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Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer Westfalen bei der Bezirksregierung Münster vom 28. November 2017 (VK 1 - 27/17) bezüglich Ziff. 4 des Beschlusstenors teilweise aufgehoben.
Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner war nicht notwendig.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
G r ü n d e
2I.
3Der Antragsgegner, das Land O., schrieb im Jahr 2017 Sicherheitsdienstleistungen in einer Zentralen Unterbringungseinheit für Flüchtlinge im offenen Verfahren europaweit aus. Zuständige Vergabestelle des Landes war die Bezirksregierung B..
4Die Antragstellerin bewarb sich um den Auftrag, erhielt aber nach Bewertung der Angebote mit Schreiben des Antragsgegners vom 25.09.2017 die Mitteilung, dass der Zuschlag auf das Angebot einer anderen Bieterin, der Beigeladenen im Verfahren vor der Vergabekammer, erteilt werden solle. Die Antragstellerin rügte dies umgehend und stellte am 5.10.2017 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Westfalen.
5Mit dem Nachprüfungsantrag vom 05.10.2017 hat die Antragstellerin im Wesentlichen geltend gemacht, das Wertungsergebnis sei bezüglich der Konzepte vergaberechtswidrig. Die vorgelegten Konzepte der Antragstellerin entsprächen den Vorgaben des Antragsgegners und seien durchgängig mit der Höchstpunktzahl zu werten. Darüber hinaus habe der Antragsgegner seine Pflicht verletzt, die Auskömmlichkeit derjenigen Angebote zu prüfen, die ihrem eigenen in der Bewertungsrangfolge vorgingen. Insoweit habe eine Prüfpflicht ungeachtet einer Aufgreifschwelle bestanden.
6Im weiteren Verlauf des Nachprüfungsverfahrens hat die Antragstellerin darüber hinaus beanstandet, dass die Wertung der Konzepte unzulässig nach einer Diskussion innerhalb der Wertungskommission erfolgt sei. Schließlich sei nach dem Vergabevermerk davon auszugehen, dass die Beigeladene im Verfahren vor der Vergabekammer unzulässig zwei Hauptangebote gemacht habe.
7Die Vergabekammer hat sich der Bewertung der Antragstellerin nicht angeschlossen, sondern den Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 28.11.2017 (Anlage AST 1) zurückgewiesen und ausgesprochen, dass die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen, der Zuschlagsprätendentin, zu tragen hat. Unter Ziffer 4 des Beschlusstenors hat die Vergabekammer zudem ausgesprochen, dass die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner sowie die Beigeladene notwendig war. Vertieft und einzelfallbezogen begründet hat sie Letzteres nicht.
8Gegen den Ausspruch unter Ziffer 4 des ihr am 30.11.2017 zugestellten Beschlusses in Bezug auf den Antragsgegner wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 14.12.2017 beim Oberlandesgericht Düsseldorf eingegangenen sofortigen Beschwerde.
9Die Antragstellerin macht geltend, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für den Antragsgegner nicht notwendig gewesen sei. Im Verfahren vor der Vergabekammer sei es im Wesentlichen um auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen gegangen, die eine Hinzuziehung von anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten nicht rechtfertigten.
10Die Antragstellerin beantragt,
11Ziffer 4 der Kostenentscheidung des Beschlusses der Vergabekammer Westfalen bei der Bezirksregierung Münster vom 28. November 2017 (VK 1 - 27/17) dahingehend abzuändern, dass die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner für nicht notwendig erklärt wird.
12Der Antragsgegner beantragt,
13die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
14Der Antragsgegner ist der Ansicht, dass Rechtsfragen Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens gewesen seien, die weder alltäglich noch ohne weiteres beherrschbar gewesen seien. Im Übrigen sei der Grundsatz der „Waffengleichheit“ zu berücksichtigen sowie der Umstand, dass die Vergabestelle der Bezirksregierung B. mit nur … Arbeitskräfteanteilen besetzt gewesen sei. Eine Mitarbeiterin des höheren Dienstes – eine Juristin – sei ihr mit … % ihrer Arbeitskraft zugeordnet. Darüber hinaus seien dort vier Personen aus dem gehobenen Dienst mit voller Arbeitskraft und eine aus dem mittleren Dienst mit einem Arbeitskraftanteil von … beschäftigt. Die Vergabestelle der Bezirksregierung B. habe überdies nur wenig Erfahrung mit europaweiten Vergabeverfahren. Auch rechtfertige die erhebliche wirtschaftliche und politische Bedeutung des Nachprüfungsverfahrens die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Verfahrensakte der Vergabekammer Bezug genommen.
16II.
17Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.
181.
19Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 171 Abs. 1 GWB). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist nicht nur die Kostenentscheidung der Vergabekammer, sondern auch der dazugehörende Ausspruch über die Notwendigkeit der Zuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch den obsiegenden Verfahrensbeteiligten mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar (siehe nur Senatsbeschluss vom 10.07.2013 – VII-Verg 40/12, zitiert nach juris, Tz. 4 m.w.N.). Zudem kann über die Beschwerde ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil sie sich gegen eine Nebenentscheidung der Vergabekammer richtet (Senatsbeschluss vom 10.07.2013 – VII-Verg 40/12, zitiert nach juris, Tz. 4).
202.
21Die sofortige Beschwerde ist begründet. Die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner war für das vorliegende Nachprüfungsverfahren nicht notwendig.
22a)
23Ob Kosten eines Rechtsanwalts als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Kosten erstattungsfähig sind, ist nach § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 VwVfG zu entscheiden. Danach sind Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.
24Über die Notwendigkeit für den öffentlichen Auftraggeber, einen Rechtsanwalt zuzuziehen, ist nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden (BGH, Beschluss v. 26.09.2006 – X ZB 14/06, zitiert nach juris, Tz. 61; Senatsbeschlüsse vom 15.05.2018 – VII-Verg 58/17 – und vom 09.04.2018 – VII-Verg 62/17; Senatsbeschluss vom 10.07.2013 – VII-Verg 40/12, zitiert nach juris, Tz. 5; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 02.11.2017 – 11 Verg 8/17, zitiert nach juris, Tz. 19). Dabei ist – regelmäßig für den Zeitpunkt der Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.12.2001 – 6 C 19/01, zitiert nach juris, Tz. 18, und Beschluss vom 14.01.1999 – 6 B 11/98, zitiert nach juris, Tz. 9; OLG Naumburg, Beschluss vom 21.03.2013 – 2 Verg 1/13, zitiert nach juris, Tz. 23; OLG Koblenz, Beschluss vom 21.09.2000 – 1 Verg 2/99, zitiert nach juris, Tz. 17) – danach zu fragen, ob sich das Nachprüfungsverfahren auf auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen nebst den zugehörigen Vergabevorschriften konzentriert hat. In einem solchen Fall ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch den öffentlichen Auftraggeber im Allgemeinen nicht erforderlich. Denn in seinem originären Aufgabenbereich muss er sich die für ein Nachprüfungsverfahren notwendigen Sach- und Rechtskenntnisse grundsätzlich selbst verschaffen. Umgekehrt kann die Beteiligung eines Rechtsanwalts notwendig sein, wenn sich im Nachprüfungsverfahren darüber hinaus nicht einfach gelagerte Rechtsfragen, insbesondere verfahrensrechtlicher oder solcher Art stellen, die auf einer höheren Rechtsebene als jener der Vergabeordnungen zu entscheiden sind. Eine kleinliche Beurteilung ist dabei unangebracht.
25Ergänzend können bei der Beurteilung auch die Komplexität des Sachverhalts sowie die Bedeutung und das Gewicht des Auftrags für den Auftraggeber berücksichtigt werden, ebenso der Umstand, inwieweit die Vergabestelle über geschultes Personal und Erfahrung mit Vergabeverfahren verfügt. Schließlich kann der Gesichtspunkt der so genannten prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung einfließen (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 02.11.2017 – 11 Verg 8/17, zitiert nach juris, Tz. 21; Senatsbeschluss vom 20.07.2000, Verg 1/00, zitiert nach juris, Tz. 28).
26Hinsichtlich des Zeitpunkts für die Beurteilung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts ist auf die die Aufwendungen verursachende Handlung abzustellen (BVerwG, Beschluss vom 03.07.2000 – 11 KSt 2/99, zitiert nach juris, Tz. 3). Dies ist der Zeitpunkt der Heranziehung des Rechtsanwalts, d. h. seiner förmlichen Bevollmächtigung oder, bei schon früher erfolgter allgemeiner Bevollmächtigung, des Auftrags zur Vertretung im Nachprüfungsverfahren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.01.1999 – 6 B 11/98, zitiert nach juris, Tz. 9). Maßgebliche Grundlage der Beurteilung, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig ist, ist der Stand des Verfahrens zu diesem Zeitpunkt nach dem Kenntnisstand des beauftragenden Beteiligten. Dieser wird durch die die Beauftragung auslösenden Schriftsätze und sonstige im Zeitpunkt der Beauftragung erkennbare Umstände bestimmt. Ob ausnahmsweise später eintretende Erschwernisse nach Beauftragung des Rechtsanwalts in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen sind und ob dann die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts mit kostenrechtlicher Wirkung erst mit diesem späteren Zeitpunkt der Erschwernis anzuerkennen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.2001 – 6 C 19/01, zitiert nach juris, Tz. 18), bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
27b)
28Nach den vorstehenden Grundsätzen war die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten für den Antragsgegner nicht notwendig. Der Antragsgegner war zum Zeitpunkt der Zustellung des Nachprüfungsantrags, als er über die Frage der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts mit der Vertretung im Vergabe-nachprüfungsverfahren entscheiden musste, aufgrund der ihm bekannten und erkennbaren Tatsachen ohne Weiteres in der Lage, den Sachverhalt zu erfassen, der im Hinblick auf die im Nachprüfungsantrag gerügte Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren von Bedeutung war, hieraus die für eine sinnvolle Rechtsverteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene der Vergabekammer vorzubringen.
29Die Antragstellerin hat bezogen auf die hier in Rede stehende Vergabe auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen zum Gegenstand der vergaberechtlichen Nachprüfung gemacht. So hat sie die Qualitätsbewertung ihrer Konzepte durch den Antragsgegner als fehlerhaft beanstandet, soweit ihre Konzepte mit lediglich 2 Punkten und nicht mit der höchsten Punktzahl (3 Pkt.) bewertet worden seien (Nachprüfungsantrag vom 05.10.2017, Seite 3f). Insoweit ging es um die Anwendung der Bewertungskriterien auf das Angebot der Antragstellerin und somit um bloße Fragen der Angebotswertung. Dies betrifft aber die originäre Kompetenz der Vergabestelle. Hiermit hatten sich die für das Vergabeverfahren zuständigen Mitarbeiter des Antragsgegners bereits anlässlich der Aufstellung und Formulierung der Auswahlkriterien sowie anlässlich der Bewertung der Angebote und der Beantwortung des Rügeschreibens der Antragstellerin vom 02.10.2017 vertieft beschäftigen müssen. Damit verbundene schwierige Rechtsfragen sind nicht ersichtlich. Über die gerügte Angebotswertung hinaus hat die Antragstellerin noch die Auskömmlichkeit des Angebots des besser platzierten Bieters in Zweifel gezogen und eine insoweit unterbliebene Prüfung des Antragsgegners beanstandet. Auch die dadurch veranlasste Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BGH zu § 60 VgV und § 16 Abs. 6 VOL/A 2009 betrifft auftragsbezogene Fragestellungen, die die Vergabestelle in eigener Kompetenz zu erledigen hat.
30Soweit sich eine weitere Schwierigkeit daraus ergeben hat, dass die Antragstellerin im Schriftsatz vom 09.11.2017 – nach Beauftragung des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners – unter Verweis auf einen Beschluss der Vergabekammer Lüneburg (Beschluss vom 27.01.2017 – VgK-49/2016) die Tätigkeit der Bewertungskommission in Zweifel gezogen hat, liegt ebenfalls eine in eigener Kompetenz der Vergabestelle liegende Frage von § 58 Abs. 5 VgV vor.
31Unter diesen Umständen vermögen die von dem Antragsgegner geltend gemachte wirtschaftliche und politische Bedeutung des Beschaffungsvorhabens, der Grundsatz der sog. Waffengleichheit sowie die personelle Ausstattung und fehlenden Erfahrung der Vergabestelle keine andere Beurteilung zu rechtfertigen.
32III.
33Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 175 Abs. 2, 78 GWB.
34Die Entscheidung über den Streitwert des Beschwerdeverfahrens bleibt einem gesondert zu treffenden Beschluss vorbehalten.