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Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 09.08.2017 – VK 1-77/17 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich des Verfahrens nach § 173 Abs. 1Satz 3 GWB werden der Antragstellerin auferlegt.
Gründe:
2I.
3Die Antragsgegnerin führt ein europaweites Verhandlungsverfahren nach Teilnahmewettbewerb zur Vergabe von Anbau, Weiterverarbeitung, Lagerung, Verpackung und Lieferung von Cannabis zu medizinischen Zwecken durch (EU-Bekanntmachung: 2017/S 070-131987).
4Die … Bewerber, die nach dem Teilnahmewettbewerb zur Angebotsabgabe aufgefordert werden sollen, werden – so die Vergabeunterlagen - anhand vorzulegender Referenzen ausgewählt. Die Referenzen werden je nach Liefermenge mit Punkten bewertet. Für „Cannabis-Referenzen“ sind bis zu … Punkte zu erreichen, für „Arzneimittel-Referenzen“ höchstens … Punkte, so dass insgesamt eine Höchstpunktzahl von … Punkten erzielt werden kann.
5In den Unterlagen zur „Aufforderung zur Abgabe von Teilnahmeanträgen, Stand 18. Mai 2017“, wies die Antragsgegnerin auf die Möglichkeit der Eignungsleihe gemäß § 47 VgV hin und zitierte die Vorschrift. Auf mehrere Bieterfragen teilte sie ferner mit, dass der „Eignungsverleiher“ die auszuführende Leistung auch tatsächlich erbringen müsse (Frage Nr. 97, 107, 109, 130, 142) und Verpflichtungserklärungen und Eigenerklärungen des „Eignungsverleihers“ vorzulegen seien (Fragen Nr. 54, 124, 130).
6Die Antragstellerin und über … weitere Bewerber reichten fristgerecht Teilnahmeanträge ein. Ihrem Teilnahmeantrag beigefügt hatte die Antragstellerin eine in englischer Sprache abgefasste, mit Memorandum of Understanding überschiebene und am 05.06.2017 von der Antragstellerin und einem als Service Provider bezeichnetem Unternehmen unterschriebene Unterlage. Gleichzeitig legte sie ein in deutscher Sprache abgefasstes Dokument, ebenfalls auf den 05.06.2017datiert und unterschrieben als deutsche Übersetzung vor („Verpflichtender Dienstleistungsvertrag“).
7Nach Wertung der Teilnahmeanträge teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert werde, weil sie die Mindestbedingungen gemäß der Bekanntmachung bzw. Ziff. 3.2 der Aufforderung zur Abgabe von Teilnahmeanträgen nicht erfülle. … Bewerber, zu denen auch die Beigeladene gehörte, forderte sie unterdessen zur Abgabe eines Erstangebots und zur Teilnahme an dem Verhandlungsverfahren auf.
8Die Antragstellerin rügte am 9. Juli 2017 die Wertung ihre Referenzen als vergaberechtsfehlerhaft. Die Antragsgegnerin half der Rüge nicht ab, weshalb die Antragstellerin Nachprüfung bei der zuständigen Vergabekammer beantragte.
9Mit Beschluss vom 9. August 2017 wies die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zurück. Die Antragsgegnerin habe die „Cannabis-Referenz“ der Antragstellerin zu Recht nicht gewertet, weil die vorgelegte Erklärung nicht die Anforderungen des § 47 VgV erfülle. Sowohl die englische Fassung als auch die deutsche Übersetzung des Dokuments vom 05.06.2017 enthalte keine verbindliche Verpflichtung des Eignungsgebers, der Antragstellerin seine Mittel tatsächlich zu überlassen.
10Noch bevor die Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer sofortige Beschwerde eingelegt hat, versetzte die Antragsgegnerin das Vergabeverfahren in den Stand vor Bewertung der Teilnahmeanträge zurück, weil sich aufgrund von Nachfragen und damit verbundener Hinweise einzelner Bewerber die Notwendigkeit ergeben hatte, einige Teilnahmeanträge ergänzend aufzuklären. Sie unterrichtete hiervon die betroffenen Bewerber mit Schreiben vom 9. August 2017. Das Ergebnis der Aufklärung veranlasste die Antragsgegnerin zu einer Neubewertung einzelner Teilnahmeanträge, zu denen auch der Teilnahmeantrag der Beigeladenen gehörte. Die Aufklärung und Neubewertung führte dazu, dass sich das Ergebnis der Teilnehmerauswahl zum Teil veränderte. Die Beigeladene ist im Kreis der … Bewerber verblieben und mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 24. August 2017 aufgefordert worden, sich an dem Verhandlungsverfahren zu beteiligen.
11Die Antragstellerin vertieft und ergänzt ihr Vorbringen. Die Voraussetzungen der Eignungsleihe lägen vor. Die Vergabekammer habe den Inhalt des Memorandum of Understanding nicht richtig ausgelegt. Alle Beteiligten seien bei Abfassen des Dokuments von Anfang an von der Rechtsverbindlichkeit ausgegangen. Dies habe der Service-Provider in seinem Schreiben vom 07.08.2017 (Anl. Ast 3 zur Beschwerdeschrift vom 23.08.2017) bestätigt. Die Tatsache, dass die Antragsgegnerin Zweifel an der Rechtsverbindlichkeit hegte, hätte sie vor Ausschluss des Teilnahmeantrags veranlassen müssen, die Antragstellerin um Aufklärung zu bitten. Ein neuer Vergaberechtsverstoß liege darin, dass die Antragsgegnerin sie nicht darüber informiert habe, dass sie das Verfahren zurückversetzen und eine Neubewertung der Teilnahmeanträge vornehmen werde. Darin liege ein Verstoß gegen das Transparenzgebot und den Gleichbehandlungsgrundsatz.
12Die Antragstellerin beantragt,
13den Beschluss der Vergabekammer des Bundes vom 09.08.2017 aufzuheben und der Antragsgegnerin aufzugeben, die Wertung der Teilnahmeanträge unter Einbeziehung des Teilnahmeantrags der Antragstellerin zu wiederholen.
14Die Antragsgegnerin beantragt,
15die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
16Die Antragsgegnerin verteidigt den angefochtenen Beschluss und vertieft ihr Vorbringen.
17Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
18II.
19Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet.
20Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zu Recht zurückgewiesen.
211.
22Die Entscheidung der Antragsgegnerin, die von der Antragstellerin vorgelegte „Cannabis-Referenz“ des Eignungsgebers mit … Punkten zu bewerten, weil die Voraussetzungen der Eignungsleihe nicht nachgewiesen seien, ist vergaberechtsgemäß.
23a.
24Die von der Antragsgegnerin gestellten Anforderungen an die Eignung der Teilnehmer sind vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Weder liegt ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen das Transparenzgebot vor.
25Die Antragsgegnerin hat Anforderungen an die technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Teilnehmer gestellt. So fordert sie unter III. 1. 3) der Auftragsbekanntmachung Angaben zu Referenzen des Bieters (1.) über früher ausgeführte Aufträge zu Anbau, Verarbeitung und Lieferung von medizinischem Cannabis in den letzten drei Kalenderjahren sowie dem Jahr 2017, soweit vorhanden, und (2.) über früher ausgeführte Aufträge zu Anbau, Verarbeitung und Lieferung von Arzneimittelpflanzen in den letzten drei Jahren, soweit vorhanden. Unter Ziff. 3.2 der Leistungsbeschreibung ist ausgeführt, dass als Mindestbedingung zur Bejahung der Eignung mindestens eine Referenz entweder über einen Auftrag zu Anbau, Verarbeitung und Lieferung von medizinischem Cannabis oder über einen Auftrag zu Anbau, Verarbeitung und Lieferung von Arzneimittelpflanzen (Liefermenge mindestens … kg), in den letzten drei Jahren, vorzulegen ist.
26Dem öffentlichen Auftraggeber ist es gemäß § 46 Abs. 1 Satz VgV gestattet, Anforderungen an die technische und berufliche Leistungsfähigkeit zu stellen, die sicherstellen, dass die Bewerber oder Bieter über die erforderlichen personellen und technischen Mittel sowie ausreichende Erfahrungen verfügen, um den Auftrag in angemessener Qualität ausführen zu können. In jedem Fall müssen die Anforderungen an die technische und berufliche Leistungsfähigkeit in einem konkreten Sachzusammenhang mit dem zu vergebenden Auftrag stehen und dem Auftragsgegenstand angemessen sein (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 25.06.2014, VII-Verg 38/13, juris Rn. 21). Ein Beurteilungsspielraum steht dem Auftraggeber beim Festlegen von Eignungsanforderungen nicht zu. Sowohl beim Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand als auch bei der Angemessenheit handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die keinem Beurteilungsspielraum zugänglich sind. Zwar unterliegt die Festlegung der Eignungsanforderungen der Zuständigkeit und Einschätzung des Auftraggebers. Gleichwohl ist sie in rechtlicher Hinsicht durch die Nachprüfungsinstanzen voll überprüfbar.
27Nach diesem Maßstab genügen die genannten Anforderungen an die technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Teilnehmer den Anforderungen.
28Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Auftragsgegenstand (Anbau, Weiterverarbeitung, Lagerung, Verpackung und Lieferung von Cannabis zu medizinischen Zwecken in einer gesicherten Inhouse-Plantage in Deutschland) und der geforderten Berufserfahrung in der Ausführung von Aufträgen zu Anbau, Verarbeitung und Lieferung von medizinischem Cannabis und Arzneimittelpflanzen. Die Antragsgegnerin hat ein Interesse daran zu erfahren, ob die Bewerber vergleichbare Leistungen schon erfolgreich erbracht haben. Verfügen sie über die erforderlichen Erfahrungen, bieten sie Gewähr dafür, auch den erstmals in Deutschland zu vergebenden Auftrag zufriedenstellend zu erfüllen.
29Die an die beruflichen Erfahrungen gestellte Anforderung ist im Hinblick auf den zu vergebenden Auftrag auch nicht unangemessen.
30Zwar verfügen im Inland ansässige Unternehmen nicht über die geforderte Erfahrung in Anbau, Verarbeitung und Lieferung von medizinischem Cannabis, weil diese Tätigkeit bis vor kurzem einem absoluten gesetzlichen Verbot unterlag. Dennoch steht die Forderung nach der beruflichen Leistungsfähigkeit nicht in einem unangemessenen Verhältnis zu dem Gegenstand des Auftrags. Die im Inland ansässigen Bieter werden im Verhältnis zu den ausländischen Unternehmen, die Erfahrungen im Anbau, der Verarbeitung und Lieferung von medizinischem Cannabis bereits sammeln konnten und die Anforderungen an die berufliche Eignung ohne die Inanspruchnahme anderer Unternehmen erfüllen können, in der Teilnahme am Wettbewerb um den zu vergebenden Auftrag nicht unzumutbar beeinträchtigt. Die im Inland ansässigen Bewerber haben gemäß § 47 VgV die Möglichkeit, sich hinsichtlich ihrer technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit auf die Eignung anderer Unternehmen zu berufen. Dass für eine solche Eignungsleihe keine Unternehmen zur Verfügung stehen oder deren Bereitschaft zur Zusammenarbeit nur unter schwierigen und nicht zumutbaren Bedingungen herbeigeführt werden kann, ist nicht ersichtlich. Dagegen spricht vielmehr, dass sich unter den … Bewerbern mehrere in Deutschland ansässige Unternehmen befinden.
31b.
32Die Antragstellerin erfüllt die Eignungskriterien nicht.
33Da die Antragstellerin als ein in Deutschland ansässiges Unternehmen über keine Erfahrungen im Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken verfügt, hat sie von der nach Ziff. 5 der Vergabeunterlagen eingeräumten Möglichkeit der Eignungsleihe gemäß § 47 Abs. 1 VgV Gebrauch gemacht.
34Nach § 47 VgV kann sich ein Bewerber oder Bieter zur Erfüllung bestimmter Eignungskriterien, so im Hinblick auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie auf die technische und berufliche Leistungsfähigkeit, auf die Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen berufen, sog. Eignungsleihe. Voraussetzung hierfür ist aber der Nachweis, dass dem Bewerber oder Bieter die für den Auftrag erforderlichen Mittel tatsächlich zur Verfügung stehen. Als Beispiel für einen solchen Nachweis nennt § 47 Abs. 1 Satz 1 VgV die Verpflichtungserklärung des anderen Unternehmens. Die Möglichkeit der Nachweisführung ist hierauf aber nicht beschränkt.
35Die Verpflichtungserklärung ist die verbindliche Zusage eines anderen Unternehmens, dem Bieter die für die Ausführung des Auftrags erforderlichen Mittel uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen. Entscheidend ist, dass sich das andere Unternehmen nicht ohne weiteres von dieser Verpflichtung lösen kann. Absichtserklärungen oder „gentlemen agreements“ reichen nicht aus. Aus der Erklärung muss vielmehr eindeutig hervorgehen, dass ein ungehindertes Zugriffsrecht auf fremde Ressourcen tatsächlich besteht, also die notwendige Unterstützung sichergestellt ist, wenn sie benötigt wird (Opitz in Burgi/Dreher, Vergaberecht, GWB 4. Aufl., § 122 Rn. 35; OLG Brandenburg, Beschluss v. 19.02.2008, Verg W 22/07, juris Rn. 40; Hausmann/Kern in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 47 Rn. 8).
36Der Antragstellerin ist dieser Nachweis nicht gelungen. Die mit ihrem Teilnahmeantrag vorgelegten Unterlagen – hierbei handelt es sich um das Memorandum of Understanding vom 05.06.2017 und der in deutscher Sprache abgefasste „Verpflichtender Dienstleistungsvertrag“ vom 05.06.2017 - können der Antragsgegnerin nicht die Gewissheit verschaffen, dass der Antragstellerin im Falle der Zuschlagsentscheidung die für die Ausführung des Auftrags erforderlichen Mittel von dem dritten Unternehmen tatsächlich zur Verfügung gestellt werden, das genannte Unternehmen also tatsächlich für die Leistungserbringung (Anbau, Weiterverarbeitung, Lagerung, Verpackung und Lieferung von Cannabis) zur Verfügung steht.
37Entgegen dem Vorbringen der Beigeladenen ist jedoch nicht zu beanstanden, dass die Antragstellerin als Nachweis das in englischer Sprache abgefasste Memorandum of Understanding vom 05.06.2017 vorgelegt hat. Zwar ist der Teilnahmeantrag nach Ziff. 2 der Vergabeunterlage mit Ausnahme einiger konkret benannter Unterlagen in deutscher Sprache einzureichen. Allerdings wird die Beifügung einer Übersetzung gestattet. Die Antragstellerin hat ein in deutscher Sprache abgefasstes und ebenfalls auf den 05.06.2017 datiertes Dokument vorgelegt, das mit „Verpflichtender Dienstleistungsvertrag“ überschrieben ist, die Antragstellerin als Kunden und ein anderes Unternehmen als Dienstleister benennt und zudem die Unterschriften eines Vertreters der Antragstellerin und des Dienstleisters trägt. Aus diesem Grund könnte bereits fraglich sein, ob es sich vorliegend überhaupt um die deutsche Übersetzung des Memorandum of Understanding handelt oder vielmehr um eine eigenständige Vereinbarung. Dies bedarf letztlich aber keiner Entscheidung, denn der Inhalt des in deutscher Sprache abgefassten Dokuments genügt nicht den Anforderungen. Während in Ziff. 1 eine Verpflichtung der Antragstellerin des Inhalts enthalten ist, im Fall der Zuschlagserteilung mit dem Dienstleister (Eignungsgeber) einen Vertrag abzuschließen und ihn mit der Bereitstellung von bestimmten vereinbarten Leistungen zu beauftragen, die im Rahmen der Ausschreibung nötig sind (Serviceleistungen) und die den Vorgaben der Leistungsbeschreibung entsprechen, kann der Vereinbarung im Übrigen nicht entnommen werden, dass sich auch und vor allem der Eignungsgeber im Sinne eines Vorvertrags vertraglich zum Abschluss des Hauptvertrags, hier zur Erbringung der verfahrensgegenständlichen Dienstleistungen, verpflichtet hat.
38Ziff. 2 lautet wie folgt:
39„Die Dienststellen werden dem Kunden durch den Dienstleistungserbringer vorbehaltlich und unter der Voraussetzung eines weiteren umfassenden und detaillierten Dienstleistungsvertrags zur Verfügung gestellt, der zwischen den Vertragsparteien ausgehandelt und ausgeführt wird (der unter anderem den Umfang der vereinbarten Dienstleistungen beschreibt, rechtliche und handelsrechtlichen Bedingungen enthält usw.).“
40Der Begriff „Dienststellen“ ist eine Fehlbezeichnung. Tatsächlich gemeint sind die unter Ziff. 1 genannten Serviceleistungen, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang und dem Vergleich mit dem in englischer Sprache abgefassten Original ergibt. Allerdings ist der weitere Inhalt nicht eindeutig. Die Formulierung „vorbehaltlich und unter der Voraussetzung eines weiteren umfassenden und detaillierten Dienstleistungsvertrag…., der zwischen den Parteien ausgehandelt und ausgeführt wird“ kann so verstanden werden, dass die erklärte Zusage zur Leistungserbringung unter der aufschiebenden Bedingung im Sinne von § 158 Abs. 1 BGB steht, dass in der Folgezeit ein detaillierter Dienstleistungsvertrag zustande kommt. Ob der Antragstellerin die zur Ausführung des Auftrags erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden, hängt dann aber davon ab, dass sich die Beteiligten in der Folgezeit überhaupt über den Vertragsinhalt einigen können. Möglich ist aber auch, dass sich der Dienstleister ohne Vorbehalt und damit unbedingt zum Abschluss eines (Haupt-)Vertrags mit dem Kunden und zur Erbringung der in Rede stehenden Dienstleistungen verpflichten wollte. In diesem Fall würde durch die Formulierung „vorbehaltlich und unter der Voraussetzung eines weiteren umfassenden und detaillierten Dienstleistungsvertrag….“ lediglich zum Ausdruck, dass der Abschluss des Dienstleistungsvertrags selbst nicht in Frage steht, sondern nur seine weitere Ausgestaltung bzw. einzelne noch auszuhandelnde Vertragskonditionen.
41Welches Verständnis richtig ist, ergibt sich aus den vorgelegten Schriftstücken nicht.
42Nach Ziff. 3 der in deutscher Sprache abgefassten Unterlage ist die einzig wirksame und verbindliche Fassung der Vereinbarung vom 05.06.2017 die in englischer Fassung unterzeichnete, die nach dem Willen der Parteien dem israelischen Recht unterliegt (Ziff. 4.). Ob Ziff. 2 des Memorandum of Understanding nach israelischem Recht als verpflichtender (Vor-)Vertrag mit oder ohne aufschiebende Bedingung oder sogar nur als unverbindliche Absichtserklärung des Dienstleister zu verstehen ist, steht nicht zweifelsfrei fest. Weder war die Vergabestelle zur Einholung eines Rechtsgutachtens verpflichtet, noch hat das zu den Akten gereichte Privatgutachten des Rechtsanwalts M. irgendeinen Aussagewert, weil es den Sachverhalt nicht einer Prüfung nach israelischem Recht, sondern nach deutschem Recht unterzieht. Darüber hinaus ist unter einem Memorandum of Understanding – hierbei handelt es sich um einen Begriff aus dem US-amerikanischen Rechtskreis – nach allgemeinem Sprachgebrauch eine unverbindliche Absichtserklärung zu verstehen , mit der der Erklärende seine Handlungsziele oder Pläne mitteilt. Zutreffend hat die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung zudem auf den eindeutigen Inhalt der von der Antragstellerin vorgelegten „Arzneimittelreferenz“ verwiesen, der den Rückschluss darauf zulässt, dass die Antragstellerin durchaus in der Lage war, eine den Anforderungen des § 47 VgV genügende Verpflichtungserklärung zu formulieren. So heißt es in der vorgelegten Arzneimittelreferenz vom 03.06.2017 unter Ziff. 1:
43„Die Parteien sind sich einig, dass der Dienstleister für den Fall des Zuschlags verpflichtet wird, den Auftrag gemäß den Vorgaben der Unterlagen zur Ausschreibung und der BfArM mit durchzuführen.“
44Da die Antragstellerin und der Dienstleister jedoch eine inhaltlich hiervon abweichende Vereinbarung in deutscher Sprache verfasst haben, werden die oben beschriebenen Zweifel am Inhalt des Memorandum of Understanding bekräftigt.
45c.
46Es ist nicht als vergaberechtsfehlerhaft zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin nicht gemäß § 48 Abs. 7 VgV aufgefordert hat, die in Rede stehenden Unterlagen zu erläutern.
47Eine Erläuterung der eingereichten Erklärungen und Angaben kommt in Betracht, wenn diese aus sich heraus nicht eindeutig sind. Da die Regelung als „Kann-Vorschrift“ formuliert ist, besteht keine Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, den Bieter zu einer nachträglichen Erläuterung aufzufordern (Stolz in Ziekow/Völlink, 3. Aufl., VgV § 48 Rn. 21; Hausmann/Hof in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 48 Rn. 27: EuGH Urteil v. 29.03.2012, Rs C-599/10 Rn. 38, 39). Eine solche Verpflichtung folgt weder aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung noch aus der Verpflichtung zur Transparenz, zumal die fehlende Klarheit eines Angebots (bzw. hier des Eignungsnachweises) allein auf einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht des Bieters bei der Erstellung des Angebots zurückzuführen ist, die für alle Bieter und Bewerber gleichermaßen gilt (EuGH Urteil v. 29.03.2012, Rs C-599/10 Rn. 38). Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der dem öffentlichen Auftraggeber nach § 47 Abs. 7 VgV eingeräumte Ermessensspielraum vorliegend so reduziert war, dass die Antragsgegnerin zur Aufklärung verpflichtet war. Ermessensentscheidungen unterliegen nur einer eingeschränkten Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen. Eine sog. Ermessensreduzierung auf Null kann dabei nur im Ausnahmefall angenommen werden. Für einen solchen Ausnahmefall bestehen hier jedoch keine Anhaltspunkte. Soweit der Senat für den Fall offensichtlich widersprüchlicher oder unvollständiger Erklärungen oder Nachweise im Rahmen des § 15 Abs. 5 VgV eine Aufklärung durch den Auftraggeber gefordert hat, um einen Angebotsausschluss aus rein formalen Gründen zu vermeiden (siehe OLG Düsseldorf, Beschluss v. 11.05.2016, VII-Verg 50/15, juris Rn. 26; Beschluss v. 21.10.2015, VII-Verg 35/15, juris Rn. 34), lag diesen Entscheidungen ein anderer Sachverhalt zu Grunde, der nicht auf den vorliegenden Fall zu übertragen ist. Aber selbst wenn die Antragsgegnerin hier eine Aufklärung vergaberechtsfehlerhaft unterlassen haben sollte, ist der Antragstellerin hierdurch kein Schaden entstanden. Ein Nachsuchen um Aufklärung des tatsächlichen Inhalts der Vereinbarung vom 05.06.2017 hätte die berechtigten Zweifel der Antragstellerin nicht beseitigt. Die Antragstellerin hätte zur Aufklärung die nach Ablauf der Teilnahmefrist am 06.06.2017 eingereichte und in englischer Sprache verfasste Erklärung des Dienstleisters vom 07.08.2017 (Anlage Ast. 3) vorgelegt, die nach dem Vorbringen der Antragstellerin den Inhalt haben soll, dass alle Beteiligten bei Abschluss des Memorandum of Understanding von der Rechtsverbindlichkeit ausgegangen sein sollen. Zwar mag das Memorandum of Understanding von beiden Parteien als rechtsverbindliche Vereinbarung eingestuft worden sein. Dies führt aber nicht weiter, denn damit ist noch nicht geklärt, ob der in der deutschen Vereinbarung formulierte Vorbehalt (…“vorbehaltlich und unter der Voraussetzung eines weiteren umfassenden und detaillierten Dienstleistungsvertrag…“) auch im Memorandum of Understanding enthalten ist und, wenn ja, wie er rechtlich mit Rücksicht auf das anzuwendende israelische Recht einzuordnen ist.
48d.
49Ein Verstoß gegen das Vergaberecht ist auch nicht darin begründet, dass die Antragsgegnerin es unterlassen hat, von der Antragstellerin eine inhaltlich ausreichende Verpflichtungserklärung nachzufordern.
50Der öffentliche Auftraggeber kann den Bewerber oder Bieter gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung auffordern, fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen, insbesondere Eigenerklärung, Angaben, Bescheinigungen oder sonstige Nachweise, nachzureichen, zu vervollständigen oder zu korrigieren.
51Nach der bisherigen Rechtslage bestand keine Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers zur Nachforderung von Unterlagen, wenn die mit dem Angebot abgegebenen unternehmensbezogenen Unterlagen formgerecht, lesbar und vollständig waren, jedoch inhaltlich nicht den Anforderungen entsprachen. Der Auftraggeber hat im Rahmen der Prüfung, ob die Angebote formal vollständig sind, keine materiell-rechtliche Prüfung der mit dem Angebot vorgelegten Unterlagen vorzunehmen. Daraus folgt, dass eine Nachforderungspflicht des Auftraggebers im Hinblick auf körperlich vorhandene Erklärungen oder Nachweise nur besteht, wenn sie in formaler Hinsicht von den Anforderungen abweichen (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 17.12.2012, VII-Verg 47/12, juris Rn. 16 zu § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A; Beschluss v. 21.10.2015, VII-Verg 35/15).
52Aus der Formulierung von § 56 Abs. 2 Satz 2 VgV, wonach auch „fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen“ korrigiert werden können, kann nicht geschlossen werden, dass nunmehr das Nachreichen inhaltlich nachgebesserter Unterlagen möglich und der öffentliche Auftraggeber zu einer Nachforderung vor Ausschluss des Angebots oder Teilnahmeantrags verpflichtet ist. Dieses Verständnis entspricht einer richtlinienkonformen Auslegung (so auch Streck in Ziekow/Völlink, aaO., VgV § 56 Rn. 23; Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 56 Rn. 32).
53Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung hat seine Grundlage in Art. 288 Abs. 3 AEUV und ist in der Rechtsprechung des EuGH und der Mitgliedstaaten anerkannt. Durch Art. 288 Abs. 3 AEUV sind den Mitgliedstaaten die Ziele der Richtlinien vorgegeben. Ihre Ziele, die Strukturen und die prägenden Begriffe jeder Richtlinie sind der Maßstabe für die Auslegung des nationalen Rechts. Die richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts ist „soweit wie möglich“ am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (Ruffert in Callies/Ruffert, AEUV, 6. Aufl., Art. 288 Rn. 77; Schroeder in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., AEUV Art. 288, Rn. 125 ff.).
54Die in § 56 Abs. 2 VgV getroffene Regelung dient der Umsetzung von Artikel 56 Absatz 3 der Richtlinie 2014/24/EU und überführt Teile des bisherigen § 19 EG Absatz 2 Satz 1 VOL/A. Artikel 56 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU lautet wie folgt:
55„Sind von Wirtschaftsteilnehmern zu übermittelnde Informationen oder Unterlagen unvollständig oder fehlerhaft oder scheinen diese unvollständig oder fehlerhaft zu sein oder sind spezifische Unterlagen nicht vorhanden, so können öffentliche Auftraggeber….die betreffenden Wirtschaftsteilnehmer auffordern, die jeweiligen Informationen oder Unterlagen innerhalb einer angemessenen Frist zu übermitteln, zu ergänzen, zu erläutern oder zu vervollständigen, sofern diese Aufforderungen unter voller Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung erfolgen.“
56Hiernach sieht der Wortlaut der deutschen Fassung von Art. 56 Abs. 3 der Richtlinie eine Korrektur fehlerhafter Unterlagen bzw. die Aufforderung des öffentlichen Auftraggebers, fehlerhafte Unterlagen zu korrigieren nicht vor. Es ist dort lediglich von ergänzen, erläutern und vervollständigen die Rede. Begrifflich ist davon nicht notwendig die Korrektur inhaltlich unzureichender Unterlagen erfasst. Eine Unterlage ist zu übermitteln, zu ergänzen oder zu vervollständigen, wenn sie nicht oder nicht vollständig vorgelegt wird oder in formaler Hinsicht nicht den Anforderungen genügt (fehlende Unterschrift oder Beglaubigung). Eine Unterlage ist zu erläutern, wenn sie unklar oder widersprüchlich ist. Eine Unterlage, die in formaler Hinsicht vollständig übermittelt und verständlich ist, aber ihrem Inhalt nach nicht den Anforderungen genügt, kann zwar als fehlerhaft bezeichnet werden. Jedoch handelt es sich begrifflich nicht mehr um eine Ergänzung oder Vervollständigung der Unterlagen, wenn der in der Unterlage dokumentierte Erklärungsinhalt nachträglich geändert wird. Dass eine materiell-inhaltliche Korrektur wohl nicht von Art. 56 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU erfasst sein soll, wird durch die englische und französische Fassung der Vorschrift bestätigt. Dort werden die Begriffe „clarify“ bzw. „clarifier“ benutzt. Beide Verben werden mit klären oder klarstellen übersetzt. Etwas klarstellen bedeute aber nicht die ursprünglich abgegebene Erklärung inhaltlich verändern (korrigieren), sondern Unklarheiten oder Unvollständigkeiten beseitigen.
57Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Rechtsprechung des EuGH, wonach „bloße Klarstellungen“ vorgenommen oder „offensichtliche sachliche Fehler“ behoben werden können, aber „kein neues Angebot“ vorgelegt werden darf (EuGH, Urteil v. 07.04.2016, C-324/14; Urteil v. 29.03.2012, C-599/10). Eine solche Situation läge aber vor, wenn nicht nur eine formale, sondern eine inhaltliche Nachbesserung einer unternehmensbezogenen Unterlage möglich wäre.
58Es bedarf keiner Entscheidung, ob der nationale Gesetzgeber aufgrund der in Art. 56 Abs. 3 vorgesehene Öffnungsklausel („sofern in den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie nichts anderes vorgesehen ist“) eine Erweiterung der Nachforderungsmöglichkeiten vorsehen kann und, wenn ja, in welchem Umfang. Der nationale Gesetzgeber wollte von dieser Öffnungsklausel keinen Gebrauch machen. Er ging vielmehr, wie die Begründung zu § 56 Abs. 2 VgV erkennen lässt (dort Absatz 3 letzter Satz), davon aus, dass Art. 56 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU ausdrücklich die Möglichkeit vorsehe, fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen korrigieren zu lassen.
592.
60Da die Wertung der Cannabis-Referenz mit … Punkten nicht zu beanstanden und die Antragstellerin aufgrund ihrer geringen Gesamtpunktzahl zu Recht nicht zur Teilnahme am Verhandlungsverfahren aufgefordert worden ist, liegt kein Verstoß gegen die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung vor, weil sie über die Zurückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Bewertung der Teilnahmeanträge für das Auswahlverfahren und anschließende Neubewertung nicht informiert worden ist. Der Teilnahmeantrag der Antragstellerin gehörte auch bei der vorzunehmenden Neubewertung offenkundig zu den Teilnahmeanträgen, die derart weit abgeschlagen waren, dass sie keine Chancen auf eine Teilnahme am Verhandlungsverfahren hatten.
61III.
62Die Antragstellerin hat, da sie im Beschwerdeverfahren unterlegen ist, gemäß § 175 Abs. 2 i.V.m. § 78 GWB die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB zu tragen.
63IV.
64Der Streitwert für das Vergabeverfahren wird mit Rücksicht auf die vorgesehene Loslimitierung auf sieben Losen gemäß § 50 Abs. 2 i.V.m. § 39 Abs. 2 GKG auf 1.374.450 € festgesetzt.