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Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 5. Januar 2016 (VK 1-112/15) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB werden der Antragstellerin auferlegt.
Die Kosten des Verfahrens nach § 121 GWB werden den Antragsgegnerinnen zu gleichen Teilen auferlegt.
G r ü n d e
2I. Die Antragsgegnerinnen schrieben Rabattvereinbarungen gemäß § 130a Abs. 8 SGB V für den Zeitraum vom 01.04.2016 bis zum 31.03.2018 im offenen Verfahren europaweit aus. Das streitgegenständliche Fachlos 10, betreffend den Wirkstoff Fentanyl, mit acht Gebietslosen soll im Dreipartnermodell vergeben werden. Zuschlagskriterium ist die Wirtschaftlichkeit des Rabatt-ApU (ApU = Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers), ermittelt anhand der Gesamtwirtschaftlichkeitsmaßzahl, der Summe der für die einzelnen Preisvergleichsgruppen ermittelten Wirtschaftlichkeitsmaßzahlen.
3Die Antragsgegnerinnen beabsichtigen, den beiden beigeladenen Bietergemeinschaften sowie der B. GmbH, einem Einzelbieter, den Zuschlag zu erteilen. Die Antragstellerin, deren Angebot in der Wertung auf Platz 4 liegt, ist der Auffassung, die Angebote der Beigeladenen seien auszuschließen und die Angebotswertung sei zu wiederholen. Die Eingehung der Bietergemeinschaften beruhe auf wettbewerbsbeschränkenden Abreden und sei kartellrechtswidrig im Sinn des § 19 Abs. 3 Buchst. f) VOL/A-EG i.V.m. § 1 GWB und Art. 101 AEUV. Die Vergabekammer hat den nach erfolgloser Rüge gestellten Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, verbunden mit einem Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB. Die Antragsgegnerinnen haben nach § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB a.F. Vorabentscheidung über den Zuschlag beantragt; diesen Antrag haben sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen.
4Die Antragstellerin beantragt unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens,
5unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Antragsgegnerinnen zu verpflichten, die Angebote der Beigeladenen auszuschließen.
6Die Antragsgegnerinnen und die Beigeladene zu 1) beantragen,
7die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
8Sie halten die Bildung der Bietergemeinschaften für wettbewerbsrechtlich unbedenklich.
9Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze und die Anlagen sowie auf die Verfahrensakten der Vergabekammer und die beigezogenen Vergabeakten Bezug genommen.
10II. Die Beschwerde der Antragstellerin ist zurückzuweisen. Der zulässige Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Die Angebote der Beigeladenen sind nicht von der Wertung auszuschließen. Nach § 19 Abs. 3 Buchst. f) VOL/A-EG werden Angebote ausgeschlossen von Bietern, die in Bezug auf die Vergabe eine unzulässige wettbewerbsbeschränkende Abrede getroffen haben oder gegen Wettbewerbsregeln verstoßen. Ob ein Verstoß gegen das Kartellrecht vorliegt, ist inzident im Rahmen der vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm, hier §§ 97 Abs. 1 GWB, 19 Abs. 3 Buchst. f) VOL/A-EG, zu prüfen. Die Bildung einer Bietergemeinschaft und Abgabe eines gemeinsamen Angebots kann gegen § 1 GWB und Art. 101 AEUV verstoßen, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt (Senat, Beschluss v. 01.07.2015, VII-Verg 17/15, juris Rn. 13 mwN). Wettbewerbsrechtlich unbedenklich sind Bietergemeinschaften zwischen konzernangehörigen Unternehmen, da diese gemäß § 36 Abs. 2 GWB als ein Unternehmen anzusehen sind (sog. Konzernprivileg, vgl. Senat, Beschluss v. 29.07.2015, VII-Verg 5/15, juris Rn. 24), ebenso zwischen auf unterschiedlichen Märkten tätigen Unternehmen, wenn unter ihnen kein Wettbewerb besteht (Senat, Beschluss v. 17.02.2014, VII-Verg 2/14, juris Rn. 35 mwN).
11Handelt es sich - wie im Streitfall - um Unternehmen, die auf demselben Markt tätig sind und zueinander in einem potentiellen Wettbewerbsverhältnis stehen, ist die Bildung einer Bietergemeinschaft wettbewerbsunschädlich, wenn
12- die beteiligten Unternehmen jedes für sich zu einer Teilnahme an der Ausschreibung mit einem eigenständigen Angebot aufgrund ihrer betrieblichen und geschäftlichen Verhältnisse (z.B. mit Blick auf Kapazitäten, technische Einrichtungen und/oder fachliche Kenntnisse) nicht leistungsfähig sind und erst der Zusammenschluss zu einer Bietergemeinschaft sie in die Lage versetzt, sich daran mit Erfolgsaussicht zu beteiligen (Fallgruppe 1), oder
13- die Unternehmen für sich genommen zwar leistungsfähig sind (insbesondere über die erforderlichen Kapazitäten verfügen), Kapazitäten aufgrund anderweitiger Bindung aktuell jedoch nicht einsetzbar sind (Fallgruppe zwei), oder
14- die beteiligten Unternehmen für sich genommen leistungsfähig sind, aber im Rahmen einer wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Entscheidung erst der Zusammenschluss ein erfolgversprechendes Angebot ermöglicht (Fallgruppe 3).
15In den vorgenannten Fällen wird durch die Zusammenarbeit der Wettbewerb nicht nur nicht beschränkt, sondern aufgrund des gemeinsamen Angebots gestärkt (vgl. Senat, Beschluss v. 01.07.2015, VII-Verg 17/15, juris Rn. 14 mwN).
16Die Entscheidung eines Unternehmens, sich als Mitglied einer Bietergemeinschaft an einer Ausschreibung zu beteiligen, unterliegt der Einschätzungsprärogative der beteiligten Unternehmen, die nur beschränkt auf die Einhaltung ihrer Grenzen kontrollierbar ist. Sie muss freilich auf objektiven Anhaltspunkten beruhen, deren Vorliegen uneingeschränkt zu überprüfen ist, so dass die Entscheidung zur Eingehung einer Bietergemeinschaft vertretbar erscheint (Senat, aaO, juris Rn. 16 mwN). Auf Aufforderung haben die beteiligten Unternehmen hierzu vorzutragen, um dem Auftraggeber eine gezielte kartellrechtliche Einzelfallprüfung zu ermöglichen (Senat, Beschluss v. 17.02.2014, VII-Verg 2/14, juris Rn. 36 mwN).
17Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze ist die Bildung der Bietergemeinschaften der Beigeladenen wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Zusammenschlüsse waren jeweils im Rahmen einer wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Entscheidung vertretbar:
18Nach dem Zuschnitt der Ausschreibung ist für die Erfolgsaussichten des Angebots die Sortimentsabdeckung von entscheidender Bedeutung. Zwar sind, da eine Mindestsortimentsbreite nicht vorgeschrieben ist, bereits Angebote zulässig, die einen Rabatt-ApU auf eine einzige der hier gebildeten 111 Preisvergleichsgruppen anbieten. Sie hätten jedoch keine Zuschlagschancen, da der Zuschlag anhand der Gesamtwirtschaftlichkeitsmaßzahl erfolgt. Die Gesamtwirtschaftlichkeitsmaßzahl wird für jedes Angebot pro Gebiets- und Fachlos ermittelt. Hierzu werden Preisvergleichsgruppen gebildet, die Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff, identischer Wirkstärke (Wirkstoffgehalt je Dosiereinheit), gleicher oder austauschbarer Darreichungsform und identischer Packungsgröße (N1, N2 oder N3) umfassen. Die Differenz zwischen dem Rabatt-ApU und dem durchschnittlichen ApU je Gramm Wirkstoff der Preisvergleichsgruppe wird mit der hochgerechneten Abgabemenge in Gramm Wirkstoff für die gesamte Preisvergleichsgruppe aus dem Referenzzeitraum multipliziert, so dass sich die Wirtschaftlichkeitsmaßzahl ergibt. Wird für eine Preisvergleichsgruppe kein Rabatt auf den ApU angeboten, ist die Wirtschaftlichkeitsmaßzahl Null. Die Summe der Wirtschaftlichkeitsmaßzahlen für jedes Fachlos ergibt die für den Zuschlag maßgebliche Gesamtwirtschaftlichkeitsmaßzahl. Dieses Bewertungssystem führt dazu, dass die Bieter möglichst viele Preisvergleichsgruppen anbieten und eine hohe Sortimentsabdeckung erreichen müssen, um Chancen auf einen Zuschlag zu haben. Die Sortimentsabdeckung ergibt sich aus dem Verhältnis der historischen Abgabemengen der Arzneimittel der vom Bieter besetzten Preisvergleichsgruppen in Gramm Wirkstoff zu der Gesamtabgabemenge aller Arzneimittel des Fachloses im Referenzzeitraum. Dem entsprechend haben die Antragsgegnerinnen in den Vergabeunterlagen explizit darauf hingewiesen, dass sich Sortimentslücken bei der Wirtschaftlichkeitswertung nachteilig auswirken können.
19Bei Ausschreibungen der vorgenannten Art kann für Unternehmen, deren Sortimentsbreite unter der potentieller Wettbewerber liegt, die Bildung von Bietergemeinschaften mit dem Ziel einer höheren Sortimentsabdeckung bereits objektiv erforderlich sein, um mit Aussicht auf Erfolg an der Ausschreibung teilnehmen zu können. Jedenfalls aber ist es im Rahmen einer wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Entscheidung vertretbar, dass die Beigeladenen sich mit dem Ziel zusammengeschlossen haben, eine Sortimentsbreite zu erreichen, die sich der des leistungsstärksten Wettbewerbers nähert. Dies ist beim Wirkstoff Fentanyl die A. AG mit 58 %. Durch Heranziehung des in der Vergangenheit von den Antragsgegnerinnen nachgefragten Sortiments und der in der Lauer-Taxe veröffentlichten Daten konnten die Unternehmen die potentielle Sortimentsabdeckung der möglichen Konkurrenten prognostizieren. Hierbei ist ohne Bedeutung, dass die A. AG tatsächlich kein Angebot abgegeben hat und der Einzelbieter B. GmbH als drittplatziertes Unternehmen bereits mit einer Sortimentsabdeckung von nur 37 % für den Zuschlag vorgesehen ist. Aufgrund des Geheimwettbewerbs ist für die Bieter im Vorhinein nicht absehbar, welche Unternehmen und gegebenenfalls Bietergemeinschaften Angebote abgeben werden.
20Gemäß den Anforderungen der Vergabeunterlagen haben die Mitglieder der beigeladenen Bietergemeinschaften den Antragsgegnerinnen dargelegt, alleine jeweils nur einen Teil des nachgefragten Sortiments abdecken zu können, wobei die jeweiligen Teilsortimente lediglich einem Bruchteil der in den Preisvergleichsgruppen im Referenzzeitraum abgegebenen Wirkstoffmenge entsprechen. Die Antragsgegnerinnen haben die Angaben der Bietergemeinschaften anhand der Eintragungen in der Lauer-Taxe und der AMIS-Datenbank nachvollzogen. Während das von der Antragstellerin, einer Bietergemeinschaft konzernangehöriger Unternehmen, angebotene Sortiment 15 Preisvergleichsgruppen umfasst und etwa 33 % des Beschaffungsbedarfs der Antragsgegnerinnen abdeckt, haben die Mitglieder der Bietergemeinschaft zu 1) durch die C. GmbH & Co. KG zwölf Preisvergleichsgruppen entsprechend 30,65 % des Bedarfs, durch die D. GmbH fünfzehn Preisvergleichsgruppen entsprechend 10,23 % des Bedarfs und durch die E. GmbH & Co KG zwölf Preisvergleichsgruppen entsprechend 4,51 % des Bedarfs angeboten. Bei der Bietergemeinschaft zu 2) deckt die F. GmbH 15 Preisvergleichsgruppen entsprechend 32,6 % des Bedarfs, die G. GmbH 27 Preisvergleichsgruppen entsprechend 8,18 % des Bedarfs und die H. acht Preisvergleichsgruppen entsprechend 9,19 % des Bedarfs ab. Die Bildung der Bietergemeinschaften mit einer Sortimentsabdeckung von 45,39 % bei der Beigeladenen zu 1) und maximal ca. 49 % bei der Beigeladenen zu 2) war daher als wirtschaftlich zweckmäßige und kaufmännisch vernünftige Entscheidung vertretbar.
21Dem steht nicht entgegen, dass ein Mitglied der Beigeladenen zu 1), die D. GmbH, als deutscher Marktführer 57,79 % des Sortiments abdecken könnte und damit bereits alleine ein aussichtsreiches Angebot hätte abgeben können. Tatsächlich hat sie - wie die Beigeladene zu 1) vorträgt, aus der unternehmerischen Erwägung heraus, auch andere Krankenkassen und Unternehmen künftig beliefern zu können - nur einen Teil hiervon, nämlich fünfzehn Preisvergleichsgruppen entsprechend 10,23 % des Bedarfs der Antragsgegnerinnen in die Ausschreibung eingebracht, so dass die angebotene Sortimentsbreite der Beigeladenen zu 1) unter der des potentiellen Wettbewerbers A. AG bleibt.
22Die Bildung einer Bietergemeinschaft setzt überdies nicht voraus, dass die beteiligten Einzelunternehmen objektiv nicht in der Lage sind, sich alleine mit Erfolgsaussicht an der Ausschreibung zu beteiligen (vgl. Senat, Beschluss v. 01.07.2015, VII-Verg 17/15, juris Rn. 14). Wie bereits ausgeführt, sind auch solche Bietergemeinschaften zulässig, die wegen anderweitiger Bindung der Kapazitäten geschlossen werden und solche, bei denen - wie im Streitfall - die beteiligten Unternehmen oder einzelne Mitglieder der Bietergemeinschaft für sich genommen leistungsfähig sind, aber im Rahmen einer wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Entscheidung erst der Zusammenschluss ein erfolgversprechendes Angebot ermöglicht.
23Auch der Argumentation der Antragstellerin, die Zulassung von Bietergemeinschaften in derartigen Fällen führe zu einer verringerten Zahl an Angeboten und damit einer Einschränkung des Wettbewerbs, ist nicht zu folgen. Durch ihre Beteiligung an der Bietergemeinschaft hat die D. GmbH den weiteren Mitgliedern, der C. GmbH & Co. KG, die zwölf Preisvergleichsgruppen entsprechend 30,65 % des Bedarfs anbieten konnte, und der E. GmbH & Co KG, die zwölf Preisvergleichsgruppen entsprechend 4,51 % des Bedarfs anbieten konnte, eine Teilnahme am Wettbewerb erst ermöglicht. Diese beiden Unternehmen konnten weder alleine noch gemeinsam eine Sortimentsabdeckung anbieten, die ein Angebot aussichtsreich erscheinen ließ.
24Die Zulassung von Bietergemeinschaften mit dem Ziel einer besseren Sortimentsabdeckung steht auch nicht im Widerspruch zur Senatsentscheidung vom 17.02.2014 (VII-Verg 2/14). Es handelte sich dort um eine Einzelfallentscheidung, zudem eine solche nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB, vor dem Hintergrund, dass - anders als im Streitfall - für die Verfahrensbeteiligten aufgrund ihrer damaligen rechtlichen Beratung keine Veranlassung und ebenso wenig Gelegenheit bestanden hat, zu den objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Zulässigkeit der Bietergemeinschaft vorzutragen (vgl. bereits Senat, Beschluss v. 29.07.2015, VII-Verg 5/15, juris Rn. 36).
25Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 120 Abs. 2, 78 GWB.