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Der Angeklagte ist schuldig des erpresserischen Menschenraubes in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit 56 Fällen des Kriegsverbrechens gegen Personen durch Folter, in einem Fall in Tateinheit mit 28 Fällen des Kriegsverbrechens gegen Personen durch Folter und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit vier Fällen des Kriegsverbrechens gegen Personen durch Folter, sowie eines weiteren erpresserischen Menschenraubes in vier tateinheitlich zusammentreffenden Fällen jeweils in Tateinheit mit vier Fällen des Kriegsverbrechens gegen Personen durch Folter, davon in einem Fall des erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit Mord und Kriegsverbrechen gegen Personen durch Folter und Tötung.
Er wird zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Die besondere Schwere seiner Schuld wird festgestellt.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Angewendete Vorschriften:
§§ 211 Abs. 1, Abs. 2 Gruppe 1 Variante 4, 239a Abs. 1 StGB, §§ 8 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3, Abs. 6 Nr. 2 VStGB, 25 Abs. 2, 52, 53 StGB
G r ü n d e
21. Teil: Tatsächliche Feststellungen
3A. Die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten
4Der Angeklagte entstammt einem Zweig des Stammes der G., der in Aleppo zwischen 17.000 und 20.000 Angehörige zählt. Er wurde am … in …geboren und verbrachte dort auch seine Kindheit bis in das Jahr …. Der Angeklagte wuchs in einer patriarchalisch geprägten Familie mit insgesamt elf weiteren Geschwistern - fünf Schwestern und sechs Brüdern - auf, wobei er das neunte Kind in der Geschwisterreihe ist. Der Name des jüngsten Bruders lautet O., derjenige des fünften in der Geschwisterreihe lautet A. Der Vater des Angeklagten ist verstorben, während seine Mutter hochbetagt derzeit in der Türkei lebt. Der Angeklagte wurde … eingeschult und besuchte die Schule bis zur vierten Klasse. Er ging – erzwungen durch den Vater – zur Schule, in der es nach Ansicht des Angeklagten keinen sinnvollen Unterricht gegeben hatte und in der immer wieder Strafen gegen ihn verhängt wurden, die neben körperlicher Züchtigung auch etwa darin bestanden, den Schulhof aufzuräumen. Im Jahr … musste die Familie Aleppo verlassen, weil es in dem Stamm des Angeklagten anlässlich des Opferfestes zu einem Tötungsdelikt gekommen war. Vier seiner älteren Brüder kamen vor diesem Hintergrund in das Gefängnis. Die Familie flüchtete nach Homs und der Angeklagte ging seitdem nicht mehr zur Schule, obwohl er in die fünfte Schulklasse versetzt worden war. Der Angeklagte ist daher Analphabet, er konnte sich während seiner hiesigen Inhaftierung Grundkenntnisse der arabischen Schriftsprache aneignen. Da neben der Inhaftierung von vier Brüdern ein weiterer Bruder des Angeklagten – Ac. – beim Militärdienst war, musste der Angeklagte zum Lebensunterhalt der Familie beitragen, zumal der jüngste Bruder des Angeklagten – O. – 10 Jahre jünger war, als er selbst. So trug der Angeklagte zum Familieneinkommen bei, indem er begann, auf dem Markt Nylontüten, Dichtungen oder Pflaster zu verkaufen, um dann später mit Zigaretten oder auch Kleidung zu handeln. Nach einiger Zeit zog die Familie an den Rand eines christlich geprägten Dorfes, wo sie im Bereich der Landwirtschaft Arbeit fanden. Im Laufe der Zeit konnte die Familie dort auch Land erwerben und bewirtschaften. Da der Vater des Angeklagten aufgrund seines Alters immer weniger in der Lage war, die Kontrolle über die Familie zu halten, schlüpfte der Bruder des Angeklagten – A. – in diese Rolle. Nach Angaben des Angeklagten verkaufte dieser das erworbene Land und gab das Geld mit Freunden und Bekannten aus. Zudem wurde dieser Bruder im Haschisch-Handel aktiv. Nachdem ein Geschäft fehlgeschlagen war und staatliche Stellen auf den Bruder des Angeklagten, aber auch auf den Vater aufmerksam geworden waren, weil letzterer im Rahmen des fehlgeschlagenen Geschäfts vermitteln wollte, verließ die Familie Syrien und wanderte in den Libanon aus. Der Angeklagte jedoch ging allein zurück nach Aleppo und blieb bei einer Tante mütterlicherseits. Bei seinen Cousins fing er an, im Bereich des Schafhandels und der Schafzucht zu arbeiten. Nachdem – nach zwischenzeitlicher Freilassung seiner Brüder – sein Bruder H. zum Militärdienst eingezogen worden war und andere Brüder die Familie wegen der Gründung eigener Familien verlassen hatten, musste der Angeklagte auf Drängen seines Vaters in den Libanon gehen, um dort die Familie zu unterstützen. Die Eltern des Angeklagten erwarben auch im Libanon Ackerland, wo sie zunächst wenig erfolgreich Salat und Gemüse und sodann mit Erfolg Petersilie anbauten. Der Angeklagte lebte dort in der Nähe einer wichtigen Nord-Süd-Verbindung und entwickelte eine sehr einträgliche Geschäftsidee. Er sammelte entlang eines Straßenabschnitts die von vorbeifahrenden Fahrzeugen wegen der schlechten Straßenverhältnisse verlorenen Felgenkappen, um sie nach einer Aufbereitung zu verkaufen – etwa wenn die Fahrer der Fahrzeuge auf dem Rückweg waren. In der Folgezeit entwickelte sich zusätzlich ein Handel mit Gemüse, das er auch aus anderen Städten zukaufte. Nach Angaben des Angeklagten konnte er so täglich zwischen 50 und 150 Dollar einnehmen.
5In dieser Zeit kam es nach Angaben des Angeklagten zu einem Konflikt mit seinem Bruder A., der die für eine Schwester – M. – gedachte Morgengabe mit einem Wert von etwa 25.000 syr. Lira an sich nahm.
6Nachdem die Familie u.a. durch den geschäftlichen Erfolg des Angeklagten etwa 1,7 Millionen syr. Lira erspart hatte, beschlossen der Vater des Angeklagten und A., dass die Familie in den Norden des Libanon ziehen werde. Der Angeklagte zog nicht mit seiner Familie um und blieb zunächst allein an seinem Wohnort, bis er erkrankte und seiner Arbeit nicht mehr nachgehen konnte. Seine Eltern holten ihn dann zu sich in den Norden des Libanon. Nach seiner Genesung arbeite der Angeklagte in verschiedenen Bereichen der Landwirtschaft, um zum Familieneinkommen beizutragen. Auch dort soll es wiederum zu einem Konflikt zwischen der Familie und A. um Geld gekommen sein, das dieser für ein geschäftliches Projekt haben wollte. Auch nach einem weiteren Umzug der Familie innerhalb des Libanon war der Angeklagte abhängig in der Landwirtschaft beschäftigt. Dort wies er die Avancen einer älteren, als Lehrerin beschäftigten Frau, die ihn heiraten wollte, zurück. Zwischenzeitlich hatte sein Bruder A. die Familie verlassen und war nach Aleppo zurückgekehrt. Bei einer versuchten Ausreise in den Libanon wurde er von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. Nach einem unter Folter zustande gekommenen Geständnis des Bruders, in dem er auch seinen Vater belastet hatte, wurde gegen ihn eine etwa dreijährige Haftstrafe vollstreckt.
7Kurze Zeit später kehrte die Familie nach Syrien zurück und wohnte in Homs, nachdem bereits H., ein älterer Bruder des Angeklagten nach seinem Wehrdienst nach Homs gegangen war. Der Angeklagte war als Minderjähriger von Homs aus u.a. im Schmuggel von Diesel tätig und wurde auch einmal festgenommen und zu einer kurzen Freiheitsstrafe verurteilt. Sein Vater löste ihn jedoch durch eine Geldzahlung aus. 1994 kehrte der Angeklagte nach Aleppo zurück und machte sich mit seinem Bruder H. im Bereich der Bauwirtschaft selbständig. Er wollte nämlich nicht für jemand anderen arbeiten, da er – nach seiner Erkenntnis – „dann in Hinblick auf den Gewinn zu stark begrenzt“ sei. Der Angeklagte begann mit der Gründung von Häusern und erbrachte die erforderlichen Ausgrabungsarbeiten. Er kümmerte sich um die Aufträge und ließ die Arbeiten von Tagelöhnern erledigen. Darüber hinaus eignete er sich die erforderlichen Kenntnisse an, welche staatlichen Stellen man in welcher Höhe bestechen muss, um bestimmte Bauprojekte verwirklichen zu können.
8Im November 1994 wurde er zum Militärdienst eingezogen. Nach einer etwa zweiwöchigen Ausbildung wurde er einer Panzerdivision zugewiesen. Für die dort vorgesehene Ausbildung wäre es jedoch erforderlich gewesen, lesen und schreiben zu können, wozu der Angeklagte nicht in der Lage war. Wegen dieser Defizite wurde er regelmäßig beschimpft und gemaßregelt – auch durch Strafdienste. Aufgrund dieser und anderer Schikanen ging der Angeklagte zu seiner Familie, kehrte aber nach etwa 4 Tagen zu seiner Einheit zurück. Nach einer Bestrafung wurde der Angeklagte zur Infanterie versetzt. Dort hatte der Angeklagte Probleme, den körperlichen Anforderungen des Trainings gerecht zu werden. Er wurde mit Kabeln und Stöcken geschlagen. Mit einem anderen Soldaten beschloss der Angeklagte, wiederum der Einheit fernzubleiben. Er kehrte mit ihm für einige Tage nach Aleppo zurück. Nach der Rückkehr zur Einheit wurden beide bestraft. Der Angeklagte musste sodann zu einer Artillerieeinheit wechseln. Dort erlitt er ebenfalls Erniedrigungen und wurde geschlagen – u.a. auch, weil er Konzepte und Aufgaben in Frage stellte. Sodann kehrte der Angeklagte wiederum zu seiner Familie nach Aleppo zurück und wurde dort im März … von der Militärpolizei festgenommen und im Militärgefängnis Tadmor (Palmyra) für ein Jahr inhaftiert. Nach seiner Freilassung kehrte der Angeklagte wiederum zu seiner Einheit zurück und traf dort auf den gleichen Vorgesetzten, mit dem er bereits zuvor in Konflikt geraten war. Es kam zu weiteren Konflikten, weil der Angeklagte sich falsch behandelt fühlte. Dabei entdeckte er auch, dass der vorgenannte Vorgesetzte seine Soldaten zeitweise gegen Geld in der Landwirtschaft arbeiten ließ, was er – letztlich erfolglos – weiteren Vorgesetzten meldete. Danach wurde der Angeklagte zu einer anderen Einheit versetzt. Mit dem dortigen Kommandeur kam der Angeklagte zunächst gut zurecht und wurde von diesen mit der Ausführung außermilitärischer Aufgaben betraut, wie etwa der Ausstattung der Privatwohnung des Kommandeurs mit Teppichen. Jedoch wurde der Kommandeur kurze Zeit später versetzt. Auch mit dem neuen Kommandeur kam der Angeklagte ebenfalls gut zurecht. Er ließ sich von dem Angeklagten beim Schmuggel von Waffen – Pistolen – aus dem Libanon nach Syrien unterstützen. Der Angeklagte, der sich letztlich, ohne militärische Aufgaben zu haben, frei bewegen konnte, begann sodann auch selbst mit dem Schmuggel von Waffen, bis er gar nicht mehr für seinen Kommandeur tätig war und auch nicht mehr zu seiner Einheit zurückkehrte. Der Vater des Angeklagten veräußerte in den Jahren … ein in Homs erworbenes Haus, um dem Bruder des Angeklagten – A. – die Hochzeit zu ermöglichen, damit dieser seine eigene Familie gründe. Sodann trat der Angeklagte an A. Stelle und die vorhandenen Besitztümer der Familie wurden nunmehr auf ihn – den Angeklagten – übertragen und neue auf seinem Namen angeschafft.
9Nachdem der Angeklagte erfahren hatte, dass ihn betreffend eine Fahndung wegen seiner Abwesenheit von der Truppe bestand, stellte er sich im Jahr 2001 den Behörden und wurde zunächst für 72 Tage inhaftiert. Nach Rückkehr zum Militär wurde der Angeklagte zur einer Disziplinareinheit versetzt und blieb dort bis zum Tag seiner Entlassung im Jahr …, dem Tag, an dem … in … ermordet wurde. Nach seiner Entlassung aus dem Militär musste der Angeklagte in Aleppo wieder von vorn mit seiner Arbeit im Bauwesen beginnen.
10Es gelang ihm jedoch mit Makler- und Immobilienbüros im Osten Aleppos, u.a. in Sakhour, Ard Alhambra, Masakin Hanano zusammen zu arbeiten. Der Angeklagte wurde geschäftlich immer erfolgreicher und konnte mit reichen Personen aus der Immobilienbranche zusammenarbeiten. Zwischenzeitlich heiratete der Angeklagte seine erste Frau F.A.Y., die aus einer recht wohlhabenden Familie stammte. Aus Anlass seiner Heirat sowie des Erwerbs einer Wohnung verlangte seine Familie seinen Auszug aus den Wohnräumen der Familie. Da die Geschäfte des Angeklagten zu dieser Zeit nicht gut liefen, konnte er die erworbene Wohnung weder einrichten, noch sinnvoll verkaufen. Mit der diesbezüglichen finanziellen Hilfe seines Schwiegervaters, der für ihn und seine Frau eine möblierte Wohnung mietete, begannen nach Auffassung des Angeklagten die Probleme mit der Schwiegerfamilie, denn aus seiner Sicht mischte sich sein Schwiegervater immer mehr in die Finanzierung seiner Kleinfamilie ein. Nachdem der Angeklagte für seinen Vater wegen dessen medizinischer Behandlung und im weiteren Verlauf wegen seiner Beerdigung und wegen erforderlicher medizinischer Behandlungen seiner Mutter viel Geld ausgegeben hatte, eskalierte der Konflikt mit der Schwiegerfamlie, weil seine Schwiegermutter ihm dies vorhielt und ihn aufforderte, auch seine Geschwister zahlen zu lassen. Nachdem er der Schwiegerfamilie alle Schulden bezahlt hatte, brach der Angeklagte endgültig mit dieser. Obwohl es im Immobilienbereich ab 2011 einen Aufschwung gab, konnte der Angeklagte von diesem nicht profitieren, weil er sich einen Armbruch in einer Auseinandersetzung mit einer anderen Sippe, in die sein Bruder A. verwickelt war, zugezogen hatte. Der Angeklagte verlegte sich mit dem Beginn der Auseinandersetzungen in Syrien auf den Handel mit elektronischen Geräten und hauptsächlich mit Waffen. Nach einer Mitgliedschaft in der Katiba seines Cousins H.J. gründete er durch Abspaltung eine eigene Katiba, mit der er ab Anfang September 2012 in Aleppo selbständig tätig wurde und die er nach seinem im Bürgerkrieg früh verstorbenen Bruder O. „S.O. Abu Dieb“ benannte.
11Nachdem der Verfolgungsdruck durch islamistische Gruppierungen größer geworden war, entschied sich der Angeklagte, in die Türkei nach Gaziantep zu gehen.
12In der Türkei schloss der Angeklagte am 15. August 2013 eine sog. Urfi-Ehe, einen sunnitisch-muslimischen Ehevertrag, mit der Zeugin R. B., der Mutter der Zeugen Z. H. und G. H., die mit dem getöteten Bruder des Zeugen F. H., Za. H., verheiratet gewesen war. Der Ehevertrag wurde vor der nichtstaatlichen „Syrischen nationalen Koalition“ in Gaziantep geschlossen. Kurze Zeit später trennte er sich von seiner ersten Frau. Im Spätsommer 2014 entschied sich der Angeklagte, R. B., die bereits vor ihm aus der Türkei ausgereist war, nach Deutschland zu folgen. Er fuhr von Gaziantep aus zunächst mit einem Bus und anschließend mit einem Boot nach Athen/Griechenland, wo er sich etwa zwei Wochen aufhielt. Von dort reiste er mit dem Bus und zu Fuß nach Albanien. Danach begab er sich über Montenegro und Serbien nach Ungarn, wo er etwa fünf Tage blieb. Mit einem PKW gelangte er von dort über Österreich am 29. September 2014 in die Bundesrepublik Deutschland. Am 30. September 2014 meldete sich der Angeklagte in der Erstaufnahmeeinrichtung im … in …, von welcher er am … eine Anmeldebestätigung erhielt. Am … stellte er einen Asylantrag. Mit Bescheid vom … wurde der Asylantrag gemäß § 13 Abs. 2 AsylVfG auf die Zuerkennung des internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG beschränkt und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Durch Aufenthaltsgestattung vom … des Landratsamtes …wurde der Angeklagte zunächst verpflichtet, Wohnsitz in der Einrichtung … zu nehmen. Im … zog er dann zu R. B. nach Münster. Im Verlauf des Jahres 2015 trennte er sich von R. B. bzw. sie sich von ihm, weil es zwischen beiden Streit über den Verbleib der Kinder der R. B. gegeben hatte, denn der Angeklagte wollte zwar mit R. B. zusammen leben, aber nicht mit ihren Kindern.
13Der Angeklagte wurde am … aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom … festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.
14In gesundheitlicher Hinsicht zu erwähnen ist eine Schussverletzung am Bein, die der Angeklagte im Jahr … erlitt und die zwischenzeitlich verheilt ist. Darüber hinaus litt der Angeklagte ab dem Jahr … an …. Dies war Anlass für eine Operation am … mit stationärer Behandlung bis zum …. Gelegentlich treten bei dem Angeklagten Rückenschmerzen sowie Schmerzen im linken Bein nebst Taubheitsgefühlen auf.
15Der Angeklagte ist in Deutschland strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten.
16B. Die Bürgerkriegssituation in Syrien, insbesondere im Großraum Aleppo im Jahr 2012 sowie zu Beginn des Jahres 2013
17I. Die Bürgerkriegssituation in Syrien
18Die seit Anfang Februar 2011 gegen die Regierung des syrischen Staatspräsidenten Bashar al-Assad schwelenden Proteste eskalierten ab dem 15. März 2011 aufgrund des gewaltsamen Vorgehens syrischer Sicherheitskräfte, Milizen und Armee gegen Demonstranten und Oppositionelle. Schauplatz der Demonstrationen waren – ausgehend – von der Stadt Dara’a - zunächst vorwiegend ländliche Gebiete und kleine Städte im überwiegend sunnitisch besiedelten Zentrum, im Norden und Osten des Landes. In den folgenden Wochen und Monaten weiteten sich die zumeist friedlichen Aktionen der Opposition gegen das Regime aus, worauf die Regierung zunehmend repressiv und gewalttätig reagierte. Dies wiederum führte zu einer Militarisierung der Protestbewegung. Bis Ende 2011 entwickelten sich die Proteste zu einem bewaffneten Aufstand. Seine Träger organisierten sich in lokalen Gruppierungen, die keiner zentralen Kontrolle unterstanden. Die Rebellion weitete sich auf die beiden Großstädte Hama und Homs aus. Homs wurde bis Frühjahr 2012 zur ersten Hochburg des Aufruhrs. Dort hatten die Rebellen schon Ende 2011 die Kontrolle über einige Stadtviertel übernehmen können. Anfang 2012 hatte der Aufstand weite Teile des Landes erfasst und entwickelte sich zu einem Bürgerkrieg. Die Rebellen gingen nun von ihren Stellungen im ländlichen Raum aus offensiv vor. Die Gebiete im Süden von Damaskus in Richtung der jordanischen Grenze, die Provinzen Homs, Hama, Idlib und Aleppo, aber auch der syrische Osten entzogen sich schrittweise der Kontrolle der Regierung. Ab Mitte 2012 gingen die aufständischen Gruppierungen von ihren Hochburgen auf dem Land stärker offensiv vor und versuchten, die Verbindungslinien des Regimes in den Osten, den Norden und das Zentrum zu kappen und seine Militärbasen in diesen Gebieten einzunehmen. Auch wenn sich die aufständischen Gruppen zumeist aus lokalen Einheiten speisten, war ab Anfang 2012 ein Institutionalisierungsschub zu bemerken, der größere und komplexere Aktivitäten ermöglichte. Im Vergleich zu 2011, wo die meisten Operationen der sich zur „Freien Syrischen Armee“ (FSA) bekennenden Gruppen eher vereinzelte Aktionen wie Hinterhalte mit Sprengfallen gewesen waren, waren in der ersten Jahreshälfte 2012 eine deutlich höhere Zahl von komplexeren Angriffen zu beobachten. Seit Anfang 2012, jedenfalls ab Mitte 2012 bestand ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt in Syrien. Dem syrischen Regime mit offizieller Armee, Polizei, Sicherheitskräften und zivilen Milizen stand seitdem eine Vielzahl von kämpfenden Gruppierungen gegenüber. Zu Beginn des Bürgerkrieges war auf Seiten der bewaffneten Opposition die FSA Hauptakteur, die als Dachvereinigung eine Vielzahl inhomogener Kampfverbände und Gruppierungen mit unterschiedlichsten Motivationslagen zu vertreten versuchte. Die unter ihrem Verbund agierenden Milizen verfolgten teilweise sehr unterschiedliche Interessen und Ideologien. Dies führte bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Aufstandes dazu, dass sich Kampfverbände und Gruppierungen entweder offiziell von der FSA lossagten oder aber – ohne jegliche Möglichkeit der Einflussnahme der FSA-Führung – zwar weiterhin unter dem Deckmantel der FSA agierten, letztlich aber ausschließlich ihre eigenen Interessen verfolgten. Dem Kommandorat der FSA gelang es nicht, seinen Führungsanspruch umzusetzen und eine klare, einheitliche Kommandokette zu schaffen. Die FSA blieb ein loser Zusammenschluss zahlreicher bewaffneter Gruppen mit dem Primärziel des Sturzes des Regimes, die aber im Wesentlichen unabhängig voneinander operierten. Sehr schnell sammelten sich auch Kriminelle in Gruppierungen, die sich offiziell der FSA angeschlossen hatten und den durch den Bürgerkrieg entstandenen rechtsfreien Raum ausnutzten, um sich durch Entführungen, Erpressungen und Plünderungen zu bereichern. Dies führte zu einer Stärkung islamistischer Gruppierungen wie der Jabhat al-Nusra und der Ahrar ash-Sham, die einen Ruf als prinzipientreue Kämpfereinheiten hatten, die nicht plünderten, nicht als korrupt galten und oftmals als neutrale Schlichter auftraten.
19Jedenfalls in den Jahren 2011 und 2012 handelte es sich noch um einen nicht internationalen Konflikt. Offene Einflussnahmen aus dem Ausland erfolgten von Seiten Russlands in Form einer politischen Unterstützung – insbesondere im Weltsicherheitsrat. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurden aber auch schon Waffen von Russland geliefert. Zudem existierte eine Unterstützung aus dem Iran durch Waffenlieferungen an die syrische Regierung. Schließlich stellte der Iran Militärberater der Revolutionsgarden, bei denen es sich um eine politische Armee handelt, zur Verfügung. Iran sandte einige 100 Militärberater, die auch an Kämpfen teilnahmen. Aber erst mit der Einnahme von Qusair im April/Mai 2013 wurde die iranische Beteiligung sowie diejenige von Hizbullah-Einheiten in der Weltöffentlichkeit deutlich. Letztere waren nicht in dem hier interessierenden Zeitraum an der Schlacht von Aleppo im Jahr 2012 beteiligt. Sämtliche Einwirkungen geschahen indes auf Wunsch der syrischen Regierung. Die Rebellen wurden in Teilen finanziell oder mit Waffen aus der Türkei, Jordanien und Saudi-Arabien unterstützt – mittelbar auch durch die USA.
20Während nach UN-Angaben im ersten Jahr des Konflikts 2011 etwa 5.000 Zivilisten und Rebellen sowie 2.000 Sicherheitskräfte ums Leben kamen, stieg diese Zahl – ebenfalls nach UN-Angaben – im Jahr 2012 auf etwa 60.000 Tote. Die Zahl der in die Nachbarstaaten geflohenen Syrer belief sich im Jahr 2012 auf etwa 500.000.
21II. Die Bürgerkriegsentwicklung im Gouvernement Aleppo
22Spätestens seit Februar 2012 erfasste der Bürgerkrieg mit dem Gouvernement Aleppo das Umland der Stadt Aleppo. Letztlich spiegelt das Geschehen 2012 in Aleppo Umland und in der Stadt zeitversetzt das wider, was sich zuvor landesweit zugetragen hatte. Die Rebellen konnten im ländlichen Umland – insbesondere im Norden des Gouvernements Aleppo – schnell Fuß fassen, während es die Rebellion in der Provinzhauptstadt schwer hatte. Das lag an der starken Präsenz christlicher, kurdischer und armenischer Minderheiten sowie an der wohlhabenden, mit den Lebensbedingungen zufriedenen sunnitischen Oberschicht, die den Aufständen eher ablehnend gegenüberstanden.
23Im Frühjahr 2012 hatten sich die Operationen der Rebellen einerseits auf die Gegend und die Straßen um Haritan, Anadan und Hayan – die wichtigste Verbindungsroute nach Aleppo – fokussiert. So konnten sie den Zugang der Armee zu Azaz an der türkischen Grenze, der Luftwaffenbasis Mengah, Tel Rifaat, Deir Jamal, und die nordwestlichen Kurdengebiete um Afrin empfindlich stören und gleichzeitig die Offensive auf die Stadt Aleppo vorbereiten. Vor allem die im strategisch wichtigen Kilis-Korridor im Grenzgebiet zur Türkei gelegenen Ortschaften wurden in Folge wiederholt Ziel von Angriffen der Armee. Die Rebellen eroberten im Mai 2012 die Stadt Tel Rifaat – sie nutzten dort unter anderem eine Schule als Unterkunft – und waren seitdem nahezu permanenten Artillerie- und Luftangriffen ausgesetzt. Am 15. Mai 2012 wurde auch die Polizeistation von Al-Bab Ziel eines Angriffs der Rebellen. Am Ende des Monats Mai 2012 begann die Armee eine Offensive mit mindestens fünf gepanzerten Fahrzeugen und Hubschraubern mit dem Ziel, die zuvor unter Rebellenkontrolle geratene und strategisch wichtige – am 60-Aleppo-Idlib-Salqin-Highway gelegene – Gegend um die Ortschaft Atarib, 25 km westlich von Aleppo, zurück zu erobern. Die Operation misslang. Bei der Offensive starben etwa zwanzig Soldaten, sechs Oppositionskämpfer und sechs Zivilisten. Bei schweren Gefechten zwischen Regierungstruppen und Rebellen starben am 22. Juni 2012 in Darrat Izza nordwestlich von Aleppo 25 Unterstützer der Regierung, nachdem die Stadt vorher unter massives Artilleriefeuer gekommen war. Zwei Tage später wurden bei Gefechten um diese Ortschaft, sowie um Kafr Haleb und Atarib im Südwesten der Provinzhauptstadt etwa 16 Soldaten getötet. Anfang Juli 2012 versuchte die Armee erneut, die Kontrolle über den Norden Aleppos wiederzugewinnen – ab dem 2. Juli 2012 wurde erneut Azaz mit schwerer Artillerie beschossen. Erst am 25. Juli 2012 gelang es den Rebellen, die Kontrolle über die nahezu komplett zerstörte Stadt wieder vollständig herzustellen und die Armee zum Rückzug auf die Luftwaffenbasis zu zwingen. Im Anschluss an die Verteidigung von Azaz eroberten die Rebellen zwischen dem 18. und 29. Juli 2012 sowohl die Grenzstadt Jarabulus, die östlich von Aleppo gelegene Stadt Al-Bab und den Grenzübergang Bab-al Salam. Am 30. Juli 2012 nahm Liwa al-Tawhid nach Gefechten die strategisch wichtige Stadt Anadan – 12 km nördlich von Aleppo und seit Monaten Schauplatz von Kämpfen und Eroberungsversuchen – ein und erlangte so eine enorm vorteilhafte Position. Einerseits war es der Armee jetzt nahezu unmöglich, ihre verbliebenen Stützpunkte nördlich von Aleppo zu verstärken, andererseits war die Kontrolle der Ortschaft an der Gaziantep-Aleppo Route der perfekte Ausgangsort für die bevorstehende Offensive auf Aleppo.
24Auch während der Offensive in Aleppo-Stadt wurden die Kämpfe im Umland fortgeführt. Am 3. August 2012 wurde das westlich von Aleppo gelegene Dorf Al-Sahara Ziel eines massiven Angriffs von Artillerie und Luftwaffe. Das Dorf war Trainings- und Rekrutierungsort der FSA, aber auch von Jabhat al-Nusra. Für diese Zwecke wurden Wohnhäuser und Schulen genutzt. Etwa zehn Menschen starben und die meisten Wohnhäuser wurden zerstört. Auch das Stadtzentrum von Tel Rifaat wurde im August erneut mit Raketen beschossen, mehrfach warfen Kampfjets so genannte Fassbomben über Wohngebieten dort ab und töteten am 4. August 2012 etwa sieben, am 10. August 2012 insgesamt etwa 24 Menschen. Ein Luftangriff tötete am 16. August in Azaz etwa 40 Menschen. Die Stadt wurde am 15. August 2012 erneut von zwei Kampfjets beschossen.
25Von der Militärbasis Jamiat Al-Zahraa im Westen der Stadt nahm die Armee Anfang September 2012 nahezu täglich die Stadt Mia’arat Al-Artiq und in den folgenden Wochen die nahe gelegene Ortschaft Anadan unter schweren Artilleriebeschuss. Bei einem Luftangriff am 3. September 2012 kamen in der Rebellenhochburg Al-Bab mehr als 25 Menschen um. Die Ortschaft Marea kam in der zweiten Jahreshälfte 2012 wiederholt unter Beschuss von der Infanterie Militärschule in Aleppo aus, wobei auch Wohngebiete oder Reisebusse angegriffen wurden.
26Seit Ende September 2012 hatten bis zu 1.500 FSA-Kämpfer die strategisch wichtige Basis 46 (Basis des 46ten Armeeregiments) westlich von Aleppo belagert. Am 18. November 2012 gelang den Rebellen nach zunächst erfolgreichen Versuchen der Armee, den Belagerungsring zu brechen, die Einnahme der Basis und Erbeutung wichtiger Kriegswaffen. Den Angreifern zufolge wurden 300 Soldaten getötet und 60 gefangen genommen. Bei einem Angriff auf die Armeebasis in Khanasser am 1. Dezember 2012 wurden 14 Rebellen getötet. Am 11. Dezember 2012 nahmen islamistische Rebellen westlich von Aleppo Teile der Militärbasis 111 in Sheikh Suleiman nach wochenlangen Kämpfen ein. Die Armee setzte Kampfhubschrauber zur Verteidigung der Militärakademie von Muslimiyeh im Norden der Stadt gegen einen Vorstoß der Rebellen ein. Die Kämpfe dauerten etwa drei Wochen und endeten mit der Einnahme durch die Rebellen.
27III. Die Entwicklung in Aleppo-Stadt
28In der Provinzhauptstadt Aleppo hatte es bereits Anfang 2012 erste Demonstrationen im Stadtgebiet gegeben. Gewaltsame Angriffe der Opposition beschränkten sich jedoch auf vereinzelte asymmetrische Anschläge, die von außen in die Stadt getragen wurden. Im Osten der Stadt war die Unterstützung für die Rebellion am größten, denn dort hatten sich in den Jahren zuvor aufgrund einer massiven Landflucht eine Vielzahl informeller Siedlungen gebildet. Wegen der auf die Förderung urbaner Infra- und Wirtschaftsstrukturen ausgelegten Politik war die außerstädtische Bevölkerung verarmt, was zu einem Zuzug in die Viertel in den östlichen Teilen der Stadt führte, die gegenüber den prosperierenden Stadtteilen im Westen wirtschaftlich zurückblieben. Daher konnten die Rebellen hier zuerst Fuß fassen und auch ihre erste Militäroffensive gegen das Regime beginnen. Nach der Gründung der „Einheitsbrigade“ Liwa al-Tawhid begann am 18. Juli 2012 der Angriff der Rebellen mit bis zu 35 Einzelgruppierungen der FSA – darunter auch die Ghoraba ash-Sham – unter der Führung der Liwa al-Tawhid mit insgesamt zwischen 1000 und 3500 Kämpfern. Die Rebellen drangen vom Nordosten kommend am 18./19. Juli 2012 in das Stadtgebiet ein, wo sie bis zum Monatsende ganze Stadtbezirke erobern konnten. Dazu gehörte auch der als sehr dicht besiedelt und in Medienberichten als eher ärmlich beschriebene Ortsteil Sakhour. Bis Ende des Jahres 2012 dauerten die Kämpfe an. Die Rebellen versuchten, die verbliebenen Stützpunkte des Regimes in den östlichen Vierteln zu stürmen und nach Westen vorzudringen, wo der Widerstand der Regimetruppen weitere militärische Fortschritte jedoch bald verhinderte. Die starke Fragmentierung territorialer Kontrolle in der Stadt sorgte dafür, dass eine wirkliche Einigung oder auch nur Koordination auf zivilmilitärischer Ebene immer schwierig blieb. Strukturelle und anhaltende Mängel an Professionalismus, Erfahrung und Ressourcen machten eine nachhaltige Durchsetzung des eigenen Herrschaftsanspruchs für die Rebellen über einzelne Bezirke hinaus nahezu unmöglich. Dennoch gab es Versuche, diese Probleme zu beheben. Die Liwa al-Tawhid hatte die Aufgabe, die Koordination der Rebellenoperationen in der Provinz Aleppo zu verbessern und die militärische Einheit der Milizen unter dem Kommando eines Militärrates zu stärken. Bis zum Oktober 2013 stärke die Organisation auch ihre politischen Institutionen. Sie errichtete bis zu diesem Zeitpunkt Abteilungen für Medien und medizinische Versorgung. Bei etwa 38 Regimentern mit insgesamt 11.000 Kämpfern verfügte sie über etwa 10.000 Verwaltungsangestellte. Im August 2012 richtete die Liwa al-Tawhid das sogenannte Revolutionäre Sicherheitsbüro ein (Revolutionssicherheit), das über eigene Sicherheitskräfte verfügte und auch für andere Rebellengruppen zuständig sein sollte. Mit der Veränderung der Stellung islamistischer Gruppen wie Jabhat al-Nusra and Ahrar al-Sham in der Wahrnehmung der Bevölkerung waren diese Organisationen u.a. auch mit der Liwa al-Tawhid an der Gründung der „Scharia-Autorität in Aleppo“ (al-Hai’a ash-shar’iya li-Halab) am 10. November 2012 beteiligt. Diese Organisation sollte sich mit Verbrechen wie Mord oder Vergewaltigung, aber auch mit geschäftlichen Streitigkeiten oder der Verteilung von Brot und Wasser in der Stadt befassen. Dazu verfügte diese Institution über eigene Polizeikräfte.
29Auch wenn die syrische Regierung ihrerseits immer wieder Angriffe auf die von der Opposition kontrollierten Stadtteile im Osten und Nordosten, insbesondere durch Einsatz von Artillerie, Distanzangriffen und Fassbomben, unternahm, gelang es ihr jedoch letztendlich nicht mehr, die Rebellen aus diesen Gegenden zu vertreiben. Schließlich kam es bis Ende des Jahres 2012 zu einer vorläufigen Patt-Situation. Der Osten und Nordosten der Stadt wurde von unterschiedlichen Rebellengruppen beherrscht.
30Im Einzelnen sind folgende Operationen bzw. Maßnahmen in der Stadt bekannt geworden:
31Die erste Gruppe der etwa 2.000 FSA-Kämpfer erreichte mit mehreren hundert Kämpfern den Osten der Stadt und ließ sich in einer Schule in Ard Alhambra nieder. Am 19. Juli 2012 kam es in Salaheddin im Südwesten der Stadt zu ersten Gefechten, bis zum Monatsende war es den Rebellen gelungen, den Bezirk vollständig einzunehmen. Dies führte zu massivem Beschuss durch die Armee mit Artillerie und Kampfhubschraubern. In den ersten beiden Monaten der Kämpfe in Aleppo Stadt kamen etwa 300 Personen zu Tode und etwa 300.000 Bewohner flohen. In den im Nordosten gelegenen Stadtteilen Haydariya und Sakhour griffen die Liwa al-Tawhid und andere in den Folgetagen Einrichtungen und Checkpoints der Sicherheitskräfte an. Im Fortgang drangen Kämpfer der Liwa al-Tawhid weiter nach Süden vor, wo es zu heftigen und für das Ansehen der Brigade und der FSA folgenschweren Auseinandersetzungen mit dem auf Regierungsseite stehenden Berri-Clan kam, von dem mehrere Mitglieder am 28./29. Juli 2012 nach einem gescheiterten Nichtangriffsabkommen hingerichtet wurden. Ein Scharia-Gericht der Liwa al-Tawhid hatte diese Clanmitglieder wegen Drogenhandels, des gewaltsamen Vorgehens gegen Demonstranten, der Vergewaltigung von über einem Dutzend Studentinnen der Universität von Aleppo und wegen Mordes zum Tode verurteilt. Die Vollstreckung durch Mitglieder des Liwa al-Tawhid wurde gefilmt und das Video im Internet veröffentlicht.
32Am 22. und 23. Juli 2012 weiteten sich die Kämpfe Richtung Stadtzentrum auf Saif al-Dawleh und Jameeliya aus, sowie im Osten auf Halwaniyeh, Hanano und das Industriegebiet von Sheikh Najjar. Die Armee reagierte mit massivem Beschuss durch Kampfhubschrauber. Am 31. Juli 2012 setzte die Regierung erstmals Kampfjets ein und ordnete die Verlegung tausender Soldaten aus anderen Landesteilen an. Salaheddin, Sakhour und andere von Rebellen kontrollierte Stadtteile wurden weiterhin aus der Distanz bombardiert. Zu Bodengefechten kam es in Maysir und al-Izaa im Süden der Stadt. Die Rebellen griffen mit Panzerfäusten und hunderten von Kämpfern das Hauptquartier des Luftwaffengeheimdienstes im nordwestlichen Zahraa, ein Militärgericht und ein lokales Büro der Baath Partei, sowie zwei Polizeistationen in Salhin und Bab al-Nejrab an. Nach Angaben der Konfliktparteien starben etwa 17 Rebellen und mindestens 40 Polizisten. Im August trennte die Regierung in vielen von Rebellen gehaltenen Ortsteilen Telefonverbindungen, Internet und Strom. Nach Angaben der Liwa al-Tawhid hatten ihre Kämpfer im August Gewehre und Panzerfäuste und 3.000 Handgranaten aus der Türkei erhalten. Bis zum 7. August 2012 konzentrierte sich die Armee darauf, die Offensive der Rebellen durch die Befestigung von Militäreinrichtungen und Straßensperren zu verlangsamen und setzte dazu Panzer, Artillerie und Hubschrauber ein. So kamen bei schweren Gefechten um Salaheddin allein in den ersten Augusttagen etwa 20 Zivilisten und 50 Rebellen ums Leben. Gleichzeitig verlegte die Regierung 20.000 Soldaten vor die Stadt, um eine massive Bodenoperation vorzubereiten, die am 7. August 2012 in Salaheddin begann. Während die Armee aus der Luft unterstützt wurde, waren die Rebellen gezwungen, in die westlich gelegenen Bezirke Saif al-Dawleh und al-Mashhad auszuweichen. Gleichzeitig rückte die Armee auch auf Sukkari, südöstlich von Salaheddin vor. Die dortigen Rebellen zogen sich infolge der Offensive in das westliche Umland Aleppos zurück, während Liwa al-Tawhid im Osten und im Zentrum weitere Gebietsgewinne erzielen konnte. Im Anschluss verlagerten sich die Gefechte in die historische Altstadt von Aleppo. Im christlichen Jdeydeh-Viertel erhielt die Armee bei ihren Vorstößen Unterstützung von etwa 150 maronitischen und armenischen Milizionären, die befürchteten, zwischen die Fronten zu geraten, aufgrund ihrer Religion verfolgt zu werden oder die Sorge vor einer Zunahme bereits beobachteter Plünderungen durch die FSA hatten, die sie für eine Bande von ländlichen Dieben und Verbrechern hielten. Von den Militärstützpunkten Al-Zahraa (Luftwaffengeheimdienst), Al-Ramousi, Nejrab (Flughafen) und Masakin Hanano aus griff die Armee die südwestlichen Ortsteile Mashhad, Salaheddin, Al-Shaar und Al-Sukkari mit schwerer Artillerie an, da deren Einwohner als den Rebellen zugeneigt eingeschätzt wurden. Bereits zu dieser Zeit kam es nach UN-Berichten zum Abwurf sogenannter Fassbomben über Wohngebieten und anderen zivilen Einrichtungen. Dies führte allein am 6. und 7. August 2012 nach Medienberichten zu bis zu 70 Todesopfern. Am 9. August 2012 gelang es der Armee nach einer Woche mit schwerem Waffeneinsatz, die Rebellen unter anderem in Salaheddin zurückzuschlagen. Die FSA hatte hier nach eigenen Angaben in wenigen Tagen bis zu 250 Kämpfer verloren. Bereits Mitte August galt die Stadt als de facto geteilt. Die Lebensbedingungen für die Zivilbevölkerung, vor allem deren Bewegungsfreiheit wurden zusätzlich erschwert durch den Einsatz von Scharfschützen in der Innenstadt auf beiden Seiten. Am 13. August 2012 kontrollierten die Rebellen etwa 40 Prozent – nach eigenen Angaben bis zu 70 Prozent – des Stadtgebietes. Dabei handelte es sich um ein zusammenhängendes Gebiet vom Nordosten bis zum Südwesten der Provinzhauptstadt; im südwestlichen Ortsteil Salaheddin war die Offensive auch aufgrund des Einsatzes der Luftwaffe und schwerer Artillerie ins Stocken geraten. Die Regierung führte von August bis Dezember 2012 wiederholt systematisch Angriffe mit Artilleriegeschossen und mit sogenannten Fassbomben auf Bäckereien in Aleppo – sowohl im Umland als auch in der Innenstadt – aus. Betroffen waren in der Stadt u.a. auch Sakhour und Masakin Hanano. Am frühen Morgen des 16. August 2012 geriet die Al-Zarrah Bäckerei in Qadi Askar unter Mörser-Beschuss. Bei dem Angriff starben etwa 25 wartende Menschen, etwa 50 weitere Personen wurden verwundet. Am 7. September 2012 griffen mehrere Brigaden der FSA mit über 100 Mann – darunter auch Kämpfer der Jabhat al-Nusra – die Hanano Militärbasis nordöstlich der Altstadt von Aleppo an. Die Rebellen konnten einen Teil des Gebäudekomplexes besetzen und nach eigenen Angaben 350 Gefangene befreien. 18 Soldaten und vier Angreifer sollen bei den Gefechten ums Leben gekommen sein. Die Basis war zuvor für Angriffe auf Rebellenpositionen im Osten Aleppos genutzt worden und galt auch als bedeutsames Waffenlager. Der Armee gelang es zwar, die Kaserne durch den Einsatz von T-82 Panzern und Unterstützung der Luftwaffe in einem 20 Stunden andauernden Gefecht zurückzuerobern, die Rebellen konnten aber auch bei ihrem Rückzug Waffen – u.a. 5.000 Gewehre und Munition – erobern. Dutzende Einwohner der angrenzenden Wohngebiete starben bei einem Luftangriff am 9. September 2012 – ein mehrtägiger Vorstoß der Rebellen auf den Stadtteil Midan wurde von der Armee verhindert, so dass sich diese nach Bustan al-Pasha zurückziehen mussten. Am gleichen Tag brachte ein al-Nusra-Kämpfer eine mehrere Tonnen schwere Bombe in einem Lastwagen im Einfahrtsbereich des Al-Hayat-Krankenhauses im Saad al-Ansari Distrikt südlich von Salaheddin zur Detonation. Am 27. September 2012 startete die Opposition eine neue Offensive, die letztlich zur Teilung der Stadt quer durch die Altstadtviertel Midan, Suleyman al-Halabi, al-Hamidiyeh und die historische Altstadt führte. An ihr nahmen nach Angaben der Liwa al-Tawhid, mindestens 6.000 Kämpfer teil. Aufgrund der heftigen Gegenwehr der Armee mit schwerer Artillerie und Luftschlägen kam der Vorstoß im Süden jedoch rasch zum Erliegen. Bei schweren Kämpfen in Salaheddin, wo die FSA eine Militärbasis einnehmen konnte, sich aber anschließend wieder zurückziehen musste, starben schätzungsweise 20 Angreifer und 25 Soldaten. Am 3. Oktober 2012 verübte die Jabhat al-Nusra einen Selbstmordangriff mit drei Autobomben in der Nähe des Saadallah Al-Jabiri-Platzes, bei dem offiziellen Angaben zufolge die drei Detonationen 48 Menschen töteten und weitere 122 verwundeten. Im Oktober kamen durch schwere Angriffe der Luftwaffe und Artilleriebeschuss über 100 Menschen ums Leben. Am Monatsbeginn geriet Sakhour unter starken Beschuss durch die Armee, am 7. Oktober 2012 bombardierten sogar Kampfflugzeuge die nordöstlichen Distrikte Shaar und Bab al-Hadid. Auch Salaheddin, Saif al-Dawleh, al-Arkoub und Sakhour waren weiter heftig umkämpft. Am 23. Oktober 2012 starben vier Personen bei einem Mörserangriff auf eine Bäckerei in Masakin Hanano. Am 11. November 2012 gerieten die Rebellenhochburgen Shaar (Osten), Sukkari (Süden) und Neu Aleppo im Westen erneut unter schweren Artilleriebeschuss, zu Gefechten mit Panzern kam es im Nordwesten (Zahraa und Liramun) und in der Altstadt. Am 22. November 2012 tötete ein erneuter Luftangriff auf das Dar al-Shifa Krankenhaus im Ostteil der Stadt mindestens 15 Menschen. Am 2. Dezember 2012 griff ein Selbstmordattentäter der Jabhat al-Nusra gemeinsam mit regulären Kämpfern eine Straßensperre in der Nähe des Flughafens von Aleppo mit einer Autobombe an und tötete dabei 50 Soldaten. Nach mehrtägigen Gefechten gegen die Jabhat al-Nusra und Ahrar ash-Sham um die Hauptstraße von Bustan al Pascha gelang es der Armee am 11. Dezember 2012, die Hauptstraße zurückzuerobern.
33C. Die Ghoraba ash-Sham
34Neben der nach Beginn der Angriffe stärksten oppositionellen Gruppierung Liwa al-Tawhid spielte in Aleppo Stadt die Ghoraba ash-Sham, die zu Beginn des Jahres 2012 im Gouvernement Aleppo gegründet worden war und sich offiziell zur FSA bekannte, eine wichtige Rolle bei der Einnahme der östlichen Bezirke der Stadt seit Juli 2012. Sie war bereits zuvor im Norden des Landes gemeinsam mit weiteren Milizen und Vereinigungen wie der Jabhat al-Nusra an der Eroberung von Grenzstationen und Militärbasen beteiligt gewesen. U. a. soll sie an der Eroberung des wichtigen Grenzpostens Tal Abiad in der Provinz Raqqa beteiligt gewesen sein. Besonders stark entwickelte sich die Ghoraba ash-Sham jedoch zunächst im Gouvernement und später in der Stadt Aleppo. Der Anführer der Ghoraba ash-Sham war zumindest bis Frühjahr 2013 O. H., der auch als Sheikh O. bezeichnet wurde. Die Zahl der Kämpfer der Ghoraba ash-Sham soll in ihrer stärksten Phase 2012/2013 bis zu 2.000 Mann betragen haben. Jedenfalls ist von einer Zahl, die zumindest im höheren dreistelligen Bereich liegt, auszugehen. Die Ghoraba ash-Sham unterteilte sich ihrerseits in einzelne Bataillone, sogenannte Katibas. In einem auf Video aufgezeichneten Reuters-Interview aus dem Juni 2013 räumte O. H. ein, dass viele derjenigen, die sich 2012 der Ghoraba ash-Sham angeschlossen hätten, auf eine kriminelle Vergangenheit zurückgeblickt und im Bürgerkrieg geplündert hätten. Die Ghoraba ash-Sham kämpfte überwiegend in den östlichen Stadtvierteln Aleppos, erwarb sich dabei aber schnell einen unrühmlichen Ruf, weil man ihren Mitgliedern bzw. Katibas die Begehung krimineller Aktivitäten wie Plünderungen, Entführungen sowie Raub- und Diebstahlstaten vorwarf. Da diese Übergriffe von der die Rebellion ohnehin skeptisch betrachtenden Zivilbevölkerung abgelehnt wurden und die bewaffnete Opposition in der Stadt hierdurch insgesamt in Misskredit geriet, entschieden etwa im Mai 2013 die großen islamistischen Organisationen und Träger der „Scharia-Autorität in Aleppo, darunter Liwa al-Tawhid, gegen die Ghoraba ash-Sham vorzugehen. Daher kam es in der Folge zu Auseinandersetzungen zwischen der „Scharia-Autorität“ und der Ghoraba ash-Sham über die Kontrolle des Viertels Sheikh Najjar, wo die Ghoraba ash-Sham besonders rücksichtslos geplündert und von wo aus sie die Beute in die Türkei geschafft hatte. Die von der Ghoraba ash-Sham beschlagnahmten Lagerhäuser wurden innerhalb weniger Tage von der „Scharia-Autorität“ übernommen, zahlreiche Mitglieder der Ghoraba ash-Sham inhaftiert und zum Teil in der Folge hingerichtet.
35D. Die Rolle des Angeklagten im Bürgerkriegskonflikt
36Der Angeklagte – genannt Abu Dieb (Vater des Wolfes) – war in der frühen Phase der Auseinandersetzung zwischen Rebellen und der Regierung als Waffen- und Munitionshändler tätig, wobei er beide Seiten belieferte. Aufgrund seiner Tätigkeit lernte er durch seinen Cousin H. J. den O. H. als Chef der Ghoraba ash-Sham kennen. Der Angeklagte, der sich selbst als größten Waffenhändler im Norden bezeichnet hat, aber auch in Damaskus und Homs Munition verkaufte, knüpfte in diesem Zusammenhang auch zu M. H. A. H., genannt Abu Diebo al-Khal, Kontakt. Dabei handelte es sich um ein hochrangiges Mitglied der Ghoraba ash-Sham, zu dessen Aufgaben es zumindest im Zeitraum ab Mitte September 2012 bis in den Oktober 2012 gehörte, die Verbindung zwischen O. H. und den Führern der zu Ghoraba ash-Sham gehörenden Katibas (Bataillone) bzw. zu deren Anführern in Aleppo zu halten und diese zu koordinieren. Nach Einschätzung des Angeklagten wurde seine Beziehung zu diesem bereits während seiner Zeit als Waffenhändler enger, nachdem er – ohne Mitglied der Ghoraba ash-Sham zu sein – Raketen, bei denen es sich wahrscheinlich um Munition für Panzerfäuste gehandelt haben wird, aus dem Kofferraum des in Brand geratenen Fahrzeugs des O. H. geborgen und damit eine Explosion verhindert hatte.
37Spätestens mit dem Sturm der Rebellen auf Aleppo im Juli 2012 beteiligte sich der Angeklagte aktiv am bewaffneten Kampf gegen das Regime. Er trat in die Katiba seines Cousins H. J. ein, die selbst Mitglied der Ghoraba ash-Sham und Teil des Liwa al Fatah war. Der Angeklagte war der Stellvertreter von H. J. In den ersten Tagen des Angriffs auf Aleppo beteiligte sich der Angeklagte an den Kämpfen in Sakhour und später mit der Katiba von H. J. und weiteren Kämpfern an einem Angriff auf einen Checkpoint auf dem Weg zum Flughafen. Dabei stießen der Angeklagte und die übrigen Kämpfer auf erheblichen Widerstand seitens des Regimes, das Granatwerfer einsetzte. Die Rebellen verstärkten ihre Einheiten dort und lieferten Waffen und Munition an die Front. Darüber hinaus wechselten sie vor Ort kämpfende Einheiten gegen andere aus. So zog sich der Angeklagte nach etwa einer Stunde aus dem Gefecht zurück.
38Der Angeklagte beteiligte sich etwa am 22. oder 23. August 2012 mit der Katiba von H. J. sowie Kämpfern weiterer Katibas unter der Führung und Koordination von Abu A., der selbst Anführer einer eigenen Katiba unter dem Dach der Ghoraba ash-Sham war, an Kämpfen in Bustan al Pascha – auch im Bereich des südlicher gelegenen Stadtteils Midan (Maidan). Im Rahmen der Kämpfe erlitt der jüngste Bruder des Angeklagten O. in Bustan al Pascha eine Schussverletzung, der er nach einigen Tagen in der Türkei erlag, wohin ihn der Angeklagte zur Behandlung gebracht hatte. Nachdem der Angeklagte den Leichnam seines Bruders zurück nach Aleppo überführt hatte und dieser beerdigt worden war, beteiligte sich der Angeklagte innerhalb der Katiba von H. J. mit anderen Katibas – wiederum unter Führung von Abu A. – an Gefechten im Stadtteil Sheikh Faris. Er war an der Eroberung des dortigen Polizeireviers beteiligt, das nach etwa dreistündigem Kampf eingenommen werden konnte. Ebenfalls unter Führung von Abu A. beteiligte sich der Angeklagte mit der Katiba von H. J. an der Eroberung des Checkpoints des Geheimdienstes sowie des Geheimdienstgebäudes in Sheikh Faris. Die Gefechte dauerten etwa 27 Stunden. Das Regime setzte Flugzeuge, Hubschrauber und gepanzerte Fahrzeuge ein. Auf beiden Seiten gab es viele Tote und Verletzte. Die Gefechte endeten mit der Einnahme des Gebietes sowie des Gebäudes durch die Rebellen.
39Sodann beteiligte sich der Angeklagte mit der Katiba von H. J. an einem Angriff auf die Kaserne in Hanano. Dabei handelte es sich um den oben bereits beschriebenen Angriff auf die Hanano Militärbasis am 7. September 2012.
40Im Laufe der Zeit kam es zu Differenzen zwischen dem Angeklagten und H. J. Unter anderem gerieten sie in Streit miteinander, weil H. J. der Führung der Ghoraba ash-Sham – O. H. und Abu Diebo al-Khal – über erbeutete Gewehre berichtet hatte, die der Angeklagte und H. J. aus Anlass der Beteiligung an Kämpfen um die Kaserne in Hanano erbeutet hatten. Der Angeklagte wollte die Waffen für die Katiba behalten. Kurz nach dem 7. September 2012, jedoch einige Tage vor dem 16. September 2012 trennte sich der Angeklagte von der Katiba des H. J., die zu dem damaligen Zeitpunkt über 18 Gewehre und mindestens ebenso viele Mitglieder verfügte. Der Angeklagte übernahm 8 Gewehre und mindestens ebenso viele Personen und gründete seine eigene Katiba und blieb zunächst unter dem Dach der Ghoraba ash-Sham.
41Strukturell galt Treue und Gehorsam der Katibamitglieder lediglich dem Anführer der Katiba, der sich dann gegebenenfalls – wie der Angeklagte – einer größeren Einheit anschloss, um an Ressourcen zu gelangen. Dementsprechend war der Angeklagte auf der Basis dieser Abhängigkeiten O. H. und Abu Diebo al-Khal organisatorisch untergeordnet. Letzterer hielt sich während der Tatzeit häufig im Hauptquartier des Angeklagten auf, war jedoch nicht Mitglied seiner Katiba.
42Spätestens zum Zeitpunkt der Abspaltung von H. J. verfügte der Angeklagte über ein eigenes Hauptquartier in Sakhour in unmittelbarer Nähe der nach Norden verlaufenden strategisch wichtigen Ausfallstraße zum Industriegebiet Sheikh Najjar, auf der er auch Checkpoints einrichtete. Das Hauptquartier des Angeklagten bestand aus dem Haus bzw. der Villa von Ali A., einem Verwandten des Angeklagten, dessen Plünderung durch Einheiten der Liwa al-Tawhid der Angeklagte verhindert bzw. rückgängig gemacht hatte und das er nach Sicherung des Mobiliars durch den Eigentümer in Absprache mit diesem besetzte. Da H. J. die Führung der Ghoraba ash-Sham über die Erbeutung von Gewehren informiert hatte, erhielt der Angeklagte Besuch von O. H. und Abu Diebo al-Khal, die ihn deswegen zur Rede stellten. Der Angeklagte erhielt letztlich zwei Gewehre und 1.500 Schuss Munition und musste 5 Gewehre an Abu Diebo al-Khal abgegeben, der sie an O. H. weiterleiten wollte.
43Bei der Villa des Ali A. handelte es sich um ein zweigeschossiges arabisches Haus mit einem Zierbrunnen oder Zierteich mit etwa hüfthohem Beckenrand. Schräg gegenüber – durch eine kleine Straße oder Gasse getrennt – befand sich der sogenannte Verkaufssaal von Abu R. Dabei handelte es sich um einen größeren Gebäudekomplex oder ein ehemaliges Einkaufszentrum, das durch eine durchgehende innenliegende Wand in zwei Teile abgeteilt war und teils von dem Angeklagten und teils von H. J. genutzt wurde. Der Angeklagte nutzte den aus Sicht seines Hauptquartiers gesehen näher gelegenen rechten Teil. H. J. nutzte den linken Teil als Hauptquartier, der auch unterkellert war. Die Kellerräume wurden sowohl von dem Angeklagten als auch von H. J. genutzt. Der vom Angeklagten allein genutzte Teil war eine Art Lagerhalle für Autoteile und Reifen. Er verfügte über einen abgetrennten Toilettenteil. Dieser Gebäudeteil wies jedenfalls ab Mitte September 2012 ein Loch in der Decke auf, das von Raketen- oder Artilleriebeschuss herrührte. Die von dem Angeklagten benutzte Halle hatte auf der Seite in Richtung des Hauptquartiers des Angeklagten eine Eingangstür. Auf der gegenüberliegenden Gebäudeseite, die zur vorbeschriebenen Hauptstraße gerichtet war, befanden sich Rolltore.
44Der Angeklagte hatte einige Mitglieder seines Stammes in die Katiba aufgenommen. So waren mit Abu Ghazal ein Bruder des Angeklagten, mit Abu Saddam ein Cousin des Angeklagten und mit Abu Alarandas ein Mitglied des Stammes Al G. Teil seiner Katiba. Die Zahl der Mitglieder der Katiba des Angeklagten vergrößerte sich bereits zeitnah nach der Trennung von H. J. So stießen der Zeuge R. A. I., genannt Nemes, und Abu Hammam zur Katiba des Angeklagten sowie etwas später der Zeuge N. S. M. Der Zeuge N. S. M. meldete sich wenige Tage vor dem 16. September 2012 im Hauptquartier des Angeklagten, weil er gehört hatte, dass seine Freunde, Abu Hamman und R. A. I., bei einem Kampfeinsatz für die Katiba des Angeklagten umzingelt worden waren und nicht zurückkehren konnten. Der Wachposten vor dem Quartier des Angeklagten, Abu Alarandas, teilte dem Zeugen mit, dass es nun Abend und zu spät sei und dass er am folgenden Morgen wiederkommen solle. Am nächsten Morgen erschien der Zeuge und erhielt von dem Angeklagten ein Gewehr sowie vier Magazine und wurde von dem Angeklagten und Abu Alarandas mitgenommen. Auf der Fahrt zu den eingeschlossenen Freunden des Zeugen im Gebiet von Suleiman al Halabi westlich von Sakhour wurde das Fahrzeug von einem Scharfschützen des Regimes beschossen und Abu Alarandas wurde im Gesicht verletzt. Dabei erlitt er eine Verletzung beidseitig der Nase. Ob es zu einem Durchschuss gekommen ist bzw. ob es zu Verletzungen von Gesichts- und Nasenknochen gekommen ist, konnte nicht festgestellt werden. Die Eingeschlossenen wurden sodann von anderen Einheiten der Rebellen befreit. Nach der Rückkehr zum Quartier gewährte der Angeklagte dem Zeugen R. A. I. einen oder zwei Tage Freizeit. Am Abend seines letzten freien Tages, dem 16. September 2012, fand die im Folgenden näher beschriebene Aktion gegen die Katiba von Abu A. statt, bei der u.a. die Zeugen A. A. und F. H. gefangen genommen wurden.
45Nach deren Freilassung, die frühestens am 25. Oktober 2012 erfolgte, sagte sich der Angeklagte von der Ghoraba ash-Sham los und schloss sich mit seiner Einheit der „Front der Stämme Syriens“ an, deren Gründung er mitbetrieben hatte. Er stieg zum Führer des Liwa Ansar al-Hardi auf und hatte ein weiteres Liwa mit der Bezeichnung Liwa al-Sahadi unter Kontrolle. Er errichtete neben seinem Hauptquartier weitere Stützpunkte in Bustan al Pascha. Der Angeklagte verfügte zuletzt über etwa 150 bis 200 Milizionäre, die er auf 10 Gruppen aufgeteilt hatte.
46Bereits mit der Abspaltung von der Katiba des H. J. und der Gründung einer eigenen von ihm geführten Katiba wollte sich der Angeklagte – entsprechend seiner schon früh gewonnenen Erkenntnis, man könne nur als Selbständiger einen ordentlichen Gewinn erzielen – durch Ausnutzung der Bürgerkriegswirren mit eigenständigen Plünderungen, Diebstählen und Entführungen mit Lösegelderpressung selbst bereichern. Neben der Unterhaltung von mindestens einer kämpfenden Einheit, die aus R. A. I. und seinen Freunden M. M. N. und N. S. M. bestand, nutzte der Angeklagte eine überwiegende Anzahl seiner weiteren Mitglieder, um seinen illegalen Geschäften nachzugehen. Neben einer Vielzahl von nicht im einzelnen bekannten Plünderungen, sicherte er sich unter anderem eine Tabakfabrik im Stadtbezirk Aleppos und exportierte den dort geplünderten Tabak – im Wert von Millionen, so der Angeklagte – in die Türkei. Sodann ließ er gestohlene und geplünderte Gegenstände zu seinem Hauptquartier in Sakhour bringen und lagern, um die Waren zu verkaufen.
47Nachdem der Druck islamistischer Gruppierungen, die Träger der Scharia-Autorität waren, zu groß wurde, verlegte der Angeklagte sein Hauptquartier von Sakhour nach Bustan al Pascha. Im weiteren Verlauf zog er sich in die Türkei nach Gaziantep zurück. Die Waffen seiner Einheiten, die er als sein Eigentum betrachtete, ließ er durch Mittelsmänner veräußern und sich den Erlös – etwa durch den Zeugen M. M. – in die Türkei bringen. In der Türkei entfaltete der Angeklagte mit dem im Bürgerkrieg erbeuteten Geld verschiedene geschäftliche Aktivitäten. Er mietete in Gaziantep ein Büro an, eröffnete ein Café und ein Restaurant.
48E. Die Tatvorwürfe
49I. Die Taten zum Nachteil der Zeugen A. A. und F. H.
50Die Zeugen A. A. und F. H. beteiligten sich nach dem Einmarsch von Einheiten der FSA bzw. der Ghoraba ash-Sham in Aleppo aufgrund ihrer Ortskenntnis an dem zivilen Schutz von verlassenen Wohnungen und Geschäften im Stadtteil Bustan al Pascha, nachdem Abu A., der sich ebenso wie der Angeklagte der Ghoraba ash-Sham angeschlossen hatte, mit seiner Katiba dort eingerückt war und die faktische Kontrolle im Umfeld seines Hauptquartiers übernommen hatte. Die Zeugen beteiligten sich an der Errichtung von Checkpoints an strategisch wichtigen Punkten dergestalt, dass sie die Katiba von Abu A. aufgrund ihrer Ortskenntnis unterstützten, ohne gleichzeitig eingeschriebener Teil dieser Gruppierung oder der Freien Syrischen Armee zu sein. Die Haltung von Abu A. und die Stellung der Zeugen A. A. und F. H. waren dem Angeklagten und Abu Diebo al-Khal bekannt.
51Nachdem es bereits in der Vergangenheit in dem von Abu A. kontrollierten Gebiet in Bustan al Pascha Probleme mit plündernden Gruppierungen der Ghoraba ash-Sham gegeben hatte, spitzte sich der Konflikt zwischen Abu A. und der Ghoraba ash-Sham bzw. den entsprechenden Gruppierungen Anfang bis Mitte September 2012 zu. Nach einem Plünderungsversuch eines einem Armenier gehörenden Geschäfts, der von der Gruppe des Abu A. sowie zivilen Unterstützern aus der Nachbarschaft – darunter auch A. A. und F. H. – vereitelt worden war, planten die Anführer mehrerer Katibas – zumindest H. J., Abu Layth (N. A. K.) sowie der Angeklagte unter Koordination von Abu Diebo al-Khal, die Behinderung von Plünderungen in Bustan al Pascha durch die Zerschlagung der Gruppe von Abu A. infolge von Festnahmen und Entführungen – auch ihrer zivilen Unterstützer – zu beenden.
52Zumindest der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal planten darüber hinaus bei dieser Maßnahme gefangen genommene Personen nur gegen ein an sie zu zahlendes Lösegeld freizulassen und bis dahin in dem zum Hauptquartier des Angeklagten gehörendem Gefängnis festzuhalten. Die Gefangenen sollten – je nach individuellen Erfordernissen – so lange körperlich misshandelt werden, bis entweder die Angehörigen oder die Gefangenen selbst aus Sorge um deren bzw. ihr Wohl das geforderte Lösegeld zu zahlen bereit waren.
53Noch am 16. September 2012, dem Tag der oben beschriebenen vereitelten Plünderungen, beteiligte sich der Angeklagte entsprechend dem zuvor gefassten Tatplan mit den Mitgliedern seiner Katiba an dieser Aktion. Dabei suchten die an der Aktion beteiligten Milizionäre zur Katiba Abu A. gehörende Milizionäre sowie ihre zivilen Unterstützer – wie etwa die Zeugen A. A. und F. H. – in Bustan al Pascha und Umgebung. Teilweise wurden die Personen in ihren Wohnungen gesucht, teilweise wurden sie im Hauptquartier von Abu A. unter Vorhalt von Waffen festgesetzt.
54Der Zeuge F. H. – genannt Abu Gazi – wurde durch den in dem dortigen Viertel bekannten Sheikh M. in einem Gespräch aufgefordert, zum Quartier des Abu A. zu gehen, denn es sollte dort eine Versöhnung mit den Einheiten stattfinden, die zum Plündern nach Bustan al Pascha gekommen und hieran gehindert worden waren. Der damals15-jährige Zeuge Z. H. erhielt mit seinen im Einzelnen nicht bekannten Begleitern einen Anruf, er solle zum Hauptquartier von Abu A. kommen. Der damals16-jährige Zeuge G. H. war auf der Suche nach seinem Vater, dem Zeugen F. H., nachdem er mitbekommen hatte, dass Abu A. von bewaffneten Personen festgenommen worden war. Er wurde mit einem Freund, mit dem er zuvor gespielt hatte, von Sheikh M. zum Hauptquartier von Abu A. gebracht. Der Zeuge F. H. selbst traf im Hauptquartier des Abu A. zunächst auf Abu Diebo al-Khal und drei weitere bewaffnete Personen und auf Mitglieder und Unterstützer von Abu A. Zu Beginn der dann folgenden Auseinandersetzung sprach Abu Diebo al-Khal F. H. auf die verhinderten Plünderung an und fragte ihn, was das Problem sei.
55Vor seiner später erfolgenden Festnahme und Entführung konnte der Zeuge F. H. das Quartier von Abu A. noch einmal verlassen und mit seinem Sohn, dem Zeugen G. H. sprechen, ihm eines von zwei mitgeführten Mobilfunktelefonen übergeben und ihn ermahnen, dass er sich entfernen solle, was G. H. jedoch letztlich nicht tat, da er in Sichtweite des vorgenannten Quartiers blieb. Der F. H. forderte seinen Sohn darüber hinaus auf, nach ihm zu fragen, wenn er nicht mehr auftauchen würde. Dieses Treffen war möglich, weil der Zeuge G. H. Sheikh M. gebeten hatte, mit seinem Vater sprechen zu dürfen und dieser das gegenüber Abu Diebo al-Khal im besetzten Hauptquartier vermitteln konnte.
56Nach dem Gespräch mit seinem Sohn und der Rückkehr des F. H. in das Quartier kamen noch etwa 15 weitere Bewaffnete in das Quartier. Sodann nahm Abu Diebo al-Khal den Zeugen F. H. mit weiteren Unterstützern von Abu A. sowie dessen Katibamitglieder in dem Quartier fest. Dem Zeugen wurden die Hände auf den Rücken gefesselt. Zudem wurde ihm eine Augenbinde angelegt. Er wurde sodann von dem Angeklagten, der mit seinen Katibamitgliedern und mindestens zwei Fahrzeugen – einem Suzuki Pick-up und einem Taxi der Marke Saab – angekommen war, abtransportiert. Die Gefangenen wurden auf die Ladefläche des Pickup verbracht. Der Angeklagte fragte den Zeugen F. H. bei dieser Gelegenheit, ob er Abu Gazi sei. Auf die bejahende Antwort schlug der Angeklagte dem Zeugen mit dem Kolben des von ihm geführten Gewehres in dessen Gesicht. Der Angeklagte verbrachte den Zeugen F. H. sowie die weiteren Gefangenen in sein Hauptquartier nach Sakhour, wo er über Räumlichkeiten verfügte, die – wie beschrieben – als Gefängnis benutzt werden konnten und die er auch als solches benutzte. Der Zeuge M. F wurde ebenfalls von Abu Diebo al-Khal festgenommen und sodann in das Quartier des Angeklagten verbracht, was aber nicht Gegenstand der Anklage ist.
57Zu einem nicht näher eingrenzbaren Zeitpunkt am gleichen Tage nahm der Angeklagte den Zeugen A. A. auf offener Straße auf seinem Weg von Sheikh Maqsoud im nördlichen Bereich von Bustan al Pascha mit Unterstützung von mehreren bewaffneten Personen fest. Der Angeklagte und die ihn begleitenden Personen verfügten über ein Taxi der Marke Saab und einen Pick-Up der Marke Suzuki mit aufmontiertem Maschinengewehr „Duschka“ auf der Ladefläche, bei dem es sich um ein anderes Fahrzeug handelte, als dasjenige, das der Angeklagte u.a. zum Transport des Zeugen F. H. nutzte. A. A. wurde zunächst in ein Gefängnis verbracht, das unter der Leitung von Abu Layth stand. Am nächsten Morgen um etwa 5 Uhr wurde er plangemäß in das Hauptquartier des Angeklagten und das dortige Gefängnis verlegt.
58An diesem 16. September 2012 wurden mindestens folgende Personen festgenommen und sodann in das Gefängnis des Angeklagten in Sakhour verbracht: Abu A., die Zeugen F. H., A. A., H. M. und M. F., sowie zwei Brüder des Zeugen A. A. mit den Namen Fahdi und Haitham und Abu Quansi. Darüber hinaus waren zeitweise zwei Cousins des Zeugen A. A. mit den Namen Lokman und Mohammed inhaftiert, die den Zeugen im Gefängnis besuchen wollten. Mit Ausnahme von Abu A., sowie den Zeugen F. H., A. A., M. F. und H. M. wurden die übrigen Gefangenen zeitnah freigelassen, weil man vermutlich keinen Vorwand fand, sie weiter festzuhalten. Der Angeklagte ließ H. M. in Absprache mit Abu Diebo al-Khal ebenfalls zeitnah frei – gegen Zahlung eines Lösegeldes.
59Entsprechend dem gemeinsamen Tatplan des Angeklagten sowie Abu Diebo al-Khals sollten A. A. und F. H. so lange inhaftiert werden und so lange misshandelt werden, bis entweder sie oder ihre Familien aus Sorge um ihr Wohl Lösegeld bezahlen würden. Zu diesem Zweck nahmen sowohl der Angeklagte als auch Abu Diebo al-Khal im bewussten und gewollten Zusammenwirken selbst im Einzelnen noch zu erläuternde Misshandlungen an den Zeugen A. A. und F. H., aber auch – mit gleicher Intention – an dem Zeugen M. F. vor. Darüber hinaus ordnete der Angeklagte entsprechend dem gemeinsamen Tatplan die Misshandlung der Zeugen durch Katibamitglieder an. Dabei konnte nicht aufgeklärt werden, ob die Katibamitglieder in die Hintergründe – Bereicherung des Angeklagten und Abu Diebo al-Khals – eingeweiht waren.
60Die Zeugen A. A. und F. H. wurden nach ihrer Festnahme und Entführung, die spätestens am 16. September stattgefunden hatte, mindestens 39 Tage in dem zum Hauptquartier des Angeklagten gehörenden Gefängnis – mit Abu A. – festgehalten und mindestens 28 Tage lang körperlich schwer misshandelt. Der Zeuge M. F. wurde ebenfalls schwer misshandelt, jedoch zu einem früheren Zeitpunkt freigelassen. Der Zeuge H. M. musste mit Ausnahme eines Tritts von Abu Diebo al-Khal keine Misshandlungen erdulden. Abu A., der weitläufig mit O. H. verwandt oder verschwägert war, blieb von Misshandlungen verschont. Die Verpflegung der Zeugen A. A. und F. H. bestand über die gesamte Zeit ihrer Gefangenschaft aus Essensresten, die einzelne wohlmeinende Katibamitglieder des Angeklagten den Gefangenen zukommen ließen. Nach dem Ende ihrer Gefangenschaft hatten die Zeugen A. A. und F. H. erheblich an Gewicht verloren. Der Zeuge A. A. zeigte darüber hinaus die äußerlichen Symptome einer Gelbsucht.
61Der Zeuge A. A. wurde teils von dem Angeklagten selbst, teils mit Wissen und Wollen des Angeklagten durch Abu Diebo al-Khal, teils auf Anordnung des Angeklagten von seinen Katibamitgliedern und teils durch die vorgenannten gemeinschaftlich mindestens zweimal täglich – mithin in mindestens 56 Fällen – körperlich schwer misshandelt, wobei die jeweiligen Misshandlungen mindestens eine halbe Stunde, teilweise auch eine Stunde, aber auch bis zu drei oder vier Stunden dauerten. An einzelnen nicht mehr feststellbaren Tagen kam es auch zu drei oder mehr solcher Vorfälle. Der Zeuge F. H. ist von den gleichen Beteiligten mit Wissen und Wollen des Angeklagten bzw. auf seine Anordnung hin mindestens einmal täglich über die gleiche Zeitdauer, mithin in 28 Fällen, schwer misshandelt worden. Begleitend zu den Misshandlungen wurden die Zeugen durch ihre Peiniger verbal beleidigt. Die Misshandlungen der Zeugen A. A., F. H. und M. F. fanden sowohl in ihrem gemeinschaftlichen Gefängnisraum, als auch im Büro des Angeklagten sowie in der Nähe eines mit einem Brunnen oder einem kleinen Teich versehenen Innenhofs der als Hauptquartier dienenden Villa statt. Die Misshandlungen erfolgten unter Verwendung von Stöcken und dicken Kabeln. Ihre Peiniger quälten die Angeklagten aber auch mit Schlägen und Tritten. Dabei waren die Zeugen u.a. auch gefesselt. Teilweise drängten mehrere Personen die Zeugen in eine Ecke, in der sie sodann misshandelt wurden. Teilweise lagen die Tatopfer auf dem Boden.
62Der Angeklagte schlug den Zeugen A. A. bei mehreren im Einzelnen nicht zählbaren Gelegenheiten mit einem dicken ummantelten Kupferkabel gezielt auf den Kopf. Der Zeuge leidet bis heute aufgrund von überdauernden Kopfschmerzen unter Schlafstörungen und nimmt in Hinblick auf seine Schmerzen erhebliche Dosen von Schmerzmitteln zu sich. Die Misshandlungen führten bei beiden Zeugen zu Striemen und blutig aussehenden Hämatomen am ganzen Körper. Verletzungsspuren der Haut waren zumindest bis zu seiner polizeilichen Vernehmung im Jahr 2015 auf dem Rücken des Zeugen A. A. zu sehen. Bei dem Zeugen F. H. waren ebenfalls bis zu seiner polizeilichen Vernehmung im Jahr 2015 Verletzungspuren der Haut an den Füßen zu sehen.
63An den von dem Angeklagen angeordneten Foltersequenzen beteiligten sich der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal nicht immer eigenhändig, überwachten in diesen Fällen jedoch die Folterungen, soweit sie anwesend waren.
64In weiter nicht näher zu spezifizierenden Einzelfällen wurden die Zeugen A. A. und F. H. darüber hinaus unter Verwendung eines aus syrischen Regierungsbeständen stammenden Folterinstruments, dem sogenannten „fliegenden Teppich“ (Basat al Reh) misshandelt. Dabei handelt es sich um einen Tisch, auf den das Tatopfer mit dem Rücken gebunden wird und dessen für die Beine bzw. Füße bestimmtes Liegeteil senkrecht nach oben geklappt werden kann. Sowohl der Angeklagte, aber auch die Mitlieder seiner Katiba schlugen auf Anordnung des Angeklagten die Zeugen A. A. und F. H. in dieser Lage mit Stöcken und Kabeln sowohl auf den Körper, aber vor allem auch auf die Fußsohlen.
65Im Beisein und mit Wissen und Wollen des Angeklagten führte Abu Diebo al-Khal mit dem Zeugen A. A. eine Scheinhinrichtung durch, indem er ankündigte, diesen zu erschießen, und ihn aufforderte, sich an eine Wand zu stellen. Sodann schoss er mit seiner Pistole in Richtung auf den Zeugen, der die Situation tatsächlich für seine Hinrichtung hielt, ohne ihn jedoch zu treffen.
66Die Zeugen A. A. und F. H. wurden von ihren Peinigern – ebenso so wie der Zeuge M. F., dessen Gefangennahme und Folter nicht Gegenstand der Anklage ist – mehrfach in den bereits zuvor näher beschriebenen Brunnen oder kleinen Teich geworfen, der das Gebäude des Hauptquartiers des Angeklagten zierte, um die Zeugen, die unter ihren Misshandlungen ohnmächtig geworden waren, wieder zu Bewusstsein zu bringen. In mindestens jeweils einem Fall drückten ihre Peiniger in Anwesenheit des Angeklagten und Abu Diebo al-Khals die Zeugen A. A., F. H. und M. F. bewusst so lange unter Wasser, dass sie fürchteten, sie würden ertränkt.
67Entsprechend dem gemeinsamen Tatplan des Angeklagten sowie Abu Diebo al-Khals waren die Misshandlungen der Zeugen A. A. und F. H. immer wieder von Forderungen nach Geldzahlungen in unterschiedlicher Höhe von 50 Milllionen bis zu 10 Millionen syr. Lira begleitet. Zudem forderten beide die Herausgabe von bis zu 5 kg Gold. Der Angeklagte forderte darüber hinaus von einem Bruder des Zeugen A. A. für dessen Freilassung 20 Millionen syr. Lira, jedoch konnte die Familie des Zeugen A. A. diese Summe nicht aufbringen. Schließlich versuchten der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal es vergeblich, einen Schuldner des Zeugen F.H. zur Zahlung noch ausstehender Beträge an sie selbst zu veranlassen. Dabei warfen der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal den Zeugen als Vorwand für ihre Forderungen vor, die Zeugen hätten diese Beträge im Rahmen von eigenen Plünderungen erlangt. Tatsächlich verlangten der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal unter dem Vorwand vollkommen beliebiger Vorwürfe Lösegelder. Dementsprechend warfen der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal den Zeugen A. A. und F. H. auch Unzucht mit Frauen vor. Dem Kurden F. H. warfen sie vor, ein Ungläubiger zu sein und – in der Sache zutreffend – vor der Revolution Wein verkauft zu haben
68Wie von Abu Diebo al-Khal und dem Angeklagten beabsichtigt, räumte der Zeuge F. H. in den ersten Tagen seiner Gefangenschaft aufgrund der schweren Misshandlungen – unzutreffend – ein, dass die gesamte Einrichtung seiner Wohnung aus Plünderungsgut bestehe. Daraufhin ließ der Angeklagte den Zeugen von Abu Alarandas und weiteren Katiba-Mitgliedern zu seiner – des Zeugen – Wohnung fahren, die sodann geplündert wurde. Die Katiba-Mitglieder des Angeklagten nahmen auf Anordnung des Angeklagten verwertbare Gegenstände wie das Fernsehgerät, das Mikrowellengerät, den Staubsauger sowie alle Elektrogeräte mit und verbrachten diese Gegenstände in das Hauptquartier des Angeklagten.
69Abu Diebo al-Khal plünderte mit Wissen und Wollen des Angeklagten und unter Mithilfe von Katiba-Mitgliedern desselben etwa ein bis drei Tage nach Verhaftung und Entführung des Zeugen A. A. die Wohnung des Zeugen und seiner Frau H. I. Die Plünderer entwendeten 1.000 syrische Lira sowie ein Plasmafernsehgerät, einen Staubsauger, Kochgeschirr, Kinderkleider sowie weitere Wert- und Gebrauchsgegenstände. Schließlich ließen der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal den Zeugen A. A. mit deutlichen Folterspuren einige Tage nach der Plünderung seiner Wohnung im Kofferraum eines Fahrzeugs zu seiner Wohnung fahren, nachdem A.A. unter schweren Misshandlungen – unzutreffend und nur, um zumindest eine Zeit lang nicht mehr misshandelt zu werden – angegeben hatte, er habe 10 Millionen syrische Lira bei sich zu Hause versteckt. Abu Diebo al-Khal präsentierte den Zeugen A. A. mit Wissen und Wollen des Angeklagten in Begleitung des Angeklagten und dessen Katiba-Mitgliedern der Ehefrau des Zeugen A. A. und seinen minderjährigen Kindern im Kofferraum liegend, blutig und durch schwere Misshandlungen gezeichnet. Dem gemeinsamen Tatplan zur Erpressung von Lösegeld entsprechend drohte Abu Diebo al-Khal der Zeugin H. I., ihren Ehemann „abzuschlachten“, wenn sie nicht Geld oder Gold herbeischaffe, weil sich in der Wohnung selbstverständlich kein Geld befand.
70Der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal verbrachten die Zeugen A. A., F. H. und M. F. sowie Abu A. nach zwei oder drei Wochen Gefangenschaft vermeintlich zu einer Einheit der Jabhat al-Nusrat, die über Scharia-Richter verfügte. Durch diese Inszenierung sollte auf die Gefangenen Druck ausgeübt werden, damit das geforderte Lösegeld gezahlt werde. Die Zeugen A. A., F. H. und M. F. befürchteten, dass sie hingerichtet werden sollten, denn der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal warfen ihnen Unzucht mit Frauen vor. Zu einem gegebenenfalls inszenierten Urteilsspruch kam es nicht, weil die Gegend durch das Regime – u.a. auch mit Flugzeugen – angegriffen wurde. Der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal brachten die Gefangenen angesichts des Angriffs wieder in das Gefängnis des Angeklagten zurück.
71Der Angeklagte ließ den Zeugen M. F. im Anschluss daran frei, weil dieser auf die Forderung des Angeklagten und Abu Diebo al-Khals eingegangen war, zwei Pistolen als Lösegeld zu geben. Nachdem der Zeuge M. F. eine Pistole im Wert von 175.000 syr. Lira von einem Freund beschaffen lassen konnte, durfte er die zweite Pistole selbst beschaffen. Dafür wurde ihm ein Passierschein ausgestellt, weil der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal nicht bereit waren, dem Zeugen seinen Ausweis zurück zu geben. Als weitere „Sicherheit“ behielten sie ein Mofa und Bargeld in Höhe von 48.000 syr. Lira ein, die der Zeuge im Zeitpunkt seiner Entführung mit sich führte. Der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal akzeptierten statt der zweiten Pistole einen Betrag von 125.000 syr. Lira und behielten die zur „Sicherheit“ einbehaltenen Gegenstände. Sie gaben dem Zeugen lediglich 500 syr. Lira zurück, damit er nach Hause fahren konnte.
72Etwa eine Woche, frühestens aber 10 Tage vor ihrer Freilassung, wurden die Zeugen A. A. und F. H. nicht mehr misshandelt. Der Zeuge F. H. musste sich im Quartier aufhalten und wurde zu Arbeiten wie Kochen, Saubermachen und Servieren eingesetzt. Der Zeuge A. A. wurde einmal durch den Angeklagten eingesetzt, um in dem in der Nähe gelegenen Hauptquartier seines Bruders A., der im Bürgerkrieg unter den Namen Abu Mohammad A. und Abu Shakib bekannt war, sauber zu machen und aufzuräumen. Nach der Tötung von zwei Brüdern mit den Namen I. Da. und M. Da. (s.u.) wurden die Zeugen A. A. und F. H. frühestens am 25. Oktober 2012 durch den Angeklagten freigelassen. Als Gegenleistung forderte der Angeklagte von ihnen, dass sie in seine Katiba eintraten, von dem Zeugen F. H. unter Vorhalt einer Pistole. In diesem Zusammenhang ließ der Angeklagte auch Abu A. frei.
73Um seine Verantwortung für die Inhaftierungen und Folterungen gegenüber den Zeugen F. H. und A. A. zu verschleiern, gab er gegenüber beiden an, dass es sich um einen Irrtum gehandelt habe, er aber auf Anweisung von O. H. gehandelt habe. Dem Zeugen F. H. gab der Angeklagte zur Verschleierung seiner Verantwortung darüber hinaus vor dessen Freilassung ein Telefon mit dem unzutreffenden Hinweis, der Gesprächspartner sei O. H. Diese Person erklärte dem Zeugen F. H., dass er zum Opferfest freigelassen werde.
74Während der Zeuge A. A. nach kurzer Zeit nicht mehr bei dem Angeklagten erschien, weil er diesem gegenüber vorgegeben hatte, er müsse sich von den Strapazen erholen, war der Zeuge F. H. für den Angeklagten in dessen Katiba tätig. Nachdem er etwa 20 Tage für den Angeklagten gearbeitet hatte und von seinem Sohn G. H. sowie dem Zeugen Z. H. besucht worden war, begab sich der Zeuge F. H. für etwa zwei Monate in die Türkei und kehrte sodann nach Aleppo zurück und zog mit seiner Ehefrau N. Q. in ein neben dem Hauptquartier des Angeklagten befindliches Haus, das Verwandten des Angeklagten gehörte. Sodann arbeitete der Zeuge F. H. wieder in der Katiba des Angeklagten. Der Zeuge A. A. schloss sich – auch zu seinem eigenen Schutz – in Bustan al Pascha der Katiba von M. A. H. an.
75In weiteren Verlauf des Bürgerkrieges begaben sich die Zeugen A. A. und F. H. sowie der Angeklagte in die Türkei.
76II. Die Tat zum Nachteil der Brüder I. Da., M. Da., T. Da. und N. Da.
77Etwa Anfang Oktober 2012 brachte der Angeklagte gemeinsam mit H. J., Abu Layth sowie mehreren Mitgliedern der Katibas vier Personen, die sie zum Zweck der Lösegelderpressung festgenommen hatten, in das Quartier des Angeklagten und das von ihm genutzte Gefängnis, in dem der Angeklagte noch A. A., F. H. und Abu A. gefangen hielt. Dabei handelte es sich um die vier Brüder I. Da., M. Da., T. Da. und N. Da., die als „die Söhne der Um N.“ bezeichnet wurden bzw. werden. Sogleich nach der Ankunft der vier Brüder im Hauptquartier des Angeklagten begann der Angeklagte sie unter Beteiligung von H. J. und weiterer bis zu 15 Personen mit Kabeln und Stöcken über einen Zeitraum von etwa vier Stunden zu schlagen und mit Füßen zu treten, obwohl die vier Brüder bereits bei ihrer Ankunft schon blutig geschlagen waren. Der Angeklagte warf ihnen vor, dass sie als „Shabiha“ verdeckt mit dem Regime kollaborierten.
78Nach Kenntnis des Angeklagten sowie des Zeugen A. A. waren die vier Brüder unter dem gleichen Vorwurf bereits zuvor einmal festgenommen und entführt worden und zwar von der Liwa al-Tawhid. Ihre Freilassung soll erst erfolgt sein, als ein Führer der Liwa al-Tawhid – Y. N. – eine Schwester der Brüder heiraten konnte.
79Jedenfalls der Angeklagte verfolgte mit der Entführung, Gefangennahme und der Inhaftierung in seinem Gefängnis – gegebenenfalls mit H. J. und Abu Layth zusammen – das Ziel, ein Bäckereigebäude, das der Familie gehörte und Lösegeld zu erlangen.
80In der Zeit der etwa zwei Wochen dauernden gemeinsamen Gefangenschaft mit A. A., F. H. und Abu A. misshandelten Katibamitglieder des Angeklagten – darunter Abu Saddam, Abu Alarandas und Abu Ghazal – auf dessen Anordnung zur Durchsetzung der Lösegeldforderung die vier Brüder in mindestens noch drei weiteren Fällen über einen längeren Zeitraum durch Schläge mit Stöcken, Kabeln und Händen sowie Treten mit Füßen, obwohl sich die vier Brüder bereits in einem sehr schlechten körperlichen Zustand befanden. Es konnte nicht aufgeklärt werden, ob einzelne Brüder außerhalb des als Gefängnis dienenden Raumes darüber hinaus gefoltert wurden.
81Etwa Mitte Oktober 2012 griff Liwa al-Tawhid unter Führung von Y. N. das Hauptquartier des Angeklagten an, um die vier Brüder zu befreien. Auf Seiten der Angreifer soll es zwei Tote gegeben haben, während auf Seiten des Angeklagten ein Mann – Abu Saddam – durch eine Schusswunde am Bein verletzt wurde.
82Nach diesem Angriff entschied der Angeklagte, diese vier Gefangenen dergestalt aufzuteilen, dass er zwei – I. Da. und M. Da. – im Gefängnis seines Bruders A., Abu Mohammad A. genannt, unterbrachte. Dabei waren sowohl der Angeklagte als auch sein Bruder sich darüber einig, dass es sich weiterhin um Gefangene des Angeklagten handelte. Die beiden anderen Brüder – T. Da. und N. Da. – verlegte er in das Haus, das ihm als Hauptquartier diente. So wollte er verhindern, dass sämtliche Brüder bei einem erneuten Angriff auf sein Hauptquartier befreit würden und er auf Lösegeld hätte verzichten müssen. Abu Mohammad A. (A.) war ein Anführer in der Gruppierung Durae-Al Shahbae. Er hatte sein Hauptquartier in einer von vier L-förmig erbauten Schulen, die im Nordwesten des Hauptquartiers des Angeklagten gelegen war – etwa 200 m bis 300 m Luftlinie entfernt.
83I. Da. und M. Da. waren aufgrund der vorhergehenden Misshandlungen bei ihrem Abtransport noch so geschwächt, dass sie nicht selbständig zu dem sie fortbringenden Fahrzeug gehen konnten, sondern gestützt werden mussten. Auch N. Da. war ebenso geschwächt wie seine vorgenannten Brüder, während T. Da. die Misshandlungen besser verkraftet hatte. Kurze Zeit nach dieser Maßnahme konnte T. Da. mit Hilfe des Zeugen F. H. fliehen. Nachdem der Angeklagte diese Flucht entdeckt hatte, war er außer sich vor Wut, schrie im Quartier herum und ließ die Gegend nach dem Entflohenen absuchen, ohne T. Da. zu finden.
84Am gleichen Tage hatte der Angeklagte den Zeugen A. A. an seinen Bruder A. – Mohammad A. – ausgeliehen, um als gefangener Zwangsarbeiter in dessen Hauptquartier Reinigungs- und Aufräumarbeiten durchzuführen. Während der Zeuge A. A. dort war, misshandelte Mohammad A. unter Mitwirkung weiterer Personen beide dort gefangenen Brüder in einem Raum der Schule, was der Zeuge A. A. während seiner Arbeit beobachtete. Sie hörten erst auf, als einer der beiden Brüder – I. Da. oder M. Da. – augenscheinlich leblos war und auch nicht durch Überschütten mit Wasser zu Bewusstsein kam. Er war tot. Sodann befahl Mohammad A. einem seiner Katiba-Mitglieder, den Angeklagten zu kontaktieren und diesem mitzuteilen, dass einer seiner – des Angeklagten – Gefangenen verstorben sei.
85Etwa eine halbe Stunde später traf der Angeklagte ein. Den Tod des ersten Da.-Bruders kommentierte er: „Das Schwein ist tot. Ich ficke seine Schwester. Er sollte ruhig sterben.“ Nachdem der Angeklagte seinen Bruder Abu Mohammad A. über die Flucht des T. Da. informiert hatte, ließ dieser auf Bitten des Angeklagten den anderen erkennbar schon schwerst misshandelten und erkennbar lebensgefährlich geschwächten noch lebenden Bruder – M. Da. oder I. Da. – mit den Worten „Holt den anderen Hurensohn zu mir!" vorführen. Aus fortbestehender Verärgerung über die Flucht des T. Da. begann der Angeklagte den noch lebenden Bruder mit einem mitgeführten Kabel zu schlagen, so dass dieser zu Boden ging. In Todesangst, die dem Angeklagten nicht verborgen blieb, bat der geschwächte Mann den Angeklagten um Gnade und flehte ihn an: „Ich küsse Eure Füße, bitte, bitte…“ Sodann stellte der Angeklagte diesem Bruder – unbeeindruckt von dessen Flehen – seinen Fuß auf den Hals und fragte ihn in dem Wissen, dass der Gefragte keine Antwort geben konnte und zur Demonstration seiner Macht: „Wo ist Dein Bruder T. Da., du Hurensohn?“ Sodann setzte der Angeklagte die Misshandlungen unter Beteiligung seines Bruders Abu Mohammad A. und weiterer Personen – im Beisein seines Bruder Abu Ghazal – in dem Bewusstsein und der Erwartung, dass der bereits körperlich erheblich geschwächte Bruder dies nicht überleben würde, bis zu dessen Tode fort, weil der Angeklagte nach wie vor über die Flucht des T. Da. verärgert und wütend war und seine Wut an diesem Bruder in dem Bewusstsein auslassen wollte, dass er dies ungehindert tun konnte. Unter den fortgesetzten Misshandlungen durch Tritte und Schläge mit Kabeln und Stöcken, an denen sich der Angeklagte bis zum Schluss beteiligte, verstarb auch dieser Bruder. Kurz vor seinem Ableben floss aus seinem Mund eine weiße schaumige Flüssigkeit. Der Angeklagte schoss diesem Bruder – M. Da. oder I. Da. – mit seiner Pistole in die Brust, um sicher zu gehen, dass auch dieser Bruder tot ist. Nachdem der Angeklagte den Zeugen A. A. die Räumlichkeiten notdürftig hatte reinigen lassen und die Anweisung erteilt hatte, die Leichen der beiden Brüder auf den Müll zu werfen, nahm er den Zeugen A. A. in seinem Fahrzeug mit zurück in sein Quartier. Nach der Freilassung der Zeugen A. A. und F. H. sowie Abu A. wurde zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt der letzte bei dem Angeklagten in Gefangenschaft gebliebene Bruder N. Da. gegen die Zahlung eines Lösegeldes von 1,5 Millionen syr. Lira durch die Familie des N. Da. an den Angeklagten von diesem freigelassen.
86III. Die Tat zum Nachteil des Zeugen A. S.
87Der Zeuge A. S. sympathisierte mit den Regimegegnern und zog, weil er seiner Freundin und späteren Ehefrau nahe sein wollte, in den Ortsteil Bustan al Pascha. In der Nähe zum Stadtteil Sheikh Fahris war er in der Bäckerei Rajab Abu A. beschäftigt. Dort verkaufte er Brot an die Bevölkerung und an Milizionäre, denen er aber keine Vorzugsbehandlung zukommen lassen wollte. Der Zeuge bekam erhebliche finanzielle Unterstützung von seinen in die Türkei geflohenen Eltern. Dabei handelte es sich etwa um 1.000 US-Dollar im Monat. Nach seiner Selbsteinschätzung sah man dem Zeugen an, dass er über Geld verfügte, da er auf seine Kleidung achtete und in dem fremden Stadtteil einen Bekanntenkreis aufbauen wollte und sich deshalb großzügig zeigte.
88Der Angeklagte hatte seine nicht primär als Kämpfer vorgesehenen Katiba-Mitglieder angewiesen, nach potentiellen Entführungsopfern zu suchen und diese zwecks Lösegelderpressung festzusetzen, zu entführen und in eines seiner Gefängnisse zu bringen. Entsprechend dieser Anweisung entführten Katiba-Mitglieder des Angeklagten den Zeugen A. S. zwischen Mitte September und Anfang Oktober 2012 unter Verwendung von Schusswaffen im Stadtteil Helluk nördlich von Bustan al Pascha, indem sie ihn in ein Auto zerrten und ihn an einen unbekannten Ort verbrachten. Dort wurde der Zeuge zwei Tage festgehalten. Sodann ließ der Angeklagte ihn in ein Kellergefängnis in der Nähe seines Hauptquartiers in Sakhour verlegen.
89Der Angeklagte hatte – wie bereits festgestellt – sein Hauptquartier in einem arabischen Haus, dass der Familie Ali A. gehörte. Schräg gegenüber dieses Quartiers – getrennt durch eine schmale Straße oder Gasse – befanden sich die ehemaligen Geschäftsräume von Abu R. Dabei war die Rückseite zum Quartier des Angeklagten gerichtet. Die Vorderseite der Geschäftsräume von Abu R. befand sich an einer Hauptverkehrsstraße, die Richtung Sheikh Najjar führte. Von diesen Räumlichkeiten nutzte der Angeklagte den von seinem Quartier aus gesehen rechten, abgetrennten Teil als Gefängnis, um die Gefangenen A. A. und F. H. und zeitweise auch die Gebrüder Da. unterzubringen. Es handelte sich um einen großen Raum, in dem ehemals Autoteile und Reifen gelagert worden waren. Der linke Teil der Geschäftsräume des Abu R. diente H. J. als Quartier für seine Katiba. Während der rechte Teil nicht unterkellert war, verfügte der linke Teil über einen Keller, den sich der Angeklagte mit H. J. teilte und in den lediglich mit dem Angeklagten verwandte oder seinem Stamm zugehörige Mitglieder seiner Katiba Zutritt hatten, darunter auch Abu Alarandas. Die Tür zu diesem Keller befand sich von der vorbeschriebenen Gasse aus gesehen auf der linken Seite in der Nähe der linken Seitenwand des Gebäudes. Die Tür war von der Gasse über eine abwärts führende Treppe zu erreichen. Der Keller verfügte ausgehend vom Eingang zunächst über zwei Räume rechts und links, die nicht mit Gefangenen belegt waren, sondern möglicherweise dem Aufenthalt von Wachen dienten. An einen Flur schlossen sich jeweils rechts und links drei Räume von einer Größe von etwa 4 x 4 m an. Diese Räume dienten der Unterbringung von Gefangenen. In jedem Raum waren etwa fünf bis zehn Gefangene untergebracht. Am Ende des Flures befand sich ein weiterer Raum, der für Folterungen genutzt wurde.
90In diese Räumlichkeiten wurde der Zeuge A. S. verbracht. Der Zeuge, der insgesamt etwa 22 Tage in diesem Gefängnis verbrachte, blieb in der ersten Woche weitgehend unbehelligt – anders als seine Mitgefangenen. Dann wurde auch er gefoltert.
91Der Angeklagte ließ den Zeugen A. S. von einem Katiba-Mitglied in einem Fall mit Tritten und Faustschlägen schwer misshandeln, während er ihn verhörte und von ihm wissen wollte, wer sein Vater sei und was dieser beruflich mache. Dabei warf der Angeklagte dem Zeugen vor ein „Shabiha“ zu sein – ein verdeckt für das Regime arbeitender Kollaborateur. Der Zeuge räumte diesen Vorwurf – unzutreffend – unter den Misshandlungen ein. Der Angeklagte wollte darüber hinaus die Telefonnummer des Vaters des Zeugen für die Lösegeldverhandlungen haben, die der Zeuge jedoch erst nach einer Woche preisgab. Bei Gelegenheit dieser Befragung drückte der Angeklagte dem Zeugen seinen beschuhten Fuß in dessen Gesicht, was dieser als besonders erniedrigend empfand. Hierdurch oder durch spätere Misshandlungen erlitt der Zeuge einen Nasenbeinbruch.
92Um die zur Durchsetzung des Lösegeldverlangens erforderliche Telefonnummer des Vaters des Zeugen zu erhalten, ließ der Angeklagte den Zeugen durch seine Katiba-Mitglieder noch mindestens drei Mal schwer misshandeln. Dabei musste sich der Zeuge in einigen Fällen auf Anweisung einer Person, die Abu Alarandas gerufen wurde, vor der Folterung ausziehen. Seine Peiniger misshandelten ihn sodann über längere Zeit mit Tritten, Schlägen mit der Hand, mit Kabeln und Stöcken.
93In zwei Fällen der insgesamt vier Fälle fesselten seine Peiniger den Zeugen an den Händen und zogen ihn daran an die Decke, bis er nur noch mit den Fußspitzen den Boden berührte. Dabei handelt es sich um die Foltermethode „Shabeh“ – Phantom. Bei einer dieser Gelegenheiten schlugen seine Peiniger den Zeugen mit Wissen und Wollen des Angeklagten mit Stöcken und Kabeln. Bei der zweiten Gelegenheit fügte einer seiner Peiniger dem Zeugen mit einem Messer sowohl Ritzungen am linken Arm als auch inzwischen zu wulstigen Narben verheilte Schnitte am Oberkörper und am linken Arm zu. Dabei handelt es sich um mindestens drei Schnittverletzungen im Brustbereich, drei im Bereich der rechten Bauchseite, sechs im Bereich der linken Bauchseite, mindestens 15 im Bereich des linken Oberarms sowie drei im Bereich des linken Unterarms. Zwei der Schnittverletzungen im Bereich der linken Bauchseite nähte ein Mitglied des Angeklagten mit dessen Wissen und Wollen und in dessen Anwesenheit ohne Narkose und mit groben Stichen, was für den Zeugen nochmals sehr schmerzhaft war. Dabei wurde er von Katiba-Mitgliedern des Angeklagten fixiert. Als besonders erniedrigend empfand es der Zeuge dabei, dass ihm vor der „Operation“ eine Flüssigkeit – möglicherweise Wasser – mit der – unzutreffenden – Erklärung zu trinken gegeben wurde, es handele sich um ein Narkosemittel.
94Der Angeklagte ließ den Zeugen nach Kontaktaufnahme zu dessen Vater für ein Lösegeld von etwa 18.000 US-Dollar frei, das der Vater unmittelbar an den Angeklagten zahlte. Die Lösegeldübergabe erfolgte im Beisein des Angeklagten, des Zeugen sowie seines Vaters im Büro des Angeklagten in dessen Hauptquartier. Der Zeuge musste in Anwesenheit seines Vaters nochmals einräumen, ein Shabiha zu sein. Er konnte sodann mit seinem Vater Sakhour und Aleppo verlassen und in die Türkei reisen. Der Zeuge kehrte nach kurzem Aufenthalt in der Türkei wegen seiner zukünftigen Frau wieder nach Aleppo zurück und arbeitete wieder in der Bäckerei Rajab Abu A.. Zu seinem Schutz schloss er sich der Gruppierung von M. A. H. an und begegnete dort dem Zeugen A. A.
95Der Zeuge A. S. leidet unter seinem durch die Narben entstellten Oberkörper und hat damit begonnen, diese durch Tätowierungen zu überdecken.
962. Teil: Beweiswürdigung
97A. Einlassungsverhalten
98Der Angeklagte hat sich ab dem 34. Hauptverhandlungstag über insgesamt 9 Hauptverhandlungstage beginnend mit seinen persönlichen Verhältnissen eingelassen. Darüber hinaus hat er aus Anlass der Inaugenscheinnahme verschiedener Videofilme bzw. aus Anlass verschiedener Vernehmungen punktuell Einlassungen abgegeben. Dabei war der Angeklagte, der kaum lesen noch schreiben konnte, recht gut in der Lage, aus dem Gedächtnis heraus seine Schilderung in eine chronologische Abfolge zu bringen.
99Seine Einlassung war insgesamt dadurch gekennzeichnet, dass er sich – im Verhältnis – nur kurz mit den die Tatvorwürfe betreffenden Sachverhalten bezüglich A. A., F. H. und die Da.-Brüder befasste und im Übrigen wortreich sein Agieren mit den verschiedensten Rebellenführern darstellte. Relativ breiten Raum nahm dagegen die Schilderung seines Verhältnisses zum Zeugen A. A. ein. Vor allem konzentrierte er sich darauf, von Zeugen geschildertes Randgeschehen als unzutreffend anzugreifen oder anders darzustellen. Die Tatvorwürfe – so der Angeklagte – beruhten allein auf einem Komplott, das die Belastungszeugen initiiert und geführt von den Zeugen A. A. und M. M. organisiert hätten. Er sei Opfer von Intrigen und Machenschaften. Der Angeklagte hat mehrfach darauf hingewiesen, ihm sei großes Unrecht geschehen, er sei unschuldig inhaftiert und sitze nur auf der Anklagebank, weil er „ein guter Mensch“ sei, Gutes getan und nur den Fehler begangen habe, anderen zu helfen. Er sei daher von allen Anführern in der Gegend von Sakhour und Bustan al Pasha sehr geschätzt worden. Als ein Anführer für die ganze Region gesucht worden sei, sei deshalb auch die Sprache auf ihn gekommen. Die Frage, weshalb die Zeugen A. A. und M. M. jedoch ein Komplott gegen ihn organisieren sollten, blieb bei den Ausführungen des Angeklagten unklar und wurde von ihm auch auf Nachfrage nicht beantwortet. In Bezug auf A. A. hat er ausgeführt, er habe mit ihm nach seiner Freilassung kooperiert, sie seien befreundet gewesen und hätten Geschäfte miteinander gemacht. Es gehe bei dem Konflikt mit A. A. auch nicht um Geld, sondern um etwas ganz anderes. Darüber wolle er aber nicht reden.
100Soweit der Angeklagte über seine Verteidiger verschiedene Videofilme in Dateiform eingereicht hat, auf denen verschiedene Personen auftreten, deren Identität und Aufenthaltsort nicht sicher feststellbar ist bzw. war und die – ohne konkrete Sachverhaltsschilderung – als Leumundszeugen für den Angeklagten auftraten, hat der Senat keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen gesehen, nachdem die Videofilme in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen wurden und der Sprachsachverständige S. dem Senat – zum Teil wörtlich – den Inhalt der in arabischer Sprache gesprochenen Texte mitgeteilt hat.
101B. Zu den persönlichen Verhältnissen
102Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen bezüglich seines Werdegangs in Syrien bis kurz vor dem Ausbruch der Unruhen in Syrien beruhen auf den insoweit glaubhaften Angaben des Angeklagten.
103Soweit der Angeklagte immer wieder Konflikte zwischen seinem Bruder A. (Abu Mohammad A.) und der Familie bzw. ihm – selbst – geschildert und betont hat, dass sein Bruder A. „nicht richtig“ ticke und er mit ihm abgeschlossen habe, folgt der Senat dem nicht. Es mag sein, dass sich die geschilderten Ereignisse innerhalb der Familie so zugetragen haben, wie sie vom Angeklagten geschildert worden sind. Dass es jedoch zu einem derartigen Zerwürfnis zwischen beiden gekommen war, dass ihre Kooperation während des Bürgerkrieges – im Fall Da. – ausgeschlossen war, wird durch die Aussagen der Zeugen F. H., A. A. und N. S. M., auf die im Einzelnen noch eingegangen wird, widerlegt.
104Seine Tätigkeit als Händler von Elektroartikeln, aber insbesondere von Waffen und Munition hat der Angeklagte aus Sicht des Senats glaubhaft geschildert, nachdem er bereits in früheren Jahren Erfahrungen mit dem Schmuggel von Waffen gemacht hatte.
105Die Feststellungen zum Ehevertrag mit R. B. beruhen auf der Übersetzung der Kopie des bei dem Angeklagten im Rahmen einer Durchsuchung aufgefundenen Dokuments, aus dem sich die festgestellten Tatsachen ergeben. Die Trennung von dem Angeklagten in Deutschland sowie deren Gründe haben die Zeugen R. B. und Z. H. – wie festgestellt – erläutert.
106C. Zur Bürgerkriegssituation in Syrien, insbesondere im Großraum Aleppo im Jahr 2012 sowie zu Beginn des Jahres 2013
107Die Feststellungen zum Konflikt in Syrien beruhen auf den uneingeschränkt überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. S. und Dr. K. Der Sachverständige Dr. S. ist dem Senat aus einer Vielzahl an Verfahren als ausgewiesener Experte für die politische Lage im Nahen Osten bekannt. Die Sachverständige Dr. K. ist Politikwissenschaftlerin und verfügt aufgrund ihrer Dissertation über die Außenpolitik und die innere Regimesicherungsstrategie der Syrischen Regierung von 1964 bis 2006 über entsprechende Kenntnisse des Landes sowie seiner Verwaltungsstrukturen. Beim Heidelberger Institut für internationale Konfliktforschung hat sie sich in den Jahren 2011 bis 2014 intensiv mit dem Konflikt in Syrien beschäftigt. Auf ihren Ausführungen beruhen die Feststellungen zur Freien Syrischen Armee sowie zu den jeweils aufgeführten Ereignissen in Aleppo sowie dem Umland von Aleppo. Über die Errichtung des Revolutionären Sicherheitsbüros (Revolutionssicherheit) sowie die Scharia-Autorität haben beide Sachverständige übereinstimmend berichtet. Diese Berichte werden durch das Ergebnis der Beweisaufnahme gestützt. Den meisten Zeugen waren beide Sicherheitsorgane bekannt. Auch der Angeklagte hat ausgeführt, dass es zunächst die Revolutionssicherheit gegeben habe und dann die Scharia-Autorität. Beide Institutionen hätten eine Zeit lang zusammengearbeitet, später sei nur noch die Scharia-Autorität dagewesen.
108Die Feststellungen zur Beteiligung ausländischer Mächte am Konflikt in Syrien in den Jahren 2011 und 2012 beruhen auf den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. S., der bis April/Mai 2013 lediglich geheim gehaltenen Einsätze von Hizbullah und iranischen Militärberatern geschildert hat. Indes hätten die Militärberater und schiitische Milizen auf Seiten des Regimes und auf dessen Bitten gekämpft.
109Die Feststellungen zur Ghoraba ash-Sham beruhen auf den nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Dr. S., der entsprechende Quellen – Berichte, Videofilme sowie das Interview mit O. H. – ausgewertet hat. Dabei hat er darauf hingewiesen, dass er unter einem Youtube-Kanal mit dem Namen Abu Layth eine Vielzahl von Videos über die Ghoraba ash-Sham gefunden habe. Dieser habe ein Interview über die Geschichte der Organisation gegeben. Dass ein Abu Layth – N. A. K. – bei der Ghoraba ash-Sham Katibaführer war, entspricht den Ergebnissen der Beweisaufnahme.
110D. Zur Rolle des Angeklagten im Bürgerkriegskonflikt
111Die Feststellungen zur Tätigkeit des Angeklagten als Waffenhändler, den ersten Kontakten zu O. H., der Mitgliedschaft in der Katiba von H. J. und seinen Beteiligungen an bewaffneten Auseinandersetzungen, beruhen auf den insoweit glaubhaften Angaben des Angeklagten, der – wie festgestellt – auch die Rolle von Hassan Abu A. geschildert hat. Die geschilderte Rolle Abu A. wird gestützt durch ein Video, das der Senat aus der Datei „25-8-2012 لواء الفتح الرائد أنس عبيد في حي الميدان.mp4“ in Augenschein genommen hat. Die eingeblendeten Texte und die verständlichen Gesprächsanteile der auf dem Video handelnden Personen hat der Senat durch den Dolmetscher und Sprachsachverständigen S. übersetzen lassen. Der eingeblendete Titel des Videos lautet: „LIWA ALFATAH Major A. U. in Hay ALMAIDAN 25.08.2012.“ Der ebenfalls auf dem Video in einem Ausschnitt gefilmte Angeklagte bekennt sich auf die Frage des Majors, den der Angeklagte in seiner Einlassung als Abu Sed bezeichnet hat, zur Gruppe von H.J. Die Art und Weise, wie diese Person (Major A. U.) von der Kamera als Zentralgestalt der Szenen eingefangen wird sowie der respektvolle Umgang aller Beteiligten mit dieser Person machen für den Senat deutlich, dass es sich um die im Titel genannte Person handelt. Die herausgehobene Rolle des Abu A., den der Angeklagte zum einen in dem Video bezeichnet hat, den aber auch der Senat an Hand von anderen Lichtbildern erkannt hat, auf denen er von dem Angeklagten bzw. Zeugen identifiziert worden ist, wird aus dem Umstand deutlich, dass er den Major durchgängig in unmittelbarer Nähe begleitet und ihm die Situation vor Ort mit Gesten sichtbar erläutert. Die Zeitangabe der Auseinandersetzung in Bustan al Pascha/Midan am 22./23. August 2012 beruht auf der glaubhaften Angabe des Angeklagten, dass das Video 2 bis 3 Tage später gemacht worden sei.
112Dass sich der Angeklagte an den international bekannt gewordenen Kämpfen um die Kaserne von Hanano am 7. September 2012 beteiligt hat, ergibt sich neben der Bezeichnung des Angriffsziels auch aus seiner Schilderung, dass sich alle Katibas der FSA in Aleppo und islamische Gruppierungen beteiligt hätten, was mit den Ausführungen der Sachverständigen Dr. K. korrespondiert. Die Hintergründe bzw. den Umstand seiner Abspaltung von der Katiba des H. J. hat der Angeklagte – wie festgestellt - geschildert. Die Angaben korrespondieren – auch in zeitlicher Hinsicht – mit den Angaben der Zeugen R. A. I. und N. S. M., die sich wenige Tage vor dem 16. September 2012 der Katiba des Angeklagten angeschlossen haben. Die konkrete Ausgestaltung der Trennung hat der Angeklagte wie festgestellt geschildert und dazu ausgeführt, dass entsprechend der damaligen Situation der Rebellen die Mannstärke einer Katiba nicht nach den Mitgliedern sondern nach den bewaffneten Mitgliedern und damit nach der Zahl der verfügbaren Gewehre angegeben worden sei. Ebenso hat der Angeklagte geschildert, dass er erbeutete Gewehre an Abu Diebo al-Khal ausgehändigt und zwei Gewehre und Munition – wie festgestellt – bekommen habe. Auch die Feststellungen zu der Erlangung der Räumlichkeiten des Hauptquartiers hat der Angeklagte geschildert. Den Eigentümer des als Hauptquartier genutzten Gebäudes haben ebenfalls auch die Zeugen R. A. I. und N. S. M. genannt. Die Lage des Hauptquartiers bzw. des Saals von Abu R. an der Straße nach Sheikh Najjar in Sakhour hat der Angeklagte selbst an Hand eines Kartenausschnitts von Google-Maps erläutert. Die Zeugen A. A. und F. H., aber auch der Zeuge R. A. I., genannt Nemes („das Frettchen“), haben die Lage korrespondierend beschrieben. Dies gilt auch für den Umstand, dass in dem nebenan gelegenen Gebäudeteil das Hauptquartier von H. J. eingerichtet war. Der Zeuge F. H. konnte sich sogar noch daran erinnern, dass an einer Zugangstür zum Gebäudekomplex der Name Abu R. geschrieben stand. Lediglich in Hinblick auf die bauliche Trennung der als Gefängnis genutzten Halle hat der Zeuge N. S. M. – abweichend von den anderen Zeugen – auf Vorhalt der Verteidigung des Angeklagten angegeben, es habe keine Abtrennung gegeben. Das kann entweder dem Umstand geschuldet sein, dass der Zeuge weder im Hauptquartier von H. J. noch in dem von dem Angeklagten genutzten Gefängnisteil gewesen ist, oder er kann sich auch schlicht bei seiner Angabe geirrt haben. Kein Zweifel besteht jedoch daran, dass der Zeuge N. S. M. die Örtlichkeiten des Hauptquartiers in Sakhour kannte und die übrigen äußeren Gegebenheiten zutreffend wie geschildert wahrgenommen hat. Von der (Teil-) Unterkellerung der Halle von Abu R. haben nicht nur der Zeuge N. S. M., sondern auch der Zeuge R. A. I. berichtet und zwar auch übereinstimmend dahin, dass es sich um ein Gefängnis gehandelt habe. Indes konnte gerade der Zeuge N. S. M. Angaben dazu machen, dass auch der Angeklagte die Unterkellerung genutzt hat. Die Nutzung dieses Kellergefängnisses durch den Angeklagten, hat der Zeuge N. S. M. dahingehend beschrieben, dass nur der Angeklagte und seine Verwandten, zu denen er auch Abu Alarandas zählte, Zutritt hatten – einfachen Katibamitgliedern des Angeklagten sei der Zugang nicht gestattet gewesen.
113Die Feststellungen zu den namentlich genannten neuen Mitgliedern in der Katiba des Angeklagten und den Ereignissen des Einsatzes in Suleiman al Halabi beruhen auf den Angaben der Zeugen R. A. I. und N. S. M. Zudem hat der Angeklagte hierzu korrespondierende Angaben gemacht, jedoch behauptet, dass Abu Alarandas schwer verletzt und lange Zeit nicht in der Katiba gewesen sei. Er sei eine Woche oder 10 Tage im Krankenhaus gewesen und sei danach lange Zeit zu Hause gewesen. Die auf den Ausschluss des Abu Alarandas als Peiniger des A. S. gerichteten Angaben sind durch die übereinstimmenden und glaubhaften Angaben der Zeugen N. S. M. und R. A. I. widerlegt. Diese Zeugen, die den aufgezeigten Zusammenhang zu A. S. nicht kannten, haben glaubhaft angegeben, Abu Alarandas habe zwar einige Tage einen Verband getragen, jedoch sei er zeitnah nach dem Vorfall wieder im Hauptquartier gewesen. Der Zeuge R. A. I. hat – wie festgestellt – glaubhaft angegeben, er habe Abu Alarandas an seinem ersten Arbeitstag nach der gewährten Freizeit wieder im Quartier gesehen und der habe ihn damit gegrüßt, dass er nur wegen ihm – R. A. I. – die Verletzung habe.
114Die Stellung des Katiba-Anführers zu seinen Mitgliedern und die damit einhergehenden Loyalitäten hat der Angeklagte bezogen auf seine Person selbst sehr eindrücklich geschildert. So könne keine Person „einen Stift von rechts nach links bewegen“ ohne seine – des Angeklagten – Zustimmung. Alles sei „unter seiner Kontrolle und seinen Anweisungen“ gewesen. Niemand habe etwas ohne sein Einverständnis tun können. Entsprechend diesem Selbstverständnis wurden in der Bevölkerung nach der Schilderung der Zeugen A. A., F. H. und A. S. die jeweiligen Katibas häufig nach dem Namen der jeweiligen Anführer bezeichnet. Hiervon hat der Angeklagte im Rahmen seiner Einlassung bei der Benennung anderer Katibas ebenfalls Gebrauch gemacht. Dieses Bild entspricht auch den Erkenntnissen der Sachverständigen Dr. K., die dies für den Senat nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt hat. Trotz aller Bemühungen der FSA sei es dabei geblieben, dass die Loyalität der Kämpfer nur ihren unmittelbaren Katiba-Führern und nicht höheren Kommandoeinheiten – wie etwa dem Militärrat – gegolten habe. Loyalität sei in den lokalen netzwerkartigen Strukturen der Rebellen von unten nach oben generiert worden. Das Bekenntnis zu größeren Einheiten oder zur FSA sei meist von der Hoffnung auf Teilhabe an Ressourcen veranlasst gewesen. Dementsprechend hat der Angeklagte in seiner Einlassung geschildert, er habe von der Ghoraba ash-Sham die Gehälter für die Mitglieder entgegen genommen – und zwar 100 Dollar für jedes Mitglied. Die Kontakte seien im weiteren Verlauf immer geringer geworden und er habe Gefechte, die von Ghoraba ash-Sham ausgegangen seien, gemieden. Im Übrigen habe er Anweisungen von O. H. unterlaufen. Als er etwa verlangt habe, Kämpfer nach Tel Rifaat zum Training zu schicken, habe er ihm zwei oder drei Kinder im Alten von 13 oder 14 Jahren geschickt.
115Die Feststellungen zur Lossagung des Angeklagten von der Ghoraba ash-Sham nach der Freilassung der Zeugen A. A. und F. H. hat der Angeklagte – ebenso seine Mitwirkung an der Gründung der „Front der Stämme Syriens“ – wie festgestellt geschildert und ausgeführt, dass er zum Führer des Liwa Ansar al-Hardi aufgestiegen sei und ein weiteres Liwa mit der Bezeichnung Liwa al-Sahadi unter seiner Kontrolle gehabt habe. Ebenso hat er angegeben, Stützpunkte in Bustan al Pascha unterhalten zu haben, was auch von den Zeugen R. A. I. und N. S. M. bestätigt wurde. Der letztgenannte Zeuge, der noch die Verlegung des Hauptquartiers von Sakhour nach Bustan al Pascha als Mitglied bei dem Angeklagten erlebt hatte und bei diesem zuletzt als Unterführer bzw. als Katibaführer tätig gewesen war, hat angegeben, der Angeklagte habe über etwa 150 bis 200 Milizionäre verfügt, die er auf 10 Gruppen aufgeteilt habe. Ohne selbst Zahlen zu nennen, hat der Angeklagte neben den oben dargestellten Angaben auch mitgeteilt, mehrere Gruppen (Katibas) unter sich gehabt zu haben.
116Die Feststellungen zur Intention des Angeklagten, sich unter Ausnutzung der Bürgerkriegswirren zu bereichern, beruhen zum einen auf den Schlussfolgerungen aus den festgestellten Sachverhalten zum Nachteil der Zeugen A. A., F. H., M. F., H. M. und A. S. sowie zum Nachteil der vier Brüder Da. Darüber hinaus hat der Zeuge A. S. sehr eindringlich geschildert, dass der Angeklagte mehrere Gefangene in dem Kellergefängnis gehabt habe, in dem er selbst – A. S. – untergebracht gewesen sei. Dass der Angeklagte darüber hinaus mit seinen Katibas geplündert hat, ergibt sich ebenfalls aus dem Sachverhalt zum Nachteil der Zeugen A. A. und F. H. Unabhängig davon haben die Zeugen R. A. I, N. S. M., aber auch Z. H., der von etwa Ende Oktober 2012 bis mindestens Sommer 2013 bei dem Angeklagten in Aleppo verblieben war und in der Hauptverhandlung sichtlich bemüht gewesen ist, dem Angeklagten nicht zu schaden, angegeben, der Angeklagte habe geplündert bzw. plündern lassen – das hätten „alle gemacht“. Damit korrespondierend hat der Zeuge F. H. geschildert, der Angeklagte habe immer wieder Sachen beschlagnahmt bzw. beschlagnahmen lassen. So habe der Angeklagte auch Sachen in dem von ihm – dem Zeugen – bewohnte Haus neben dem Quartier des Angeklagten lagern lassen. Das wird bestätigt durch die Angaben der Zeugin N. Q., die mit dem Zeugen F. H. neben dem Hauptquartier des Angeklagten in Sakhour einige Zeit gewohnt hatte. Es habe einen Raum im Erdgeschoss des Hauses gegeben, den sie nicht habe betreten dürfen. Dort seien immer sehr viele Sachen deponiert worden. So sei von den Mitgliedern der Katiba des Angeklagten Tabak in großen Mengen gebracht worden, aber auch Ersatzteile für Autos. Darüber hinaus könne sie sich erinnern, dass dort große Mengen an Speiseöl in Kanistern gelagert worden seien, von denen sie selbst einen oder zwei zum Kochen auf Nachfrage bekommen habe. Der Bestand des Lagers habe immer gewechselt, woraus der Senat schließt, dass die Waren von dem Angeklagten veräußert worden sind.
117Der Angeklagte hat diese Feststellungen mittelbar bestätigt. So hat er selbst angegeben, er habe eine Tabakfabrik unter seine Kontrolle gebracht und den Tabak im Wert von Millionen in die Türkei exportiert. Darüber hinaus hat er im Zusammenhang mit der Verlegung seines Hauptquartiers von Sakhour nach Bustan al Pascha geschildert, die Scharia-Autorität habe in seinem Hauptquartier neben zwei Raketenwerfern und etwa 90 bis 100 Raketen in Sakhour gelagerten Tabak im Wert von Millionen beschlagnahmt. Darüber hinaus sei sein Tresor im Hauptquartier aufgebrochen worden und es hätten 12 Millionen syrische Lira gefehlt. Dass der Angeklagte die in der Katiba gebundenen Vermögenswerte für seine eigenen hielt und für sich beanspruchte, ergibt sich für den Senat zum einen aus seiner Stellung als uneingeschränkter Anführer und dem Umstand, dass er nach eigenen Angaben die Gewehre der Katiba hat veräußern lassen und sich den Erlös – etwa durch den Zeugen M. M. – in die Türkei hat bringen lassen, was von dem Zeugen M. M. bestätigt worden ist. In diesen Zusammenhang fügt sich auch der Umstand ein, dass der Angeklagte nach der Schilderung des Zeugen N. S. M. allein über die Verteilung von Waffen entschieden habe.
118E. Zu den Tatvorwürfen
119I. Ausgangspunkt der Beweiswürdigung
120Ausgangspunkt für die hiesige Beweiswürdigung war, dass der Angeklagte bereits wesentliche und nicht mehr zu leugnende Umstände dem äußeren Geschehen nach eingeräumt hat. So hat er sich – wie bereits dargestellt – zu seiner nach seinem Verständnis absoluten Befehlsgewalt über die Mitglieder der von ihm nach Abspaltung gegründeten Katiba ebenso bekannt wie zu den Örtlichkeiten seines Hauptquartiers. Das gleiche gilt in Hinblick auf den Aufenthalt der Zeugen A. A., F. H., M. F. und H. M. sowie der vier Da.-Brüder in seinem Quartier in Sakhour, den er jedoch jeweils in einem anderen zeitlichen und kausalen Zusammenhang darstellt. Dies gilt auch für die von den Zeugen A. A., F. H., M. F. und H. M. geforderten bzw. geleisteten Zahlungen, die der Angeklagte als solche bestätigt.
121II. Zu den Taten zum Nachteil von A. A. und F. H
1221. Einlassung des Angeklagten
123Hinsichtlich der Übergriffe zum Nachteil der Zeugen A. A. und F. H. hat sich der Angeklagte dahingehend eingelassen, dass diese auf Veranlassung von Abu Diebo al-Khal festgenommen worden seien. Zu der Festnahme von F. H. und weiteren Personen sei er von Abu Diebo al-Khal in das Quartier von Hassan Abu A. beordert worden. Dort hätten etwa 20 bis 22 Männer mit den Armen über den Knien an der Wand gesessen. Man habe ihm gesagt, dass die Männer Diebe seien. Man habe diesen dann die Waffen abgenommen und er habe von Abu Diebo al-Khal den Befehl bekommen, die Festgenommenen mit in sein Quartier zu nehmen. Er habe den Männern daher befohlen, auf das Auto zu steigen. Dabei sei keiner der Männer gefesselt gewesen, keiner habe die Augen verbunden gehabt, auch habe er keine Person mit einem Gewehr oder auf andere Weise geschlagen. Er habe gar kein Gewehr gehabt, sondern eine Pistole. Er habe die Gefangenen lediglich in sein Büro gebracht. Man habe ihn dann informiert, dass auch Hassan Abu A. festgenommen worden sei. Er habe sich in der Folge nicht eingemischt, die Vernehmungen der Festgenommenen habe Abu Diebo al-Khal durchgeführt. F. H. sei beschuldigt worden, eine Frau und zwei Mädchen vergewaltigt zu haben. Er sei erst am nächsten Morgen in den Vernehmungsraum gegangen. Bei dieser Gelegenheit habe dann F. H. das erste Mal mit ihm gesprochen. F. H. habe seinen verstorbenen Bruder O. gekannt, da dieser regelmäßig in dessen Diskothek gewesen sei, und habe ihm von diesem erzählt. So habe er F. H. „lieb gewonnen“.
124Wann A. A. festgenommen worden sei, wisse er nicht mehr genau. Hassan Abu A. sei von Abu Layth festgenommen worden. Alle drei seien dann über einen Monat bei ihm gewesen. F. H. sei aber nicht Gefangener, sondern immer frei gewesen. Abu A. habe sich frei bewegen dürfen, er sei nur dann eingesperrt gewesen, wenn Abu Diebo al-Khal vor Ort gewesen sei. A. A. dagegen sei immer gefangen gewesen.
125A. A. sei tatsächlich von Abu Diebo al-Khal geschlagen worden, jedoch nur „normal“ und „nicht so, wie dieser hier gelogen“ habe. Phantomfolter habe es nicht gegeben. Abu Diebo al-Khal habe A. A. mit Fäusten und mit dem Kabel geschlagen. Auf die Frage, warum er A. A. so viel schlage, habe Abu Diebo al-Khal gesagt, dass A. A. ein schlechter Mensch sei, der viel Geld und Gold gestohlen habe. Irgendwann sei A. A. krank geworden, er habe die Grippe bekommen. Abu Saddam, nicht R. A. I., habe ihn daraufhin zum Arzt gebracht. Er habe A. A. zudem nach Hause geschickt, ohne dass Abu Diebo al-Khal dies gewusst habe. A. A. habe sich dort gewaschen und sei dann wieder zurückgekommen. Folterungen durch Abu Diebo al-Khal, wie von A. A. geschildert, hätte er niemals in seinem Quartier toleriert, da diese letztlich dann ihm zugeschrieben worden wären.
126Lösegeldforderungen habe es nicht gegeben. Zwar sei tatsächlich Geld von den Gefangenen verlangt worden, dabei habe es sich jedoch nicht um Lösegeld, sondern um Entschädigungen für die Diebstahlsopfer gehandelt. Abu Diebo al-Khal habe einen Teil der geplünderten Sachen an die Eigentümer zurückgeben können. Zum Teil seien die gestohlenen Gegenstände aber nicht mehr aufgefunden worden. Das von den Gefangenen von Abu Diebo al-Khal verlangte Geld oder Gold sei Wertersatz für das nicht mehr beizubringende Diebesgut gewesen. Sachen, für die sich kein Eigentümer gefunden hätte, habe er für sich behalten.
127M. F. sei ebenfalls bei ihm inhaftiert gewesen. Auch von diesem habe Abu Diebo al-Khal 30.000 syrische Lira genommen. Zudem habe Abu Diebo al-Khal dem M. F. ein Motorrad abgenommen und dieses mit weiteren 15.000 syrischen Lira angesetzt. Insgesamt habe er von diesem also 45.000 syrische Lira bekommen. Auch der von M. F. geforderte Betrag sei eine Entschädigung für die Opfer gewesen, weil das Diebesgut selbst nicht mehr auffindbar gewesen sei. Nach etwa zwei Tagen in Haft sei M. F. bereits entlassen worden. Auch das H. M. abgenommene Geld sei an die Leute zurückgegeben worden, denen es gestohlen worden sei.
128Zu dem Vorfall bei der Jabhat al-Nusra hat sich der Angeklagte wie folgt eingelassen: Abu Diebo al-Khal habe entschieden, dass den Gefangenen Angst eingejagt werde müsse. Zum damaligen Zeitpunkt habe es noch keine Scharia-Autorität, sondern nur einen Revolutionssicherheitsrat gegeben. Abu Diebo al-Khal habe den Gefangenen gesagt, die Jabhat al-Nusra habe nach ihnen verlangt, sie müssten dort am nächsten Tag abgegeben werden. Tatsächlich hätten sie den Gefangenen aber nur die Augen verbunden und diese in eine Schule gebracht. Sie hätten behauptet, dass dort die Jabhat al-Nusra ihren Sitz habe. Tatsächlich habe die Schule aber zur Ghoraba ash-Sham gehört. Ein angeblicher Emir habe dann eine Vernehmung inszeniert. Auch einen Schusswechsel hätten sie selbst im Hof vorgetäuscht und den Gefangenen suggeriert, dass man sie deshalb zurückbringe. Abu Diebo al-Khal und er hätten die Gefangenen dann wieder ins Quartier gebracht. F. H. habe er zuvor von der Inszenierung informiert, Abu A. und A. A. dagegen nicht. Ihr Ziel sei lediglich gewesen, die Gefangenen unter Druck zu setzen, damit sie die Wahrheit sagen. Abu Diebo al-Khal habe dann auch gedroht, sie wieder hinzubringen, wenn sie nicht die Wahrheit sagen würden.
129Es habe dann aber Unstimmigkeiten zwischen ihm und Abu Diebo al-Khal gegeben. Er, Abu Dieb, habe diesem gesagt, dass er die Gefangenen freilassen müsse, ihnen würden nur kleine Diebstahlstaten zur Last gelegt. Abu Diebo al-Khal sei jedoch überzeugt gewesen, A. A. habe mehr als 50 Millionen Lira gestohlen und F. H. habe Frauen an Checkpoints vergewaltigt. Auch Abu A. habe schlimme Dinge gemacht. Für die Vorwürfe habe es aber keine Beweise gegeben. O. H. habe die Anweisung erteilt, dass die drei ins Gefängnis nach Tall Abiad gebracht werden sollten. Die Gefangenen hätten ihn, Abu Dieb, dann angefleht und geweint. A. A. sei ihm zwar egal gewesen, F. H. und Abu A. jedoch nicht. Er habe sich daher geweigert, die drei herauszugeben, obwohl O. H. mehrfach nach ihnen verlangt habe. Schließlich habe er die drei gegen den Willen des Anführers freigelassen.
1302. Beweiswürdigung
131Soweit der Angeklagte die Hintergründe für die Inhaftierungen der Zeugen A. A., F. H. und M. F. bzw. des Zeugen H. M. in einem anderen Bedeutungszusammenhang schildert, Misshandlungen der Zeugen A. A., F. H. und M. F. weitgehend in Abrede stellt und die Veranlassung der Maßnahmen allein Abu Diebo al-Khal bzw. O. H. zuweist, ist diese Einlassung durch die Aussagen der Zeugen A. A., F. H., R. A. I., N. S. M., N. Q., H. I. und M. F. sowie G. H. und Z. H. im Sinne der getroffenen Feststellungen widerlegt.
132a) Feststellungen zur objektiven Tatseite
133aa) Grundlagen der Feststellungen
134- zur Rolle der Zeugen A. A. und F. H. im September 2012 und ihre Gefangennahme
135A. A. und F. H. haben Ihre Rolle beim Schutz der Nachbarschaft in Bustan al Pascha wie festgestellt geschildert und jeweils ausgeführt, sie seien nicht in der Katiba von Abu A. eingeschrieben gewesen. Sie hätten bei ihrer Arbeit an den Checkpoints gelegentlich Waffen bei sich geführt und auch die Uniform der Freien Syrischen Armee oder Teile davon getragen, um dem Auftreten etwa an Checkpoints einen offiziellen Charakter zu geben. Dies ist von der Zeugin N. Q. in Bezug auf ihren Ehemann A. A. und von der Zeugin N. I. in Bezug auf ihren Ehemann F. H. im Rahmen ihrer Vernehmung bestätigt worden. Letztere hat auch angegeben, dass der Zeuge F. H. am Tag seines Verschwindens die Uniform der FSA angehabt habe. A. A. und F. H. haben ferner angegeben, dass Abu A. ihnen keine Befehle gegeben habe, sie hätten Unterstützung an den Checkpoints geleistet, der immer mindestens von einem Mitglied der Katiba Abu A. besetzt gewesen sei. Aufgrund ihrer Ortskenntnis seien keine Anweisungen erforderlich gewesen und ihre Ortskenntnis sei wichtig gewesen. Auch der Zeuge M. F. hat diese Angaben zur Struktur der Zusammenarbeit mittelbar bestätigt, indem er für seine Person ebenfalls angegeben hat, dass er – ebenso wie andere auch – auf die Häuser seiner Familie sowie die der Nachbarschaft aufgepasst habe. Die Rolle der Zeugen A. A. und F. H. wird mittelbar durch die Angaben des G. H., des Sohns von F. H., bestätigt. Er hat angegeben, Abu A. habe die Bewohner des Viertels aufgefordert, zu bleiben und die Nachbarschaft zu schützen. Hierfür hätten die Bewohner – auch sein Vater – mit Abu A. gearbeitet und zwar jeder für seine Nachbarschaft.
136Den vereitelten Plünderungsversuch sowie ihre nachfolgende Festnahme haben die Zeugen A. A. und F. H. jeder für sich wie festgestellt geschildert. Der Zeuge F. H. hat ferner ausgeführt, dass er auf die Ansprache durch Sheikh M. darauf hingewiesen habe, dass man sich nur einigen könne, wenn das Plündern aufhöre. Der Zeuge G. H. hat das Treffen mit seinem Vater vor dem Hauptquartier des Abu A. – mit diesem übereinstimmend – wie festgestellt bekundet. Auf seinen Angaben beruhen auch die Feststellungen zu den Fahrzeugen, mit denen der Angeklagte nebst mehreren Personen am Hauptquartier des Abu A. ankam. Der Zeuge hat ebenso wie sein Vater geschildert, dass die Gefangenen – darunter auch sein Vater F. H. – an den Händen gefesselt und mit Augenbinden versehen auf die Ladefläche des Pick-Up gebracht worden seien. Er habe aus einiger Entfernung auch wahrgenommen, dass dabei „geschrien und geschlagen“ worden sei. Dabei habe er auch den Angeklagten gesehen, der Befehle gegeben habe, wobei er erst später dessen Identität erfahren bzw. ihn kennengelernt habe. Auch der Zeuge F. H. hat geschildert, dass er den Angeklagten später in dessen Hauptquartier wiedererkannt habe – an seiner Stimme. Soweit der Angeklagte angegeben hat, er habe nur eine Pistole gehabt, jedoch kein Gewehr, hat er diese Aussage bei anderer Gelegenheit selbst widerlegt, als er bei der Inaugenscheinnahme eines Videofilmes in Bezug auf eine dort zu sehende Person angegeben hat, diese trage sein Gewehr. Bezogen auf die konkrete Situation ist der Senat von der Richtigkeit der Schilderungen des Zeugen F. H. überzeugt, da sie von G. H. – hinsichtlich der Fesselung der Hände und der Augenbinden konkret bestätigt werden und G. H. geschildert hat, die Gefangenen seien geschlagen worden. Zudem fügt sich die geschilderte Behandlung in den folgenden Kontext umfangreicher Misshandlungen der gefangenen Tatopfer ein. Den Abtransport von Gefangenen hat auch der Zeuge Z. H. im Wesentlichen bestätigt, wobei er wahrscheinlich Einzelheiten wie die gesamte Zahl der Gefangenen und die Namen der Festgenommenen erst im Nachhinein erfahren hat. So hat der Zeuge Z. H. angegeben, insgesamt seien am Quartier 13 Personen festgenommen worden, darunter auch A. A. Hingegen ist nach den detaillierten Angaben der Zeugen A. A. und F. H. zu den Gefangenen und den Zeitpunkten ihrer jeweiligen Gefangennahme im Einklang mit den Angaben des Zeugen M. F. davon auszugehen, dass A. A. später als F. H. und M. F. in das Gefängnis des Angeklagten verbracht wurde.
137Die Feststellungen zur zeitlichen Einordnung von Festnahme (16. September 2012), Gefangenschaft und Freilassung (25. Oktober 2012) der Zeugen A. A. und F. H. hat der Senat aus Angaben der Zeugen zu zeitlich anderweitigen Ereignissen rekonstruiert, die diese und andere Zeugen sicher datieren konnten. Denn die Zeugen A. A. und F. H. hatten – verständlicherweise – erhebliche Schwierigkeiten, ihre jeweiligen Erlebnisse exakt zu datieren. Sie haben jedoch beide angegeben, die Gefangenschaft habe 38 (F. H.) bzw. 35 bis 40 Tage (A. A.) gedauert. Der Zeuge F. H. hat angegeben, sein Bruder Za. H., der erste Ehemann der Zeugin R. B. sowie der Vater der Zeugen G. H. und Z. H., sei am 15. September 2012 im Rahmen der Konflikte getötet worden. Der Zeuge G. H., der Sohn des F. H., konnte sich gut daran erinnern, dass sein Vater einen Tag nach dem Tode seines Onkels Za. H. entführt worden war. Aus den Angaben der Zeugen A. A. und F. H, sie seien am gleichen Tage aus dem Gefängnis des Angeklagte entlassen worden, in Verbindung mit der Aussage Zeugin N. Q., ihr Ehemann, der Zeuge F. H., sei am ersten oder zweiten Tag des Opferfestes für sie überraschend nach Hause gekommen, lässt sich das Entlassungsdatum rekonstruieren. Dabei geht der Senat vorsorglich davon aus, dass die Freilassung am 25. Oktober 2012 erfolgte, an dessen Abend das Opferfest frühestens begonnen hat. Die Daten der islamischen Feste hat der Senat an Hand einer diesbezüglichen Internetseite, deren Inhalt in der Hauptverhandlung verlesen wurde, eingeführt. Dabei ist sich der Senat bewusst, dass es in Bezug auf die Daten islamischer Feste unterschiedliche Handhabungen geben kann. Indes hat die Sachverständige Dr. K. in ihrem Gutachten ausgeführt, dass es zum Opferfest ab dem 26. Oktober 2012 eine Waffenruhe in Syrien gegeben habe, was für die festgestellte zeitliche Einordnung spricht.
138- zu den Misshandlungen im Hauptquartier/Gefängnis des Angeklagten
139Die Misshandlungen der Zeugen A. A. und F. H. und die eingetretenen Verletzungsfolgen haben diese selbst – wie festgestellt geschildert. Dabei konnten die Zeugen lediglich den Beginn und die ungefähre Häufigkeit sowie die generellen Methoden der Misshandlungen schildern. Das Ende der Misshandlungen – frühestens 10 Tage vor der Entlassung – hat der Senat entsprechend den Angaben des Zeugen F. H. unter Berücksichtigung des frühesten Entlassungszeitpunks festgestellt. Der Zeuge F. H. hat insoweit angegeben, dass er und A. A. etwa eine Woche bis 10 Tage vor ihrer Entlassung nicht mehr misshandelt worden seien. Der Zeuge F. H. konnte sich insoweit nur noch daran erinnern, dass er bis zu diesem Zeitpunkt mindestens einmal täglich mindestens eine halbe Stunde misshandelt worden sei, obgleich auch er angegeben hat, dass dies an einzelnen Tagen häufiger der Fall gewesen sei. Der Zeuge A. A. hat insoweit ausgesagt, er sei mindestens zweimal pro Tag misshandelt worden, an einzelnen Tagen auch häufiger – in einem Fall bis zu viermal. Das korrespondiert insoweit mit den Angaben der Zeugen H. M. und F. H., wonach A. A. häufiger, massiver und auch länger anhaltend misshandelt worden sei als etwa F. H. Ebenfalls korrespondiert das mit den Aussagen des Zeugen M. F., der geschildert hat, er sei jeden Tag seiner Gefangenschaft mindestens eine halbe Stunde misshandelt worden, wobei der Zeuge auch – entsprechend den Schilderungen von A. A. – berichtet hat, man habe ihn mit Stöcken geschlagen und mit Stromkabeln ausgepeitscht, dann habe man ihn 2 bis 3 Stunden in Ruhe gelassen und sodann wieder mit Stöcken und Stromkabeln geschlagen. Ebensolche Misshandlungen der Zeugen A. A. und F. H. hat auch der Zeuge R. A. I. geschildert, ein ehemaliges Mitglied in der Katiba des Angeklagten, soweit er im Hauptquartier anwesend war. So hat er ausgesagt, dass er nach der Teilnahme an einem Gefecht frei gehabt habe und am Abend Mitglieder der Katiba des Angeklagten zu ihm gekommen seien und um seine Begleitung baten, da man Diebe verhaften wollte, was für eine gewisse Vorlaufzeit und Vorausplanung der Aktion spricht. Am nächsten Tag habe er gegen Nachmittag mehrere Gefangene im Hauptquartier des Angeklagten gesehen, darunter Abu A., A. A. und F. H. Der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal hätten immer wieder von A. A. und F. H. gestohlenes Gold und Geld gefordert, während A. A. und F. H. von beiden und von anderen Mitgliedern der Katiba geschlagen worden seien.
140Darüber hinaus hat der Zeuge R. A. I. sehr eindrucksvoll geschildert, in welchem körperlichen Zustand sich der Zeuge A. A. befunden hat:
141Nachdem der Angeklagte das Hauptquartier verlassen habe, sei er – in Absprache mit Abu Saddam – zu einem Arzt in der Nähe gegangen und habe Salben und Schmerzmittel, aber auch etwas zu essen geholt, weil die Gefangenen kaum etwas zu essen bekommen hätten. Er habe die Arznei A. A. und F. H. gegeben und das Essen unter den Gefangenen verteilt. Er sei als an der Front angesetzter Kämpfer nicht immer im Hauptquartier gewesen und habe das Schlagen nicht immer gesehen – er habe es insgesamt wohl drei Mal gesehen. Die Zeugen A. A. und F. H. seien aber auch im Büro geschlagen worden, dann habe man die Schreie gehört. A. A. sei es so schlecht gegangen, dass er diesen – wie auch A. A. geschildert hat – einmal zu einem Arzt in ein nahegelegenes (kleines) Klinikum gebracht habe, um dort für diesen medizinische Hilfe zu bekommen, als der Angeklagte sich nicht im Hauptquartier befunden habe und die meisten Mitglieder in der Moschee gewesen seien. Der Arzt habe ihm wegen des kritischen Zustandes des A. A. Vorwürfe gemacht, warum A. A. erst jetzt gebracht werde. Dann sei aber der Angeklagte überraschend in dem Klinikum erschienen und habe ihm befohlen, mit A. A. wieder zurück zu gehen. Im Lager habe ihn der Angeklagte zur Rede gestellt und ihm gedroht, er werde im Wiederholungsfall an A. A.s Stelle sein.
142A. A. und F. H. haben darüber hinaus – übereinstimmend – angegeben, sie seien auch mit einem Elektroschocker an den Beinen misshandelt worden. Auf Nachfrage haben sie jeweils angeben, dass insoweit ihr eigenhändiger Peiniger Abu Diebo al-Khal gewesen sei.
143Die schweren Misshandlungen werden mittelbar bestätigt durch die Aussagen der Zeuginnen N. Q. und H. I. Die Zeugin N. Q. hat eindrucksvoll geschildert, sie habe etwa 13 Tage nach dem Verschwinden ihres Mannes F. H. in der Nacht einen Anruf bekommen. Sie habe weder die Nummer noch die Stimme erkannt. Dann habe ihr der Anrufer jedoch erklärt, dass er ihr Mann F. H. sei und er habe sie überzeugen können. Ihr Mann habe sie gebeten, am kommenden Tag nach Sakhour zu kommen, um nach der Katiba Ghoraba ash-Sham zu suchen und nach Abu Dieb zu fragen. Das habe sie gemacht und habe mehrere Stunden nach ihrem Mann gesucht. Man habe ihr vor Ort in Sakhour gesagt, dass es diese Person hier nicht gebe und sie sei dann wieder zurückgekehrt und habe nach zwei oder drei Tagen wiederum einen Anruf von F. H. bekommen, der sie nochmals gebeten habe, zu kommen. Darauf habe er auch bestanden, als sie ihm gesagt habe, sie habe ihn bereits vergeblich gesucht. Sie habe sich dann auf den Weg gemacht – in Begleitung ihrer Tochter und ihrer Mutter. Nachdem sie wiederum am Hauptquartier des Angeklagten – wie sich später für die Zeugin herausgestellt hatte – abgewiesen worden sei und die Wachen den Angeklagten verleugnet hätten, habe sie angefangen zu schreien und nach ihrem Mann F. H. gefragt, der hier hin verlegt worden sei. Daraufhin habe man sie hereingebeten und in ein Haus bzw. ein Büro geführt. Sie könne sich noch erinnern, dass sie den Angeklagten, den sie später als Abu Dieb kennengelernt habe, auf einem Motorrad habe davonfahren sehen. Ihr Mann sei dann etwas später mit einem Gewehr in das Büro gekommen, jedoch sei er unmittelbar danach von einer Person angeschrien worden, er solle nicht mit einem Gewehr dort hineingehen. So habe ihr Mann das Gewehr abgegeben. Der Zeuge F. H. hat diese Szene aus seiner Perspektive bestätigt und dazu angegeben, Abu Alarandas habe ihm gesagt, er solle das Gewehr in die Hand nehmen und in das Büro gehen. Das Gewehr sei nicht geladen gewesen. Er sei überrascht gewesen, dass seine Frau dort gewesen sei. Noch mehr überrascht sei er gewesen, als Abu Diebo al-Khal ihn deswegen angeschrien habe. Die Zeugin N. Q. hat weiter bekundet, man habe ihnen Kaffee angeboten und sie in ein anderes Zimmer geführt, wo sie allein – mit Mutter und Kindern – hätten sprechen können. Ihr Mann habe ihr erklärt, dass alles inszeniert sei und er Gefangener sei. Sie habe ihm etwas zum Anziehen mitgebracht und F.H. habe sich dann umgezogen. Dabei habe sie gesehen, dass er gefoltert worden sei. Es habe Hämatome und Verletzungen gegeben, alles sei voller Flecken gewesen. Seine alte Kleidung habe nach Blut gerochen. Als er sich umgekleidet habe, habe sie längliche Striemen gesehen, als ob er mit einem Kabel geschlagen worden sei. Diesen Zustand ihres Mannes habe sie auch nach seiner Befreiung gesehen, als er sich geduscht habe. Für den Senat sehr eindrucksvoll waren auch die Schilderungen des Zeugen G. H. über sein erstes Wiedersehen mit seinem Vater kurz nach dessen Freilassung im Hauptquartier des Angeklagten. Sein Vater sei „sehr sehr dünn“ und „sehr sehr abgemagert“ gewesen. Sein ganzer Körper habe aber irgendwie angeschwollen ausgesehen. Als er seinen Vater begrüßt habe, habe er ihn umarmt, er habe aufpassen müssen, wegen der Verletzungen. Sein Vater sei sehr schlapp gewesen, er habe sich immer wieder hinlegen wollen, um sich auszuruhen.
144Soweit der Zeuge Z. H. angegeben hat, er habe keine Verletzungsfolgen bei dem Zeugen F. H. gesehen, hält der Senat diese Angabe angesichts der anderen eindringlichen Schilderungen für unwahr. Er will auch nach intensiver Befragung durch den Senat nichts – von niemandem – davon gehört haben, dass sein Onkel im Gefängnis des Angeklagten gefoltert worden ist, obgleich er ab Ende Oktober 2012 Mitglied in der Katiba des Angeklagten war und die persönliche Nähe des Angeklagten gesucht und gefunden hatte und ihn häufig – wie er selbst berichtet hat – begleitete, aber nicht an Kampfhandlungen teilnehmen durfte, weil der Angeklagte der Auffassung gewesen sei, er - der damals 15 Jahre alte Zeuge – sei zu jung. Andererseits hat der Zeuge G. H. darüber berichtet, sein Cousin Z. H. habe ihm anlässlich des Besuchs bei seinem Vater im Hauptquartier des Angeklagten das Gefängnis gezeigt und ihm gesagt, dass sein Vater F. H. hier gefoltert worden sei. Darüber hinaus habe Z. H. berichtet, ein Video gesehen zu haben, auf dem zu sehen gewesen sei, dass F. H. gefoltert werde.
145Die Zeugin H. I. hat in Bezug auf ihren Ehemann A. A. angegeben, dass sie ihren Mann bei drei Besuchen im Hauptquartier des Angeklagten gesehen habe. Sein Körper sei blau gewesen – auch unter den Augen. Sie habe keine saubere Stelle am Körper ausmachen können. Sein Gesicht sei gelb gewesen. Sie habe viele Hämatome gesehen.
146Die Feststellungen zu den noch sichtbaren Spuren bei den Zeugen F. H. und A. A. beruhen auf der Inaugenscheinnahme der aus Anlass der jeweiligen polizeilichen Zeugenvernehmungen gemachten Lichtbilder sowie den diesbezüglichen Angaben der jeweils geschädigten Zeugen. Darüber hinaus haben die Zeugen A. A. und H. I. die überdauernden Folgen in Bezug auf Kopfschmerzen und Schlafstörungen für den Zeugen A. A. – wie festgestellt – glaubhaft geschildert.
147Die Feststellungen zu den Misshandlungen auf dem sog. fliegenden Teppich beruhen auf den Angaben der Zeugen A. A. und F. H. Diese Angaben sind – in Hinblick auf A. A. – durch den Zeugen R. A. I. bestätigt worden, der ausgesagt hat, dass er aufgrund der Verletzungsspuren gesehen habe, dass A. A. auf die Füße geschlagen worden sei. Auch der Zeuge N. S. M. hat aus eigener Wahrnehmung bestätigt, dass A. A. und F. H. auf dem sog. fliegenden Teppich geschlagen worden seien, den der Zeuge selbst aus einem Polizeirevier in Hanano in das Hauptquartier des Angeklagten gebracht habe.
148Letztlich spricht für die Richtigkeit der Annahme des Senats, dass der Zeuge A. A. weit über die Grenze des noch Ertragbaren hinaus gefoltert worden ist, dass dieser – wie er ausgesagt hat – seinen Peinigern unter dem Eindruck fortgesetzter Folterung wahrheitswidrig gesagt hat, in seiner – des Zeugen – Familienwohnung befände sich Geld, und damit auf der Hand liegende erhebliche Gefahren für seine Frau und seine Kinder in Kauf genommen hat, allein um ein wenn auch nur vorübergehendes Ende seiner körperlichen Qualen zu gewinnen. Es war ihm nach seinen auf Vorhalt gemachten Angaben bewusst, dass es als Konsequenz dieser Angabe zu einem Aufsuchen, möglicherweise einer Durchsuchung seiner Wohnung kommen musste, in der sich seine Ehefrau und insbesondere seine Kinder befanden. Ebenso musste er damit rechnen und war sich dessen nach seinen Angaben auch bewusst, dass der Angeklagte und/oder Abu Diebo al-Khal ungehalten sein würden, wenn sich die Unwahrheit der Angaben des Zeugen herausstellen würde und dies die naheliegende Gefahr mit sich brachte, dass diese ihre Wut auch an der Ehefrau und den Kindern des A. A. auslassen würden. Das darin zum Ausdruck kommende Maß an Verzweiflung ist für den Senat ein ganz deutlicher Beleg dafür, dass der Zeuge A. A. unfassbar viel mehr als nur „einfache Schläge“ erlitten hat, wie es der Angeklagte dem Senat glauben machen will.
149Die Scheinhinrichtung des Zeugen A. A. haben die Zeugen A. A., F. H., M. F. und R. A. I. übereinstimmend wie festgestellt geschildert.
150- zu Geldforderungen
151Die Zeugen A. A. und F. H. haben jeweils bestätigt, dass der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal von ihnen jeweils unterschiedliche Summen von 50 Millionen, 20 Millionen, 13 Millionen oder 10 Millionen syr. Lira verlangt hätten. Sie hätten auch die Herausgabe von 4 oder 5 kg Gold verlangt. Auch dies ist von dem Zeugen H. M. bestätigt worden – er konnte sich an die Forderung Abu Diebs von 25 Millionen an A. A. erinnern. Dass es solche Forderungen – an A. A. – gegeben hat, wird ferner bestätigt durch die Aussage der Zeugin H. I., die ihren Ehemann A. A. drei Mal im Gefängnis des Angeklagten besucht hatte. Beim ersten Besuch – im Beisein ihrer Kinder sowie ihrer Schwiegermutter – habe sie – die Zeugin – den Angeklagten und Abu Diebo al-Khal, den sie bereits von dessen Auftreten aus Anlass der Plünderung der Wohnung sowie der Vorführung ihres Ehemannes kennengelernt hatte, im Büro des Hauptquartiers gesehen. Abu Diebo al-Khal habe die Zahlung von Geld und Gold zur Bedingung gemacht, dass die Zeugin und ihre Kinder A. A. überhaupt hätten sehen dürfen. Letztlich sei A. A. gefesselt hereingeführt worden und man habe ihm seine Fesseln gelöst, so dass er seine Kinder habe umarmen können. Dann sei ihr Mann von dem Angeklagten und Abu Diebo al-Khal verbal erniedrigt worden und es sei wieder um die Zahlung von Geld und Gold gegangen. Entweder der Angeklagte oder Abu Diebo al-Khal hätten gesagt, dass A. A. erst freikomme, wenn die Zeugin das Geld und das Gold gebracht habe. Abu Diebo al-Khal habe gedroht, ihren Mann mit der Pistole zu schlagen, er habe ihn dann aber mit der Hand geschlagen. Während eines zweiten Besuchs habe sie mit ihrem Mann allein d. h. ohne Abu Dieb oder Abu Diebo al-Khal sprechen können. Bei einem dritten Besuch sei dies auch kurz der Fall gewesen und sie habe ihren Mann selbst nach Gold und Geld gefragt. Der sei laut geworden und habe verneint, dass er das habe. Dann sei der Angeklagte gekommen und habe wiederum Geld und Gold für die Freilassung gefordert. An sie – die Zeugin – gewandt habe er gesagt, dass sie – die Zeugin – A. A. von der Zahlung überzeugen solle, denn nur so komme A. A. frei. Sie habe nochmals beteuert, dass sie weder Geld noch Gold hätten, worauf der Angeklagte sie beide als Lügner bezeichnet habe.
152Die übrigen ihnen gemachten Vorwürfe zur Unzucht, zur Rechtgläubigkeit sowie zum Verkaufen von Wein haben die Zeugen A. A. und F. H. – wie festgestellt – in ihren Aussagen geschildert.
153- zur Plünderung der Wohnung des Zeugen F. H.
154Der Zeuge F. H. hat die Plünderung seiner Wohnung – wie festgestellt – geschildert. Er hat ausgeführt, dass er zuvor aufgrund der Folterungen am Ende gewesen sei. Er habe dann die Vorwürfe der Peiniger eingeräumt, dass er – der Zeuge F. H. – alle Sachen in seiner Wohnung gestohlen und mit Frauen geschlafen habe.
155- zur Plünderung der Wohnung des Zeugen A. A./Vorführung vor der Familie
156Die Plünderung der Wohnung der Zeugen A. A. und H. I. ist von der Zeugin H. I. – wie festgestellt – geschildert worden. Sie hat angegeben, dass Abu Diebo al-Khal mit mehreren bewaffneten Personen die Hausratgegenstände, Möbel und Kleidung – auch der Kinder – mitgenommen habe. Den Umstand der Plünderung hat auch der Zeuge G. H. bestätigt, der gesehen hat, dass aus der neben dem Hauptquartier des Abu A. gelegenen Wohnung des A. A. Gegenstände herausgeholt und auf Fahrzeuge geladen worden seien – darunter auch Kleidung. H. I. hat Abu Diebo al-Khal auf einem ihr vorgehaltenen Lichtbild unter mehreren Personen als diejenige Person erkannt, die auch der Angeklagte als Abu Diebo al-Khal bezeichnet hat.
157Der Zeuge A. A. hat den Hintergrund für seine Vorführung bei seiner Familie sehr eindringlich und nachvollziehbar und den Umstand seiner Vorführung wie festgestellt geschildert und dabei herausgestellt, wie beschämend es für ihn gewesen sei, dass ihn seine Familie und insbesondere seine Kinder so gesehen hätten. Die Zeugin H. I. hat den Vorgang und den Zustand ihres Ehemannes gleichlautend geschildert, dabei aber angegeben, den Angeklagten nicht wahrgenommen zu haben. Die Kinder hätten beim Anblick ihres Vater angefangen zu weinen – sie selbst auch. Die Kinder hätten Abu Diebo al-Khal wegen ihres Vaters angefleht. Sie selbst sei verzweifelt gewesen und habe versucht, Abu Diebo al-Khal klarzumachen, dass es nicht sein könne, dass sie das Geld habe, es aber nicht gebe, um ihren Mann zu retten.
158- zum Verbringen der Gefangenen zur Jabhat al-Nusra
159Das Verbringen der Gefangenen, der Zeugen A. A., F. H. und M. F. sowie Abu A. zur Jabhat al-Nusra – jedenfalls nach ihrer Wahrnehmung – haben die drei Zeugen – wie festgestellt – geschildert. Obgleich den Gefangenen die Augen verbunden waren, haben jedenfalls A. A. und F. H. den Angeklagten, der seine Anwesenheit bei dieser Maßnahme eingeräumt hat, gehört und ihn an der Stimme erkannt.
160Soweit der Angeklagte, der den äußeren Vorgang des Verbringens sowie den Beginn einer Befragung der Gefangenen eingeräumt hat, sich damit verteidigt hat, F. H. habe von der Inszenierung gewusst, hat dieser glaubhaft angegeben, dass er davon nichts gewusst habe – er und die anderen Gefangenen seien bei dieser Gelegenheit auch misshandelt worden. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Gefangenen tatsächlich fürchteten, wegen der ihnen gemachten Vorwürfe hingerichtet zu werden.
161In diesem Zusammenhang hat der Zeuge F. H. auf Vorhalt auch die Einlassung des Angeklagten als falsch zurückgewiesen, dieser habe ihn schon zu dieser Zeit lieb gewonnen gehabt, weil sie beide an Hand eines Fotos des O., dem bereits früh getöteten jüngsten Bruder des Angeklagten, festgestellt hätten, er – der Zeuge – habe diesen Bruder gekannt. Der Zeuge F. H. hat diesbezüglich erklärt, es sei richtig, dass es dieses Foto gegeben habe und der Angeklagte und er festgestellt hätten, dass er – F. H. – den erschossenen Bruder des Angeklagten gekannt habe, jedoch sei das erst nach seiner – des Zeugen – Freilassung gewesen.
162bb) Beweiswürdigung im engeren Sinne
163Der Senat hält die Aussagen der Zeugen A. A. und F. H. zum Komplex ihrer Gefangenahme und ihres Aufenthalts im Gefängnis des Angeklagten für uneingeschränkt glaubhaft, auch wenn beide Zeugen in Bezug auf Sachverhalte außerhalb dieses Tatkomplexes mit hoher Wahrscheinlichkeit bzw. sicher nicht die Wahrheit gesagt haben.
164aaa) Die Zeugen haben mit hoher Wahrscheinlichkeit die Fragen in Bezug auf eigenhändige kleinere Diebstahlstaten oder Plünderungen vor bzw. nach ihrer Gefangenschaft bei dem Angeklagten wahrheitswidrig verneint, obwohl es im Grundsatz nach der Schilderung fast aller Zeugen bereits zu einem frühen Zeitpunkt an der Tagesordnung war, dass es zu Plünderungen gekommen ist. So haben etwa die Zeugen R. B. und Z. H. ohne Einzelheiten zu nennen, angegeben, dass jeder geplündert habe – auch der Angeklagte, aber auch der Zeuge F. H. Dass die Zeugen in Hinblick auf etwaige eigene Straftaten die Unwahrheit gesagt haben, berührt die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen zu ihrem eigenen Schicksal bzw. dem Schicksal von Mitgefangenen nicht, zumal sie sich am Beispiel des Verfahrens gegen den Angeklagten bewusst waren, dass auch in Syrien begangene Straftaten in Deutschland geahndet werden können.
165bbb) Das gleiche gilt auch in Bezug auf die Angaben der Zeugen A. A. und F. H. in Bezug auf ihre Rolle während des Bürgerkriegs nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis des Angeklagten. So hat der Zeuge A. A. angegeben, nach der Entlassung keine besondere Rolle gespielt zu haben und zu keiner Zeit Anführer einer Katiba gewesen zu sein. Dies ist bereits dadurch widerlegt, dass der Senat verschiedene übersetzte Internet-Meldungen in die Hauptverhandlung eingeführt hat, in denen der Zeuge A. A. unter der Bezeichnung R. A. B. als Katibaführer genannt wird. Darüber hinaus hat der Senat ein Video in Augenschein genommen, in dem sich der Zeuge A. A. als Anführer der Katiba der Aufständischen von B., R. A. B., bezeichnet und darüber berichtet hat, er habe Diebe erwischt und festgenommen, die Hausrat hätten stehlen wollen.
166Der Senat hält es auch für möglich, dass der Zeuge F. H. seine spätere Rolle in der Katiba des Angeklagten verharmlost hat, als er angegeben hat, er sei ein einfaches Mitglied gewesen und habe noch nicht einmal eine Waffe von der Katiba erhalten. Demgegenüber hat der Zeuge Z. H. angegeben, sein Onkel F. H. sei Offizier bzw. Unterführer in der Katiba des Angeklagten gewesen. Auch wenn der Senat die Angaben des Z. H. aufgrund eines sichtlichen Bemühens, dem Angeklagten nicht zu schaden, zurückhaltend bewertet, spricht manches – wie etwa die Zurverfügungstellung einer Wohnung in der Nähe des Quartiers – für eine herausgehobene Stellung des Zeugen F. H. Aber auch diese tatsächlichen oder möglichen Falschangaben sind plausibel mit der Furcht der Zeugen F. H. und A. A. vor eigener Strafverfolgung zu erklären, ohne dass dies Einfluss auf die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben zu ihrem bzw. zum Schicksal der Da.-Brüder hat, das sich ebenfalls während ihrer Gefangenschaft ereignete. Der bloße Umstand, dass sich der Zeuge F. H. bereit gefunden hat, nach dem Erlittenen in der Katiba des Angeklagten zu arbeiten, spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit seiner diesbezüglichen Angaben. Neben dem Umstand, dass der Angeklagte ihn mit einer Waffe bedroht habe, hat der Zeuge F. H. die Notwendigkeit eines weiteren Aufenthalts in Aleppo und damit seine Zusammenarbeit mit dem Angeklagten damit erklärt, dass er noch Geld von seinem ehemaligen Verpächter erwartet habe, der Vorauszahlungen auf Pachtzinsen für ein von dem Zeugen betriebenes Casino in Raten habe zurückzahlen müssen. Dabei handele es sich auch um den Mann, den der Angeklagte während der Gefangenschaft des F. H. versucht habe dazu zu bringen, dieses Geld an ihn – den Angeklagten – zu zahlen. Auch die Ehefrau des Zeugen F. H. – N. Q. – hat berichtet, sie habe ihren Mann oftmals und zunehmend nachdrücklich gefragt, wie lange sie noch neben dem Quartier des Angeklagten wohnen bleiben müssten, worauf F. H. ihr gesagt habe, er wolle gehen, könne aber nicht – ohne dies näher zu erläutern.
167ccc) Schließlich hat der Senat auch gewürdigt, dass der Zeuge A. A. seine Kontakte zu dem Angeklagten nach seiner Freilassung in Aleppo als auch für die Zeit im türkischen Gaziantep nicht wahrheitsgemäß geschildert hat. So hat der Zeuge angegeben, nach seiner Freilassung habe er – unter Verneinung weitergehender Kontakte – den Angeklagten lediglich gegrüßt, wenn er ihn gesehen habe. In der Türkei – so die Schilderung des Zeugen A. A. – habe es Kontakte gegeben, die aber einseitig von dem Angeklagten gewünscht gewesen seien. Der Angeklagte habe ihn – den Zeugen – bei sich zu Hause abgeholt, und sei mit ihm in ein von dem Angeklagten betriebenes Büro oder Restaurant gefahren. Er habe keine Geschäfte mit dem Angeklagten gemacht und sei lediglich zum Schutz seiner Familie den Wünschen des Angeklagten nachgekommen, weil er auch in der Türkei ein mächtiger Mann gewesen sei. Demgegenüber hat der Angeklagte angegeben, dass A. A. und er – der Angeklagte – sich in Aleppo wechselseitig unterstützt hätten und er – der Angeklagte – dem Zeugen A. A. den Schutz seines – des Angeklagten – Liwa gewährt habe, nachdem A. A.s Anführer M. A. H. von Abu Layth getötet worden sei und A. A. Nachstellungen der Ghoraba ash-Sham gefürchtet habe. In der Türkei seien er – der Angeklagte – und A. A. befreundet gewesen, hätten sich gegenseitig zu Hause besucht und hätten Geschäfte miteinander gemacht.
168Dass der Zeuge A. A. zu seinem Verhältnis als auch zu seinen Kontakten unzutreffende Angaben gemacht hat, ergibt sich auch aus Aussagen der Zeugen Z. H. und A. D., dem Ehemann einer Tochter der Zeugin R. B. Beide haben für die Zeit nach der Freilassung des Zeugen A. A. angegeben, A. A. und der Angeklagte – aber auch F. H. – hätten in Aleppo zusammengearbeitet. In Gaziantep sei A. A. – so die Schilderung der Zeugen Z. H. und G. H. – befreundet und Geschäftspartner gewesen. So sei der Zeuge A. A. etwa an dem Restaurant des Angeklagten beteiligt gewesen. Beide seien häufig im Restaurant gewesen. Dies wird durch die Aussage des Zeugen I. A. bestätigt. Bei diesem Zeugen handelt es sich um einen ehemaligen Rechtsanwalt aus Syrien, der nach seiner Schilderung von dem Angeklagten beauftragt worden war, ein Restaurant zu eröffnen und auch zu führen. Nach einigen Monaten habe er sich im Streit von dem Angeklagten getrennt. A. A. sei auch an dem Restaurant beteiligt gewesen. So habe er – der Zeuge – einmal für das Restaurant Geld benötigt und sei von dem Angeklagten zu A. A. geschickt worden, der ihm – dem Zeugen – das Geld gegeben habe. Der Angeklagte und der Zeuge seien beide häufig im Restaurant gewesen. Er habe mitbekommen, dass sie über gemeinsame Investitionen gesprochen hätten. Als er – der Zeuge – den Angeklagten kennengelernt habe, habe er auch A. A. kennen gelernt. Letzterer habe ihm – dem Zeugen – erzählt – A. A. habe auch dabei gelacht –, dass der Grund der Bekanntschaft ein komisches Ereignis gewesen sei. Er – der Angeklagte – habe ihn – A. A. – inhaftiert gehabt. Dann habe er gesehen, dass I. A. F. ein starker Mann sei und dann habe er gesagt, er würde mit ihm arbeiten. Sodann könne er sich noch daran erinnern, dass ihm A. A. kurz von dem Ausscheiden des Zeugen aus dem Restaurant gesagt habe, dass die Partnerschaft mit dem Angeklagten beendet sei.
169ddd) Der Senat hat ferner gewürdigt, dass es zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen A. A. eine Auseinandersetzung um eine Geldforderung des A. A. gegeben hat. Der Zeuge A. A. hat hierzu angegeben, der Angeklagte habe sich von seinem – des Zeugen – Geschäftspartner 12.000 Dollar mit der falschen Behauptung geholt, es sei sein – des Angeklagten – Geld. Tatsächlich habe es sich aber um sein – A.A.s – Geld gehandelt. Der Zeuge M. M. hat im Rahmen seiner Aussage bestätigt, dass er versucht habe, zwischen dem Angeklagten und A. A. zu vermitteln, als beide – und auch er selbst – sich bereits in Deutschland befunden hätten. Zudem hat der Zeuge A. A. selbst in einem überwachten Telefonat vom 26. August 2015 zwischen ihm und der Zeugin R. B. gesagt, dass er von dem Angeklagten eine Geldzahlung erwarte und sich der Zeuge M. M. als Vermittler eingeschaltet habe. Indes sei das – so der Zeuge in dem Telefonat – bereits vor knapp einem Jahr gewesen. Im „Monat zehn“ habe ihm M. M. eine Nachricht des Angeklagten wegen der Geldangelegenheit übermittelt. Danach habe der Angeklagte über den Zeugen M. M. um einen Monat Zeit gebeten, dann werde er bei A. A. vorbeikommen und ihm – A. A. – geben, was ihm zustehe. Im gleichen Telefonat führte der Zeuge A. A. ferner aus, er haben den Angeklagten „bis jetzt“ in Ruhe gelassen. Er habe ihm eine Frist von einem Monat eingeräumt und der Angeklagte könne sich bei ihm entschuldigen und ihm – dem Zeugen A. A. – sein Geld zurückgeben. Dann gehe jeder seiner Wege. Im gleichen Telefonat amüsierte sich der Zeuge A. A. darüber, dass der Angeklagte davon ausgehe, dass man ihm wegen seiner Verbrechen in Syrien in Deutschland nicht belange. Er habe aber alle Zeugen nach Deutschland geholt. Der Senat hat die schriftliche, in die deutsche Sprache übersetzte Übertragung des Telefonats durch Verlesen und ergänzende Anhörung des Sprachsachverständigen M. in die Hauptverhandlung eingeführt.
170eee) Der Senat ist trotz dieser gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen A. A. und gegen die Glaubhaftigkeit seiner Aussage sprechenden Umstände davon überzeugt, dass seine Angaben betreffend sein Schicksal im Gefängnis des Angeklagten zutreffend sind.
171Die Falschangaben des Zeugen A. A. zu privaten und geschäftlichen Kontakten zum Angeklagten in Aleppo bzw. in Gaziantep beruhen nach sicherer Überzeugung des Senats letztlich darauf, dass dem Zeugen die nur schwere Erklärbarkeit dieser Kontakte vor dem Hintergrund des Erlittenen bewusst ist und er sich nicht mit der wahrheitsgemäßen Schilderung unglaubhaft machen wollte, zumal ihm in der Hauptverhandlung nach der Befragung zur seiner Leidensgeschichte dieser Widerspruch an Hand der Erkenntnisse aus dem Akteninhalt vorgehalten worden ist. Gleichwohl hält der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein solches Kontaktverhalten des Zeugen A. A. vor dem Hintergrund der Bürgerkriegswirren für denkbar und aus Sicht des Zeugen A. A. auf der Grundlage von A. A.s Erklärung gegenüber dem Zeugen I. A. als plausible Überlebenstaktik. So versuchte der Zeuge A. A. im „Windschatten“ des Angeklagten, den er für einen starken Mann hielt und auch so bezeichnete, von diesem zu profitieren und auf seine Kosten zu kommen, zumal der Angeklagte tatsächlich – wie festgestellt – über eine beträchtliche Anzahl von Milizionären und über gute Kontakte verfügte. Er habe über großes Ansehen verfügt und habe – wie er selbst ausgeführt hat – bei fast allen Problemen zwischen den Führern in Sakhour geschlichtet. Er sei im Gespräch gewesen, der Führer der Region zu werden, da der Militärrat den Vorgänger rausgeworfen habe – und er sei als einziger vorgeschlagen gewesen.
172fff) Ein Streit zwischen A. A. und dem Angeklagten um Geld spricht letztlich ebenfalls nicht gegen die Glaubhaftigkeit seiner – A.A.s – Aussage. Zum einen würde der Zeuge allein durch eine in diesem Zusammenhang denkbare Falschaussage keinen finanziellen Vorteil erlangen. Auch Rache schließt der Senat als Motiv für eine falsche Bezichtigung bei der Polizei aus. Hierfür spricht bereits die Aussagegenese. Es war nicht der Zeuge selbst, der auf die Polizei zugegangen ist. Die Kontaktaufnahme zu deutschen Ermittlungsbehörden fand nach den Angaben des Zeugen KHK M. nicht unmittelbar durch den Zeugen A. A. statt. Vielmehr habe sich – so die Schilderung des Zeugen KHK M. – die zwischenzeitlich verstorbene Frau C., die bei der hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung beschäftigt gewesen sei, und die ehrenamtlich als Seelsorgerin für muslimische Frauen, aber auch für Asylsuchende tätig war – gemeldet. Sie habe berichtet, dass sich die Ehefrau des Zeugen A. A. ihr gegenüber offenbart habe und ihr über Erlebnisse ihres Mannes berichtet habe, ohne dass sie – Frau C. – selbst Kontakt zu A. A. gehabt habe. Im Rahmen der ersten Vernehmung des A. A., mit dem über einen Dolmetscher ein Vernehmungstermin vereinbart worden war, habe der A. A. anfangs gewisse Vorbehalte gegenüber der Polizei gezeigt und sich erst im Laufe der Vernehmung zunehmend geöffnet. Daher habe er – der Zeuge KHK M. – auch nicht den Eindruck gehabt, A. A. habe seine Frau vorgeschickt, um mit der deutschen Polizei einen Kontakt herzustellen. Einen Zusammenhang zwischen nicht erfolgter Geldzahlung durch den Angeklagten und dem Kontakt zur deutschen Polizei schließt der Senat auch deshalb aus, weil der Zeuge KHK M. nach seiner glaubhaften und aktenmäßig niederlegten Angabe bereits am 28. Oktober 2014 Kenntnis von dem der Frau C. durch die Ehefrau des Zeugen A. A. geschilderten Sachverhalt bekommen hat und die Mitteilung der Ehefrau des Zeugen A. A. damit noch vor Ablauf des vom Angeklagten über den Zeugen M. M. erbetenen Fristaufschubs erfolgte, von dem der Zeuge A. A. der Zeugin R. B. – wie oben dargestellt – in dem Telefonat vom 25. August 2015 berichtet hatte. Dass der Zeuge A. A. in dem vorgenannten Telefonat versucht hat, über R. B. Druck auf den Angeklagten auszuüben, um seine Geldforderung doch noch zu realisieren, wobei er verschwiegen hat, dass er bereits mehrfach bei der Polizei ausgesagt hatte, lässt grundsätzlich Rückschlüsse darauf zu, dass der Zeuge A. A. keine Gelegenheit ungenutzt lässt, um finanziell zu profitieren.
173ggg) Die vorstehenden kritisch zu würdigenden Umstände in Bezug auf die Aussagen der Zeugen A. A. und F. H. haben indes keinen Einfluss auf ihre Aussagen in der Hauptverhandlung zu ihrem eigenen Schicksal im Zusammenhang mit der Gefangenschaft bei dem Angeklagten gehabt – der Senat hält diese Aussagen uneingeschränkt für glaubhaft.
174Beide Zeugen haben – insbesondere der Zeuge A. A. bezüglich der angesprochenen Sachverhalte – zunächst nur recht kurze apodiktische Angaben zumeist im Sinne einer kargen Ergebnismitteilung gemacht. Erst auf Nachfrage haben die Zeugen – jeweils zum Gesamtsachverhalt – stimmige weitere Angaben gemacht. Insgesamt war zu beobachten, dass die Zeugen F. H. und A. A. ebenso wie eine Vielzahl von Zeugen – als Ausnahme kann hier die Zeugin N. Q. genannt werden, die auf die Frage, was geschehen sei, sehr ausführlich ihre Geschichte dargelegt hat – eher auf konkrete Fragen antworten konnten und dabei weiterführende Details nur in Nebensätzen streiften. Dabei handelt es sich auch um eine Erfahrung, die ebenfalls der Vernehmungsbeamte KHK M. entsprechend seinen Schilderungen in der Hauptverhandlung mit allen von ihm oder in seiner Anwesenheit vernommenen Zeugen – darunter A. A., F. H., N. Q., G. H., M. F., R. I. A., H. M. – gemacht hat. So habe man bei den ersten Vernehmungen manche in Nebensätzen nur angedeuteten Sachverhalte angesichts der Stofffülle erst im Laufe der Ermittlungen richtig einordnen können.
175Die Zeugen A. A. und F. H. konnten sodann aber in der Hauptverhandlung auf Nachfragen zu nur am Rande erwähnten Details in sich schlüssige Sachverhalte, die sich in das Gesamtgeschehen einordnen ließen, schildern. So hat der Zeuge A. A. erst in der Hauptverhandlung über den Angriff des Liwa al-Tawhid auf das Hauptquartier des Angeklagten berichtet, was sodann durch den Zeugen F. H. bestätigt worden ist. Dass etwa der Zeuge R. A. I. von dem Angeklagten aus dem Gefängnis von H. J. befreit worden war, hat er lediglich in der Hauptverhandlung berichtet und auf Nachfrage erklärt, dass er das bei der Polizei nicht erwähnt habe, weil er nicht nach privaten Begegnungen mit dem Angeklagten befragt worden sei. Dieses Aussageverhalten erklärt zum einen vermeintliche Widersprüche zu den jeweiligen polizeilichen Vernehmungen, wobei diese Widersprüche regelmäßig durch entsprechende Nachfragen ausgeräumt werden konnten. Zudem stützt es – verbunden mit dem Umstand, dass auf Nachfragen weitere Details berichtet worden sind, die im weiteren Verlauf der Beweisaufnahme von anderen Zeugen bestätigt worden sind und sich in den Gesamtsachverhalt eingefügt haben – die Überzeugung des Senats, dass es sich bei den Angaben von A. A. und F. H. um erlebnisbasierte Schilderungen gehandelt hat. Der Umstand, dass die Zeugen A. A. und F. H. zeitliche Zusammenhänge nicht immer genau einzuordnen wussten bzw. die einzelnen Misshandlungen nicht in den Einzelheiten der Abfolge schildern konnten, ist bei im wesentlichen gleichartigen Misshandlungen vor dem Hintergrund der ständigen Angst immer wieder gefoltert zu werden, nachvollziehbar. Die besonders herausgehobenen Folterereignisse haben die Zeugen indes geschildert. Insoweit erscheint es nachvollziehbar, dass die Zeugen teilweise bei Fragen nach Details der Misshandlungen sowie deren Häufigkeit entrüstet reagierten, zumal die Aussagesituation die Zeugen wieder mit den belastenden Erlebnissen konfrontierten und es im Kulturkreis als äußerst beschämend gilt, dieser Art von Misshandlungen – auch wenn sie im Bürgerkrieg in Syrien häufig vorkamen – ausgesetzt worden zu sein. Letzteres hat dazu geführt, dass nur die unmittelbar die Folterungen wahrnehmenden Personen hierzu konkrete Angaben gemacht haben. Gegenüber ihren Familienangehörigen haben die Zeugen A. A. und F. H. die Einzelheiten des Erlebten nicht geschildert. Ihre Ehefrauen haben angegeben, nicht nachgefragt zu haben, um ihre Ehemänner nicht weiter mit diesen Erlebnissen zu konfrontieren und zu belasten. Die jüngeren Zeugen wie etwa G. H. und Z. H. haben angegeben, ihren Vater bzw. ihren Onkel nicht danach gefragt zu haben, weil sich das für Jüngere nicht gehöre. Nur A. A. habe ihm – G. H. – pauschal berichtet, dass sie – F. H. und A. A. – vom Angeklagten gefoltert worden seien, und damit die desolate körperliche Verfassung nach der Freilassung erklärt. A. A. hat dazu in der Hauptverhandlung angeben, dass er Dritten gegenüber darüber gar nicht sprechen würde, vor Gericht sei das etwas anderes, weil es um die Bestrafung des Angeklagten gehe. Darüber hinaus hat der Senat zur Kenntnis genommen, dass selbst innerhalb der Kleinfamilien nicht über Details der Erlebnisse im Bürgerkrieg gesprochen worden ist. So hat der Zeuge KHK M. berichtet, F. H. und seiner Ehefrau N. Q. sei unbekannt gewesen, dass G. H. die Verhaftung seines Vater miterlebt habe. Diese hätten sich sichtlich erstaunt und betroffen gezeigt, als sie im Laufe der Vernehmungen erfahren hätten, dass G. H. die Festnahme des Vaters miterlebt habe. F. H. habe darüber hinaus auch keine Details über die Gefangenschaft seiner Frau gewusst.
176Schließlich stützen sich die Aussagen der Zeugen A. A. und F. H. wechselseitig und werden zudem in Hinblick auf die Intensität und Modalitäten der Misshandlungen – wie dargestellt – ferner bestätigt durch die Aussagen der Zeugen H.M. und M. F. Schließlich werden die Angaben zur Gefangenschaft und zu erheblichen Misshandlungen untermauert durch die Aussage des Zeugen R. A. I., dessen Schilderung maßgeblich zur zeitlichen Einordnung bestimmter Ereignisse – insbesondere der Verletzung des Abu Alarandas – beigetragen haben. Die Aussage ist aus Sicht des Senats – neben derjenigen des N. S. M. – von besonderer Bedeutung, weil diese Zeugen Mitglieder in der Katiba des Angeklagten gewesen sind. Soweit der Angeklagte angegeben hat, nicht der Zeuge R. A. I. sondern Abu Saddam habe A. A. zum Arzt gebracht habe, hält der Senat die Angaben des Zeugen R. A. I. für glaubhaft, zumal sie von A. A. und auch von F. H. – von letzterem soweit sie seiner Wahrnehmung unterlagen – ebenfalls geschildert worden sind. Es handelt sich dabei um den offenkundigen Versuch des Angeklagten, den Zeugen R. A. I. zu diskreditieren und seine Angaben als unglaubhaft erscheinen zu lassen. So haben die Verteidiger des Angeklagten den Zeugen R. A. I. zu dem von dem Zeugen mit A. A. genommenen Weg in das Klinikum befragt, wobei sich der Angeklagte über fehlende Kenntnisse des Zeugen über die Besatzungssituation von am Wegesrand liegenden Schulen amüsiert hat, um dann am 57. Hauptverhandlungstag unter Vorhalt einer Google-Maps-Karte das Klinikum und sein – des Angeklagten – Hauptquartier zu bezeichnen mit der Folge, dass die Wegbeschreibung des Zeugen R. A. I. als zutreffend erschien. Der Angeklagte hat die Diskreditierung des Zeugen auf persönlicher Ebene betrieben, indem er angegeben hat, der Spitzname des Zeugen bedeute umgangssprachlich „Lügner“. Dabei hat der Angeklagte im Rahmen einer Erklärung nach § 257 StPO einen syrischen Film, in dem es die Rolle eines „Nemes“, eines niederen Menschen gebe, der mit Geld zu kaufen sei, bemüht. Tatsächlich hatte die Aussage des Zeugen R. A. I. zu den relativ leichten Folgen der Verletzung des Abu Alarandas – ohne Wissen des Zeugen – erhebliche Bedeutung für den Sachverhalt zum Nachteil des A. S., was dem Angeklagten bewusst war. Denn A. S. hatte als einen seiner Peiniger einen Abu Alarandas benannt, was bei einer schweren Verletzung – wie vom Angeklagten in einer Erklärung nach § 257 StPO angeben – ausgeschlossen gewesen wäre.
177Bei der Würdigung der Angaben der Zeugen R. A. I. und N. S. M. hat der Senat berücksichtigt, dass beide Zeuge mit ihrem Freund M. N. nach einem Konflikt mit dem Angeklagten aus dessen Katiba ausgetreten sind. Der Zeuge R. A. I. hatte sich nach seiner Schilderung bei dem Angeklagten nach den angeklagten Ereignissen beschwert, dass Mitglieder der Katiba des Angeklagten ein Autogeschäft geplündert hätten. Der Angeklagte ließ den Zeugen nach seiner glaubhaften Schilderung etwas später zu sich rufen, befahl ihm, sich auf den fliegenden Teppich zu legen und schlug ihm auf die Fußsohlen und wollte von ihm wissen, was er gestohlen habe. Nachdem auch der Freund des Zeugen – M. N. – auf die Fußsohlen geschlagen worden sei, hätten der Zeuge R. A. I., M. N. und N. S. M. die Katiba des Angeklagten verlassen, wobei der Angeklagte das Schlagen auf die Fußsohlen in der Hauptverhandlung zwar eingeräumt hat, jedoch gemeint hat, er habe andere Gründe dafür gehabt, die er aber nicht näher erläutere. Der Zeuge hat erkennbar ohne überschießende Belastungstendenz berichtet. So hat er auch betont, dass er dem Angeklagten nach seiner Einschätzung sein Leben zu verdanken habe und daher nur das ausgesagt habe, was er gesehen oder gehört habe. Der Angeklagte habe ihn nach seinem Austritt aus der Katiba aus dem Gefängnis seines Verwandten H. J. befreit, nachdem er von diesem entführt und inhaftiert worden sei. Es sei damals bekannt gewesen, dass man aus einem Gefängnis von H. J. nicht lebend herauskomme.
178Der Senat schließt ferner eine von dem Angeklagten behauptete Manipulation des Sachverhalts zu seinem Nachteil durch die in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen und insbesondere A. A. aus. So hat der Angeklagte den als Motiv einer Falschbelastung in Betracht kommenden Umstand, dass A. A. von ihm – dem Angeklagten – Geld verlangt, aber nicht bekommen habe, als Manipulationsgrund ausgeschlossen. Es habe einen viel schwerer wiegenden Grund gegeben, über den er – der Angeklagte – nicht sprechen wolle, was A. A. auf Vorhalt kommentiert hat: „Weil es keinen gibt.“
179Der Angeklagte hatte sich an den Senat gewandt und geäußert, es habe zwar „finanzielle Unstimmigkeiten“ zwischen ihm und A. A. gegeben. Diese seien aber sicher nicht die Erklärung für die – nach seiner Darstellung – falschen Bezichtigungen des A. A. und dessen Beeinflussung anderer Zeugen, ihn – den Angeklagten – im Sinne A. A.s ebenfalls falsch zu belasten. Tatsächlich gebe es einen sehr viel schwerer wiegenden Grund im Verhältnis zwischen ihm – dem Angeklagten – und A. A., der A. A.s Komplott gegen ihn erkläre. Auf mehrfaches Befragen und mehrfache Aufforderungen, diesen besonderen Grund zu nennen, verweigerte der Angeklagte mit den Worten, dass er „darüber nicht sprechen“ wolle, nähere Angaben.
180Gäbe es tatsächlich einen triftigen, dem Angeklagten bekannten und auch für Dritte nachvollziehbaren Grund für A. A., nicht nur den Angeklagten selbst zu Unrecht schwerster Straftaten zu bezichtigen, sondern auch andere Zeugen – nach der Darstellung des Angeklagten mit den Mitteln der Bestechung und Bedrohung – ebenfalls zu falschen Anschuldigungen gegen den Angeklagten zu bestimmen, dann hätte es sich aufgedrängt, dass der Angeklagte in Gegenwart des A. A. diesen Grund auch schildert. Insbesondere ist im Fall eines tatsächlich vorhandenen entsprechenden Grundes kein nachvollziehbarer Anlass gegeben, pauschal ein triftiges Motiv einer Falschbelastung von der Qualität eines Komplotts in den Raum zu stellen, dieses aber erklärungslos nicht näher zu beschreiben.
181Gegen eine Manipulation der Zeugenaussagen durch A. A. sprechen zum einen – wie dargestellt – die vielen Detailangaben in den Aussagen der Zeugen. Auch wenn sich die Zeugenaussagen – wie dargestellt – wechselseitig stützen, haben die Zeugen ihre Wahrnehmungen bzw. diejenigen, an die sie sich erinnern konnten, authentisch geschildert. Sie berichteten über ihr jeweils eigenes Schicksal und das Schicksal der Zeugen A. A. und F. H. differenziert und haben deutlich gemacht, wenn sie etwas nicht unmittelbar wahrgenommen sondern nur aus Berichten Dritter erfahren hatten.
182Schließlich hat der Zeuge R. A. I. nicht nur negativ über den Angeklagten berichtet und etwa seine Vermutung über den Einsatz des „fliegenden Teppichs“ wie dargestellt begründet, sondern auch gesagt, den Einsatz nicht gesehen zu haben. H. I. hat angegeben, den Angeklagten bei der Vorführung ihres Mannes im Kofferraum nicht gesehen zu haben. Der Zeuge M. M. hat zu den dem Angeklagten vorgeworfenen Taten lediglich erklärt „etwas darüber gehört, aber nichts gesehen“ zu haben. H. M. hat angegeben, er sei eigentlich gar nicht geschlagen, sondern nur einmal von Al-Khal getreten worden.
183Dementsprechend hat der Senat weder bei dem Zeugen A. A. noch bei den übrigen Zeugen eine fragwürdig überschießende Belastungstendenz in Bezug auf den Angeklagten festgestellt.
184Der Zeuge A. A. hat durchaus einen deutlichen Ermittlungseifer an den Tag gelegt und dabei seine Intention, dass der Angeklagte in Deutschland verurteilt wird, nicht nur in der Hauptverhandlung sondern auch etwa gegenüber R. B. in dem Telefonat vom 25. August 2018 offen mitgeteilt. Ausgehend von dem Umstand, dass nicht er selbst den Kontakt zu deutschen Polizeibehörden gesucht hat, hat der Zeuge KHK M. vor dem Senat ausgesagt, dass A. A. bei der Kontaktaufnahme mit weiteren Opferzeugen sehr hilfreich gewesen sei, weil er die Kontakte gehabt bzw. habe herstellen können. Daher hat sich der Zeuge A. A. aufgefordert gefühlt, weiteres belastendes Material gegen den Angeklagten zu beschaffen. Indes hat sich dies in den Aussagen des Zeugen nicht im Sinne einer ungerechtfertigten Belastung des Angeklagten niedergeschlagen. Im Gegenteil: Der Zeuge A. A. hat auf Nachfrage ausdrücklich erklärt, dass es zwar Gerüchte darüber gegeben habe, Abu Dieb habe Frauen misshandelt. Er habe aber darüber keine Kenntnis. Darüber hinaus hat er bezogen auf den Sachverhalt zum Nachteil der Brüder Da. angegeben, der Angeklagte sei nur bei der Tötung des zweiten Bruders anwesend gewesen. Es wäre ihm als einzigem unmittelbarem Tatzeugen ein Leichtes gewesen, dem Angeklagten die unmittelbare Beteiligung am Tod auch des ersten Bruders zuzuweisen. Der Zeuge F. H. weist eine solche Belastungstendenz ebenfalls nicht auf.
185hhh) Auch spricht das betont sachliche und bisweilen emotionslos aussehende Aussageverhalten des Zeugen A. A. – wie im übrigen der meisten anderen Opferzeugen auch – nicht gegen die Glaubhaftigkeit seiner Angaben. A. A. war sichtlich darauf bedacht, sich vor dem Angeklagten keine Blöße zu geben und dem deutschen Gericht mit beherrschter Sachlichkeit zu berichten. Auf Vorhalt der Verteidigung, sein äußeres Auftreten sei mit dem berichteten Erlebten nicht vereinbar, erklärte er, ob von ihm erwartet werde, den Tisch umzuwerfen und wütend zu werden oder den Angeklagten anzugreifen, woher der Verteidiger wissen wolle, dass er – der Zeuge – jetzt nicht innerlich weine oder sich gerade wünsche, dass man den Angeklagten dort „an der Decke aufhängt“. Mit diesen Angaben des A. A. korrespondierend hat seine Ehefrau, die Zeugen H. I. angegeben, der Angeklagte sei nach der Inhaftierung verändert und auch noch jetzt beeinträchtigt. Er sei nervlich nicht mehr gut belastbar und werde schnell ungeduldig und wütend.
186Demgegenüber hat der nach außen deutlich belastet wirkende Zeuge F. H. seine Erlebnisse zunächst stark gerafft im Zusammenhang geschildert, wobei er Details nur in Nebensätzen angesprochen hat. Er hat seinen kurzen Bericht zu den einzelnen Ereignissen mit den Worten „das war es“ beendet. Dabei hat der Zeuge schnell geatmet und ersichtlich aufgelöst gewirkt. Im weiteren Verlauf der Vernehmung ist er zunehmend ruhiger geworden.
187b) Feststellungen zur subjektiven Tatseite
188Die Feststellungen des Senats zur subjektiven Tatseite ergeben sich aus Schlussfolgerungen auf der Grundlage der festgestellten objektiven Umstände sowie den nachfolgend dargestellten Beweiserhebungen.
189Der Senat ist davon überzeugt, dass der Angeklagte mit Abu Diebo al-Khal und anderen Katibaführern wie Abu Layth und H. J. zum einen Abu A. nebst seinen Mitgliedern, aber vor allem seine zivilen Unterstützer aus dem Stadtbezirk Bustan al Pascha als Hindernis für Plünderungen dort ausschalten wollte. Dies ergibt sich zum einen aus dem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Vereitelung der Plünderung der Geschäftsräume eines Armeniers und der Festnahme Abu A. und seiner Helfer. Zum anderen ergibt es sich aus der Schilderung des Zeugen F. H., er sei vor dem Hintergrund einer anstehenden Versöhnung zum Hauptquartier von Abu A. gekommen. Die Schlussfolgerung beruht ferner auf der wiederholten Thematisierung der Frage, warum Plünderungen durch Abu A. und seine Helfer verhindert würden. So hat der Zeuge F. H. für den Senat glaubhaft geschildert, das dies im Hauptquartier des Abu A. Gegenstand der Auseinandersetzung mit dem dort anwesenden Abu Diebo al-Khal gewesen sei. Zudem sei die Verhinderung von Plünderungen nach der Schilderung des Zeugen F. H. Gegenstand von Gesprächen mit Katiba-Mitgliedern des Angeklagten gewesen, die darauf hinwiesen hätten, es habe sich um Besitz von Christen gehandelt, den man als Beute habe nehmen können.
190Es steht ferner zur Überzeugung des Senats fest, dass der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal im bewussten und gewollten Zusammenwirken die Zeugen A. A., F. H., H. M. und M. F. darüber hinaus zum Zweck der Lösegelderpressung entführt, gefangen gehalten und gefoltert haben. Dass die Entführung und Gefangennahme der vorgenannten Zeugen dazu diente, Vermögenswerte zu erhalten, hat der Angeklagte eingeräumt, auch wenn er diese Maßnahme in einen anderen Zusammenhang stellt und sich dahin eingelassen hat, Ziel der Maßnahmen sei gewesen, entwendete Vermögensgegenstände den früheren Eigentümern zurück zu geben. Hierbei handelte es sich jedoch um einen Vorwand – sowohl gegenüber den Zeugen A. A., F. H., H. M. und M. F., aber auch gegenüber gutgläubigen Mitgliedern der Katiba sowie gegenüber der übrigen Bevölkerung. Sämtliche vorgenannten Zeugen haben die von ihnen verlangten und teilweise auch erbrachten Leistungen als Lösegeld für ihre Freilassung bezeichnet. Unabhängig von dem Umstand, dass von den einzelnen Zeugen gar nicht die Herausgabe konkreter gestohlener Gegenstände verlangt worden ist, was der Angeklagte damit erklärt hat, man habe den Geschädigten den Wert ersetzen wollen, ist der Senat aus anderen Gründen davon überzeugt, dass die verlangten und erhaltenen Leistungen bzw. weggenommenen Sachen der eigenen Bereicherung des Angeklagten sowie seines Mittäters Abu Diebo al-Khal dienen sollten bzw. dienten.
191Dies ergibt sich für den Senat zum einen aus den geradezu willkürlich geforderten Summen von 10, 20 oder gar 50 Millionen syrischer Lira, die F. H. und A. A. zahlen sollten, wobei auch ein Bruder des Zeugen A. A. telefonisch von dem Angeklagten – so die Schilderung des A. A. – aufgefordert wurde, 20 Millionen zu zahlen. Es ergibt sich ferner aus den konkreten Lösegeldleistungen des Zeugen M. F., der diese wie festgestellt geschildert hat und der zwei Pistolen übergeben sollte, von denen er nur eine beschaffen konnte. Nachdem er die zweite geforderte Pistole nicht besorgen konnte, gaben sich der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal – wie festgestellt – mit einer Geldzahlung zufrieden und der Angeklagte ließ den Zeugen gehen. Dabei war es – wie geschildert – keineswegs so, dass nur Abu Diebo al-Khal Zahlungsforderungen erhoben hat. Besonders aussagekräftig ist die Lösegeldforderung gegenüber dem Zeugen H. M.: Er sollte nach seiner glaubhaften Schilderung 2.000 Schuss russische Munition beschaffen und konnte, nachdem er hierzu nicht in der Lage war, stattdessen einen Betrag von 300.000 syr. Lira zahlen. Indiziell zieht der Senat zur Überzeugungsbildung die Fälle der Brüder Da. sowie den Fall A. S. heran, denen lediglich vorgeworfen worden war, dass sie „Shabiha“, das heißt Kollaborateure des Regimes seien. Gleichwohl erhob der Angeklagte Lösegeldforderungen. In der Gesamtschau ist der Senat davon überzeugt, dass der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal unter dem Vorwand vollkommen beliebiger Vorwürfe tatsächlich Lösegelder verlangten. Dabei hat der Senat auch die freimütige Erklärung des Angeklagten berücksichtigt, dass er diejenigen Dinge für sich behalten habe, für die sich kein Eigentümer gefunden habe. Darüber hinaus gehörte es nicht nur bei dem Angeklagten zum Geschäftsmodell, für die Freilassung von Gefangenen Leistungen zu verlangen. Dies ergibt sich auch sehr eindrucksvoll aus der Schilderung der Zeugin N. Q. – der Ehefrau des Zeugen F. H. Die Zeugin wurde mit ihrer Tochter und einer Cousine Anfang/Mitte Oktober 2012 – wenige Tage nach einem Besuch bei ihrem gefangenen Mann im Hauptquartier des Angeklagten – von Einheiten des Revolutionssicherheitsrates – hierauf hatte der Angeklagte, der hiervon Kenntnis hatte, in seiner Einlassung hingewiesen – entführt und gegen Zahlung von ungefähr 200.000 syr. Lira nach etwa 9 bis 10 Tagen freigelassen.
192Für eine von Anfang an bestehende diesbezügliche Planung des Angeklagten und Abu Diebo al-Khals spricht, dass sie – jedenfalls in Bezug auf F. H. und A. A. – genau wussten, wen sie namentlich suchen und festnehmen wollten. So hatte der Angeklagte den Zeugen F. H. – wie festgestellt – angesprochen, ob er Abu Gazi sei und diesen dann mit dem Gewehrkolben geschlagen. Darüber hinaus ist der Zeuge A. A. von dem Angeklagten nicht etwa in einer Gruppe von Mitgliedern der Katiba des Abu A. festgenommen worden. Der Angeklagte konnte den Zeugen A. A. vielmehr als festzunehmende Person identifizieren, als der sich alleine auf dem Weg von Sheikh Maqsoud nach Bustan al Pascha befunden hat. Aus diesen Gründen ist der Senat auch davon überzeugt, dass der Angeklagte genau über die Stellung der Zeugen A. A. und F. H. im Rahmen der Nachbarschaftssicherung informiert war und daher wusste, dass diese Zeugen keine Mitglieder in der Katiba Abu A. waren.
193Es steht ferner zur Überzeugung des Senats fest, dass Abu Diebo al-Khal und der Angeklagte die Zeugen A. A., F. H. und M. F. so lange gefangen halten und foltern wollten, bis sie das Lösegeld für die Freilassung der Zeugen erlangt haben würden. Dies ergibt sich zum einen aus dem objektiv festgestellten Sachverhalt sowie dem Umstand immer wieder erfolgter Zahlungsaufforderungen, die im Fall des Zeugen M. F. auch erfolgreich waren. Bestätigt wird dies ferner durch die Einlassung des Angeklagten, die Vorführung der Zeugen bei der Jabhad al Nusra habe bezweckt, Druck auf die Zeugen auszuüben wollen – auch wenn der Angeklagte diese Absicht allein Abu Diebo al-Khal zuweist. Bei der Verlagerung von Verantwortung auf andere handelt es sich jedoch bei dem Angeklagten um ein bereits seit den Vorkommnissen selbst erprobtes und praktiziertes Verhaltensmuster. So hat er – wie festgestellt – gegenüber A. A. und F. H. im Zusammenhang mit ihrer Freilassung angegeben, er habe auf Anweisung von O. H. gehandelt. Zur Verschleierung diente auch die Begebenheit mit dem angeblichen Gespräch zwischen O. H. und dem Zeugen F. H., der angegeben hat, er habe nicht gewusst, ob es sich um O. H. gehandelt hat. Es ist schon nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen der Anführer der Ghoraba ash-Sham irgendeinem Gefangenen persönlich seine Freilassung ankündigen sollte, da er über Vertreter – etwa Abu Diebo al-Khal – in Aleppo verfügte. Zudem lässt sich diese Begebenheit nicht in Einklang bringen mit der Einlassung des Angeklagten – er habe die Gefangenen gegen den Willen von O. H. freigelassen.
194Der Senat ist davon überzeugt, das von Mitgliedern des Angeklagten vorgenommene Folterungen auf dessen Anordnung erfolgten, weil dies letztlich der Umsetzung des Tatplans diente.
195II. Zur Tat zum Nachteil der Brüder Da.
1961. Einlassung des Angeklagten
197Der Angeklagte hat angegeben, dass die vier Da.-Brüder tatsächlich in seinem Hauptquartier gewesen seien. Sie seien in ihrer Jugend Nachbarsjungen gewesen. M. Da. habe er unter dem Namen „Hamado“ gekannt. Dieser sei ein respektabler Mensch und mit ihm zusammen im Tadmor-Gefängnis in Palmyra inhaftiert gewesen. Insgesamt habe es zwei Festnahmen der Brüder gegeben. Diese seien beschuldigt worden, „Shabiha“ zu sein und Mikrochips platziert zu haben, damit Standorte über Satelliten geortet und gezielt vom Sicherheitsdienst des Regimes beschossen werden konnten. Nach ihrer ersten Festnahme seien sie zunächst freigelassen worden. Es sei berichtet worden, dass sie ihre Schwester mit einem Anführer der Liwa al-Tawhid, Y. N., verheiratet hätten und deshalb freigelassen worden seien.
198Nach der zweiten Inhaftierung seien die Brüder zu seinem Quartier gebracht worden. Ob dies in dem Zeitraum erfolgt sei, als A. A., F. H. und die anderen bei ihm gewesen seien, könne er nicht mehr sagen. Abu Diebo al-Khal sei zur Zeit der Inhaftierung der Da.-Brüder zwar bei ihm im Quartier gewesen, aber dieser habe mit der Sache nichts zu tun gehabt, weder direkt noch indirekt.
199Von den vier Brüdern N. Da, Hamado (M. Da.), T. Da. und I. Da. sei einer, nämlich Hamado, am Kopf verletzt gewesen und habe geblutet. Dieser habe ihn angefleht, etwas zu unternehmen, damit sie freikämen. Er habe dann interveniert und H. J. und den Gruppen, die da „mitgemischt“ hätten, gesagt, dass sie die Brüder zu ihm ins Lager bringen sollten. Dort habe er sich um sie gekümmert. Geschlagen habe er niemanden. Nicht einmal eine Ohrfeige hätten die Brüder bekommen, auch habe er sie nicht beleidigt. Vielmehr habe er sie sehr gut behandelt. Jeden Tag seien Um N., ihre Mutter, und andere Angehörige gekommen und hätten die Brüder besucht. Eigentlich sei dies verboten gewesen, er habe das aber gleichwohl zugelassen. Um N. habe oft mit ihm geredet und gefragt, wann die Angelegenheit geregelt werde könne und ihre Söhne endlich frei kämen. Um N. habe ihn stets als Urheber und Verantwortlichen und damit allein Entscheidungsberechtigten der Gefangenschaft ihrer Söhne gehalten und angesprochen, obwohl er ihr stets mitgeteilt habe, dass er nicht der Verantwortliche sei und auf das Schicksal der Söhne keinen Einfluss habe.
200Während der Inhaftierung der Brüder – er wisse jedoch nicht mehr, ob an deren Anfang oder Ende – sei sein Quartier, das in das von H. J. übergehe, gegen zwei oder drei Uhr morgens von Y. N. angegriffen worden. Dabei sei Abu Saddam angeschossen worden. Der Angriff, der abgewehrt werden konnte, habe letztlich nichts mit „Shabiha“ und den Brüdern Da. zu tun gehabt, der Grund sei ein Streit zwischen Y. N. und H. J. gewesen.
201Eines Tages habe er die Sache mit den Söhnen der Um N. in die Hand genommen, weil sich niemand um die Brüder gekümmert habe. T. Da. habe er zuerst vernommen, weil sich die meisten Vorwürfe und Beschuldigungen gegen ihn gerichtet hätten. Er habe nicht gewusst, ob die Gerüchte, die Brüder seien „Shabiha“, zutreffend gewesen seien. T. Da. sei dann aber abgehauen. Er – der Angeklagte – sei daraufhin zu Hamado (M. Da.) gegangen und habe diesen gefragt, warum T. Da. geflohen sei. Die Flucht stelle ein großes Problem sowohl für ihn, Abu Dieb, als auch für die Brüder dar, weil die Vorwürfe durch die Flucht bestätigt würden. Er habe dann auch Um N. kommen lassen und ihr gesagt, dass T. Da. abgehauen sei. Um N. habe sich über ihn lustig gemacht und gesagt, er solle T. Da. suchen, vielleicht sei dieser zum Regime übergelaufen.
202Die Flucht des T. Da. sei dann bekannt geworden. Sein Bruder, Abu Mohammed A., sei daraufhin sehr zornig zu ihm gekommen, als habe er – der Angeklagte – T. Da. geholfen, zu fliehen. Abu Mohammed A. sei gekommen und habe die Brüder Da. mitgenommen. Hamado (M. Da.) habe ihn noch angefleht, ihnen zu helfen. Um N. sei immer wieder zu ihm gekommen und habe ihn gefragt, wo ihre Söhne seien. Er habe aber nichts mehr für sie machen können. Er selbst habe die Brüder Da. nicht mehr gesehen. Wie sie gestorben seien, wie sie gefoltert worden seien, davon habe er keine Kenntnis. Es gebe niemanden, der wisse, wie die Söhne der Um N. ums Leben gekommen seien.
203Andererseits hat er sich dahin eingelassen, er habe Leute bei seinem Bruder Mohammad A. gehabt, die ihm nahegestanden und über alles berichtet hätten, was dort passiert sei. Einer davon habe ihm später erzählt, dass zwei der Brüder durch Folter ums Leben gekommen seien. Sein Bruder habe dazu gesagt, dass die Brüder hinter der Mauer beerdigt werden sollen. Jedoch habe er – der Angeklagte – interveniert, damit sie auf dem islamischen Friedhof beerdigt würden, was schließlich auch umgesetzt worden sei. Er habe wegen des Vorfalles das Gespräch mit seinem Bruder gesucht, der habe ihn aber rausgeschmissen. Sein Bruder habe nicht richtig „getickt“.
204Nach einer Weile sei dann allgemein bekannt geworden, dass die Brüder umgebracht worden seien. Um N. habe Anzeige gegen ihn – den Angeklagten – erstattet. Er sei sehr überrascht gewesen, beschuldigt zu werden. Die Familie Da. wolle, dass er getötet werde. Diese könnten den Tod eines Angehörigen nicht hinnehmen, es sei Blut geflossen. Eine hochrangige Person aus dem Stamm des Täters müsse getötet werden. Das sei in Syrien so üblich.
205Von dieser Einlassung abweichende Angaben des A. A. zu dem Tod der Brüder seien Lügen. So habe A. A. etwa über eine Bäckerei der Da. in Bustan al Pasha gesprochen, diese hätten jedoch aus Sakhour gestammt. Zudem habe die Familie keinen Gemüseladen besessen, sondern lediglich einen Stand auf dem Markt. Zur Zeit der Inhaftierung der Brüder Da. habe sein Bruder Abu Mohammed A. keine „Schule“ besetzt. Zudem seien alle Schulen in Syrien von der Gebäudestruktur einheitlich und in L-Form gebaut. Es gebe nur auf einer Seite Klassenzimmer und die Gänge seien schmal. Soweit A. A. angegeben habe, zum Putzen in der Schule gewesen zu sein und alles gesehen zu haben, sei dies unmöglich gewesen, da der Flur der Schule weniger als 1,50 m breit sei. Zudem hätte man sicherlich niemanden hinzugeholt, wenn man jemanden habe foltern wollen.
2062. Beweiswürdigung
207Die Einlassung des Angeklagten ist – soweit sie den Feststellungen des Senats widerspricht – durch die Aussagen der Zeugen A. A., F. H. und N. S. M. widerlegt. Die vier Brüder Da. waren Gefangene bei dem Angeklagten. Er ist für die Gefangennahme und Folterung der Brüder verantwortlich. Die Tatopfer sind durch den Angeklagten selbst sowie auf seine Veranlassung in seinem Hauptquartier gefoltert worden und der Angeklagte hat die Lösegeldforderungen erhoben. Darüber hinaus war der Angeklagte an der Ermordung des in den Feststellungen näher bezeichneten Da.-Bruders eigenhändig beteiligt.
208a) Feststellungen zur objektiven Tatseite
209aa) Grundlagen der Feststellungen
210Die Feststellungen zum Beginn der Gefangenschaft der vier Brüder Da. bei dem Angeklagten beruhen auf folgenden Schlussfolgerungen: Da der Zeuge M. F. zu diesen Gefangenen keine Angaben machen konnte, geht der Senat davon aus, dass die vier Brüder nach dessen Freilassung und damit nach der Vorführung der Gefangenen A. A., F. H., M. F. und Abu A. bei der Jabhat als Nusra in das Gefängnis des Angeklagten verbracht worden sind, da M. F. am gleichen Tag freigelassen wurde. Mit Rücksicht darauf, dass dieses Ereignis zwei bis drei Wochen nach der Festnahme der vorgenannten Personen stattfand, liegt der Beginn der Gefangenschaft der Brüder Da. bei dem Angeklagten zwischen dem 1. und dem 7. Oktober 2012. Dies korrespondiert mit der Schätzung des Zeugen A. A., die vier Brüder seien mit ihm selbst, F. H. und Abu A. etwa 15 Tage lang gemeinsam bei dem Angeklagten im Gefängnis gewesen und er und F. H. seien zwei bis drei Tage nach dem Tod der zwei Brüder freigelassen worden, wobei letzteres frühestens am 25. Oktober 2012 erfolgte.
211Sowohl A. A. als auch der Angeklagte haben darüber berichtet, es sei bekannt gewesen, dass die vier Brüder bereits zuvor vom Liwa al-Tawhid festgenommen worden seien und man sie erst freigelassen habe, als Y. N. eine Schwester der Brüder heiraten konnte.
212Die Zeugen A. A. und F. H. haben übereinstimmend davon berichtet, die Brüder Da. seien eines Abends in das Gefängnis des Angeklagten gebracht worden, in dem sie selbst untergebracht gewesen seien. Dort seien die Brüder - obwohl sie bereits blutend angekommen seien - mit Kabeln und Stöcken über einen Zeitraum von etwa vier Stunden fast totgeschlagen und -getreten worden. Sie seien sogar nicht mehr in der Lage gewesen, zu sprechen. Während F. H. einen Zeitraum von vier Stunden genannt hat, hat A. A. angegeben, dass die Brüder von 8 Uhr abends bis etwa Mitternacht gefoltert worden seien. Während A. A. davon berichtet hat, dass der Angeklagte und H. J. mit ihren Katibas die Gefangenen gebracht hätten, hat der Zeuge F. H. zusätzlich noch N. A. K. – Abu Layth benannt. In Hinblick auf die Häufigkeit der Folterungen haben die Zeugen nicht gänzlich deckungsgleiche Angaben gemacht. Während der Zeuge A. A. einerseits angegeben hat, die Brüder seien etwa eine Woche gefoltert worden, hat er andererseits angeben, die Brüder seien sodann die restliche Zeit ihres gemeinsamen Aufenthalts – etwa 15 Tage „nur einfach“ geschlagen worden. Demgegenüber hat der Zeuge F. H. – zumindest teilweise korrespondierend mit dem Zeugen A. A. – angegeben, die Brüder seien in den ersten drei Tagen gefoltert worden – insgesamt habe er das vier Mal gesehen. Der Senat geht daher davon aus, dass die Brüder im Zeitraum ihrer Gefangenschaft mindestens vier Mal in ganz erheblicher Weise körperlich misshandelt worden sind, da A. A. auch vor dem Hintergrund eigener Erfahrung mindestens halbstündiger schwerer Misshandlungen zwischen einfachen Schlägen und Folter differenziert. Dass den Zeugen Zahlenangaben bei weitgehend eintöniger Gefangenschaft, die von im wesentlichen gleichförmigen Misshandlungen der eigenen Person oder anderer begleitet wird, schwer fallen, ist nur allzu nachvollziehbar. Auf der Grundlage der Angaben der beiden Zeugen ist der Senat davon überzeugt, dass jeder der vier Brüder Da. nach der ersten vierstündigen Folterung noch mindestens drei Mal über einen erheblichen Zeitraum hinweg schwer misshandelt worden ist. Hierfür spricht auch die von dem Zeugen F. H. geschilderte und von dem Senat entsprechend festgestellte körperliche Verfassung nach einer etwa zweiwöchigen Gefangenschaft.
213Den vier Brüdern sei – so die Zeugen F. H. und A. A. – vorgeworfen worden, „Shabiha“ zu sein und verdeckt für das Assad-Regime zu arbeiten.
214Die Aussagen der Zeugen A. A. und F. H. zur Folterung der vier Brüder im Gefängnis des Angeklagten sowie den ihnen gemachten Vorwurf hat der Zeuge N. S. M. mittelbar bestätigt. Er hat zwar berichtet, die Folterungen der Brüder im Quartier des Angeklagten zwar nicht selbst beobachtet zu haben, da er in diesem Zeitraum abwesend gewesen sei, weil sein Bruder gestorben sei und er längere Zeit bei seiner Familie verbracht habe, was auch der Zeuge R. A. I. bekundet hat. Er habe jedoch davon gehört, weil der Vorfall so im Quartier erzählt worden sei. So hätten etwa Abu Alarandas und Abu Saddam davon gesprochen. Ihm sei berichtet worden, dass es sich bei den vier Brüdern um Shabiha gehandelt habe, die im Gefängnis des Angeklagten gefoltert worden seien.
215A. A. und F. H. haben weiter berichtet, sie hätten von den vier Brüdern erfahren, dass der Angeklagte die Bäckerei sowie den Obststand der Familie hätte haben wollen. Der Zeuge F. H. hat darüber hinaus angegeben, dass er das auch von den Mitgliedern der Katiba des Angeklagten gehört habe. Dass es dem Angeklagten um Lösegeld für die Freilassung der vier Brüder ging, ergibt sich für den Senat nicht nur aus dem Umstand, dass er Lösegeld für den letzten verbliebenen Bruder – N. Da. – erhalten hat, sondern auch daraus, dass der Zeuge F. H. entsprechend seiner glaubhaften Schilderung ein Telefonat des Angeklagten mitbekommen habe, in dem es um Geld für die Brüder gegangen sei. Die Brüder hätten ihm dann gesagt, dass es sich bei dem Gesprächspartner des Angeklagten um einen ihrer Onkel gehandelt habe.
216Die Zeugen F. H. und A. A. haben darüber hinaus den Angriff einer Gruppe des Liwa al-Tawhid unter der Führung von Y. N. geschildert und die Folgen des Angriffs wie festgestellt angegeben. Sie haben auch beide übereinstimmend zur Reaktion des Angeklagten ausgesagt, die in der Verlegung der Brüder I. Da. und M. Da. zu dem Bruder des Angeklagten Abu Mohammad A. bestanden habe. Die beiden anderen Brüder habe der Angeklagte – wie festgestellt – in dem Haus eingesperrt, das als Hauptquartier gedient habe. Die Feststellungen zur Flucht des T. Da. beruhen ebenso wie die beschriebene Reaktion des Angeklagten auf den Angaben des Zeugen F. H.
217Der Senat ist entgegen der Darstellung des Angeklagten davon überzeugt, dass es sich um eine einvernehmliche Verlegung der zwei Brüder in das Gefängnis seines Bruders gehandelt hat und der Angeklagte mit seinem Bruder A. (Abu Mohammad A.) während des Bürgerkriegs eng zusammenarbeitete. So haben die Zeugen F. H. und N. S. M. in jeweils unterschiedlichem Zusammenhang angegeben, der Angeklagte habe oft Kontakt zu seinem Bruder A. gehabt. Der Zeuge F. H. hat auf Nachfrage, ob er sich an eine Fahrt des Angeklagten vom Quartier zu seinem Bruder erinnern könne, bevor A. A. aus der Schule des A. zurückgekehrt sei, erklärt, dass er daran keine Erinnerung habe, denn der Angeklagte sei häufig und regelmäßig zu seinem Bruder gefahren. Auch der Zeuge N. S. M., der bei dem Angeklagten als Unterführer tätig gewesen ist, hat hierzu angegeben, dass Abu Mohammad A. (A.) zwar zu einer anderen Gruppe gehört habe, sich die Brüder aber gegenseitig unterstützt hätten, wenn es Probleme gegeben hätte – jedoch nicht wegen des Krieges, denn damit hätten die beiden direkt nichts zu tun gehabt.
218Dass der Angeklagte auch nach der Verlegung der zwei Brüder in das Gefängnis des Angeklagten für diese verantwortlich blieb, bzw. zwischen dem Angeklagten und Abu Mohammad A. abgestimmt war, dass sie nach wie vor die Gefangenen des Angeklagten blieben, steht für den Senat sicher fest aufgrund der Mitteilung über den Tod eines Gefangenen an den Angeklagten sowie den Umstand, dass der Angeklagte auf Nachfrage über den Verbleib der Leichname der getöteten Brüder entschieden hat.
219Die Feststellungen zu den Geschehnissen im Quartier des Mohammad A. beruhen auf den glaubhaften Angaben des Zeugen A. A., ebenso wie die Feststellungen zur Zahlung des Lösegeldes für N. Da. Zur Lösegeldzahlung hat der Zeuge angeben, er habe T. Da. nach seiner eigenen Freilassung getroffen. Dieser habe ihm berichtet, dass seine – T. Da.s – Familie 1,5 Millionen syr. Lira an den Angeklagten gezahlt habe, damit N. Da. freigelassen würde. Der Angeklagte habe indes gesagt, dass das Geld nicht für ihn, sondern für Jabhat al-Nusra sei. Der Senat ist davon überzeugt, dass das Geld an den Angeklagten geflossen ist und es sich nicht um ein Inkasso für die Jabhat al-Nusra gehandelt hat, denn die Zahlung an den Angeklagten korrespondiert mit dem von F. H. mitgehörten Forderungsverlangen des Angeklagten gegenüber einem Onkel der vier Brüder. Zudem entspricht das Vorgeben, für einen anderen lediglich Geld entgegen zu nehmen, dem immer wieder beobachteten Verhalten des Angeklagten, die eigene Verantwortung zu verschleiern. Tatsächlich spricht für eine für den Angeklagten bestimmte Zahlung auch das von dem Angeklagten geschilderte Verhalten der Mutter der vier Brüder – Um N. –, sich bei dem Angeklagten immer wieder nach dem Verbleib ihrer anderen zwei Söhne zu erkundigen, weil sie ihn – auch aufgrund der Zahlung – für den Verantwortlichen hielt.
220bb) Beweiswürdigung im engeren Sinne
221Es ist nicht ersichtlich, warum die Zeugen A. A. und F. H. die Flucht des T. Da. bewusst wahrheitswidrig in einen Zeitraum nach der Trennung der Gefangenen legen sollten, zumal der Zeuge F. H. dem T. Da. aus dem Gebäude des Hauptquartiers heraus die Flucht ermöglicht hat und dies bereits eine Verlegung aus dem Saal von Abu R. in die Villa von Ali A. voraussetzt. Vielmehr konstruiert der Angeklagte nach Überzeugung des Senats vor dem Hintergrund des gesamten festgestellten Sachverhalts eine Erklärung für eine Verlegung aller verbliebenen Gefangenen in das Gefängnis seines Bruders, der für ihn nach seiner Darstellung unberechenbar war und zu dem er kaum Kontakt gepflegt haben will und der auch nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden kann, weil er getötet wurde.
222Die Schilderungen des Zeugen A. A. vom Geschehen in der als Quartier von Abu Mohammad A. genutzten Schule sind für den Senat glaubhaft. Das betrifft zum einen die Aussagegenese bei seiner Vernehmung vor dem Senat. So hat der Zeuge – wie im übrigen viele Zeugen – seine Erlebnisse nicht ausschweifend, sondern vielmehr sehr apodiktisch kurz und bündig mitgeteilt. Erst auf Nachfragen wurden Details, dann aber konstant geschildert. In Bezug auf die Da. hat er zu Beginn seiner Vernehmung zu diesem Tatkomplex – nach erstmaliger Schilderung des Angriffs des Liwa al-Tawhid als Hintergrund für die Verlegung der zwei Brüder in das Gefängnis von Abu Mohammad A. – angegeben, dass einer gestorben sei, dann sei Abu Dieb gekommen und dann sei auch der zweite gestorben. Im weiteren Verlauf der Vernehmung hat er auf Nachfrage den Verlauf detaillierter – wie festgestellt – geschildert. Er sei dort anwesend gewesen, weil er dort habe putzen müssen. Er sei in dem Raum gewesen, in dem gefoltert worden sei und habe mit eigenen Augen gesehen, dass Abu Mohammed A. und dessen Männer die Brüder so brutal gefoltert hätten, bis der erste der beiden verstorben sei. Welcher der beiden Brüder dies gewesen sei, hat A. A. nicht mehr mit Sicherheit sagen können – der Zeuge hat regelmäßig die Namen der beiden Brüder verwechselt, was die Vernehmungssituation erschwert hat und sowohl bei den Fragenden als auch dem Zeugen Missverständnisse hervorgerufen hat. Erst mit einer Abstrahierung nach der Reihenfolge der Getöteten konnte die Vernehmungssituation verbessert werden. Der Zeuge hat weiter geschildert, Abu Mohammed A. habe nach dem Angeklagten schicken lassen. Der Angeklagte habe bei seiner Ankunft gesagt: „Das Schwein ist tot. Ich ficke seine Schwester. Er sollte ruhig sterben.“ Nachdem der Angeklagte seinen Bruder über die Flucht des T. Da. informiert habe, habe dieser auf Bitte des Angeklagten diesen vorführen lassen mit den Worten: „Holt den anderen Hurensohn zu mir!"
223Nachdem der zweite, später getötete Bruder gebracht worden sei, habe der Angeklagte das Opfer durch einen Schlag gegen die Brust zu Boden gebracht. Er habe ihm den Fuß auf den Hals gesetzt und gefragt: „Du Hurensohn – wo ist T. Da.?“. Der Angesprochene habe aber gar nicht antworten können. Dann hätten alle unter Mitwirkung des Angeklagten angefangen, auf diesen Bruder einzuschlagen. Der Angeklagte selbst habe mit einem dicken, schwarz ummantelten Kupferkabel zugeschlagen. Die anderen hätten mit Stöcken geschlagen und auf das Tatopfer eingetreten. Während der Folterung dieses zweiten Bruders sei er, A. A., zwar von dem Angeklagten nach draußen geschickt worden, habe das Geschehen jedoch durch die geöffnete Türe verfolgen können, an der er gestanden habe. Er habe gesehen, wie dem Tatopfer eine milchig weiße, schaumige Flüssigkeit aus dem Mund geflossen sei. Der Angeklagte habe dann dem bewegungslos auf dem Boden liegenden Bruder mit seiner Pistole in die Brust geschossen. Später habe er dann auch den Raum, in dem die Brüder gefoltert worden seien, reinigen müssen. Alles sei dort voller Blut gewesen. Der Zeuge hat dann geschildert, dass er von dem Angeklagten in dessen Fahrzeug wieder zurück zum Hauptquartier genommen worden sei. Der Angeklagte sei vor der Abfahrt gefragt worden, was mit den Toten geschehen solle. Der Angeklagte habe wörtlich gesagt: „Schmeißt sie auf den Müll“.
224Der geschilderte – in Hinblick auf das spätere Hinzukommen des Angeklagten komplexe – Sachverhalt spricht aus Sicht des Senats für die Authentizität der Schilderung, zumal der Zeuge mit ihnen subjektive Eindrücke bzw. Erkenntnisse verbindet, indem er schildert, er habe bei der Aufforderung des Abu Mohammad A., den Angeklagten zu verständigen, das erste Mal dessen Vornamen – I. – erfahren, da Abu Mohammad A. seinen Untergebenen aufgefordert habe, „nach I. zu schicken, er soll kommen.“ Gestützt wird die Schilderung des A. A. durch die Aussage des Zeugen F. H., der bestätigt hat, A. A. sei tatsächlich zum Putzen in der Schule gewesen und habe ihm nach Rückkehr mit dem Angeklagten berichtet, dass die beiden Brüder umgebracht worden seien. Auch ein weiterer Bruder des Angeklagten, der Abu Ghazal genannt wird und der nach der Schilderung des A. A. ebenfalls am Tatort gewesen sei, habe ihm sichtlich erschüttert berichtet, dass die Brüder gefoltert worden seien, bis sie gestorben seien.
225Es war zwar nicht zu verkennen, dass der Zeuge A. A. den Angeklagten auch für den Tod des ersten Bruder verantwortlich hält, indem er angegeben hat, dass auch dieser Bruder „mit den Schlägen des Angeklagten“ gestorben sei und auf Nachfrage hierzu erläutert hat, dass der Angeklagte die Brüder zuvor in seinem Gefängnis bereits fast totgeschlagen habe. Der zuletzt genannte Eindruck wird auch von dem Zeugen F. H. geteilt. Er hat bei der Schilderung des Zustands der Brüder beim Abtransport in das Gefängnis von Abu Mohammad A. angegeben, Angst gehabt zu haben, dass die Brüder bei weiterer Folter sterben könnten. Auf Nachfrage, ob der Angeklagte beim Tod des ersten Bruders dabei gewesen sei, hat A. A. dann angegeben, dass der Angeklagte später gekommen sei.
226Abweichungen in der Aussage des A. A. zu der Niederschrift seiner Schilderungen im Rahmen der ersten polizeilichen Vernehmung vom 21. November 2014 beruhen auch hier darauf, dass der Zeuge zunächst von sich aus zusammenhängend von dem Geschehen berichtete und dabei die Abläufe teilweise raffte, vermeintlich Unwichtiges nicht erwähnte und immer wieder im zeitlichen Kontext sprang. Neben seinem ausführlich geschilderten eigenen Schicksal ging der Zeuge im Rahmen der Vernehmung auch kurz auf die Söhne der Um N. ein. Dabei erwähnte A. A. bei der Polizei etwa auch nicht den Angriff der Liwa al-Tawhid als Grund für die Verlegung der beiden Brüder zu Abu Mohammed A. – die Verlegung wird überhaupt nicht erwähnt. Der Senat hat dem Zeugen aus der Niederschrift Folgendes vorgehalten:
227„Am nächsten Tag haben sie die Brüder in zwei unterschiedliche Räume gesperrt. Sie haben dann zunächst I. Da. geholt und ihn draußen so lange geschlagen haben, bis er gestorben ist. Dies weiß ich deshalb, bei F. H. zu diesem Zeitpunkt draußen war um Tee zu kochen und es gesehen hat. Ich selbst konnte das Röcheln von I. Da. hören, als er starb und später habe ich den toten I. Da. gesehen. Abu Dieb hat zum Tod von I. Da. gesagt: „Das Schwein ist tot". Das habe ich selbst gehört.
228Während I. Da. geschlagen wurde, konnten T. Da. mit Hilfe von F. H. fliehen. Die Flucht konnte so durchgeführt werden, dass kein Verdacht auf F. H. fiel, weil T. Da. eine Tür zerstört hat und somit eine falsche Spur legen konnte.
229Aus Rache wurde dann M. Da. aus dem Zimmer geholt und ebenfalls so lange geschlagen bis er ebenfalls starb. Dies geschah auf Anordnung des Bruders von Abu Dieb, der sich Abu Mohammad nannte. Der lebt aber auch nicht mehr, da er von der ISIS geköpft wurde. Abu Mohammad sagt wörtlich, nachdem er bemerkte, dass T. Da. geflüchtet war: „Holt den anderen Hurensohn zu mir."
230Zwar entsprechen die einzelnen isolierten Angaben, die in abgeschlossen aufgenommenen Sätzen in dieser Passage der polizeilichen Zeugenvernehmung niedergelegt sind, je für sich verschiedenen festgestellten Umständen, die maßgeblich auch auf den Angaben des A. A. in der Hauptverhandlung beruhen. Diese einzelnen Angaben gegenüber der Polizei scheinen jedoch teilweise in eine andere zeitliche oder räumliche Beziehung zueinander oder einander gegenüber und zum Teil in einen geschichtlich anderen Kontext gestellt. Dies erweckt nicht nur vollkommen vordergründig den Eindruck einer Schilderung insgesamt verschiedener Sachverhalte.
231Der Senat hat daher dem Zeugen diese Passage aus der Niederschrift seiner polizeilichen Vernehmung im Zuge seiner Vernehmungen vor dem Senat mehrfach vorgehalten. Bereits beim ersten Vorhalt – Satz für Satz – hat er die beiden ersten Sätze als inhaltlich richtig bestätigt, nachdem er bereits zuvor geschildert hatte, dass zwei der Brüder in das Gefängnis von Abu Mohammad A. verbracht worden und die beiden anderen bei dem Angeklagten geblieben seien. In Bezug auf den dritten Satz hat der Zeuge A. A. unmittelbar und ohne längere Überlegungszeit angegeben, dass Abu Gazi dem T. Da. zur Flucht verholfen habe, „weil er für sie dann Tee gemacht“ habe. Das hat der Zeuge im weiteren Verlauf dahin näher ausgeführt, dass Abu Gazi (F. H.) sich frei im Quartier habe bewegen können, weil er u.a. für die Mitglieder der Katiba des Angeklagten Tee gekocht und sauber gemacht habe. Der Zeuge hat auf den Vorhalt unmittelbar weiter ausgeführt, dass die besagten Personen in der Schule gestorben seien und er – der Zeuge – auch dort gewesen sei, weil er dort „sauber gemacht“ habe.
232Nachdem der Zeuge A. A. bereits vor diesem Vorhalt in der Hauptverhandlung geschildert hatte, dass der Angeklagte nach dem Tod des ersten in der Schule gestorbenen Bruders mit einem Pick-up dorthin gekommen sei, hat er – für den Senat folgerichtig – die Sätze des Vorhalts von „Ich konnte das Röcheln ….“ bis „Das habe ich selbst gehört“ als richtig bestätigen. Der Zeuge hat sodann auch den übrigen Teil des Vorhalts als zutreffend bestätigt. Dies fügt sich – bezogen auf die isolierten Einzelaussagen – in die übrigen Schilderungen des Zeugen A. A. ein, auf denen die Feststellungen des Senats beruhen.
233Angesichts der offenkundigen Lücken in der niederlegten Schilderung aus der polizeilichen Vernehmung des Zeugen, hat der Senat ihm diese Passage mehrfach vorgehalten und ihn auch mit dem Umstand konfrontiert, dass die Niederschrift nahelege, dass das Geschehen im Hauptquartier des Angeklagten stattgefunden habe. Der Zeuge ist jedoch bei seiner Schilderung geblieben und hat auf Nachfrage ausgeführt, dass er der Auffassung sei, den Sachverhalt bei der Polizei so geschildert zu haben wie in der Hauptverhandlung. Die Lücken im Sachverhalt der vorzitierten Niederschrift sind zur Überzeugung des Senats zum einen mit dem bereits beschriebenen Aussageverhalten des Zeugen A. A. zu erklären, das – auch vor dem Senat – dadurch gekennzeichnet war, dass der Zeuge die ihm wichtig erscheinenden Eckpunkte eines Sachverhalts apodiktisch geschildert hat – ohne Rücksicht darauf oder Verständnis dafür, dass die ihn vernehmenden Personen mangels Kenntnis des Gesamtzusammenhangs nicht oder nur schwer in der Lage sein würden, diese Eckpunkte in einen Gesamtzusammenhang einzuordnen. Zum anderen sind die Lücken mit dem von der polizeilichen Verhörsperson, dem Zeugen KHK M., beschriebenen Umstand zu erklären, dass zu Beginn der Vernehmung bei den Vernehmungsbeamten keinerlei Kenntnisse über den geschilderten Sachverhalt bestanden hätten und so keine oder nur beschränkt Nachfragen zum Sachverhalt möglich gewesen seien. So hat der Satz, in dem A. A. erwähnt, F. H. habe Tee gekocht, nur scheinbar einen Bezug zu dem Vorangegangenen. Das lässt sich in Hinblick auf die eigenen geschilderten Wahrnehmungen vom Tode des I. Da. nur so erklären, dass sich diese Bemerkung mit dem Hinweis auf F. H. auf die Flucht des Talal aus dem Hauptquartier des Angeklagten bezieht, zumal der Zeuge ausweislich der Vernehmungsniederschrift dann doch eigene Wahrnehmungen vom Sterben und Tod des I. Da. schildert. Ebenso bezieht sich nach dem Ergebnis der Befragung in der Hauptverhandlung der Satz der Niederschrift „Dies geschah auf Anordnung des Bruders von Abu Dieb, der sich Abu Mohammad nannte.“ allein auf die Anordnung der Vorführung, was durch den letzten Satz der Passage aus Sicht des Senats bestätigt wird. Dass sich der von A. A. gegenüber der Polizei geschilderte Sachverhalt zum Nachteil der getöteten Brüder Da. nicht im Hauptquartier des Angeklagten, sondern in dem seines Bruders zugetragen hat, ergibt sich aus Sicht des Senats indiziell aus dem Umstand, dass Abu Mohammad A. die Vorführung des zweiten, später getöteten Bruders angeordnet hat. Dieser gehörte nicht zur Katiba des Angeklagten, sondern zur Gruppierung Durae-Al Shahbae, und hatte somit im Hauptquartier des Angeklagten keine Befehlsgewalt.
234Für die Richtigkeit der Aussage des Zeugen in den Vernehmungen vor dem Senat spricht das bereits geschilderte Aussageverhalten des Zeugen, das mit weiteren Nachfragen detaillierter geworden ist, und dass sich die Details in den Gesamtzusammenhang eingefügt haben. Mit Ausnahme der Vorgänge im Quartier des Abu Mohammad A. hat der Zeuge F. H. die Schilderung des A. A. in Bezug auf Anlass und Durchführung der Trennung der Brüder bestätigt.
235Neben der inhaltlichen Stringenz der Angaben in der Hauptverhandlung spricht für ein eigenes Erleben des Zeugen A. A. insbesondere auch hier deren Reichtum an Details. So hat etwa die im Rahmen der Schilderungen wiederholte Angabe des Zeugen, dass nach dem Tod des zweiten Bruders aus dessen Mund Schaum beziehungsweise eine milchähnliche Flüssigkeit lief, sehr plastisch und authentisch gewirkt. Entgegen seines sonstigen in der Hauptverhandlung gezeigten Verhaltens hat der Zeuge bei diesem Punkt der Schilderung zudem nicht vollkommen ruhig gewirkt, sondern – dem verstörenden Inhalt seiner Darlegungen entsprechend – innerlich sehr aufgewühlt. Auch das vom Zeugen im Rahmen seiner Aussage mehrfach geäußerte Unverständnis darüber, wie der zweite getötete Bruder habe wissen sollen, wohin T. Da. geflohen sei, nachdem dieser sich doch in einem anderen Gefängnis befunden habe, wirkte authentisch und nachvollziehbar.
236Angesichts der geschilderten Genese der Aussage in der Hauptverhandlung und den erörterten Realkennzeichen ist der Senat davon überzeugt, dass die Niederschrift der Aussage das vom Zeugen Gemeinte nur missverständlich wiedergibt.
237Der Einwand des Angeklagten, sein Bruder habe zu dieser Zeit gar keine Schule besetzt, widerspricht den Angaben einer Vielzahl von Zeugen. Neben A. A. und F. H. haben auch die Zeugen M. M., R. A. I. und N. S. M. geschildert, dass der Bruder des Angeklagten eine Schule als Quartier in Sakhour besetzt habe. Dabei wurde dieser Umstand von den Zeugen teils in gänzlich anderem Zusammenhang und eher nebenher erwähnt. Darüber hinaus hat der Angeklagte am 58. Hauptverhandlungstag an Hand eines Kartenausschnitts von Google-Maps die Lage der Schule beschrieben, wie sie der Senat festgestellt hat, ohne jedoch etwas zum Zeitpunkt zu sagen, ab wann sein Bruder dort ein Hauptquartier gehabt habe. Die festgestellte Entfernungsangabe beruht auf einer ungefähren Schätzung unter Berücksichtigung des eingeblendeten Langenmaßstabs. Die Entfernungsangabe von etwa 200 m entspricht im Übrigen auch einer Schätzung des Zeugen A. A. in der Hauptverhandlung – ohne Vorhalt eines Kartenausschnitts. Soweit der Angeklagte meint, die geschilderte Beobachtung sei aus baulichen Gründen nicht möglich gewesen, ist darauf hinzuweisen, dass der Zeuge angegeben hat, an der geöffneten Tür gestanden zu haben – ohne dass ihm die konkrete bauliche Situation vorgehalten worden wäre.
238Der von dem Angeklagten behaupteten Manipulation stehen die gleichen Erwägungen entgegen, die bereits zum ersten Tatkomplex erörtert worden sind und auf die Bezug genommen wird. Sämtliche Zeugen haben im Rahmen ihrer Angaben nach der Art ihrer eigenen Wahrnehmung differenziert und wiesen explizit darauf hin, wenn sie lediglich Angaben vom Hörensagen machen konnten. Auch belasteten die Zeugen den Angeklagten nicht über die Maßen. So machte etwa der Zeuge A. A. in der Hauptverhandlung stets deutlich, dass der Angeklagte beim Tod des ersten Bruders nicht zugegen und beteiligt gewesen sei. Der Zeuge F. H. hat angegeben, zur genauen Rolle des Angeklagten beim Tod der beiden Brüder im Gefängnis des Abu Mohammed A. keinerlei Angaben machen zu können, da ihm weder A. A. noch Abu Ghazal Details darüber berichtet hätten. Im Falle einer Absprache unter den Zeugen mit dem Ziel einer Falschbelastung des Angeklagten wäre hier jedoch eine Wiedergabe der Angaben des A. A. zu erwarten gewesen. Dies gilt auch für die Zeugen R. A. I. und N. S. M., die nach ihren Bekundungen gerade keine gesicherten Erkenntnisse über das Schicksal der vier Brüder hatten, geschweige denn von der Rolle des Angeklagten.
239Schließlich bestätigen auch die Inhalte von aufgezeichneten Telefongesprächen die Aussagen von A. A. und F. H. So berichtete etwa der Zeuge M. M. in einem Gespräch mit R. B. am 5. Juli 2015, ab 12.55 Uhr, F. H. wisse, dass der Angeklagte die Brüder Da. oft vor diesem geschlagen und gefoltert habe. In einem Gespräch zwischen den Zeugen A. A. und R. B. am 25. August 2015, ab 09.15 Uhr, erklärte A. A., dass M. Da. und I. Da. vom Angeklagten so lange geschlagen worden seien, bis sie gestorben seien. Dies sei vor seinen Augen passiert, er habe sogar vor dem Zimmer in der Schule gekehrt. Demgegenüber hat der Zeuge in der Hauptverhandlung durchgängig angegeben, dass der Angeklagte bei der Tötung des ersten Bruders nicht anwesend gewesen sei. Dass er ihn in Bezug auf den Tod auch des ersten Bruders für verantwortlich gehalten hat, hat er sowohl in der Hauptverhandlung als auch in dem Telefonat zum Ausdruck gebracht. Im Telefonat hat er dies gegenüber R. B. damit begründet, dass es sich einen Gefangenen des Angeklagten gehandelt habe und er – der Angeklagte – deshalb verantwortlich sei.
240b) Feststellungen zur subjektiven Tatseite
241Die Feststellungen des Senats zur subjektiven Tatseite ergeben sich aus Schlussfolgerungen auf der Grundlage der festgestellten objektiven Umstände sowie den nachfolgend dargestellten Beweiserhebungen.
242Die gilt insbesondere in Hinblick auf die Festnahme zum Zwecke der Lösegelderpressung. Der tatsächliche – festgestellte – Ablauf, der mit den Sachverhalten zum Nachteil der Zeugen A. A. und F. H., aber auch zum Nachteil des A. S. vergleichbar ist, begründet die Überzeugung des Senats, dass der Angeklagte seine Tatopfer in seinem Gefängnis schwer misshandelte, um seine Lösegeldforderung zu unterstreichen, und aus diesem Grunde anordnete, dass die vier Brüder noch mindestens drei Mal von seine Katiba-Mitgliedern misshandelt wurden.
243Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Angeklagte den zweiten getöteten Bruder unter Beteiligung seines eigenen Bruders Mohammad A. sowie weiterer Personen bis zu dessen Tod mit zumindest direktem Tötungsvorsatz weiter misshandelte. Dem Angeklagten war nach den Feststellungen zum einen bekannt, dass die beiden später getöteten Brüder aufgrund der Misshandlungen in seinem Gefängnis stark geschwächt waren. Zudem war er von seinem Bruder A. – Mohammad A. – über den Tod des ersten Bruders aufgrund von Folter informiert worden. Der Angeklagte wusste daher sicher, dass auch der zweite ihm vorgeführte Bruder weitere erhebliche Misshandlungen nicht überleben würde. Auch die Art und Weise der Befragung des zweiten getöteten Bruders in Verbindung damit, dass der Angeklagte ihm dabei seinen Fuß auf den Hals drückte, begründet in der Verbindung mit den darauf folgenden weiteren Misshandlungen die Überzeugung des Senats, dass der Angeklagte von diesem Tatopfer keine Antwort mehr erwartete, weil er sterben würde. Dementsprechend setzte der Angeklagte mit dem Schuss in die Brust seines Tatopfers den Schlusspunkt der von Anfang an auf die Tötung desselben ausgerichteten Handlungssequenz.
244Der Senat ist ferner davon überzeugt, dass der Angeklagte aus Verärgerung über die Demütigung, dass T. Da. aus seinem Hauptquartier hatte fliehen können, die tödlich endenden Misshandlungen eingeleitet und sich bis zum Tode seines Tatopfers an ihnen beteiligt hat. Dies ergibt sich zur sicheren Überzeugung des Senats zum einen aus der unmittelbaren Reaktion des Angeklagten nach der Entdeckung der Flucht als auch aus der Bezugnahme auf die Flucht in der konkreten Foltersituation.
245III. Zur Tat zum Nachteil des Zeugen A. S.
2461. Einlassung
247Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, den Zeugen nicht zu kennen und nie gesehen zu haben. Er hat in Zweifel gezogen, dass es die Bäckerei Rajab Abu A. überhaupt gebe. Der Angeklagte hält es für möglich, dass der Zeuge sich die Verletzungen selbst zugefügt habe.
2482. Beweiswürdigung
249Die Feststellungen zu diesem Tatkomplex beruhen auf den Angaben des Zeugen A. S. – mit Ausnahme derjenigen, die der Senat zu den Örtlichkeiten des Gefängnisses getroffen hat. Ergänzend hat der Senat den Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. R. zu rechtsmedizinischen Fragen angehört, und die Schnittverletzungen des Zeugen dokumentierende Lichtbilder in Augenschein genommen.
250Der Senat ist auf der Grundlage der Angaben des Zeugen davon überzeugt, dass er Gefangener des Angeklagten war und der Zeuge – wie festgestellt – zum Zwecke der Lösegelderlangung schwer misshandelt worden ist.
251a) Feststellungen zur objektiven Tatseite
252Der Zeuge A. S. hat den Angeklagten sowohl im Sitzungssaal als auch auf einem tatzeitnah aufgenommenen Video erkannt. Auf dem gleichen Video hat er auch den deutlich jüngeren und weniger stämmigen H. J. identifiziert, so dass eine wegen der Örtlichkeiten des Gefängnisses denkbare Verwechslung ausgeschlossen ist. Der Senat hat dem Zeugen das Video aus der Datei „07092013074.mp4“ ohne Ton vorgespielt. Dabei hat er den auf dem Fahrerhaus eines Pick-Up sitzenden H. J. erkannt, der die Griffe eines großen, auf der Ladefläche montierten Maschinengewehrs hielt. Den auf einem Bordstein sitzenden Angeklagten hat der Zeuge ebenfalls identifiziert. Dass es sich bei diesen Personen um die jeweils genannten handelt, ergibt sich zum einen aus der Inaugenscheinnahme des Videos sowie die durch den Sprachsachverständigen S. vorgenommene Übersetzung von Gesprächsanteilen. Danach beginnt das Video mit einem gesprochenen Text: „Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen. Die „Katiba Shuhada Sakhour“ (Katiba der Märtyrer von Sakhour), 07.09.2012. Erstürmung der Kaserne.“ Im weiteren Verlauf wird der Angeklagte mit seiner Kunja als „Abu Dieb“ bezeichnet und H. J. spricht unter Nennung seines Namens eine Schmähung gegen Assad aus. Zudem bestätigt auch die Einlassung des Angeklagten diese Identifikation. So hat er sich auf dieses Video bezogen und es dahin beschrieben, dass H. J. am Maschinengewehr gesessen habe und er selbst habe dort gesessen.
253Den Zeitpunkt seiner Entführung hat der Zeuge an Hand der Hochzeit seiner Schwester, die im Oktober 2012 in der Türkei geheiratet habe, konkretisiert. Er sei vor der Feier, an der er teilgenommen habe, freigelassen worden.
254Auch wenn die von dem Zeugen geschilderten Foltermethoden – insbesondere hinsichtlich des „Ritzens“ – von denen abweichen, unter denen A. A. und F. H. gelitten haben, ist der Senat an Hand der geschilderten Örtlichkeiten davon überzeugt, dass der Zeuge in dem beschriebenen Kellergefängnis unterhalb der Geschäftsräume des Abu R. gefangen gehalten wurde. Dass es dort ein unterirdisches Gefängnis gegeben hat, hat etwa der Zeuge N. S. M. beschrieben und auch ausgeführt, dass die normalen Mitglieder des Angeklagten keinen Zutritt gehabt hätten. Nur Verwandte des Angeklagten, zu denen er auch Abu Alarandas gezählt hat, hätten Zugang gehabt. Dass in dem Gefängnis auch gefoltert wurde, hat der Zeuge ebenfalls geschildert. So habe er in der Nähe der Kellertür gesessen und von drinnen Schläge gehört und Schreie eines Menschen. Grundsätzlich sei es aber so gewesen, dass an dieser Gebäudeseite die Wachen der Gruppe von H. J. gewesen seien und an der anderen – rechten Gebäudeseite – die Wachen der Gruppe des Angeklagten. Auf der linken Seite des Gebäudes – von der Gasse zwischen dem Hauptquartier des Angeklagten und dem vorbeschriebenen Gebäude aus gesehen – habe eine Treppe abwärts zu den Kellerräumen geführt. Damit korrespondiert der von dem Zeugen A. S. beschriebene Weg aus dem Kellergefängnis heraus zum Büro. So beschrieb der Zeuge, dass er nach dem Verlassen des Gefängnisses eine Treppe nach oben habe nehmen müssen. Zur Lage des Büros des Angeklagten befragt, in dem die Lösegeldübergabe stattgefunden habe, hat er Zeuge erklärt, das Büro befinde sich schräg gegenüber des Kellergefängnis. Befragt nach dem Weg, auf dem er zum Büro geführt worden sei, hat er angegeben, man habe ihn – entsprechend der Schilderung des N. S. M. – nicht direkt zum schräg gegenüberliegenden Büro gebracht, sondern um das Gebäude des Gefängnisses herum an der Hauptstraße entlang geführt. Zudem hat der Zeuge als weiteres Merkmal des Gebäudes, in dem sich das Kellergefängnis befunden hat, geschildert, dass es ein „Loch im Dach“ gegeben habe, was auch auf den Saal von Abu R. zutrifft. Zwar handelte es sich bei einem solchen Schaden in Sakhour angesichts der festgestellten Bombardierungen durch das Regime nicht um ein Alleinstellungsmerkmal. Im Zusammenhang mit den übrigen geschilderten Merkmalen ist der Senat indes überzeugt, dass es sich um den Gebäudekomplex handelt, in dem der Angeklagte in Sakhour sein Hauptquartier und sein – oberirdisches – Gefängnis hatte.
255Der Zeuge A. S. hat die Dauer seiner Gefangenschaft, die erlittenen Misshandlungen sowie die Befragung durch den Angeklagten – wie festgestellt – geschildert. Dies gilt namentlich für die beigebrachten Schnittwunden und deren „Behandlung“. Der Angeklagte hat ferner die Umstände der Lösegeldzahlung wie festgestellt in der Hauptverhandlung berichtet. Der Senat hält die Aussagen des Zeugen für uneingeschränkt glaubhaft. Der Senat hat bei der Würdigung der Aussage des Zeugen A. S. berücksichtigt, dass der Zeuge seine Angaben mit deutlich spürbarer Belastungstendenz gemacht hat. Er hat den Angeklagten als den „größten Dieb der Gegend“ bezeichnet. Er hat ihm einen Einfluss zugeschrieben, der nach Einschätzung des Senats für die Tatzeit wahrscheinlich nicht zutreffen kann – insbesondere in Bezug auf eine von dem Zeugen geschilderte persönliche Präsenz des Angeklagten im Stadtteil Bustal al Pascha. Der Senat hält es für möglich, dass der Zeuge spätere Ereignisse in dem Stadtteil nach seiner Rückkehr dorthin in seine Betrachtung mit einbezogen und sich auf einen Zeitraum bezogen hat, in dem der Angeklagte über etwa 150 bis 200 Milizangehörige verfügte. Der Zeuge hat sich und seine Familie – wie festgestellt – als Regimegegner dargestellt, obwohl die M.s, zu denen seine Familie gehöre, bekanntermaßen dem Regime zuneige. Als Regimegegner hat er in der Hauptverhandlung auch seine Verbitterung über den Verlauf der Revolution zum Ausdruck gebracht, deren Ziele „Menschen wie der Angeklagte“ verraten hätten. Indes spricht der Umstand, dass seine Aussagen in der Hauptverhandlung in allen wesentlichen Einzelheiten seinen Schilderungen in seiner polizeilichen Vernehmung aus dem Sommer 2015 entsprechen, für einen erlebnisbasierten Bericht. Dabei konnten vermeintliche, auch hier im Wesentlichen auf bruchstückhaftere, sprunghaftere bzw. gerafftere Schilderungen zurückführbare Widersprüche aus der polizeilichen Vernehmung in der Hauptverhandlung aufgeklärt werden. Wenn er – der Zeuge – die Gruppe des Angeklagten in der polizeilichen Vernehmung als Gruppe der al-G. bezeichnet habe, so habe er damit die Untergruppe und nicht die Ghoraba ash-Sham gemeint – die einzelnen Katibas seien häufig nach ihrem Anführer oder dem Stamm bezeichnet worden. Eine signifikante Abweichung hat es lediglich in Hinblick auf die Schilderung gegeben, wer dem Angeklagten im Büro des Angeklagten das Lösegeld übergeben habe. In der Hauptverhandlung schilderte er zunächst – entgegen seinen Schilderungen bei der Polizei –, dass ein Freund seines Vaters gekommen sei. Auf nachdrückliche Befragung und auf Vorhalt durch den Vorsitzenden erklärte der Zeuge, sein Vater sei tatsächlich gekommen und er habe hier in Anwesenheit des Angeklagten nicht erklären wollen, dass dieser damals seinen Vater gesehen habe.
256Soweit der Angeklagte in Zweifel gezogen hat, dass es die von dem Zeugen benannte Bäckerei Rajab Abu A. überhaupt gebe, haben die Zeugen A. A. und F. H. deren Existenz bestätigt. A. A., dem nicht bewusst gewesen ist, dass der Zeuge A. S. dort vor seiner Entführung gearbeitet hatte, hat geschildert, die Bäckerei Rajab Abu A. habe etwa 300 Meter vom ersten Quartier des Angeklagten in Bustan al Pascha entfernt gelegen und auch die Männer von M. A. H. seien dort hingegangen. Der Zeuge F. H. hat angegeben, diese Bäckerei zu kennen, sie befinde sich an einer Bushaltestelle an der Hauptstraße.
257Schließlich sieht der Senat keine Veranlassung für den Zeugen, den Angeklagten zu Unrecht mit einem so schweren Vorwurf falsch zu belasten. Dass der Zeuge A. S. die Folterungen tatsächlich erlitten und sich die Verletzungen nicht selbst zugefügt hat, wie es der Angeklagte vermutet, steht zur Überzeugung des Senats fest. Die zahlreichen, im Einzelnen aufgeführten wulstigen Narben auf dem Körper des Zeugen lassen es bereits als völlig abwegig erscheinen, dass sich der Zeuge die diesen zugrunde liegenden, erheblichen Verletzungen selbst beigebracht hat. Abgesehen davon, dass das Verhalten des Zeugen vor Gericht keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme umfangreicher Selbstverletzungen geboten hat, hat auch der Sachverständige Univ.-Prof. Dr. R., Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität …, der den Zeugen eingehend körperlich untersucht hat, dargelegt, dass er keine äußeren Anzeichen für einen aktuellen oder früheren Drogenkonsum beim Zeugen habe ausmachen können. Zwar seien die Bereiche des Körpers, auf denen sich die Verletzungen des Zeugen A. S. befänden, für diesen grundsätzlich selbst erreichbar gewesen. Während die von dem Sachverständigen vorgefundenen Verletzungen an den Unterarmen noch mit einer Persönlichkeitsstörung wie etwa „Borderline“ vereinbar sein könnten, handele es sich bei den Verletzungen am linken Oberarm am Bauch und an der Brust um veritable Schnitte, die weit unter die Lederhaut gegangen seien. Es handele sich nicht bloß um Ritzen. Für eine Selbstverletzung sei die Lokalisation zudem ungewöhnlich. Auch hat der Sachverständige erklärt, dass die Verteilung der Narben auf dem Körper des Zeugen gut mit der von diesem beschriebenen Situation in Einklang zu bringen sei. Trete dem Zeugen ein Rechtshänder als Peiniger gegenüber, hätte dieser den besten Zugriff auf dessen linke Körperseite, den Bauch und den Brustbereich – also genau die Körperteile des Zeugen, welche die Verletzungen aufweisen. Auch das Bild der Narben sei mit den Angaben des Zeugen zu deren Entstehung in Einklang zu bringen. Insbesondere sei die Narbenform typisch für Schnitte. Sämtliche Narben seien bereits mindestens sechs bis zwölf Monate alt und könnten ohne weiteres in engem zeitlichem Zusammenhang zueinander entstanden sein. Eine nähere Eingrenzung sei nicht möglich, weil sich die Narbenbilder nach der angegeben Zeit nicht mehr veränderten.
258Darüber hinaus ist auch die von dem Zeugen geschilderte Wundversorgung durch Milizionäre plausibel. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen spreche die Vernarbung dafür, dass keine hinreichende Wundadaption erfolgt sei. Er – der Sachverständige – käme bei diesem Narbenbild nicht auf die Idee, dass die Wunden in engem zeitlichem Zusammenhang mit ihrer Entstehung chirurgisch versorgt worden seien. Ein überwiegender Teil der Schnitte sei gar nicht genäht worden, obwohl dies aufgrund der Größe der Verletzungen angezeigt gewesen wäre. Die tatsächlich genähten Wunden seien sehr breit verwachsen, so dass davon auszugehen sei, dass die Nähte entweder zu locker gesetzt, ungeeignetes Material verwendet oder aber der Faden zu früh entfernt worden sei. Grundsätzlich gebe es zwar Menschen, die zu einer wulstigen Narbenbildung neigen. Wäre dies jedoch beim Zeugen der Fall, so hätte sich dies auch bei den restlichen Narben gezeigt. Zudem sei beim Zeugen unter anderem auch eine sogenannte „Sacknaht“ angebracht worden. Diese werde eigentlich nur beim Nähen von Leichen, nicht jedoch bei Lebenden verwandt, da sie zu einer unschönen Narbenbildung führe. Grundsätzlich könne jeder eine Wunde zunähen. Wenn es schön werden solle, brauche man aber Fachkenntnisse. Schließlich hat der Sachverständige Prof. Dr. R. ausgeführt, dass die vom Zeugen beschriebene Wundversorgung ohne Narkose durchaus möglich sei, wenn auch – wie vom Zeugen eindrücklich beschrieben – sehr schmerzhaft. Die Tatsache, dass die Wunden des Zeugen nicht fachärztlich versorgt wurden, spricht aus Sicht des Senats dafür, dass der Zeuge direkt nach Entstehung der Wunden keinen Zugang zu einer adäquaten ärztlichen Behandlung gehabt hatte, anderenfalls hätte er sich mit derartigen Wunden sicherlich in eine solche begeben. Dies wiederum lässt sich in Einklang bringen mit der Angabe des Zeugen, dass er sich zu diesem Zeitpunkt in Gefangenschaft befunden habe.
259Dass die von dem Zeugen beschriebene Wundversorgung nicht unüblich war, wird durch die Angaben des Zeugen M. F. bestätigt. Dieser Zeuge hat berichtet, Abu Diebo al-Khal habe ein Messer nach ihm geworfen, wodurch er eine Wunde am Fuß erlitten habe. Die Wunde sei im Gefängnis genäht worden – mit einem normalen Faden. Er bejahte die Nachfrage, ob dies ein Faden gewesen sei, wie man ihn zum Nähen von Stoffen verwende. Der Nähende habe das nicht sehr gut gemacht, es habe aber seinen Zweck erfüllt und der Mann habe ihm Gutes getan.
260Ein plausibles Motiv für eine Falschbelastung des Angeklagten durch A. S., von der der Angeklagte ausgeht, wäre eine von dem Zeugen A. S. organisierte Manipulation – etwa durch eine erhebliche Geldzahlung. Dies schließt der Senat indes aus, da es keine belastbaren Anhaltspunkte hierfür gibt. A. S. und A. A. berichteten zwar übereinstimmend, sie hätten sich in Syrien flüchtig in der Gruppierung von M. A. H. kennengelernt. A. A. habe sich mit M. A. H. unterhalten. Er – A. S. – sei dazugekommen und M. A. H. habe zu A. A. gesagt: „Dieser junge Mann war mit dir im Gefängnis.“ Erst zu diesem Zeitpunkt habe er erfahren, dass A. A. und er bei derselben Person inhaftiert gewesen seien. Während A. S. angegeben hat, er wisse nicht, in welchem Gefängnis A. A. gewesen sei, hat A. A. zur Inhaftierung A. S. überhaupt nichts gesagt. A. S. hat dazu erklärt, dass er wegen des Altersunterschieds – A. A. sei wesentlich älter – keinen intensiven Kontakt zu A. A. bei M. A. H. gehabt habe und in Europa gratuliere man sich zu bestimmten Anlässen wie dem Opferfest. Hätten sich A. A. und A. S. tatsächlich zum Nachteil des Angeklagten abgesprochen, wäre zu erwarten gewesen, dass beide sich eine einfachere Geschichte ausgedacht hätten. In einem solchen Fall wäre nicht nachvollziehbar, dass A. S. angegeben hat, zunächst für zwei Tage in einem anderen Gefängnis inhaftiert gewesen zu sein und erst dann in das beschriebene Kellergefängnis gekommen zu sein. Auch hätte es sich aufgedrängt, als vermeintlichen Tatort die Halle zu bezeichnen, in der auch A. A. inhaftiert gewesen ist, denn die Werkstatthalle und die äußeren Begebenheiten hätte A. A. dem A. S. unschwer beschreiben können. Somit wäre ein vorgetäuschter Sachverhalt auch für A. S. einfacher zu behalten und wiederzugeben gewesen. Tatsächlich war der Zeuge A. S. nicht in der Lage, an Hand eines Kartenausschnitts von Sakhour die ungefähre Gegend anzugeben, aus der ihn sein Vater nach der Lösegeldzahlung abgeholt hat, was für sich genommen plausibel ist, stammt er doch nicht aus dieser Gegend, sondern hatte sich nach seiner glaubhaften Schilderung aufgrund seiner Einberufung durch das Militär zum 1. Januar 2012 durch Umzug in die Rebellengebiete dem Regime entzogen. Der Senat schließt aus, dass sich die Zeugen A. A. und A. S. überhaupt intensiver über die Örtlichkeiten ihrer jeweiligen Gefängnisse und über die Lage des Büros des Angeklagten ausgetauscht haben. Dann wäre ihnen sicher aufgefallen, dass A. S. in dem Kellergefängnis in dem anderen Teil des Saals von Abu R. gewesen ist und A. A. hätte dem Zeugen bessere Informationen über die Örtlichkeiten geben können. Tatsächlich wusste A. A. überhaupt nichts davon, dass der Angeklagte den beschriebenen Keller als Gefängnis nutzte.
261Die Tatsache, dass der Zeuge die Frage nach dem Aussehen des Abu Alarandas, welcher ihn im Gefängnis gefoltert habe, nicht beantwortet, sondern zunächst lediglich angegeben hat, Abu Alarandas interessiere ihn nicht, denn es sei Abu Dieb, um den es hier gehe, führt entgegen der Auffassung der Verteidigung nicht zu einer fehlenden Glaubhaftigkeit der Zeugenangaben. Der Zeuge hatte sowohl bei seiner polizeilichen Vernehmung als auch in der Hauptverhandlung angegeben, das Gesicht des Abu Alarandas nicht gesehen zu haben, weshalb er naturgemäß keine Angaben zu einer Gesichtsverletzung machen konnte. In seiner zweiten Vernehmung in der Hauptverhandlung präzisierte A. S., Abu Alarandas habe sein Gesicht mit einem Tuch verdeckt gehabt. Die Maskierung der Folterer entspricht häufigen Berichten von Folteropfern des Regimes oder oppositioneller Gruppierungen. Auch liegt es psychologisch in der Natur der Sache, dass Folteropfer ihren Peinigern nicht direkt ins Gesicht schauen, um diese nicht zu provozieren. Dies hat auch der Zeuge geschildert. Alle Gefangenen hätten vermieden, den Folterern ins Gesicht zu sehen. Dass der Zeuge einen ihm seitens der Verteidigung vorgehaltenen Sprachfehler bzw. eine ungewöhnliche Aussprache des Abu Alarandas auf diesbezügliche Nachfrage nicht geschildert hat, stellt die Richtigkeit seiner Aussagen ebenfalls nicht in Frage. Auch der Zeuge A. A., der während seiner Inhaftierung nach seinen Angaben häufig mit Abu Alarandas in Kontakt gekommen war, hat zunächst auf Frage nach Besonderheiten des Abu Alarandas keine benannt. Erst auf konkrete und durch Vorhalt der Verteidigung an A. S. veranlasste Frage nach einem Sprachfehler hat A. A. angegeben, dass Abu Alarandas entweder das „r“ oder das „i“ nicht habe richtig aussprechen können. Mithin handelt es sich bei diesem Merkmal des Abu Alarandas nicht um eine offensichtliche Auffälligkeit, zumal der Zeuge A. S. keine ausführlichen Gespräche mit Abu Alarandas geschildert hat, die Foltersituation im Gefängnis hierzu keinen Anlass bot und der Zeuge darüber hinaus angegeben hat, von dem Angeklagten verhört worden zu sein.
262Schließlich ist aufgrund der bereits wiedergegebenen Aussagen des R. A. I. und N. S. M. zur Verletzung des Abu Alarandas und deren Folgen nicht ausgeschlossen, dass der Zeuge diesen als Peiniger während seiner Gefangenschaft erlebte.
263Soweit der Zeuge auf Fragen der Verteidigung nach der Dauer bis zum Eintritt der Blutungsstillung seiner Wunden und ob beim Auspeitschen voll durchgezogen worden sei, unwirsch reagierte, ist dies nachvollziehbar. Derartige Details sind für Folteropfer angesichts der Ungewissheit bezüglich ihres eigenen Schicksals nebensächlich und entsprechende Fragen wirken – nachvollziehbar – grotesk. Ebenso nachvollziehbar ist angesichts des Erlittenen die von dem Zeugen offen bekundete Wut über den Angeklagten und der geäußerte Wunsch, der Angeklagte werde das Gefängnis nie mehr verlassen. Die Wut und Verärgerung des Zeugen über den Angeklagten – auch in Hinblick auf dessen von dem Zeugen so bezeichneten Verrat an der Revolution – haben den Zeugen nicht dazu veranlasst, den Angeklagte übertrieben zu belasten. So gab der Zeuge an, der Angeklagte sei nicht stets bei den Folterungen anwesend gewesen und habe auch nicht immer selbst an den Folterungen teilgenommen, sondern häufig nur zugesehen. Insbesondere während ihm die Schnitte mit dem Messer zugefügt worden seien, sei der Angeklagte nicht anwesend gewesen. Dies sei erst später gewesen, als er wie eine Hose oder Bluse genäht worden sei.
264b) Feststellungen zur subjektiven Tatseite
265Die Feststellungen des Senats zur subjektiven Tatseite ergeben sich aus Schlussfolgerungen auf der Grundlage der festgestellten objektiven Umstände.
266Die gilt insbesondere in Hinblick auf die Festnahme zum Zwecke der Lösegelderpressung. Der tatsächliche – festgestellte – Ablauf begründet die Überzeugung des Senats, dass der Angeklagte den Zeugen zum Zwecke der Lösegelderpressung hat festnehmen und entführen lassen und seine Katiba-Mitglieder, die zu dem Kellergefängnis Zugang hatten, angewiesen hatte, den Zeugen – wie geschehen – zu misshandeln.
2673. Teil: Rechtliche Würdigung
2681. Der Angeklagte hat sich nach den getroffenen Feststellungen gemäß §§ 239a Abs. 1, Alt. 1 StGB, 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB i.V.m. § 25 Abs. 2 StGB in zwei Fällen des erpresserischen Menschenraubes schuldig gemacht, in einem Fall in Tateinheit mit 56 Fällen des Kriegsverbrechens gegen Personen durch Folter zum Nachteil des Zeugen A. A. sowie in einem weiteren Fall in Tateinheit mit 28 Fällen des Kriegsverbrechens gegen Personen durch Folter zum Nachteil des Zeugen F. H. Im Tatkomplex Da. hat sich der Angeklagte in vier Tateinheitlich zusammentreffenden Fällen gemäß §§ 239a Abs. 1 Alt. 1 StGB, 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB i.V.m. § 25 Abs. 2 StGB jeweils in Tateinheit mit vier Fällen des Kriegsverbrechens gegen Personen durch Folter zum Nachteil von T. Da., N. Da., I. Da. und M. Da. sowie gemäß §§ 211 Abs. 2 StGB, 8 Abs. 1 Nr. 1 und 3 VStGB, § 25 Abs. 2 StGB in einem weiteren tateinheitlich zusammentreffenden Fall des Mordes aus niedrigen Beweggründen und Kriegsverbrechens gegen Personen durch Folter und Tötung schuldig gemacht.
269Schließlich hat sich der Angeklagte zum Nachteil des Zeugen A. S. gemäß §§ 239a Abs. 1 Alt. 1 StGB, 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB i.V.m. § 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht des erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit vier Fällen des Kriegsverbrechens gegen Personen durch Folter.
2702. Die Anwendbarkeit der Normen des Völkerstrafgesetzbuchs auf den vorliegenden Fall folgt aus § 1 Abs. 1 Satz 1 VStGB. Der Senat konnte auf die angeklagten Sachverhalte gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB das deutsche Strafgesetzbuch anwenden. Der Angeklagte ist als syrischer Staatsbürger Ausländer und ist im Inland betroffen, da er durchgängig ab seiner Einreise am 29. September 2014 in Deutschland wohnhaft und aufhältig war. Die Taten – im prozessualen Sinne – des Angeklagten sind auch nach syrischem Recht strafbar. Tötungsdelikte sind nach Art. 533 ff. des syrischen Strafgesetzbuches unter Strafe gestellt, Freiheitsberaubung nach Art. 555 ff.; die Körperverletzungsdelikte sind in Art. 540 ff. geregelt. Der Senat hat die von dem Max-Planck-Institut für den Tatzeitraum aus öffentlichen Quellen zugänglichen Normen ermitteln und übersetzen lassen. Die übersetzte Fassung der entsprechenden Vorschriften hat der Senat durch Verlesen in die Hauptverhandlung eingeführt. Schließlich ist eine Auslieferung des Angeklagten nach der Art der Taten wegen des Fehlens eines Auslieferungsabkommens mit der Islamischen Republik Syrien gemäß dem daher allein maßgebenden IRG zulässig, jedoch aktuell ausgeschlossen, weil derzeit – ausweislich der zuletzt eingeholten mündlichen Auskunft beim Bundesamt für Justiz am 4. Juni 2018 – weder ein Auslieferungsverkehr noch ein Rechtshilfeverkehr mit Syrien stattfindet.
2713. a) Der Senat bejaht auf der Grundlage seiner Feststellungen das Vorliegen eines jedenfalls im gesamten Tatzeitraum (noch) nichtinternationalen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 8 Abs. 1 VStGB. Ein solcher liegt nach dem Völkerstrafrecht bei einer ausgedehnten bewaffneten Auseinandersetzung zwischen der Regierung und organisierten bewaffneten Gruppen oder zwischen solchen organisierten bewaffneten Gruppen innerhalb eines Staates vor. Zur Abgrenzung von bloßen inneren Unruhen, Spannungen, Tumulten sowie vereinzelt auftretenden Gewalttaten und ähnlichen Handlungen ist es erforderlich, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen ein bestimmtes Maß an Intensität überschreiten und die beteiligten nichtstaatlichen Gruppen ein Mindestmaß an Organisationsstruktur aufweisen. Nach den Feststellungen des Senats fanden jedenfalls in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2012 nahezu landesweit flächendeckende Kämpfe zwischen der Regierung und oppositionellen bewaffneten Gruppierungen statt, bei denen die Regierung – wie festgestellt – schwere Waffen wie gepanzerte Militärfahrzeuge, Hubschrauber und Flugzeuge sowie Artillerie einsetzte. Die Auseinandersetzung ist auch durch einen hohen Personaleinsatz gekennzeichnet – die Regierung verlegte allein im August diesen Jahres 20.000 Soldaten nach Aleppo. Die großen Konfliktakteure wie Jabhat al-Nusra, aber auch Liwa al-Tawhid, verfügten über Strukturen, die es ermöglichten, größere koordinierte Operationen – wie festgestellt – durchzuführen. Sie verfügten auch – wie festgestellt – über Ausbildungsstrukturen. Mit Rücksicht auf die Koordinierungsfunktion der Liwa al-Tawhid wurden auch kleinere Gruppen eingebunden, was es ermöglichte, etwa in Aleppo koordinierte Vorstöße zu unternehmen.
272Unabhängig von der Frage, ob der syrische Bürgerkrieg durch das Eingreifen ausländischer Kräfte inzwischen soweit „internationalisiert“ ist, dass von einem internationalen bewaffneten Konflikt auszugehen wäre (vgl. hierzu Geiß/Zimmermann, in: Münchener Kommentar StGB, Band 8, 3. Aufl. 2018, § 8 VStGB Rdnr. 101 ff. mwN.), war dies jedenfalls im gesamten Tatzeitraum nicht der Fall. Zum einen handelte es sich bei der Unterstützung aus dem Ausland um eine überschaubare Zahl iranischer bzw. schiitischer Kämpfer, zum anderen handelten diese – wie der Sachverständige Dr. S. es ausgeführt hat – auf Seiten der Regierung sowie auf deren Bitte hin.
273b) Bei sämtlichen Geschädigten handelt es sich um nach humanitärem Völkerrecht zu schützende Personen gemäß § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB. Das sind solche Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden. Die Zeugen A. A., F. H., A. S. sowie die vier Da.-Brüder befanden sich zum Zeitpunkt der Misshandlungen in der Gewalt der vom Angeklagten befehligten Katiba und nahmen (daher) nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teil.
274Die Geschädigten waren zum Tatzeitpunkt Zivilisten, die sich nicht am bewaffneten Konflikt beteiligten. Das gilt für A. A. und F. H., weil sie sich der Katiba von Abu A. nicht angeschlossen hatten, sondern mit ihr lediglich lose kooperierten, um ihre Nachbarschaft sowie die Wohnungen und Geschäfte ihrer geflohenen Nachbarn zu schützen. Beide beteiligten sich in diesem Zeitraum nicht an Kämpfen gegen die Truppen des Regimes.
275Die Brüder Da. sowie der Zeuge A. S. waren ihrerseits am Konflikt unbeteiligte Zivilisten. A. S. arbeitete in einer Bäckerei und hatte sich der Aufforderung, sich einer Miliz anzuschließen, mehrfach verweigert. Die Brüder Da. waren Geschäftsleute, die einen Marktstand betrieben.
276Alle Geschädigten sind auch der gegnerischen Partei zuzuordnen. Die internationale Rechtsprechung sieht es für einen humanitär-völkerrechtlichen Schutz als ausreichend an, wenn das jeweilige Tatopfer sich in der Gewalt einer Konfliktpartei befindet, der es keine Gefolgschaft schuldig ist (vgl. hierzu JStGH, Prosecutor vs. Tadic, (IT-94-1-A), Urteil, Berufungskammer, 15. Juli 1999, §§ 164-166). Dieser Auffassung ist der deutsche Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung zum VStGB gefolgt. Darüber hinaus sollen nach dieser Begründung Angehörige humanitärer Hilfsmissionen und friedenserhaltender Missionen vom Schutzbereich umfasst sein, die per se keiner Konfliktpartei angehören. Alle Tatopfer sind daher der „gegnerischen“ Partei zuzurechnen:
277Der syrische Bürgerkrieg ist im Vergleich zu anderen historischen bewaffneten Konflikten von einer außerordentlich hohen Komplexität geprägt. Die Anzahl und Ausrichtung der bewaffneten Gruppen ist nach Ausführung der Sachverständigen Dr. K. kaum überschaubar und wechselnd. Sie entstehen, lösen sich wieder auf und kämpfen in wechselnden Koalitionen, mal gemeinsam, bald gegeneinander. Es ist daher im Einzelfall kaum möglich, eine bestimmte Zivilperson bzw. eine Person, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnimmt, nach objektiven äußeren Kriterien einer bestimmten Konfliktpartei zuzurechnen. Solchen, nicht an Kampfhandlungen teilnehmenden Personen den Schutz des VStGB zu versagen, widerspräche dem Sinn und Zweck des humanitären Völkerrechts. Es muss daher in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien ausreichen, wenn das Opfer objektiv nicht der Partei des Täters angehört, mithin dieser Partei keine Gefolgschaft schuldet und der Täter das Opfer angreift, weil er es der gegnerischen Partei zurechnet und das Opfer als „Feind“ behandelt. Die Zeugen A. A. und F. H. sollten als zivile Unterstützer der Katiba von Abu A. durch die Festnahme daran gehindert werden, Plünderungen in ihrer Nachbarschaft zu unterbinden. Sie wurden insoweit von dem Angeklagten als Feind behandelt.
278Eine Zuordnung als gegnerische Partei ist umso mehr anzunehmen, wenn eine aufständische Konfliktpartei Personen, die nicht an Feindseligkeiten teilnehmen, unter dem Vorwurf angreift, mit dem bekämpften Regime zu sympathisieren, da auch in einer Konfliktsituation ein Bürger eines Landes rechtlich zunächst einmal seinem Staat und dessen Regierung unterworfen bleibt und ihm Gefolgschaft schuldet, auch wenn er diese im Einzelfall ablehnt. Der Angeklagte hat den Da.-Brüdern bzw. A. S. vorgeworfen mit dem Assad-Regime zu sympathisieren und dieses zu unterstützen.
279c) Hinsichtlich sämtlicher Geschädigter liegen die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB vor, denn die festgestellten körperlichen Misshandlungen sind als Folter zu werten. Die über eine einfache Köperverletzung hinausgehende Erheblichkeitsschwelle für das Vorliegen von Folter ist erreicht. Alle Geschädigten wurden über erhebliche Zeiträume immer wieder mit verschiedenen Gegenständen geschlagen. Teilweise wurden sie dabei ohnmächtig. Dies gilt auch für den Zeugen A. S., der darüber hinaus in einem Fall durch schmerzhafte Messerschnitte erheblich verletzt und entstellt wurde.
280d) Der Angeklagte hat die Tathandlungen im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt begangen. Der erforderliche Zusammenhang ist nach dem Völkerstrafrecht dann gegeben, wenn das Vorliegen eines bewaffneten Konfliktes für die Fähigkeit des Täters, das Verbrechen zu begehen, für seine Entscheidung zur Tatbegehung, für die Art und Weise der Begehung oder für den Zweck der Tat von wesentlicher Bedeutung ist – die Tat mithin nicht lediglich „bei Gelegenheit“ des bewaffneten Konflikts begangen wurde.
281Der Angeklagte war Führer einer eigenständigen bewaffneten Miliz, die zwar im Tatzeitraum offiziell unter dem Dach der Ghoraba ash-Sham und der FSA agierte und an deren Seite kämpfte, jedoch eine in sich geschlossene Einheit bildete und eine eigene interne Hierarchie besaß. Die Milizmitglieder waren allein dem Angeklagten Gehorsam schuldig. Die Gruppierung beteiligte sich – wie festgestellt – aktiv an Kämpfen gegen Angehörige der syrischen Regierung, um diese aus Aleppo zu verdrängen. Der Angeklagte war folglich militärischer Anführer einer aktiv in den syrischen Bürgerkrieg eingebundenen Kampfeinheit, die in den Bereichen um die Quartiere frei schalten und walten konnte, da die Staatsgewalt und ein großer Teil der einheimischen Bevölkerung aufgrund des Krieges nicht mehr präsent waren. Der in Syrien herrschende Bürgerkrieg war notwendige Voraussetzung dafür, dass der Angeklagte eine Miliz aufbauen, mit dieser an Kämpfen teilnehmen und die durch die Kriegswirren entstandenen rechtsfreien Räume zu Plünderungen, Entführungen, Erpressungen und Folterungen ausnutzen konnte. Die Taten des Angeklagten wären ohne den bewaffneten Konflikt nicht denkbar gewesen.
2824. Die Tötung des zweiten verstorbenen Da.-Bruders (I. Da. oder M. Da.) stellt sich nach deutschem Strafrecht als Mord aus niedrigen Beweggründen im Sinne von § 211 Abs. 2 Gruppe 1 Variante 4 dar. Die Tötung des gefangenen Tatopfers aus bloßer Wut über die Flucht eines anderen Gefangenen steht sittlich auf tiefster Stufe und ist deshalb besonders verachtenswert.
2834. Teil: Rechtsfolgenausspruch
284A. Strafzumessung
285I. Straftaten zum Nachteil der Zeugen A. A. und F. H.
286Der Senat hat die Strafen bezüglich der Taten zum Nachteil der Zeugen A. A. und F. H. dem Strafrahmen des § 239a Abs. 1 StGB entnommen, der in Verbindung mit § 38 Abs. 2 StGB Freiheitsstrafe von fünf bis zu 15 Jahren vorsieht und damit die höhere Strafandrohung gegenüber § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB enthält, der lediglich einen Strafrahmen von drei bis zu 15 Jahren eröffnet. Die Voraussetzungen zur Bejahung eines minder schweren Falles nach § 239a Abs. 2 StGB liegen nicht vor. Einerseits liegt kein übergreifender fakultativer Strafmilderungsgrund nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vor, da der Angeklagte zur Tatzeit wegen des fehlenden Vorliegens eines Eingangsmerkmals nach § 20 StGB weder in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt noch seine Einsichtsfähigkeit berührt war. Wegen der Einzelheiten wird auf die nachfolgenden Ausführungen zu der – nicht verhängten – Maßregelanordnung Bezug genommen. Im Übrigen lagen die Voraussetzungen eines minder schweren Falles aufgrund der erheblichen tateinheitlich verwirklichten Folterungen nicht vor.
287Darüber hinaus kommt auch eine fakultative Strafmilderung nach §§ 239a Abs. 4, 49 Abs. 1 StGB nicht in Betracht - unabhängig davon, ob der Angeklagte seine Tatopfer tatsächlich unter Verzicht auf die erstrebte Leistung in dessen Lebenskreis hat zurückgelangen lassen. Neben der Dauer der Gefangennahme und den erheblichen tateinheitlich mitverwirklichten Folterungen hat der Senat im Rahmen seiner Ermessensausübung berücksichtigt, dass der Angeklagte die Zeugen A. A. und F. H. nur gegen das Versprechen freigelassen hat, dass sie in Zukunft für ihn in seiner Katiba arbeiten würden. Während sich A. A. letztlich dieser Forderung durch Anschluss an die Katiba von M. A. H. entzog, folgte der von dem Angeklagten deswegen mit einer Pistole bedrohte F. H. der Aufforderung des Angeklagten. Darüber hinaus erbeuteten der Angeklagte und Abu Diebo al-Khal bei der während der Gefangenschaft ausgeführten Plünderung der Wohnung des A. A. neben Hausrat auch 1.000 syr. Lira. Auch F. H. wurde Opfer einer Plünderung, die durch den Angeklagten und Abu Diebo al-Khal veranlasst worden war.
288Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat der Senat zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass seine Angaben zu bestimmten Randbereichen seine Überführung erleichtert haben und hat ihnen insoweit das Gewicht einer teilgeständigen Einlassung zugebilligt. Letztlich diente die Einlassung des Angeklagten – bezogen auf A. A. und F. H. – nicht dazu, strafbares Verhalten einzuräumen, sondern dazu, angeklagtes strafbares Verhalten bis auf eine von dem Angeklagten nicht veranlasste Freiheitsberaubung zum Nachteil von A. A. und F. H. auszuschließen. Dabei hat der Senat jedoch auch gesehen, dass der Angeklagte die Vorführung der Gefangenen – darunter A. A. und F. H. – vor die Jabhat al-Nusra als vorgetäuschten Vorgang zur Ausübung von Druck beschrieben hat. Darüber hinaus haben seine Angaben zu den Katibas und Liwas sowie zu deren Anführern sowie seine Angaben zu örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten die Einordnung der Taten – etwa als Kriegsverbrechen – erleichtert. Der Senat hat weiter berücksichtigt, dass nicht der Angeklagte sondern Abu Diebo al-Khal einige besonders hervorgehobene mittäterschaftlich zugerechnete Misshandlungen eigenhändig verwirklicht hat und der Angeklagte die Zeugen A. A. und F. H. letztlich freigelassen hat, ohne tatsächlich Lösegeld zu bekommen. Zugunsten des Angeklagten ist der Werdegang und das Vorleben des Angeklagten gewertet worden, das in mehrfacher Hinsicht durch benachteiligte Lebensumstände und durch Erfahrungen willkürlicher Behandlungen von Vorgesetzten bzw. durch Träger der staatlichen Ordnung gekennzeichnet ist. Der Senat hat ferner berücksichtigt, dass die Taten vor dem Hintergrund einer zunehmenden Verrohung begangen wurden. Der Bürgerkrieg war in der zweiten Jahreshälfte 2012 bereits von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht durch alle Konfliktakteure geprägt. Folterungen, die Drangsalierung der Zivilbevölkerung durch Plünderungen und flächendeckende Bombardements waren bereits üblich geworden. Zu Gunsten des Angeklagten ist ferner gewertet worden, dass er in Deutschland unbestraft ist. Ferner war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte in Deutschland als Ausländer der deutschen Sprache nicht mächtig ist, über keine Kontakte im Inland verfügt und daher als besonders haftempfindlich zu gelten hat. Schließlich hat der Senat die Verfahrensdauer und die damit verbundene Dauer der Untersuchungshaft berücksichtigt.
289Zu Lasten des Angeklagten hat der Senat zum einen die relativ lange Freiheitsberaubung von über einem Monat sowie die Brutalität der Misshandlungen in Form von 56 bzw. 28 tateinheitlich verwirklichten Straftaten nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB bedacht. Darüber hinaus war zu werten, dass die Zeugen A. A. und F. H. über die tatbestandsmäßigen Misshandlungen hinaus nur mangelhaft ernährt worden sind. Bei der Tat zum Nachteil des Zeugen A. A. hat der Senat die besonders entwürdigende Vorführung vor der Familie im Kofferraum sowie die – allerdings eigenhändig von Abu Diebo al-Khal – durchgeführte Scheinhinrichtung strafschärfend gewertet. Schließlich war das perfide Spiel mit der Todesangst der Tatopfer im Rahmen der Vorführung bei der Jabhat al-Nusra zu würdigen.
290Unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hielt der Senat für die Tat zum Nachteil des Zeugen A. A.
291eine Einzelstrafe von 12 Jahren Freiheitsstrafe
292und für die Tat zum Nachteil des Zeugen F. H.
293eine Einzelstrafe von 10 Jahren Freiheitsstrafe
294für tatunrechts- und schuldangemessen.
295Bei der Strafzumessung hatte der Senat vor dem Hintergrund der stellvertretenden Strafrechtspflege strafmaßbegrenzend im Blick, dass nach Art. 555, 556 des syrischen Strafgesetzbuches die länger als einen Monat andauernde Freiheitsberaubung oder eine Freiheitsberaubung, bei der das Tatopfer körperliche oder seelische Qualen erleidet oder während der Freiheitsberaubung ein Lösegeld gefordert wurde, mit zeitiger Zwangsarbeit bestraft wird, die gemäß Art. 44 des syrischen Strafgesetzbuches von drei bis zu 15 Jahren betragen kann.
296II. Straftat zum Nachteil der vier Brüder Da.
297Der Senat hat die Strafe für diese Tat dem § 8 Abs. 1 Nr. 1 StGB entnommen, der lebenslange Freiheitsstrafe ebenso vorsieht wie § 211 Abs. 1 StGB und daher auf
298lebenslange Freiheitsstrafe als Einzelstrafe
299erkannt.
300Es lagen keine übergreifenden fakultativen Strafmilderungsgründe nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vor, da der Angeklagte zur Tatzeit wegen des fehlenden Vorliegens eines Eingangsmerkmals nach § 20 StGB weder in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt noch seine Einsichtsfähigkeit berührt war. Wegen der Einzelheiten wird auf die nachfolgenden Ausführungen zu der – nicht verhängten – Maßregelanordnung Bezug genommen.
301III. Straftat zum Nachteil des Zeugen A. S.
302Der Senat hat die Strafen bezüglich der Taten zum Nachteil des Zeugen A. S. dem Strafrahmen des § 239a Abs. 1 StGB entnommen, der in Verbindung mit § 38 Abs. 2 StGB Freiheitsstrafe von fünf bis zu 15 Jahren vorsieht. Die Voraussetzungen zur Bejahung eines minder schweren Falles nach § 239a Abs. 2 StGB liegen nicht vor. Auch bezüglich dieser Tat liegt kein übergreifender fakultativer Strafmilderungsgrund nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vor, denn der Angeklagte war zur Tatzeit wegen des fehlenden Vorliegens eines Eingangsmerkmals nach § 20 StGB weder in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt noch seine Einsichtsfähigkeit berührt. Wegen der Einzelheiten wird auf die nachfolgenden Ausführungen zu der – nicht verhängten – Maßregelanordnung Bezug genommen. Im Übrigen lagen die Voraussetzungen eines minder schweren Falles aufgrund der erheblichen tateinheitlich verwirklichten Folterungen nicht vor.
303Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat der Senat zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass seine Angaben zu bestimmten Randbereichen seine Überführung erleichtert haben und hat ihnen insoweit das Gewicht einer teilgeständigen Einlassung zugebilligt, weil seine Angaben zu den Katibas und Liwas sowie zu deren Anführern sowie seine Angaben zu örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten die Einordnung der Taten – etwa als Kriegsverbrechen – erleichtert haben. Zugunsten des Angeklagten ist der Werdegang und das Vorleben des Angeklagten gewertet worden, das in mehrfacher Hinsicht durch benachteiligte Lebensumstände und durch Erfahrungen willkürlicher Behandlungen von Vorgesetzten bzw. durch Träger der staatlichen Ordnung gekennzeichnet ist. Der Senat hat ferner berücksichtigt, dass die Taten – wie oben ausgeführt – vor dem Bürgerkriegshintergrund stattgefunden haben. Zu Gunsten des Angeklagte ist ebenfalls gewertet worden, dass er in Deutschland unbestraft ist. Zudem war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte in Deutschland als Ausländer der deutschen Sprache nicht mächtig ist, über keine Kontakte hier verfügt und daher als besonders haftempfindlich zu gelten hat. Ebenso war die lange Verfahrensdauer sowie die damit verbundene Untersuchungshaft zu würdigen.
304Zu Lasten des Angeklagten hat der Senat zum einen die nicht unerhebliche Dauer der Freiheitsberaubung von etwa drei Wochen sowie die Brutalität der Misshandlungen durch Zufügen von Schnittwunden berücksichtigt, wobei der Senat auch im Blick hatte, dass der Angeklagte dem Zeugen die Verletzungen nicht eigenhändig beigebracht hatte, jedoch waren die erheblichen Entstellungen durch die Schnitte im Bereich des Bauchs, die eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität bedeuten, sowie die Erlangung eines Lösegeldes zu berücksichtigen.
305Unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hielt der Senat für die Tat zum Nachteil des Zeugen A. S.
306eine Einzelstrafe von 12 Jahren Freiheitsstrafe
307für tatunrechts- und schuldangemessen.
308Auch bei dieser Strafzumessung hatte der Senat vor dem Hintergrund der stellvertretenden Strafrechtspflege strafmaßbegrenzend im Blick, dass nach Art. 555, 556 des syrischen Strafgesetzbuches eine Freiheitsberaubung, bei der das Tatopfer körperliche oder seelische Qualen erleidet oder im Falle der Forderung eines Lösegeldes mit zeitiger Zwangsarbeit bestraft wird, die gemäß Art. 44 des syrischen Strafgesetzbuches von drei bis zu 15 Jahren betragen kann.
309IV. Gesamtstrafe, besondere Schwere der Schuld
310Der Senat hat bei der Bildung der Gesamtstrafe unter Einbeziehung der lebenslangen Freiheitsstrafe geprüft, ob die Schuld des Angeklagten im Sinne von §§ 57a Abs. 1 Nr. 2, 57b StGB besonders schwer wiegt. Die besondere Schwere der Schuld ist dann zu bejahen, wenn die Schuld nach einer zusammenfassenden Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit besonders schwer wiegt. Dabei hat der Senat die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt. Für den Angeklagten sprechen die jeweils oben aufgeführten Erwägungen. Jedoch muss die Vielzahl der Gesetzesverstöße nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB zum Nachteil von F. H. und A. A., aber auch die Tat zum Nachteil des A. S. Berücksichtigung finden, deren Gewicht sich jeweils im oberen Bereich des Schuldmaßes befunden hat. Diese enthalten neben der Verwirklichung der Tötung einer vom humanitären Völkerrecht geschützten Person aus niedrigen Beweggründen einen eigenständig zu würdigenden erheblichen Unrechts- und Schuldgehalt, der die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld rechtfertigt, auch wenn es sich bei den angeklagten Taten nur um einen recht kurzen, etwa zwei Monate dauernden Ausschnitt aus dem Leben des Angeklagten handelt. Trotz des Umstandes, dass die Taten vor dem Hintergrund einer fortgeschrittenen Verrohung im Bürgerkriegsgebiet stattgefunden haben, stellen diese Straftaten einen ganz eklatanten Verstoß gegen die international von allen anerkannten Mindestmaßstäbe für das Verhalten in einer bewaffneten Auseinandersetzung dar.
311Der Senat hat daher unter Berücksichtigung der vorstehenden Gesichtspunkte sowie nochmaliger Würdigung der bei den Einzelstrafen aufgeführten Erwägungen gegen den Angeklagten eine
312lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe
313verhängt und
314die besondere Schwere der Schuld festgestellt.
315B. Maßregelanordnung
316Die Verhängung einer Maßregel nach §§ 63, 64 oder 66 StGB kam mangels Vorliegens der erforderlichen Voraussetzungen nicht in Betracht.
317I. Maßregel nach § 63 StGB
318Die Voraussetzungen für die Verhängung einer Maßregel nach § 63 StGB lagen nicht vor, denn bei dem Angeklagten konnten aufgrund der nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. F. die Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB – soweit sie für § 63 StGB relevant sind – ausgeschlossen werden. So fanden sich keine Hinweise bei dem Angeklagten für eine krankhafte seelische Störung. Der Sachverständige hat den Angeklagten an über 30 Hauptverhandlungstagen beobachten können und war insgesamt bei den für die Einlassung des Angeklagten vorgesehenen und genutzten Verhandlungstagen anwesend. Aus den Reaktionen auf Aussagen von Zeugen, der beobachteten Kommunikation mit seinen Verteidigern und seinem Vertrauensdolmetscher sowie den eigenen Ausführungen des Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen und zu den Tatvorwürfen bzw. zu seiner Rolle im Bürgerkrieg konnte der Sachverständige für den Senat nachvollziehbar keine Anhaltspunkte für formale Denkstörungen oder produktiv-psychotische Störungen des inhaltlichen Denkens (im Sinne von Wahnideen) oder der Wahrnehmung (im Sinne von Wahnwahrnehmungen, Halluzinationen und/oder illusionärer Verkennungen) erkennen. Auf dieser weiten Beurteilungsgrundlage hätten sich ferner keine Anhaltspunkte für psychopathologische Auffälligkeiten mit manifesten Einschränkungen der psychischen Kernfunktionen ergeben. Das gelte auch für manifeste Ängste und/oder Zwänge, eine emotionale Instabilität und/oder Impulsivität. Die kognitiven Leistungen der fokussierten, tonischen und phasischen Aufmerksamkeit und Konzentration seien auch über den Verlauf der Hauptverhandlungstermine nicht im Sinne einer vorzeitigen psychomentalen Erschöpfung beeinträchtigt gewesen und die Reaktion auf Aussagen der Zeugen hätten keine Hinweise auf emotional affektive Regungen im Sinne einer erhöhten Kränkbarkeit, Verletzbarkeit (Vulnerabilität), Betroffenheit, depressiven Herabgestimmtheit und/oder aggressiv gefärbter psychomotorischer Anspannung ergeben.
319In Hinblick auf eine frühere Tuberkuloseerkrankung sowie einen Verkehrsunfall ergäben sich aus vorliegenden Untersuchungen des Lendenwirbelbereichs im Vorfeld, aus Anlass und im Nachgang einer Bandscheibenoperation des Angeklagten am 16. Juni 2015 keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung des zentralen Nervensystems.
320Der Sachverständige Prof. Dr. F. hat für den Senat ferner überzeugend und nachvollziehbar das Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit ausgeschlossen. So ergäben sich in Hinblick auf die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten keine Anhaltspunkte für tiefgreifend und überdauernd gestörte Muster an Erleben und Verhalten im Sinne einer Persönlichkeitsstörung. Das narzisstische Selbstkonzept des Angeklagten – geprägt durch vom Angeklagten berichtetes Leistungsverhalten, Autonomiebestrebungen mit Übernahme von Leitungsfunktionen und früher Verantwortungsübernahme in der Familie, aber auch von der Kompensation der Lese- und Schreibschwäche – sei stabil. Soweit bei dem Angeklagten am 25. Juli 2017 eine erst- und einmalig dokumentierte akute Belastungsreaktion auf die Verlegung des Angeklagten in den besonders gesicherten Haftraum am Vortage vorgelegen habe, die der Sachverständige selbst im Rahmen einer Begutachtung zur Verhandlungsfähigkeit diagnostiziert hat, sei dies lediglich Ausdruck einer besonderen, situativ hervorgerufenen Empfindsamkeit und Vulnerabilität im Kontext mit der besonderen Haftsituation und im Kontakt zu jüngeren Justizvollzugsbediensteten zu sehen, die gegenüber dem Angeklagten unmittelbaren körperlichen Zwang eingesetzt hätten. Der Angeklagte habe sich – entsprechend den eigenen Beobachtungen des Senats – am folgenden Hauptverhandlungstermin zwei Tage später wieder emotional stabil, aufmerksam und konzentriert, affektiv gut schwingungsfähig gezeigt.
321Bei dem Angeklagten fänden sich in Anlehnung an das Psychopathie-Konstrukt (nach Hare bzw. Cooke und Mitchie) keine Anhaltspunkte für ein erheblich übersteigertes Selbstwertgefühl. Es fänden sich auch keine Hinweise auf ein ausschließlich trickreich sprachgewandtes Blenderverhalten mit oberflächlichem Charme und für ein überwiegend betrügerisch manipulatives Verhalten mit häufigem Lügen oder Täuschen als Grundhaltung, so dass insgesamt das Erleben und Verhalten des Angeklagten nicht auf arrogante oder auf Täuschung angelegte zwischenmenschliche Verhaltensweisen zurückgeführt werden könne. Es fänden sich auch keine Anhaltspunkte für eine gestörte Affektivität mit oberflächlichem Gefühlsleben, Mangel an Empathie und Mangel an Reue und Schuldbewusstsein und auch keine Anhaltspunkte dafür, im Sinne einer Grundhaltung schlecht Verantwortung für eigene Handlungen übernehmen zu können. Hinweise auf ein impulsives und verantwortungsloses Verhaltensmuster mit Erlebnishunger und Neigung zur Langeweile fänden sich ebenso wenig wie der Angeklagte durch Impulsivität in seinem Erleben und Verhalten gekennzeichnet sei.
322Anhaltspunkte für eine tiefgreifend Bewusstseinsstörung in Bezug auf die tatzeitliche Verhaltensweisen fänden sich ebenfalls nicht. Insbesondere seien die Kriterien der Affektdominanz bei der Tötung des zweiten verstorbenen Da.-Bruders nicht erfüllt. Der Sachverständige führte unter Vorhalt des nunmehr festgestellten Sachverhalts für den Senat überzeugend aus, dass der Angeklagte in dieser Situation den eigenen Affekt registriert und nach der Wahrnehmung des eigenen Affekts gehandelt habe und zwar sequentiell. Das bedeute, dass der Angeklagte eine Handlung generiere, nachdem er selbst Wut oder Ärger registriert und verbalisiert habe. Es spreche sicher gegen eine Affektdominanz, wenn – wie hier – nicht der Affekt das Handeln führe, sondern der Affekt in eine Handlung eingebettet sei.
323Anhaltspunkte für das Vorliegen des Eingangsmerkmals des Schwachsinns fanden sich nicht. Trotz der Einschränkungen des Angeklagten in Hinblick auf seine Schreib- bzw. Lesekompetenz fänden sich auf der Basis eigener Angaben zum Werdegang und seinen Aktivitäten sowie seinen kommunikativen Fähigkeiten und Fertigkeiten Hinweise auf sehr gute bis ausgezeichnete Kompensationsmöglichkeiten mit hoher psychosozialer und Alltagskompetenz.
324II. Maßregel nach § 64 StGB
325Die Verhängung einer Maßregel nach § 64 StGB kam nicht in Betracht, weil bei der Angeklagte weder tatzeitbezogen noch im Übrigen feststellbar Drogen oder Alkohol im Übermaß oder überhaupt berauschend Mittel zu sich genommen hat. Die Zeugen A. A. und F. H. haben übereinstimmend und glaubhaft berichtet, dass der Angeklagte nach ihrer Beobachtung keinen Alkohol oder Drogen zu sich genommen habe. Dies korrespondiert mit den Angaben des Angeklagten bei seiner Erstaufnahme in der Justizvollzugsanstalt Essen, die der Sachverständige der mit Einverständnis des Angeklagten eingesehenen Krankenakte der Justizvollzugsanstalt Essen entnommen hat. Danach hat er angegeben, keine Drogen und nur gelegentlich Alkohol zu konsumieren.
326III. Maßregel nach § 66 Abs. 1 Nr. 1, 4, Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB
327Auch die Voraussetzungen des § 66 StGB lagen nicht vor. Der Sachverständige hat für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, dass bei dem Angeklagten keine stabile und persönlichkeitsgebundene Bereitschaft zur Begehung von Straftaten festzustellen sei. Die angeklagten Verhaltensweisen hätten sich in einem umschriebenen Zeitfenster unter besonderen äußeren Umständen und Bedingungskonstellationen ereignet. Es ergäben sich keine Anhaltspunkte für nach diesem angeklagten Tatzeitraum manifeste Erlebens- und Verhaltensweisen des Angeklagten, die als persönlichkeitsgebundene Bereitschaft zur Begehung von Straftaten beschrieben werden könnten.
3285. Teil: Nebenentscheidungen
329Die Angeklagte hat gemäß § 465 Abs. 1 StPO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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