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Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12.10.2018 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal geändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1) zu 2/3, der Kläger zu 2) zu 1/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe:
2A.
3Die Kläger leben seit mindestens 2004 in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, die Beklagte ist eine Steuerberatungsgesellschaft, die in der Rechtsform einer GmbH betrieben wird. Der Kläger zu 1., der eine Akademie für die Ausbildung und Fortbildung von Pharmazeuten betreibt, beauftragte die Beklagte mit der Erstellung der Einkommensteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 2002 – 2010. Der Kläger zu 2. ist als EU-Beamter tätig und in Deutschland nicht einkommensteuerpflichtig. Bei der Sortierung der steuerlich relevanten Unterlagen unterstützte den Kläger zu 1. dessen früherer Lebensgefährte, der erstinstanzlich vernommene Zeuge A., der diese gemeinsam mit der das Mandat neben dem Geschäftsführer der Beklagten B. betreuenden Zeugin C. in den Geschäftsräumen der Beklagten sichtete.
4Die Beklagte beantragte zunächst für den Kläger zu 1. die getrennte steuerliche Veranlagung. Nach Veröffentlichung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit der steuerlichen Zusammenveranlagung von eingetragenen Lebenspartnerschaften vom 07.05.2013 (Az.: 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06 u. 2 BvR 288/07) beantragte die Beklagte mit Schreiben vom 18.12.2013, GA Bl. 71, für die Kläger die gemeinsame steuerliche Veranlagung. Das Finanzamt folgte den gestellten Anträgen für die Jahre 2008 bis 2010. Für den vorhergehenden Zeitraum lehnte es die Anträge aufgrund der eingetretenen Festsetzungsverjährung ab. Die Kläger legten am 12.12.2014 Einspruch gegen die entsprechenden Bescheide ein, der später von ihnen zurückgenommen wurde.
5Die Parteien haben erstinstanzlich darüber gestritten, ob die Beklagte bereits zu dem Zeitpunkt der Übernahme des Mandats im Jahr 2004 Kenntnis von dem Bestehen der eingetragenen Lebenspartnerschaft der Kläger und deshalb Veranlassung hatte, trotz der entgegenstehenden Rechtslage für die Veranlagungszeiträume 2004 – 2008 ab dem 22.04.2008 vorsorglich eine steuerliche Zusammenveranlagung zu beantragen, gegen die eine solche versagenden Steuerbescheide Einspruch einzulegen oder die Kläger hinsichtlich der weiteren Vorgehensweise zumindest zu beraten. Die Kläger haben darüber hinaus behauptet, der Kläger zu 1. habe die Beklagte im Beisein des Zeugen A. sogar ausdrücklich mit der Einlegung von Rechtsbehelfen beauftragt.
6Die Kläger haben erstinstanzlich einen ihnen aus der getrennten steuerlichen Veranlagung entstandenen Schaden für die Veranlagungszeiträume 2004 – 2007 in Höhe einer steuerlichen Mehrbelastung von 28.565,17 € gemäß der Aufstellung GA Bl. 33 ff. sowie nicht anrechenbare vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.358,86 € jeweils nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.01.2016 gegen die Beklagte geltend gemacht.
7Das Landgericht Wuppertal hat die Beklagte nach der Vernehmung der Zeugen C. und A. mit am 12.10.2018 verkündetem Urteil, GA Bl. 159 ff., auf das hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen nach § 540 Abs. 1 Nr.1 ZPO Bezug genommen wird, hinsichtlich des Klägers zu 1. zur Zahlung eines Betrags Höhe von 27.291,81 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.01.2016 verurteilt und die Klage hinsichtlich des Klägers zu 2. abgewiesen. Dem Kläger zu 1. stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. 25.932,95 € nebst geltend gemachter vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Verzugszinsen seit dem 14.01.2016 aus §§ 611, 675, 280 Abs. 1 BGB zu. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme stehe zur hinreichenden Überzeugung des Gerichts fest, dass der Zeuge A. den Geschäftsführer der Beklagten damit beauftragt habe, gegen die Einkommensteuerbescheide des Finanzamtes E.-Stadt für die Veranlagungszeiträume 2004 – 2007 Einspruch einzulegen, und dass diesem die eingetragene Lebenspartnerschaft des Klägers zu 1. spätestens zu dem Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Steuerbescheide im Frühjahr 2008 bekannt gewesen sei. Der Geschäftsführer der Beklagten habe die ihm obliegende Pflicht verletzt, trotz entsprechender Auftragserteilung rechtzeitig gegen die Bescheide vorzugehen. Eine solche Pflicht ergebe sich auch daraus, dass gerichtsbekannt sei, dass schon vor der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht aus dem Jahr 2006 die Frage der Zusammenveranlagung gleichgeschlechtlicher Lebenspartner vor dem Hintergrund von Art. 3 Abs. 1 GG in der Diskussion gewesen sei. Spätestens mit der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht, mit der die Verfassungsmäßigkeit der einkommensteuerlichen Vorschriften zur Zusammenveranlagung bestritten worden sei, habe für einen Steuerberater hinreichend Anlass bestanden, in Fällen, in denen eine Zusammenveranlagung bei eingetragenen Lebenspartnern einkommensteuerlich nicht berücksichtigt worden sei, auf die Möglichkeit einer günstigeren Einkommensteuerfestsetzung und die damit einhergehende Notwendigkeit der Einlegung von Rechtsbehelfen gegen bereits erlassene Steuerbescheide hinzuweisen. Der Höhe nach habe der Kläger zu 1. indes lediglich einen ihm durch die getrennte Veranlagung entstandenen Schaden von 25.932,95 € dargelegt, den die Beklagte nicht hinreichend substantiiert bestritten habe. Sein Anspruch sei auch durchsetzbar und insbesondere nicht verjährt, da der Kläger zu 1. erst durch ein Gespräch mit dem Geschäftsführer der Beklagten aus dem Jahr 2013 Kenntnis von möglichen Schadensersatzansprüchen gegen die Beklagte erlangt habe, wie er in seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 13.11.2017 bekundet habe. Auf den Zeitpunkt des Zugangs der belastenden Steuerbescheide im Jahr 2008 komme es demgegenüber nicht an. Gegenüber dem Kläger zu 2. sei die Beklagte nicht schadensersatzpflichtig, da kein Steuerberatungsvertrag zustande gekommen sei. Die Beklagte hafte auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, da der Kläger zu 2. als im Inland nicht steuerpflichtiger Beamter in Deutschland nicht einkommensteuerpflichtig und damit nicht schutzbedürftig sei.
8Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer zulässigen Berufung. Sie macht zunächst geltend, dass das Landgericht die Rolle des Zeugen A. unzutreffend beurteilt habe, da dieser nicht bevollmächtigt gewesen sei, Vertrags- und Auftragsverhältnisse für den Zeugen A. zu begründen. Die Aufgabe des Zeugen sei vielmehr lediglich gewesen, Unterlagen zu sortieren und sich mit der Mitarbeiterin der Beklagten in Verbindung zu setzen, um dieser die Unterlagen zu übergeben. Auch die Aussage des Zeugen A., dass die Beklagte alles machen solle, damit es nicht zu Fehlern komme, sei vor dem Hintergrund der zu diesem Zeitpunkt zu fertigenden Steuererklärungen zu sehen. Ein konkreter Auftrag, die Bescheide im Hinblick auf die Zusammenveranlagung offenzuhalten, habe nach ihrem Empfängerhorizont nicht vorgelegen.
9Weiter habe sie, so ihre Ansicht, nicht damit rechnen müssen, dass das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 07.05.2013 das Verfahren auf Zusammenveranlagung von Ehegatten bis zu einer Änderung durch den Gesetzgeber für eingetragene Partnerschaften öffne und der Gesetzgeber sich auf diese Entscheidung noch dazu entschließe, dem durch Einführen des § 2 Abs. 8 EStG zu folgen. Denn ein Steuerberater dürfe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich darauf vertrauen, dass ein Gesetz verfassungsmäßig sei. Dies müsse umso mehr gelten, als der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 26.01.2006,111 R 51/05, sogar ausdrücklich entschieden habe, dass der Ausschluss eingetragener Lebenspartnerschaften von der steuerlichen Zusammenveranlagung verfassungsgemäß sei. Sie sei deshalb, so ihre Ansicht, zum Zeitpunkt der möglichen Einspruchseinlegung im April/Mai 2008 bzw. Januar 2009 nicht verpflichtet gewesen, weitere Einsprüche unter Bezugnahme auf § 363 AO einzulegen.
10Ohnehin sei dem Kläger zu 1., so die Ansicht der Beklagten, kein Schaden entstanden, da er nach dem durch Gesetz vom 11.12.2018 eingeführten Artikel 97 § 9 Abs. 5 EGAO bis zum 31.12.2019 die Möglichkeit habe, seine Lebenspartnerschaft in eine Ehe umzuwandeln und so auch für die Jahre 2004 – 2007 eine gemeinsame steuerliche Veranlagung zu erreichen.
11Die schon erstinstanzlich erhobene Einrede der Verjährung hält die Beklagte aufrecht. Denn der Kläger habe bereits im Jahr 2008 Kenntnis davon erlangt, dass eine Zusammenveranlagung nicht erfolgt sei. Somit habe, so ihre Ansicht, ab der Bekanntgabe der entsprechenden Steuerbescheide die Verjährungsfrist zu laufen begonnen.
12Die Beklagte beantragt,
13unter Abänderung des am 12.10.2018 verkündeten Urteils des Landgerichts Wuppertal – 3 O 417/16 – die Klage insgesamt abzuweisen.
14Der Kläger zu 1. beantragt,
15die Berufung zurückzuweisen.
16Er verteidigt die angegriffene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Eine entsprechend weitgehende Bevollmächtigung des Zeugen A. zur Abgabe von Willenserklärungen ergebe sich, so die Ansicht des Klägers zu 1., aus seiner E-Mail an den Geschäftsführer der Beklagten vom 27.01.2008. Zumindest im Rahmen des Rechtsscheins beinhalte die erteilte Vollmacht auch die Beauftragung zur Einlegung von Einsprüchen. Das Landgericht habe die Aussagen der vernommenen Zeugen, so ihre Ansicht, zutreffend dahingehend gewürdigt, dass dem Geschäftsführer der Beklagten die eingetragene Lebenspartnerschaft der Kläger bekannt gewesen sei. Auch ohne ausdrücklichen Auftrag sei die Beklagte zur Einlegung der Einsprüche verpflichtet gewesen, da sie, nach Ansicht des Klägers zu 1. im Mai 2008 aufgrund der Verfassungsbeschwerde damit habe rechnen müssen, dass das Bundesverfassungsgericht die steuerlichen Regelungen zur gemeinsamen Veranlagung für eingetragene Lebenspartnerschaften öffne. Allein aufgrund Äußerungen in Literatur und Schrifttum hätte die Beklagte veranlasst gewesen sein müssen, Einsprüche gegen die Bescheide einzulegen. Auf den Wortlaut der entsprechenden Vorschriften des Einkommenssteuergesetzes habe sie ebenso wenig vertrauen dürfen wie auf die Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Vorschriften. Eine Umwandlung seiner Lebenspartnerschaft in eine Ehe allein deshalb, um eine rückwirkende steuerliche Zusammenveranlagung zu erreichen, sei ihm nicht zumutbar.
17B.
18Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache in vollem Umfang Erfolg. Der geltend gemachte Anspruch aus §§ 611, 675, 280 Abs. 1 BGB besteht deshalb nicht, weil die Beklagte keine Pflichten aus dem Steuerberatungsvertrag verletzt hat.
19Der Beklagten ist zunächst keine Pflichtverletzung zur Last zu legen, weil sie entgegen eines namens und in Vollmacht des Klägers zu 1. erteilten Auftrags des Zeugen A. unterlassen hat, Einspruch gegen die Bescheide für die Veranlagungszeiträume 2004 - 2007 einzulegen und unter Berufung auf die in 2006 eingelegte Verfassungsbeschwerde das Ruhen des Verfahrens nach § 363 AO zu beantragen.
20Der Kläger zu 1. hat zu den Einzelheiten der Auftragserteilung schon widersprüchlich vorgetragen. In seiner Klage hat er noch behauptet, den Auftrag zur Einlegung der Einsprüche im Beisein des Zeugen A. erteilt zu haben. In der Replik hat er sodann vorgetragen, die Beklagte zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt in einem Erörterungsgespräch nach Zugang der Bescheide 2004 – 2007 unter Erörterung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs vom 26.01.2006 bzw. 20.07.2006 anhand diverser Beiträge aus einschlägigen Zeitschriften mit der Einlegung der Einsprüche beauftragt zu haben. Die streitgegenständlichen Bescheide sind aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten, nämlich am 07.04.2008 (für 2005 und 2006), am 22.04.2008 (für 2004) und am 04.12.2008 (für 2007) ergangen. Nach dem seitens des Landgerichts in der mündlichen Verhandlung vom 24.05.2017 erteilten Hinweis, zu den Einzelheiten der Auftragserteilung sei noch weiter vorzutragen, sollte die Auftragserteilung sodann in einem unmittelbar nach der E-Mail vom 27.01.2008 datierenden Telefonat nicht mehr durch den Kläger zu 1., sondern in dessen Namen durch den entsprechend bevollmächtigten Zeugen A. erfolgt sein. Dieser habe den Auftrag erteilt, „jedwede Möglichkeit zu ergreifen, um eine steueroptimale Behandlung der Kläger auch unter Berücksichtigung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft auszuschöpfen“.
21Auch aus der Erklärung des Zeugen A., wie sie sich nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme darstellt, ergibt sich die Erteilung des von dem Kläger zu 1. behaupteten Auftrags nicht mit hinreichender Sicherheit. Zwar hat der Zeuge ausgesagt, dem Geschäftsführer der Beklagten mitgeteilt zu haben, es solle alles unternommen werden, um die Bescheide „offen zu halten“. Dass die Beklagte diese eher vage, allgemein gehaltene Erklärung nur so verstehen konnte, geeignete Rechtsbehelfe gegen die Steuerbescheide einzulegen, um deren Bestandskraft zu verhindern, da die Einlegung von Einsprüchen zum Tagesgeschäft eines Steuerberaters gehöre, liegt entgegen der Ansicht des Landgerichts nach Auffassung des Senats nicht ohne weiteres auf der Hand. Die Erfolgsaussichten der Einsprüche waren zum damaligen Zeitpunkt fraglich. Im Ergebnis erfolglose Rechtsbehelfsverfahren sind für die unterliegende Partei mit Kosten verbunden. Zudem hat der Zeuge A. bekundet, er habe das als zu lang und als „Vorlesung“ empfundene Telefonat beenden wollen, und deshalb zu dem Geschäftsführer der Beklagten gesagt: „Machen Sie alles, damit man nicht zu Fehlern kommt!“ Dass die Bescheide „offen gehalten“ werden sollten, sei nicht im Detail besprochen worden, d.h. auch nicht im Hinblick auf die Frage einer möglichen Verfassungswidrigkeit der Ungleichbehandlung von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern. Zudem konnte sich der Zeuge A. nicht daran erinnern, ob das Telefonat mit dem Geschäftsführer der Beklagten bereits im März oder erst im April 2008 stattgefunden hat, so dass nicht feststeht, ob zu diesem Zeitpunkt bereits weitere Bescheide ergangen waren oder nur die Schätzungsbescheide für 2004 vom 28.07.2006 und für 2005 vom 09.03.2007, die mit Bescheiden vom 07.04.2008 geändert wurden. Die Äußerung des Zeugen in einem Telefonat im Frühjahr 2008 dahingehend zu werten, auch gegen die erst Anfang April und Anfang Dezember 2008 ergehenden Bescheide solle Einspruch mit dem Ziel einer gemeinsamen steuerlichen Veranlagung der Kläger eingelegt werden, erscheint auch deshalb zu weitgehend. Zudem hat der Kläger zu 1. selbst in seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 13.11.2017 bekundet, seiner Ansicht nach komme es nicht nur auf das Telefonat an, sondern sei das Thema Ehegatten-Splitting zwischen ihm und dem Geschäftsführer der Beklagten im Hinblick auf seine Lebenspartnerschaft häufig ein Thema gewesen. Eine Pflicht der Beklagten zum Tätigwerden scheint er mithin selbst nicht zwingend aus dem Telefonat, sondern aus einer Gesamtschau der Umstände bzw. des zwischen den Parteien Erörterten ableiten zu wollen.
22Die Beklagte hat weiterhin keine Pflicht aus dem Steuerberatungsvertrag verletzt, indem sie unterlassen hat, auch ohne ausdrücklichen Auftrag der Kläger von sich aus gegen die streitgegenständlichen Steuerbescheide vorzugehen bzw. die Kläger hinsichtlich der weiteren Vorgehensweise zu beraten. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der D.- e.V. mit Pressemitteilung vom 20.06.2006 über die Einlegung der Verfassungsbeschwerde informiert hat und diese deshalb der Beklagten hätte bekannt sein müssen. Die Pressemitteilung informierte lediglich in allgemeiner Form über die Möglichkeiten für eingetragene Lebenspartner, Einspruch einzulegen, wenn eine Zusammenveranlagung abgelehnt werde, und unter Berufung auf die Verfassungsbeschwerde das Ruhen des Verfahrens zu beantragen, ohne dies als weitere Vorgehensweise zu empfehlen oder anzuraten. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass die Regelungen „gerichtsbekannt“ schon zu einem früheren Zeitpunkt Gegenstand der juristischen und politischen Diskussion gewesen sind. Die Beklagte hätte – anders als das Landgericht meint – nicht spätestens mit der Einlegung der Verfassungsbeschwerde aktiv werden müssen.
23Denn im Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Bescheide bestanden für sie jedenfalls keine evidenten Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesverfassungsgericht, wie später mit Beschluss vom 07.05.2013 (Az.2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06 und 2 BvR 288/07) geschehen, die Ungleichbehandlung von Verheirateten und eingetragenen Lebenspartnern in den Vorschriften der §§ 26, 26 Buchst. b, 32 Abs. 5 EStG hinsichtlich des Ehegattensplittings als mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar ansehen würde. Daher war die Beklagte – anders als das Landgericht meint – nicht verpflichtet, die Kläger auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit der genannten steuerrechtlichen Vorschriften hinzuweisen und ihnen zur Vermeidung einer Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide die vorsorgliche Einlegung eines Einspruchs anzuraten.
24Der Steuerberater, der mit der Prüfung eines Steuerbescheides beauftragt ist, muss mit seinem Mandanten die Möglichkeit eines Einspruchs wegen möglicher Verfassungswidrigkeit des anzuwendenden Steuergesetzes nicht erörtern, solange keine entsprechende Vorlage eines Finanzgerichts an das Bundesverfassungsgericht veröffentlicht ist oder sich ein gleichstarker Hinweis auf die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung aus anderen Umständen, insbesondere einer in ähnlichem Zusammenhang ergangenen, im Bundessteuerblatt veröffentlichten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergibt (BGH, Urteil vom 06.11.2008 – IX ZR 140/07 – DStR 2009, 450). Erst recht muss er nicht zur Einlegung von Einsprüchen gegen die Steuerbescheide raten bzw. diese von sich aus einlegen. Nach der für die Beklagte in dem streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs hatten Partner einer eingetragene Lebenspartnerschaft keinen Anspruch auf Durchführung einer Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer unter Anwendung des Splittingtarifs (BFH, Urteil vom 26.01.2006, Az. III R 51/05). Der Bundesfinanzhof hat seine Auffassung in zwei weiteren Entscheidung vom 20.07.2006 (III RV 07/04) und vom 19.10.2006 (III R 29/06) bekräftigt. Selbst wenn aus diesen die verfassungsrechtliche Kontroverse erkennbar gewesen sein mag, hat das für die Tätigkeit der Beklagten maßgebliche oberste Gericht diese in den genannten Urteilen im Sinne einer Verfassungsgemäßheit der entsprechenden Steuergesetze entschieden, worauf sich die Beklagte verlassen durfte. Dies ergibt sich zudem daraus, dass auch oberste Gerichte anderer Fachgerichtsbarkeiten die Einschätzung, dass der in Art. 6 Abs. 1 GG normierte besondere Schutz von Ehe und Familie eine weitgehende Besserstellung der Ehe gegenüber der eingetragenen Lebenspartnerschaft erlaubt, teilten (BVerwG, Urteil vom 26.01.2006 – 2 C 43/04 – NJW 2006, 1828, beck-online; BAG, Urteil vom 20.10.2006 – 6 AZR 307/06 – NZA 2007, 1179 ff., juris; BSG, Urteil vom 13.12.2005 – B 4 RA 14/05 R – FamRZ 2006, 620 ff., juris). Auch die Einlegung der Verfassungsbeschwerden gegen die genannten Urteile des Bundesfinanzhofs war für die Beklagte entgegen der Ansicht der Kläger und dem mit der Berufung angegriffenen Urteil kein hinreichender Anlass, den Klägern eine Einspruchseinlegung wegen möglicher Verfassungswidrigkeit der anzuwendenden Steuergesetz zu empfehlen. Eine möglicherweise bevorstehende Änderung der Rechtsprechung hat der Berater nur dann in Betracht zu ziehen, wenn ein oberstes Gericht sie in Aussicht stellt oder neue Entwicklungen in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft Auswirkung auf eine ältere Rechtsprechung haben können und es zu einer bestimmten Frage an neueren höchstrichterlichen Erkenntnissen fehlt. Eine Verpflichtung des Beraters, die Rechtsprechung der Instanzgerichte und das Schrifttum einschließlich der Aufsatzliteratur heranzuziehen, kann ausnahmsweise auch dann bestehen, wenn ein Rechtsgebiet aufgrund eindeutiger Umstände in der Entwicklung begriffen und neue höchstrichterliche Rechtsprechung zu erwarten ist. Dabei ist darauf abzustellen, mit welchem Grad an Deutlichkeit (Evidenz) eine neue Rechtsentwicklung in eine bestimmte Rechtsentwicklung weist und eine neue Antwort auf eine bisher anders entschiedene Frage nahe legt. Ferner kann ins Gewicht fallen, mit welchem Aufwand – auch an Kosten – der neuen Rechtsentwicklung im Interesse des Mandanten Rechnung getragen werden kann (BGH, aaO; BGH, Urteil vom 25.09.2014 – IX ZR 199/13 – WM 2014, 2274). Einen ausreichenden Grad an Deutlichkeit hat weder der Kläger zu 1. vorgetragen noch ist eine Evidenz einer zugunsten der steuerlichen Gleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnern ergehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts anderweitig ersichtlich. Die bloße Möglichkeit einer der bisherigen Rechtsprechung entgegenstehenden Entscheidung reicht entgegen der Ansicht des Klägers zu 1. in dessen Replik nicht aus. Mangels Evidenz einer zu erwartenden abweichenden Entscheidung wäre erst und nur dann, wenn der Bundesfinanzhof von der Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses eingetragener Lebenspartner von der Zusammenveranlagung überzeugt gewesen wäre und deshalb unter Aussetzung des Verfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt hätte, mithin die Grenze bloßer verfassungsrechtlicher Zweifel überschritten gewesen wäre, daraus eine vertragliche Hinweispflicht der Beklagten erwachsen (so auch OLG Naumburg, Urteil vom 03.03.2016 – 4 U 36/15 – BeckRS 2016,10 3051). Die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht erfolgte indes durch die Steuerpflichtige.
25Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
26Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 27.291,81 € festgesetzt.
27Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 Abs. 2 ZPO.