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Auf die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin und des Beigeladenen wird der Beschluss der Vergabekammer Rheinland, Spruchkörper Düsseldorf, vom 01.12.2017 (VK D – 11/2017 – L) aufgehoben.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die in diesem Verfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und des Beigeladenen sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Die Zuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten im Verfahren vor der Vergabekammer ist für die Antragsgegnerin und den Beigeladenen notwendig gewesen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.061,71 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
2I.
3Die Antragsgegnerin betreibt seit Beginn der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 die Flüchtlingsunterkünfte auf ihrem Stadtgebiet in eigener Verantwortung. Lediglich bei der sozialen Betreuung der Flüchtlinge, durch welche die Flüchtlinge Hilfestellungen bei der Lebensbewältigung erhalten sollen, bedient sie sich der Unterstützung der örtlichen Wohlfahrtsverbände. Diese haben sich in einer Arbeitsgemeinschaft, der Liga X., zusammengeschlossen. Der Beigeladene, ein religiöser Verein, wird in der Liga durch den Caritasverband E. vertreten.
4Mit den steigenden Flüchtlingszahlen stieg bei der Antragsgegnerin der Bedarf an sozialen Betreuungsleistungen für Flüchtlinge. Die Liga X., deren Mitglieder die Flüchtlingsbetreuung als eigene karitative Aufgabe verstehen, bot der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 31.03.2015 ihre Unterstützung an. Das Amt für soziale Sicherung und Integration – Zentrale Fachstelle für Wohnungsnotfälle der Antragsgegnerin erstellte unter dem 13.04.2015 ein als „Konzept zur Flüchtlingsbetreuung in Städtischen Unterkünften“ bezeichnetes Papier, in dem auch auf die Einbeziehung der Wohlfahrtsverbände in die Flüchtlingsbetreuung eingegangen wurde. Es hieß dort unter anderem:
5„Ziel ist eine Beauftragung des Trägers im Rahmen des Zuwendungsrechts. Ein Leistungsaustausch im Sinne des Vergaberechts ist nicht geplant. Für eine Beauftragung kommen daher nur E. Träger in Frage, die über eigenständige Strukturen zur Flüchtlingsbetreuung verfügen, die durch eine Zuwendung zur Betreuung von Flüchtlingen in Unterkünften wirkungsvoll ergänzt werden können. Dadurch entsteht sowohl für den Träger als auch die Kommune ein Mehrwert, der sich in erster Linie durch entsprechende Vernetzung und Synergieeffekte ergibt. Beteiligte Träger bringen weitere Angebote und Dienste als Eigenleistung in die Flüchtlingsbetreuung in den Sammelunterkünften ein. Eine Konkretisierung hierzu erfolgt durch den jeweiligen Träger.“
6Der Rat der Antragsgegnerin traf hierzu am 25.06.2015 einen ersten Beschluss (Anlage AST3). Darin hieß es unter anderem:
7„Der Rat der Stadt beauftragt die Verwaltung, die soziale Betreuung bedarfsgerecht anzupassen und weitere Wohlfahrtsverbände in die Betreuung einzubeziehen.“
8Der Beigeladene sowie weitere Mitglieder der Liga X. übernahmen in Abstimmung untereinander und mit den zuständigen Stellen der Antragsgegnerin die soziale Betreuung der Flüchtlinge in den städtischen Unterkünften. Auf entsprechende Anträge des Beigeladenen und anderer Mitglieder der Liga X. erließ die Antragsgegnerin zu deren Gunsten jeweils für Zeiträume innerhalb eines Haushaltsjahres Zuwendungsbescheide, die zweckgebundene Zahlungen vorsahen, die zur Sicherstellung der Flüchtlingsbetreuung einzusetzen waren.
9Am 31.03.2017 weihte die Antragsgegnerin die neue Flüchtlingsunterkunft an der P. Straße ein. Die soziale Betreuung der Flüchtlinge übernahm dort der Beigeladene, der dafür mit Schreiben vom 14.03.2017 eine Förderung beantragt und mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.03.2017 (Anlage C2) auch bewilligt bekommen hatte.
10In dem Antragsschreiben des Beigeladenen hieß es unter anderem:
11„[...] wir beziehen uns auf Ihre Mail vom 08.03.2017 und beantragen für die Betreuung der o.g. Unterkunft einschließlich der Betreuung des besonderen Personenkreises 2,5 VB Fachkräfte, jeweils in Höhe der bekannten Pauschale.“
12In dem an den Beigeladenen gerichteten Zuwendungsbescheid hieß es unter anderem:
13„Auf der Grundlage des Beschlusses des Rates vom 15.12.2016 und Ihres Förderantrages vom 14.03.2017 bewillige ich Ihnen hiermit für den Zeitraum 01.04.2017 bis 31.12.2017, vorbehaltlich der Rechtsverbindlichkeit der Haushaltssatzung 2017 zur Finanzierung von pauschal 2,5 Stellen Sozialarbeit [...] für die Betreuung von Flüchtlingen in städtischen Unterkünften im Rahmen Ihrer Flüchtlingsberatung, einen Personal-, Sach- und Gemeinkostenzuschuss von insgesamt
14… EUR.“
15In dem Bescheid war eine Verpflichtung des Zuwendungsempfängers zur bestimmungsgemäßen Verwendung vorgesehen. In den nach Ziffer 5.1 des Bescheids einbezogenen Allgemeinen Nebenbestimmungen war unter dortiger Ziffer 9 vorgesehen, dass die Zuwendung vom Empfänger zu erstatten ist, wenn sie nicht oder nicht mehr für den vorgesehenen Zweck verwendet wird. Am Ende enthielt der Bescheid folgenden Hinweis:
16„Es ist nicht auszuschließen, dass die Entwicklung der Haushaltslage der Landeshauptstadt E. Kürzungen von Zuwendungen im Rahmen der Haushaltsplanung erfordert oder Zuwendungen deswegen ganz entfallen. Ich bitte Sie, dieses Finanzierungsrisiko, insbesondere bei Abschluss, Änderung oder Verlängerung von Verträgen (z.B. für Personal) zu berücksichtigen.“
17Die Antragstellerin, die Betreuungsleistungen für Flüchtlinge kommerziell anbietet, erfuhr über die Presseberichterstattung von der Einweihung der neuen Flüchtlingsunterkunft. Mit E-Mail vom 04.04.2017 (Anlage AST6) wandte sich die Antragstellerin an die Antragsgegnerin und erkundigte sich, ob die Leistung der Betreuung der Flüchtlinge in der P. Straße ausgeschrieben werde. Die Antragsgegnerin antwortete hierauf mit einer E-Mail vom selben Tag (Anlage AST7) und teilte mit, dass sie alle Unterkünfte selbst betreibe und die soziale Betreuung der Flüchtlinge von den ortsansässigen Wohlfahrtsverbänden eigenverantwortlich wahrgenommen werde. Eine Förderung erfolge im Rahmen des Zuwendungsrechts. Die Antragstellerin gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden und erbat wegen der aus ihrer Sicht bestehenden Ausschreibungsbedürftigkeit eine ergänzende Auskunft. Die Antragsgegnerin reagiert hierauf jedoch nicht.
18Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 19.04.2017 (Anlage AST10) rügte die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin, dass diese die Leistung der sozialen Betreuung von Flüchtlingen in den städtischen Unterkünften nicht ohne förmliches Vergabeverfahren vergeben dürfe. Die Antragsgegnerin wies diese Rüge mit Schreiben vom 05.05.2017 (Anlage AST11) zurück.
19Die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin stellten mit Schreiben vom 19.05.2017 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Rheinland mit dem Ziel, festzustellen, dass der zwischen der Antragsgegnerin und dem Beigeladenen geschlossene Vertrag zur sozialen Betreuung von Flüchtlingen in der Unterkunft in der P. Straße unwirksam ist.
20Der Nachprüfungsantrag hatte vor der Vergabekammer Erfolg. Mit Beschluss vom 19.12.2017 hat die Vergabekammer festgestellt, dass die am 29.03.2017 durch Zuwendungsbescheid zustande gekommene Vereinbarung zwischen der Antragsgegnerin und dem Beigeladenen als Vertrag zu qualifizieren sei und nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB von Anfang an unwirksam sei. Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt, dass es sich bei dem Beschaffungsvorgang der Antragsgegnerin um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag nach § 103 Abs. 4 GWB handele. Der Begriff des öffentlichen Auftrags sei funktional und weit auszulegen. Bei der Förderung durch die Antragsgegnerin handele es sich ausdrücklich nicht um eine institutionelle Förderung. Die Gewährung von Fördermitteln sei auf ein konkretes Projekt, nämlich die soziale Betreuung von Flüchtlingen in der Unterkunft P. Straße, bezogen. Damit stehe der Erbringung der Leistung durch den Beigeladenen eine Gegenleistung der Antragsgegnerin gegenüber. Einem Angebot vergleichbar habe der Beigeladene einen Förderantrag gestellt und einer Annahme vergleichbar habe die Antragsgegnerin das Angebot mit ihrem Zuwendungsbescheid angenommen. Der Beigeladene sei in der Art seiner Tätigkeit nicht frei, sondern habe die Betreuungsleistungen nach dem Konzept vom 13.04.2015 zu erbringen. Die Ausführung unterliege der Kontrolle der Antragsgegnerin. Im Falle der Nichterfüllung durch den Beigeladenen könne sie, die Antragsgegnerin, die Rechte aus Ziffer 9 der Allgemeinen Nebenbestimmungen des Bescheids geltend machen. Die Fördermittel seien funktional als Entgelt einzuordnen. Der für den Auftrag maßgebliche Schwellenwert – hier 750.000,- € für soziale Dienstleistungen – werde überschritten. Abzustellen sei nicht auf den Zuwendungsbetrag für die Tätigkeit in der Unterkunft in der P. Straße, sondern auf die Gesamtkosten für die soziale Betreuung der Flüchtlinge im Stadtgebiet. Für 2017 lägen diese bei … Mio. €. Der Nachprüfungsantrag sei auch im Übrigen zulässig. Da die Voraussetzungen für eine Vergabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 65 Abs. 1 Satz 2 VgV wegen der Reduzierung des Flüchtlingsstroms Anfang 2017 nicht mehr vorgelegen hätten, sei der Nachprüfungsantrag auch begründet. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Beschluss der Vergabekammer verwiesen.
21Gegen den Beschluss der Vergabekammer haben die Antragsgegnerin und der Beigeladene jeweils am 02.01.2018 sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf eingelegt. Beide sind übereinstimmend der Ansicht, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin nicht statthaft sei, da es sich bei der für die soziale Betreuung der Flüchtlinge geleisteten Zuwendung nicht um einen öffentlichen Auftrag handele und im Übrigen der maßgebliche Schwellenwert nicht erreicht werde. Der Beigeladene beanstandet darüber hinaus die von der Vergabekammer getroffene Kostenentscheidung als fehlerhaft.
22Die Antragsgegnerin beantragt,
231. den Beschluss der Vergabekammer Rheinland, Spruchkörper Düsseldorf, vom 19.12.2017 (Az.: VK D 11/2017-L) aufzuheben,
242. den Nachprüfungsantrag vom 17.05.2017 als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
25Der Beigeladene beantragt,
26den Beschluss der Vergabekammer Rheinland mit dem Az. VK D – 11/2017 – L vom 19.12.2017 mit Ausnahme des Beschlusstenors zu Ziff. 4 aufzuheben und die Nachprüfungsanträge der Antragstellerin als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet abzuweisen.
27Die Antragstellerin beantragt,
28die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin zu 1 sowie die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers zu 2 zurückzuweisen
29sowie
30festzustellen, dass der Auftrag über die Erbringung von sozialen Betreuungsdienstleistungen für die Flüchtlingsunterkunft an der P. Straße in E. ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben wurde, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist, und die Antragstellerin durch diese Auftragsvergabe in ihrem Recht auf Einhaltung der Vergabebestimmungen aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt ist.
31Die Antragstellerin verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens aus erster Instanz als zutreffend und weist ergänzend darauf hin, dass die Liga X. durch ihre abgestimmte Vorgehensweise zur Sicherung der sozialen Betreuung der Flüchtlinge gegen das Kartellverbot des Art. 101 AEUV, § 1 GWB verstoßen habe.
32Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin sowie die Verfahrensakte der Vergabekammer verwiesen.
33II.
34Die sofortigen Beschwerden sind zulässig und begründet mit der Folge, dass die Entscheidung der Vergabekammer nach § 178 Satz 1 BGB aufzuheben und der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen ist. Der von der Antragstellerin zuletzt gestellte Feststellungsantrag nach § 178 Satz 3 und 4 GWB i.V.m. § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB ist zwar zulässig, aber unbegründet. Der zum Zeitpunkt der Erledigung des Nachprüfungsverfahrens von der Antragstellerin verfolgte Nachprüfungsantrag war weder zulässig noch begründet.
351.
36Der von der Antragstellerin zuletzt gestellte Feststellungsantrag ist nach § 178 Satz 3 und 4 GWB i.V.m. § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB statthaft und auch im Übrigen zulässig.
37a)
38Das von der Antragstellerin eingeleitete Nachprüfungsverfahren hat sich mit Ablauf des 31.12.2017 gemäß § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB, auf den § 178 Satz 4 GWB verweist, in sonstiger Weise erledigt. Selbst wenn der Zuwendungsbescheid einem Vertragsschluss gleichkommt, wie die Antragstellerin meint, besteht an der Feststellung seiner Unwirksamkeit nach § 135 Abs. 1 GWB seit dem 31.12.2017 kein rechtlich anerkennenswertes Interesse mehr. Der vom Bescheid erfasste etwaige Beschaffungsbedarf der Antragsgegnerin ist seither unumkehrbar gedeckt. Der von der Antragstellerin angegriffene Zuwendungsbescheid vom 29.03.2017, in dessen Folge der Beigeladene seine sozialen Betreuungsleistungen erbracht hat, betraf nur den Zeitraum bis Ende 2017. Eine Chance auf einen Zuschlag für diesen Zeitraum, die mit dem Antrag nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB gewahrt werden soll, besteht nach Ablauf des 31.12.2017 nicht mehr.
39b)
40Das für einen Feststellungsantrag nach § 178 Satz 3 und 4 GWB vorausgesetzte Feststellungsinteresse der Antragstellerin ergibt sich hier aus der von ihr in der mündlichen Verhandlung dargelegten Wiederholungsgefahr.
412.
42Der Feststellungsantrag ist jedoch nicht begründet. Der von der Antragstellerin zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses verfolgte Nachprüfungsantrag war unzulässig; er war nicht statthaft. Der Vergaberechtsweg zur Vergabekammer und zum Vergabesenat war nicht eröffnet. Die Antragsgegnerin hat mit dem Zuwendungsbescheid vom 29.03.2017, der den Beigeladenen begünstigte, keinen öffentlichen Auftrag vergeben. Sie war zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags im Sinne des Vergaberechts auch nicht verpflichtet.
43a)
44Wie sich aus § 106 Abs. 1 GWB i.V.m. § 155 GWB ergibt, ist der Vergaberechtsweg nur eröffnet bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, die den vorgesehenen Schwellenwert erreichen oder überschreiten. Auch der von der Antragstellerin verfolgte besondere Feststellungsantrag nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB knüpft an den Begriff des öffentlichen Auftrags an, dessen Unwirksamkeit gemäß § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB im Vergabenachprüfungsverfahren festgestellt werden soll. Der Begriff des öffentlichen Auftrags wird in § 103 GWB näher bestimmt. Öffentliche Aufträge sind nach § 103 Abs. 1 GWB entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen. Der Begriff des öffentlichen Auftrags setzt – in Übereinstimmung mit der allgemeinen Wortbedeutung des entgeltlichen Vertrags – voraus, dass dadurch eine einklagbare Erfüllungsverpflichtung des Auftragnehmers begründet wird.
45Dieses Verständnis des öffentlichen Auftrags war schon vor Inkrafttreten der Richtlinie 2014/24/EU anerkannt. Nachdem sich schon der Bundesgerichtshof (BGH, Beschluss vom 01.02.2005 – X ZB 27/04, zitiert nach juris, Tz. 23) sowie der Senat in diese Richtung geäußert hatten (vgl. Senatsbeschluss vom 22.11.2006 – VII-Verg 38/06, zitiert nach juris, Tz. 18; siehe auch Senatsbeschluss vom 28.03.2012 – VII-Verg 37/11, zitiert nach juris, Tz. 55), hat der Europäische Gerichtshof ein entsprechendes Verständnis des öffentlichen Auftrags für das europäische Richtlinienrecht ausdrücklich bestätigt (EuGH, Urteil vom 25.03.2010 – C-451/08 [Müller], zitiert nach juris, Tz. 62, 84).
46Die Ansicht, dass es für die Annahme eines öffentlichen Auftrags einer einklagbaren Erfüllungsverpflichtung des Auftragnehmers bedarf, wird darüber hinaus nicht nur von Vergabenachprüfungsinstanzen im europäischen Ausland geteilt (vgl. Anlagen C3 und C4), sondern auch in der Literatur vertreten (siehe Eschenbruch, in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl., § 103 Rn. 144; Ziekow, in: ders./Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl., § 103 GWB Rn. 23; ders., in: Wettbewerb – Transparenz – Gleichbehandlung. 15 Jahre GWB-Vergaberecht, Festschrift für Fridhelm Marx, S. 897 f.).
47Unter Geltung der Richtlinie 2014/24/EU und des GWB in der Fassung des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes wird die Richtigkeit dieses Auftragsverständnisses durch die Ausführungen in Erwägungsgrund 4 der Richtlinie bestätigt. Dort wird die öffentliche Auftragsvergabe abgegrenzt von der nicht der Richtlinie unterfallenden bloßen Finanzierung von Tätigkeiten, die mit der Verpflichtung verbunden sein kann, erhaltene Beträge bei nicht bestimmungsgemäßer Verwendung zurückzuzahlen. Damit wird vom Richtliniengeber eine Handlungsform angesprochen, der im deutschen Recht die Zuwendung entspricht. Wie sich auch aus den Ausführungen in Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2014/24/EU ergibt, ist für solche Handlungsformen kennzeichnend, dass der Finanzierungsempfänger keine selbstständig durchsetzbare Verpflichtung eingeht, einen bestimmten Erfolg zu erzielen, sondern erhaltene Gelder bei nicht bestimmungsgemäßem Gebrauch allenfalls zurückzahlen muss (vgl. Müller/Richter/Ziekow, Handbuch Zuwendungsrecht, Kapitel E. Rn. 56).
48Nach alledem sind hier mit dem Zuwendungsbescheid der Antragsgegnerin keine Erteilung eines öffentlichen Auftrags und keine unzulässige De-facto-Vergabe verbunden gewesen, wie die Antragstellerin und die Vergabekammer aber meinen. Es fehlte an einer für den öffentlichen Auftrag erforderlichen Verpflichtung des Beigeladenen zu einer Primärleistung. Mit dem Zuwendungsbescheid der Antragsgegnerin war zwar die Erwartung verbunden, dass sich der Beigeladene zuwendungskonform verhält. Diese Erwartung wurde wegen des eigenen wirtschaftlichen und karitativen Interesses des Beigeladenen am Erreichen des Zuwendungserfolgs wahrscheinlich auch erfüllt. Anderes ist jedenfalls weder vorgetragen noch ersichtlich. Erzwingen ließ sich die von der Antragsgegnerin gewünschte Leistung der sozialen Betreuung der Flüchtlinge aufgrund des Zuwendungsbescheids aber nicht. Sollte der Beigeladene die von ihm übernommene Aufgabe nicht erfüllt haben, blieb der Antragsgegnerin nach dem Inhalt des Zuwendungsbescheids nur die einer Einklagbarkeit der Leistung nicht entsprechende Rückforderung der Zuwendung (vgl. Müller/Richter/Ziekow, Handbuch Zuwendungsrecht, Kapitel E. Rn. 56; Ziekow, in: ders./Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl., § 103 GWB Rn. 23; ders., in: Wettbewerb – Transparenz – Gleichbehandlung. 15 Jahre GWB-Vergaberecht, Festschrift für Fridhelm Marx, S. 898; siehe auch Hüttinger, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., § 103 GWB Rn. 15).
49Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass mit einer Zuwendung typischerweise primär die Erfüllung fremder Aufgaben gefördert wird und sie nur mittelbar den staatlichen Interessen dient, während mit dem öffentlichen Auftrag ein unmittelbarer eigener wirtschaftlicher Bedarf des Staates gedeckt werden soll (siehe Ziekow, in: ders./Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl., § 103 GWB Rn. 23; ders., in: Wettbewerb – Transparenz – Gleichbehandlung. 15 Jahre GWB-Vergaberecht, Festschrift für Fridhelm Marx, S. 898). Zum einen spielt diese in der Literatur herangezogene Abgrenzung in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Begriff des öffentlichen Auftrags keine Rolle. Zum anderen fördert die Antragsgegnerin mit der Zuwendung ungeachtet einer sie auch selbst treffenden Pflicht zur sozialen Betreuung der Flüchtlinge zugleich fremde Aufgaben. Bei dem Beigeladenen handelt es sich um einen religiösen Verein, dessen Tätigkeit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützt wird. Er macht im Nachprüfungsverfahren unwidersprochen geltend, mithilfe der Zuwendung – nunmehr verstärkt – einem eigenen karitativen Auftrag nachzukommen, den er bereits zuvor wahrgenommen hat.
50Es sind auch keine Gründe vorgetragen oder ersichtlich, die es im vorliegenden Fall ausnahmsweise gebieten könnten, von dem Erfordernis einer einklagbaren Erfüllungsverpflichtung des Auftragnehmers als Merkmal eines öffentlichen Auftrags abzusehen. Insbesondere kann von einer systematischen Umgehung des Vergaberechts durch die Antragsgegnerin – wie sie die Antragstellerin andeutet – keine Rede sein.
51b)
52Die Antragsgegnerin war auch nicht verpflichtet, soziale Betreuungsleistungen für Flüchtlinge nach den Vorschriften des Kartellvergaberechts auszuschreiben. Ob ein öffentlicher Auftraggeber einen durch einen öffentlichen Auftrag zu deckenden Beschaffungsbedarf hat, entscheidet er allein (vgl. Hüttinger, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., § 103 GWB Rn. 47). Erst wenn eine Entscheidung zugunsten der Erteilung eines öffentlichen Auftrags getroffen ist, ist der Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet (vgl. auch Senatsbeschluss vom 27.06.2018 – VII-Verg 59/17).
53Dass die Antragsgegnerin zur Gewährleistung der sozialen Betreuung der Flüchtlinge anstelle der Vergabe eines öffentlichen Auftrags nicht zum Mittel der Zuwendung greifen durfte, ergibt sich weder aus dem GWB selbst noch aus sonstigen Vorschriften, die gegebenenfalls als vergaberechtliche Anknüpfungsnormen in Betracht kommen könnten.
54Soweit die Antragstellerin für eine Ausschreibungspflicht der Antragsgegnerin auf die Vorschriften des FlüAG NRW verweist, überzeugt das den Senat nicht. Zwar sieht § 6 Abs. 1 FlüAG NRW vor, dass die Gemeinden die Aufgaben nach dem FlüAG NRW als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung durchführen. Es spricht auch viel dafür, dass die Gemeinden ungeachtet des Wortlauts des § 1 Abs. 1 FlüAG NRW nicht nur für die Aufnahme und Unterbringung der Flüchtlinge zuständig sind, sondern – mit Blick auf die Regelung des § 4 Abs. 2 FlüAG NRW – auch für deren soziale Betreuung. Wie die soziale Betreuung aber ausgestaltet wird, überlässt das FlüAG NRW den Kommunen. Gleiches gilt für die Art und Weise, wie die nach § 4 Abs. 2 FlüAG NRW für die soziale Betreuung zu verwendenden Beträge eingesetzt werden. In diesem Fall bleibt Raum für die verfassungsrechtlich garantierte kommunale Selbstverwaltungsgarantie und das dadurch im Rahmen der Haushaltsgesetze geschützte Recht der Gemeinden, Wohlfahrtsverbänden und wohltätigen Organisationen Zuwendungen zukommen zu lassen. Die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen unterscheidet sich damit entgegen der Ansicht der Antragstellerin im Ergebnis nicht von derjenigen in Sachsen, wo ein entsprechendes Recht der Gemeinden in der Richtlinie „Soziale Betreuung Flüchtlinge“ vom 08.07.2015 ausdrücklich vorgesehen ist.
553.
56Dem Ergebnis, dass der Vergaberechtsweg für den ursprünglichen Nachprüfungsantrag der Antragstellerin nicht eröffnet war, sondern sie gegen die Zuwendungsentscheidung der Antragsgegnerin gegebenenfalls den Verwaltungsrechtsweg hätte beschreiten müssen (vgl. Müller/Richter/Ziekow, Handbuch Zuwendungsrecht, Kapitel D. Rn. 9 ff.), steht nicht die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamburg entgegen. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin weicht der Senat mit seiner Entscheidung nicht vom Beschluss des Oberlandesgerichts Hamburg vom 01.11.2017, 1 Verg 2/17, ab. Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Hamburg ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass eine Konzessionierung durch einen Vertrag im Sinne des Vergaberechts erfolgt, wenn sich die Konzessionierung nicht in der Erteilung einer Erlaubnis erschöpft, sondern ein Verhalten des Konzessionsnehmers betrifft, zu dessen Ausführung dieser verpflichtet ist (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 01.11.2017 – 1 Verg 2/17, zitiert nach juris, Tz. 32, 36, 38).
57III.
58Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, zu denen auch die dem Beigeladenen im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten zählen, beruht auf § 175 Abs. 2 GWB i.V.m. § 78 GWB, die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die der Antragsgegnerin sowie dem Beigeladenen in diesem Verfahren zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung entstandenen notwendigen Aufwendungen auf § 182 Abs. 3 Satz 1 und 2, Abs. 4 Satz 1 und 2 GWB. Es entspricht der Billigkeit, dass die Antragstellerin die dem Beigeladenen entstandenen Kosten trägt. Dieser hat sich in beiden Instanzen aufseiten der Antragsgegnerin am Vergabenachprüfungsverfahren beteiligt und Anträge gestellt.
59Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin und den Beigeladenen im Verfahren vor der Vergabekammer beruht auf § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG. Das Verfahren hat von Beginn an ungewöhnliche vergaberechtliche Rechtsfragen mit europarechtlichen Bezügen aufgeworfen, die die Hinzuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter rechtfertigten.
60Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.