat al-Nusra aus dem „Islamischen Staat im Irak“ hervorgegangen sei, den „Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) und damit eine aus beiden Vereinigungen bestehende irakisch-syrische Organisation aus. Al-Jaulani weigerte sich jedoch öffentlich, die Jabhat al-Nusra der Führung al-Baghdadis zu unterstellen, und suchte Unterstützung bei Ayman al-Zawahiri, dem er Gefolgschaft schwor und der nach der Tötung von Bin Laden die Führung der al-Qaida übernommen hatte. Im Bemühen um eine Schlichtung des Konflikts ließ Ayman al-Zawahiri eine Erklärung verbreiten, wonach beide Organisationen unabhängig voneinander in ihrem jeweiligen Heimatland operieren sollten. Al-Baghdadi beharrte jedoch auf ein Fortbestehen des ISIG in beiden Ländern.
24Dem ISIG gelang es in der Folgezeit, in Syrien weiter Fuß zu fassen. Al-Baghdadi ging auch gegen die Jabhat al-Nusra vor und übernahm schrittweise deren Stützpunkte im Osten und Norden des Landes. Ab der zweiten Hälfte des Jahres 2013 kam es zu erheblichen Spannungen und bewaffneten Konflikten zwischen dem ISIG und den weiteren Gruppierungen in Syrien. Im Juli 2013 ermordeten Mitglieder des ISIG einen prominenten Kommandeur der FSA und in der Folge weitere wichtige Befehlshaber nicht jihadistischer Organisationen. Viele ausländische Kämpfer schlossen sich dem ISIG an, so auch die der Jaish al-Muhajirin wal Ansar („Armee der Auswanderer und Helfer“, JAMWA). Bei der JAMWA handelt es sich um eine jihadistische Gruppe tschetschenischer Kämpfer unter der Führung von Abu Umar al-Shishani, die im Sommer 2012 gegründet worden war und die den bewaffneten Kampf als zentrale Glaubenspflicht ansah. Al-Shishani erklärte am 21. November 2013 den Anschluss der JAMWA an den ISIG. Die Organisation konnte auch bei der Junud al Sham zahlreiche Kämpfer abwerben, darunter bis zu drei Dutzend aus Deutschland stammende Jihadisten. Die Junud al Sham war ebenfalls eine „tschetschenische“ Vereinigung unter Führung von Murad Margoshwili alias Muslim Abu Walid, die im Norden der Küstenprovinz Latakia und Aleppo operierte. Die Junud al Sham nahm im Laufe des Jahres 2013 zahlreiche ausländische Kämpfer, darunter mehrere Dutzend aus Deutschland ausgewanderte auf, von denen zahlreiche der in Deutschland verbotenen Vereinigung „Millatu Ibrahim“ angehörten.
25Im Dezember 2013 gab die Ermordung eines Kommandanten der Ahrar al-Sham den Anlass für eine offene militärische Auseinandersetzung zwischen dem ISIG und der im November 2013 entstandenen „Islamischen Front“, an der unter anderem Ahrar al-Sham und FSA-Gruppierungen beteiligt waren. Anfang des Jahres 2014 verschärften sich zudem die Auseinandersetzungen zwischen dem ISIG, der auf einer eigenen Präsenz in Syrien bestand, und der Jabhat al-Nusra, die darin mündeten, dass Ayman al-Zahawiri im Januar 2014 den Ausschluss des ISIG aus der al-Qaida verkündete. Ab März 2014 kam es schließlich zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Jabhat al-Nusra und dem ISIG in Syrien.
26Im Irak gelang es ISIG, größere Geländegewinne zu verzeichnen. Am 10. Juni 2014 konnte ISIG die zweitgrößte irakische Stadt Mossul, die Hauptstadt des Gouvernements Ninawa, einzunehmen. Am 16. Juni 2014 brachte der ISIG Tal Afar unter seine Kontrolle. Zudem rückten ISIG-Einheiten in anderen Gegenden des West- und Nordwestiraks bis kurz vor Bagdad vor und griffen auch von der kurdischen Regionalregierung kontrolliertes Gebiet westlich, nördlich und östlich von Mossul an. Die irakische Regierung war zu jener Zeit nicht in der Lage, in den durch die Aufständischen besetzten Provinzen Staatsgewalt auszuüben. Vor dem Hintergrund dieser Erfolge rief al-Baghdadi am 29. Juni 2014 das sogenannte Kalifat aus und benannte den ISIG in „Islamischer Staat“ (IS) um. Parallel dazu erzielte ISIG/IS in Syrien Geländegewinne. Im Juni und Juli 2014 gelang es, die Nusra-Front aus ihren letzten Positionen im Osten des Landes aus den Provinzen Deir ez-Zor und aus dem südlichen Hasaka zu vertreiben. Im August 2014 eroberte ein stark bewaffneter Kampfverband des IS nach einer längeren Operation den Militärflughafen in Tabqa in der Provinz Raqqa. Im Zuge dessen konnte der IS umfangreiche Kampfmittel wie schwere Waffen, Panzer und Boden-Luft-Raketen erbeuten. Im Zusammen mit diesem Erfolg erlangte der IS die Kontrolle über die Region Raqqa. Ab September versuchte der IS, die Stadt Kobane (arabisch Ain al Arab) zu erobern. Die unter großen Opfern geführte Offensive scheiterte endgültig Ende Januar 2015 am Widerstand kurdischer Kräfte, die von der internationalen Anti-IS-Koalition und insbesondere durch US-amerikanische Luftangriffe unterstützt wurden. Im Mai 2015 konnte der IS mit der Eroberung von Palmyra in der Provinz Homs in Syrien einen militärischen Erfolg verbuchen.
27Aufgrund von Luftangriffen der USA und deren Verbündeter auf das Territorium des IS ab August 2014 im Irak und ab September 2014 in Syrien geriet der IS unter wachsenden militärischen Druck, so dass er ab 2015 immer weiter zurückgedrängt wurde. Im Irak konnten mehrere Städte durch irakische Truppen zurückerobert werden, so die Stadt Tikrit im März 2015, die Stadt Ramadi im Dezember 2015 / Januar 2016 und die Stadt Falludscha am 17. Juni 2016. In Syrien gelang es der Regierung mit militärischer Unterstützung der Russischen Föderation und der Islamischen Republik Iran, Gebiete des Landes zurückzuerobern. Anfang März 2017 verkündete al-Baghdadi die Niederlage des IS im Nordwesten des Irak und forderte seine Kämpfer auf, sich in die syrischen und die irakischen Berge zurückzuziehen. Im Juli 2017 wurde schließlich die Stadt Mossul und im September 2017 die Stadt Tal Afar durch irakische Streitkräfte zurückerobert. Am 17. Oktober 2017 wurde der IS in Syrien aus seiner Hochburg Raqqa vertrieben. Bis zum Ende des Jahres 2017 wurden die letzten Rückzugsgebiete des IS überwiegend durch syrische Regierungstruppen eingenommen.
28II. Organisations- und Führungsstruktur sowie Vorgehen
291. Abu Bakr al-Baghdadi stand an der Spitze des „Islamischen Staates im Irak und in Großsyrien“ sowie im Folgenden des „Islamischen Staates“. Er hatte die ideologische Führung der hierarchisch gegliederten Organisation. Zum weiteren Führungszirkel gehörten sein Stellvertreter sowie jeweils ein Kommandeur für Syrien und für den Irak. Als Entscheidungsorgan bestand ferner ein Schura-Rat für grundlegende Fragen, wie etwa die Nachfolge des Emirs/Kalifen. Daneben gab es Komitees („Ministerien“) für Religionsangelegenheiten, Militär, Sicherheit und Nachrichtengewinnung, Finanzen, Aufsicht über die Provinzverwaltung sowie Medienarbeit. Für „Provinzen“ des „Islamischen Staates“, die etwa den staatlichen Verwaltungsdistrikten entsprachen, wurden Kommandeure ernannt, die Abu Bakr al-Baghdadi unterstanden. Die Führungsebene setzte sich überwiegend aus Irakern und Syrern zusammen. In eroberten Gebieten wurden jeweils eine rudimentäre Verwaltung sowie ein eigenes Gerichtswesen eingerichtet. Überdies existierte ein ausgeprägter Geheimdienst, der innerhalb der Organisation parallel neben sonstigen Strukturen organisiert war.
30Die Organisation zielte darauf ab, einen den eigenen Vorstellungen entsprechenden autoritären islamischen Staat im Irak, in Syrien und in den Nachbarstaaten unter Überwindung nationalstaatlicher Grenzen zu etablieren. Zudem ging es ihr um die Eroberung Jerusalems sowie die physische Vernichtung der Schiiten und Alawiten sowie weiterer religiöser Minderheiten in ihrem Gebiet, wie etwa der Jesiden.
31Die Anzahl der Kämpfer wuchs im Jahr 2013 rasch auf rund 10 000 bis 20 000 Mann an und nahm im Folgenden (trotz gewisser Rückschläge) weiter zu. Dem „Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien“ schlossen sich viele Mitglieder der Nusra-Front und anderer Gruppierungen an. Zudem gab es – insbesondere nach Ausrufung des Kalifats – einen starken Zustrom ausländischer Kämpfer. Die Kämpfer erhielten von der Organisation eine zum Lebensunterhalt notwendige Versorgung und einen Sold.
32Die Organisation finanzierte sich in den Jahren 2013 und 2014 durch den Verkauf von Öl, lokale Steuern und Schutzgelder, Kriegsbeute, Lösegelder sowie Spenden aus dem Ausland.
33Der „Islamische Staat (im Irak und in Großsyrien)“ nutzte als Erkennungszeichen in Anlehnung an das Logo der irakischen al-Qaida den weißen Kufi-Schriftzug „Es gibt keinen Gott außer Gott“ und darunter das Mohammed zugeschriebene weiße „Prophetensiegel“ mit den Worten „Gott, Prophet, Mohammed“ auf schwarzem Grund, teils ergänzt um den Organisationsnamen. Er betrieb eine mehrsprachige Öffentlichkeitsarbeit mit modernen Mitteln, insbesondere durch eigene Medienstellen. Dabei ging es ihm darum, die eigene Macht zu demonstrieren und dadurch Gegner einzuschüchtern, Anhänger zu rekrutieren sowie den Anspruch eigener Staatlichkeit zu unterstreichen. Zu diesem Zweck veröffentlichte er im Internet unzählige Videos mit brutalen Hinrichtungen, bei denen Opfern vor laufender Kamera zum Beispiel die Kehle durchgeschnitten und der Kopf abgetrennt wurde. So wurde beispielsweise am 7. Juni 2014 über die Plattformen „Twitter“ und „Facebook“ ein elektronisches Magazin auch in deutscher Sprache veröffentlicht, in dem die Tötung von mehreren Männern gezeigt wird.
34Im zweiten Halbjahr 2014 veröffentlichte der IS Videos zur Enthauptung von insgesamt fünf westlichen Geiseln (Foley, Sotloff, Haines, Henning und Kassig). Anfang des Jahres 2015 folgen zwei Videos, die die Enthauptung der Geiseln Yukawa und Goto thematisierten.
352. Neben derartigen Taten beging die Organisation (namentlich in den Jahren 2013 und 2014) zur Durchsetzung ihrer Ziele – sowohl in Syrien als auch im Irak – eine Vielzahl von Anschlägen, auch auf Zivilisten, und nahm an diversen Kämpfen teil. Sie verfügte über Sturmgewehre („Kalaschnikows“), Panzerfäuste und erbeutete Waffen, etwa Mörser, kleinere Raketen bis hin zu Panzern. Dabei richteten sich Angriffe häufig gegen andere Gruppen von Aufständischen mit dem Ziel, von diesen gehaltene Gebiete zu übernehmen. Bekämpft wurde aber auch das syrische Regime. Lediglich beispielhaft sei Folgendes angeführt:
36Prominente Angehörige gegnerischer Gruppierungen wurden gezielt getötet. Im August 2013 nahmen Einheiten des „Islamischen Staates im Irak und in Großsyrien“ an einer Offensive mehrerer aufständischer Gruppen gegen alawitische Dörfer im syrischen Küstengebirge teil. Bei der Offensive verübten die Angreifer verschiedene Gräueltaten, wie etwa die Tötung von über 100 Zivilisten. Im selben Monat beteiligte sich die Organisation an der Einnahme der Hubschrauber- und Luftwaffenbasis Minnagh nahe Azaz. Im Januar 2014 starben durch eine gegen Kräfte der „Freien Syrischen Armee“ gerichtete Autobombe mehr als dreißig Menschen, vor allem Frauen und Kinder. Anfang Juni 2014 startete die Organisation eine Offensive im Nordirak, eroberte die Stadt Mossul und exekutierte Hunderte schiitische Gefangene. Nach Einnahme der irakischen Stadt Tikrit wurden im Juni 2014 Hunderte irakische Soldaten gefangenengenommen, weggefahren und sodann erschossen. Im August 2014 nahmen Einheiten des „Islamischen Staates“ den Militärflughafen der syrischen Armee in al-Tapqa ein und töteten Hunderte gefangengenommene Regierungssoldaten.
37Ab August 2014 führte der IS eine groß angelegt militärische Offensive gegen Jesiden im Nordirak durch. In der Nacht vom 2. auf den 3. August 2014 griffen Hunderte Kämpfer des IS das Sindschar-Gebirge im Nordwestirak und die dort lebende Bevölkerung an, die mehrheitlich aus Kurden jesidischen Glaubens bestand. Bis zum 5. August 2014 konnte der IS das Sindschar-Gebirge umzingeln und besetzte die umliegenden jesidischen Dörfer. An strategisch wichtigen Punkten errichtete der IS Kontrollpunkte. Darüber hinaus setzte er mobile Patrouillen ein und erhielt Unterstützung von Teilen der arabischen Bevölkerung. Dennoch konnten ca. 200.000 Personen aus der Region fliehen. Weitere 35.000 bis 50.000 Jesiden flohen in das umzingelte Sindschar-Gebirge, wo sie ohne Nahrung, Wasser und Medikamente bei hohen Temperaturen ausharren mussten. Ab dem 11. August 2014 konnten die Jesiden aus dem Sindschar Gebirge über einen Korridor fliehen, den Kräfte der YPG, der Peshmerga und jesidischer Milizen mit Luftunterstützung der US-amerikanischen Streitkräfte freigekämpft hatten. Gefangengenommene jesidische Männer richtete der IS hin, wenn diese nicht zum Islam konvertieren wollten. Frauen und Mädchen wurden versklavt und mussten als Sexsklavinnen oder Haushaltshilfen Dienst verrichten. Jungen wurden zur religiösen Umerziehung in Koranschulen gegeben. Nach Angaben der kurdischen Regionalregierung sollen 6386 Jesiden verschleppt und bis zu 5500 weitere getötet worden sein.
38III. Die Konfliktsituation und -intensität im Gouvernement Ninawa im Jahr 2015
39Das Gouvernement mit der Provinzhauptstadt Ninawa liegt im Nordwesten des Irak. Es grenzt im Nordwesten an Syrien und an die kurdische Autonomieregion im Norden (Dohuk) und Osten (Erbil). Im Süden befinden sich die Gouvernements Salah ad Din und Anbar. Bereits vor der Ausbreitung des IS galten Teile des Gouvernements Ninawa als umstritten, weil es sich um kurdisches Einflussgebiet handelte, was insbesondere auch auf das Sindschar-Gebirge zutrifft. Im Ausgangspunkt Anfang des Jahres 2015 wies dieses Gouvernement im Vergleich zu den südlich gelegenen Gouvernements Anbar und Salah ad Din das stärkste Ausmaß von Gebietskontrolle durch den IS auf. Dennoch kam es über das ganze Jahr 2015 hinweg durchgängig zu Kämpfen, die sich nicht auf Luftangriffe der internationalen Koalition beschränkten, sondern vor allem mit kurdischenPeschmerga-Kämpfern ausgetragen wurden. Bereits Ende 2014 gelang es denPeschmerga Rabia an der syrischen Grenze und Zumar nordöstlich von Tal Afar zurückzuerobern. Im Jahr 2015 führte die internationale Koalition – bezogen auf den gesamten Irak – mehr als 13.000 Luft- und Artillerieangriffe gegen den IS durch.
40Die internationale Koalition griff Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa 158 Mal im Januar 2015 an. 94 Angriff entfielen auf den Raum Mossul, 38 auf den Raum Tal Afar. In der zweiten Januarhälfte 2015 gelang es den kurdischen Milizen, eine Fläche von etwa 480 km² in Sindschar - im Westen des Gouvernements – und im Umfeld von Mossul zurückzuerobern. Dabei kamen etwa 5.000 Peschmerga-Kämpfer zum Einsatz. Am 21. Januar 2015 griffen Peschmerga IS-Stellungen in Kisik in der Nähe von Tal Afar und in Tal al Khidhir an. Luftschläge töteten in Ayadir, nördlich von Tal Afar, 22 IS-Mitglieder. Am 24. Januar 2015 kam es zu Gefechten zwischen IS und Peschmerga östlich von Kisik bei Eski Mossul, ebenso am folgenden Tag im Südosten Mossuls, wo den Peschmerga zufolge Tausende IS-Kämpfer ums Leben kamen.
41Im Februar 2015 führte die internationale Koalition im Raum Mossul 49 Luftschläge aus und 46 im Raum Tal Afar. Anfang Februar 2015 berichteten irakische Nachrichten davon, dass der IS 23 seiner Kämpfer hat hinrichten lassen, nachdem diese bei Gefechten nordöstlich von Tal Afar von der Front geflohen waren. Am 26. Februar 2015 griffen Peschmerga mit US-Unterstützung IS-Stellungen an der irakisch-syrischen Grenze in der Nähe von Rabia an und drängten den IS in Richtung des Landesinneren zurück.
42Im März 2015 gab es 63 Luftschläge im Raum Mossul und 20 im Raum Tal Afar. Am 5. März 2015 griff der IS die Peschmerga in Sindschar an, u.a. mit Selbstmordattentätern und einer Autobombe. Der Angriff schlug fehl und angeforderte Luftschläge der internationalen Koalition töteten 13 IS-Mitglieder. Am 23. März 2015 wurden 13 Kämpfer des IS durch Angriffe von Kampfflugzeugen östlich von Mossul in Bashiqa getötet.
43Die internationale Koalition flog im April 2015 im Raum Mossul 60 Angriffe und 32 im Raum Tal Afar. Im April stiegen die Totenzahlen unter den Zivilisten, wobei von 227 bis 301 Zivilisten getöteten Zivilisten auszugehen ist. Darüber hinaus kam es zu Konflikten zwischen dem IS und arabischen/sunnitischen Stämmen. Am 26. April 2015 verbrachte der IS mit Hilfe zusätzlich aus Mossul angeforderter Verstärkung 2.500 gefangene Jesiden nach Tal Afar. Dort trennte man bis zu 700 jesidische Männer und Jungen vom Rest der Gruppe. Am 27. April 2015 wurden nach Angaben der UN bis zu 400 jesidische Männer in Ayadhiya und Zumar getötet.
44Im Mai 2015 gabt es 79 Luftangriffe im Raum Mossul und 47 im Raum Tal Afar. Darüber hinaus ist von etwa 168 bis 175 getöteten Zivilisten auszugehen. Am 21. Mai 2015 zerstörte die irakische Luftwaffe eine vom IS betriebene Ölraffinerie. Bei einem Luftschlag am 26. Mai 2015 auf Abu Maria wurden 21 IS-Kämpfer getötet.
45Im Juni 2015 gab es 71 Luftschläge auf den Raum Mossul und 68 Luftschläge im Raum Tal Afar. Irak-Body-Count zählte 272 bis 339 getötete Zivilisten. Am 09. Juni 2015 griff die Koalition einen Konvoi südlich von Mossul an. Dabei wurden 18 IS-Kämpfer getötet. Am 15. Juni 2015 griff der IS mit Artillerie und Autobomben Stellungen der Peschmerga in Kisik und Eski Mossul an. Dabei kamen mindestens 22 Angreifer ums Leben. Am 18. Juni 2015 wehrten die Peschmerga einen Angriff auf Sindschar ab. Am 24. Juni 2015 töteten Luftschläge der Koalition in Qayyarah im Süden des Gouvernements mehr als 40 IS-Kämpfer.
46Während des Juli 2015 flog die internationale Koalition 64 Luftangriffe auf Mossul. Bei einem solchen Angriff am 14. Juli 2015 werden 28 IS-Kämpfer getötet. In diesem Monat gab es ferner 28 Luftangriffe auf den Raum Tal Afar. Dort wurden bei einem Angriff am 6. Juli 2015 neun IS-Kämpfern getötet. Die Zivilisten, die bei Kampfhandlungen und Hinrichtungen getötet wurden, beziffern sich auf 341 bis 345. So wurden am 24. Juli 2015 insgesamt 53 Mitarbeiter der unabhängigen Wahlkommission in Mossul entführt, von denen 28 am folgenden Tag durch den IS getötet wurden.
47Im Monat August 2015 kam es im Süden von Mossul verstärkt zu Angriffen in Qayyarah. Im Raum Mossul flog die internationale Koalition 77 Luftangriffe. Dabei kamen allein im Zeitraum vom 3. August bis zum 5. August 2016 etwa 80 IS-Kämpfer ums Leben. Im Raum Tal Afar gab es in diesem Monat 32 Luftangriffe. Bei einem solchen am 10. August 2015 wurden etwa 30 IS-Kämpfer getötet. Die Beobachtungsstelle Iraq Body Count beziffert die getöteten Zivilisten für diesen Monat außergewöhnlich hoch zwischen 736 und 1.037, da es Berichte über Massentötungen gab. Am 18. August 2015 berichteten die UN von der Hinrichtung 18 minderjähriger IS-Kämpfer in Mossul, die von der Front in Anbar geflohen waren.
48Im September 2015 gab es 87 Luftangriffe auf den Raum Mossul. Am 3. September 2015 starben dabei 30 IS-Kämpfer. Zudem gab es 19 Luftangriffe im Raum Tal Afar. Irak-Body-Count schätzte die Zahl der getöteten Zivilisten auf 483 bis 522. Am 23. September 2015 richtete der IS 25 ehemalige Mitglieder der Sicherheitskräfte in Mossul wegen vermeintlicher Zusammenarbeit mit der Regierung hin.
49Im Oktober 2015 gab es insgesamt 233 Luftangriffe auf das Gouvernement Ninawa, davon entfielen 43 auf den Raum Mossul und 44 auf den Raum Tal Afar. Bei einem Angriff auf einen Stadtteil von Tal Afar mit dem Namen Hassan Qoi kamen etwa 14 IS-Kämpfer ums Leben. Die Totenzahlen bei den Zivilisten belaufen sich auf 313 bis 319. Am 24. Oktober 2015 zerstörten zwei Luftschläge der internationalen Koalition eine Autobombenwerkstatt und 19 Kampfstellungen des IS in Mossul. Am 25. Oktober 2015 griffen IS-Kämpfer das Hauptquartier der Peschmerga in Ismail Bek in Sindschar an.
50Im November 2015 kam es zu 280 Luftangriffen der internationalen Koalition, davon betrafen 49 den Raum Mossul und 19 den Raum Tal Afar. Die Zahl der zivilen Todesopfer wurde auf 344 bis 366 geschätzt. Die kurdischen Peschmerga starteten eine Offensive in Sindschar mit 7500 Kämpfer und mit Luftunterstützung der internationalen Koalition. Zwischen dem 12. November und 14. November 2015 gibt es örtliche Offensiven in der näheren Umgebung von Mossul, in Sindschar, Makhmur, Zumar, Bashiqa und Eski Mossul.
51Von den insgesamt 256 Luftangriffen der internationalen Koalition im Dezember 2015 entfielen 167 auf den Raum Mossul und 21 auf den Raum Tal Afar. Am 16. Dezember 2015 startete der IS eine Gegenoffensive im Osten und Norden von Mossul. Dabei wurden etwa 300 IS-Kämpfer im Rahmen von vier koordinierten Angriffen eingesetzt. Ziele waren jeweils Stellungen der Peschmerga. Zum Einsatz kamen Autobomben und Mörsergranaten. Bei den Kämpfen wurden zwischen 7 und 18 Peschmerga-Kämpfer getötet. Im Zusammenhang mit Luftschlägern der Internationalen Koalition werden mindestens 180 IS-Kämpfer getötet.
52C. Radikalisierung der Angeklagten bis zur Ausreise
53Die Angeklagte, die zunächst der politischen Linken nahestand und sich für sozialistische Revolutionsgruppen interessierte, begann sich spätestens nach der Trennung von dem Zeugen M. S. für den Islam zu interessieren und erwarb viele Kenntnisse durch das Lesen von Büchern über den Islam bzw. des übersetzten Koran – die Angeklagte war der arabischen Sprache nicht mächtig. Sie begann im Jahr 2010, den Islam zu praktizieren und zu beten. Sie engagierte sich aufgrund ihres Wissens um die islamisch-salafistische Lebensweise als Moderatorin auf mehreren Internetseiten, Foren oder Facebook-Seiten. So war sie unter anderem in dieser Funktion mit erheblichem zeitlichen Aufwand für die Facebook-Seite „Einladung zum Paradies“ tätig. Darüber hinaus war sie auf Bitten von D.R. neben S. L. Gründungsmitglied des Vereins „Schlüssel zum Paradies“in Hannover, da D. R. vertrauenswürdige Leute für diese Aufgabe suchte und dieAngeklagte ihm zumindest aufgrund ihrer Tätigkeit als Moderatorin für die Facebookseite „Einladung zum Paradies“ bekannt war. Darüber hinaus betreute sie – neben anderen – auch hier die Facebook-Seite des Vereins für mehrere Monate und beantwortete Fragen zu islamisch korrekter Lebensweise. Die Angeklagte gab die Moderatorentätigkeit auf sämtlichen fremden Internetseiten in den Jahren 2013 bzw. 2014 auf.
54Indes thematisierte sie über ihren Facebook-Account, den sie unter dem Namen „M.K.“ und dem Zusatz „Um Y.“ führte, neben Fragen islamisch korrekter Lebens-weise auch salafistische Strömungen des Islam in Deutschland und Europa. Neben gewaltsamen Protesten von Muslimen gegen Mohammed-Karikaturen im Mai 2012 dokumentierte und kommentierte sie mehrfach Auftritte von S. L. und P. V. positiv.Zudem kommentierte sie den fortschreitenden Erfolg des IS – auch unter seinen Vorgängerbezeichnungen – positiv.
55Die Angeklagte besuchte neben anderen extremistischen Veranstaltungen eine solche in Köln mit P. V. im Jahr 2013, auf die sie ihren Sohn Y. S. mitnahm und ihn Teileder Veranstaltung filmen und u. a. auch P. V. mit erhobenen Fäusten als Boxerfotografieren ließ. Darüber hinaus ließ die Angeklagte ihren damals 7 Jahre alten Sohn Y. S. mit P. V. posieren, wobei letzterer seine Boxerfaust präsentiert. Auf ihremFacebook-Account veröffentlichte die Angeklagte dieses Bild unter der Überschrift: „Wenn er groß genug ist, schick ich ihn zur Ausbildung in scha Allah“. Bereits am 29. April 2012 veröffentlichte die Angeklagte ein Bild ihres Sohnes Y. auf ihrer Facebook-Seite, auf der er den sog. Tauhid-Finger zeigt. Am Tag zuvor hatte die Angeklagte bereits ein Bild zweier vollständig schwarz verhüllter Frauen, deren Schleier nur über Augenschlitze verfügte, mit gleicher Gestik veröffentlich. Die Angeklagte nahm mindestens einmal mit ihrem Sohn an der Koranverteil-Aktion „Lies!“ in Köln teil. Weitere in der Hauptverhandlung in Augenschein genommene Lichtbilder zeigen ihren Sohn Y. S. im Irakoder Syrien mit traditioneller Kleidung und ebenfalls erhobenem Tauhid-Finger. Ferner existiert ein Foto von Y. S. in einem Flecktarnanzug mit schwarzer Mütze nebst IS-Logo.
56Im Januar 2015 verherrlichte die Angeklagte auf ihrer Facebook-Seite die Attentäter des Anschlags auf die Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo als Märtyrer, sie verhöhnte die Trauerkundgebung, an der Staats- und Regierungschefs aus zahlreichen Ländern teilgenommen hatten durch eine Bildmontage, durch die in das Bild der Staats- und Regierungschefs Bilder etwa von Stalin, Assad, Gaddafi und Hitler hinzugefügt worden waren. Darüber hinaus war – im Sinne einer Gleichsetzung mit den Vorgenannten – Netanjahu eingefügt worden.
57Im Vorfeld ihrer Ausreise hatte die Angeklagte Kontakt mit anderen Frauen, die ebenfalls in das Gebiet des IS ausreisen wollten. Es handelte sich um N. Krankenhaus., N.J., A. L. und G. T.. Während die Angeklagte zu G. T. und A. L.lediglich über elektronische Medien im Kontakt war, traf sie die beiden anderen Frauen im Vorfeld ihrer jeweiligen – aber nicht gemeinsamen Ausreise – im Raum Köln. N.Kh. heiratete in Raqqa zunächst Abu Talha al Almani (Denis Cuspert), war dannauch mal die Ehefrau von Abu Usama al Gharib (Mohamed Mahmoud) und war danachmit einem weiteren Mann wahrscheinlich aus dem Umfeld von Mahmoud verheiratet. N.J. hielt sich ebenfalls in Raqqa auf. Zu der Zeugin A. L. hatte die Angeklagte im Vor-feld ihrer Ausreise jedenfalls im Oktober und November 2014 Kontakt. Die Zeugin A. L.versprach sich von der Angeklagten Informationen über ihre geplante Hidschrah – die Reise in das sogenannte Kalifat, erhielt von der Angeklagten jedoch nur zurückhaltende allgemein gehaltene Ratschläge. Indes vermittelte die Angeklagte der Zeugin aufgrund ihrer guten Kenntnis der Szene ausreisewilliger Frauen den Kontakt zu einer ebenfalls ausreisewilligen Frau, mit der A. L. Kontakt aufnahm und sich mit der Angeklagten auchüber diesen Kontakt austauschte.
58Die Angeklagte selbst hatte den sich damals wahrscheinlich in der Türkei aufhaltenden Jihadisten M. D. aus … ab Oktober 2014 über das Internet kennengelernt,nachdem er sich bereits in der 5000 Kontakte umfassenden „Freundesliste“ der Angeklagten auf Facebook befunden hatte. M. D. …stammte aus Herford. Er war mit derdeutschen Jihad-Prominenz der Millatu Ibrahim-Gruppierung um Mohamed Mahmoud (Abu Usama al Gharib) und Denis Cuspert (Abu Talha al Almani) befreundet oder zumindest gut bekannt. Er hatte sich im Jahr 2013 radikalisiert und war noch im gleichen Jahr nach Syrien ausgereist. Dort hatte er sich mit hoher Wahrscheinlichkeit - ebenso wie Cuspert - der Junud al Sham angeschlossen. Cuspert und Mahmoud schlossen sich spätestens im Jahr 2014 dem Islamischen Staat an und hielten sich vorwiegend in Raqqa auf. Mahmoud war wesentlicher Mitinitiator der sogenannten Globalen Islamischen Medienfront, die viele jihadistische Texte in die deutsche Sprache übersetzte und veröffentlichte und von denen die Angeklagte auch einige elektronisch gespeicherte Texte auf einem USB-Stick mit zurück nach Deutschland brachte. M. D. führte in Syrien denKampfnamen Abu Daud al Almani und beteiligte sich bewaffnet am Konflikt in Syrien.M. D. war 2014 als radikalisierter und in den „Jihad“ ausgereister Islamist Gegen-stand der überregionalen Medienberichterstattung , u. a. gab es im Internet seit dem 3. November 2014 einen Artikel der Zeitung „Neue Westfälische“ mit dem Titel „Vom Schulversager zum Salafisten. Wie M. D. aus Herford IS-Kämpfer wurde“. M. D.reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt aus dem Kriegsgebiet in die Türkei aus, hatte aber noch mehrere ihm gehörende Gegenstände bei einem Freund mit dem Namen AbuU. in Raqqa hinterlegt.
59D. Ausreise in die Türkei und Eingliederung der Angeklagten in die Terror-Organisation sowie mitgliedschaftliche Beteiligung
60I. Ausreise in die Türkei
61Nachdem die Angeklagte den jihadistisch gleichgesinnten M. D. via Skype am 25. Januar2015 nach islamischen Ritus geheiratet hatte, reiste die Angeklagte – ohne Zustimmung des ebenfalls sorgeberechtigten Zeugen M. S. – mit ihrem Sohn Y. S. am 5. Februar2015 vom Flughafen … nach Istanbul und von dort mit dem Flugzeug weiter nachKayseri, wo M. D. auf sie wartete. Beide beabsichtigten von vornherein, weiter indas sogenannte Kalifat zu reisen, nachdem die Angeklagte sich von ihren Eltern verabschiedet haben würde, die sich ab Mai in der Türkei aufhalten würden, denn die Angeklagte hatte ihre endgültige Ausreise aus Deutschland vor ihren Eltern verheimlicht. Für das Leben im sogenannten Kalifatstaat hatte die Angeklagte erhebliche Geldmittel in bar mit in die Türkei genommen. Dabei handelte es sich zum einen um einen Betrag von mindestens 4.000,00 €, den der Vater der Angeklagten seinem Enkel Y. S. geschenkthatte, sowie weitere Geldbeträge, die die Angeklagte noch aus einer Abfindung ihres Arbeitgebers zur Verfügung hatte. Bis zur endgültigen Ausreise in den sogenannte Kalifatstaat begaben sich die Angeklagte mit ihrem Sohn sowie M. D. in den Westen der Türkeinach …, wo die Mutter des M. D. wohnte. Zwischenzeitlich ging M. D. dort aucheiner Beschäftigung nach. Indes beschleunigte der Einberufungsbefehl des M. D.zum türkischen Wehrdienst die Ausreise in das Gebiet des IS, da dieser den Wehrdienst beim türkischen Militär auf keinen Fall ableisten wollte. So organisierte M. D. imEinvernehmen mit der Angeklagten mit Vertretern des IS seine Einreise mit der Angeklagten und deren Sohn Y. S.. Als Ansprechpartner diente M. D. in Raqqa je-denfalls der bereits erwähnte Abu U., möglicherweise aber auch MohamedMahmoud. Mithilfe von Schleusern, die vom IS bezahlt worden waren, reiste die Angeklagte am 19. März 2015 von Gaziantep nach Syrien. Hierfür versorgte sich die Angeklagte nochmals mit weiteren Geldmitteln. Sie übergab M. D. ihre Kontokarte, derim Einvernehmen mit der Angeklagten von ihrem Konto einen Betrag von 2.000,00 € abhob, obwohl die Angeklagte wusste, dass das Konto über keine entsprechende Deckung verfügte, und sie auch nicht gewillt war, den Saldo auszugleichen. Insgesamt reiste die Angeklagte mit etwa 8.000 € Bargeld in das Gebiet des IS ein, nachdem sie bereits in der Türkei einige Ausgaben getätigt hatte.
62II. Eingliederung und mitgliedschaftliche Beteiligung bis Ende August 2015
63Spätestens mit der Einreise in das Gebiet des IS am 19. März 2015 gliederte sich die Angeklagte in die Terrororganisation ein, sie identifizierte sich mit der Ideologie, den Handlungsweisen und den Zielen der Vereinigung und unterwarf sich deren Willen. Obwohl die Angeklagte mit M. D. und ihrem Sohn in Raqqa bleiben wollte, beugtensie sich dem durch die Gliederungen des IS umgesetzten Befehl des sogenannten Kalifen, der Neuankömmlinge bevorzugt in Mossul ansiedeln wollte. Obwohl M. D. unter er-heblichen Bemühungen versucht hatte, nach Raqqa zu kommen, wurden sie mit einem Kleinbus nach Mossul gebracht. Dabei achtete der IS darauf, dass Frauen und Männer – ebenso die Angeklagte und M. D. – getrennt untergebracht waren.
64M. D. trug die Angeklagte sowie ihren Sohn nach Ankunft in Mossul in eine Re-gistrierungsliste des IS ein, wovon die Angeklagte unmittelbar im Anschluss an diesen Vorgang Kenntnis erlangte.
65Sodann lebte die Angeklagte mit ihrem Sohn zunächst in einem Frauenhaus des IS, in dem sie versorgt wurden, während M. D. eine ideologische Ausbildung vom ISerhielt. Eine militärische Ausbildung war aufgrund seiner bisherigen Kampferfahrung nicht notwendig. Da für den deutsch und türkisch sprechenden M. D. längere Zeit keinentsprechender Lehrer zur Verfügung stand, konnte M. D. die Angeklagte und Y. S.erst nach drei Monaten aus dem Frauenhaus abholen. Bis dahin hielt sich die Angeklagte bereit, M. D. im Rahmen seiner von der Organisation vorgesehenen Verwendungals Kämpfer als eigenen Beitrag für die Terrororganisation zu unterstützen.
66Der IS hatte sogenannte Madafa - Frauenhäuser - eingerichtet, die notwendig waren, weil eine - auch erwachsene – Frau im Islamischen Staat nicht als Individuum leben durfte.Die Frau lebte entweder im Haushalt des Vaters oder eines anderen Angehörigen oder im Haushalt ihres Mannes. Dabei nutzte der IS Frauenhäuser auch zur Verbreitung seiner Propaganda, indem dort teilweise in „Endlosschleife“ Hinrichtungs- oder Köpfungsvideos, so auch das Video von der Verbrennung des jordanischen Piloten Muath al-Kassabeh gezeigt wurden.
67Nachdem M. D. nach Absolvieren seiner religiösen Ausbildung einer tschetschenischenKatiba zugewiesen worden war, zog er mit der Angeklagten und Y. S. im Juni 2015 inMossul in eine von der Vereinigung zur Verfügung gestellte Wohnung in einem dreistöckigen Haus in einer etwa 60 Häuser umfassenden Siedlung, in der auch die anderen Kämpferfamilien der tschetschenischen Katiba sowie die Familien von Kämpfern anderer Katibas untergebracht waren. Während sich M. D. als Kämpfer in der tschetschenischenKatiba für die Vereinigung betätigte, teilweise bei verlustreichen Kämpfen in Bejih bei der Bewachung einer Öl-Raffinerie, führte die Angeklagte den gemeinsamen Haushalt. Für ihre Dienste erhielten sie und ihr Ehemann nach islamischem Recht ein monatliches Entgelt in Höhe von etwa 250 Dollar, das später jedoch reduziert wurde. Von den 250 Dollar entfielen 150 Dollar auf den Kämpfer und jeweils 50 Dollar auf die Angeklagte und Y. S.Das monatliche Entgelt wurde von Vertretern der tschetschenischen Katiba an M. D.und in dessen – häufiger – Abwesenheit an die Angeklagte ausgezahlt. Für diese Aufgabe wurde ein Ehepaar eingesetzt, da gegebenenfalls Kontakt zu der Ehefrau des jeweiligen Kämpfers aufzunehmen war und dies durch eine Frau unproblematisch möglich war. Dieses Paar verteilte darüber hinaus auch die Sachen für die Versorgung der Kämpferfamilien. Indes fühlten sich weder die Angeklagte noch M. D. in der Umgebungder tschetschenischen Katiba mit dem Namen az-Zarqawi wohl. Zum einen konnte sich M. D. mit den russisch sprechenden Tschetschenen nicht gut verständigen, zum ande-ren fühlte er sich von den Tschetschenen zurückgesetzt, so dass er sich in Absprache mit der Angeklagten um eine Versetzung nach Tal Afar bemühte.
68III. Mitgliedschaftliche Beteiligung ab September 2015, Kriegsverbrechen gegenEigentum
69Schließlich siedelte die Angeklagte mit ihrem Sohn und M. D. Ende August 2015nach Tal Afar um, da M. D. es geschafft hatte, in eine andere Katiba zu kommen. Nach-dem die Kämpferfamilie zunächst einer usbekischen Katiba zugeordnet war und in einem vorwiegend von Usbeken besiedelten Dorf lebte, wechselte M. D. nach etwa 10 Tagenin eine türkische Katiba des IS. Aufgrund dieses Wechsels bekamen M. D., die Ange-klagte und ihr Sohn spätestens ab Mitte September 2015 von der Vereinigung ein Haus mit Garten in einer anderen Siedlung – außerhalb von Tal Afar gelegen – mit dem Namen Hassan Qoi zur Verfügung gestellt, deren konkrete Lage nicht näher festgestellt werden konnte. Dieses Haus war von irakischen Militärangehörigen schiitischen Glaubens bewohnt gewesen und wurde von den rechtmäßigen Eigentümern zurückgelassen, als diese vor den heranrückenden Truppen des IS flohen oder von diesen vertrieben wurden. Der IS stellte dieses Haus unter seine Verwaltung und teilte es M. D. und derAngeklagten zu, die die vorgenannten Umstände bei der Inbesitznahme für möglich hielten und zumindest billigend in Kauf nahmen, weil ihnen das Schicksal von Schiiten als Feinden des IS zumindest gleichgültig war und sie die Vertreibung von Schiiten durch den IS begrüßten. Gemeinsam nahmen sie das Haus in Besitz, um – wie von der Vereinigung beabsichtigt – den Gebietsanspruch des IS zu festigen und eine Rückeroberung durch gegnerische Militärverbände zu erschweren. M. D. wurde in der Nähe vonTal Afar als Mitglied einer türkischen Katiba im Rahmen von Kampfeinsätzen zur Grenzsicherung eingesetzt, während sich die Angeklagte zunächst um die Haushaltsführung kümmerte. Anders als in Mossul hatte die türkische Katiba in Hassan Qoi ein Büro eingerichtet, in dem ein Emir das Geld für die Entlohnung verteilte, die insgesamt nur noch etwa 100 Dollar betrug.
70Weil die Angeklagte mit dem zur Verfügung gestellten Haus, aber vor allem mit der ablehnenden Haltung der türkischen Familien nicht zufrieden war, ließ sie sich von M. D. frühestens am 1. Dezember 2015 die Erlaubnis geben, nach Mossul zurückkehren zu dürfen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Angeklagte das Haus etwa ab dem 21. Oktober 2015 verlassen hat, um bei benachbarten Familien zu wohnen. Dabei beließ sie jedoch einen Teil ihrer Sachen sowie Sachen des M. D. in dem zugewiesenenHaus, weil sie das Haus nicht vollständig aufgeben wollte und davon ausging, dass ihr Besitz und der M. D.s dort sicher war und alle Bewohner des Dorfes, seien es einheimi-sche Turkmenen oder Mitglieder der türkischen Katiba ihre Herrschaft über den ihnen zugewiesenen Grundbesitz respektieren.
71Nach einem 40 tägigen Einsatz kehrte M. D. am 1. oder 2. Dezember 2015 für kurze Zeitin das Dorf zurück. Nach einer Auseinandersetzung mit M. D. gestattete er der Ange-klagten, nach Mossul zurückzukehren, wobei M. D. – mit hoher Wahrscheinlichkeit be-reits zu einem Emir aufgestiegen – bei der Katiba in Tal Afar blieb. Die Angeklagte packte für sich und ihren Sohn einige Sachen und konnte noch am Tag der beschriebenen Rückkehr des M. D. mit einem Krankentransport nach Mossul fahren. Andere Sachen ließ siein dem zugewiesenen Haus zurück. Mit dieser Maßnahme wollte die Angeklagte Druck auf M. D. ausüben, sich um eine Änderung der Verhältnisse zumindest aber um eineandere, aus Sicht der Angeklagten angemessenere Unterkunft zu kümmern. Tatsächlich teilte M. D. der Angeklagten während ihres – der Angeklagten – Aufenthalt in Mossul mit,dass er ein neues Haus für die Familie gefunden und aufgeräumt habe und dass er am 19. Dezember 2015 vom Dienst zurückkehre. Hierzu kam es jedoch nicht mehr, weil M.D. etwa ein oder zwei Tage vor dem genannten Datum durch einen Drohnenangriff ge-tötet worden war. Nachdem die Angeklagte in Mossul um den 20. Dezember 2015 herum die Nachricht von M. D.s Tod erhalten hatte, kehrte sie einige Tage nach dem Erhalt derNachricht mit Hilfe eines Mitglieds aus der Katiba des M. D. von Mossul nochmals füretwa 2 Tage nach Tal Afar zurück, um ihre Sachen aus dem ihr zugewiesenen Haus und einige Sachen des M. D. zu holen. Damit gab die Angeklagte den Besitz an dem ihr undM. D. zugewiesenen Haus in Hassan Qoi auf. Die Angeklagte erhielt bei diesem Aufent-halt in dem Dorf Hassan Qoi aus Anlass des Todes von M. D. einen Einmalzahlungdes IS in Höhe von 1000 Dollar, die ihr von der Katibaverwaltung ausgezahlt wurde.
72IV. Beginn der Ausreisebemühungen und Ausreise aus dem Gebiet des IS
73Nach dem Tode M. D.s wollte die Angeklagte sich nicht mehr in ein Frauenhaus oderWitwenhaus begeben oder sich als Witwe registrieren lassen und profitierte daher auch nicht mehr von den Versorgungsleistungen des IS. Nach wechselnden Aufenthalten in Mossul gelang es der Angeklagten im Mai 2016 mit Hilfe eines Abu I. mit ihremSohn von Mossul nach Raqqa zu reisen. Die Angeklagte vermittelte der Zeugin D. Ö.,die sie in Mossul kennengelernt hatte, in Raqqa einen Heiratskandidaten, der es der Zeugin ermöglichte, ebenfalls von Mossul nach Raqqa zu gelangen. D. Ö. hatte mittler-weile Kontakt zu einem Kurden aus Schweden, der versuchte, Frauen aus dem Gebiet des IS herauszubringen. Mittels eines Schleusers und durch Hilfe von Milizionären der Freien Syrischen Armee gelang es der Angeklagten mit Y. S. sowie der D. Ö., am23. Oktober 2016 über Azaz/Syrien nach Kilis/Türkei auszureisen. Bei der Einreise in die Türkei wurde die Angeklagte festgehalten und durch eine Antiterroreinheit der Polizei nach Kilis verbracht. Dort wurde die Angeklagte auf Anordnung eines türkischen Staatsanwalts inhaftiert, bis sie von Verwandten abgeholt wurde. Die Angeklagte wurde spätestens am 25. Oktober 2016 aus der Haft entlassen, weil ein Cousin sie abholte. Die zunächst mit einem Ausreisverbot belegte Angeklagte blieb bis zu ihrer Einreise nach Deutschland in … im Haus ihres Vaters.
74V. Straftaten außerhalb der Kognitionsflicht
75Der Senat konnte keine sicheren Feststellungen dazu treffen, inwieweit die Angeklagte ihren Sohn Y. S. in die Organisation eingebunden hat oder versucht hat einzubindenund welchen gegebenenfalls die Entwicklung belastenden Eindrücken das Kind in dem Kriegsgebiet ausgesetzt war. Sicher ist, dass der Sohn der Angeklagten während der Zeit seines Aufenthaltes im Ausland kaum eine reguläre Schule im Irak oder Syrien besucht hat. Dies hat sich nach ihrer Einreise in die Türkei am 23. Oktober 2016 nicht verändert, denn in der Türkei besuchte Y. S. keine Schule. Der Senat geht darüber hinaus davonaus, dass M. D. Y. S. mindestens einmal gezeigt hat, wie man mit einer Schusswaffeschießt. Indes wurden nach der Rückkehr des Kindes nach Deutschland Verhaltensauffälligkeiten registriert. Im Juni/Juli 2019 soll es zu einem sexuellen Missbrauch an Y. S.gekommen sein, weil er zu einem Mann, mit dem er zuvor gechattet hatte, in die Wohnung gegangen war. Vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund von Verhaltensauffälligkeiten soll es Vermutungen von Therapeuten geben, dass Y. S. solche oder ähnlicheErlebnisse bereits vor seiner Rückkehr nach Deutschland gehabt haben kann. Schließlich hatte Y. S. über längere Zeit Kontakt zu einer Person mit der Kunja „Abu I.“ beidem es sich auf der Grundlage der Personenbeschreibung der Angeklagten in ihrer Anhörung am 13. Juli 2018 mit hoher Wahrscheinlichkeit um P. W. (geb. …,…) handelt, der nach Erkenntnissen des Generalbundesanwalts im November2016 einen damals 12-jährigen angeleitet haben soll, einen Anschlag mittels Nagelbombeauf dem Weihnachtsmarkt in Ludwigshafen zu begehen.
76Der Senat hat davon abgesehen, in diesem Verfahren Straftaten der Angeklagten zum Nachteil ihres Sohnes wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht (§ 171 StGB) sowie in Hinblick auf eine Veruntreuung des Kindesvermögens bzw. eine Straftat der Kindesentziehung (§ 235 Abs. 2 Nr. 1 StGB oder § 235 Abs. 4 Nr. 1 StGB) aufzuklären. Das gleiche gilt in Hinblick auf eine mögliche Straftat zum Nachteil der Bank, bei der sie ihr Konto geführt hat. Der Senat ist insbesondere in Hinblick auf Straftaten der Angeklagten zum Nachteil ihres Sohnes bzw. zum Nachteil des Kindesvaters der Auffassung, dass diese Straftaten eine gesonderte Aufklärung und gegebenenfalls einen gesonderten Schuldspruch erfordern, um der Angeklagten das von ihr verantwortete Unrecht deutlich vor Augen zu führen, hat sie sich in der Hauptverhandlung trotz aller ihr bekannten und bekannt gewordenen Umstände doch davon überzeugt gezeigt, dass sie „ein gesundes Kind“ zurückgebracht habe. Hier hätte es nicht ausgereicht, die deutlich über den Anklagevorwurf hinausgehenden Straftaten im Rahmen der Hauptverhandlung aufzuklären und ohne gesonderten Schuldspruch lediglich im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen.
772. Teil: Beweiswürdigung
78A. Überblick über Einlassungsverhalten und -inhalt
79Die Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung zu ihrem persönlichen Werdegang umfassend und ausführlich geäußert.
80Abweichend von den Feststellungen des Senats hat sich die Angeklagte in Hinblick auf ihre religiöse Einstellung als „gemäßigt“ und als „nicht radikal“ dargestellt. Sie hat zwar eingeräumt, M. D., von dem sie gewusst habe, dass er bereits als Milizionär gegendas syrische Regime gekämpft hatte, von Deutschland aus via Skype nach islamischen Ritus geheiratet zu haben und zu ihm in die Türkei gereist zu sein. Sie habe es sich aber offen gehalten, gegebenenfalls nach Deutschland zurückzukehren.
81Es sei nicht geplant gewesen, in das Gebiet des IS zu reisen. Aufgrund des Umstandes, dass M. D. einen Einberufungsbescheid zum türkischen Militär bekommen habe, der ihnverpflichtet habe, den Militärdienst innerhalb eines Monats anzutreten, habe M. D. sie –die Angeklagte – überzeugt, nach Syrien in vom IS kontrolliertes Gebiet zu gehen und in der Nähe der Grenze zur Türkei zu leben. Sie hätten nach Manbidsch gewollt. M. D.habe ihr Bilder von der schönen Landschaft dort gezeigt. So habe sie sich verleiten lassen, dorthin zu gehen. Sie hätten dort als Zivilisten leben wollen.
82Sie hat ferner eingeräumt – wie festgestellt – durch den IS geschleust worden zu sein und in Mossul durch M. D. registriert worden zu sein. Nach der Zuweisung M. D.s zueiner Katiba habe M. D. regelmäßig Geldleistungen für sich, die Angeklagte und Y. S.erhalten. Diese Geldleistungen habe sie – die Angeklagte – auch entgegen genommen. Darüber hinaus hätten sie in verschiedenen Häusern gelebt, die M. D. und ihr von derOrganisation zugewiesen worden seien. Indes sei sie niemals ein Mitglied des IS gewesen.
83Hinsichtlich des Wohnortwechsels von Mossul nach Tal Afar hat sie das äußere Rahmengeschehen wie festgestellt geschildert, wobei der Senat hinsichtlich des zeitlichen Umfangs des Aufenthalts in Tal Afar ergänzend Äußerungen der Angeklagten gegenüber dem Zeugen KHK T. (E-Mails) sowie gegenüber den Zeugen KHK’in K. und KHKL. herangezogen hat, da das Einlassungsverhalten der Angeklagte in der Hauptver-handlung dadurch gekennzeichnet gewesen ist, ihren Aufenthalt in Tal Afar und insbesondere in dem M. D. und ihr zugewiesenen Haus dort möglichst marginal erscheinenzu lassen und das Haus als unbewohnbar darzustellen.
84Das ihnen bei Eintritt M. D.s in eine türkische Katiba zugewiesene Haus in einem Dorf inTal Afar – Hassan Qoi – hat die Angeklagte als „Horrorhaus“ bezeichnet, den Zustand hat sie als von Spinnen, Insekten und Reptilien verseucht, die Toilette zerstört, und damit als unbewohnbar beschrieben. Sie habe sich dort 14 oder 15 Tage aufgehalten, dann habe sie bis zur Rückkehr ihres Mannes am 1. oder 2. Dezember 2015 bei anderen Familien im Dorf eine Unterkunft gefunden. Dass dieses Haus zuvor von Schiiten bewohnt worden sei, habe sie erst später erfahren, nachdem sie mit Y. S. unter Zurücklassungvon M. D.s aber auch eigener Sachen bereits bei Nachbarn gewohnt habe. Darüber hin-aus habe sie den Wahrheitsgehalt dieser Information auch bezweifelt. Am 1. oder 2. Dezember sei ihr Mann einmal kurzzeitig zurückgekehrt und habe ihr die Erlaubnis gegeben, nach Mossul zu gehen. Danach sei sie nach Mossul gezogen, wo sie später die Nachricht vom Tod M. D.s erhalten habe. Schließlich sei sie ein letztes Mal in das zugewieseneHaus zurückgekehrt, um ihre restlichen Sachen und auch Sachen des M. D. aus demHaus zu holen. Bei dieser Gelegenheit habe ihr die Verwaltung der Katiba 1000 Dollar wegen des Todes ihres Mannes zukommen lassen. Sie habe sich das Haus nie angeeignet, das habe sie nicht haben wollen. Sie hätte sich lieber ein Haus gemietet, als dort zu wohnen.
85Die Zeit nach dem Tode M. D.s bis zu ihrer Ausreise in die Türkei hat die Angeklagte wiefestgestellt geschildert. Dies gilt auch für die kurze Inhaftierung in der Türkei sowie ihren Aufenthalt in ….
86B. Zu den persönlichen Verhältnissen
87Die Feststellungen zum persönlichen Werdegang beruht im Wesentlichen auf den insoweit glaubhaften Angaben der Angeklagten, wobei sie die Daten betreffend die Schulzeiten, Studienzeiten, Eheschließung, Trennung und Scheidung sowie Geburt des Sohnes auf Vorhalt des Ergebnisses der polizeilichen Ermittlungen wie festgestellt bestätigt hat. Die Feststellungen zu den ehelichen Konflikten sowie zum Sorgerecht in Bezug auf den gemeinsamen Sohn Y. S. beruhen auf den Angaben der Angeklagten sowie des Zeu-gen M. S., wobei sich die Eltern jeweils wechselseitig die Verantwortung für das Scheiternder Ehe im Rahmen eines immer noch bestehenden Konfliktes zuweisen. Die Daten der Verurteilungen, den Schuldspruch sowie die jeweiligen Strafaussprüche in Bezug auf das gegen die Angeklagte geführte Strafverfahren in der Türkei hat der Senat den im Wege des Selbstleseverfahrens eingeführten Urteilsübersetzungen der in den Feststellungen genannten Gerichte entnommen, deren türkischsprachige Urteilsausfertigungen im Wege der Rechtshilfe zu den Verfahrensakten gelangt sind.
88Die Feststellungen zu den Erkrankungen der Angeklagten beruhen zum einen auf ihren Angaben in der Hauptverhandlung sowie auf Angaben der Angeklagten gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. F., über die der Sachverständige in der Hauptver-handlung berichtet hat. Die Feststellungen zum Ausschluss überdauernder organischer Ursachen in Bezug auf die Symptome von Schwindel und Hörstörungen beruhen auf der sachverständigen Einschätzung des Prof. Dr. F. aufgrund eigener Untersu-chung der Angeklagten sowie auf seiner Auswertung von medizinischen Befunden nach medizinischen Untersuchungen, die die JVA … in Bezug auf die Angeklagte wegenihrer Beschwerdeschilderungen veranlasst hat.
89C. Zur Bürgerkriegssituation im Irak und Syrien, zur Terrororganisation IS sowie zur Konfliktintensität im Gouvernement Ninawa
90Die Feststellungen zur terroristischen Vereinigung IS beruhen auf dem schriftlichen „Gutachten zur terroristischen Organisation Islamischer Staat“ mit Stand Februar 2016 sowie den Addenda zum vorgenannten Gutachten mit Stand April 2019 des Sachverständigen Dr. S, die der Senat nach entsprechender Beschlussfassung mit Zustimmung derVerfahrensbeteiligten im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt hat. Darüber hinaus hat der Sachverständige seine Gutachten in der Hauptverhandlung erläutert und in Bezug auf den hiesigen Sachverhalt konkretisiert.
91Soweit nähere Feststellungen zu einzelnen Operationen des IS, terroristischen Aktivitäten sowie zu Kriegsverbrechen getroffen worden sind, beruhen diese zum einen auf den
92Gutachten des Heidelberger Instituts für Konfliktforschung zum „Islamischen Staat in Syrien und Irak“ sowie auf der Hintergrundanalyse zu Struktur und Entwicklung desselben, für die die Sachverständige Dr. K. in der Hauptverhandlung die wissenschaftlicheGesamtverantwortung übernommen hat. Der Senat hat auch diese Gutachten nach Zustimmung der Verfahrensbeteiligten und entsprechender Beschlussfassung im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt. In Hinblick auf das Vorgehen des IS gegen die Jesiden im Sindschar-Gebirge im August 2014 hat der Senat ergänzend den „Auswertebericht zum Islamischen Staat“ (Stand Januar 2018) der BKA-Beamtin KOK’in Z. herangezogen, die öffentlich zugängliche Quellen, insbesondereBerichte des OHCHR (Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte) hierzu ausgewertet hat.
93Die Feststellungen zur Konfliktsituation und –intensität im Gouvernement Ninawa im Jahr 2015 beruhen auf den in sich schlüssigen und plausiblen Ausführungen der Sachverständigen Dr. K., die dem Senat die geografischen Lage der Region anhand einer Karteerläutert hat. Die Zahl der Luftschläge beruht nach den Ausführungen der Sachverständigen auf veröffentlichten Angaben der internationalen Koalition. Die Zahlen der zivilen Opfer beruhen auf Angaben der Beobachtungsstelle „Iraq-Body-Count“, die seit 2003 zivile Todesopfer zählte und von der Sachverständigen mit Rücksicht auf den langen Beobachtungszeitraum als relativ ausgewogene Quelle angesehen wird. Der Senat hat die angegebenen Zahlen aufgeführt, um eine grundlegende Abschätzung vornehmen zu können. Die Sachverständige hat für den Senat anhand der vorerwähnten Karte sowie der angegebenen Kampforte nachvollziehbar dargelegt, dass die Frontlinie zu den nördlich von Tal Afar gelegenen Kurdengebieten relativ nah an die Stadt heranreichte, ohne jedoch die territoriale Herrschaft des IS über Tal Afar in Frage zu stellen. Die Sachverständige Dr. K. kam übereinstimmend mit dem Sachverständigen Dr. S. zudem Ergebnis, dass die Kampffront zwischen dem IS und Kurden im Raum Tal Afar etwa 40 bis 50 Kilometer entfernt gelegen habe. Dass die Region ab September 2015 erheblichem militärischem Druck – auch am Boden – ausgesetzt war, ergibt sich auch aus den Schilderungen der Angeklagten selbst. So hat die Angeklagte angegeben, dass M. D.sogleich nach 10 Tagen zum „Wachdienst“ geschickt worden sei. Während der langen Zeit der Abwesenheit M. D.s – nach den Feststellungen des Senats 40 Tage bis zum1. Dezember 2015 – habe die Katiba alle Männer aus dem Dorf – einschließlich des Imams – in den Einsatz geschickt.
94D. Zur Beweiswürdigung betreffend die Radikalisierung sowie die Tatvorwürfe
95Diese Feststellungen beruhen zum einen auf der Einlassung der Angeklagten, die – wie bereits zusammenfassend dargestellt – den äußeren Geschehensablauf wie festgestellt schildert hat. Der Senat hält die Schilderungen in Bezug auf die Ausreise aus Deutschland, die Aufenthalte in der Türkei, die Ausreise nach Syrien und Weiterreise nach Mossul, die Eingliederung des M. D. in die verschiedenen Katibas, die Entlohnung sowiegeschilderten Aufenthalte für uneingeschränkt glaubhaft, da sie zum einen den Angaben der Angeklagten in ihrer Anhörung am 13. Juli 2018, ihren Schilderungen in den E-Mails an den Zeugen KHK T., aber auch der in dem Urteil des Schwurgerichts Kilis wieder-gegebenen Einlassung entsprechen.
96Soweit der Senat hinsichtlich der ideologisch-religiösen Einstellung der Angeklagten, der jeweiligen subjektiven Vorstellungen, den Zielen sowie Motivationen der Angeklagten sowie zu den Umständen im Zusammenhang mit der Inbesitznahme eines Hauses während der Tätigkeit M. D.s in der türkischen Katiba in Tal Afar – auch in Hinblick auf die Dauerdes Aufenthalts – abweichende Feststellungen getroffen hat, beruhen diese im Wesentlichen auf der Auswertung des Facebook-Accounts der Angeklagten, der in Form der sogenannten Chronik am 19. Dezember 2014 durch das LKA Sachsen-Anhalt von diesem Datum an rückwirkend bis 2007 gesichert worden ist. Aus der Chronik ergeben sich die im folgenden wiedergegebenen Textbeiträge der Angeklagten sowie anderer Teilnehmer. Das LKA Sachsen-Anhalt hat zudem am 13. Januar 2015 vor dem Hintergrund von Äußerungen der Angeklagten im Zusammenhang mit dem Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo vom 7. Januar 2015 nochmals die Chronik des Facebook-Accounts der Angeklagten rückwirkend bis zum 6. Januar 2015 gesichert und darüber hinaus weitere Textbeiträge der Angeklagten, die über die in der Chronik hinterlegten Texte hinausgingen, im Rahmen eines Vermerks des KOK/KHK S. vom 27. Januar 2015 gesi-chert. Der Senat hat die Textbeiträge der gesicherten Chroniken im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt und die in der Beweiswürdigung erwähnten Bilder hieraus in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen.
97Die Zuordnung dieses Facebook-Accounts zur Angeklagten ergibt sich zum einen aus der von ihr eingeräumten Inhaberschaft desselben sowie aus der gleichlautenden Namensbezeichnung des Accounts nebst der Zusatzbezeichnung „Um Y.“, aus dersich ergibt, dass M. K. die Mutter von Y. S. ist. Zudem hat die Angeklagte aufVorhalt des Pfades „https://www.facebook.com/…“, der auch jeweils in den Chro-niken aufgeführt ist, angegeben, dass sie den Facebook-Account zu einer Zeit angelegt habe, als sie noch mit dem Zeugen M. S. verheiratet gewesen sei. Schließlich hat sie auf Vorhalt der durch Vermerk vom 27. Januar 2015 gesicherten Text- und Bildbeiträge eingeräumt, dass diese aus ihrem Facebook-Account stammen, dabei jedoch wahrheitswidrig erklärt, dass ihr der Zusammenhang zu dem Anschlag nicht bewusst gewesen sei. Die Angaben der Angeklagten zur Inhaberschaft des Accounts werden zudem bestätigt durch die in den Feststellungen erwähnten dort veröffentlichten Lichtbilder, die Y. S. indem entsprechenden Alter zeigen. Darüber hinaus wies der Account noch weitere Lichtbilder des Sohnes der Angeklagten mit Fahrrad und mit einer Krone in einem Bus im Jahr 2012 auf, wobei der Senat die jeweiligen Bilder in Augenschein genommen hat.
98Schließlich beruhen die von der Einlassung der Angeklagten abweichenden Feststellungen ganz wesentlich auf ihren Angaben vom 13. Juli 2018 auf dem Gelände der deutschen Botschaft in Ankara gegenüber Beamten des BKA. Der Senat hat die Zeugen KHK’in K. und KHK L. zum Inhalt der Angaben der Angeklagten vernommen undden Zeugen die mit einem Tonband aufgenommene und sodann verschriftete Anhörung an den wesentlichen Stellen wörtlich vorgehalten, wobei die Zeugen den Inhalt der Vorhalte jeweils als zutreffend bestätigt haben. Darüber hinaus hat der Senat den Inhalt wesentlicher Stellen der Anhörung der Zeugin KHK’in K. durch Vorspielen von einzelnenPassagen vorgehalten und den Inhalt der Fragen und Äußerungen der Angeklagten über die Bestätigung der Zeugin in die Hauptverhandlung eingeführt. Dabei hat sich auchergeben, dass die Verschriftung in den doppelt vorgehaltenen Passagen, exakt dem gesprochenen und aufgezeichnetem Wort entsprachen. Soweit in Einzelfällen in derAbschrift Auslassung unter der Angabe eines Zeitstempels vorhanden waren, führten diesen entweder nicht zu Unklarheiten oder konnten durch den Vorhalt der Aufnahmegeschlossen werden, weil es sich in der Regel um Eigennamen von Orten oder Personen handelte, die wahrscheinlich beim Verschriften nicht richtig verstanden oder zugeordnet werden konnten.
99I. Zur Radikalisierung der Angeklagten bis zur Ausreise
100Die Feststellungen zur Radikalisierung der Angeklagten beruhen zum einen auf der Einlassung der Angeklagten, soweit ihr gefolgt werden konnte, sowie auf der Auswertung der Chroniken ihres Facebook-Accounts, die durch das LKA Sachsen-Anhalt im Rahmen eines Verfahrens im Zusammenhang mit der Ausreise der G. T. gesichert wor-den ist. Zudem beruhen die Feststellungen auf den Angaben des Zeugen M. S.
101Die Angeklagte hat ihre anfänglichen politischen Überzeugungen sowie ihre Hinwendung zum Islam wie festgestellt geschildert. Sie selbst hat sich als hanbalitische Sunnitin bezeichnet, die auch etwas von anderen Rechtsschulen des Islam annehme, wenn es ihr richtig erscheine. Sie hat auch angegeben, für die Facebook-Seite „Einladung zum Paradies“ sowie die Seite des Vereins „Schlüssel zum Paradies“ tätig gewesen zu sein und dort Fragen zu islamisch korrektem Leben beantwortet zu haben. Die Hintergründe für den Umstand, dass sie Gründungsmitglied des Vereins „Schlüssel zum Paradies“ geworden ist, hat sie ebenfalls wie festgestellt geschildert. Das Projekt „Einladung zum Paradies“ sei von der Lehre des Predigers Madkhali geprägt gewesen, die gegen den IS sei. Von den Anhängern dieses Predigers habe sie die Methodik der Argumentation gelernt, jedoch habe sie sich im Laufe der Zeit von den Lehren abgewendet. Sie habe zwar eine Art von Sympathie für den IS gehabt, weil sie sich für den Irak interessiere und die Sunniten im Irak unterdrückt worden seien. Zudem habe sie von Foltergefängnissen im Irak gehört, in denen überwiegend sunnitische Gefangene gehalten worden seien. Nunmehr lehne sie den IS ab, da sie ja schließlich aus dem Gebiet des IS geflohen sei.
102Der Senat ist nach Auswertung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise davon überzeugt, dass die Angeklagte eine nachhaltig überzeugte Anhängerin des radikalen jihadistischen Islam in der Ausprägung des IS ist. Die Schlussfolgerung des Senats beruht zunächst auf den im einzelnen festgestellten Indiztatsachen sowie ihren Beiträgen auf ihrem Facebook-Account.
103So postete sie am 7. November 2011 ein Foto, auf dem S. L. und P. V. zusehen sind, und erklärt dazu ein einem zeitlich folgenden Beitrag, dass die Brüder sehr gute Arbeit leisteten und sie – die Angeklagte – die meisten Videos von ihnen kenne.
104Am 26. Oktober 2013 postete die Angeklagte unter der Überschrift „Beste Unterstützung für die Geschwister von IERA...Abu H. heute bei der Dawa in den Strassen von Lon-don maascha'Allah“ ein Foto von P. V.. Etwas später erklärt sie auf Nachfrageeines „Bruders“: „Bruder M. Y., IERA ist die Dawa-Gruppe in UK und dasKürzel bedeutet Islamic Education&Research Academy...“
105Etwas später am gleichen Tag postete sie um 22:58 sie unter der Überschrift „Zwei Briten, eine Frau und ein Mann haben den Islam bei ihnen heute angenommen alhamdulillah“ ein Bild von P. V. mit drei weiteren Männern und einem Kind, die jeweils denTauhid-Finger zeigen.
106Die Angeklagte veröffentlichte am 5. November 2013 folgendes Zitat:
107„Der Jihad ist keine Erfindung der Al Qaida. Mit dem Herrschen nach islamischen Gesetzen haben nicht die Taliban begonnen. Die Hamas hat nicht das Konzept für das Märtyrertum erfunden.
108Der Punkt in dem wir uns von den Missmachern und Heuchlern unterscheiden ist der, dass wir nicht glauben, dass die göttliche Ordnung und die Prinzipien offen für Verhandlungen und Kompromisse sind. Ich möchte diesen Leuten sagen, dass dies unsere Religion ist.“
109Unter dem 10. November 2013 postete sie einen eigenen Beitrag in dem es u. a. hieß:
110„P. V. fordert Prof. Mouhanad Khorchide zum 28.11.2013 zu einer Islam-Debatte heraus! Die Chance seines Lebens! Nachdem wir alle den Schrott vernommen haben, den der Professor in seinen Lehren als Islam verkaufen möchte, hat er nun die Chance seines Lebens am 28.11.13 in Form einer Islam-DebatteP. V. und den angeblichen Salafismus zu widerlegen.“
111Am 23. Dezember 2013 postete die Angeklagte einen Spendenaufruf von P. V.für eine Soforthilfe – Winterjacken für Syrien. Am 25. Februar 2014 postete sie ein Bild von S. L. mit einem Solidaritätsaufruf nach dessen Verhaftung. Am 29. März 2014postete die Angeklagte ein Foto von dem Podium einer Veranstaltung, auf dem u. a.P. V. zu sehen ist, unter der Überschrift: „M. K. hat Islam - Der Schlüsselzum Paradies Foto geteilt.“
112Am Tag der Ausrufung des Kalifats, dem 29. Juni 2014, postete die Angeklagte unter der Überschrift „Allahu Akbar! großartig“ ein Bild einer Reisetasche, aus der ein Pass mit arabischen aussehenden (Schrift)-zeichen sowie ein Flugticket mit der Aufschrift „Islamic-State“ herauslugten.
113Im August 2014, als der IS mit der Verfolgung der Jesiden begann und in allen Medien von der Flucht und Vertreibung der Jesiden im Bereich des Sindschar-Gebirges berichtet wurde, kritisierte die Angeklagte in einem Beitrag vom 22. August 2014 einen Spendenaufruf von „Islamic Relief“ zugunsten der Jesiden, die vor „militanten Gruppen“ auf der Flucht seien, und äußerte, diese Menschen suchten wohl einfach nur irgendwo ein besseres Leben. Sie – die Angeklagte – würde ihr Geld besser den „militanten Gruppen“ geben, die dort endlich mal Zivilisation reinbrächten und das Land aufbauten. Vor diesem Hintergrund fand am 26. August 2014 auf dem Facebook-Account der Angeklagten eine aufgewühlte Diskussion um das Schicksal der Jesiden statt, weil eine Teilnehmerin massiv das Vorgehen des IS gegen Jesiden kritisierte. Die Diskussion wurde wie folgt beendet:
114„#1 Weißt du. Mit euch kann man nicht reden. Ihr könnt töten mehr
115nicht. Geht und verhüllt euch in euren Müll Säcken
11626. August um 21:53 · Gefällt mir
117M. K. Sie ist der Prototyp der yezidischen Frau...tussig, hohl in der Birne
118und daran gewöhnt nur schlechte worte zu sprechen, ghettoweib halt. Beleidigt
119uns und unsere religion mit worten die eine normale frau niemals benutzen würde, nichtmal Männer und dann redet sie davon dass wir hasserfüllt sind lol
12026. August um 21:55 · Bearbeitet · Gefällt mir · 5
121#2 Ne du bringst einfach keine beweise so sieht es aus.
12226. August um 21:54 · Gefällt mir
123#2 Gehirnwaesche hoch 10
12426. August um 21:55 · Gefällt mir · 2
125#3 Die hat zu viel Schweine Fleisch gegessen Anscheind
12626. August um 21:55 · Gefällt mir · 2
127#2 Moege Allah euch Yeziden rechtleiten oder vernichten
128Ameen ya rabb
12926. August um 21:55 · Gefällt mir · 3
130M. K. Amin
13126. August um 21:56 · Gefällt mir
132M. K. So, jetzt block ich die
13326. August um 21:56 · Gefällt mir · 1“
134Dass auf den in den Feststellungen näher beschriebenen Bildern der Sohn der Angeklagten, Y. S., dargestellt ist, ergibt sich über die oben erwähnten Umstände hinausauch aus folgenden Beweismitteln. So hat der Zeuge M. S. glaubhaft bestätigt, dass essich bei dem von P. V. umarmten Jungen um seinen Sohn handele. Dabei hat derSenat dem Zeugen eine Kopie des auf Facebook veröffentlichten Bildes vorgehalten. Zudem hat die Accountinhaberin auf nachfragende Postings, ob es sich bei dem Jungen auf dem Bild um den Sohn von Abu H. (P. V.) handele, angegeben, es sei ihrSohn. Die in den Feststellungen erwähnten Filmaufnahmen von Y. S. hat der Senat imRahmen der Inaugenscheinnahme eines aufgezeichneten Videobeitrags der Fernsehsendung „Aktuelle Stunde“ vom 28. September 2018 in die Hauptverhandlung eingeführt. Dass es sich bei dem auch zu sehenden – im Gesicht unkenntlich gemachten – filmenden Jungen um Y. S. handelt, hat der Zeuge M. S. auf Vorhalt des vorgenannten Videobei-trags glaubhaft bekundet, weil er den Film im Original - ohne Unkenntlichmachung – kennt. Ausgehend davon war der Senat in der Lage, auf den weiteren Lichtbildern den Sohn der Angeklagten zu identifizieren, zumal der Zeuge M. S. seinen Sohn auf demLichtbild identifiziert hat, auf dem er in Flecktarnuniform mit Mütze nebst IS-Logo zu sehen ist. Dass es sich um das Logo des IS handelt, hat der Sachverständige Dr. S.dem Senat auf Vorhalt des Lichtbildes erläutert.
135Dass die Angeklagte sich mindestens einmal an der Koranverteilaktion „Lies!“ beteiligt hat, beruht auf ihren eigenen Angaben. Die Beteiligung ihres Sohnes wird dokumentiert durch ein in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenes Lichtbild aus dem am 2. November 2018 auf Bild-Online veröffentlichten Artikel des Zeugen B. S., dasY. S. vor einem Stand der vorgenannten Koranverteilaktion, die auf entsprechendenPlakaten für sich wirbt, zeigt. Dass es sich bei dem im Artikel im Bereich des Gesichts unkenntlich gemachten Kind um Y. S. handelt, hat der Zeuge B. S. für den Senatglaubhaft bestätigt. Er ist der Autor des vorgenannten Artikels und hat den Sohn derAngeklagten sowohl auf diesem Lichtbild als auch auf anderen Lichtbildern unverpixelt gesehen. Zudem hat der Zeuge den Sohn der Angeklagten aus Anlass eines Interviewgesprächs in … am 28. Juli 2018 gesehen.
136Die Feststellungen zu den Äußerungen und zur Haltung der Angeklagten im Zusammenhang mit dem Anschlag der Kouachi-Brüder auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ beruhen auf der Verlesung und – soweit fremdsprachig – der Übersetzung ihrer textlichen Äußerungen auf ihrem Facebook-Account. Die Angeklagte postete unter dem 11. Januar 2015 das Bild eines Plakats mit türkischsprachigem Text, der übersetzt wie folgt lautete:
137„Gegrüßt seien die Brüder Kouachi, die sich für Allahs Gesandten gerächt haben. Möge Allah euer Märtyrertod akzeptieren.
138Wenn ihr einen Schlag ausführt, ist es Demokratie,
139wenn wir uns rächen, ist es Terrorismus."
140Der Senat hat den Text durch die Sprachsachverständige G. in der Hauptverhand-lung übersetzen lassen.
141Kurze Zeit später reagierte die Angeklagte auf eine von der „Al Hanifa“ gepostete Übersetzung des Plakattextes, die dem Sinn nach der obigen entsprochen hat, mit der Bemerkung „Amin“, was nach den Angaben des Sprachsachverständigen S grundsätzlichauch eine andere Bedeutung haben kann, in diesem Zusammenhang jedoch „Amen“ bedeutet.
142Die Einlassung der Angeklagten, sie habe bei diesem Posting den Zusammenhang zu Charlie Hebdo gar nicht verstanden und nichts mit den Brüdern Kouachi anfangen können, denn es sei ihr lediglich auf die letzten beiden Sätze auf dem Plakat angekommen, ist durch weitere in der Hauptverhandlung eingeführte Texte aus einer weiteren Chronik ihres Facebook-Accounts widerlegt, die am 13. Januar 2015 zurück bis zum 6. Januar 2015 durch das LKA Sachsen-Anhalt gesichert worden ist. Hier finden sich – vom Senat in Augenschein genommen - das in den Feststellungen erwähnte durch Bildmontagen manipulierte Foto und darüber hinaus in Anlehnung an „Je suis Charlie“ ein von der Angeklagten geposteter Text mit den Worten „Je suis Muslim“ und ein Text „Je suis Charlie Kouachi“, den die Angeklagte nicht selbst gepostet, sondern mit „gefällt mir“ kommentiert hat. Bereits unter dem 9. Januar 2015 postete die Angeklagte folgenden Text:
143"Der Grund wieso die Usa keine Drohnen nach Paris schicken wird um ein
144Flachenbombardement vorzunehmen, in der Hoffnung die beiden Schützen
145dabei zu erwischen, ist der dass sie keine Todesopfer unter nichtmuslimischen Zivilisten akzeptieren können, weil "westliches Blut" für sie "wertvolles Blut" ist…“
146Die Feststellungen zur radikal-religiösen Einstellung der Angeklagten sowie ihre Haltung zum IS und dessen Vorgehen, die sich auch nach ihrer Ausreise aus dem Gebiet der Organisation nicht wesentlich geändert haben, werden bestätigt durch die Angaben des Zeugen B. S., ein für das Medium Bild tätiger Journalist. Da dem Zeugen nach seinenglaubhaften Angaben die hetzerischen Äußerungen der Angeklagten gegenüber Jesiden auf deren Facebook-Account bekannt waren, hat er die Angeklagte im Rahmen eines Interviewgesprächs am 28. Juli 2018 auf ihre Haltung zu den Morden an den Jesiden sowie zu deren Versklavung angesprochen. Die Angeklagte habe dieses Vorgehen des IS gerechtfertigt, ohne die Umstände als solche in Frage zu stellen. Dies korrespondiert mit den Angaben der Angeklagten im Rahmen einer Anhörung durch Polizeibeamte des BKA vom 13. Juli 2018 in Ankara. Dort hatte die Angeklagte davon berichtet, dass in einem Haushalt, in dem sie mit der Zeugin D. Ö. in Mossul gelebt habe, eine jesidischeSklavin als Haushaltshilfe gehalten worden sei. Die Angeklagte rechtfertigte in ihrer Anhörung die Sklavenhaltung als solche als vom Islam erlaubt, da der Halter erhebliche Verpflichtungen habe. Für sie selbst komme die Sklavenhaltung nicht in Betracht, jedoch führte die Angeklagte aus, der Sklavin sei es gut gegangen, sie sei lediglich etwas traurig gewesen, weil sie keinen Kontakt zu ihrer Familie gehabt habe. Diese beschönigenden Angaben sind durch die Aussage der Zeugin D. Ö. nach Überzeugung des Senats wi-derlegt. Die Zeugin D. Ö. hat demgegenüber angegeben, der Sklavin sei es sehrschlecht gegangen, sie sei sehr abgemagert gewesen und habe viel arbeiten müssen. Beiden – sowohl der Angeklagten und auch der Zeugin D. Ö. – habe die Sklavin da-mals sehr leidgetan. Der Sachverständige Dr. S hat für den Senat nachvollzieh-bar dargelegt, dass diese Haltung der Angeklagten allein der IS-Linie entspreche, weil in der übrigen muslimischen Welt keine Sklavenhaltung erlaubt sei. In Saudi-Arabien, wo die hanbalitische Rechtsschule quasi die offizielle Rechtsschule sei, sei die Sklaverei Anfang der 60er Jahre abgeschafft worden, so dass es mit Ausnahme des IS eine solche Praxis nicht gegeben habe.
147Abgerundet wird die zum Ausdruck kommende Radikalisierung der Angeklagten auch durch eine immer weiter fortschreitende Verhüllung in der Öffentlichkeit, die die Angeklagte selbst eingeräumt hat. In der letzten Stufe ging die Angeklagte mit schwarzer Vollverschleierung, die lediglich Augenschlitze zuließ, aus dem Haus, was auch der Zeuge M. S. im Rahmen seiner Zeugenvernehmung vor dem Senat so beschrieben hat. Die Hal-tung der Angeklagten – auch über ihren Aufenthalt im Gebiet des IS hinaus – wird ferner bestätigt durch ihre elektronische Bibliothek, die sich auf einem bei der Angeklagten im Rahmen der Verhaftung und Durchsuchung sichergestellten USB-Stick befunden hat. Nach den überzeugenden und detaillierten Ausführungen des Islamwissenschaftlers Dr. R. vom LKA NRW befanden sich auf dem USB-Stick neben türkischsprachigen Au-diodateien und Videodateien die Dateien von insgesamt 55 Büchern, die dem salafistischen und jihadistischen Islam zuzuordnen seien. Es handele sich um teilweise in die deutsche Sprache übersetzte Schriften von al Maqdisi und Anwar al Awlaki, Zawahiri aber auch von den in Deutschland bekannten Chouka-Brüdern, die sich jeweils mit dem gewaltsamen Jihad befassten. Er habe auch „Klassiker“ wie den Text „39 Möglichkeiten, den Jihad zu führen“ vorgefunden, der bereits seit 2003 aus dem Kontext Al Qaida im Internet zirkuliert sei. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, der sich bereits seit 13 Jahren beim LKA NRW mit den Strömungen des militanten Islam befasst, handelt es sich teilweise um Schriften aus der Frühphase des Jihadismus aus den Bereichen Afghanistan und Wasiristan, die dem Umfeld von Al-Quaida zuzuordnen sind. Schließlich finde sich darunter auch ein Text von Awlaki über die Regelung bezüglich des Enteignens des Besitzes der Kuffar – ein Rechtspruch zur Rechtfertigung von Eigentums- und Vermögensstraftaten im Dar al Kufr, dem Land des Unglaubens.
148Schließlich befänden sich die folgenden Texte in der Sammlung, die sich speziell mit der Rolle der Frau im Jihad befassten:
149Die Rolle der Frau beim Bekämpfen der Feinde, von Yusuf Bin Salih Al-
150Uyayri, Übersetzung aus dem Englischen. Quelle: At-Tibyan Publications
151Die mutige Frau von Afghanistan. Quelle: Salafimedia.de
152Die Ehefrau eines Mujahids sein. Quelle: www.i24.freehostia.de
153Bei dem letztgenannten Text handele es sich um eine Art „Beispielliteratur“. Es sei ein Erlebnisbericht einer Frau aus dem tschetschenischen Raum, die an der Seite eines Jihad-Kämpfers ihren Aufgaben nachgehe. Der Text beschreibe die Möglichkeiten der Frau, zum Jihad beizutragen, und die Vorzüge dieser Rolle.
154Darüber seien auch Schriften der sogenannten globalen islamischen Medienfront aus dem Umfeld von Millatu Ibrahim und der sogenannten „Solinger Szene“ unter Führung von Mohamad Mahmoud vorhanden gewesen, bei denen es sich um in die deutsche Sprache übersetzte Texte mit der Aufforderung zur Hidschra, der Auswanderung, nach Syrien und zum Anschluss an den Jihad in Syrien befunden hätten. Es handele sich dabei um Übersetzungsarbeiten aus dem Umfeld von Mohamed Mahmoud alias Abu Usama al Gharib, das den Islamischen Staat in der Frühphase unterstützt habe. Auch wenn die Texte aus dem Umfeld bestimmter Organisationen stammten, seien sie nicht charakteristisch für eine Organisation, sondern die Texte stellten eine übergreifend Argumentationsgrundlage für den gewaltsamen Jihad dar, derer sich auch der IS bedient habe.
155Schließlich hat die Angeklagte bei ihrer Befragung durch die Beamten des Bundeskriminalamtes am 13. Juli 2018 auf Nachfrage erklärt, dass die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht mit ihrem Glauben vereinbar sei, dass Gott der alleinige Gesetzgeber sei, der keine Teilhaber neben sich akzeptiere. Nach ihrer Ansicht herrsche selbst in Saudi-Arabien nicht die Scharia, weshalb dorthin auch nicht so viele Leute wollten. Mit Blick auf ihre geplante Einreise in die Bundesrepublik Deutschland hat sie diesen Aussagen einschränkend hinzugefügt, wenn es nicht möglich sei, in einem Land zu leben, wo die Scharia gelte, müsse man eben dort leben, wo man lebe, ohne den Menschen zu schaden.
156Die Feststellungen zu den Kontakten der Angeklagten zu ausreisewilligen Frauen mit Ausnahme der Zeugin A. L. beruhen allein auf den Angaben der Angeklagten. Dass N.Kh. mit Abu Talha al Almani (Denis Cuspert) verheiratet gewesen ist, hat dieAngeklagte im Rahmen ihrer Anhörung vom 13. Juli 2018 angegeben. Diese Angabe wird bestätigt durch die Zeugin A. L., die Anfang 2015 selbst in Raqqa war und N. Kh.kennengelernt hatte. Die Zeugin hat zudem von der weiteren Eheschließung mitMohamed Mahmoud berichtet. Bestätigt wird diese Aussage – jedenfalls in Hinblick auf die Anzahl der Eheschließungen – von der Angeklagten selbst, die sowohl in der Hauptverhandlung als auch in ihrer Anhörung vom 13. Juli 2018 von insgesamt drei Eheschließungen der N. Kh. berichtet hat und diese im Jahr 2016 in Raqqa nach ihrer glaub-haften Schilderung auch persönlich getroffen hatte. Da sei sie mit ihrem dritten Mann verheiratet gewesen, den die Angeklagte im Rahmen ihrer Anhörung mit Abu L.namentlich bezeichnet hat. Der Kontakt zu G. T. sei über Facebook nur sehroberflächlich gewesen. G. T. habe ihr dann einmal mitgeteilt, dass sie sich im Islami-schen Staat aufhalte.
157Die Feststellungen zum Kontakt zwischen der Angeklagten und der Zeugin A. L. beruhenim Wesentlichen auf den glaubhaften Angaben der Zeugin, wobei die Angeklagte den Kontakt als solchen eingeräumt hat. Die Zeugin A. L. hat – wie festgestellt - geschildert,dass sie wegen ihrer eigenen geplanten Ausreise in das Gebiet des Islamischen Staates die Angeklagte kontaktiert habe. Sie habe von der sehr zurückhaltenden Angeklagten wenig Hinweise über die Art und Weise der Ausreise bekommen. Sie habe ihr nur gesagt, dass sie nicht so viele Fragen stellen solle, andere würden einfach ausreisen und sich melden, wenn sie da seien. Darüber hinaus habe ihr die Angeklagte einen Kontakt zu einer ausreisewilligen Frau deutsch-spanischer Herkunft mit dem Namen „Ro.“, diedie Zeugin in der Hauptverhandlung bei mit den Chatinhalten korrespondierender Sachverhaltsschilderung durchgängig als „Ro.“ bezeichnete, verschafft. Mit den Plänendieser Frau habe sie sich nicht anfreunden können. Die hätten vorgesehen, dass sie – die Zeugin – sich ein Auto kauft, was sie finanziell nur schwer hätte stemmen können. Dann habe sie sich ein Flugticket nach Amsterdam kaufen sollen für eine Ausreise über die Niederlande. Davon habe sie Abstand genommen. Letztlich habe sie über die elektronischen Medien einen Mann aus dem Gebiet des IS kennengelernt, den sie habe heiraten wollen. So sei sie dann Anfang Dezember 2014 nach Gaziantep gereist und habe dort telefonischen Kontakt zu einem Abu L. aufgenommen, der ihr die nächstenSchritte auf dem Weg in den Kalifatstaat erklärt habe. Anfang/Mitte Dezember 2014 sei sie mit einer Gruppe, bei der sich – wie sie im Nachhinein erfahren habe, weil sie ihn später wiedererkannt habe – auch Jürgen Todenhöfer mit seinem Sohn befunden habe, über die türkisch-syrische Grenze gelangt. Mit Hilfe von Schleusern sei die Gruppe auf türkischer Seite zur Grenze gebracht worden und auf syrischer Seite von Personen mit bereitstehenden Fahrzeugen empfangen worden, wobei die Personen um Todenhöfer mit einem separaten Fahrzeug weggefahren worden seien.
158Der Senat hält die Angaben der Zeugin für uneingeschränkt glaubhaft. Sie waren gegenüber der Angeklagten von keiner Belastungstendenz geprägt. Auf Nachfrage hat sie angegeben, die Angeklagte habe sie nie dazu animiert oder überzeugt auszuwandern. Sie sei im Gegenteil sehr vorsichtig und zurückhaltend gewesen. Diese Angaben werden bestätigt durch die im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführten Chattexte, die beide mit dem Dienst „Viber“ im Zeitraum vom 23. Oktober 2014 bis zum 18. November 2014 ausgetauscht haben. Die Herkunft der Daten ergibt sich aus dem in gleicher Weise eingeführten Vermerk der KK’in B. vom 16. Mai 2017 sowiedem Umstand, dass die Zeugin bei dieser Kommunikation mit „Viber“ ihren Klarnamen benutzte und der Angeklagten in einem Chat ihren – der Zeugin – Vornamen, Namen nebst Berliner Anschrift übersandte. Dass es sich um die Kommunikation zwischen der Angeklagten und A. L. handelt, wird ferner gestützt auf die von der Angeklagten auch hiergenutzte Telefonnummer … und eine Vielzahl von Informationen in den je-weiligen Chats, die auf die Angeklagte hindeuten - so etwa, dass sie mit einem Marokkaner verheiratet war und dass sie einen 8-jährigen Sohn hat, was im Oktober 2014 auf den im April 2006 geborenen Y. S. zutraf. Zudem hat die Zeugin A. L. von der Kommunika-tion mit der Angeklagte berichtet und angegeben, dass sie ihr Tablet den Polizeibehörden zur Auswertung übergeben habe. Schließlich enthält diese Kommunikation das Angebot der Angeklagten an die Zeugin, Kontakt zu einer ebenfalls ausreisewilligen Frau herzustellen, deren Namen „Ro.“ die Zeugin im Folgenden auch in den Chats erwähnt. Inden folgenden Chattexten der Zeugin A. L. werden sodann die Aufforderung zum Kaufeines Fahrzeugs sowie der Plan einer Ausreise über Amsterdam der „Ro.“ themati-siert. In Bezug auf das letzte Thema warnte die Angeklagte am 5. November 2014, 9:34:27 davor, nicht über Amsterdam zu reisen, das sei einfach nur Blödsinn. Die Angeklagte äußerte weiter: „ich wünschte ich wäre dazu in der Lage die einen direkten tipp zu geben liebes aber das kann ich leider nicht…“ Später folgte noch der Hinweis der Angeklagten, dass die Holländer schon viele Geschwister verhaftet und ihnen auch die Kinder weggenommen hätten. Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Einschätzung der Zeugin, die Angeklagte sei zurückhaltend und vorsichtig gewesen, nachvollziehbar. Im Rahmen der aufgezeichneten Kommunikation findet sich ferner die mit der Schilderung der Zeugin korrespondierende Äußerung der Angeklagten: „Die meisten machen einfach und suchen keine frauengruppen mit denen sie gemeinsame verreisen können.“
159Die Feststellungen zu M. D. beruhen in Hinblick seine Radikalisierung und Aus-reise nach Syrien auf den Angaben der Angeklagten in der Hauptverhandlung, die dies von M. D. selbst erfahren hat. Zwar hat sie nicht wörtlich von Radikalisierung gesprochenhat, sondern davon, dass M. D. im Jahr 2013 konvertiert sei und sich etwa für die Aktion„Lies!“ engagiert habe, ihm dies angesichts des Krieges in Syrien nicht genug gewesen sei und er daher selbst nach Syrien gereist sei, weil er auch von anderen gehört habe, dass sie zum Kämpfen dahin gegangen seien. Den Artikel der Zeitung „Neue Westfälische“, den der Senat der Angeklagten aus dem Internet über die Saalleinwand unter Nennung der Überschrift vorgehalten hat, hat sie als denjenigen identifiziert, den M. D.ihr gezeigt und dann angegeben habe, er werde unzutreffend als IS-Kämpfer dargestellt. Sie selbst wisse nicht, bei welcher Gruppe er gewesen sei. Diese habe aber wahrscheinlich das Gleiche wie der IS gemacht.
160Der Senat bewertet dies – auch vor dem Hintergrund der festgestellten Verbindungen zu Millatu Ibrahim – als Radikalisierung. Die Feststellungen in Bezug auf die Verbindungen M. D.s zu Cuspert und Mahmoud beruhen auf den insoweit glaubhaften Angaben derAngeklagten im Rahmen ihrer Anhörung am 13. Juli 2018. Dort hat sie angegeben, dass ihr Mann Kontakt gehabt habe zu Abu Talha al Almani und Abu Usama al Gharib und er sie auch persönlich aus der Zeit vor dem Kalifat gekannt habe. Er habe auch noch „Sachen“ bei einem Abu U. in Raqqa hinterlegt. Sie selbst habe die beiden – Abu Talhaal Almani und Abu Usama al Gharib – nur aus Videos gekannt und habe gewusst, dass es sich um die Gruppe aus Solingen gehandelt habe und dass sie zu Millatu Ibrahim gehört hätten. Den Werdegang von Cuspert von Millatu Ibrahim zur Junud al-Sham und sodann zum IS hat der Sachverständige Dr. S – wie festgestellt – auf der Grund-lage seiner Erkenntnisse und Beobachtungen überzeugend dargestellt. Die Öffentlichkeitsarbeit von Millatu Ibrahim unter der Führung von Mahmoud unter dem „Label“ Globale islamische Medienfront hat der Sachverständige Dr. R. vom LKA NRW – wiebereits ausgeführt – überzeugend und nachvollziehbar dargestellt.
161II. Zur Ausreise in die Türkei
162Die Feststellungen zu der unmittelbar vor der Ausreise nach islamischem Ritus erfolgten Eheschließung zwischen der Angeklagten und M. D. hat der Senat auf der Grundlageder insoweit glaubhaften Angaben der Angeklagten getroffen. Sie werden gestützt durch den in die Hauptverhandlung eingeführten Auswertevermerk des KHK T., der dieDaten des Laptops der Angeklagten nach der Datensicherung ausgewertet hat. Die Zuordnung des Laptops zur Angeklagten ergibt sich aus dem Umstand, dass der ZeugeM. S. auf der Suche nach Hinweisen auf den Verbleib der Angeklagten mit der Mutter derAngeklagten, die über einen Schlüssel verfügte, in die Wohnung in der … Straße… gegangen ist und dort – nach seiner glaubhaften Schilderung – einen Laptop vorge-funden hat, den er der Polizei übergeben hat. Dies hat der Zeuge in der Hauptverhandlung ebenso geschildert wie gegenüber dem Zeugen KHK T., der dies im Rahmenseiner Vernehmung ebenfalls bekundet hat. Ausweislich des Vermerks befanden sich neben weitgehend gelöschten Kommunikationsdaten und Videos Bilder der Angeklagten und ihres Sohnes auf dem Laptop sowie eine Kündigung eines Mobilfunkvertrages auf den Namen der Angeklagten vom 5. Juni 2014. Daneben konnten Skype-Chat-Nachrichten gesichert werden, von denen ein Datensatz vom 25. Januar 2015 die Eheschließung in Textnachrichten wiedergibt.
163Die Feststellungen zur Ausreise in die Türkei beruhen auf den Angaben der Angeklagten in der Hauptverhandlung, die durch die Ermittlungsergebnisse zu den retrograden Verbindungsdaten des von der Angeklagten benutzten Mobilfunktelefons mit der Rufnummer … bestätigt worden sind. Diese hat der Senat zum einen durch Vernehmungdes Zeugen KHK T. sowie durch seinen Vermerk zur Auswertung der retrogradenVerbindungsdaten (Selbstleseverfahren) in die Hauptverhandlung eingeführt. Diese Daten belegen, dass die Angeklagte am 5. Februar 2015 zum Flughafen nach Köln Bonn gereist ist und sodann von dort ins Ausland, da eine entsprechende Bewegung des Mobilfunktelefons bis 15:17 Uhr nachvollziehbar ist und ab einem Gespräch am Abend des 5. Februar 2015 keine Standortdaten mehr für das Mobilfunktelefon übermittelt wurden.
164Soweit die Angeklagte bestritten hat, dass die Weiterreise in das Gebiet des IS nicht von vornherein geplant gewesen sei, sondern M. D. dies erst vor dem Hintergrund seinesEinberufungsbescheides zur türkischen Armee veranlasst habe, folgt der Senat dem nicht. Sowohl die Angaben der Angeklagten außerhalb der Hauptverhandlung als auch die objektiven Begleitumstände ihrer Ausreise in Verbindung mit den Feststellungen zu ihrer Radikalisierung begründen für den Senat die sichere Überzeugung, dass die Angeklagte von vornherein geplant hatte, mit Y. S. und M. D. in das sogenannten Kalifatauszureisen.
165Maßgeblich für die Überzeugungsbildung des Senats war zum einen die Schilderung des Zeugen M. S. über ein Gespräch, bei dem die Angeklagte ihre geplante Ausreise in densogenannten Kalifatstaat thematisierte. Nachdem der Zeuge zunächst unter pauschaler Mitteilung des Ergebnisses einer von ihm vorgenommenen Bewertung angegeben hatte, die Angeklagte habe ihm anlässlich einer gemeinsamen Autofahrt etwa ein oder zwei Monate vor ihrer Ausreise mitgeteilt, sie wolle in den Kalifatstaat reisen, hat er auf Nachfrage den Hergang des Gesprächs und die Grundlagen seiner Schlussfolgerungen wie folgt geschildert: Er habe die Angeklagte einige Zeit vor ihrem Verschwinden zu einem Fitness-Studio gefahren. Im Radio habe es in dem Moment einen Bericht über den IS im Irak gegeben mit dem Thema, dass der IS eine eigene Währung habe einführen wollen. Auf seine – des Zeugen – Reaktion, ob das normal sei, habe die Angeklagte sofort widersprochen und geantwortet, das sei richtig und normal. Sodann habe er sie gefragt, ob sie auch dorthin gehen wolle. Daraufhin habe sie gesagt: „Ja, warum nicht.“ Er habe in dem Moment einerseits gewusst, dass die Angeklagte gerne das Gegenteil von dem vertrete, was er für richtig halte, und auch gerne provoziere. Andererseits habe er schon damals das Gefühl gehabt, es sei ernst zu nehmen, was sich mit dem Verschwinden der Angeklagten bestätigt habe.
166Der Senat hält die Angaben des Zeugen auch vor dem Hintergrund einer sehr konfliktreichen Beziehung zu der Angeklagten sowie der Verbitterung des Zeugen über die Entziehung seines Sohnes für glaubhaft. Zum einen hat die Angeklagte eingeräumt, dass der Zeuge sie tatsächlich einmal in seinem Auto zum Fitnessstudio mitgenommen habe, weil er mit Y. S., den er abgeholt habe, zu einem Freund habe fahren wollen und das Fit-nessstudio, in das sie alle zwei Tage gegangen sei, auf dem Weg gelegen habe. Gleichzeitig hat die Angeklagte bestritten, dem Zeugen M. S. gegenüber angegeben zu haben,in den Kalifatstaat ausreisen zu wollen. Indes ist die Schilderung des Zeugen – bei aller Verärgerung über die Angeklagte – von keiner Belastungstendenz geprägt. Der Zeuge hat den Vorgang auf Nachfrage sachlich geschildert und dabei seine damaligen Zweifel an der Richtigkeit der Aussage offengelegt, da er es auch für möglich gehalten habe, dass sich seine geschiedene Ehefrau lediglich aus Gründen der Provokation wie dargestellt geäußert habe. Erst als seine Ehefrau mit dem gemeinsamen Sohn für ihn verschwunden gewesen sei, sei ihm klargeworden, dass die geschilderte Äußerung ernst gemeint gewesen sei, so dass seine eingangs der Vernehmung getätigte Angabe, die er bereits vorprozessual etwa gegenüber dem Zeugen KHK T. gemacht hatte, sich plau-sibel als – im Ergebnis zutreffende – Schlussfolgerung darstellt.
167Der Senat hat darüber hinaus gewürdigt, dass die Angeklagte in Hinblick auf ihren behaupteten Rückkehrwillen nach Deutschland gelogen hat. Die Angeklagte hat nichts dafür unternommen, ihre Wohnung oder auch nur die Grundlagen für eine Rückkehr nach Deutschland zu erhalten. So hat sie bereits die Miete für den Monat Februar 2015 nicht mehr bezahlt. Darüber hinaus hat die Angeklagte die Wohnung in einem unordentlichen unaufgeräumten und schmutzigen Zustand hinterlassen, dabei aber wesentliche Papiere und private Bilder mitgenommen. Den Zustand der Wohnung sowie die fehlende Mietzinszahlung ab Februar 2015 hat die Zeugin W., die bei der Wohnungsverwaltungdes Vermieters für das Haus … Straße … zuständig war, zur Überzeugung desSenats geschildert. Dabei hat sie auch angegeben, dass die Angeklagte in der Vergangenheit eine zuverlässige Mieterin gewesen sei, die – mit einer Ausnahme – die Miete regelmäßig überwiesen habe. In Hinblick auf diesen Rückstand für diese eine Monatsmiete sei die Angeklagte jedoch damals auf sie zugekommen und habe eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen, die die Angeklagte auch eingehalten habe.
168Nachdem der Zeuge M. S. etwa Mitte Februar 2015 mitbekommen hatte, dass die Ange-klagte mit Y. S. das Land verlassen hatte, überzeugte er die Mutter der Angeklagten,in deren – der Angeklagten – Wohnung zu gehen, um nach dem Verbleib der Angeklagten und Y. S. zu schauen. Bei dieser Gelegenheit hat der Zeuge nach seinem glaubhaftenAngaben festgestellt, dass wichtige Papiere und private Bilder in der Wohnung der Angeklagten gefehlt hätten. Zudem habe die Mutter der Angeklagten bei dieser Gelegenheit ihm gegenüber geäußert, dass er alle Sachen in der Wohnung haben könne – auch die Möbel der Angeklagten, was für den Senat ebenfalls ein gewichtiges Indiz dafür ist, dass die Angeklagte nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wollte, auch wenn sie gegenüber dem Senat angegeben hat, sie hätte ihre hochwertigen Möbel gut verkaufen können, wenn sie tatsächlich von vornherein den Plan gehabt hätte, endgültig aus Deutschland auszureisen. Der Zustand der Wohnung – unaufgeräumt, verdreckt, nicht leergeräumter stinkender Kühlschrank – ist von der Zeugin Walter eindrucksvoll unter Inaugenscheinnahme entsprechender von ihr mitgebrachter Lichtbilder geschildert worden.
169Dieses Verhalten der Angeklagte entspricht darüber hinaus einem Vorschlag der Angeklagten gegenüber der Zeugin A. L., die sich auch gegenüber der Angeklagten darüberGedanken gemacht hatte, was sie in Hinblick auf laufende Verträge und ihre Wohnung vor ihrer Ausreise noch alles erledige müsse. Im Rahmen einer Kommunikation mit der Zeugin A. L. über den Dienst „Viber“ schlug die Angeklagte ihr vor: „Oder einfach garnixmachen … wer will denn schon wieder zurück :))“. Der Senat hat die aus dem Tablet der Zeugin ausgelesene Kommunikation mit dem Dienst „Viber“ aus dem Zeitraum vom 23. Oktober 2014 bis zum 18. November 2014 zwischen der Angeklagten und der Zeugin im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt. Wegen der Herkunft der Daten wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
170Vor diesem Hintergrund würdigt der Senat den von der Angeklagten angegebenen Umstand, sie habe für ihre Reise in die Türkei sowohl einen Hinflug als auch einen Rückflug gebucht, als die übliche Maßnahme ausreiswilliger Islamisten zur Verschleierung ihres endgültigen Ausreisewillens.
171Zur Überzeugungsbildung des Senats hat ferner maßgeblich beigetragen, dass die Angeklagte vor der Ausreise ihre maßgeblichen Vermögenswerte und die ihres Sohnesliquidiert und in bar mitgenommen hat. Dies hat die Angeklagte am 13. Juli 2018 bei ihrer Anhörung – wie festgestellt – geschildert. Dass die Angeklagte dabei ihr Konto vollständig liquidiert hatte, ergibt sich aus ihren eigenen Angaben, wonach sie (mangels Guthabens) nicht daran geglaubt habe, dass es M. D. und ihr selbst gelingen würde, mit ihrer Konto-karte in der Türkei noch weiteres Geld abzuheben, bevor sie im März 2015 von der Türkei in den Kalifatstaat gereist seien. Zu ihrer Überraschung habe M. D. es dennoch ge-schafft, in der Türkei 2000 € abzuheben. Auf Nachfrage hat sie hierzu am 13. Juli 2018 eingeräumt, dass ihr Konto nach der Abhebung von 2.000 € in der Türkei in den „Dispo“ gegangen sei. Hätte die Angeklagte – wie angegeben – lediglich geplant gehabt, in der Türkei zu bleiben, wären die Liquidation der Gelder und die Mitnahme von Bargeld nicht erforderlich gewesen, da sie auch in der Türkei Zugriff auf die – nicht liquidierten – Konten gehabt hätte.
172Maßgebend für die Überzeugungsbildung des Senats waren zudem die Umstände, die der Senat im Zusammenhang mit der Radikalisierung der Angeklagten ausgeführt hat, namentlich das auf die Hidschrah – Auswanderung – bezogene Posting der Reisetasche am Tag der Ausrufung des Kalifats. Darüber hinaus machte die Angeklagte – entsprechend ihrer Überzeugung – Werbung für ein Leben im Kalifat. So postete sie am 9. September 2014 folgende Liste der Vorteile eines Lebens dort:
173„Schreckliche Zustände im Islamischen Staat... eine Augenzeugin hat mal die 10 schlimmsten Fakten aufgelistet und konnte sie aus dem Land schmuggeln:
1741. Wir zahlen keine Miete. Die Häuser hier sind alle umsonst.
1752. Wir zahlen weder Kosten für Strom noch für Wasser
1763. Unser monatlicher Lebensmittelbedarf wird uns zur Verfügung gestellt,
177wir bekommen Spaghetti, Nudeln, Lebensmittel in Dosen, Reis, Eier usw
1784. Eine monatliche finanzielle Beihilfe bekommen nicht nur die Männer und
179Frauen, sondern auch jedes einzelne Kind.
1805. Ärztliche Untersuchungen und Medikamente sind kostenlos, die zahlt der Staat
181für uns.
1826. Du wirst überleben, auch wenn du kein Arabisch sprichst. Du findest hier fast
183jede Ethnie und Herkunft im Staat.
1847.Jedes frischvermählte Paar bekommt umgerechnet 700 USDollar als Geschenk
185zur Hochzeit. (nur die Mujahideen, bin mir aber nicht sicher, ob das noch so
186gehandhabt wird)
1878. Du zahlst keine Steuern. (als Muslim)
1889. Während der Gebetszeiten betreibt keiner Handel. Man sieht Menschen wie
189Sie ihre Läden verlassen ohne die Türen abzuschließen, um in der nächstgelegenen Moschee zu beten oder in einem der Geschäfte.
19010. Die Zahl von gemischten Ehen und "Mischlingskindern" ist sehr hoch. Es ist
191einfach wunderschön Zeuge von Brüderlichkeit ohne Rassismus zu sein.“
192Darüber hinaus gab die Angeklagte in der Hauptverhandlung und im Rahmen ihrer Anhörung am 13. Juli 2018 an, dass sie sich als muslimisch vollverschleierte Frau in Deutschland nicht mehr wohlgefühlt habe, was mit einigen Postings auf ihrem Facebook-Account korrespondiert, in denen sie – tatsächliche oder erfundene – Pöbeleien, die sich auf ihre Vollverschleierung bezogen haben, thematisierte. Dementsprechend erscheint auch der dem vorzitierten Textbeitrag folgende Beitrag – ebenfalls vom 9. September 2014 – als Bestätigung des Ausreisewillens der Angeklagten:
193„Das ist der reelle Bericht einer Schwester und keine Liste vom Wunschdenken irgendeiner Person aus Deutschland. Dass Wohlstand kein Indikator für Richtigkeit und Recht ist das wissen die meisten von uns denke ich, wir leben ja schließlich in Deutschland, Bruder. als ich das gelesen habe, habe ich auch um ehrlich zu sein nicht an wohlstand gedacht und um ehrlich zu sein, und ich möchte an dieser stelle auch für meine geschwister sprechen, ist jetzt keiner aus dem häuschen und wird morgen nur auswandern weil man spaghettis und strom umsont kriegt.“
194Abschließend hat der Senat gewürdigt, dass die Angeklagte bei verschiedenen Gelegenheiten angegeben hat, dass sie sich auch in der Türkei nicht wohlgefühlt habe. Bei ihrer Anhörung am 13. Juli 2018 hat sie angegeben, die Türkei sei ihr fremd, obgleich sie dort geboren sei und dort mit ihren Eltern Urlaube verbracht habe. Der Aufenthalt während der Urlaube sei bereits zu viel für sie gewesen. In der Hauptverhandlung hat sie angegeben, dass sie vor ihrer Ausreise nicht sicher gewesen sei, ob sie – auch wenn ihr Mann in Ordnung gewesen wäre – in der Türkei hätte leben können. Zwar ist sich der Senat bewusst, dass die Angeklagte die zuletzt wiedergegebene Äußerung auch zur Verschleierung ihrer tatsächlichen Absichten getätigt hat, jedoch fügt sie sich nahtlos ein in andere Äußerungen, die zum Ausdruck bringen, dass die Angeklagte sich – jedenfalls zum Zeitpunkt ihrer Ausreise – nicht vorstellen konnte, überhaupt in einem anderen „Land“ als dem „Islamischen Staat“ zu leben. So hat sie sich sowohl in ihrer Einlassung vor dem Senat als auch gegenüber dem Zeugen B. S., der dies entsprechend in der Hauptver-handlung geschildert hat, darüber beklagt, dass sie – die Angeklagte – in … inder Türkei wegen ihrer islamischen Kleidung angefeindet werde bzw. worden sei, was sie als unerträglich und sehr belastend empfunden habe. Gestützt wird dies durch die weiteren vorerwähnten Indiztatsachen zu ihrer Radikalisierung sowie durch die Ausführungen der Angeklagten am 13. Juli 2018 zur Unvereinbarkeit der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Glauben. So herrsche noch nicht einmal in Saudi-Arabien die Scharia, weshalb dorthin auch nicht so viele Leute wollten. Dabei interpretiert der Senat die letzte Formulierung dahin, dass mit „Leuten“ Islamisten wie die Angeklagte gemeint sind.
195Die Schlussfolgerung des Senats, dass die Weiterreise in das Gebiet des IS aufgrund der Einberufung des M. D. zum türkischen Militär lediglich beschleunigt erfolgt ist, bevor dieEltern der Angeklagten wie in jedem Jahr im Mai in die Türkei kommen würden und sich die Angeklagten von ihnen hätte verabschieden können, beruht auf folgenden Umständen:
196Die Angeklagte hat im Rahmen ihrer Einlassung selbst von ihrer Absicht gesprochen, ihre Eltern in der Türkei zu treffen und ihnen den M. D. als Ehemann vorzustellen. Aus Sichtund nach Schilderung der Angeklagten bestand auch ein tatsächliches Bedürfnis zur Aussprache mit ihren kemalistisch eingestellten Eltern, da diese – nach Schilderung der Angeklagten in der Hauptverhandlung – bereits die Verheiratung mit einem barttragenden Islamisten ablehnten. Daher geht der Senat davon aus, dass der Wunsch der Angeklagten, mit Y. S. in das Gebiet des Islamischen Staates auszureisen, einen umso größe-ren Erklärungsbedarf der Angeklagten bei ihren Eltern hervorgerufen hat. Ohne diese in der Person der Angeklagten liegende Komplikation hätte es tatsächlich näher gelegen, in … in … zu bleiben, wo sie mit M. D. in einem leerstehenden Haus vonM. D.s Vater hätte wohnen können, und nicht in den Westen der Türkei zu gehen, wodie Mutter des M. D. lebte, was die Angeklagte selbst als Argument für eine noch nichtbestehende Absicht, in das Gebiet des Islamischen Staates zu reisen, in der Hauptverhandlung von sich aus angeführt hat. Indes liegt auch der Wohnort der Eltern der Angeklagten in … im Westen der Türkei.
197III. Zur Eingliederung und mitgliedschaftlichen Beteiligung bis Ende August 2015
1981. Die Angeklagte war sich bei der Reise in das Gebiet des IS bewusst, dass M. D. sichals Mitglied des IS innerhalb der Terrororganisation beteiligen würde und auch sie in diesem Zusammenhang ihren Beitrag leisten würde. Der Senat ist davon überzeugt, dass es weder der Angeklagten noch M. D. darum ging, als sogenannte „Zivilisten“ im Kalifat-staat zu leben. Die hierauf gerichteten Angaben der Angeklagten, sie habe gar nicht geplant, in dem Kalifatstaat zu leben, nur die Situation des Einberufungsbefehls habe dazu gezwungen, und sie habe sich von M. D. überzeugen lassen, sind – wie oben dargestellt– widerlegt.
199Die ebenfalls in diesen Zusammenhang einzuordnende Einlassung, M. D. und sie – dieAngeklagte – hätten geplant, wegen der Grenznähe zur Türkei in Manbidsch zu bleiben, ist durch das Ergebnis der Beweisaufnahme ebenfalls widerlegt. Es ist schon nicht nachvollziehbar, dass M. D., der gute Kontakte zu der Gruppe von Millatu Ibrahim in Raqqahatte und dort noch Gegenstände bei einem Freund lagerte, – so die Schilderung der Angeklagten in ihrer Anhörung am 13. Juli 2018 – nach Manbidsch habe gehen wollen. In diese Richtung hatte sich auch die Angeklagte in ihrer Anhörung am 13. Juli 2018 geäußert. Dort hat sie ausgeführt, dass M. D. während der Zeit im Kalifatstaat zu keinemeinzigen Deutschen Kontakt gehabt hätte, was ihr leidtue. Wenn sie – die Angeklagte und M. D. – in Raqqa gewesen wären, hätte M. D. dort Freunde gehabt.
200Zudem hatte die Angeklagte gegenüber der Zeugin A. L. nach deren glaubhafter Schilde-rung im März 2015 im Rahmen einer Kommunikation über Viber oder WhatsApp angekündigt, nach Raqqa zu kommen. Hintergrund für den Kontakt mit der Angeklagten sei gewesen, dass sie – die Zeugin, die sich in Raqqa aufgehalten habe - wegen ihrer Ehe Sorgen gehabt habe, sich habe scheiden lassen wollen und von der Angeklagten Rat hierzu erbeten habe. Diese habe sie zunächst ermutigt, die Ehe fortzuführen, da ihr Mann ja ein Mujahid sei. In diesem Zusammenhang habe die Angeklagte ihr mitgeteilt, dass sie – die Angeklagte – nach Raqqa kommen werde. Sie – die Zeugin – sei sehr verzweifelt gewesen und sei froh gewesen, eine Bekannte sprechen zu können, so dass sie gefragt habe, ob die Angeklagte bereits da sei, sie sich treffen könnten, Kaffee trinken und reden könnten. Die Angeklagte habe ihr dann erklärt, dass sie noch in der Türkei sei, aber bald kommen werde.
201Soweit die Angeklagte angegeben hat, sie und ihr Ehemann hätten geplant gehabt, sich als „Zivilisten“ niederzulassen, ohne sich in der Vereinigung zu engagieren, ist dies nicht glaubhaft. Genauso wenig ist glaubhaft, dass die Verwaltung des IS M. D. nach der Einreise gezwungen habe, sich als Kämpfer zu betätigen. Während sie das erste bereits im Rahmen ihrer Anhörung am 13. Juli 2018 behauptet hat, hat sie die weitergehende Einlassung erst in der Hauptverhandlung gemacht.
202Die Angaben sind schon deshalb unglaubhaft, weil die Angeklagte wusste, dass M. D. sich im Umfeld der Millatu Ibrahim-Gruppierung in Syrien aufgehalten hatte. Noch in der Anhörung vom 13. Juli 2018 hat sie angegeben, M. D. habe in Syrien gegen Assad ge-kämpft und sei für sie ein Held gewesen, weil er gegen einen Diktator rebelliert habe, um die Bevölkerung zu schützen. Dabei handelt es sich nach den sachkundigen Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. bei Millatu Ibrahim um eine Gruppierung, dieeine sehr extreme islamistische Haltung hat. Gemessen daran sei die Junud al Sham, der sich viele dieser Kämpfer aus dem Umfeld von Millatu Ibrahim vorübergehend angeschlossen hätten, zu moderat gewesen. Es sei daher letztlich folgerichtig, dass sich viele aus dem Umfeld von Millatu Ibrahim dem IS angeschlossen hätten. Die Junud al Sham hätten keine Selbstmordattentate verübt und seien auch im Verhältnis zur Zivilbevölkerung eher zurückhaltend gewesen.
203Angesichts dessen hält der Senat es für unglaubhaft, dass für M. D. der bewaffnete Ein-satz nicht in Betracht gekommen sein soll, zumal es jetzt darum ging, den Traum eines jeden militanten Islamisten – den Kalifatstaat – zu festigen oder zu verteidigen. Dies entsprach auch dem, wozu die Angeklagte in der Rolle der Ehefrau eines Mujahids bereit und willens war. Dies ergibt sich für den Senat zum einen aus ihrer ideologischen Haltung, die sie ersichtlich auch nach dem Verlassen des sogenannten Islamischen Staates nicht aufgegeben hat, sowie aus ihrer Sympathie für das Vorgehen des Islamischen Staates, der dort in der Gegend nach ihrer Ansicht „endlich mal Zivilisation reinbrächte[.] und das Land aufbaute[.]“. Zum anderen ergibt es sich aus der bei der Angeklagten vorgefundenen elektronischen Bibliothek, von der sich drei Texte mit der Rolle der Ehefrau eines Mujahids befassen und die die Angeklagte für sich für so essentiell hielt, dass sie diese bei ihrer Rückkehr nach Deutschland mit sich führte,
204Dass diese Literatur tatsächliche Grundlage für die eigenen Wertvorstellungen und Ziele der Angeklagten war, ergibt sich aus der gesicherten Kommunikation zwischen ihr und der Zeugin A. L. über den Dienst „Viber“. Wegen der Herkunft, Teilnehmer der Kommuni-kation sowie ihrer Einführung in die Hauptverhandlung wird auf die diesbezüglichen obigen Ausführungen Bezug genommen. So chatteten die beiden Frauen am 7. November 2014, mithin bereits zu einem Zeitpunkt, in dem es Kontakt zwischen M. D. und der An-geklagten gegeben hat, über das Thema Heiraten. Um 12:11:18 äußert die Zeugin A. L., dass es für einen Mujahideen sicher schwer sei, eine Frau zu finden. Um 12:13:12 antwortet die Angeklagte unter ihrer Telefonnummer …, Mujahideen hätten eseher einfach, Frauen zu finden - die meisten zumindest. Viele Frauen wollten einen Mujahid heiraten. Auf die Frage von A. L. um 12:16:59, welche Frauen Mujahideen heiratenwollten – Europäerinnen oder Araberinnen, antwortet die Angeklagte um 12:18:27, dass Frauen, die an der Dunya (dem Diesseits) kleben, keine wollten. „Alle anderen wollen gerne einen Mujahid, denn sie wissen, dass die ehe nach dem Tod weiterhin bestehen wird.“ Auf die Reaktion von A. L. um 12:19:52, sie sehe das genauso, also gebe es nochvernünftig denkende Frauen, antwortet die Angeklagte um 12:20:31: „Eine sache des richtigen verständnisses des islam und des iman“.
205Hierzu passt auch die erste Reaktion der Angeklagten auf eine Anfrage der Zeugin A. L.nach einer Ehescheidung, über die die Zeugin in der Hauptverhandlung glaubhaft berichtet hat. Sie habe im März 2015 mit der Angeklagten gechattet, weil sie von der Angeklagten Rat hätte haben wollen, was sie wegen ihres Mannes machen könne, weil sie nicht mehr mit ihm habe zusammen leben wollen. Ihr erster Ratschlag sei gewesen, sich nicht zu trennen, weil ihr Mann ein Mujahid sei. Erst nachdem sie – die Zeugin – der Angeklagten mehr aus ihrer Ehe geschildert habe, habe die Angeklagte ihr geraten, sich scheiden zu lassen.
206Die Einlassung der Angeklagte ist auch deshalb unglaubhaft, weil sie im weiteren Verlauf ihrer Einlassung in der Hauptverhandlung einräumen musste, dass ein von ihr als Beispiel für einen als „Zivilisten“ im Islamischen Staat benannter Auswanderer mit der Kunja „AbuI.“ tatsächlich in einer Katiba gewesen sie, die seine ständige Abwesenheit gedul-det habe, weil er ständig auf seine – tatsächlich – psychisch kranke Frau habe aufpassen müssen. Hierüber habe er von einem Krankenhaus auch immer schriftliche Nachweise bekommen. Die Angaben sind ferner unglaubhaft, weil die Angeklagte wusste, dass der IS die Schleusung organisiert und finanziert hatte. Vor diesem Hintergrund anzunehmen, dass man einfach als „Zivilist“ im Kalifatstaat leben kann, ohne seinen Beitrag für die Organisation zu leisten, hält der Senat für lebensfremd.
207Darüber hinaus waren M. D. und die Angeklagte schlicht auf das Versorgungssystemdes IS mit der Einbindung in eine Unterorganisation wie eine Katiba angewiesen. Auch wenn die Angeklagte über nicht ganz unerhebliche Geldmittel verfügte, waren diese endlich. Auch wenn sie wesentliche Teile des Hausstandes selbst finanziert haben will, hätte sie zusätzliche Kosten für Miete und Versorgung aufbringen müssen.
208Der Senat hält es dabei durchaus für möglich, dass M. D. und die Angeklagte sich zu-nächst vorgestellt haben, nach Raqqa zu den Freunden des M. D. zu kommen, damitdieser dort eine angenehmere Aufgabe als diejenige des Frontkämpfers zugeteilt bekommt. Nachdem dies jedoch gescheitert war, fügten sie sich in die vorgegebenen Strukturen und folgten – wie von der Angeklagten in der Anhörung vom 13. Juli 2018 angegeben – der Anweisung al Baghdadis, nach der Einwanderer primär in Mossul angesiedelt werden sollten. Der Senat nimmt der Angeklagten uneingeschränkt ab, dass sie sich während der Trennung von M. D. in Mossul in dem Frauenhaus nicht wohlgefühlt hat,dass sie ebenfalls als „Horrorhaus“ bezeichnet hat. Dass die Angeklagte nach eigenem Bekunden in der Hauptverhandlung von Frauenhäusern nichts gewusst haben will, hält der Senat vor dem Hintergrund der Kenntnisse der Angeklagten über die extremen Ausprägungen des Islam für wenig glaubhaft. Der Senat hält es vielmehr für sehr wahrscheinlich, dass die Angeklagte überrascht war, dass sie als mit M. D. verheiratete Frau zeit-weise in ein Frauenhaus musste, worauf auch ihre Einlassung in der Hauptverhandlung hindeutet. Nachdem sie pauschal angegeben hat, sie habe von Frauenhäusern nichts gewusst, ist sie fortgefahren, dass sie nicht gewusst habe, was das sei oder dass sogar eine verheiratete Frau dorthin müsse. Vielmehr geht der Senat davon aus, dass die Angeklagte dem Aufenthalt in einem Frauenhaus von vornherein durch Heirat vorbeugen wollte.
209Dass sich die Angeklagte und M. D. recht schnell auf einen möglicherweise anderenVerlauf eingestellt haben, ergibt sich aus einem Brief M. D.s aus der Zeit, bevor M. D.und die Angeklagte von Syrien in den Irak reisten, aber bereits getrennt untergebracht waren, und den die Angeklagte als Andenken an ihren Mann aufbewahrt und bei der Einreise in die Bundesrepublik bei sich führte, was die Angeklagte im Rahmen der Hauptverhandlung eingeräumt hat. In dem Brief schrieb M. D., dass es nach Allahs Wille nachMossul gehen werde und er sich freue, mit der Angeklagten im Islamischen Staat zu sein. Sodann thematisierte M. D., dass die Angeklagte ihm geschrieben habe, er – M. D. –solle heiraten, wenn ihr – der Angeklagten – vor ihm etwas passiere. M. D. teilt ihr sodannmit, dass sie – die Angeklagte – natürlich wieder heiraten solle, wenn ihm etwas zustoße. Gott möge sie – beide – am Ende belohnen und im Paradies vereinen. Sodann teilte er mit, dass er nach ihrer beider Gepäck geschaut habe, es aber wohl nach dem Training komme. Schließlich kündigte er an, dass sie am Samstag in den Irak fahren würden. Der Senat hat den Inhalt der Briefe durch Verlesen der deutschsprachigen Textanteile in die Hauptverhandlung eingeführt. Parallel dazu hat der Senat die türkischsprachigen Textan-
210teile durch die Sprachsachverständige G., eine durch das OLG Düsseldorf ermäch-tigte Übersetzerin und beeidigte Dolmetscherin für die türkische Sprache, in der Hauptverhandlung übersetzen lassen.
2112. Die Feststellungen in Hinblick auf die Schleusung in das Gebiet des IS sowie deren Vorbereitung und Organisation beruhen zum einen auf den Angaben der Angeklagten in der Hauptverhandlung und ergänzend auf ihren Angaben im Rahmen der Anhörung vom 13. Juli 2018, wobei die jeweils gemachten Angaben miteinander korrespondieren bzw. sich widerspruchsfrei ergänzen. Das gilt auch für die Zeit im Frauenhaus in Mossul sowie die Zuweisung zu einer tschetschenischen Katiba in Mossul nebst Wohnung.
212Soweit der Senat Feststellungen zu Frauenhäusern im Gebiet des IS getroffen hat, beruhen diese zum einen auf den Angaben der Angeklagten selbst als auch der Zeugin A. L..Beide haben geschildert, dass dort Frauen untergebracht waren, die entweder nicht verheiratet waren und nach einem Ehemann suchten, oder solche, die darauf warteten, von ihren nach islamischem Recht angetrauten Ehemännern abgeholt zu werden, damit sie mit ihnen in einem Haus oder einer Wohnung zusammenleben. Den religiösen Hintergrund und die Funktion der Frauenhäuser hat der Sachverständige Dr. S. darüberhinausgehend nachvollziehbar erläutert. Die Feststellungen zu den Propagandamaßnahmen des IS in den Frauenhäusern beruhen auf den uneingeschränkt glaubhaften Angaben der Zeugin A. L., die sehr eindrucksvoll geschildert hat, dass in unterschiedlichenFrauenhäusern, in denen sie selbst untergebracht gewesen sei, Hinrichtungsvideos und Köpfungsvideos – teilweise in Endlosschleife – vorgeführt worden seien. Dabei hat sie auch von dem Video berichtet, auf dem zu sehen ist, wie ein jordanischer Pilot in einem Käfig verbrannt worden sei. Viele Frauen hätten diese Videos mit ihren Kindern angesehen und lautstark bejubelt, was bei ihr Abscheu erregt habe.
213Die Entlohnung der Katiba-Mitglieder sowie die Service-Leitungen durch die Katiba hat die Angeklagte im Rahmen der Hauptverhandlung nicht geschildert, weil sie – wie an anderen Stellen auch – bemüht war, zu vermitteln, dass sie und M. D. andere Vorstel-lungen von einem Leben im Kalifatstaat gehabt hätten und sie durch die Umstände gezwungen gewesen seien, sich einzufügen. Diese Feststellungen beruhen daher auf den Angaben der Angeklagten im Rahmen ihrer Anhörung vom 13. Juli 2018, die der Senat – auch in Hinblick auf die spätere Reduzierung des Soldes – für glaubhaft hält, weil sie nach den überzeugenden Angaben des Sachverständigen Dr. S. den Verhältnis-sen im Kalifatstaat entsprechen. Die Beteiligung an Kampfeinsätzen des M. D. vonMossul aus, insbesondere in Bejih, hat die Angeklagte in der Hauptverhandlung und in ihrer Anhörung vom 13. Juli 2018 geschildert. Ihr Mann sei annähernd 40 Tage in Bejih gewesen und habe eine Öl-Raffinerie bewacht. Dabei seien die Stellungen des IS dort sehr massiven Luftangriffen ausgesetzt gewesen. Den Namen der tschetschenischen Katiba hat die Angeklagte ebenfalls im Rahmen ihrer Anhörung vom 13. Juli 2018 angegeben. Die Hintergründe für die Bemühungen M. D.s um eine Versetzung nach Tal Afarhat die Angeklagte in der Hauptverhandlung sowie in ihrer Anhörung wie festgestellt geschildert.
214Die Eingliederung der Angeklagten in die terroristische Vereinigung Islamischer Staat und ihre mitgliedschaftliche Beteiligung ergeben sich auch aus dem von ihr selbst mehrfach im Rahmen ihrer Anhörung vom 13. Juli 2018 beschriebenen Umstand, dass sie – die Angeklagte – als ausländische Einwanderin, aber erst recht als Ehefrau eines ausländischen Kämpfers von der Zivilbevölkerung in den vom IS besetzten Gebieten als dem IS zugehörig angesehen wurde.
215IV. Zur mitgliedschaftlichen Beteiligung ab September 2015, Kriegsverbrechen gegen Eigentum
2161. Die Angeklagte hat – wie festgestellt – die Hintergründe für sowie die BemühungenM. D.s um eine Verlegung von Mossul nach Tal Afar geschildert. Sodann hat sie berich-tet, dass M. D. zunächst für etwa 10 Tage in einer usbekischen Katiba tätig gewesen seiund dann zu einer türkischen Katiba habe wechseln können. Sie hat die objektiven Umstände der Zuweisung des Hauses ebenfalls wie festgestellt geschildert, dabei aber den schlechten Zustand des Hauses gegenüber ihren Angaben in der Anhörung vom 13. Juli 2018 nochmals dramatisch schlechter dargestellt. Bei ihrem Einzug habe sie nicht gewusst, dass in dem Haus zuvor Schiiten gewohnt hätten, und sie gehe auch nicht davon aus, dass das der Fall gewesen sei. Sie habe – nachdem sie bereits bei Nachbarn untergekommen sei – gegenüber Frauen in dem Dorf erzählt, es habe so ausgesehen, dass Wände verbrannt worden seien, mit schwarzer Spraydose seien Symbole an die Wand gesprüht. Zwischen manchen der Steine der Mauer, mit der das Haus umrandet gewesen sei, hätten kleine Zettelchen gesteckt, Da seien Haare zu einem Knoten oder Zopf geflochten gewesen und irgendwelche Symbole seien darin gewesen. Die Frauen aus der Katiba hätten ihr gesagt, dass das in vielen Häusern sei. Eine einheimische Turkmenin, die auch mit den Frauen der Katiba zusammen gesessen habe, habe daraufhin erzählt, dass hier vorher Schiiten gelebt hätten, eine schiitische Miliz. Diese Leute hätten viel schwarze Magie gemacht. Man finde hier in allen Häusern schwarze Magie – Puppen mit viel Blut und irgendwelche komischen Symbole. Daher glaube sie – die Angeklagte –, dass noch nicht einmal Schiiten in dem Haus gelebt hätten, sondern irgendwelche Leute hätten sich dort aufgehalten, um irgendwelche schwarz-magischen Rituale zu machen.
217Insgesamt habe sie nur 14 oder 15 Tage in dem Haus gelebt. Ihr Mann habe bereits nach etwa 10 Tagen Wachdienst verrichten müssen und sei lange Zeit nicht mehr zurückgekommen. Nachdem ihr Mann nicht mehr vor Ort gewesen sei, habe sie nach einigen Tagen bei einer anderen Familie gewohnt. Seitdem habe sie – bis zur Rückkehr ihres Mannes - bei anderen Familien im jeweiligen Nebenhaus gelebt, weil die Zustände in dem von ihr so bezeichneten Horrorhaus unzumutbar gewesen seien. Ihr Mann M. D. sei am1. oder 2. Dezember 2015 kurz in das Dorf zurückgekehrt. Am Tag seiner Rückkehr habe er ihr gestattet, nach Mossul zurückzukehren, und habe organisiert, dass sie und Y. S.mit einem Krankentransport noch am gleichen Tag nach Mossul hätten fahren können. Das Haus habe sie sich nicht angeeignet. Sie habe es aufgrund seines Zustandes nicht haben wollen. Es sei unbewohnbar gewesen.
2182. Den Namen des Dorfes hat die Angeklagte wie festgestellt angegeben und dabei geschildert, dass es sich um eine außerhalb des Stadtgebietes von Tal Afar gelegene Siedlung gehandelt habe. Sie hat auf Vorhalt eines durch den Sachverständigen Dr. S.recherchierten und in der Hauptverhandlung erläuterten Videos über Hassan Qoi als Stadtteil von Tal Afar, der im Nordosten der Stadt gelegen ist, erklärt, dass sie dort nicht gelebt habe, weil die Siedlung zu städtisch sei.
2193. Der Senat ist entgegen der Einlassung der Angeklagten in der Hauptverhandlung davon überzeugt, dass es sich bei dem von der Angeklagten bewohnten Haus um das ehemalige Haus schiitischer Militärangehöriger gehandelt hat, denn dies ergibt sich aus der Anhörung der Angeklagten durch BKA-Beamte am 13. Juli 2018. Nachdem sie am Anfang dieser Anhörung von sich aus geschildert hatte, dass es sich um ein Dorf gehandelt habe, von dem sie glaube, dass dort vorher Schiiten – Beamte vom Militär – gewohnt hätten, die dann geflüchtet seien oder hätten flüchten müssen, hat sie zu einem weiter fortgeschrittenen Zeitpunkt der Anhörung auf näher erläuterte Nachfrage, wie es sich für sie – die Angeklagte – anfühle, in einem Haus gewohnt zu haben, in dem zuvor Schiiten gewohnt hätten, die vertrieben worden seien, angegeben, es habe christliche Familien gegeben, die als Anhänger einer Buchreligion bei Beachtung ihrer Rechte und Pflichten im Islamischen Staat gelebt hätten. Schiiten hätten nicht dazugehört. Die Leute seien alle vom Militär gewesen. Es habe 2004 und 2007 Gewalttaten gegen Sunniten in Tal Afar gegeben. Es seien sunnitische Familien vertrieben worden, Sunniten seien gefoltert und sunnitische Frauen vergewaltigt worden. Es habe sie nicht traurig gemacht, weil es sich bei den schiitischen Familien, die vor dem IS geflohen seien, um Familien von Generälen bzw. Soldaten gehandelt habe.
220Hieraus zieht der Senat den sicheren Schluss, dass sich das von der Angeklagten und M. D. genutzte Haus zuvor im Eigentum einer Familie von schiitischen Militärangehöri-gen befunden hat. Die Überzeugungsbildung beruht auch darauf, dass die Angeklagte noch während der Fragestellung durch die Zeugin KHK’in K. eine zustimmende Be-merkung gemacht hat, als ihr vorgehalten wurde, sie habe in einem Haus gewohnt, dass zuvor von Schiiten bewohnt gewesen sei. Der Senat hat diese auf der Tonbandaufnahme der Anhörung befindliche Bemerkung nebst Fragetext der Zeugin KHK’in K. durchVorspielen vorgehalten, die auf Nachfrage bestätigt hat, dass die Bemerkung von der Angeklagten stamme. Unabhängig davon hätte es sehr nahegelegen, anzugeben, dass sie nicht wisse, wer zuvor in Haus gelebt habe, wenn die Angeklagte – wie sie es in der Hauptverhandlung erklärt hat – davon ausgegangen ist, dass noch nicht einmal Schiiten in dem Haus gelebt hätten.
221Der Senat ist davon überzeugt, dass die Angabe der Angeklagten, es habe sich um ein Haus gehandelt, in dem zuvor Schiiten gelebt hätten, in der Sache zutreffend ist und dem sicheren Kenntnisstand der Angeklagten entspricht. Soweit die Angeklagte im Rahmen ihrer Einlassung versucht hat, dies in Abrede zu stellen bzw. ihre Erkenntnisquelle unseriös erscheinen zu lassen, handelt es sich – wie in vielen bereits bzw. noch im Folgenden dargestellten Fällen – um den Versuch, sich in einem möglichst günstigem Licht darzustellen, die Tatvorwürfe wahrheitswidrig zu entkräften und möglichst belastende eigene Angaben in der Anhörung vom 13. Juli 2018 zu relativieren bzw. diese als Ergebnis einer verkürzten oder missverständlichen Äußerung darzustellen. Angesichts der durch nichts in Zweifel gezogenen Prämisse der dargestellten Frage in der Anhörung vom 13. Juli 2018, die durch die Bemerkung der Angeklagten noch bestätigt worden ist, ist der Senat davon überzeugt, dass die Angeklagte – gegebenenfalls aus anderen Erkenntnisquellen – sicher wusste, dass in dem ihr zugewiesenen Haus zuvor geflüchtete oder vertriebene Schiiten gelebt haben, sei es, dass sie es über ihren Mann als Mitglied der türkischen Katiba oder von anderen – ggfs. auch einheimischen turkmenischen Dorfbewohnern erfahren hat.
222Unabhängig davon beziehen sich die von der Angeklagten wiedergegebenen Äußerungen in Bezug auf okkulte Handlungen von schiitischen Militärangehörigen konkret auch auf das der Angeklagten zugewiesene Haus. Zudem fügen sich die von der Angeklagten parallel dazu wiedergegebenen Umstände widerspruchslos in das Gesamtgeschehen des Vorgehens des IS in den von ihm eroberten Gebieten ein. So hat die Angeklagte, die offenkundig mit dem Zustand des Hauses unzufrieden war, in der Hauptverhandlung ebenfalls angegeben, dass eine weitere Frau auf ihre Beschwerden über das Haus mitgeteilt habe, dass sie – die Frau – bereits länger als ein Jahr vor Ort in dem Dorf lebe und in dieser Zeit niemand in das leerstehende Haus habe einziehen wollen. Das korrespondiert in zeitlicher Hinsicht mit den Geländegewinnen des IS. So brachte der IS Tal Afar – wie festgestellt – am 16. Juni 2014 unter seine Kontrolle. Berücksichtigt man, dass das Gespräch frühestens nach Mitte September 2015 stattgefunden haben kann, erscheinen diese Angaben plausibel – auch in Hinblick auf die Einlassung der Angeklagten zum verwilderten Garten, in dem Gräser annähernd mannshoch gewesen seien. Zudem war das Haus, in dem die Angeklagte wohnte, nach den Bekundungen der Angeklagten im Rahmen ihrer Anhörung am 13. Juli 2018 „eigentlich ein schönes und modernes“ Haus. Zum Dorf hat sie ihm Rahmen der Anhörung vom 13. Juli 2018 angegeben, neben heruntergekommenen Häusern habe es auch schöne Häuser gegeben, sie – die Angeklagte und M. D. – hätten dagegen ein Horrorhaus gehabt. In der Hauptverhandlung hat sie stattvon heruntergekommenen Häusern von „Lehmhütten“ gesprochen.
223Dies macht für den Senat plausibel, dass dort Personen lebten, die sich erst später in dem durch „Lehmhütten“ bzw. „heruntergekommene Häusern“ geprägten Dorf angesiedelt haben, das nach Schilderung der Angeklagten in der Hauptverhandlung ursprünglich sunnitisch geprägt gewesen sei und im Zentrum über eine sunnitische Moschee mit türkisch-osmanischer Architektur verfügt habe, an die das ihr und M. D. zugewiesene Hausangebaut gewesen sei. Die Zugezogenen können aus Sicht des Senats vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung nur schiitische Militärangehörige gewesen sein, die durch die irakische Regierung unter Maliki gefördert worden sind, wovon die Sachverständige Dr. K. nachvollziehbar berichtet hat. Nach den überzeugenden und nach-vollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. handele es sich bei TalAfar um die wichtigste turkmenische Stadt im Irak. Die Turkmenen seien Türken, die nicht in der Türkei lebten und eine dem in der Türkei gesprochenen Türkisch sehr ähnliche Sprache benutzten. Der Anteil der turkmenischen Bevölkerung habe in Tal Afar einen hohen Anteil an Schiiten aufgewiesen, der nach wechselnden Angaben zwischen 30 und 50 Prozent gelegen habe. Nach 2003 hätten sich die religiösen Spannungen verschärft, zunächst zu Lasten der Schiiten, weil sich im Jahr 2004 die Präsenz und Aktivität jihadistischer Gruppierungen – darunter auch Al-Qaida – erhöht habe mit Schusswaffenangriffen auf Sicherheitskräfte und Zivilisten. Dabei soll es auch zum Mörserbeschuss von Fußballplätzen schiitischer Kinder gekommen sein. Schon in dieser Zeit hätten Schiiten Tal Afar verlassen. In Reaktion hierauf hätten noch im Jahr 2004 amerikanischen Truppen und irakisches Militär eingegriffen. Jedoch seien die jihadistischen Gruppierungen im Jahr 2005 wieder stärker geworden, was wiederum zu einem stärkeren Eingreifen der US-Armee geführt habe, die ab 2006 eine neue Strategie der Aufstandsbekämpfung durch mehr Soldatenpräsenz in der Fläche entwickelt und in Tal Afar erprobt habe. Hintergrund für die jihadistischen Aktivitäten gerade in dieser Region sei gewesen, dass nach den sachkundigen Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. die lokale Bevölkerungin der irakischen Al-Qaida vertreten gewesen sei und es konkrete Hinweise darauf gebe, dass sehr viele Turkmenen aus Tal Afar bis in die Führung des IS aufgestiegen seien. So stamme etwa die Nr. 2 der Organisation in den Jahren 2014/2015 Abu Muslim at Turkmani aus Tal Afar. Die amerikanische Armee habe in Umsetzung ihrer Strategie versucht, irakische Sicherheitskräfte auszubilden und vor Ort in die Positionen zu bringen. Der Versuch, den Bruch zwischen dem gemischt konfessionellen Militär und der stark schiitisch geprägten Polizei zu überbrücken, sei letztlich im Jahr 2007 gescheitert, nachdem die amerikanischen Truppen reduziert worden seien. Es sei zu beobachten gewesen, dass die Polizeikräfte von schiitischen Milizen unterwandert worden seien. Dies sei nach zwei aufsehenerregenden Autobombenanschlägen in schiitischen Vierteln in Tal Afar am 27. März 2007 deutlich geworden, bei denen bis zu 150 Menschen gestorben seien. In Reaktion auf diesen Anschlag hätten sich unter Beteiligung schiitischer Polizei schiitische Gruppen gebildet, die Sunniten gezielt getötet hätten. Ob dabei auch Frauen und Kinder getötet worden seien, sei im Irak immer umstritten. Es seien etwa 70 Menschen dabei gestorben, bis das irakische Militär interveniert habe und die Unruhen bis zum 29. März 2007 beendet habe.
224Dass es sich bei den von der türkischen Katiba in dem beschriebenen Dorf um Häuser in schiitischem Eigentum gehandelt hat, wird ferner bestätigt durch das – für das Gouvernement Ninawa – gut dokumentierte Vorgehen des IS in Bezug auf die staatliche Eigentumsordnung. So habe der IS in Mossul eine Registratur im Sinne eine Grundbuchregisters übernommen, in der erfasst gewesen sei, wem was gehört habe. Der IS habe so nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. K. festgestellt,wer Grundbesitz nach der Ideologie des IS zu Unrecht innegehabt habe. Nach ihren sachkundigen Ausführungen entspreche es der Art des IS, nach außen hin nach seinen Gesetzen legitim zu handeln, so dass der IS kein Enteignungssystem aufbauen würde, in dem völlig unklar sei, wem was gehöre, weil dann die Gefahr bestünde, Sunniten zu enteignen. Daher habe der IS mit der Registratur ein legales Verfahren vorgespiegelt bzw. zumindest nach außen aufrechterhalten. Auf dieser Grundlage habe der IS beispielsweise christliche Hausbesitzer enteignet und den Mietern gesagt, die Miete werde ab jetzt an den IS gezahlt. Es habe hierzu sehr viele Akten gegeben, die den bürokratischen und systematischen Charakter der Enteignung zeigten. Es habe eine systematischen Erfassung von Besitz zum Zwecke der Enteignung gegeben und in der Regel seien diese Gegenstände, Grundstücke, Wohnungen oder Häuser an IS-Kämpfer und ihre Familien weitergegeben worden. Dies seien die am meisten dokumentierten Fälle. Sämtliche Arten von Privateigentum von Geflohenen seien vom IS geplündert und konfisziert worden, wobei die aufgefundenen Berichte bis zum Essbesteck reichten. Nach einem Bericht der New York Times habe der IS einen „Divan für Eigentum“ gegründet, der neben der Verpachtung von Land- und Staatsbesitz an Sunniten auch zuständig gewesen sei für die Verwertung von konfisziertem Besitz von Schiiten, Abtrünnigen, Christen, Alawiten und Jesiden. Dies ergebe sich aus einem Memorandum des IS, das den Rechercheuren der New York Times zugänglich gewesen sei. Nach Einschätzung der UN habe man die ursprünglichen Register zur Auflistung von Eigentum und Besitz der Nicht-Sunniten genutzt, um Eigentum zu konfiszieren, und habe dann die Register zerstört. Neben Landbesitz habe der IS auch Häuser und Wohnungen und Einrichtungsgegenstände konfisziert. Die beweglichen Gegenstände habe der IS gelagert und an IS-Kämpfer und ihre Familien verschenkt. Im Februar 2015 habe der IS in Mossul den Markt „Spoils of the Nazarenes“ eingerichtet und Beute von Christen veräußert. Dies ergebe sich aus entsprechenden Medienberichten. Wohnungen und Häuser seien zu niedrigen Raten weitervermietet oder verkauft worden. Besonders hochwertige Immobilien seien in den Besitz von hochrangigen IS-Kommandeuren sowie ausländischen Kämpfern und ihren Familien übergegangen. Hierdurch habe der IS ausländischen Kämpfern kostenlosen Wohnraum als Entlohnungsbestandteil anbieten können. Dies werde etwa recht eindrücklich durch den von französischen Sicherheitsbehörden sichergestellten Email-Aus-tausch zwischen K. H., der Frau von Samy Amimour, einem der Attentätervon Paris 2015, und ihrer Lehrerin in Frankreich dargestellt. Dort habe K. H. geschrie-ben, dass sie in Mossul sei, wo es wirklich bestens sei. Sie habe ein komplett möbliertes Appartement und müsse keine Miete, Strom oder Wasser bezahlen. Das sei das gute Leben. Auf die Nachfrage der Lehrerin, ob die Wohnung nicht wahrscheinlich einer anderen Familie gehört habe, habe K. H. geantwortete, dass das den dreckigen Schiitenganz recht geschehe, was eine ähnliche Einstellung offenbart, wie sie auch bei der Angeklagten vorliegt.
225Dass das der Angeklagten und M. D. zugewiesene Haus – anders als die Häuser, dieanderen Mitgliedern der türkischen Katiba zugewiesen worden sind – im Bereich des Bades erheblich beschädigt war und Unrat enthielt, spricht dafür, dass dieses Haus einem hochrangigen schiitischen Angehörigen des irakischen Militärs gehört hat. Nach den plausiblen und durch Beispiele untermauerten Ausführungen der Sachverständigen Dr. K.hat der IS in den eroberten Gebieten Einrichtungen der früheren staatlichen Ordnungaus Gründen der Symbolik, dass nun etwas neues beginne, zerstört. So hat sie etwa von der Sprengung von Polizeistationen in Mossul berichtet sowie von der Sprengung von sechs Häusern in Tal Afar, die Richtern gehört hätten. Die Einschätzung wird bestätigt durch den von der Angeklagten geschilderten Umstand, dass der IS eine schiitischeMoschee in dem Dorf gesprengt habe.
2264. Schließlich hat die Angeklagte nach Überzeugung des Senats deutlich länger als die behaupteten 14 oder 15 Tage in dem zugewiesenen Haus gewohnt. Die hierzu getroffenen Feststellungen beruhen auf folgenden Schlussfolgerungen: Die Angeklagte hat im Rahmen ihrer Anhörung am 13. Juli 2018 – wie festgestellt – angegeben, dass sie Ende August 2015 mit M. D. von Mossul nach Tal Afar gefahren sei und M. D. zunächst ineiner usbekischen Katiba gewesen sei. Nach etwa 10 Tagen – der Senat geht zur Sicherheit von Mitte September 2015 aus – habe M. D. in eine türkische Katiba wechseln kön-nen. Er habe sie, Y. S. und das Gepäck mit einem LKW und einem türkischen Fahreraus der Katiba in das neue Dorf gefahren und man habe ihnen das besagte „Horrorhaus“ zur Verfügung gestellt, das M. D. 10 Tage habe herrichten können.
227Wenn die Angeklagte sodann in der Hauptverhandlung geschildert hat, dass M. D. am1. oder 2. Dezember 2015 zurückgekehrt sei, lässt sich das nicht in Einklang bringen mit den sonstigen Angaben der Angeklagten außerhalb der Hauptverhandlung. Sowohl in der Hauptverhandlung als auch im Rahmen der Anhörung am 13. Juli 2018 hat die Angeklagte von einer sehr langen Abwesenheit des M. D. gesprochen. Indes hat sie diesein der Hauptverhandlung dahin geschildert, dass M. D. nach 10 Tagen gegangen sei undsodann am 1. oder 2. Dezember 2015 zurückgekehrt sei. Ausgehend von einer Ankunft Mitte September 2015 würde es sich um eine Abwesenheit von mindestens 2 Monaten handeln. Demgegenüber hat die Angeklagte im Rahmen ihrer Anhörung am 13. Juli 2018 betont, ihr Mann sei nach 40 Tagen für kurze Zeit – 2 Stunden – zurückgekehrt und hat dies in einen religiösen Zusammenhang eingebettet. Es gebe nämlich eine Prophetenüberlieferung, dass eine Wache nicht länger als 40 Tage dauern dürfe. Daher geht der Senat davon aus, dass die Angeklagte mindestens von Mitte September bis zum 21. Oktober 2015 in dem Haus gewohnt hat und sich möglicherweise erst anschließend überwiegend bei Nachbarfamilien aus der türkischen Katiba aufgehalten hat.
228Dabei hält der Senat die Angaben der Angeklagte betreffend die Rückkehr des M. D.Anfang Dezember 2015 und ihre Abreise am gleichen Tag nach Mossul für glaubhaft. Denn diese Angaben korrespondieren mit Angaben der Angeklagten aus der Anhörung von 13. Juli 2018 sowie einer E-Mail der Angeklagten an den Zeugen KHK T. vom9. März 2018, die der Senat im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt hat. In der Anhörung hat sie angegeben, dass M. D. ihr nach Mossul eineNachricht geschickt habe, dass er am 19. Dezember 2015 vom Dienst zurückkomme, jedoch sei er ein oder zwei Tage zuvor gestorben. Die Nachricht von seinem Tode habe sie etwa drei Tage nach seinem Tod erhalten. Dies und die Angaben zur Abreise nach Mossul korrespondieren mit ihrer Angabe, sie – die Angeklagte und Y. S. – seien 20Tage in Mossul gewesen, als ihr die Nachricht überbracht worden sei, dass M. D. durcheinen gezielten Drohnenangriff getötet worden sei. Tatsächlich liegt es für den Senat sehr nahe, dass die Angeklagte die gesamte Zeit ihres Aufenthalts in Tal Afar in dem von ihr so genannten „Horrorhaus“ verbracht hat. So hat sie sich im Rahmen ihrer Anhörung am 13. Juli 2018 darüber beklagt, dass sie sich in Tal Afar sehr unwohl gefühlt habe, zum einen wegen des sogenannten „Horrorhauses“, zum anderen weil die Türken der Katiba sehr nationalistisch gewesen seien. Sie habe erst Wochen später jemanden kennengelernt, denn man habe sie total allein gelassen. Die Türken aus der Katiba ihres Mannes seien alle aus dem gleichen Ort – Konja – aus der Türkei gekommen. Dabei habe es sich um eine religiöse Gemeinschaft mit einem Hodja gehandelt. Diese Angaben der Angeklagten, die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht darauf gerichtet waren, eine Strafbarkeit nach § 9 Abs. 1 VStGB zu vermeiden, legen neben dem Umstand, dass die Angeklagte jedenfalls noch nicht nach 15 Tagen das von ihr sog. „Horrorhaus“ verlassen hat, nahe, dass die Angeklagte gar nicht zu Nachbarn gezogen ist, zumal sie im Rahmen der Anhörung vom 13. Juli 2018 ihren Wunsch, nach Mossul zu gehen, primär mit der unfreundlichen Atmosphäre im Dorf begründete. Denn in Mossul hätten sie dagegen sehr sehr nette irakische Nachbarn und Y. S. habe ganz viele irakische Freunde gehabt. Sie hättenbis zur der nächsten Rückkehr M. D.s, der ja am 1. oder 2. Dezember 2015 nur für 2Stunden von seinem Einsatz in das Dorf gekommen sei, in Mossul bleiben wollen, weil sie – die Angeklagte – es dort im Dorf nicht mehr allein ausgehalten habe.
2295. Dass das der Angeklagte zugewiesene Haus bei weitem nicht den desolaten Zustand aufgewiesen hat, wie sie es in der Hauptverhandlung versucht hat, glauben zu machen, ergibt sich ebenfalls aus ihren Angaben vom 13. Juli 2018. Dort hat die Angeklagte von sich aus geschildert, dass es sich um ein kleines Dörfchen mit heruntergekommenen Häusern gehandelt habe. Sie glaube, da hätten vorher Schiiten gewohnt - Beamte vom Militär, die dann geflüchtet seien oder hätten flüchten müssen. Teilweise seien es schöne Häuser gewesen, aber sie hätten so ein Horrorhaus gehabt. Es sei schlimm gewesen, nichts habe funktioniert. Sie hätten nichts bekommen. Normalerweise sei es immer so, dass Leute, also Emire vom IS in den besten Villen gelebt hätten, in ganz tollen Häusern, wovon sie selbst manchmal überrascht gewesen sei. Sie hätten sich vieles selbst gekauft, sogar den Topf, die Kissen, Bettwäsche – alles hätten sie selbst gekauft. M. D. habedann zehn Tage Zeit gehabt, die Wohnung einzurichten und irgendwo Sachen zu finden. Dann sei er zum Ribat geschickt worden, auf den Wachposten – wo er nicht gekämpft habe. Auf Nachfrage hat sie dann in der Anhörung erklärt, dass es eigentlich ein sehr schönes Haus gewesen sei, ein modernes Haus eigentlich, jedoch sei alles kaputt gewesen, überall sei Müll gewesen, Ratten, Mäuse, Spinnen und Skorpione. Eine Toilette habe es im Garten gegeben, die jedoch kein Dach gehabt habe.
230Auf der Grundlage dieser Angaben ist der Senat davon überzeugt, dass in dem Haus das Bad nicht funktionsfähig gewesen ist und das Haus nach einem längeren – etwa ein Jahr dauernden Leerstand – gesäubert und hergerichtet werden musste. Dass das Haus – wie in der Hauptverhandlung angegeben – über keine Strom- und Wasserversorgung verfügt habe, hat die Angeklagte im Rahmen ihrer Anhörung am 13. Juli 2018 nicht berichtet. Vielmehr hat sie sich – wie dargestellt – über die schlechte Behandlung durch den IS bzw. die Katiba-Führung beklagt, da Emire normalerweise in den besten Villen gelebt hätten und sie offensichtlich der Auffassung war, das stehe ihr auch zu. Damit korrespondiert, dass die Angeklagte im Rahmen ihrer Anhörung vom 13. Juli 2018 vor dem Hintergrund der Tötung M. D.s durch einen Drohnenangriff auf Nachfrage, ob M. D. eine wich-tige Person im Islamischen Staat gewesen sei, angegeben hat, er könne möglicherweise ein Emir nicht im Sinne eines Geschäftsführers, sondern eines Vorarbeiters geworden sein.
2316. Die Feststellungen zum Zeitpunkt des Todes M. D.s beruhen – wie ausgeführt – aufden Angaben der Angeklagten im Rahmen der Anhörung am 13. Juli 2018. Die Rückreise nach Tal Afar in das Dorf hat die Angeklagte in der Hauptverhandlung wie festgestellt geschildert und auch angegeben, dass sie noch ihre Sachen sowie einige Sachen M. D.smitgenommen habe. Ebenso hat sie geschildert, von der Katiba 1000 Dollar in Hinblick auf den Tod M. D.s erhalten zu haben. Diese habe sie angenommen, weil sie nur nochwenig Geld gehabt habe.
2327. Dass M. D. entgegen den Angaben der Angeklagten in der türkischen Katiba nichtlediglich Wachdienste ohne Kampfeinsätze geleistet hat, sondern an Einsätzen beteiligt war, die zumindest auf den unmittelbaren Kampfeinsatz gerichtet waren, kann zum einen aus ihren eigenen Angaben geschlossen werden, und ergibt sich zum anderen aus der in den Feststellungen bereits dargestellten Lage Tal Afars in der Nähe der Grenze zu den kurdisch beherrschten Gebieten im Norden. So folgt bereits aus dem von der Angeklagten benutzten Begriff des „Ribat“, dass es sich nicht um einen einfachen Wachdienst handelt. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. S.weise dieser Begriff aus koranischer Zeit auf Posten an den Grenzen der islamischen Expansion hin. Aus der Grenzsicherungsfunktion folge, dass es dort jederzeit zum Kampfeinsatz kommen könne. Der Unterschied zu einem gezielt gerichteten Kampfeinsatz bestehe dahin, dass die Leute beim Ribat nicht zu einem konkreten Angriff gerufen würden, jedoch müsse man im Bereich Tal Afar, wo es um die Sicherung der nahegelegenen Grenze zu den Kurden gegangen sei, jederzeit mit einem Angriff rechnen. Dass diese Einschätzung in Hinblick auf den militärischen Druck der Kurden zutreffend ist, ergibt sich aus der Schilderung der Angeklagten, wonach M. D. sogleich nach 10 Tagenweggeschickt worden sei und während der langen Zeit der Abwesenheit M. D.s – nachden Feststellungen des Senats 40 Tage bis zum 1. Dezember 2015 – die Katiba alle Männer aus dem Dorf – einschließlich des Imams – in den Einsatz geschickt habe.
233V. Zum Beginn der Ausreisebemühungen und zur Ausreise aus dem Gebiet des IS
234Diese Feststellungen beruhen auf den Angaben der Angeklagten, die hinsichtlich der äußeren Abläufe für den Senat glaubhaft sind und von der Zeugin D. Ö. im Rahmen ihrerAussage vor dem Senat bestätigt wurden. Abweichend von den Angaben der Angeklagten, die den 20. Oktober 2016 genannt hat, hat der Senat indes den 23. Oktober 2016 als Datum der Einreise in die Türkei festgestellt. Dieses Datum ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Urteil des Schwurgerichts … gegen die Angeklagte auf der Grundlage einesBerichts der Zollbehörde. Die Feststellungen bezüglich der Dauer der Ingewahrsamnahme in der Türkei beruhen ebenfalls auf den insoweit glaubhaften Angaben der Angeklagten. Soweit hinsichtlich der Angeklagten in dem vorgenannten Urteil Haftzeiten von Anfang Februar 2017 bis Anfang Mai 2017 erwähnt werden, sind diese unzutreffend. Tatsächlich war nicht die Angeklagte, sondern die Zeugin D. Ö. in der Türkei in Haft. DieAngeklagte hat lediglich – auch auf Vorhalt der im Urteil angegeben Haftzeiten – die Ingewahrsamnahme unmittelbar nach der Einreise geschildert. Der Senat geht daher davon aus, dass es sich insoweit um eine Verwechselung gehandelt hat, zumal das Verfahren gegen beide – zumindest zeitweise – zusammen geführt worden ist, was sich aus der Schilderung des Verfahrensgangs in dem genannten Urteil ergibt.
235VI. Zu Straftaten außerhalb der Kognitionsflicht
236Soweit der Senat Feststellungen zu dem Schicksal des Sohnes der Angeklagten getroffen hat, beruhen diese ebenfalls auf den Angaben der Angeklagten. Sie hat schon in ihrer Anhörung am 13. Juli 2018 angegeben, dass sie Y. S. in Mossul nur kurz in die Schulegeschickt habe, weil sie Furcht vor Bomben oder Drohnen gehabt habe. Auch in Tal Afar habe sie ihn nach kurzer Zeit wieder aus der Schule geholt – aus Furcht vor Drohnen und Bomben. Im Übrigen hat die Angeklagte keinen Schulbesuch von Y. S. geschildert. Inmehreren an den Zeugen KHK T. gerichtete E-Mails, die der Senat im Wege desSelbstleserverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt hat, berichtete die Angeklagte davon, dass ihr Sohn in der Türkei nicht zu Schule gegangen sei, zuletzt in der E-Mail vom 25. September 2018. Die Kontakte von Y. S. zu der Person Abu I. hat dieAngeklagte sowohl in ihrer Anhörung vom 13. Juli 2018 als auch in der Hauptverhandlung geschildert. In der Zeit, in der sie im Jahr 2016 in Mossul in einer Ferienanlage gewohnt habe, sei Abu I. mit Y. S. und seinem eigenen kleinen Sohn auf Spielplätze, inden Zoo oder mal auf die Kirmes gegangen.
237Der Zeuge M.S. hat zum einen Verhaltensauffälligkeiten bei seinem Sohn geschildert unddarüber hinaus angegeben, dass es nach den ihm bekannten Berichten zu einem Missbrauch von Y. S. – wie dargestellt – gekommen sei. In gleicher Weise hat er auch denVerdacht von Therapeuten des Jungen zu möglichen früheren Missbrauchsvorfällen geschildert.
238VII. Zur subjektiven Tatseite
2391. Die subjektive Tatseite zur Eingliederung und mitgliedschaftlichen Beteiligung der Angeklagten an der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ ergibt sich aus den objektiven Feststellungen, den hieraus gezogenen Schlüssen sowie den bereits oben im Rahmen der Beweiswürdigung zu den Punkten I. bis IV. dargestellten Umständen.
240An der beschriebenen Haltung zum Islamischen Staat und der Bereitschaft, M. D. als IS-Kämpfer ein Heim zu bereiten, hat sich auch bis zum Tode M. D.s nach Überzeugungdes Senats grundsätzlich nichts geändert, denn die Angeklagte hatte Tal Afar am 1. Dezember 2015 in erster Linie deshalb verlassen, um M. D. dazu zu bringen, sich um eineÄnderung der Verhältnisse zu kümmern, die – nachdem M. D. bereits in der dritten Ka-tiba Dienst tat – zumindest darin bestand, dass er sich um eine aus Sicht der Angeklagten für einen Emir angemessenere Unterkunft bemühte.
241Dementsprechend hat die Angeklagte in ihrer Anhörung am 13. Juli 2018 geschildert, dass der Tod M. D.s für sie sehr schlimm gewesen sei. In diesem Zusammenhang hatsie auch erwähnt, dass er sich für die Familie extra um ein neues Haus gekümmert und es bereits aufgeräumt habe, während sie – die Angeklagte – mit Y. S. in Mossul ge-wesen sei. Hierüber habe er sie – die Angeklagte – bereits vorab informiert und angekün-digt, dass er am 19. Dezember 2015 von seinem Dienst zurückkomme.
242Der Angeklagten war auch bewusst, dass der IS die Kämpferfamilien gezielt in den besetzten Gebieten angesiedelt hat und sie dort zur Festigung des Herrschaftsanspruchs beitragen sollten. So hat die Angeklagte in ihrer Anhörung geschildert, dass al Baghdadi die Einwanderungsströme gezielt steuerte – etwa nach Mossul. Dort habe es sodann nach der Schilderung der Angeklagten den Befehl an die Kämpfer gegeben – mithin auch an M. D. – auch außerhalb des Dienstes nur mit der Waffe rauszugehen, weil befürchtetworden sei, dass es unter der Bevölkerung von Mossul zu Aufständen kommen könne.
243Der Senat ist davon überzeugt, dass die Angeklagte frühestens nach dem Tode M. D.sihren weiteren Aufenthalt in Frage stellte. Dazu hat wahrscheinlich beigetragen, dass die Angeklagte gesundheitliche Probleme hatte und als Witwe auf Dauer gezwungen war, sich in ein Frauenhaus zu begeben und wieder hätte heiraten müssen. Zudem dürfte der Angeklagten klar gewesen sein, dass sie ohne Unterstützung eines Ehemannes immer größere Schwierigkeiten haben würde, ihren Sohn vor Gefahren zu bewahren, nachdem M. D. bereits im Kampf getötet worden war. Dies dürfte sich dann konkretisiert haben,als der Ehemann der Zeugin D. Ö., nach deren Schilderung und nach Schilderung derAngeklagten, im Frühjahr 2016 in Mossul als Spion festgenommen und später hingerichtet wurde, zumal die Angeklagte in ihrer Anhörung vom 13. Juli 2018 von einer entsprechenden Verhaftungswelle wegen des Verdachts der Spionage berichtete.
2442. Dass der Angeklagten bei der Inbesitznahme des Hauses in Hassan Qoi bei Tal Afar es mindestens für möglich hielt, dass das Haus zuvor geflohenen Schiiten gehört hatte, ergibt sich wiederum aus den objektiven Feststellungen, den hieraus gezogenen Schlüssen sowie den bereits oben im Rahmen der Beweiswürdigung zu den Punkten I. bis IV. dargestellten Umständen. Der Angeklagten war bekannt, dass die Schiiten - anders als Anhänger der anderen Buchreligionen, von denen sie jedoch nur die Christen nannte – nicht im Islamischen Staat leben können und fliehen müssen. Dies hat sie den Beamten des BKA am 13. Juli 2018 erklärt. Aus ihrer mit dem IS übereinstimmenden Ideologie sowie ihren weiteren Äußerungen ergibt sich zudem, dass sie die Vertreibung der Schiiten gutgeheißen hat ebenso die Vertreibung, Ermordung oder Versklavung weiterer Minderheiten wie diejenige der Jesiden. Angesichts des dementsprechenden Vorgehens des IS war der Angeklagten bewusst, dass die Häuser, die der IS seinen Kämpfern nebst Familien zugewiesen hat, eben jenen Personen aus den religiösen Gruppen der Schiiten oder Jesiden gehört haben, die vom IS vertrieben worden sind.
2453. Teil: Rechtliche Würdigung
246I. Die Angeklagte hat sich nach den Feststellungen durch die Inbesitznahme des Hauses in Tal Afar im Zeitraum von Mitte September 2015 bis Mitte Dezember 2015 gemäß § 9 Abs. 1 VStGB des Kriegsverbrechens gegen Eigentum in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß §§ 129b, 129a Abs. 1 Satz 1 StGB schuldig gemacht.
2471. a) Die Anwendbarkeit des VStGB auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt sich aus § 1 Abs. 1 VStGB. Der Senat bejaht auf der Grundlage der Feststellungen das Vorliegen eines bewaffneten Konflikt im Irak sowie im Gouvernement Ninawa, wobei der Senat für den hier interessierenden Zeitraum davon ausgeht, dass es sich trotz des Eingreifens einer internationalen Koalition noch um einen nichtinternationalen Konflikt im Irak handelt, da die internationalen Akteure sich auf Bitten und auf Seiten des Irak an dem Konflikt beteiligt haben.
248Zur Abgrenzung von bloßen inneren Unruhen, Spannungen, Tumulten sowie vereinzelt auftretenden Gewalttaten und ähnlichen Handlungen ist es erforderlich, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen ein bestimmtes Maß an Intensität überschreiten und die beteiligten nichtstaatlichen Gruppen ein Mindestmaß an Organisationsstruktur aufweisen. Nach den Feststellungen des Senats fanden jedenfalls im Jahr 2015 nicht nur im Gouvernement Ninawa, sondern im gesamten Land Kämpfe zwischen der irakischen Zentralregierung und oppositionellen bewaffneten Gruppierungen, insbesondere dem IS statt, bei denen die Regierung und die internationale Koalition – wie festgestellt – schwere Waffen wie Flugzeuge und Artillerie zur Unterstützung von Bodeneinheiten derPeschmerga und des irakischen Militär einsetzte. Der IS, der im Jahr 2014 erhebliche Geländegewinne realisierte, baute in dem von ihm besetzten Gebiet quasistaatliche Strukturen auf und er war ohne weiteres in der Lage, größere koordinierte Operationen durchzuführen. Darüber hinaus verfügte der IS über Ausbildungsstrukturen für Kämpfer. Ausmaß und Intensität des Konflikts haben vor dem Hintergrund der lang anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen, die kontinuierlich um ganz erhebliche Territorien des Irak geführt wurden, die Grenze zum bewaffneten Konflikt deutlich überschritten.
b) Die Inbesitznahme des Hauses ab Mitte September 2015 bis zum endgültigen Auszug um den 20. Dezember 2015 erfüllt die Voraussetzungen der Aneignung. Diese besteht in dem auf einen nicht unerheblichen Zeitraum angelegten Entzug einer Sache gegen oder ohne den Willen des Berechtigten und sie erfordert nicht, dass der Täter die Sache in sein Vermögen überführt oder zumindest den Vorsatz dazu hat (vgl. MüKoStGB/Ambos, 3. Aufl., § 9 VStGB Rn. 9; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 1314.). Die Inbesitznahme des Hauses durch die Angeklagte und M. D. war darauf angelegt, diesesden Berechtigten ohne deren Willen dauerhaft zu entziehen. Die Inbesitznahme ist auch nicht davon abhängig, ob das Haus durchgängig von der Angeklagten bewohnt war, denn sie hatte den Besitz erst nach dem Tode M. D.s durch Ausräumen ihrer Besitztümer nachaußen hin erkennbar aufgegeben. Die Berechtigten hatten das Haus nur deshalb aufgegeben, weil sie sich gezwungen gesehen hatten, vor den Truppen des „IS“ zu fliehen. In Hinblick auf die Aneignung des Hauses durch die Angeklagte und M. D. ist es ohne Be-lang, dass dieses zuvor durch den IS annektiert und unter seine Verfügungsgewalt gestellt worden war, denn der Begriff der Aneignung beschränkt sich nicht auf den Fall der ersten Inbesitznahme der Sache gegen oder ohne den Willen des Berechtigten, mit der Folge, dass auch nachfolgende Aneignungshandlungen von § 9 Abs. 1 VStGB erfasst werden (BGH, Beschluss vom 4. April 2019 – AK 12/19, NStZ-RR 2019, 229, 230).
250c) Bei dem Grundstück mit Haus und Garten handelte es sich ferner um eine Sache der gegnerischen Konfliktpartei, die der Gewalt der eigenen Partei, nämlich des „IS“, unterlag; dieser ist im Verhältnis zu der Zivilbevölkerung als Gegner anzusehen, erst recht im Verhältnis zum irakischen Staat und dessen Militär. Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Sache im Sinne von § 9 Abs. 1 VStGB der „gegnerischen Partei“ gehört, ist, ob die Opfer bei materieller Betrachtung der jeweiligen Gegenseite zuzurechnen sind. Der Konflikt war nach den Feststellungen dadurch geprägt, dass der IS bestrebt war, möglichst große Gebiete unter seine Kontrolle zu bringen, wobei die Organisation gezielt gegen Zivil- und andere Personen vorging, die sich nicht bedingungslos ihrer Ideologie anschlossen oder sich unterordneten. Betroffen hiervon waren insbesondere die Schiiten als Angehörige einer verfeindeten Religion, für die nur die Wahl blieb, getötet zu werden oder zu konvertieren. Die Flucht oder Vertreibung der Betroffenen begründet daher deren Gegnerschaft zum IS.
251d) Die Aneignung betraf auch Sachen in erheblichen Umfang. Bei der Auslegung dieses Merkmals ist zu berücksichtigen, dass nach der Gesetzesbegründung lediglich Bagatellfälle aus dem Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 VStGB ausgenommen werden sollten (BT-Drucks. 14/8524, S. 31; siehe auch MüKoStGB/Ambos, 3. Aufl., § 9 VStGB, Rn. 11). Im Rahmen der hierfür erforderlich Beurteilung sind die Umstände des Einzelfalles insgesamt zu werten, mithin u. a. der Wert des betroffenen Eigentums sowie die Schwere der Tatfolgen für die Berechtigten. Konkret ist hier zu berücksichtigen, dass Häuser regelmäßig einen hohen wirtschaftlichen Wert haben und für die Berechtigten zu den existenziellen Lebensgrundlagen gehören. Dabei hat der Senat auch gewertet, dass das Haus in keinem guten Zustand war. Anders als die Angeklagte jedoch glauben machen will, handelte es sich jedoch nicht um eine unbewohnbare Ruine. Darüber hinaus vermittelt die Vertreibung der Berechtigten bzw. deren Flucht aus Angst vor dem IS im Rahmen des bewaffneten Konflikts der Eigentumsverletzung als solche, aber auch der Intensivierung und Perpetuierung derselben durch die Angeklagte und M. D. eine die internatio-nale Gemeinschaft als Ganzes betreffende Unrechtsdimension.
252e) Die Inbesitznahme stand mit dem bewaffneten Konflikt in dem für die Tatbestandsverwirklichung erforderlichen funktionalen Zusammenhang, weil sie ohne den bewaffneten Konflikt in der Region nicht möglich gewesen wäre. Die endgültige Einziehung des privaten Eigentums Vertriebener bzw. Geflüchteter sowie die diese vertiefende Inbesitznahme durch die Angeklagte und M. D. findet völkerrechtlich weder eine Rechtfertigung noch istsie durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten.
f) Für die Angeklagte sind weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgründe ersichtlich. Die Angeklagte kann sich bei der Aneignung des Hauses bereits aus tatsächlichen Gründen nicht auf einen Nötigungsnotstand berufen: So ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Angeklagten der Besitz an dem Haus unter Zwang oder Drohung durch M. D. oder den „IS“ aufgenötigt und sie nur mit Rettungswillen dort eingezogenwäre. Vielmehr ergibt sich aus der früheren Anhörung der Angeklagten und aus den Angaben der Zeugin A. L. sowie der Sachverständigen Dr. K., dass der „IS“ nieman-den in seine Häuser hineinzwingt, sondern es handelte sich hierbei um eine Art „Serviceleistung“ des „IS“, die zugleich Teil der Entlohnung war. Tatsächlich bestand aber durchaus die Möglichkeit, privat etwas zu mieten, was auch die Angeklagte geäußert und nach dem Tode M. D.s auch umgesetzt hat. Die Angeklagte unterlag auch keinem vermeid-baren Verbotsirrtum nach § 17 Satz 1 StGB. Obschon die hier einschlägige Rechtsprechung zu § 9 Abs. 1 VStGB im Jahr 2015 noch nicht etabliert war, konnte die Angeklagte nicht davon ausgehen, dass die Inbesitznahme des Eigentums Vertriebener oder Geflüchteter, die aus Todesangst ihre Heimat verlassen hatten, erlaubt gewesen sein könnte.
2542. a) Die Anwendbarkeit der §§ 129a, 129b StGB ergibt sich aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Var. 2 StGB, da die Angeklagte deutsche Staatsangehörige ist. Sie hat sich mitgliedschaftlich an einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligt. Die Angeklagte hat sich in die Organisation eingegliedert und förderte die Vereinigung von innen her. Sie war nicht nur passives Mitglied; vielmehr verrichtete sie erhebliche vereinigungstypische Tätigkeiten für die Zwecke der Organisation. Die Inbesitznahme des vom „IS“ zugeteilten Hauses mit Garten, die Ausfluss der Mitgliedschaft der Angeklagten war, stellt eine aktive Förderungshandlung dar.
255Es entsprach dem Interesse des „IS“, dass zwei Angehörige der Vereinigung, darunter ein Kämpfer, das Haus unter Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht bezogen, gleichzeitig die Verdrängung der gegnerischen Partei angehörigen Personen festigten und hierdurch die tatsächliche Gebietsherrschaft des IS stützten. Darüber hinaus ist die Haushaltsführung hier als auf Dauer angelegtes vereinigungstypisches Verhalten zu bewerten. Es diente ersichtlich auch der Aufrechterhaltung von M. D.s Kampfbereitschaft, entsprachdem vom „IS“ propagierten Rollenverständnis unter den Geschlechtern und wurde wegen seiner Bedeutung für die Vereinigung eigens entlohnt. Darüber hinaus entspricht dieses Verhalten den ideologischen Anforderungen an die Frau eines Mujahids und gilt nach der bei der Angeklagten vorgefundenen Literatur als verdienstvoll.
256Die Angeklagte erfüllte nicht lediglich die "häuslichen Pflichten", die sich aus dem Zusammenleben mit ihrem Ehemann nach islamischen Ritus ergaben, sondern erbrachte hiermit auch Leistungen gegenüber dem „IS“.
257b) Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Straftaten der Angeklagten im Zusammenhang mit der Vereinigung des „ISIG“ und „IS“ hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz am 6. Januar 2014 beziehungsweise am 13. Oktober 2015 erteilt.
2584. Teil: Rechtsfolgenausspruch
2591. Der Senat hat die Strafe einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren entnommen, den sowohl § 129a Abs. 1 StGB als auch § 9 Abs. 1 VStGB vorsehen.
260Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat der Senat zu Gunsten der Angeklagten berücksichtigt, dass sie in Deutschland nicht vorbestraft ist und als Erstverbüßerin sowie aufgrund ihrer Erkrankungen in besonderer Weise haftempfindlich ist. Hierzu trägt auch bei, dass die Angeklagte weitgehend isoliert ist, da sich die Mitglieder ihrer Familie mit Ausnahme der Mutter von ihr abgewandt haben. Die Haft trennt sie zudem von ihrem Sohn, was die Angeklagte – wie mehrfach glaubhaft betont – als besonders belastend empfindet. Der Senat hat vor diesem Hintergrund und wegen des Versterbens ihres Vaters während der Untersuchungshaft auch den Vollzug der Haft zu ihren Gunsten gewertet, zumal es währenddessen zu einem mutmaßlichen Missbrauch ihres Sohnes gekommen ist. Der Senat hat darüber hinaus maßgeblich gewichtet, dass die Verurteilung der Angeklagten ganz wesentlich auf ihren Angaben in der Hauptverhandlung, ihren schriftlichen Äußerungen gegenüber deutschen Behörden sowie den Angaben im Rahmen ihrer Einvernahme am 13. Juli 2018 durch Beamte des Bundeskriminalamtes in Ankara beruht. Schließlich war das in Besitz genommenen Haus in einem schlechten Zustand und wurde von der Angeklagten und M. D. auf eigenen Kosten eingerichtet.
261Zu Lasten der Angeklagten war zu würdigen, dass der Verstoßt gegen § 9 VStGB zugleich eine nach §§ 129a, 129b StGB mitgliedschaftliche Beteiligungshandlung darstellte. Schließlich war in die Erwägungen einzustellen, dass es sich bei dem IS um eine besonders gefährliche terroristische Vereinigung handelt, die mit äußerster Brutalität gegen Gegner und unbeteiligte Dritte vorgeht. Dabei war die Mitwirkung der Angeklagten auch nicht nur von untergeordneter Bedeutung. Es war dem IS nach den getroffenen Feststellungen wichtig, seine insbesondere eingewanderten Kämpfer mit Ehefrauen zu verheiraten, die ihnen ein Heim bieten und die Kämpfer versorgen und dabei in den besetzten Gebieten die Herrschaft des IS durch Inbesitznahme von Immobilien festigen. Der Senat hat insoweit den gemäß § 154 StPO eingestellten Vorwurf der nicht gesondert strafbaren mitgliedschaftlichen Beteiligung am IS in Mossul im Zusammenhang mit der „Haushaltsführung“ während der Tätigkeit von M. D. in der tschetschenischen Katiba berücksichtigt,und dass sich die Angeklagte während ihrer Zeit im Frauenhaus für ihre Aufgaben bereitgehalten hat.
262Nach Abwägung aller für und gegen die Angeklagte sprechenden Umstände hielt der Senat eine Freiheitsstrafe von
263drei Jahren und neun Monaten
264für tatunrechts- und schuldangemessen.
2652. Hierauf ist die dreitägige Inhaftierung der Angeklagten in der Türkei gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 StGB ‒ nach pflichtgemäßem Ermessen im Maßstab 1 zu 2 ‒ anzurechnen, da sie anlässlich der Tat, die auch Gegenstand des hiesigen Verfahrens ist, erfolgte.
2665. Teil: Nebenentscheidungen
267Die Angeklagte hat gemäß § 465 Abs. 1 StPO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
268… |
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Ausgefertigt(…) Justizhauptsekretärinals Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle