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Der Antragstellerin wird die mit der sofortigen Beschwerde vom 26.04.2017 und dem Schriftsatz vom 01.09.2017 beantragte Akteneinsicht versagt.
G r ü n d e
2I.
3Die Antragstellerin war Teilnehmerin des vorgeschalteten Teilnahmewettbewerbs des aktuell noch andauernden Verhandlungsverfahrens zur Vergabe „Veräußerung der Geschäftsanteile an der U. D. GmbH und Abschluss eines neuen Betreibervertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der U.D. GmbH“. Die Antragsgegnerin hatte diese Vergabe am 04.11.2016 europaweit ausgeschrieben.
4Die Antragsgegnerin ließ die Antragstellerin nach einer Bewertung der insgesamt fünf eingegangenen Teilnahmeanträge – es bewarben sich außer der Antragstellerin die vier Beigeladenen – nicht zum Verhandlungsverfahren zu. Zur Begründung teilte sie der Antragstellerin mit Schreiben vom 27.01.2017 mit, dass sie, die Antragstellerin, nicht zu den vier bestplatzierten Bietern gehöre, die zum Verhandlungsverfahren zuzulassen seien. Grund hierfür sei, dass für das von der Antragstellerin zu Ziffer 5.5.2 des Informationsmemorandums genannte und mit Formblatt 14 dargestellte Referenzprojekt nicht die maximale Punktzahl habe vergeben werden können. Bei dem angegebenen Referenzprojekt handele es sich nicht um den produktiven Betrieb eines Mautsystems im Sinne der in Ziffer 5.5.2 des Informationsmemorandums genannten Definition. Deshalb habe die von der Antragstellerin zu dem betreffenden Wertungskriterium 1b erreichte Punktzahl nicht verdoppelt werden können. Anders als bei der Antragstellerin verdoppelte die Antragsgegnerin die von den Beigeladenen zum Wertungskriterium 1b erreichte Punktzahl, so dass deren Teilnahmeanträge in der Wertung vor dem der Antragstellerin lagen.
5Die Antragstellerin rügte die unterlassene Punkteverdoppelung gegenüber der Antragsgegnerin ohne Erfolg.
6Am 21.02.2017 hat die Antragstellerin daraufhin einen Nachprüfungsantrag bei der 1. Vergabekammer des Bundes gestellt. Im Rahmen eines Akteneinsichtsgesuchs hat sie von der Vergabekammer Ablichtungen von den Teilen der Vergabeakten erhalten, die die Bewertung ihres Teilnahmeantrags betreffen. Das weitergehende Akteneinsichtsgesuch der Antragstellerin hat die Vergabekammer mit Beschluss vom 12.04.2017, mit dem zugleich der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen worden ist, abgelehnt. Zur Begründung der Ablehnung hat die Vergabekammer ausgeführt, dass die Antragstellerin alle Aktenbestandteile, die die Antragstellerin betreffen und den Entscheidungsfindungsprozess der Antragsgegnerin dokumentieren, im Wege der Akteneinsicht erhalten habe. Akteneinsicht in die Wertung der übrigen Teilnahmeanträge sei ihr aufgrund darin enthaltener Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen sowie mangels belastbarer Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bewertung zu ihren Lasten zu versagen.
7Mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 26.04.2017 verfolgt die Antragstellerin ihr erstinstanzliches Begehren in der Hauptsache sowie ihr Akteneinsichtsgesuch weiter. Sie macht geltend, der Akteneinsicht in zweierlei Hinsicht zu bedürfen. Zum einen müsse sie nachvollziehen können, ob die Wertungsentscheidung von der Antragsgegnerin nachträglich „passend gemacht“ worden, mithin das von dieser jetzt vertretene Verständnis des Begriffs „produktiver Betrieb eines Mautsystems“ nicht schon von Beginn an, sondern erst später im Bewertungsvorgang vertreten worden sei, um sie, die Antragstellerin, von der Teilnahme am Verhandlungsverfahren ausschließen zu können. Zum anderen müsse sie durch Einsicht in die Bewertungen der Teilnahmeanträge der Beigeladenen nachprüfen können, ob die Antragsgegnerin nicht gleiche Sachverhalte ungleich behandelt habe, indem sie an die Beigeladenen, namentlich die Beigeladenen zu 3. und 4., beim Wertungskriterium 1b die doppelte Punktzahl vergeben habe, obwohl deren Referenzprojekte mit demjenigen der Antragstellerin vergleichbar seien.
8Die Antragsgegnerin sowie die Beigeladenen zu 3. und 4. sind der Ansicht, dass der Antragstellerin kein Anspruch auf die beantragte Akteneinsicht zusteht.
9II.
10Der Akteneinsichtsantrag der Antragstellerin ist unbegründet. Die Voraussetzungen für einen Akteneinsichtsanspruch der Antragstellerin liegen nicht vor.
11Es kann dahinstehen, ob ein Akteneinsichtsanspruch schon daran scheitert, dass die von der Antragstellerin primär erhobene Wertungsrüge voraussichtlich Erfolg hat. Hätte die Antragstellerin mit dieser Rüge Erfolg, was zur Begründetheit ihrer sofortigen Beschwerde führte, käme es auf etwaige weitere Vergaberechtsverstöße nicht an. Das Akteneinsichtsgesuch bezöge sich dann auf nicht entscheidungsrelevante Aktenbestandteile. Dem Akteneinsichtsantrag wäre schon aus diesem Grund nicht zu entsprechen (vgl. Kus, in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl., § 165 Rn. 26). Im Nachprüfungsverfahren vermittelt § 165 Abs. 1 GWB nach ständiger Rechtsprechung des Senats keinen Anspruch der Bieter, in nicht entscheidungsrelevante Teile der Akten Einblick nehmen zu können.
12Selbst wenn die Antragstellerin mit ihrer primär erhobenen Rüge keinen Erfolg haben sollte, so dass eine Entscheidungserheblichkeit etwaiger weiterer Vergaberechtsverstöße zu bejahen sein könnte, besteht ein Akteneinsichtsanspruch in dem begehrten Umfang nicht. Für die von der Antragstellerin zur Begründung ihres Akteneinsichtsgesuchs in den Raum gestellten weiteren Vergaberechtsverstöße fehlt es an ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten. Nach der Rechtsprechung des Senats besteht ein Akteneinsichtsanspruch nicht, wenn der Bieter ins Blaue hinein Fehler oder mögliche Verstöße in der Hoffnung rügt, mithilfe von Akteneinsicht zusätzliche Informationen zur Untermauerung substanzloser Mutmaßungen zu erhalten (vgl. Senatsbeschluss vom 29.06.2017 – VII-Verg 7/17; ebenso OLG München, Beschluss vom 08.11.2010 – Verg 20/10, zitiert nach juris). Da aufs Geratewohl oder ins Blaue hinein aufgestellte Behauptungen im Nachprüfungsverfahren unzulässig und unbeachtlich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 26.09.2006 – X ZB 14/06, zitiert nach juris), können sie einen Akteneinsichtsanspruch nicht begründen. Der Anspruch auf Akteneinsicht hat im Nachprüfungsverfahren eine rein dienende, zum zulässigen Verfahrensgegenstand akzessorische Funktion (OLG Naumburg, Beschluss vom 01.06.2011 – 2 Verg 3/11, zitiert nach juris). Die Beschleunigungsbedürftigkeit von Vergabenachprüfungsverfahren steht einem gänzlich voraussetzungslosen Akteneinsichtsanspruch aus § 165 Abs. 1 GWB entgegen. Ein Anspruch auf Akteneinsicht setzt vielmehr voraus, dass der das Akteneinsichtsgesuch begründende Sachvortrag beachtlich und entscheidungserheblich ist.
13Aus der von der Antragstellerin zur Begründung eines Akteneinsichtsrechts angeführten Entscheidung des Senats (Beschluss vom 13.04.2011 – VII-Verg 58/10, zitiert nach juris) ergibt sich nichts anderes. In jener Entscheidung hat der Senat formuliert, dass Bieter nicht mit pauschalen und unsubstantiierten Behauptungen Nachprüfungsanträge ins Blaue hinein stellen können und – insoweit im Einklang mit dem zuvor Ausgeführten – reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen nicht ausreichen.
14Weder für ihre Annahme, die Antragsgegnerin könne ihr Verständnis des Begriffs des „produktiven Betriebs eines Mautsystems“ im Laufe des Teilnahmewettbewerbs bis zur abschließenden Entscheidung zulasten der Antragstellerin geändert haben, noch für die Annahme, die Beigeladenen, namentlich die Beigeladenen zu 3. und 4., hätten zum Wertungskriterium 1b Referenzprojekte angegeben, die mit dem Referenzprojekt der Antragstellerin vergleichbar seien, trägt die Antragstellerin mehr als reine Vermutungen vor.
15Ein ausreichender tatsächlicher Anhaltspunkt für einen Wechsel des Begriffsverständnisses aufseiten der Antragsgegnerin ergibt sich, anders als die Antragstellerin meint, nicht aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin den Teilnahmeantrag der Antragstellerin im Rahmen der Prüfung der Anforderungen des Wertungskriteriums 1b – mit Ausnahme des Mautbezugs – für teilweise aufklärungsbedürftig hielt. Die Antragsgegnerin hat die unternommene Aufklärung widerspruchsfrei damit erklärt (vgl. S. 18 der Beschwerdeerwiderung = Bl. 173 GA), dass die Aufklärung der Erfüllung der grundlegenden Eignungsanforderungen der abschließenden Wertung vorausgehen sollte. Dass eine solche Vorgehensweise, selbst im Falle des frühzeitigen Erkennens des Umstands, dass das von der Antragstellerin angegebene Referenzprojekt nicht die zur Punkteverdoppelung führenden Anforderungen an den „produktiven Betrieb eines Mautsystems“ erfüllt, nicht plausibel und nachvollziehbar wäre, lässt sich nicht ansatzweise annehmen.
16Ebenfalls nicht auf tatsächliche Anhaltspunkte, sondern auf reine Vermutungen gestützt ist die Annahme der Antragstellerin, die Beigeladenen zu 3. und 4. könnten zum Wertungskriterium 1b Referenzprojekte angegeben haben, die mit demjenigen der Antragstellerin vergleichbar und dementsprechend nicht besser zu bewerten seien. Ein ausreichender tatsächlicher Anknüpfungspunkt für eine solche Annahme ergibt sich insbesondere, anders als die Antragstellerin meint, nicht daraus, dass sich die Beigeladenen zu 3. und 4. in ihren Schriftsätzen zum Mautsystem in G. und J. geäußert haben. Das geschah ersichtlich nur in Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Antragstellerin und nicht zum Zwecke des Hinweises auf das von ihnen angegebene Referenzprojekt, dessen Geheimhaltungsbedürftigkeit beide Beigeladenen betonen.
17Da es nach alledem bereits an einer Grundvoraussetzung für ein Akteneinsichtsrecht der Antragstellerin fehlt, nämlich an prozessual beachtlichem Vortrag zu einem bestimmten Vergaberechtsverstoß, kann die Antragstellerin auch aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 31.01.2017 – X ZB 10/16 – nichts für sich herleiten. Auf die vom Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung formulierten Grundsätze zur Abwägung von Geheimhaltungs- und Offenlegungsinteressen kommt es vorliegend nicht an, weil in eine entsprechende Abwägung erst gar nicht eingetreten werden muss.
18Allerdings hat die Vergabekammer, obwohl eine weitergehende Auseinandersetzung mit dem Akteneinsichtsantrag der Antragstellerin nach dem Vorstehenden entbehrlich gewesen wäre, es insbesondere keiner Abwägungsentscheidung nach § 165 Abs. 2 GWB bedurfte, eine die Antragstellerin teils auch inhaltlich bescheidende Ablehnungsentscheidung getroffen. Die Vergabekammer hat im Rahmen ihrer Entscheidung Angaben zum Inhalt der die Antragstellerin interessierenden Aktenbestandteile gemacht. So hat sie die Antragstellerin dahingehend beschieden, dass sie ihr, der Antragstellerin, diejenigen Aktenbestandteile, die den Entscheidungsfindungsprozess der Antragsgegnerin dokumentierten, zur Verfügung gestellt habe. Ferner hat sie die Akteneinsicht in die Wertung der übrigen Teilnahmeanträge mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass belastbare Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bewertung zulasten der Antragstellerin fehlten.
19Der Senat kann dahingestellt sein lassen, welche Folgen es für den Akteneinsichtsantrag der Antragstellerin hätte, wenn diese Aussagen der Vergabekammer zum Inhalt der Vergabeakten unzutreffend wären. Sie sind es nicht. Weder enthalten die – dem Senat vorliegenden – Vergabeakten weitere Unterlagen, die hinsichtlich des Entscheidungsfindungsprozesses der Antragsgegnerin und deren Verständnisses der Begrifflichkeiten des Informationsmemorandums bis zum Zeitpunkt der Ausschlussentscheidung aufschlussreich sein könnten, der Antragstellerin aber noch nicht zur Verfügung gestellt worden sind, noch haben sich eine oder mehrere der Beigeladenen in ihren Teilnahmeanträgen auf ein Referenzprojekt berufen, das wie dasjenige der Antragstellerin ausgestaltet ist. Insbesondere bezieht sich keines der angegebenen Referenzprojekte, wie die Antragstellerin argwöhnt, auf ein schrankenbasiertes Mautsystem in G..
20Nur vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass er sich bis zum Abschluss eines Beschwerdeverfahrens stets vorbehält, Akteneinsicht von Amts wegen zu gewähren, wenn er einen von Amts wegen aufzugreifenden Vergaberechtsverstoß feststellt oder sich seine ursprüngliche Bewertung von Unterlagen und Dokumenten ändert.