Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Gründe
2I.
3Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerinnen ist nicht begründet. Das Landgericht hat deren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Inhalt, die Antragsgegnerinnen zu verpflichten, den Antragstellerinnen die vertrauliche und vollständige Fassung der den Antragsgegnerinnen gegenüber erlassenen Bußgeldentscheidung der Europäischen Kommission vom 19. Juli 2016 im Fall AT.39824 einschließlich sämtlicher in den Fußnoten in Bezug genommener Beweisdokumente vorzulegen, zu Recht zurückgewiesen. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.
4A.
5Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 567, 569 ZPO zulässig. Über sie hat, nachdem das Landgericht ihr nicht abgeholfen hat (§ 572 Abs. 1 ZPO), der Kartellsenat beim Oberlandesgericht Düsseldorf zu entscheiden. Gemäß § 91 ff. GWB entscheidet der Kartellsenat beim Oberlandesgericht Düsseldorf auch über Beschwerden gegen sonstige Entscheidungen der Landgerichte seines Bezirks in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach § 87 GWB. Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten nach § 87 GWB sind solche, die die Anwendung des GWB, des Art. 101 oder 102 AEUV oder des Art. 53 oder 54 EWRA betreffen oder in denen die Entscheidung ganz oder teilweise von einer Entscheidung, die nach dem GWB zu treffen ist, oder von der Anwendbarkeit des Art. 101 oder 102 AEUV oder des Art. 53 oder 54 EWRA abhängt. Hierzu gehören auch einstweilige Verfügungsverfahren, in denen der Verfügungsantrag auf Kartellrecht gestützt wird (vgl. Langen/Bunte/Bornkamm, § 95 GWB Rn. 5; Bechtold, § 87 GWB Rn. 9). Ein solcher Fall liegt hier vor, denn die Antragstellerinnen machen im Wege der einstweiligen Verfügung mit der Herausgabe der vertraulichen Fassung der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19. Juli 2016 einen Anspruch auf Herausgabe von Beweismitteln nach § 33g Abs. 1 GWB geltend.
6B.
7Das Rechtsmittel hat aber in der Sache keinen Erfolg.
81.
9Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung ist zulässig.
10a)
11Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte und damit des von den spanischen Antragstellerinnen angerufenen Kartell-Landgerichts Köln folgt aus Artt. 1 Abs. 1, 4 Abs. 1, 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.
12Die Verordnung gilt gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 für Zivil- und Handelssachen und damit auch für Kartellzivilrechtsstreitigkeiten (vgl. Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Kartellprivatrecht, Rn. 373). Dass sie auch für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gilt, folgt aus ihrem Art. 35, wonach die im Recht eines Mitgliedsstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen bei den Gerichten dieses Mitgliedsstaats auch dann beantragt werden können, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedsstaats zuständig ist.
13Nach Art. 4 Abs. 1 sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedsstaates zu verklagen. Nach Art. 63 Abs. 1 tritt bei Gesellschaften und juristischen Personen an die Stelle des Wohnsitzes der satzungsmäßige Sitz, die Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung. Alle drei Kriterien sind für die Antragsgegnerinnen in Deutschland erfüllt.
14Da sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte und damit des Kartell-Landgerichts Köln für das Verfahren gegen alle Antragsgegnerinnen bereits aus Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ergibt, weil sie alle ihren Sitz in Deutschland haben, kommt eine Anwendung des von den Antragstellerinnen herangezogenen Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO nicht in Betracht. Dessen Voraussetzungen liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats hat, dann, wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, auch vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Die Vorschrift stellt eine Abweichung vom allgemeinen Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedsstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, dar und ermöglicht es, eine Person vor den Gerichten eines anderen Mitgliedsstaats zu verklagen (vgl. zur gleichlautenden Vorgängerregelung EuGH, Urteil vom 21.05.2015, C-352/13 – CDC Hydrogen Peroxide, GRUR Int. 2015, 1176, 1178 f.; Urteil vom 13.07.2006, C-103/05, Rn. 22 bei juris m.w.N.). Sie gilt mithin nur für Fälle, in denen eine Person vor den Gerichten eines Mitgliedsstaats verklagt wird, in dem sie nicht ihren Sitz hat und bestimmt für diese Fälle sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit (vgl. MünchKommZPO/Gottwald, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rn. 2). Da die von der Grundregel des Beklagtengerichtsstands abweichenden besonderen Zuständigkeiten strikt auszulegen sind, ist eine Auslegung über die ausdrücklich vorgesehenen Fälle hinaus unzulässig (vgl. zur Vorgängerregelung EuGH, Urteil vom 21.05.2015, C-352/13 – CDC Hydrogen Peroxide, GRUR Int. 2015, 1176, 1178 f.; Urteil vom 13.07.2006, C-103/05, Rn. 23 bei juris m.w.N.; MünchKommZPO/Gottwald, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rn. 2). Die Zuständigkeit gilt daher nicht für Fälle wie den vorliegenden, in dem alle Beklagten ihren Sitz im selben Mitgliedsstaat haben und die internationale Zuständigkeit aufgrund von Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO gegeben ist (vgl. MünchKommZPO/Gottwald, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rn. 7). Auf die Frage, ob die von Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO vorausgesetzte Konnexität (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 21.05.2015, C-352/13 – CDC Hydrogen Peroxide, GRUR Int. 2015, 1076, 1179; Beschluss vom 30.11.2009, II ZR 55/09, Rn. 7 ff. bei juris; OLG Hamm, Beschluss vom 01.12.2016, I-32 SA 43/16, Rn. 51 ff. bei juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 31.05.2017, 13 U 130/16, Rn. 23 ff. bei juris) gegeben ist, kommt es daher nicht an.
15b)
16Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Köln hat der Senat – anders als die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte (vgl. Zöller/Heßler, § 571 ZPO Rn. 4, § 513 ZPO Rn. 8 m.w.N.) – gemäß § 571 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht zu prüfen. Ohne Bedeutung für die Entscheidung ist daher die Frage, dass das Landgericht Köln nur für den Antrag gegen die Antragsgegnerin zu 5) örtlich zuständig war und dass für den Fall, dass alle Antragsgegnerinnen gemeinsam in einem Gerichtsstand in Anspruch genommen werden sollen, das örtlich zuständige Gericht nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hätte bestimmt werden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 06.05.2013, X ARZ 65/13, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 01.12.2016, I-32 SA 43/15, Rn. 70 ff. bei juris; MünchKommZPO/Gottwald, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rn. 7).
172.
18Der Verfügungsantrag ist indes unbegründet. Das Rechtsschutzbegehren findet seine Grundlage weder in § 89b Abs. 5 GWB noch in §§ 935, 940 ZPO i.V.m. § 242 BGB.
19a)
20Auf § 89b Abs. 5 GWB lässt sich der Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung nicht stützen.
21Nach der im Rahmen der mit der 9. GWB-Novelle erfolgten Neufassung des Kartellschadensersatzrechts neu eingefügten Vorschrift des § 89b Abs. 5 GWB kann gegen denjenigen, dessen Verstoß gegen eine Vorschrift des Teils 1 des GWB oder gegen Artt. 101 oder 102 AEUV durch eine gemäß § 33b GWB bindende Entscheidung der Wettbewerbsbehörde festgestellt wurde, die Herausgabe dieser Entscheidung der Wettbewerbsbehörde bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 33g Abs. 1 GWB im Wege der einstweiligen Verfügung auch ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 935 und 940 ZPO bezeichneten Voraussetzungen angeordnet werden.
22Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm liegen in mehrfacher Hinsicht nicht vor:
23aa)
24Wie sich aus der Formulierung „bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 33g GWB“ ergibt (vgl. BT-Drucks. 18/11446 S. 30 f.; Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, S. 290), hat die antragstellende Partei auch im Verfahren nach § 89b Abs. 5 GWB die Voraussetzungen des Verfügungsanspruchs, also des Herausgabeanspruchs aus § 33g Abs. 1 GWB, darzulegen und glaubhaft zu machen. Die Vorschrift des § 33g Abs. 1 GWB verpflichtet denjenigen, der im Besitz von Beweismitteln ist, die für die Erhebung eines auf Schadensersatz gerichteten Anspruchs nach § 33a Abs. 1 GWB erforderlich sind, zur Herausgabe an denjenigen, der glaubhaft macht, einen solchen Schadensersatzanspruch zu haben, wenn dieser die Beweismittel so genau bezeichnet, wie dies auf der Grundlage der mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen möglich ist. Die Vorschriften der §§ 33g und 89b GWB sind dabei gemäß § 186 Abs. 4 GWB nur in Rechtsstreiten anzuwenden, in denen nach dem 26. Dezember 2016 Klage erhoben worden ist.
25(1)
26Aus der Formulierung der Übergangsregelung des § 186 Abs. 4 GWB, namentlich dem Erfordernis der Klageerhebung, ergeben sich keine Zweifel daran, dass die Herausgabe der wettbewerbsbehördlichen Entscheidung im Wege einstweiliger Verfügung nach § 89b Abs. 5 GWB – wie vorliegend der Fall – auch in einem isolierten Verfahren vor Klageerhebung in der Hauptsache verfolgt werden kann, solange dieses nach dem 26. Dezember 2016 rechtshängig geworden ist. Der Vorschrift ist nicht zu entnehmen, dass vor einem einstweiligen Verfügungsverfahren – und ebenfalls nach dem 26. Dezember 2016 – bereits eine Hauptsacheklage auf Schadensersatz nach § 33a Abs. 1 GWB oder jedenfalls auf Herausgabe der begehrten Entscheidung nach § 33g GWB erhoben worden sein muss oder dass die einstweilige Verfügung sogar nur innerhalb eines solchen Hauptsacheverfahrens beantragt werden kann. Denn die Vorschrift ist eine reine Übergangsregelung. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks. 18/10207 S. 107) dient sie der Umsetzung von Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104/EU, wonach die Mitgliedstaaten gewährleisten müssen, dass die nationalen Verfahrensvorschriften nicht für Schadensersatzklagen gelten, die vor dem 26. Dezember 2014 bei einem nationalen Gericht erhoben wurden. Durch sie werde sichergestellt, dass die zur Umsetzung der Richtlinie ins deutsche Recht eingeführten Verfahrensvorschriften keine Anwendung in Rechtsstreiten finden, die vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist erhoben wurden. Nichts anderes ergibt sich aus der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (BT-Drucks. 18/11446, S. 32). Es geht mithin allein darum, sicherzustellen, dass eine einstweilige Verfügung zur Herausgabe wettbewerbsbehördlicher Entscheidungen nach § 89b Abs. 5 GWB nicht für ein Schadensersatzverfahren ergehen kann, das vor dem Stichtag bereits rechtshängig war. Nicht hingegen regelt die Übergangsvorschrift, auf welche Weise – isoliert vor Hauptsacheklage, isoliert nach Hauptsacheklage oder im Hauptsacheverfahren – die einstweilige Verfügung beantragt werden kann, wenn zum Stichtag noch kein Hauptsacheverfahren anhängig war. Da auch § 89b Abs. 5 GWB insoweit keine Einschränkung enthält, gilt nach §§ 936, 926 ZPO, dass eine einstweilige Verfügung auch vor Anhängigkeit der Hauptsacheklage beantragt werden kann.
27(2)
28§ 89b Abs. 5 GWB findet – ebenso wie § 33g GWB – allerdings nur auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche Anwendung, die nach dem Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle am 9. Juni 2017 entstanden sind. Um solche Ansprüche geht es vorliegend nicht.
29(2.1)
30Der Gesetzgeber der 9. GWB-Novelle hat den Anspruch auf Herausgabe von Beweismitteln in § 33g Abs. 1 GWB als selbständigen materiellen Rechtsanspruch ausgestaltet, obwohl die Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104 in Art. 5 insoweit allein die Schaffung verfahrensrechtlicher Vorschriften vorgeschrieben hat, indem die Mitgliedstaaten gewährleisten müssen, dass die Gerichte in Verfahren über Schadensersatzklagen die Offenlegung von relevanten Beweismitteln anordnen können (vgl. BT-Drucks. 18/10207, S. 62; Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, S. 252). Solche rein verfahrensrechtlichen Vorschriften sind daneben etwa in § 89b Abs. 1 und 2 GWB enthalten, die für die gerichtliche Anordnung der Erteilung von Auskünften im Schadensersatzverfahren auf § 142 ZPO verweisen.
31Dieser duale Charakter des § 33g GWB als unionsrechtlich verfahrensrechtliche und nationalrechtlich materiell-rechtliche Norm wirft die Frage auf, ob § 33g GWB internationalprivatrechtlich ebenfalls als Verfahrensvorschrift zu qualifizieren und nach dem lex fori-Prinzip von den zuständigen Gerichten anzuwenden ist oder ob er angesichts seiner materiell-rechtlichen Ausgestaltung nur dann zur Anwendung gelangt, wenn deutsches Sachrecht anwendbar ist, was sich bei einer Unterstellung des Auskunftsanspruchs unter das Recht des Hauptanspruchs für die Zeit seit Inkrafttreten der Rom II-VO am 11. Januar 2009 nach deren Art. 6 Abs. 3 und für die frühere Zeit nach § 130 Abs. 2 GWB richtet (vgl. dazu näher Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, S. 423 ff.).
32Diese Frage bedarf vorliegend indes keiner Entscheidung.
33(2.2)
34Ein Verfügungsanspruch aus § 33g Abs. 1 GWB ist im Streitfall nämlich schon aus zeitlichen Gründen nicht gegeben.
35(2.2.1)
36Der Beweismittelherausgabeanspruch aus § 33g Abs. 1 GWB kann zwar grundsätzlich gemäß § 186 Abs. 4 GWB in gerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden, die nach dem 26. Dezember 2016 rechtshängig werden. Damit wird indes in Umsetzung der für Verfahrensvorschriften geltenden Übergangsregelung in Art. 22 Abs. 2 der Kartellschadensersatzrichtlinie allein ausgeschlossen, dass er – wie auch § 89b GWB – für solche Schadensersatzverfahren zur Anwendung gelangt, die bis zum 26. Dezember 2016 rechtshängig geworden sind. Allein der Umstand, dass die Antragstellerinnen das vorliegende einstweilige Verfügungsverfahren nach dem maßgeblichen Zeitpunkt eingeleitet haben, reicht indes für die Anwendbarkeit des § 33g Abs. 1 GWB nicht aus. Denn da der Gesetzgeber der 9. GWB-Novelle den Beweismittelherausgabeanspruch nationalrechtlich als materiell-rechtlichen Anspruch ausgestaltet hat, müssen zu seiner Anwendbarkeit auch die zeitlichen Anwendbarkeitsvoraussetzungen für das materielle Recht vorliegen. Dies ist nicht der Fall.
37(2.2.2)
38Die Vorschrift gilt zwar mangels entsprechender Übergangsregelung seit Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle und damit seit dem 9. Juni 2017. Der in § 33g Abs. 1 GWB normierte Beweismittelherausgabeanspruch besteht indes nur für solche Beweismittel, die für die Erhebung eines auf Schadensersatz gerichteten Anspruchs nach § 33a Abs. 1 GWB erforderlich sind. Die Norm des § 33a GWB ist nach der Übergangsbestimmung des § 186 Abs. 3 S. 1 GWB nur auf solche Schadensersatzansprüche anwendbar, die nach dem 26. Dezember 2016 entstanden sind. Die Antragstellerinnen beabsichtigen jedoch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, die in dem in der herausverlangten Kommissionsentscheidung festgestellten Zeitraum zwischen dem 17. Januar 1997 und dem 18. Januar 2011 entstanden sein sollen. Dass sie auch Schadensersatzansprüche geltend machen wollen, die nach dem 26. Dezember 2016 entstanden seien, haben sie nicht dargelegt. Auf Schadensersatzansprüche, die zwischen 1997 und 2011 entstanden sind, ist § 33a GWB nicht anwendbar und damit auch nicht der Beweismittelherausgabeanspruch des § 33g Abs. 1 GWB. Solche Ansprüche richten sich vielmehr nach § 33 Abs. 3 GWB a.F.. Dieser wird in § 33g Abs. 1 GWB nicht erwähnt, so dass diese Vorschrift nur auf neu entstandene Schadensersatzansprüche nach § 33a Abs. 1 GWB anwendbar ist, nicht aber auf früher entstandene nach § 33 Abs. 3 GWB a.F..
39Die von den Antragstellerinnen vertretene Auffassung, § 33g Abs. 1 GWB erfasse auch ältere Schadensersatzansprüche, findet im Gesetzeswortlaut und in der Gesetzesbegründung keine Stütze. Offen bleiben kann, ob der nationale Gesetzgeber durch die Übergangsvorschrift in Art. 22 Abs. 1 der Kartellschadensersatzrichtlinie, nach der die Mitgliedsstaaten gewährleisten müssen, dass die materiell-rechtlichen Umsetzungsvorschriften nicht rückwirkend gelten, daran gehindert war, den Beweismittelherausgabeanspruch auf ältere Schadensersatzansprüche – die nach dem 26. Dezember 2016 gerichtlich geltend gemacht werden, § 186 Abs. 4 GWB – zu erstrecken, nachdem dieser unionsrechtlich Verfahrensvorschrift ist. Hätte der Gesetzgeber eine solche Rückwirkung anordnen wollen, hätte in § 33g Abs. 1 GWB jedenfalls neben der neuen Schadensersatzgrundlage des § 33a GWB auch § 33 Abs. 3 GWB a.F. Erwähnung finden müssen. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands, dass dem Gesetzgeber die Problematik der Rückbeziehung der neuen Vorschriften der 9. GWB-Novelle auf ältere Sachverhalte durchaus bewusst war. So hat er etwa in § 186 Abs. 3 S. 2 GWB ausdrücklich die neue Verjährungsvorschrift des § 33h GWB auch auf solche vor dem 27. Dezember 2016 entstandenen Unterlassungs-, Beseitigungs- oder Schadensersatzansprüche wegen eines Verstoßes gegen eine Vorschrift im Sinne des § 33 Abs. 1 GWB oder gegen eine Verfügung der Kartellbehörde für anwendbar erklärt, die am 9. Juni 2017 noch nicht verjährt waren. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass § 33h GWB nicht nur auf Ansprüche nach § 33 Abs. 1 und 3 GWB a.F. Anwendung findet, sondern auch Ansprüche wegen eines Verstoßes gegen eine der dort genannten Vorschriften oder Verfügungen erfasst werden, die vor Inkrafttreten des § 33 GWB in der vom 1. Juli 2005 an geltenden Fassung entstanden sind, und dass auf diese Weise Unklarheiten vermieden werden, die nach dem Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle entstanden sind. Mit der Neufassung werde insbesondere klargestellt, dass die Hemmungsvorschrift des § 33h Abs. 6 GWB auch für unverjährte Schadensersatzansprüche gilt, die auf § 33 Abs. 3 GWB a.F. bzw. entsprechenden Vorgängerrechtsgrundlagen beruhen (vgl. BT-Drucks. 18/11446, S. 34).
40Im Gegensatz zu §§ 33h, 186 Abs. 3 S. 2 GWB ergibt sich eine Rückbeziehung des Beweismittelherausgabeanspruchs aus § 33g Abs. 1 GWB auf alte Schadensersatzansprüche indes weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Gesetzesbegründung zu dieser Norm oder der Übergangsvorschrift (vgl. BT-Drucks. 18/10207, S. 62, 107, BT-Drucks. 18/11446, S. 34).
41Soweit es in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu Art. 8 der 9. GWB-Novelle (Inkrafttreten) heißt, dass §§ 33g und 89b GWB in Rechtsstreiten Anwendung finden sollen, in denen nach dem 26. Dezember 2016 Klage erhoben wurde, „z.B. um einen vor dem 27. Dezember 2016 entstandenen Schadensersatzanspruch geltend zu machen“ (BT-Drucks. 18/11446, S. 32), ist dem-nach offensichtlich nicht an § 33g GWB als eigenständigen materiell-rechtlichen Anspruch gedacht worden, wie er hier geltend gemacht wird, sondern nur daran, dass in nach dem 26. Dezember 2016 erhobenen Schadensersatzklagen das Gericht gemäß den Verfahrensvorschriften der § 89b Abs. 1 und 2 GWB, § 142 ZPO die Vorlage von Urkunden anordnen kann. Ob sich diese gerichtliche Anordnung der Urkundenvorlage zur richtlinienkonformen Umsetzung auch auf alte Schadensersatzansprüche erstrecken muss, die nach dem 26. Dezember 2016 eingeklagt werden, weil die Mitgliedstaaten der Richtlinie gemäß deren Art. 21 Abs. 1 spätestens bis zum 27. Dezember 2016 nachkommen müssen, und ob § 89b Abs. 1 und 2 GWB dem mit dem Verweis auf § 33g GWB, der wiederum nur auf Schadensersatzansprüche nach § 33a GWB abstellt, gerecht wird, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, weil es im Streitfall allein um den materiell-rechtlichen Herausgabeanspruch aus § 33g Abs. 1 GWB geht, der alte Schadensersatzansprüche jedenfalls nicht erfasst.
42(3)
43Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerinnen ist aus § 89b Abs. 5 GWB überdies unbegründet, soweit die Herausgabe der in den Fußnoten der kartellbehördlichen Entscheidung angegebenen Beweisdokumente verlangt wird. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift gewährt § 89b Abs. 5 GWB alleine einen Anspruch auf Herausgabe der bindenden Entscheidung der Wettbewerbsbehörde, die den Kartellverstoß des in Anspruch genommenen Unternehmens feststellt. Von dort in Bezug genommenen Urkunden und sonstigen Beweismitteln ist in § 89b Abs. 5 GWB nicht die Rede.
44Die Frage, ob die Entscheidung der Kartellbehörde in einer nicht-vertraulichen Fassung oder in der vertraulichen Fassung herausgegeben werden muss und inwieweit im Verfahren nach § 89b Abs. 5 GWB Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu schützen sind, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.
45bb)
46Das auf § 89b Abs. 5 GWB gestützte einstweilige Rechtsschutzbegehren der Antragstellerinnen scheitert schließlich auch deshalb, weil ein Verfügungsgrund fehlt.
47(1)
48Mit Recht hat das Landgericht angenommen, dass § 89b Abs. 5 GWB, indem er die Anordnung zur Herausgabe der kartellbehördlichen Entscheidung „im Wege einstweiliger Verfügung auch ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 935 und 940 ZPO bezeichneten Voraussetzungen“ gestattet, keinen einstweiligen Rechtsschutz ohne eine Dringlichkeit der Angelegenheit (= Verfügungsgrund) bereitstellt, sondern zu Gunsten des Kartellgeschädigten lediglich eine widerlegbare tatsächliche Vermutung der Eilbedürftigkeit normiert.
49(1.1)
50Für dieses Normverständnis spricht schon der Wortlaut des § 89b Abs. 5 GWB.
51Die Vorschrift ist in Zusammenhang mit dem Beweismittelherausgabeanspruch aus § 33g Abs. 1 GWB zu betrachten. Nach jener Norm kann der Kartellgeschädigte (u.a.) von dem Kartellschadensersatzschuldner die Herausgabe aller Beweismittel verlangen, die für die Erhebung einer Schadensersatzklage notwendig sind. Dieser Beweismittelherausgabeanspruch kann nicht nur klageweise, sondern nach allgemeinen Grundsätzen auch im Wege der einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden. Voraussetzung ist in diesem Fall, dass die für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erforderliche Dringlichkeit (vgl. §§ 935, 940 ZPO) vorliegt. Darüber hinaus werden im Allgemeinen die qualifizierten Voraussetzungen erfüllt sein müssen, die die Rechtsprechung für den Erlass einer Leistungsverfügung verlangt. Denn die Anordnung zur Herausgabe der verlangten Beweismittel führt üblicherweise nicht nur zu einer Sicherung, sondern zur vollständigen Erfüllung des Anspruchs aus § 33g Abs. 1 GWB.
52Für das Beweismittel der bestandskräftigen kartellbehördlichen Entscheidung erleichtert § 89b Abs. 5 GWB die Geltendmachung des Herausgabeanspruchs aus § 33g Abs. 1 GWB im einstweiligen Rechtsschutz. Die Vorschrift befreit den antragstellenden Kartellgeschädigten zum einen davon, die Dringlichkeit seines Herausgabebegehrens darzulegen und glaubhaft zu machen. Denn die gerichtliche Herausgabeanordnung kann „ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in §§ 935, 940 ZPO bezeichneten Voraussetzungen“ ergehen. Bereits der Wortlaut der Norm stellt klar, dass im Rahmen des § 89b Abs. 5 GWB nicht die Eilbedürftigkeit selbst entbehrlich ist, sondern nur ihre Darlegung und Glaubhaftmachung. § 89b Abs. 5 GWB erlaubt zum anderen den Erlass einer auf Erfüllung gerichteten Herausgabeverfügung, ohne dass insoweit die ansonsten üblichen (zusätzlichen) Anforderungen an die Dringlichkeit des Herausgabebegehrens gestellt werden.
53(1.2)
54Bestätigt wird der Befund einer bloßen Dringlichkeitsvermutung durch den Vergleich mit der insoweit textgleichen Vorschrift des § 12 Abs. 2 UWG. Danach können zur Sicherung der im UWG bezeichneten Ansprüche auf Unterlassen einstweilige Verfügungen auch ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 935 und 940 ZPO bezeichneten Voraussetzungen erlassen werden.
55(1.2.1)
56Es entspricht ständiger Rechtsprechung zu § 12 Abs. 2 UWG, dass diese Vorschrift einen Verfügungsgrund nicht entbehrlich macht, sondern die widerlegbare tatsächliche Vermutung enthält, dass die Durchsetzung der begehrten Verbotsverfügung in Wettbewerbssachen für den Antragsteller in der Regel von besonderer Dringlichkeit ist, und dass der Antragsteller diese Vermutung durch sein eigenes Verhalten widerlegt, wenn er damit zum Ausdruck bringt, dass ihm an einer zeitnahen Klärung der Berechtigung seiner Ansprüche nicht wirklich gelegen ist, weil er etwa mit der Rechtsverfolgung zu lange wartet oder das Verfahren nicht zügig, sondern schleppend betreibt (vgl. BGH, Beschluss vom 01.07.1999, I ZB 7/99, Rn. 10 f. bei juris; OLG Köln, Urteil vom 14.07.2017, 6 U 197/16, Rn. 69 ff. bei juris; Urteil vom 13.12.2013, I-6 U 100/13 – Haarverstärker, Rn. 12 bei juris; Beschluss vom 22.01.2010, I-6 W 149/09 – Ausgelagerte Rechtsabteilung, Rn. 1 f. bei juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.07.2014, I-20 U 231/13 – Vertragswidrige Stromkostenabschläge, Rn. 9 bei juris; Urteil vom 13.02.2014, I-6 U 84/13, Rn. 60 ff. bei juris; Urteil vom 30.04.2013, I-20 U 169/12, Rn. 16 f. bei juris; Beschluss vom 15.07.2002, I-20 U 74/02, Rn. 3 bei juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 17.01.2013, 6 U 88/12, Rn. 18 ff. bei juris; OLG Hamburg, Urteil vom 07.02.2007, 5 U 140/06, Rn. 17 bei juris; Urteil vom 06.12.2006, 5 U 67/06, Rn. 16 bei juris; Beschluss vom 23.11.2006, 5 W 167/06, Rn. 3 bei juris; Beschluss vom 28.02.2002, 3 U 347/01, Rn. 7 bei juris; KG Berlin, Beschluss vom 29.07.2005, 5 W 85/05, Rn. 6 ff. bei juris).
57(1.2.2)
58Der Gesetzgeber der 9. GWB-Novelle hat für § 89b Abs. 5 GWB in Kenntnis der zu § 12 Abs. 2 UWG ergangenen Rechtsprechung denselben Wortlaut gewählt, so dass auch für § 89b Abs. 5 GWB angenommen werden muss, dass die Dringlichkeit nicht verzichtbar ist, sondern nur widerleglich vermutet wird.
59Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/10207, S. 101; 18/11446, S. 30 f.) ergibt sich nichts anderes; diese geht auf die Bedeutung der Formulierung schlicht nicht ein. Etwas anderes ergibt sich – entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen – auch nicht daraus, dass es sich im Fall von § 12 Abs. 2 UWG um Unterlassungsverfügungen und im Fall von § 89b Abs. 5 GWB um Leistungsverfügungen handelt. Abgesehen davon, dass auch Unterlassungsverfügungen Leistungsverfügungen sein können, legen die Antragstellerinnen keine Umstände dar und solche sind auch sonst nicht ersichtlich, die eine unterschiedliche Bedeutung des übereinstimmenden Wortlauts der Normen rechtfertigen könnten. Dass es schlicht nicht dasselbe sei, ob ein Betroffener sich gegen eine behauptete Rechtsverletzung nicht zeitnah zur Wehr setze und ob ein Gläubiger seinen Leistungsanspruch nicht unmittelbar verfolge, überzeugt nicht, denn ein dringendes Bedürfnis kann sowohl für die Abwehr einer Rechtsverletzung als auch für die Geltendmachung eines Leistungsanspruchs gegeben sein oder aber fehlen. Daher können gerade nicht nur im Fall der längeren Duldung einer Rechtsverletzung nach der Lebenserfahrung Rückschlüsse dahingehend gezogen werden, dass dem Betroffenen die Rechtsverletzung offenbar nicht bedeutsam genug sei, als dass im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entschieden werden müsste. Solche Rückschlüsse können ebenso gezogen werden, wenn ein Leistungsanspruch längere Zeit nicht verfolgt wird.
60(2)
61Zutreffend hat das Landgericht ebenso festgestellt, dass die Dringlichkeitsvermutung des § 89b Abs. 5 GWB durch das Verhalten der Antragstellerinnen widerlegt ist.
62(2.1)
63Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zu diesem Gesichtspunkt (vgl. etwa Beschluss vom 13.09.2016, VI-W (Kart) 9/16; vom 17.10.2014, VI-W (Kart) 5/14; vom 22.05.2012, VI-W (Kart) 4/12; vom 12.03.2012, VI-W (Kart) 2/12) hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die antragstellende Partei alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um einen möglichst baldigen Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung zu erreichen. Kommt sie dieser prozessualen Obliegenheit nicht nach und lässt sie es zu vermeidbaren Verfahrensverzögerungen kommen, rechtfertigt dies in aller Regel den Schluss, dass ihr die Rechtsverfolgung nicht eilig und die Angelegenheit folglich nicht dringlich ist. Nach welchen Zeiträumen des Zuwartens nicht mehr von einer besonderen Dringlichkeit ausgegangen werden kann, hängt zwar von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Sofern nicht besondere rechtfertigende Gründe vorliegen, ist allerdings ein Zeitraum von mehr als vier Wochen dringlichkeitsschädlich (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 13.09.2016, VI-W (Kart) 9/16; vom 17.10.2014, VI-W (Kart) 5/14).
64(2.2)
65Nach diesen Grundsätzen haben die Antragstellerinnen die Dringlichkeit ihres Begehrens auf Herausgabe der kartellbehördlichen Entscheidung durch ihr Verhalten selbst widerlegt. Wie die Antragstellerinnen selbst mitteilen, wurde am 19. Juli 2016 eine Pressemitteilung (Bl. 312 GA) zu der Entscheidung der Europäischen Kommission vom selben Tag veröffentlicht. Eine Zusammenfassung der Entscheidung wurde am 6. April 2017 im Amtsblatt der EU C 108/6 veröffentlicht. Eine nicht-vertrauliche Fassung der Entscheidung wurde zu einem späteren, jedenfalls vor den Schreiben der Antragstellerinnen an die Antragsgegnerinnen vom 13./14. Juli 2017 (Bl. 180, 316, 542, 616 GA) liegenden Zeitpunkt auf der Internetseite der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission veröffentlicht. Für die Antragstellerinnen war daher bereits seit Veröffentlichung der Pressemitteilung am Tag der Entscheidung erkennbar, dass sie kartellrechtliche Schadensersatzansprüche gegen die Antragsgegnerinnen haben können, zu deren Geltendmachung sie auf Auskunft über den Inhalt der Kommissionsentscheidung angewiesen sein könnten. Sie hätten daher bereits seit dem 19. Juli 2016 die Antragsgegnerinnen auffordern können, ihnen die Entscheidung zu überlassen, sobald sie zugestellt ist, und im Verweigerungsfall die Überlassung im Wege einstweiliger Verfügung bei Gericht beantragen können. Stattdessen haben die Antragstellerinnen ein Jahr seit Erlass der Kommissionsentscheidung vom 19. Juli 2016 zugewartet und anscheinend erstmals mit den Schreiben vom 13./14. Juli 2017 überhaupt Schadensersatzansprüche gegenüber den Antragsgegnerinnen geltend gemacht. Sie haben weitere zwei Monate abgewartet, bevor sie mit Schreiben vom 14. September 2017 erstmals – und offenbar nur von der Antragsgegnerin zu 4) – eine vollständige Kopie der vertraulichen Fassung der Kommissionsentscheidung verlangt haben (Bl. 748 GA). Dieses Zuwarten, für das Rechtfertigungsgründe weder dargelegt noch ersichtlich sind, rechtfertigt den Schluss, dass den Antragstellerinnen die Rechtsverfolgung nicht eilig und die Angelegenheit folglich nicht dringlich ist.
66In diesem Zusammenhang ist unerheblich, dass die Antragstellerinnen einen Monat nach Ablaufen der mit Schreiben vom 14. September 2017 bis zum 21. September 2017 gesetzten Frist zur Herausgabe der vertraulichen Fassung der Kommissionsentscheidung, nämlich am 20. Oktober 2017, ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung anhängig gemacht haben. Entscheidend ist, dass die Antragstellerinnen seit dem Erlass dieser Entscheidung zu lange zugewartet haben, als dass ihnen die Herausgabe eilig sein könnte. Auch soweit die Antragstellerinnen sich darauf berufen, sie hätten die Herausgabe der vertraulichen Fassung der Kommissionsentscheidung im Wege einstweiliger Verfügung erst seit Inkrafttreten des § 89b Abs. 5 GWB am 9. Juni 2017 geltend machen können, bestätigt dies nur den Befund fehlender Eilbedürftigkeit. Denn damit räumen sie ein, dass sie die Dringlichkeit ihres Begehrens vor Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle und damit unter der Geltung der §§ 935, 940 ZPO nicht hätten darlegen geschweige denn glaubhaft machen können. Davon abgesehen ist auch der Zeitraum zwischen dem 9. Juni 2017 und dem 20. Oktober 2017 dringlichkeitsschädlich.
67b)
68Können die Antragstellerinnen nach alledem ihr einstweiliges Rechtsschutzbegehren nicht auf § 89b Abs. 5 GWB stützen, scheidet auch eine anderweitige Rechtsgrundlage aus.
69aa)
70Es fehlt schon an Sachvortrag zu einem solchen (anderen) Verfügungsanspruch. Die Anwendbarkeit deutschen Sachrechts unterstellt, lässt sich das Herausgabebegehren schon deshalb nicht auf § 242 BGB stützen, weil die Antragstellerinnen nicht vorgetragen haben, dass und in welchem Umfang sie zur Geltendmachung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen überhaupt auf die vertrauliche Fassung der Kommissionsentscheidung angewiesen sind und die ihnen zugängliche nicht-vertrau-liche Fassung nicht ausreichen soll.
71bb)
72Es fehlt überdies an einem Verfügungsgrund, namentlich an einer bestehenden oder zumindest drohenden Notlage der Antragstellerinnen.
73Die Antragstellerinnen erstreben mit ihrem Antrag die Verpflichtung der Antragsgegnerinnen zur Vorlage der vertraulichen und vollständigen Fassung der den Antragsgegnerinnen gegenüber erlassenen Bußgeldentscheidung der Europäischen Kommission vom 19. Juli 2016 im Fall AT.39824 einschließlich sämtlicher in den Fußnoten in Bezug genommener Beweisdokumente und damit den Erlass einer Leistungsverfügung (Befriedigungsverfügung) als Unterfall der Regelungsverfügung im Sinne des § 940 ZPO. Damit begehren die Antragstellerinnen über eine bloße Sicherung der späteren Durchsetzung von Rechtsansprüchen hinaus die vorübergehende und unumkehrbare Gewährung einer Rechtsposition, die im Wesentlichen die Rechte umfasst, die ihr im Falle eines Obsiegens in der Hauptsache einzuräumen wären.
74(1)
75Eine solche Leistungsverfügung (Befriedigungsverfügung) ist - weil sie zu einer im Gesetz nicht vorgesehenen Vorwegnahme der Hauptsache führt - nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Nach ständiger Senatsrechtsprechung (vgl. Senat, Urteil vom 14. Oktober 2015, VI-U (Kart) 9/15, juris; Urteil vom 21. November 2012, VI-U (Kart) 14/12, Umdruck S. 12 f.; Urteil vom 10. November 2010, VI-U (Kart) 19/10, IPRspr 2010, Nr. 238, 592-596, Rn. 63 bei juris m.w.N.; Urteil vom 22. Juni 2010, VI-U (Kart) 9/10, WuW/E DE-R 2947, Rn. 49 bei juris; Beschluss vom 24. Februar 2010, VI-W (Kart) 1/10, Rn. 49 ff. bei juris) und der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2014, 2 W 237/14, NJW 2015, 711, 712, Rn. 9 ff. bei juris; OLG Köln, Urteil vom 17. Mai 2013, 19 U 38/13, Rn. 5 bei juris; OLG Koblenz, Urteil vom 30. November 2012, 10 U 304/12, VersR 2014, 96; OLG München, Urteil vom 26. September 2012, 7 U 3821/11, Rn. 4 f. bei juris; OLG Jena, Beschluss vom 8. März 2012, 4 W 101/12, MDR 2012, 488, 489, Rn. 14 f. bei juris) genügt es nicht, dass ohne den Erlass der einstweiligen Verfügung die Verwirklichung eines Anspruchs des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 935 ZPO) oder der nachgesuchte einstweilige Rechtsschutz erforderlich ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 940 ZPO). Eine Leistungsverfügung kommt nur bei bestehender oder zumindest drohender Notlage des Antragstellers in Betracht. Dieser muss so dringend auf die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs angewiesen sein oder ihm müssen so erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohen, dass ihm ein Zuwarten bei der Durchsetzung seines Anspruchs oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht zuzumuten ist. Dem Interesse der antragstellenden Partei an einer Gewährung effektiven Rechtsschutzes durch Erlass der Leistungsverfügung ist dabei das schutzwürdige Interesse der verfügungsbeklagten Partei gegenüberzustellen, in einem mit nur eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten ausgestatteten summarischen Verfahren nicht zur Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs angehalten zu werden. In die erforderliche Abwägung der beiderseitigen Belange sind ferner die Erfolgsaussichten des Verfügungsantrags einzubeziehen. Ist die Rechtslage eindeutig und lässt sich die Berechtigung des verfolgten Anspruchs zweifelsfrei feststellen, so ist der Antragsgegner weniger schutzbedürftig und es überwiegt im Zweifel das Interesse des Antragstellers daran, dass ihm der Anspruch bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zuerkannt wird. Die dargestellten Beurteilungskriterien stehen dabei in einer Wechselbeziehung zueinander. Ist die Berechtigung des geltend gemachten Anspruchs eindeutig und/oder liefe die Versagung einer Leistungsverfügung auf eine endgültige Rechtsverweigerung hinaus, so sind geringere Anforderungen an die wirtschaftliche Notlage zu stellen. Umgekehrt ist die Schwelle für die zu fordernde Notlage höher anzusetzen, sofern die Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers nicht völlig zweifelsfrei und/oder eine spätere Geltendmachung von Schadensersatz zumutbar ist.
76Hierbei trägt der Antragsteller eines Verfügungsverfahrens - im Streitfall also die Antragstellerinnen - für das Vorliegen der die Annahme eines Verfügungsgrundes tragenden Tatsachen die Last der Darlegung und Glaubhaftmachung (vgl. Senat, Urteil vom 14. Oktober 2015, VI U (Kart) 9/15, juris; Urteil vom 21. November 2012, VI-U (Kart) 14/12, Umdruck S. 13 f.; Urteil vom 10. November 2010, VI-U (Kart) 19/10, IPRspr 2010, Nr 238, 592-596, Rn. 64 bei juris).
77(2)
78Gemessen an diesen Grundsätzen können die Antragstellerinnen im vorliegenden Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz mit ihrem Leistungsbegehren nicht durchdringen. Zu einer im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung erheblichen Notlage fehlt jedweder substantiierte Sachvortrag. Erst recht haben die Antragstellerinnen eine solche Notlage nicht glaubhaft gemacht.
79Die Antragstellerinnen beabsichtigen, gegen die Antragsgegnerinnen Ersatz der Schäden geltend zu machen, die ihnen als Abnehmer von LKW der Antragsgegnerinnen daraus entstanden seien, dass die Antragsgegnerinnen im Zeitraum zwischen dem 17. Januar 1997 und dem 18. Januar 2011 kartellrechtswidrig Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für LKW sowie Absprachen über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für LKW nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6 getroffen hätten, wie die Europäische Kommission in ihrer Bußgeldentscheidung vom 19. Juli 2016 gegenüber den Antragsgegnerinnen festgestellt habe.
80Die Antragstellerinnen haben indes weder in der Antragsschrift noch in ihrem Schriftsatz vom 21. Dezember 2017 noch in der Beschwerdeschrift dazu vorgetragen, dass sie zur Geltendmachung solcher Schadensersatzansprüche so dringlich auf die Herausgabe der vollständigen und vertraulichen Fassung der Bußgeldentscheidung der Europäischen Kommission angewiesen seien, dass ihnen eine Verfolgung eines Anspruchs auf Herausgabe dieser Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zuzumuten sei. Insbesondere haben sie weder vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass ohne Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung die Verjährung der von ihnen behaupteten Schadensersatzansprüche drohen und auch nicht mehr anderweitig – etwa durch die Erhebung einer auf Auskunftserteilung und Zahlung von Schadensersatz gerichteten Stufenklage – gehemmt werden könnte.
81II.
82Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
83Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §§ 574 Abs. 1 S. 2 i.V.m. 542 Abs. 2 S. 1 ZPO.
84III.
85Der Streitwert war sowohl für das landgerichtliche Verfahren wie auch für das Beschwerdeverfahren auf jeweils 600.000 Euro festzusetzen. Auf diesen Betrag ist das wirtschaftliche Interesse, das die vier Antragstellerinnen mit ihrem Verfügungsbegehren verfolgen, zu veranschlagen. Auf Nachfrage des Senats haben die Antragstellerinnen den von ihnen erlittenen Kartellschaden plausibel auf 1,6 bis 2 Mio. Euro geschätzt. Berücksichtigt man, dass die Antragsgegnerinnen zur Herausgabe nicht nur einer ungeschwärzten Fassung der kartellbehördlichen Entscheidung, sondern auch aller in jener Entscheidung in Bezug genommenen Unterlagen und Beweisdokumente verpflichtet werden sollen, ist das vorliegende Verfahren für die Antragstellerinnen von erheblicher Bedeutung, um den in Aussicht genommenen Kartellschadensersatz erfolgversprechend geltend machen zu können. Aus diesem Grund ist es geboten, das wirtschaftliche Interesse auf ein Drittel des mittleren Schadensbetrages, mithin auf 600.000 Euro (1,8 Mio. Euro x 1/3), festzusetzen.