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I. Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Düsseldorf vom 30.06.2017 abgeändert und der Antrag des Kindesvaters auf Rückführung der beiden Kinder A. und B. nach Australien zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz tragen der Kindesvater und die Kindesmutter ihre eigenen außergerichtlichen Kosten jeweils selbst und die übrigen Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Beschwerdewert: 5.000 €.
IV. Der Senat weist die Beteiligten darauf hin, dass mit der – rechtskräftigen – Zurückweisung des Antrags auf Rückführung der Kinder nach Australien die angeordneten Grenzsperren zu Lasten der Kindesmutter (Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 23. März 2017 im Verfahren 258 F 41/17) und zu Lasten des Kindesvaters (Beschluss des Senats vom 21. Dezember 2017 im hiesigen Verfahren) ab sofort gegenstandslos sind. Die grenzüberwachende Behörde wird daher eine entsprechende Mitteilung durch den Senat erhalten.
G r ü n d e :
2I.
3Die Kindeseltern lernten sich im Jahre 2007 über ihre Arbeit in Brüssel kennen. Zu diesem Zeitpunkt verfügte der Kindesvater über die portugiesische und die Kindesmutter über die deutsche Staatsangehörigkeit. Anfang 2008 zogen sie nach Australien, wo die Kinder A. und B. geboren wurden, für die die Kindeseltern nach australischem Recht gemeinsam sorgeberechtigt sind. Die nicht miteinander verheirateten Kindeseltern, die in Australien zusätzlich die australische Staatsangehörigkeit erwarben, trennten sich im Juli 2013 und führten anschließend in Australien mehrere gerichtliche Auseinandersetzungen, darunter auch familienrechtliche Verfahren. Die beiden Kinder, die die deutsche, portugiesische und australische Staatsangehörigkeit besitzen, lebten nach der Trennung ihrer Eltern überwiegend im Haushalt der Kindesmutter und hatten regelmäßigen Kontakt zum Kindesvater.
4Im Zuge der Trennung erkrankte die Psyche der Kindesmutter. Der diese in Deutschland seit Anfang Oktober 2016 weiter behandelnde Arzt hat im April 2017 eine rezidivierende depressive Störung als mittelgradige Episode und eine Panikstörung diagnostiziert. Die Kindesmutter litt spätestens seit 2015 unter so beträchtlichen psychischen Beeinträchtigungen, dass sie verordnete Antidepressiva einnahm und sich in Australien mehrfach für jeweils mehrere Wochen in einem Krankenhaus behandeln ließ. Während solcher Zeiten lebten die Kinder teilweise beim Kindesvater, der sie der Kindesmutter nach einem Krankenhausaufenthalt im Februar 2016 zunächst nicht wieder herausgab, sondern bei Gericht eine Abänderung bestehender Regelungen, u.a. einen lediglich begleiteten Umgang der Kindesmutter mit den Kindern für den Fall eines psychisch instabilen Zustandes der Mutter beantragte. Die Kindeseltern stritten 2016 zudem über die Verwertung des 2013 unmittelbar vor ihrer Trennung erworbenen und bezogenen Hauses in Australien, aus welchem der Kindesvater Ende Juli 2013 ausgezogen war; mit dem Verwertungserlös sollten vor allem die aus den zahlreichen rechtlichen Auseinandersetzungen in beträchtlicher Höhe entstandenen Anwaltskosten zurückgeführt werden. Nach dem Vortrag des Kindesvaters hätte die Kindesmutter das Haus, das letztlich im September 2016 verkauft wurde, mit den Kindern noch bis Januar 2017 nutzen können, dann aber räumen müssen. Dem kam die Kindesmutter im September 2016 zuvor, indem sie mit den Kindern vorübergehend eine so genannte Notunterkunft bezog, die sie bis zu ihrer Ausreise nach Deutschland am 13.09.2016 bewohnte.
5Am 08.12.2015 hatte ein australisches Gericht den Antrag der Kindesmutter, mit den beiden Kindern nach Deutschland umzuziehen, zurückgewiesen. Aufgrund einer auf eine entsprechende Verständigung der Kindeseltern zurückgehenden gerichtlichen Verfügung des australischen Familiengerichts vom 08.09.2016 wurde der Kindesmutter und den beiden Kindern zumindest ein sechswöchiger Urlaub in Deutschland genehmigt. Laut gerichtlicher Verfügung sollte sie mit den beiden Kindern spätestens am 28.10.2016 wieder zurück in Australien sein; sollte dies nicht geschehen, würden die Kinder vorläufig der alleinigen Sorge des Kindesvaters unterstellt. Gegen den Willen des Vaters und entgegen der Verfügung des australischen Gerichts verblieb die Kindesmutter mit den beiden Kindern in Deutschland und lebt seither mit diesen im Haus ihrer Eltern in Ratingen. Sie ist auch in Deutschland weiterhin in ambulanter psychiatrischer Behandlung.
6Der Kindesvater begehrt die Rückführung der beiden Kinder nach Australien. Die Kindesmutter ist dem bereits in erster Instanz entgegengetreten und hat geltend gemacht, von der Rückführung sei abzusehen, weil diese zu einer unzumutbaren Härte für die Kinder führen würde. Den Kindern drohe im Falle der Rückführung eine schwerwiegende Beeinträchtigung ihres Wohls, wozu sie nähere Ausführungen gemacht hat, denen der Kindesvater im Einzelnen widersprochen hat.
7Das Amtsgericht hat – nach Anhörung der Kinder am 15.05.2017 und der Kindeseltern und der übrigen Verfahrensbeteiligten am 16.05.2017 – mit Beschluss vom 30.06.2017 dem Rückführungsantrag des Kindesvaters stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Rückführungsvoraussetzungen überwiegend unstreitig erfüllt seien und nach dem Ergebnis der Anhörung der beiden Kinder nicht festgestellt werden könne, dass sich diese einer Rückführung widersetzen. Ebenso wenig sei mit einer Rückführung die schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für die Kinder verbunden und würden die Kinder durch eine Rückgabe auch nicht auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht.
8Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Kindesmutter ihren Antrag auf Zurückweisung des Rückführungsantrags weiter. Hierzu wiederholt und vertieft sie, ebenso wie der Kindesvater, der eine Zurückweisung der Beschwerde der Kindesmutter erstrebt, ihr erstinstanzliches Vorbringen.
9Der Verfahrensbeistand der beiden Kinder und das Jugendamt sprechen sich für eine Zurückweisung des Rückführungsantrags des Kindesvaters aus.
10Der Senat hat die Kinder am 30.11.2017 und die Kindeseltern und übrigen Beteiligten im Senatstermin am 21.12.2017 angehört, wobei wegen der Ergebnisse der Anhörungen auf den Berichterstattervermerk zur Kindesanhörung vom 30.11.2017 und das Sitzungsprotokoll vom 21.12.2017 verwiesen wird. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
11II.
12Das Rechtsmittel der Kindesmutter hat Erfolg. Der auf Art. 12 Abs. 1 des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (nachfolgend HKÜ) gestützte Antrag des Kindesvaters auf Rückführung der beiden Kinder nachAustralien ist nicht begründet.
131.
14Die Kindesmutter hat, was zwischen den Kindeseltern unstreitig ist, die beiden Kinder widerrechtlich gemäß Art. 12 i.V.m. Art. 3 HKÜ in Deutschland zurückgehalten und damit das Mitsorgerecht des Kindesvaters verletzt, indem sie ohne dessen Einverständnis nach Ablauf der gerichtlichen Urlaubsgenehmigung am 28.10.2016 in Deutschland verblieben ist.
152.
16Der Anordnung der Rückgabe hinsichtlich des älteren Kindes A. steht aber der Ablehnungsgrund des Art. 13 Abs. 2 HKÜ (Widersetzen des Kindes) und hinsichtlich des jüngeren Kindes B. der Ablehnungsgrund des Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ (schwerwiegende Gefahr eines seelischen Schadens für das Kind) entgegen.
17a)
18Der Senat lehnt die Rückgabe des Kindes A. gemäß Art. 13 Abs. 2 HKÜ ab, weil festzustellen ist, dass sich das Kind der Rückgabe widersetzt und es ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen.
19A. hat sich nachdrücklich und nachhaltig gegen seine Rückführung nachAustralien ausgesprochen. So äußerte der Junge im Rahmen seiner Anhörung durch den Senat am 30.11.2017, dass es sein größter Wunsch sei, dass er nicht nach Australien zurück müsse. Die Frage, ob er denn mal zu Besuch nach Australien fahren wolle, verneinte er und schob mit Verzögerung nach, dass er dort allenfalls mal für ein paar Tage hinfahren wolle. In Australien habe er keine Verwandten und keine Freunde und nur den Papa. Außerdem wäre die Mama hier, und er wolle bei der Mama sein. Auf Nachfrage des Senats, warum die Mama hier wäre, erklärte A., Mama habe kein Geld mehr und würde hierbleiben, weil sie in Australien wieder weinen und ins Krankenhaus müsse. Er und B. müssten dann wieder bei Papa wohnen, und das wolle er nicht. Auch in der Schule sei es in Australien nicht schön gewesen. Es sei dort einfach schrecklich gewesen. B. und er hätten keine Freunde gehabt, seine Mama sei im Krankenhaus gewesen und in Australien kenne er niemanden. Dies deckt sich mit den wiederholten Bekundungen des Jungen gegenüber dem Verfahrensbeistand Dr. C., der in seinen Stellungnahmen vom 21.04.2017 und 14.08.2017 ebenfalls von den Äußerungen des Kindes berichtet hat, nicht nach Australien zurückkehren zu wollen. In seinem Bericht vom 14.08.2017 teilt der Verfahrensbeistand mit, dass es A.s größter Wunsch sei, hier (in Deutschland) zu bleiben. Nach den Angaben A.s habe die Richterin am Amtsgericht ihn, A., bei seiner Anhörung nicht richtig verstanden; die Richterin habe verstehen sollen, dass er nicht zurückwolle, weil er dort keine Familie und nur den Vater und seine Schwester habe.
20Aus diesen Äußerungen A.s gegenüber dem Verfahrensbeistand und dem Senat spricht unmissverständlich sein nachhaltiger und unerschütterlicher Wille, nicht nach Australien zurückkehren und künftig nicht beim Kindesvater leben zu wollen. Dieser Wille steht angesichts des Alters und der Reife des Kindes einer Rückführung nach Australien entgegen. A. war zum Zeitpunkt seiner Anhörung durch den Senat gut neuneinhalb Jahre alt. Er hat sich im Rahmen der Anhörung als für sein Alter sehr reif und verständig gezeigt, so dass für den Senat kein Zweifel besteht, dass A. nach seinem Entwicklungsstand in der Lage ist, sich zu der Frage, in welchem Staat und mit welchem Elternteil er zu leben bereit ist, klar und verantwortungsvoll zu positionieren. Diese Bewertung des Senats steht in Einklang mit der Einschätzung des Verfahrensbeistands, die dieser bereits in seiner Stellungnahme vom 21.04.2017 und damit zu einem Zeitpunkt bekundet hat, als A. noch ein halbes Jahr jünger war als bei seiner Anhörung durch den Senat. Schon im April 2017 hat der Verfahrensbeistand dem Jungen attestiert, dass mit ihm die Sachlage in einer seiner hohen Verständlichkeit entsprechenden Weise erörtert werden könne, und auf dieser Grundlage seinerseits festgestellt, dass A. nicht nach Australien zurück wolle. Gegenüber dem Senat hat A. seine Situation in Deutschland und in Australien reflektiert verglichen, er konnte für seine Haltung tragfähige und nachvollziehbare Gründe anführen. Danach hat der Junge in Australien die Erkrankung seiner Mutter und die sich daraus für seine Lebenssituation ergebenden Auswirkungen, wie z.B. das Miterleben des Leidens der Mutter unter dem fortgesetzten Aufenthalt in Australien sowie wochenlange Krankenhausaufenthalte der Mutter und damit verbundene längere Betreuungsphasen im Haushalt des Kindesvaters, persönlich erfahren. Soweit er in seiner aktuellen Willensbildung durch die Kindesmutter oder deren Angehörigen beeinflusst worden ist, ändert dies nichts daran, dass der Junge aufgrund eigener reflektierter Bewertungen zu seinem Leben in Australien und Deutschland davon ausgeht, dass seine Mutter in Australien wieder erkranken würde. Dies ist ein maßgeblicher Grund, dass sich ein Kind seines Alters einer Rückführung widersetzt. Hinzu kommt, dass A. bei seiner Anhörung mit aller Deutlichkeit zu erkennen gegeben hat, dass er auf jeden Fall bei seiner Mutter und nicht bei seinem Vater leben möchte. So hat er gegenüber dem Senat bei seiner Anhörung in eindringlicher und nahezu flehender Weise erklärt, sein Papa habe doch auch bei seiner Mama sein dürfen, und die – berechtigte – Frage angeschlossen, warum er dies nicht dürfe. A. hat darüber hinaus die Wohnverhältnisse der Notunterkunft in Australien miterlebt und im Rahmen seiner Anhörung als schrecklich beschrieben. Zwar würde er im Falle seiner Rückführung nach Australien im Zweifel bei seinem Vater wohnen, weil die Kindeseltern dies vor dem australischen Gericht Anfang September 2016 offenbar so vereinbart haben und der Kindesvater ausweislich seiner Erklärungen im Senatstermin am 21.12.2017 hieran für den Fall einer Rückführung auch festhalten würde. A. muss aber auch davon ausgehen, dass seine Mutter trotz ihrer – zwischen den Kindeseltern unstreitigen – psychischen Erkrankung eventuell doch nach Australien zurückkehren muss, um ihre Kinder dort nicht allein zu lassen. Dann kann er aber auch nicht ausschließen, dass jedenfalls seine Mutter wieder in einer solchen von ihm als schrecklich empfundenen Notunterkunft wohnen wird, was seine Position hinsichtlich eines dauerhaften Verbleibs in Deutschland zusätzlich nachvollziehbar macht.
21b)
22Die Rückgabe von B., die mit sechs Jahren noch kein Alter und nach dem persönlichen Eindruck des Senats auch nicht die notwendige Reife erreicht hat, angesichtsderen gemäß Art. 13 Abs. 2 HKÜ ihrer Meinung gefolgt werden könnte, lehnt der Senat gemäß Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ ab, weil mit der Rückgabe eine schwerwiegende Gefahr eines seelischen Schadens für das Kind verbunden ist.
23Die schwerwiegende Gefahr eines seelischen Schadens für B. ergibt sich aus der im Fall einer Rückführung lediglich des jüngeren Kindes unvermeidlichen Geschwistertrennung. Eine solche Trennung kann das Kindeswohl – insbesondere bei jüngeren Kindern – im Sinne des Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ schwerwiegend beeinträchtigen (OLG Karlsruhe, OLGR 1998, 121 f., juris Tz. 16; Staudinger/Pirrung, BGB, HKÜ Rn. D 71).
24Mit Blick auf die erforderliche Neuorientierung und Anpassung nach dem Wechsel des Lebensmittelpunktes, die Kinder in besonderem Maß fordern, erscheint es als erheblicher, nicht verantwortbarer Risikofaktor für die weitere seelische Entwicklung B.s und ihre psychische Stabilität, würde man sie ohne ihren älteren Bruder nach Australien zurückführen, zumal für den Senat bei der Kindesanhörung am 30.11.2017 deutlich geworden ist, dass B. und A. eine sehr liebevolle, innige und von gegenseitiger Fürsorge getragene Geschwisterbeziehung haben. Dies wurde für den Senat insbesondere dadurch erkennbar, dass beide auch bei ihrer getrennten Befragung nicht nur die eigenen, sondern stets auch die Befindlichkeiten des Bruders bzw. der Schwester zum Gegenstand ihrer Schilderungen machten.
25III.
26Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 14 Nr. 2 IntFamRVG, 81 Abs.1 Satz 1 FamFG.
27Die Wertfestsetzung hat ihre Grundlage in § 42 Abs. 3 FamGKG.
28Die Rechtsbeschwerde findet nicht statt (§ 40 Abs. 2 Satz 4 IntFamRVG).
29Der Hinweis auf die Beendigung der Geltung der angeordneten Grenzsperren geht darauf zurück, dass es sich allein um Maßnahmen handelte, um die Einhaltung und Vollziehung nach dem HKÜ etwa zu treffender oder getroffener Entscheidungen sicherzustellen. Mit der Zurückweisung des Rückführungsantrags des Kindesvaters endet damit der Geltungsbereich solcher getroffener einstweiliger Regelungen. Dies gilt hier auch für die Grenzsperre zu Lasten des Kindesvaters, die ihrerseits nur sicherzustellen hatte, dass er die Kinder während des Umgangs in Deutschland, über den sich die Kindeseltern im Termin am 21. Dezember 2017 mit gerichtlicher Billigung, die ihrerseits auf den (Zuständigkeits-)Regelungen für HKÜ-Verfahren beruht, verglichen haben, nicht rechtswidrig dazu nutzt, mit den Kindern die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen.