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1.
Lehrt ein Patent eine Gesamtvorrichtung, deren Einzelkomponenten zum Zwecke einer Interaktion bestimmte objektive Eigenschaften aufzuweisen haben, müssen die Einzelkomponenten der im Ausland hergestellten Gesamtvorrichtung die geforderte objektive Beschaffenheit (auch noch) im Zeitpunkt der in Rede stehenden inländischen Inbenutzungnahme des angegriffenen Gegenstandes aufweisen.
2.
Wird ein Patentanspruch im Nichtigkeitsverfahren teilweise aufrechterhalten, können solche Passagen der nicht veränderten Patentbeschreibung, welche nicht mehr unter den Schutzgegenstand der eingeschränkten Fassung des Patentanspruchs fallen, gem. Art. 69 EPÜ, § 14 PatG zur Auslegung des beschränkten Patentanspruchs herangezogen werden.
I.
Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil der 4a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 18.07.2017 abgeändert:
Die Anträge der Verfügungsklägerin - in der Fassung gemäß Schriftsatz vom 11.07.2019 - werden zurückgewiesen.
II.
Die Verfügungsklägerin trägt die Verfahrenskosten beider Instanzen.
G r ü n d e:
2I.
3Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 542 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
4II.
5Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten ist begründet.
6Denn die angegriffenen Ausführungsformen machen keinen wortsinngemäßen Gebrauch vom Patentanspruchs 1 des Verfügungspatents in der Fassung, mit der das Bundespatentgericht selbigen - entsprechend dem Hilfsantrag 3 im Nichtigkeitsverfahren (4 Ni 50/17 (EP)) - mit dem aus Anlage KAP 29 ersichtlichen Urteil („BPatGU“) beschränkt aufrecht erhalten hat.
7Demzufolge steht der Verfügungsklägerin weder der zuletzt noch geltend gemachte Sequestrationsanspruch zwecks Sicherung eines Vernichtungsanspruchs (Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140a Abs. 1 PatG) zu, noch besteht Raum für die begehrte Feststellung, dass sich die ursprünglich ferner geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung und Auskunft (Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1, § 140b Abs. 1, Abs. 7 PatG) aufgrund des nach Rechtshängigkeit infolge Zeitablaufs ab dem 19.09.2017 eingetretenen Erlöschens des Verfügungspatents in der Hauptsache erledigt hätten. Die betreffenden Anträge waren vielmehr - gemessen an der allein maßgeblichen, vom Bundespatentgericht beschränkt aufrecht erhaltenen Fassung des Anspruchs 1 - unabhängig vom Erlöschen des Verfügungspatents infolge Zeitablaufs von Anfang an unbegründet.
81.
9In der durch das BPatGU beschränkt aufrecht erhaltenen Fassung hat der Anspruch 1 in seiner englischen Verfahrenssprache - ohne Bezugszeichen - nunmehr folgenden Wortlaut (Änderungen im Vergleich zur ursprünglichen Fassung gemäß der Entscheidung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 23.02.2017 (Az.: T1477/15; Anlage KAP1b) sind diesseits unterstrichen):
10„A urinary catheter assembly for intermittent self-catheterization comprising at least one urinary catheter, the catheter having a catheter tube coated on this external surface on a substantial part of its length from its distal end with a hydrophilic surface layer in the form of a hydrophilic coating intended to produce a low-friction surface character of the catheter by treatment with a liquid swelling medium prior to use of the catheter and a catheter package made of a gas impermeable material formed by a multiple layer thermoplastic film material comprising aluminium, the package having a cavity for a accommodation of the catheter, wherein the cavity accommodates 2 to 30 ml of said liquid swelling medium for provision of a ready-to-use catheter assembly, and wherein the liquid swelling medium is accommodated in a storage body of spongy or gel-like material in the cavity”.
11Die Anpassung des Antrags auf eine zwischenzeitlich im Rechtsbestandsverfahren erfolgte beschränkte Aufrechterhaltung des Anspruchs stellt keine Antragsänderung im Sinne von § 263 ZPO, sondern – sofern man darin überhaupt eine Antragsänderung und nicht nur eine Konkretisierung des Antrags erblicken will – allenfalls eine Beschränkung des Verfügungsantrags nach § 264 Nr. 2 ZPO dar (OLG München BeckRS 2014, 7881; Senat, Urteil vom 18.07.2019 – 15 U 46/18; Senat, Urteil vom 19.09.2019 – 15 U 36/15 m.w.N.), die auch im Berufungsverfahren ohne weiteres zulässig ist, weil § 533 ZPO keine Anwendung findet (vgl. BGH NJW 2004, 2152; BGH WM 2010, 1142; Senat, Urteil vom 19.09.2019 – 15 U 36/15 m.w.N.). Dies folgt daraus, dass der Klagegrund bei einem Hinzufügen von Anspruchsmerkmalen identisch bleibt, weil die Verfügungsklägerin ihr Begehren weiterhin auf denselben Lebenssachverhalt und dasselbe Schutzrecht stützt. Sie verfolgt unverändert das Rechtsschutzziel, das Anbieten, Inverkehrbringen etc. der angegriffenen Ausführungsformen in der Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung desselben Patents zu untersagen.
122.
13Das Verfügungspatent betrifft ein Blasenkatheter-Set. Im Rahmen seiner einleitenden Bemerkungen (Absätze [0002] und [0003]; Absätze ohne Zitate beziehen sich nachfolgend auf das Verfügungspatent) erwähnt das Verfügungspatent diverse Druckschriften, welche Blasenkatheter beträfen, auf die sich die Erfindung beziehe. Demnach offenbarte der betreffende Stand der Technik ein herkömmliches Blasenkatheter-Set mit einem Katheter der Art, bei der vor dem Einführen des Katheters in die Harnröhre dessen Spitze mit einem gelartigen Gleitmittel gleitfähig gemacht werden muss, sowie eine Verpackung, in der sich ein solches Gleitmittel in einem aufreißbaren Beutel befindet, der mit der Verpackung verbunden oder selbst innerhalb der Verpackung angrenzend an die Spitze des Katheters angeordnet ist oder zusammen mit der Katheterverpackung zur Verbindung damit vor Verwendung des Katheters geliefert wird.
14Als ein wesentliches Merkmal eines Blasenkatheters, der zur intermittierenden Katheterisierung der Blase eines inkontinenten Benutzers verwendet wird, betont das Verfügungspatent alsdann dessen Fähigkeit, leicht durch die Harnröhre zu gleiten, ohne dass die Wände der Harnröhre irgendeinem Beschädigungsrisiko ausgesetzt seien (Absatz [0004] des Verfügungspatents). Katheter der Art, auf die sich das Verfügungspatent beziehe, seien entwickelt worden, um diesem Erfordernis in der Weise zu genügen, dass sie mindestens dem Teil der Katheteroberfläche, der tatsächlich in die Harnröhre eingeführt werde, extrem geringe Reibeeigenschaften verliehen. Die geringe Reibungseigenschaft werde dadurch erreicht, dass der relevante Katheterteil mit mindestens einer hydrophilen Oberflächenschicht versehen werde, typischerweise in Gestalt einer Beschichtung. Diese Schicht bzw. Beschichtung werde zu diesem Zweck unmittelbar vor der Verwendung mit einem flüssigen Quellungsmedium in Kontakt gebracht.
15Als ferner bekannt erwähnt das Verfügungspatent (Absatz [0005]) es, ein die Osmalität förderndes Mittel in die hydrophile Beschichtung einzubringen zur Aufrechterhaltung des Oberflächencharakters geringer Reibung, während sich der Katheter in der Harnröhre befinde, sowie beim anschließenden Herausziehen und zur Verringerung eines dabei auftretenden stechenden Schmerzes. Als üblichstes Quellungsmedium für die Präparierung des Katheters unmittelbar vor der Verwendung nennt das Verfügungspatent für Fälle, in denen entsprechende Katheter von Endverbrauchern außerhalb eines Krankenhauses bzw. einer Klinik verwendet würden, normales Leitungswasser. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn Patienten mit sehr geringer Geschicklichkeit die Katheter benutzten, weil für diese ein sehr einfacher Einführungsvorgang notwendig sei.
16Als nachteilig erwähnt das Verfügungspatent in diesem Zusammenhang, dass dem Erfordernis einer Verringerung des - bei einer intermittierenden Katheterisierung verbundenen - Infektionsrisikos in zahlreichen Situationen des täglichen Lebens nur sehr schwierig entsprochen werden könne, wenn die Katheterisierung außerhalb der normalen täglichen Umgebung des Verwenders durchgeführt werden müsse (z.B. in öffentlichen Toilettenräumen oder Waschräumen, wo weder die Wasserversorgung noch der allgemeine Sauberkeitszustand von ausreichend hohem Standard seien). Allerdings müssten sowohl das jeweilige Quellungsmedium als auch die Umgebung, in der die Katheterisierung durchgeführt werde, so sauber und antiseptisch wie möglich sein. Hinzu komme, dass viele behinderte Verwender aufgrund einfacher physikalischer Hindernisse (enge Zugangswege etc.) ernste Schwierigkeiten beim Zugang zu verfügbaren Toiletten oder Waschräumen hätten.
17Vor diesem technischen Hintergrund bezeichnet das Verfügungspatent es als seine Aufgabe, die Durchführung der intermittierenden Blasenkatheterisierung in jeglicher Art von Umgebung dadurch zu verbessern und zu vereinfachen, dass ein gebrauchsfertiges Blasenkatheter-Set vorgesehen werde, das einen Katheter enthalte, der aus seiner Verpackung herausgezogen werden könne und für eine direkte Einführung in die Harnröhre vorbereitet sei und in einem im Wesentlichen sterilen Zustand vorliege, wodurch die allgemeine Lebensqualität für die Anwender der intermittierenden Katheterisierung erheblich verbessert werde (Absatz [0008]). Mit dieser subjektiven Problemstellung deckt sich auch die allein maßgebliche objektive Aufgabe des Verfügungspatents (vgl. BGH GRUR 2010, 607 - Fettsäurezusammensetzung). Gegenüber dem Stand der Technik leistet es das Verfügungspatent tatsächlich, ein Verpackungsset für hydrophile Blasenkatheter bereitzustellen, das nach einer Lagerdauer und unabhängig von einer Fremdquelle für die Gleitbeschichtung es ermöglicht, einen hydrophilen Blasenkatheter in gebrauchsfertiger, d.h. gleitfähiger Form zur Verfügung zu stellen (vgl. BPatGU, S. 50, unter Ziffer 2.1).
18Die vom Anspruch 1 des Verfügungspatents in seiner durch das BPatG beschränkt aufrecht erhaltenen Fassung vorgeschlagene Lösung lässt sich in deutscher Übersetzung wie folgt in Merkmale gliedern (neu hinzugekommene (Teil-)Merkmale sind wiederum diesseits durch Unterstreichen hervorgehoben):
191. Blasenkatheter-Set zur intermittierenden Selbstkatheterisierung mit
20a) mindestens einem Blasenkatheter (1, 58, 69),
21b) einer Katheterverpackung (7, 16, 29, 34, 42, 46, 51, 51`).
222. Der Blasen-Katheter (1, 58, 69) weist einen Katheterschaft auf.
23a) Die Oberfläche des Katheterschafts ist auf einem wesentlichen Teil seiner Länge von seinem distalen Ende mit einer hydrophilen Oberflächenschicht (6) in der Form einer hydrophilen Beschichtung beschichtet.
24b) Die hydrophile Beschichtung ist dazu vorgesehen, vor Verwendung des Katheters (1, 58, 69) einen reibungsarmen Oberflächencharakter des Katheters (1, 58, 69) durch Behandlung mit einem flüssigen Quellungsmedium zu erzeugen.
253. Die Katheterverpackung (7)
26a) ist aus einem gasundurchlässigen Material hergestellt, das durch ein mehrschichtiges thermoplastisches Folienmaterial (8,9), umfassend Aluminium, gebildet ist,
27b) besitzt einen Hohlraum (11, 18, 39, 48, 53) zur Aufnahme des Katheters (1, 58, 69).
284. Der Hohlraum (11, 18, 39, 48, 53) nimmt 2-30 ml des vorgenannten Quellungsmediums zur Bereitstellung eines gebrauchsfertigen Katheter-Sets auf.
295. Das flüssige Quellungsmedium ist in einem Speicherkörper (14) aus einem schwammartigen oder gelähnlichen Material in dem Hohlraum (11, 18, 39, 48, 53) aufgenommen.
303.
31Als zur objektiven Problemlösung zuständiger Durchschnittsfachmann ist ein Ingenieur der Fachrichtung Medizintechnik anzusehen, der über mehrjährige Erfahrung in der Produktentwicklung und Konstruktion von Blasenkathetern verfügt und sich nicht nur mit der Entwicklung des Blasenkatheters, sondern auch mit der Verbesserung der Verpackung eines Blasenkathetersets befasst (BPatGU, S. 34, 2. Abs.). Da die vom Verfügungspatent beanspruchten Prioritäten vom 18.09.1996 (DK 102396) und vom 01.11.1996 (DK 122496), welche jeweils kein Aluminium enthaltendes mehrschichtiges Filmmaterial i.S.v. Merkmal 3a) offenbarten, nicht wirksam in Anspruch genommen worden sind, ist - unstreitig - auf das Fachwissen des Durchschnittsfachmanns am Anmeldetag des Verfügungspatents (18.09.1997) abzustellen (vgl. BPatGU, S. 34, 3. Abs. und S. 52 unten f.).
324.
33Mit Blick auf die divergierenden Ansichten der Parteien ist zur rechtlichen Bedeutung des BPatGU für die Bestimmung des Schutzgegenstandes der nunmehr geltend gemachten eingeschränkten Fassung des Anspruchs 1 vorab Folgendes festzuhalten:
34Grundsätzlich maßgebend für die Auslegung eines Patentanspruchs ist immer die geltende Fassung, bei einer Änderung im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren folglich die geänderte Fassung (BGH GRUR 1961, 77, 78 – Blinkleuchte; 64, 433, 436 – Christbaumbehang; BGHZ 72, 119, 130 – Windschutzblech; BGHZ 172, 88 Tz. 20 – Ziehmaschinenzugeinheit; BGH GRUR 2010, 272 – Produktionsrückstandsentsorgung; BGH GRUR 2010, 904 Rn. 47 – Maschinensatz; OLG Düsseldorf, Urteil v. 17.01.2013 - I-2 UH 1/12 Rn. 26). Mit einer Beschränkung der Patentansprüche durch ein Nichtigkeitsurteil geht nämlich eine rechtsgestaltende Rückwirkung der geänderten Anspruchsfassung einher. Daher ist der Patentanspruch oder die Beschreibung/Zeichnung in der Fassung für die Allgemeinheit verbindlich, die sie durch den Tenor einer rechtskräftigen Nichtigkeitsentscheidung erhalten haben (BGH GRUR 1988, 444, 445 – Betonstahlmattenwender).
35Die Entscheidungsgründe eines teilweise aufrechterhaltenden Nichtigkeitsurteils binden den Verletzungsrichter grundsätzlich nicht, sondern sie dienen ihm lediglich als – allerdings wertvolle – Auslegungshilfe (BGH GRUR 1998, 895 – Regenbecken; BGH GRUR 2010, 950 – Walzenformgebungsmaschine; vgl. OLG Düsseldorf [2. ZS] BeckRS 2016, 11229 Rn. 41). Eine durch Widerruf, Nichtigerklärung oder Beschränkungsbeschluss vorgenommene Beschränkung ist für den Verletzungsrichter regelmäßig nur insoweit verbindlich, als er zum einen auf einen ausgeschiedenen Patentanspruch keine Verurteilung des wegen Patentverletzung in Anspruch Genommenen stützen darf (RG GRUR 1944, 22, 24) und er zum anderen die Berechtigung der verfügten Beschränkung nicht nachprüfen darf (BGH GRUR 1961, 77, 79 – Blinkleuchte; BGH GRUR 1980, 280, 282 – Rollladenleiste), wobei gleichgültig ist, welche Gründe zur Beschränkung geführt haben (BGH GRUR 1980, 280, 282 – Rollladenleiste). Da den Entscheidungsgründen eines Nichtigkeitsurteils oder einer Einspruchsentscheidung keine weiterreichende Bedeutung als der Beschreibung selbst zukommen kann, können sie daher insbesondere keine den Sinngehalt eines Patentanspruchs einschränkende Auslegung rechtfertigen (OLG Düsseldorf, Urteil v. 11.03.2010 - I-2 U 147/08 Rn. 79). Wenn die Entscheidungsgründe des Nichtigkeitsurteils den die Erfindung allgemein kennzeichnenden Patentanspruchs im Sinne einer Auslegung unter seinen Sinngehalt einschränken, erlaubt dies im Verletzungsprozess daher keine einschränkende Auslegung dieses Patentanspruchs wie bei sich nur aus Beschreibung oder Zeichnungen des Patents ergebenden Beschränkungen (vgl. BGHZ 172, 88 Tz. 21 = GRUR 2007, 778 Rn. 21 – Ziehmaschinenzugeinheit).
36Bei Unterbleiben einer Änderung von Beschreibung oder Zeichnung ergänzt oder ersetzt der die geänderte Anspruchsfassung betreffende Teil der Entscheidungsgründe allerdings die Patentbeschreibung. Wenn einzelne Patentansprüche im Einspruchs-, Beschränkungs- oder Nichtigkeitsverfahren geändert worden sind, ist der neue Wortlaut des betreffenden Patentanspruchs die maßgebliche Grundlage für die Auslegung (vgl. BGH GRUR 2007, 778, 780 – Ziehmaschinenzugeinheit I) und die behördlichen oder gerichtlichen Entscheidungsgründe für die Beschränkung ergänzen oder ersetzen die den betreffenden Anspruch erläuternde Beschreibung (BGH GRUR 2007, 778, 780 – Ziehmaschinenzugeinheit I; Benkard/Scharen, PatG, 11. A., § 14 Rn. 26 m.w.N.), sofern der Ausspruch nicht auch die Beschreibung ändert, insbesondere deren gegenstandslos gewordene Teile streicht (BGH Mitt. 1999, 356 – Stoßwellen-Lithotripter). Der Gegenstand des Patentanspruchs ergibt sich nunmehr aus dem Wortlaut des neugefassten Anspruchs, wie er durch Beschreibung und die Zeichnungen im Lichte der insoweit ergangenen Entscheidungsgründe erläutert ist (BGH GRUR 1992, 839, 840 – Linsenschleifmaschine). Es verbietet sich deshalb, im Nichtigkeitsverfahren in den Anspruch neu eingefügte beschränkende Merkmale bei der Auslegung für unerheblich anzusehen und wieder zu eliminieren (vgl. BGH GRUR 1961, 335, 337 – Bettcouch; BGH GRUR 1962, 29, 30 – Drehkippbeschlag). Die Bestimmung des Schutzbereichs darf sich nicht in Widerspruch zu einer Teilvernichtung setzen (BGHZ 73, 40, 45 – Aufhänger; OLG Düsseldorf, Urteil v. 13.09.2013 - I-2 U 23/13 Rn. 57). Soweit der Sinn einer Teilvernichtung nicht im Wege steht, ist der Verletzungsrichter indes in der Bestimmung des Gegenstands der Erfindung frei (vgl. BGH GRUR 1964, 669, 670 – Abtastnadel; BGH GRUR 1979, 222, 224 – Überzugsvorrichtung).
375.
38Dies vorausgeschickt ist es der Verfügungsklägerin zumindest nicht gelungen, eine wortsinngemäße Verwirklichung des Merkmals 2b) glaubhaft zu machen (§ 294 ZPO).
39Das Merkmal 2b) belehrt den Fachmann dahingehend, dass die hydrophile Beschichtung dazu vorgesehen ist, vor Verwendung des Katheters (1, 58, 69) einen reibungsarmen Oberflächencharakter des Katheters (1, 58, 69) durch Behandlung mit einem flüssigen Quellungsmedium zu erzeugen.
40a)
41Im Bestreben, die technische Lehre des Anspruchs 1 umzusetzen, vergegenwärtigt sich der Fachmann, dass dessen Schutzgegenstand ausweislich des Merkmals 1 ein Blasenkatheter-Set ist. Im Einklang damit stellen ihm die weiteren Merkmale diverse Einzelkomponenten dieser Gesamtvorrichtung vor, wobei ihm die Formulierung „comprising“ im englischen Original-Wortlaut verdeutlicht, dass selbige nicht notwendig auf die explizit im Anspruch genannten Bestandteile beschränkt ist (vgl. BPatGU, S. 40).
42Die beiden Hauptkomponenten werden alsdann in den Merkmalen 1a) und 1b) angeführt - nämlich der Blasenkatheter sowie die Katheterverpackung. Während sich die Merkmalsgruppe 3 näher der Katheterverpackung widmet, beleuchtet die Merkmalsgruppe 2 die Beschaffenheit des Katheters. Dieser verfügt ausweislich des Merkmals 2a) über eine Oberfläche. Letztere wiederum zeichnet sich dadurch aus, dass sie - vom distalen Ende des Katheterschafts aus betrachtet - auf einem wesentlichen Teil der Länge des Katheters mit einer hydrophilen Oberflächenschicht beschichtet ist.
43aa)
44Das Merkmal 2b) versieht die im Merkmal 2a) benannte hydrophile Oberflächenschicht mit einer Zweck- / Funktionsangabe des Inhalts, dass diese dazu vorgesehen ist, „einen reibungsarmen Oberflächencharakter des Katheters durch Behandlung mit einem flüssigen Quellungsmedium zu erzeugen“.
45Derartige Zweck- / Funktionsangaben in einem Sachanspruch beschränken dessen Gegenstand regelmäßig nicht auf den angegebenen Zweck oder die angegebene Funktion. Mit der Konkretisierung des Patentgegenstands anhand einer mit der Zweck- oder Funktionsangabe zum Ausdruck gebrachten objektiven Eignung bleibt der auf eine Vorrichtung gerichtete Anspruch ein Sachanspruch. Es kommt weder auf die tatsächliche Verwendung einer Sache an, noch für welche Verwendung sie „dient“ (vgl. BGH GRUR 2018, 1128 Rn. 12 - Gurtstraffer). Solche Angaben sind aber gleichwohl nicht bedeutungslos. Sie definieren den durch das Patent geschützten Gegenstand regelmäßig dahin, ggf. neben der Erfüllung der weiteren räumlich-körperlichen Merkmale auch so ausgebildet zu sein, dass er für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendet werden oder die angegebene Funktion erfüllen kann. Er muss mithin objektiv geeignet sein, den angegebenen Zweck oder die angegebene Funktion zu erfüllen (vgl. BGH GRUR 2012, 475 Rn. 17 – Elektronenstrahltherapiesystem; BGH GRUR 2018, 1128 Rn. 12 - Gurtstraffer).
46Für den hier streitgegenständlichen Vorrichtungsanspruch 1 bedeutet dies, dass die hydrophile Oberflächenbeschichtung des Katheterschafts die objektive Eignung aufweisen muss, im Wege einer Behandlung mit einem flüssigen Quellungsmedium einen reibungsarmen Oberflächencharakter zu erzielen.
47bb)
48Der Sinn dieser Zweck- / Funktionsangabe, die zugleich mittelbar Anforderungen an die objektive Beschaffenheit an die hydrophile Oberflächenbeschichtung stellt, erschließt sich dem Fachmann anhand folgender Überlegungen.
49Ein Blasenkatheter, der für eine intermittierende Katheterisierung vorgesehen ist, muss leicht durch die Harnröhre des Verwenders gleiten können. Insbesondere gilt es, die Harnröhre im Rahmen der Katheterisierung keinem Beschädigungsrisiko auszusetzen (Absatz [0004]). In diesem Zusammenhang wiesen bereits (Teile) vorbekannte(r) Katheteroberflächen extrem geringe Reibungseigenschaften auf, dadurch dass sie mit einer hydrophilen Oberflächenschicht, typischerweise in Form einer Beschichtung, versehen waren. Dem Stand der Technik war es ebenfalls bereits geläufig, diese Schicht / Beschichtung zwecks Erzeugung einer reibungsarmen Oberfläche unmittelbar vor der Verwendung mit einem flüssigen Quellungsmedium in Kontakt zu bringen. Die Eignung zu dieser vorbekannten Verwendungsweise wird für die gelehrte Vorrichtung bzw. die hydrophile Oberflächenbeschichtung des Katheterschafts als deren Komponente mit der in Rede stehenden Zweck- / Funktionsangabe übernommen, weshalb die genannte Beschichtung also in der Lage sein muss, in Interaktion mit dem flüssigen Quellungsmedium so zu reagieren, dass es zur Ausbildung des reibungsarmen Oberflächencharakters kommt. Das Klagepatent möchte den Stand der Technik dahingehend verbessern, dass die mit der intermittierenden Katheterisierung verbundenen Infektionsrisiken sowie etwaige Probleme des Nutzers, Zugang zu Räumlichkeiten zu finden, in denen ihm Leitungswasser (als üblichstem flüssigen Quellungsmedium, vgl. Absatz [0006]) zur Verfügung steht, verringert werden. Das Klagepatent möchte die intermittierende Katheterisierung einschließlich der dazu notwendigen Erzeugung der reibungsarmen Oberflächenbeschichtung des in die Harnröhre einzuführenden Teils der Katheteroberfläche umgebungsunabhängig vereinfachen und verbessern, insbesondere die notwendige Sterilität gewährleisten und die allgemeine Lebensqualität der Nutzer steigern (Absätze [0007] und [0008]).
50Korrespondierend mit der im Anspruch enthaltenen Zweckangabe erläutert und bestätigt der im besonderen Beschreibungsteil verortete Absatz [0020] des Verfügungspatents den allgemeinen Gedanken, dass das Katheterrohr auf einem wesentlichen Teil seiner Länge - ausgehend vom distalen Ende - auf seiner äußeren Oberfläche mit einer hydrophilen Oberflächenbeschichtung einer per se bekannten Art beschichtet ist, die durch Präparierung mit einem flüssigen Quellungsmedium vor der Verwendung des Katheters der Katheteroberfläche den Charakter einer extrem geringen Reibung verleiht. Aufgrund dieses Vorgangs kommt dem Katheter die Eignung zu, sehr leicht durch die Wände der Harnröhre gleiten zu können, ohne dass diese dem Risiko einer Beschädigung ausgesetzt sind. Der Absatz [0022] des Verfügungspatents bezeichnet diesen Vorgang der Präparierung der Katheteroberfläche mittels des flüssigen Quellungsmediums, was in das Resultat des Oberflächencharakters geringer Reibung mündet, auch als „Aktivierung“. In ähnlicher Weise spricht der Absatz [0025] des Verfügungspatents davon, dass die hydrophile Oberflächenbeschichtung des Katheters präpariert wird, um ihren Charakter geringer Reibung zu „aktivieren“. In alledem kommt mithin ein gezieltes, aufeinander abgestimmtes Wirken von flüssigem Quellungsmedium und der hydrophilen Oberflächenbeschichtung zum Ausdruck, das die Erzeugung einer entsprechend sehr reibungsarmen Oberfläche des Katheterschafts ermöglicht. Für den Vorrichtungsanspruch 1 bedeutet dies, dass die von ihm gelehrte hydrophile Oberflächenbeschichtung in geeigneter Weise auszugestalten ist, dass sie die Erzeugung eines solchen Oberflächencharakters in Interaktion mit dem flüssigen Quellungsmedium gewährleistet.
51b)
52In zeitlicher Hinsicht bezieht sich die genannte Zweckangabe, aus der sich die vorbeschriebene Anforderung an die objektive Beschaffenheit der hydrophilen Oberflächenbeschichtung ableitet, gemäß Merkmal 2b) ausdrücklich auf den Zeitraum „vor Verwendung des Katheters“.
53Diese Zeitangabe im Merkmal 2b) bezieht sich nicht etwa auf die Verwendung des Blasenkatheter-Sets, sondern explizit lediglich auf dessen Teil-Komponente „Katheter“ und bringt damit zum Ausdruck, dass die mit der Zweckangabe verbundene temporale Bestimmung die Verwendung des Katheters mit einer inzwischen erzeugten reibungsarmen Oberfläche betrifft. Die im Merkmal 2b) angesprochene Verwendung des Katheters meint offenkundig etwas Anderes als das im Merkmal 4 thematisierte sog. „gebrauchsfertige Katheter-Set“. Gemeint ist mit der zeitlichen Einordnung in Merkmal 2b („vor Verwendung des Katheters“) also - wie dem Fachmann ohne Weiteres einleuchtet -, dass die entsprechende Aktivierung des Katheters spätestens abgeschlossen sein muss, (unmittelbar) bevor der Nutzer den Katheter in die Harnröhre einführt. Für den geschützten Vorrichtungsanspruch 1 bedeutet dies wiederum, dass die objektive Beschaffenheit der hydrophilen Oberflächenbeschichtung so konzipiert sein muss, dass sie im Zusammenspiel mit dem flüssigen Quellungsmedium sicherstellt, dass spätestens vor der Einführung des Katheters in die Harnröhre der maßgebliche Teil der Katheteroberfläche - im oben beschriebenen Sinne - „aktiviert“ ist.
54Ganz in diesem Sinne liegt auch der Beschreibung des Verfügungspatents ein entsprechendes Verständnis von der „Verwendung des Katheters“ zugrunde. So führt etwa der Absatz [0003] aus, dass (im Stand der Technik) ein in einem aufreißbaren Beutel bevorratetes Gleitmittel zusammen mit der Katheterverpackung zur Verbindung damit „vor Verwendung des Katheters“ geliefert werden konnte. Nichts Anderes bringen die Absätze [0004] und [0006] des Verfügungspatents zum Ausdruck, wenn dort vom Inkontaktbringen der Beschichtung mit einem flüssigen Quellungsmedium „unmittelbar vor der Verwendung“ bzw. vom Präparieren des Katheters „unmittelbar vor der Verwendung“ die Rede ist. All diesen Passagen liegt unmissverständlich der technische Ansatz zugrunde, dass „Verwendung des Katheters“ den Vorgang des Einführens des Katheters in die Harnröhre und nicht etwa die (vorgelagerte) Verwendung des gesamten vom Anspruchs 1 gelehrten Blasenkatheter-Sets meint. Dasselbe Verständnis prägt auch den Absatz [0013] des Verfügungspatents, wenn dort ein langdauernder Erhalt des Oberflächencharakters „bis zur tatsächlichen Verwendung“ thematisiert wird. Auch hier ist also mit „tatsächlicher Verwendung“ der Vorgang der Katheterisierung als solcher angesprochen. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass mit der vorstehend erläuterten Sichtweise auch der besondere Teil der Beschreibung der Erfindung harmoniert. Dies kommt etwa im Absatz [0025] des Verfügungspatents zum Ausdruck, wo beschrieben ist, dass „vor der vorgesehenen Verwendung des Katheters“ die hydrophile Oberflächenbeschichtung präpariert wird, um ihren Charakter geringer Reibung zu aktivieren. Entsprechendes gilt für den Absatz [0030] des Verfügungspatents, soweit dort gelehrt wird, das Quellungsmedium „bis zum Moment der tatsächlichen Verwendung“ im schwammartigen Speicherkörper eingeschlossen zu lassen.
55Festzuhalten bleibt daher, dass der Fachmann in Anbetracht dieser sorgsam im Verfügungspatent angelegten Differenzierung strikt zwischen der Benutzung des gelehrten gebrauchsfertigen Blasenkatheter-Sets und der Verwendung des Katheters unterscheidet. Mit einem „gebrauchsfertigen Katheter-Set“ im Sinne des Anspruchs 1 (insbesondere des Merkmals 4) verbindet das Verfügungspatent das technische Handeln, welches vor der letztlichen Verwendung des gebrauchsfertigen Katheters ansetzt, also vor dem Zeitpunkt, in dem der Katheter eine reibungsarme Oberflächenbeschichtung aufweist, weil es noch nicht zur Interaktion zwischen hydrophiler Oberflächenbeschichtung und flüssigem Quellungsmedium gekommen ist.
56Demzufolge teilt der Senat nicht die Auffassung der Verfügungsklägerin, wonach es - abgesehen vom im Anspruch mit den Worten „vor der Verwendung des Katheters“ (deklaratorisch) angesprochenen Erfordernis eines spätestens vor der Katheterisierung notwendigen reibungsarmen Katheters - völlig beliebig sei, wann die Einzelkomponenten des Vorrichtungsanspruchs 1 die ihnen patentgemäß zugewiesen objektiven Eigenschaften aufweisen. Vielmehr ist der Anspruch 1 - selbstverständlich auch ohne eine explizite verbale Verankerung im Anspruch - entsprechend den allgemeinen Regeln für das fachmännische Verständnis einer patentrechtlich geschützten technischen Lehre zu lesen und zu interpretieren. Was insoweit das zeitliche Erfordernis anbelangt, ist Folgendes anerkannt:
57aa)
58Grundsätzlich muss der fragliche Verletzungsgegenstand im Moment der Angebots- / Vertriebshandlung alle Anspruchsmerkmale verwirklichen, mithin auch die vorausgesetzte Eignung für die Hervorbringung einer bestimmten Wirkung aufweisen. Ausnahmen zu diesem Grundsatz sind gegeben, wenn eine Sache im betreffenden Zeitpunkt noch nicht den anspruchsgemäßen Anforderungen genügt, sich die Verhältnisse in Zukunft jedoch verlässlich und vorhersehbar ändern und sich deshalb mit Sicherheit eine Situation ergibt, bei der es zur Merkmalsverwirklichung kommt (OLG Düsseldorf GRUR 1978, 425 - Umlenktöpfe; OLG Düsseldorf, Urteil v. 10.11.2011 - I-2 U 41/11; OLG Düsseldorf InstGE 12, 213 - Traktionshilfe; OLG Düsseldorf, Urteil v. 20.11.2014 - I-2 U 137/09; vgl. im Zusammenhang mit sog. Prodrugs auch Ackermann, GRUR 2018, 772).
59Überdies ist zu beachten, dass aufgrund des Territorialitätsprinzips ein Patent seine materiellen Wirkungen nur innerhalb des Gebiets entfaltet, für das es erteilt ist (vgl. BGH GRUR 1968, 195, 196; OLG Düsseldorf InstGE 11, 203 Tz. 125). Ein deutsches Patent oder ein mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland nach den Regeln und dem Verfahren des EPÜ erteiltes europäisches Patent verbietet deshalb nicht die Benutzung der geschützten Erfindung im Ausland (BGH GRUR 2005, 845 – Abgasreinigungsvorrichtung). Das beruht auf dem Grundsatz der Territorialität des Patentrechts, welcher der Machtabgrenzung verschiedener Staaten zueinander entspringt und der den Patentschutz auf das Gebiet des Staats beschränkt, der das Patent verliehen hat oder für dessen Geltungsgebiet es erteilt worden ist (Benkard/Scharen, PatG, 11. A., § 9 Rn. 8 m.w.N.).
60Auch im Zusammenhang mit den Benutzungshandlungen des Anbietens und Vertreibens kommt es folglich nur auf dasjenige Erzeugnis und seine Beschaffenheit an, das im Schutzgebiet des Patents in den Verkehr gelangt (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 11. A., Abschnitt A. Rn. 252): Fehlt dem Endprodukt die vom Patent vorausgesetzte Beschaffenheit bzw. Wirkung, so lässt sich ein Schutzrechtseingriff keineswegs mit der Erwägung bejahen, dass - etwa bei der im schutzrechtsfreien Ausland durchgeführten Herstellung - durch ein Zwischenprodukt gewonnen worden ist, das die patentgemäße Beschaffenheit aufgewiesen hat, wenn diese auf dem weiteren Weg zu dem im Patentgebiet auf den Markt gebrachten Endprodukt wieder verloren gegangen ist.
61bb)
62Während die oben erwähnten Ausnahmen zum Grundsatz der Maßgeblichkeit des Zeitpunktes der Benutzungshandlung i.S.v. § 9 PatG dadurch legitimiert sind, dass ein mutmaßliches Verletzungserzeugnis zwar im an sich entscheidenden Zeitpunkt der erstmaligen Benutzung noch nicht alle anspruchsgemäß geforderten Eignungen aufweist, sich jedoch anhand einer im Einzelfall zu treffenden Prognose ergibt, dass es zukünftig mit Sicherheit selbige aufweisen wird, stellt sich im vorliegenden Fall die davon zu unterscheidende Frage, ob es bereits ausreicht, dass die anspruchsgemäß an die geschützte Gesamtvorrichtung und ihre Einzelkomponenten geknüpften Beschaffenheitsangaben bloß irgendwann einmal bis zur Verwendung des präparierten Katheters mit reibungsarmer Oberflächenbeschichtung vorgelegen haben.
63Die Antwort kann mit Blick auf die Fassung des eingeschränkten Anspruchs 1 sowie die Beschreibung des Verfügungspatents - jeweils unter Berücksichtigung der Anspruchshistorie inklusive der Teilvernichtung des Verfügungspatents durch das BPatGU - nur so lauten, dass die im Merkmal 2b) geforderte objektive Beschaffenheit der hydrophilen Oberflächenbeschichtung auch noch im Zeitpunkt der in Rede stehenden Benutzungshandlungen der Verfügungsbeklagten erfüllt sein muss. Eine verbotsrelevante Benutzungshandlung kann daher nur dann konstatiert werden, wenn die angegriffenen Vorrichtungen im Zeitpunkt einer Angebots- und/oder Vertriebshandlung über hydrophile Oberflächenbeschichtungen verfügen, die (immer noch) objektiv geeignet sind, in geeigneter Wechselwirkung mit einem flüssigen Quellungsmedium einen reibungsarmen Oberflächencharakter zu erzeugen. Demgegenüber erfüllen solche Blasenkatheter-Sets, die im Zeitpunkt ihres Anbietens bzw. ihres Inverkehrbringens bereits über eine reibungsarme Oberflächenschicht derjenigen Katheterabschnitte, die in die Harnröhre eingeführt zu werden pflegen, verfügen, so dass es keiner „weiteren“ Aktivierung des Katheters mehr bedarf, nicht (mehr) die anspruchsgemäßen Vorgaben gemäß Merkmal 2b).
64cc)
65Demzufolge kommt es für die Berechtigung des erhobenen Verletzungsvorwurfs darauf an, dass die angegriffenen Ausführungsformen schon und noch im Zeitpunkt ihrer erstmaligen Benutzung durch die Beklagte in Deutschland sämtliche anspruchsgemäß vorgegebenen Eigenschaften, insbesondere die hydrophile Oberflächenbeschichtung des Katheters aufweisen. Allein dass solches in der Zeit, zu welcher diese sich noch im Ausland befunden haben, der Fall gewesen sein mag, genügt nicht. Diese Auslegung ist aufgrund der folgenden patentrechtlichen Erwägungen zwingend geboten:
66(1)
67Sämtliche Merkmale eines Patentanspruchs bilden eine Einheit in dem Sinne, dass es verboten ist, einzelne Merkmale unabhängig vom Gesamtzusammenhang der im Anspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre zu interpretieren. Stets ist der den einzelnen Merkmalen in ihrer Gesamtheit zukommende technische Sinn und der den Merkmalen zugewiesene Beitrag zum intendierten Leistungsergebnis des Patentanspruchs maßgeblich (BGH GRUR 2004, 845 - Drehzahlermittlung; BGH GRUR 2011, 129 - Fentanyl-TTS; BGH GRUR 2012, 1124 - Polymerschaum).
68Demzufolge nimmt der Fachmann hier insbesondere diejenigen Merkmale des Patentanspruchs 1 des Verfügungspatents genauer in den Blick, die sich mit dem flüssigen Quellungsmedium, mit dessen Hilfe die hydrophile Oberflächenbeschichtung einen reibungsarmen Oberflächencharakter erzeugen soll, befassen. Insoweit erkennt er, dass der Hohlraum - den die Katheterverpackung ausweislich Merkmal 3 besitzt - nach der Vorgabe des Merkmals 4 der Aufnahme des (dort mit einer Mengenangabe gekennzeichneten) „vorgenannten“ („said“) - also dem bereits in Merkmal 2b) erstmals erwähnten - flüssigen Quellungsmediums dient und zwar „zur Bereitstellung eines gebrauchsfertigen Katheter-Sets“. Während - wie oben erläutert - die im Merkmal 2b) enthaltende Zweckangabe auf die Komponente „Katheter“ bzw. - genauer betrachtet - auf die Unterkomponente „hydrophile Beschichtung der Oberfläche des Katheterschafts“ rekurriert, bezieht sich die Zweckangabe am Ende des Merkmals 4 auf die Gesamtvorrichtung „Blasenkatheter-Set“. Dies führt dem Fachmann vor Augen, dass die Aufnahme des Quellungsmediums im Hohlraum „zur Bereitstellung eines gebrauchsfertigen Katheter-Sets“ eine objektive Beschaffenheit des Hohlraums betrifft, die anspruchsgemäß erforderlich ist, um ein „gebrauchsfertiges Katheter-Set“ bereitzustellen.
69Dass jedenfalls der - nunmehr allein maßgebliche - eingeschränkte Anspruch 1 des Verfügungspatents vorgibt, dass im Zeitpunkt der in Rede stehenden Benutzungshandlung (in Deutschland) zwar einerseits bereits ein gebrauchsfertiges Katheter-Set vorliegen muss, während andererseits dann noch kein gebrauchsfertiger Katheter mit schon existenter reibungsarmer Oberfläche vorhanden sein darf, ergibt sich für den Fachmann spätestens aus dem wechselseitigen Zusammenhang des Merkmals 2b) mit dem Merkmal 5. Letztgenanntes Merkmal, das vollständig erst im Rahmen der Teilvernichtung des ursprünglich erteilten Verfügungspatents Einzug in den Anspruch 1 gefunden hat, lehrt nunmehr, dass das flüssige Quellungsmedium in einem Speicherkörper aus einem schwammartigen oder gelähnlichen Material in dem Hohlraum aufgenommen ist.
70Das neu hinzugekommene Merkmal 5 spezifiziert die Vorgaben des Merkmals 4, welches beansprucht, dass das Quellungsmedium - welches sich der Nutzer im Gegensatz zum vorbekannten Stand der Technik nicht mehr eigens aus einer Fremdquelle beschaffen muss - im Zeitraum, mit dem sich das Verfügungspatent beschäftigt, noch im Hohlraum der Katheterverpackung aufgenommen ist. Das im Nichtigkeitsverfahren in den Anspruch 1 aufgenommene Merkmal 5 verengt die technische Lehre nunmehr auf eine Gesamtvorrichtung - ein Blasenkathter-Set - bei dem das flüssige Quellungsmedium in einem Speicherkörper in dem Hohlraum aufgenommen ist. Durch die in beiden Merkmalen jeweils vorgenommene Verwendung der Präsensform („accomodates“ / „is accomodated“; deutsch: „nimmt auf“ / “ist aufgenommen“) wird deutlich, dass die Benutzung des gelehrten Katheter-Sets zwingend erfordert, dass im Zeitpunkt der fraglichen Benutzungshandlung (noch) ein flüssiges Quellungsmedium im Speicherkörper aufgenommen ist. Hinzu kommt, dass das im Speicherkörper vorhandene flüssige Quellungsmedium seine anspruchsgemäße Bestimmung objektiv noch erfüllen kann. Dies bedeutet - wie sich aus der Wechselwirkung der Merkmale 2b) und 5) ergibt -, dass im Zeitpunkt der in Rede stehenden Benutzungshandlung überhaupt noch ein objektiver Bedarf für die Erzeugung einer reibungsarmen Katheteroberfläche besteht. Anders ausgedrückt darf der in die Harnröhre einzuführende Teil der Katheteroberfläche noch nicht - im oben erläuterten Sinne - „aktiviert“ sein. Ist die für die Katheterisierung relevante Katheteroberfläche schon so reibungsarm, dass sie in die Harnröhre ohne die Gefahr der Verletzung von deren Wänden verbracht werden kann, so ist die hydrophile Oberflächenbeschichtung gerade nicht mehr „dazu vorgesehen“ (englisch „intended o produce…“) - wie es das Merkmal 2b) verlangt - „vor Verwendung des Katheters einen reibungsarmen Oberflächencharakter des Katheters durch Behandlung mit einem flüssigen Quellungsmedium zu erzeugen“. Die Oberflächenbeschichtung mag dann einmal dazu vorgesehen gewesen sein, der entsprechenden Erzeugung zu dienen. Existiert aber im Zeitpunkt der Benutzung schon das intendierte Endergebnis („aktivierte“ Katheteroberfläche), hat sich der Zweck, welchem die hydrophile Katheteroberfläche dienen sollte, zwischenzeitlich erledigt mit der Folge, dass eine entsprechend präparierte Katheteroberfläche die - wie erläutert - zugleich in der betreffenden Zweckangabe mittelbar zum Ausdruck kommende objektive Beschaffenheitsanforderung nicht mehr erfüllen kann. Der Zustand eines gebrauchsfertigen Katheters, der mit dem geschützten Blasenkatheter-Set erst erzeugt werden können soll, ist dann bereits erreicht. Schon daran wird ersichtlich, dass es nicht ausreicht, wenn die an die Einzelkomponenten und damit zugleich an die Gesamtvorrichtung geknüpften Vorgaben bloß irgendwann einmal vor der erstmaligen Benutzung (in Deutschland) erfüllt gewesen sein mögen. Vielmehr kommt es zwingend darauf an, dass diese Eigenschaften auch noch im Moment der in Rede stehenden Verletzungshandlungen virulent waren.
71Vor diesem Hintergrund verfangen auch nicht die Überlegungen der Verfügungsklägerin mit Blick auf den Umstand, dass erfindungsgemäß ein von der Katheteroberfläche räumlich getrenntes Speichermedium mit der hydrophilen Oberfläche des Katheters um das flüssige Quellungsmedium zu konkurrieren vermag (vgl. dazu etwa BPatGU, S. 58 unten f.). Selbst wenn es sich - wie die Verfügungsklägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgebracht hat - in tatsächlicher Hinsicht so verhalten sollte, dass die vorbeschriebene Konkurrenz um das Quellungsmedium einen dynamischen Vorgang darstelle, welcher bis zur Benutzung des Katheters nie ganz abgeschlossen sei, verfängt jedenfalls die zugehörige rechtliche Argumentation der Verfügungsklägerin nicht. Im Lichte des Verfügungspatents stellt in diesem Kontext nämlich derjenige Zeitpunkt, in dem erstmals eine reibungsarme Oberfläche des Katheterschafts entsteht, die maßgebliche Zäsur dar. Ab dann ist der Katheter gebrauchsbereit und ein etwaiges fortbestehendes Konkurrieren von Speichermedium und Oberflächenbeschichtung um ein verbleibendes Quellungsmedium verfügungspatentgemäß belanglos. Aufgrund des ab dann bereits aktivierten Katheters kann das Katheter-Set als beanspruchte Gesamtvorrichtung nicht mehr dem Zweck dienen, erst noch die Erzeugung eines gebrauchsfertigen Katheters zu ermöglichen, und es verfügt demzufolge nicht (mehr) über die hierzu notwendige objektive Beschaffenheit.
72(2)
73Die abweichende Auslegung der Verfügungsklägerin ignoriert die Teilvernichtung des ursprünglich erteilten Anspruchs 1 (in der Fassung gemäß der letzten Entscheidung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts), mit der der Anspruch 1 u.a. durch die Aufnahme des Merkmals 5 beschränkt worden ist.
74Wie eingangs erläutert muss im Rahmen der Auslegung des Anspruchs 1 in der Fassung gemäß dem BPatGU die entsprechende rechtsgestaltende Wirkung des Nichtigkeitsurteils beachtet werden und es sind - mangels Anpassung der Beschreibung des Verfügungspatents an das BPatGU - auch die Entscheidungsgründe des teilweise aufrechterhaltenden Nichtigkeitsurteils als Ergänzung der Patentbeschreibung im Rahmen der Auslegung heranzuziehen.
75Zum Einen vermag die Auslegung der Verfügungsklägerin, wonach die aus Merkmal 2b) folgenden Vorgaben nicht zwingend im Verletzungszeitpunkt noch vorliegen müssten, nicht zu erklären, weshalb es der geltend gemachten Fassung des Anspruchs 1 des Verfügungspatents gerade darauf ankommt, dass das flüssige Quellungsmedium in einem Speicherkörper aufgenommen werden soll. Wäre es - quod non - ausreichend, dass z.B. bereits im Zeitpunkt der Herstellung des Blasenkatheter-Sets sogleich ein gebrauchsfertiger Katheter im Wege einer Interaktion von flüssigem Quellungsmedium und hydrophiler Oberflächenbeschichtung produziert wird, so wäre es technisch nicht nachvollziehbar, weshalb das flüssige Quellungsmedium gleichwohl zuvor in einem Speicherkörper aufgenommen werden sollte. Es wäre zumindest ausreichend, das flüssige Quellungsmedium - wie in der teilvernichteten Fassung des Anspruchs 1 - bloß im Hohlraum der Verpackung aufzunehmen. Dieser Aspekt lässt sich nicht mit dem Umstand in Einklang bringen, dass just die Aufnahme der technischen Lehre des Merkmals 5 (bzw. im BPatGU: Teilmerkmal 3cIII) mittels des Hilfsantrages 3 (Anlage KAP 30) das BPatG dazu bewogen hat, den Anspruch 1 teilweise aufrecht zu erhalten.
76Zum Anderen steht die Auslegung der Verfügungsklägerin auch im Widerspruch zu denjenigen - die Patentbeschreibung ergänzenden - Entscheidungsgründen, aufgrund derer das BPatG gerade aufgrund der mit dem Hilfsantrag 3 erfolgten Aufnahme des Merkmals 5 dem Anspruch 1 die Rechtsbeständigkeit attestiert hat. In diesem Zusammenhang findet sich im BPatGU (S. 58 f. ab Ziffer 3) Folgendes (Hervorhebung durch Unterstreichen diesseits):
77„Mit Hilfsantrag 3 wird die Merkmalsgruppe 3 des Patentanspruchs 1 zusätzlich um die Vorgabe ergänzt, dass das flüssige Quellungsmedium in einem Speicherkörper aus einem schwammartigen- oder gelähnlichen Material in dem Hohlraum aufgenommen ist (Teilmerkmal 3cIII).
78Zwar bleibt der zu dieser Ausgestaltung von der Beklagten geltend gemachte Effekt, es werde immer genau so viel flüssiges Quellungsmedium in den übrigen Hohlraum abgegeben, dass insgesamt ein sich von selbst einstellender stabiler Dampfdruck an Quellungsmedium in dem Hohlraum aufrechterhalten bleibe, als Behauptung unbelegt. Auf einen belegten besonderen Effekt kommt es jedoch nicht an, wenn sich für die beanspruchte räumlich-körperliche Ausgestaltung keine Anregungen im Stand der Technik finden und diese nicht beliebig erscheint.
79Letzteres ist jedoch nicht der Fall. Erkennbar wird mit dieser Ausgestaltung zumindest die Möglichkeit eröffnet, die hydrophile Katheteroberfläche während der Lagerung weitgehend trocken belassen zu können. Auch werden im gattungsgemäßen Stand der Technik entweder bereits aktivierte verpackte hydrophile Katheter oder in der Verpackung separierte auf einen Katheter aufzutragende Gele gelehrt bzw. angeregt (vgl. NK 29: a. a. O. und NK 43/NK 1: Abs. [0003] „konventionelle Katheter“). Für die erfindungsgemäße Ausgestaltung ergibt sich nur bei rückblickender Betrachtung eine Veranlassung für ein von der Katheteroberfläche räumlich getrenntes Speichermedium, das mit der hydrophilen Oberfläche des Katheters um das Quellungsmedium zu konkurrieren vermag, und somit den weniger vorteilhaften Einsatz einer größeren Menge Quellungsmediums und damit eines größeren Gewichts des Verpackungssets befürchten lässt. Denn auch nach dem Auspressen wird der Speicherkörper stets eine Restmenge an Quellungsmedium aufweisen.“
80Demnach verbindet das BPatG mit dem Inhalt des Merkmals 5 (der hier zugrunde gelegten Merkmalsgliederung) ausdrücklich räumlich-körperliche Vorgaben, die - jedenfalls theoretisch - die Möglichkeit eröffnen sollen, die hydrophile Katheteroberfläche während der Lagerung ganz überwiegend in trockenem Zustand zu belassen. Ferner grenzt das BPatG den Schutzgegenstand des Anspruchs 1 in der aufrecht erhaltenen Fassung explizit von Blasenkathter-Sets ab, bei denen sich in der Verpackung bereits aktivierte hydrophile Katheter befinden. Die Entscheidungsgründe des BPatGU scheiden damit Blasenkathter-Sets mit bereits aktivierten Kathetern aus dem Schutzgegenstand des beschränkten Verfügungsanspruchs 1 aus. Bei diesen ist ein zusätzliches - also vom Hohlraum verschiedenes - Speichermedium funktionslos und damit entbehrlich.
81(3)
82Dieses Verständnis wird zusätzlich dadurch genährt, dass die Parteien - zu Recht - darin übereinstimmen, dass der Absatz [0029] des Verfügungspatents vom beschränkten Patentanspruch 1 nicht mehr umfasst ist. Dieser Absatz lautet auszugsweise (Hervorhebung durch Unterstreichen wiederum diesseits):
83„Aufgrund der Gasundurchlässigkeit der Verpackung 7 ist es nicht erforderlich, einen Körper 14 aus schwammartigem Material zu verwenden, der das flüssige Quellungsmedium aufnimmt. Das Quellungsmedium kann beim Zusammenbauen vor dem Abschluss des Verschweißens in die Verpackung eingeführt werden und erzeugt daher sofort die hydrophile Beschichtung. … Dies hat den Vorteil, dass unmittelbar vor der Verwendung kein Präparierschritt erforderlich ist, wodurch die Handhabung auf das Öffnen der Verpackung 7 zur unmittelbaren Entnahme des Katheters ohne Zeitverzögerung, die aus der erforderlichen Präparierzeit resultiert, reduziert wird.“
84Der Absatz [0029] des Verfügungspatents widmet sich exemplarisch einem Blasenkatheter-Set ohne Speicherkörper, wie es noch vom Verfügungsanspruch 1 in der Fassung vor der Teilvernichtung durch das BPatGU umfasst war. Aus den zitierten Ausführungen ergibt sich für den Fachmann, dass der nunmehr im Anspruch 1 zwingend vorgesehene Speicherkörper nach der früheren Fassung des Anspruchs 1 - bloß fakultativ - für Anwendungsfälle vorgesehen war, in denen der Fokus darauf liegt, ein Blasenkatheter-Set bereitzustellen, dessen Katheter dem Nutzer sofort nach Öffnen der Verpackung - also ohne den Zeitaufwand einer dann erst erfolgenden Präparierung der Katheteroberfläche - zur Verfügung stehen soll. Dann kann die Aktivierung sogar schon unmittelbar beim Zusammenbau des Sets erfolgen und ein späterer gesonderter Präparierungsschritt vermieden werden. Im Umkehrschluss erkennt der Fachmann, dass Lösungen mit einem Speicherkörper dazu dienen, erst eine spätere Aktivierung des Katheters zu ermöglichen, um - zumindest theoretisch - im Interesse einer angenehmeren Verwendung für den Nutzer überflüssige Mengen an Quellungsmedium zu vermeiden. Bis zur - nach dem Zusammenbau des Sets erfolgenden - Aktivierung der Katheteroberfläche soll das flüssige Quellungsmedium hierbei einstweilen noch im Speicherkörper bevorratet bleiben.
85Entgegen der Verfügungsklägerin ist der angesprochene Umkehrschluss auch patentrechtlich zulässig. Soweit die Verfügungsklägerin meint, der Absatz [0029] dürfe im Rahmen der Auslegung gar keine Berücksichtigung mehr finden, verkennt sie neben den unter Ziffer oben erläuterten Grundsätzen der Wirkung teilvernichtender Urteile nebst Entscheidungsgründen im Rechtsbestandsverfahren auch den Umstand, dass die früher erteilte Fassung einer Patentschrift zum gesetzlich zugelassenen Auslegungsmaterial des Art. 69 EPÜ und des § 14 PatG zählt (OLG Düsseldorf, Urteil v. 13.09.2013 - I-2 U 23713; OLG Karlsruhe, Urteil v. 09.07.2014 - 6 U 29/11). Ist ein Patent im Rahmen eines nicht rechtskräftig abgeschlossenen Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens geändert worden und macht der Kläger im Verletzungsprozess diese geänderte Fassung des Patents geltend, kann deshalb bei der Frage, welche Bedeutung eine schon in der erteilten Fassung des Patents enthaltene Beschreibungsstelle für die Auslegung des Patentanspruchs hat, auf die erteilte Fassung des Klagepatents zurückgegriffen werden.
86(4)
87Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin wird ihre Auslegung auch nicht anhand eines Vergleichs der Absätze [0023] und [0030] gestützt.
88Der Absatz [0023] des Verfügungspatents beschreibt den Vorgang des Einschließens des Quellungsmediums im Speicherkörper bzw. - dazu synonym - im „Vorratskörper“, um das Quellungsmedium bis zur jeweiligen Präparation des Katheters in flüssigem Zustand zu halten. Auch anhand dieser Passage findet sich der allgemeine Gedanke bestätigt, dass der - vom beschränkten Anspruch 1 nunmehr zwingend vorgegebene - Speicherkörper die Funktion hat, das flüssige Quellungsmedium über den Zeitraum des Zusammenbaus des Katheter-Sets hinaus bis zur davon zu unterscheidenden Präparation des Katheters im Speicherkörper einzuschließen und somit einstweilen eine Aktivierung der Katheteroberfläche zu verhindern.
89Daran anknüpfend und ganz im Sinne des hier befürworteten Verständnisses spezifiziert der Absatz [0030] das Ausmaß der Speicherdauer dahingehend, dass das flüssige Quellungsmedium - was ohne Weiteres einleuchtet - maximal bis zum Moment der tatsächlichen Verwendung des Katheters im Speichermedium verbleiben kann. Andernfalls stünde es nämlich nicht rechtzeitig genug bereit, um auf die Katheteroberfläche derart einzuwirken, dass diese so reibungsarm wird, dass mit dem Einführen des Katheters in die Harnröhre nicht mehr die Gefahr einer Beschädigung von deren Wänden verbunden ist.
90Auch die genannten Absätze sind damit Beleg für die Auslegung des Senats, dass das flüssige Quellungsmedium nicht schon bei der Herstellung des Sets den Speicherkörper verlassen darf, sondern auch noch im Zeitpunkt der (inländischen) im Wege des Anbietens oder des Vertreibens erfolgenden Benutzung des Sets im Speicherkörper in einer Menge vorhanden sein muss, die (noch) erforderlich ist, um die Präparierung des Katheters zu vollziehen bzw. zum Abschluss zu bringen. Vor der in Rede stehenden Benutzung des Sets bereits aktivierte Katheter stehen der Verwirkung der technischen Lehre des Verfügungspatents in der hier geltend gemachten Fassung folglich entgegen.
91(5)
92Lediglich zur Abrundung sei erwähnt, dass die Verfügungsklägerin im parallelen Nichtigkeitsverfahren vor dem BPatG im Ergebnis selbst eine Argumentation aufgezeigt hat, die sich mit der hier vertretenen Sicht des Senats deckt.
93Hinsichtlich des im Nichtigkeitsverfahren entgegen gehaltenen Standes der Technik gemäß den Anlagen NK 18 (= DE 25 11 198 A1 = HL-B 39 im Verfügungsverfahren) und NK 19 (= US 4 026 296 = HL-B 40 im Verfügungsverfahren) hatte die Verfügungsklägerin es versucht, diesen dadurch vom Schutzgegenstand des Verfügungspatents abzugrenzen, dass das „Quellen der Oberfläche bereits vor dem Verpacken des Katheters zusammen mit der Flüssigkeit stattfinde“ bzw. „in allen Fällen ein Aufquellen des Polymers bereits vorher im Zuge der Herstellung des Katheterkörpers bzw. der Hülse“ stattfinde. Die Zugabe der physiologischen Lösung diene - so die hiesige Verfügungsklägerin im Nichtigkeitsverfahren - jedenfalls nicht mehr der Aktivierung des hydrophilen Polymers, denn dieses sei schon vorher vollständig gequollen. Demnach war die sachkundige Verfügungsklägerin im Nichtigkeitsverfahren selbst der Auffassung, dass im Benutzungszeitpunkt bereits (vollständig) aktivierte Katheter außerhalb des Schutzgegenstandes des Verfügungspatents lägen. Diese Ausführungen der Verfügungsklägerin im Nichtigkeitsverfahren können als sachkundige Äußerung im Verletzungsprozess Berücksichtigung finden (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil v. 20.12.2017 - I-2 U 39/16).
94(6)
95Dies vorausgeschickt erlaubt das unstreitige Parteivorbringen nicht die tatrichterliche Feststellung mit dem Beweismaß des § 294 ZPO, dass die angegriffenen Ausführungsformen das Merkmal 2b) wortsinngemäß gebrauchen.
96Vielmehr hat die Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 23.08.2019 unwidersprochen Folgendes dargetan:
97Die Katheteroberfläche aller angegriffenen Ausführungsformen ist bereits zu dem Zeitpunkt, in dem die angegriffenen Ausführungsformen die Bundesrepublik Deutschland erreichen, aktiviert, d.h. mit einem Quellungsmedium behandelt und mit einem „reibungsarmen Oberflächencharakter“ versehen, so dass das zu diesem Zeitpunkt in dem „active vapor strip“ (bei den Ausführungsformem „A“ und „B“) bzw. in einem separaten „Fach“ (bei der Ausführungsform „A 1“) verbliebene Wasser nicht mehr zur Behandlung bzw. Aktivierung der Katheteroberfläche Verwendung finden kann. Es ist zuvor schon ein Quellungsgrad erreicht, bei dem die Katheteroberfläche bereits einen reibungsarmen Oberflächencharakter aufweist. Um zu gewährleisten, dass nur solche Katheter-Sets verkauft werden, deren Katheter gebrauchsfertig sind, liefert die Verfügungsbeklagte ihre Sets frühestens 4 Wochen nach ihrer Herstellung aus. Es ist unstreitig ausgeschlossen, dass sich jemals in Deutschland Blasenkatheter-Sets der Verfügungsbeklagten mit einem Katheter ohne eine bereits aktivierte Oberflächenbeschichtung befunden haben.
98Diesem Vorbringen ist die Verfügungsklägerin bloß in rechtlicher Hinsicht mit der Argumentation entgegen getreten, dass der Patentanspruch 1 als Vorrichtungsanspruch nicht voraussetze, dass der Speicherkörper der angegriffenen Ausführungsformen völlig trocken sei, wenn diese in Deutschland angeboten werden. Es genüge, dass - was die Verfügungsbeklagte in tatsächlicher Hinsicht einräumt - Wasser in dem Speicherkörper verbleibt. Die angegriffenen Ausführungsformen würden somit „gebrauchsbereit“ im Sinne des Anspruchs 1 in Deutschland angeboten und vertrieben. Dieses Verständnis ist auf eine - wie oben im Detail erläutert - unzutreffende Auslegung des Verfügungspatents in der geltend gemachten Fassung gegründet. Dieses erfordert zwingend, dass der Katheter im Zeitpunkt der Inbenutzungnahme des gelehrten Sets noch nicht gebrauchsfertig ist. Wie aber die Verfügungsklägerin ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt hat, sind die Katheter der angegriffenen Ausführungsformen schon „ready to use“, bevor sie das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erreichen.
99Ergänzend dazu ist lediglich noch zu bemerken, dass für die abweichende Auslegung der Verfügungsklägerin auch keineswegs der allgemeine patentrechtliche Grundsatz streitet, wonach es unerheblich ist, ob mit einem dem Wortsinn des Patentanspruchs in allen Merkmalen entsprechenden Gegenstand alle erfindungsgemäßen Wirkungen überhaupt oder gar vollständig erzielt werden oder ob der in Rede stehende Gegenstand regelmäßig in einer Weise benutzt wird, dass die betreffenden Wirkungen nicht erreicht werden (vgl. BGH GRUR 2006, 399 - Rangierkatze). Denn es mangelt den angegriffenen Ausführungsformen mit bereits aktivierten Kathetern - gedanklich vorgelagert - schon an der zwingend erforderlichen objektiven Beschaffenheit.
100Nach alledem ist jedenfalls das Merkmal 2b) nicht wortsinngemäß erfüllt, so dass sämtliche anderen Streitpunkte der Parteien für die Entscheidung dieses Verfügungsverfahrens auf sich beruhen können.
101III.
102Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs.1, 97 Abs. 1 ZPO.
103Gem. § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO ist das vorliegende Urteil mit seiner Verkündung rechtskräftig, so dass eine Entscheidung über eine vorläufige Vollstreckbarkeit obsolet ist.
104Streitwert des Berufungsverfahrens: - bis zum 28.03.2018: EUR 1.500.000,-,
105- danach: EUR 500.000,-.