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Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 11.03.2016 unter Beibehaltung der Verurteilung der Beklagten zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 612,80 Euro netto dahingehend abgeändert, dass festgestellt wird, dass das Vertragsverhältnis zwischen der Beklagten als Versicherer und der Klägerin als Versicherungsnehmerin bezüglich der abgeschlossenen allgemeinen Haftpflichtversicherung HGV7…. mit der Vertragsnummer … lediglich bis zum 01.12.2015, 12.00 Uhr, fortbestand. Im Übrigen werden die Klage der Klägerin und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu einem Drittel und die Beklagte zu zwei Dritteln.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, ebenso das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung.
Die Parteien dürfen die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
2I.
3Die Klägerin, ein Unternehmen im Bereich des Anlagenbaus, war bis zum 30.11.2014 bei der G. Allgemeine Versicherung AG betriebshaftpflichtversichert. Sie beauftragte im Jahr 2014 den Streitverkündeten, den Versicherungsmakler R. F., nach Ablauf dieser Versicherung eine entsprechende Versicherung bei einem anderen Versicherer abzuschließen. Der Streitverkündete nahm Kontakt zur Beklagten auf und bat mit E-Mail vom 04.08.2014 um Zusendung eines Risikobogens. Das entsprechende Formular wurde ihm zugesandt, und er füllte diese Deckungsnote wie folgt aus:
4Anzahl der Vorschäden in den letzten 5 Jahren: 3
Höhe: 7081,50 €
Wegen der weiteren Einzelheiten der Deckungsnote wird auf die Anlage K1 im Anlagenband Klägerin verwiesen. Das Formular übersandte er dann mit E-Mail vom 05.08.2014 an die Beklagte und gab dabei noch folgendes an (Anlage K7 im Anlagenband Klägerin):
8„Seit dem Jahre 2009 bis dato erfolgte folgende Schadenszahlungen:
9Schaden v. 23.02.2009 1412 Euro
10Schaden v. 12.09.2012 4.498,68
11Schadennv. 12.10.2012 1.171,78
12Die Jahre 2010, 2011, 2013, 2014 bis dato waren schadensfrei“
13Dem Streitverkündeten lag zu diesem Zeitpunkt die Schadenaufstellung der Gothaer Allgemeine Versicherung AG (Anlage B1 im Anlagenband Beklagte) vor, wonach auf Schäden vom 27.07.2010 und 11.10.2010 keine Zahlungen geleistet worden sind und hinsichtlich der Schäden vom 12.09.2012 und 12.10.2012 Rückstellungen i.H.v. 25.501,00 € bzw. 10.828,00 € bestanden.
14Mit Schreiben vom 17.10.2014 nahm die Beklagte den Antrag der Klägerin an und übersandte den Versicherungsschein vom gleichen Tag (Anlage K3 im Anlagenband Klägerin). Die Jahresprämie betrug 7825,56 €.
15Mit Schreiben vom 02.12.2014 wandte sich die Beklagte an die G. Allgemeine Versicherung AG und bat um Mitteilung von Vorschäden. Die G. Allgemeine Versicherung AG gab hinsichtlich der Frage nach den in den letzten 5 Jahren gemeldeten Schäden an, dass auf den Schaden vom 12.09.2012 Zahlungen i.H.v. 70.747,66 € geleistet worden seien, während für den Schaden vom 12.10.2012 Zahlungen i.H.v. 1655,30 € geleistet und Reserven i.H.v. 10.344 € gebildet worden seien (Anlage K2 im Anlagenband Klägerin). Die Beklagte kündigte daraufhin mit Schreiben vom 11.12.2014 ihre Rücktrittserklärung an (Anlage K5 im Anlagenband Klägerin) und erklärte mit Schreiben vom 07.01.2015 die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, den Rücktritt und hilfsweise die Kündigung (Anlage K6 im Anlagenband Klägerin).
16Die Klägerin hat behauptet, die seinerzeitige Angabe in der Deckungsnote sei zutreffend gewesen und hätte dem damaligen Kenntnisstand von ihr und dem Streitverkündeten entsprochen. Insbesondere habe es keinerlei Korrespondenz mit der G. Allgemeine Versicherung AG aufgrund des Schadenfalls vom 12.09.2012 und der diesbezüglichen Zahlungen gegeben. Bis zum 17.10.2014 habe niemand Kenntnisse gehabt, die über die Angaben in der Anlage B1 hinausgingen. Eine unzutreffende Antwort auf die Frage nach Vorschäden in der Deckungsnote sei nicht gegeben worden, da die Beklagte nach Rückstellungen gar nicht gefragt habe.
17Die Klägerin hat beantragt,
18festzustellen, dass das Vertragsverhältnis zwischen der Beklagten als Versicherer und der Klägerin als Versicherungsnehmerin bezüglich der abgeschlossenen allgemeinen Haftpflichtversicherung HGV7… mit der Vertragsnummer …, nicht durch den Rücktritt/die Kündigung/die Anfechtung der Beklagten mit Schreiben vom 07.01.2015 rechtlich beendet ist, sondern fortbesteht,
19sowie die Beklagte zu verurteilen, an sie vorgerichtliche anwaltliche Kosten i.H.v. 612,80 € netto zu zahlen.
20Die Beklagte hat beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Die Beklagte hat behauptet, die Klägerin habe sie über das Bestehen der Vorschäden arglistig getäuscht, um einen günstigen Versicherungsschutz zu erlangen. Die Klägerin habe hinsichtlich der einzelnen Schäden Kenntnisse gehabt, die sie ihr verschwiegen habe. Ihre Frage nach Zahl und Höhe der Vorschäden sei eindeutig und unmissverständlich gewesen. Bei zutreffenden Angaben der Klägerin wäre ihr Antrag nicht oder jedenfalls nur unter erschwerten Bedingungen angenommen worden.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen erstinstanzlichen Vortrags und der von den Parteien vor dem Landgericht gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 11.03.2016 und die in den Entscheidungsgründen enthaltenen tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen.
24Die Vorsitzende der Kammer für Handelssachen hat mit der prozessleitenden Verfügung vom 23.04.2015 um Mitteilung gebeten, ob die Parteien mit einer Entscheidung durch die Vorsitzende allein gemäß § 349 Abs. 3 ZPO einverstanden seien (Bl. 8 GA). Die Parteien haben auf diese Bitte nicht reagiert. Das Landgericht hat der Klage allein durch die Vorsitzende mit Urteil vom 11.03.2016 vollumfänglich stattgegeben. Eine arglistige Täuschung durch die Klägerin könne nicht festgestellt werden, da die Frage der Beklagten nach Vorschäden objektiv mehrdeutig sei. Einerseits könne darunter zu verstehen sein, dass nur nach Schadensereignissen gefragt sei, die auch zu einer Regulierung geführt hätten, andererseits könnten auch Schadensmeldung gemeint sein, die zu keiner Zahlung des Vorversicherers geführt hätten. Ferner seien lediglich die aus der Anlage B1 ersichtlichen tatsächlichen Zahlungen der G. Allgemeine Versicherung AG anzugeben gewesen, da die Beklagte eine Kenntnis der Klägerin von weitergehende Zahlungen schon nicht behauptet habe und auch selber der Meinung sei, dass bloße Rückstellungen nicht anzugeben gewesen wären. Eine zu einem Rücktritt berechtigende Verletzung der Anzeigepflicht könne aus diesen Gründen ebenfalls nicht festgestellt werden, zumal ohnehin kein Hinweis gemäß § 19 Abs. 5 VVG dargetan sei.
25Mit ihrer gegen das landgerichtliche Urteil gerichteten form- und fristgerechten Berufung wiederholt und vertieft die Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen.
26Die Beklagte beantragt unter „Aufhebung“ des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 11.03.2016,
27die Klage abzuweisen.
28Die Klägerin beantragt,
29die Berufung zurückzuweisen.
30Auch die Klägerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.
31II.
32Die zulässige Berufung der Beklagten ist lediglich dahingehend begründet, dass der Versicherungsvertrag nicht über den 01.12.2015, 12.00 Uhr, hinausgehend fortbestand. Im Übrigen – und namentlich hinsichtlich der zwischen den Parteien streitigen Frage der Wirksamkeit der Anfechtung der Beklagten – ist sie unbegründet.
Nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass die Kammer für Handelssachen in unzutreffender Besetzung entschieden hat, da die Parteien auf die Anfrage der Vorsitzenden, ob sie mit einer Entscheidung gemäß § 349 Abs. 3 ZPO einverstanden seien, nicht reagiert haben. Das Einverständnis ist als Prozesshandlung außerhalb der mündlichen Verhandlung durch Schriftsatz, sonst mündlich zu Protokoll zu erklären; nicht ausreichend ist es grundsätzlich, dass Sachanträge nach Verhandlung mit dem Vorsitzenden gestellt werden (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 31. Aufl. 2016, § 349 ZPO, Rn. 19). Daran fehlt es und ist auch nicht auf die Nachfrage in der prozessleitenden Verfügung vom 28.12.2016 hin von den Parteien aufgezeigt worden. Die Erklärung der Klägerin im Schriftsatz vom 31.01.2017, jetzt einer Entscheidung gemäß § 349 Abs. 3 ZPO zuzustimmen, ist für die Entscheidung des Landgerichts zu spät. Ein Einverständnis der Parteien im Sinne des § 349 Abs. 3 ZPO lag damit nicht vor, so dass die Kammer in voller Besetzung zu entscheiden hatte.
34Allerdings ist der Verfahrensfehler gemäß § 295 Abs. 1 ZPO geheilt, da die Parteien eine Entscheidung allein durch die Vorsitzende auch nicht gerügt haben (MüKoZPO/Stackmann ZPO § 349 Rn. 26, beck-online; BeckOK ZPO/Fischer ZPO § 349 Rn. 29, beck-online; Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 31. Aufl. 2016, § 349 ZPO, Rn. 18).
Eine arglistige Täuschung der Beklagten durch die Klägerin bzw. den Streitverkündeten kann nicht festgestellt werden.
Fraglich ist schon, ob in der Deckungsnote überhaupt falsche Angaben gegenüber der Beklagten gemacht wurden.
Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass der Begriff der Vorschäden, nach denen unter D. gefragt war, mehrdeutig ist.
Bei unklaren Antragsfragen fehlt es schon an der objektiven Verletzung einer Anzeigeobliegenheit, wenn der Versicherungsnehmer die Frage in einem bestimmten Sinne verstanden hat und verstehen durfte (objektive Auslegung) und sie bei Zugrundelegung dieses Verständnisses richtig beantwortet hat (Prölss/Martin/Armbrüster VVG § 22 Rn. 12, beck-online). Denn unklare Antragsfragen sind zugunsten des Versicherungsnehmers auszulegen (RG VA 1911 Nr. 573, Hamm VersR 1993, 1135, Köln VersR 1967, 942). Der Versicherungsnehmer hat also die Anzeigeobliegenheit erfüllt, wenn er die Frage im Sinne einer der möglichen Auslegungen beantwortet hat. Das folgt daraus, dass vorgedruckte Fragen auch dann, wenn man ihnen keine AGB-Qualität beimisst, jedenfalls wie AGB auszulegen sind (vgl. BGH VersR 1999, 1481, 1482).
39Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es grundsätzlich auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an (BGHZ 123, 83, 85; BGH, Urteil vom 23. Juni 2004 – IV ZR 130/03 –, BGHZ 159, 360).
Hier hat die Klägerin drei Vorschäden angegeben, nämlich vom 23.02.2009, 12.09.2012 und 12.10.2012. Nach Ansicht der Beklagten hätte die Klägerin darüber hinaus die Ereignisse vom 27.07.2010 und 11.10.2010 angeben müssen, hinsichtlich der die G. Allgemeine Versicherung AG keine Zahlungen geleistet hat. Dies ist bei Auslegung der Frage der Beklagten nach der vorstehend skizzierten Sichtweise eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers indes keineswegs zwingend.
41Der Begriff des Vorschadens ist nicht weiter von der Beklagten definiert oder erklärt worden; es ist allein nach „Vorschäden in den letzten 5 Jahren“ gefragt worden. Dabei ist diese Frage nach ihrem Wortlaut nicht dahingehend eingeschränkt, dass nur Vorschäden anzugeben sein sollen, die auch dem Vorversicherer gemeldet wurden – vielmehr erfasst der Wortlaut der Frage ohne weiteres sämtliche Vorschäden, die in dem betreffenden Risikobereich eingetreten sind. Erst der systematische Zusammenhang mit der im Satz zuvor erteilten Ermächtigung legt nahe, dass nur Vorschäden gemeint sind, die einen Bezug zum Vorversicherer haben. Dies macht indes deutlich, dass der Begriff des Vorschadens grundsätzlich einschränkend auszulegen ist – und zwar auch nach dem Verständnis der Beklagten.
42Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer liegt es dabei keineswegs fern, dass ein „Schaden“ aber nur dann eingetreten ist, wenn der Versicherer tatsächlich Leistungen erbracht hat – und zwar an einen geschädigten Dritten, während die erfolgreiche Abwehr eines bloß geltend gemachten Schadens, aus welchem Grund auch immer, gerade nicht als Schaden angesehen wird, weil entsprechende Zahlungen ja eben nicht geleistet werden mussten und ein eintrittspflichtiger Schaden für den Versicherungsnehmer gerade nicht vorlag. Der Begriff des Schadens ist mehrdeutig: Es können Schäden mit nachfolgender Regulierung oder aber Schadensmeldungen ohne Regulierungsfolge gemeint sein (KG, NJWE-VHR 1998, 174, beck-online; soweit sich die Beklagte auf die Entscheidungen des OLG München, VersR 1984, 636 und LG Hamburg, VersR 1985, 132 bezieht, ist in diesen Entscheidungen zu der hier maßgeblichen Frage, ob ein Vorschaden auch dann als solcher zu verstehen ist, wenn keine Zahlungen darauf erbracht wurden, keine Stellung genommen worden). Dies gilt auch gerade dann, wenn sich der durchschnittliche Versicherungsnehmer nach Sinn und Zweck der geforderten Angaben fragt, da aus seiner Sicht eines versicherungsrechtlichen Laien zwecks Erfassung des Risikos vor allem maßgeblich sein dürfte, in welcher Höhe tatsächlich Zahlungen des Versicherers erbracht wurden, da diese Leistungen typischerweise deutlich über bloße Abwehrkosten hinausgehen.
43Der Senat verkennt nicht, dass eine „Schadensmeldung“ durch den Versicherungsnehmer nach sprachlich-logischem Verständnis einen „Schaden“ voraussetzt und solche Schadensmeldungen gegenüber dem Vorversicherer abgegeben worden sein müssen, da dieser sonst keine Kenntnis von den entsprechenden Ereignissen hätte. Ferner setzt auch das Bestehen eines Versicherungsfalls gerade nicht voraus, dass der Versicherer Zahlungen zu erbringen hat. Jedoch hat die Beklagte auch nicht nach Schadensmeldungen oder Versicherungsfällen gefragt, sondern nach „Schäden“. So ist es ohne weiteres denkbar, dass eine Eintrittspflicht des Versicherungsnehmers und des Versicherers gegenüber einem Anspruchsteller bereits deshalb ausscheidet, weil ein zurechenbarer Schaden eben nicht entstanden ist. Auch diesen Fall als „Vorschaden“ im Sinne der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit zu verstehen, widerspricht dem Wortlautverständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers.
Auch der Begriff der Schadenshöhe ist mehrdeutig. So ist es einerseits aufgrund des unmittelbaren Zusammenhangs mit dem Begriff des Vorschadens jedenfalls bei abgeschlossenen Schadensfällen denkbar, unter diesem Begriff die Höhe der korrespondierenden tatsächlichen Zahlungen des Versicherers zu verstehen, da sich auch nur in dieser Höhe ein vom Vorversicherer zu regulierender Schaden tatsächlich realisiert hat.
45Andererseits könnte unter diesem Begriff auch der objektiv eingetretene Schaden verstanden werden, unabhängig davon, in welcher Höhe Zahlungen bislang geleistet wurden (für ein solches Verständnis wohl OLG München, VersR 1984, 636, wobei die konkrete Frage nicht ersichtlich ist). Ein solches Verständnis führt allerdings zu nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten, wenn ein Schaden noch nicht endgültig abgeschlossen ist und ein objektiv richtiger Schadensbetrag noch nicht festgestellt wurde: Soll der vom Geschädigten geltend gemachte Schadensbetrag angegeben werden oder der Schadensbetrag, den der Versicherungsnehmer für zutreffend hält, oder der Schadensbetrag, den der Versicherer für richtig hält? Oder ein Betrag irgendwo in der Mitte? Nach einer bloßen Größenordnung hat die Beklagte nicht gefragt, auch nicht nach einem „zu erwartenden“ Schaden. Sie hat vielmehr nach der „Höhe“ in Euro gefragt – soweit die Beklagte in der Berufungsbegründung angibt, es werde nicht erwartet, dass genaue Zahlen angegeben werden, findet dies in der Deckungsnote keinerlei Grundlage; vielmehr wird durchaus suggeriert, eine möglichst exakte Angabe machen zu sollen. Nach einer bloßen „Größenordnung“ ist keineswegs gefragt worden.
46Angesichts dieser Schwierigkeiten ist die erstgenannte Auslegung jedenfalls gut vertretbar. Eine unzutreffende Antwort der Klägerin mag allerdings dann vorliegen, wenn die Klägerin erkannt hat, dass der bislang von dem Vorversicherer regulierte Schadensbetrag den insgesamt zu regulierenden Betrag mit Sicherheit (deutlich) übersteigen wird. In einem solchen Fall, in dem die Schadensregulierung noch andauert und auch für den Versicherungsnehmer klar ist, dass die bisherigen Zahlungen letztlich nur Teilbeträge sind, liegt es auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer auf der Hand, dass nicht nach einem solchen möglicherweise auf rein zufälligen Umständen beruhenden Teilbetrag gefragt ist, sondern der Gesamtschaden genannt werden soll.
47Dass dies hinsichtlich der beiden Schäden vom 12.09.2012 und 12.10.2012 tatsächlich der Fall war, ist von der Beklagten indes nicht dargetan worden. Insbesondere hat die Beklagte nicht dargetan, dass die Klägerin – oder der Streitverkündete – wussten, dass die Schadensabwicklung hinsichtlich dieser Ereignisse noch völlig offen war; solches muss sich auch nicht aufdrängen, da der Versicherungsantrag bei der Beklagten rund zwei Jahre nach diesen Schadensereignissen gestellt wurde. Anzugeben sind jedenfalls nicht irgendwelche Rückstellungsbeträge des Vorversicherers, hinsichtlich der unklar ist, wie sie ermittelt wurden. Nach diesen Beträgen ist nicht gefragt worden.
48Erschwerend kommt hier noch dazu, dass der Streitverkündete in der Übersendungs-E-Mail vom 05.08.2014 ausdrücklich angegeben hat, welche „Schadenszahlungen“ bis dato erbracht worden waren, wobei die Summe der angegebenen Zahlungen – bis auf rund einen Euro – der in der Deckungsnote angegeben Höhe der Vorschäden entsprach. Die Beklagte wusste damit, dass die Klägerin durch den Streitverkündeten allein tatsächliche Zahlungen bei den erfragten Vorschäden angegeben hatte und musste das entsprechende Verständnis der Klägerin erkennen. Hätte sie noch weitere Angaben von der Klägerin haben wollen, hätte sie entsprechend nachfragen müssen.
Angesichts der vorstehenden Ausführungen kann jedenfalls nicht festgestellt werden, dass die Klägerin – oder der Streitverkündete – arglistig gehandelt haben.
Von einem arglistigen Verhalten ist auszugehen, wenn der Täuschende weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass er unzutreffende Angaben macht, und dass dadurch bei dem Empfänger seiner Erklärung eine falsche Vorstellung entsteht und diese ihn zu einer Erklärung veranlasst, die er bei richtiger Kenntnis der Dinge nicht oder nicht so abgegeben haben würde. Das Tatbestandsmerkmal der Arglist erfasst nicht nur ein Handeln, das von betrügerischer Absicht getragen ist, sondern auch solche Verhaltensweisen, die auf bedingten Vorsatz im Sinne eines „Fürmöglichhaltens“ reduziert sind und mit denen kein moralisches Unwerturteil verbunden sein muss (BGH NJW 2001, 2326; OLG Karlsruhe NJW-RR 2006, 463). Auf Arglist als innere Tatsache kann regelmäßig nur auf der Grundlage von Indizien geschlossen werden. Voraussetzung für die Annahme einer arglistigen Täuschung ist somit, dass der Versicherungsnehmer mit wissentlich falschen Angaben von Tatsachen bzw. dem Verschweigen anzeige- und offenbarungspflichtiger Umstände auf die Entschließung des Versicherers, seinen Versicherungsantrag anzunehmen, Einfluss nehmen will und sich bewusst ist, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er wahrheitsgemäße Angaben mache. Arglistig täuscht im Sinne des § 123 BGB damit nur derjenige, dem bei der Beantwortung der Fragen nach Vorschäden auch bewusst ist, dass die Nichterwähnung der nachgefragten Umstände geeignet ist, die Entschließung des Versicherers über die Annahme des Vertragsangebots zu beeinflussen (vgl. OLG Karlsruhe NJW-RR 2006, 463).
51Da es sich bei dem Bewusstsein des Versicherungsnehmers um eine innere Tatsache handelt, kann der Beweis in der Praxis meist nur durch einen Indizienbeweis geführt werden. Will der Versicherer den ihm nach § 123 BGB obliegenden Nachweis führen, der Versicherungsnehmer habe bei Anbahnung des Versicherungsvertrages arglistig falsche Angaben gemacht, so trifft, wenn objektiv falsche Angaben vorliegen, nach ständiger Rechtsprechung den Versicherungsnehmer indes eine sekundäre Darlegungslast; er muss plausibel darlegen, wie und weshalb es zu den objektiv falschen Angaben gekommen ist (BGH NJW-RR 2008, 343 m.w.N.). Dabei liegt eine arglistige Täuschung durch den Versicherungsnehmer nicht vor, wenn in einem Versicherungsantragsvordruck objektiv unklare oder mehrdeutige Fragen gestellt werden und er die Fragen in vertretbarer Weise in einem anderen Sinn als dem des Versicherers verstanden und insoweit zutreffend beantwortet hat; das gilt auch dann, wenn der Versicherungsnehmer "branchenkundig" ist (KG, NJWE-VHR 1998, 174, beck-online m.w.N.).
Die Klägerin hat im Einzelnen dargetan, wie es zu den Angaben des Streitverkündeten in der Deckungsnote und in der erläuternden E-Mail vom 05.08.2014 gekommen ist. Dem ist die Beklagte letztlich nicht hinreichend unter Beweisantritt entgegen getreten. Welche über den Inhalt der Anlage B1 hinausgehende konkrete Umstände der Klägerin bekannt gewesen sein sollen, hat sie nicht dargetan. Zwar liegt auf der Hand, dass die Klägerin Kenntnis von den Schadensereignissen vom 12.09.2012 und 12.10.2012 gehabt haben muss, jedoch hat zunächst die für die Arglist der Klägerin darlegungsbelastete Beklagte vorzutragen, aus welchen Umständen die Arglist der Klägerin folgen soll. Allein der Umstand, dass der Vorversicherer – aus welchen Gründen auch immer – Rückstellungen für diese Schäden gebildet hat, genügt nicht. Erforderlich wäre vielmehr gewesen, dass die Klägerin wusste, dass die Regulierung der Schadensereignisse vom 12.09.2012 und 12.10.2012 noch andauerte und nicht abgeschlossen war und noch bedeutende Zahlungen des Vorversicherers sicher waren. Nur dann könnte die Angabe der bisherigen Zahlungen für diese beiden Schadensereignisse in der E-Mail vom 05.08.2014 ohne gleichzeitigen erklärenden Zusatz, dass weitere Zahlungen zu erwarten sind, als gezielte Verschleierung angesehen werden. Entsprechendes hat die Beklagte aber nicht vorgetragen: Sie hätte dartun müssen, um was für Schadensereignisse es sich gehandelt hat, in welcher Höhe tatsächlich ein der Klägerin zurechenbarer Schaden entstanden ist und dass die Klägerin davon auch Kenntnis hatte.
53Darüber hinaus spricht gegen ein arglistiges Verhalten der Klägerin bzw. des Streitverkündeten, dass mit der E-Mail vom 05.08.2014 ausdrücklich offen gelegt worden war, dass allein bis dato tatsächlich geleistete Beträge angegeben worden waren. Eine Aussage zu möglicherweise noch anstehenden Zahlungen ist damit gerade nicht getroffen worden.
54Schließlich spricht hier auch gegen ein arglistiges Verhalten, dass die Beklagte ausdrücklich dazu ermächtigt wurde, alle risikorelevanten Daten beim Vorversicherer nachzuprüfen. Es lag für die Klägerin nicht fern, dass die Beklagte diese Überprüfung auch bereits vor Vertragsabschluss vornehmen würde, da – anders als die Beklagte vortragen lässt – die Deckungsnote nicht erst am 18.10.2014 bei ihr eingegangen sein kann. Abgesehen davon, dass der Versicherungsschein bereits am 17.10.2014 ausgestellt wurde, was die Beklagte kaum vor Eingang der Deckungsnote getan haben dürfte, ist ihr die Deckungsnote ausweislich der Anlage K7 bereits mit E-Mail vom 05.08.2014 übersandt worden.
Ein Rücktrittsrecht der Beklagten gemäß § 19 Abs. 2 VVG oder eine Kündigungsmöglichkeit gemäß § 19 Abs. 3 VVG scheidet bereits deshalb aus, weil die Beklagte nicht dargetan hat, die Klägerin entsprechend § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG über die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung belehrt zu haben. Dabei ist unerheblich, dass für die Klägerin der Streitverkündete als Versicherungsmakler gehandelt hat, da der Wortlaut des § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG keine Einschränkung hinsichtlich des durch Mitteilung zu belehrenden Personenkreises enthält (OLG Hamm, Urteil vom 03. November 2010 – I-20 U 38/10, 20 U 38/10 –, juris). Gegen die entsprechenden Feststellungen des Landgerichts führt die Beklagte keinen Berufungsangriff; ohnehin legt die Formulierung in der Deckungsnote unter dem Punkt „H. Unterschriften“, wonach die Belehrung des Versicherungsnehmers „durch den Makler in gesonderter Mitteilung in Textform erfolgt“ sei, nahe, dass es eine Belehrung der Beklagten gerade nicht gegeben hat.
Nicht festgestellt werden kann indes, dass der Versicherungsvertrag über den 01.12.2015, 12.00 Uhr, hinaus fortbestand.
Die Klägerin hat mit ihrem Klageantrag begehrt festzustellen, dass das Versicherungsverhältnis fortbesteht. Dabei hat die Klägerin ihren Klageantrag in zeitlicher Hinsicht in keiner Weise eingeschränkt. Insbesondere hat die Klägerin nicht beantragt, das Fortbestehen des Versicherungsverhältnisses lediglich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt festzustellen, so dass sich das festzustellende Fortbestehen auf einen unbestimmten Zeitraum bezieht.
58Der Klageantrag ist auch nicht dahingehend einschränkend auszulegen, dass lediglich die nichtbeendende Wirkung des Schreibens vom 07.01.2015 festzustellen sein soll, da die Klägerin ausdrücklich sowohl diese Nichtbeendigung durch Rücktritt, Kündigung bzw. Anfechtung, als auch darüber hinaus das Fortbestehen des Versicherungsverhältnisses festzustellen begehrt.
59Ohnehin folgt aus den nachstehenden Erwägungen, dass das Schreiben vom 07.01.2015 und die darin enthaltenen Erklärungen gerade dazu geführt haben, dass der Versicherungsvertrag beendet wurde – wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt, als von der Beklagten beabsichtigt.
Der Versicherungsvertrag ist lediglich für die Dauer von einem Jahr bis zum 01.12.2015, 12.00 Uhr, abgeschlossen worden; ausweislich des Versicherungsscheins (Anlage K3 im Anlagenband Klägerin) verlängert sich das Versicherungsverhältnis nur dann stillschweigend um ein Jahr, wenn nicht der jeweils anderen Partei drei Monate vor dem jeweiligen Vertragsablauf eine schriftliche Kündigung zugegangen ist.
61Ob die Beklagte über die Erklärung vom 07.01.2015 (Anlage K6 im Anlagenband Klägerin) noch eine weitere Kündigung erklärt hat, ist nicht dargetan. Allerdings kann das Schreiben vom 07.01.2015 dahingehend auszulegen oder umzudeuten, dass jedenfalls auch eine reguläre Kündigung des Versicherungsvertrages zum 01.12.2015 erklärt werden sollte.
62So ist es grundsätzlich möglich, eine Rücktrittserklärung des Versicherers in eine Kündigung als „minus” mit weniger weitreichenden Rechtsfolgen umzudeuten: Während in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass eine Anfechtung des Vertrags des Versicherers nicht in einen Rücktritt vom Vertrag als Minus umgedeutet werden kann, da der Rücktritt eine andere Beweislastverteilung aufweist, treffen diese Unterschiede auf die bei der Anzeigepflichtverletzung des Versicherungsnehmers betroffenen Gestaltungsrechte der Kündigung und des Rücktritts nicht zu. Zudem ist für den objektiven Empfänger erkennbar, dass der Versicherer sich so schnell wie möglich vom Vertrag lösen möchte (Nugel, MDR 2009, 186, 191 m.w.N.; Rolfs in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2008, § 19 VVG, Rn. 130). Hier geht es dagegen nur um die Umdeutung einer außerordentlichen in eine ordentliche Kündigung, die keinerlei besonderen Voraussetzungen hat und auch ohne sachlichen Grund erklärt werden kann. Auch hier war es für die Klägerin offensichtlich und lag auf der Hand, dass sich die Beklagte jedenfalls zum regulären Laufzeitende vom Vertrag lösen wollte.
63Darüber hinaus genügt nach dem Wortlaut des Versicherungsscheins, dass „eine schriftliche Kündigung“ zugegangen ist – dies ist allerdings letztlich nicht zweifelhaft, da im Schreiben vom 07.01.2015 eine Kündigungserklärung enthalten war. Dass es sich bei der Kündigung um eine ordentliche Kündigung handeln muss, ergibt sich aus dem Wortlaut des Versicherungsscheins nicht, da lediglich „eine“ - gleich welche – Kündigung ausreichend sein soll. Dies entspricht auch den wohlverstandenen Parteiinteressen: Wenn eine Partei bereits zum Mittel einer außerordentlichen Kündigung greift, ist offensichtlich, dass sie den Vertrag nicht stillschweigend verlängern möchte.
Gegen den vom Landgericht zugesprochenen Anspruch auf Schadensersatz hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten führt die Beklagte keinen Berufungsangriff.
65III.
66Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Bei der Kostenquote hat der Senat berücksichtigt, dass die Klägerin mit dem Hauptanliegen Erfolg hat, da eine sofortige Beendigung des Versicherungsvertrages nicht festzustellen ist. Aufgrund dessen ist es angemessen, die Kosten im Verhältnis von ein Drittel zu zwei Drittel zu Gunsten der Klägerin zu verteilen.
67Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
68Ein Grund zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Abgesehen davon, dass der Senat weder von der Rechtsprechung anderer Obergerichte noch des Bundesgerichtshofs abweicht, geht es hier allein um die tatrichterliche Frage der Auslegung der konkreten Fragen in der hier verwendeten Deckungsnote der Beklagten. Dass dieser Frage grundsätzliche Bedeutung zukommt, ist nicht ersichtlich.
69Der Streitwert wird auf 27.389,46 Euro (3,5 x 7825,56 Euro Jahresbeitrag) festgesetzt.
70… … …