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Die Berufung des Klägers gegen das am 5. März 2015 verkündete Grund- und Teilurteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Kleve wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten bezüglich der materiellen Schäden im zweiten Absatz des Tenors in der Hauptsache nicht den Ersatzbetrag von 367,50 €, sondern einen solchen von 517,50 € zum Gegenstand hat.
Die Kosten des Berufungsrechtszuges werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
T a t b e s t a n d :
2Der Klage liegt ein Verkehrsunfall zugrunde, der sich am 18. April 2011 gegen 15.35 Uhr auf der A-Straße in B in Höhe der Grundstücksausfahrt des Hauses Nr. ... zwischen dem 29 Jahre alten Kläger als Halter und Fahrer eines Motorrades Yamaha und dem Beklagten zu 1. als Halter und Fahrer eines Pkw Mazda, der bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert ist, ereignet hat. Die Einzelheiten des Schadensereignisses sind streitig. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Ersatz materieller Schäden sowie auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch. Darüber hinaus begehrt er die Feststellung der Ersatzverpflichtung für künftige materielle und immaterielle Schäden.
3Der Kläger befuhr die A-Straße in südlicher Richtung in Fahrtrichtung B und folgte dem durch den Zeugen E gesteuerten Lkw mit Sattelauflieger. Gleichzeitig beabsichtigte der Beklagte zu 1., von einem Betriebsgelände auf dem Hausgrundstück Nr. ... nach links in die dort dreispurige A-Straße abzubiegen. Vor der ca. 50 m von der Grundstücksausfahrt entfernten Ampelanlage der Kreuzung mit der Straße C-Weg hatte sich wegen eines roten Lichtsignals auf der Geradeausspur in der Fahrtrichtung des Klägers ein Fahrzeugrückstau gebildet, der den Beklagten zu 1. am Linksabbiegen hinderte. Als sich der Zeuge E der Warteposition des Beklagten zu 1. näherte, verlangsamte jener seine Fahrt und signalisierte diesem, dass er ihm auf der Geradeausspur Platz für die Grundstücksausfahrt lassen werde.
4Währenddessen hatte der Kläger hinter dem Sattelzug die Höhe einer langgezogenen schraffierten Sperrfläche (Zeichen 298 der lfd.Nr. 72 der Anlage 2 zur Straßenverkehrsordnung) erreicht. Als er bemerkte, dass die Lichtzeichenanlage an der Kreuzung vor ihm auf „Grün“ wechselte, setzte er zum Überholen des Sattelzuges an. Im Zuge dieses Fahrmanövers nahm der Kläger eine sich an die Sperrfläche anschließende Linksabbiegerspur in Anspruch, die sich ca. 70 m von der Kreuzung entfernt öffnet. Der Kläger hatte die Absicht, nach der Vollendung des Überholvorganges wieder auf die Fahrspur für den Geradeverkehr zurückzukehren. Als er als einziger Verkehrsteilnehmer auf der Linksabbiegerspur fahrend den Sattelzug rechts hinter sich gelassen hatte, bemerkte er plötzlich die rechtsseitige Einfahrt des Pkw Mazda, nachdem sich der Beklagte zu 1. auf ein entsprechendes Signal des Zeugen E hin in Bewegung gesetzt hatte. Zur Vermeidung eines Zusammenstoßes bremste der Kläger sein Motorrad so heftig ab, dass er kurz vor der Grundstücksausfahrt auf die Straße stürzte. Das führerlose Motorrad kam in Kollisionskontakt mit der vorderen rechten Ecke des bis zum Stillstand abgebremsten Fahrzeuges des Beklagten zu 1., ehe es in Höhe der Ausfahrt auf der Linksabbiegerspur liegen blieb.
5Durch den Sturz trug der Kläger erhebliche Verletzungen davon. Er erlitt eine Sprengung des rechtsseitigen Schultereckgelenks, einen rechtsseitigen Speichenbruch, einen Kahnbeinbruch der rechten Hand, eine Benett’sche Luxationsfraktur des ersten Mittelhandknochens links sowie eine Fraktur des Vieleckbeins der linken Handwurzel. Die sich aus diesen Verletzungen ergebenden Folgebeeinträchtigungen sind streitig.
6Der Kläger hat die Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch genommen, dessen Höhe er bei gleichzeitiger Angabe einer Betragsvorstellung von 35.000 € in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Darüber hinaus verlangt er Ersatz eines Haushaltsführungsschadens, dessen Höhe er mit 1.035 € beziffert. Zudem begehrt er die Erstattung des Selbstbeteiligungsbetrages von 500 € für die Vollkaskoversicherung seines Motorrades neben einer Kostenpauschale von 25 €. Die Beklagte zu 2. hat vorprozessual zur beliebigen Verrechnung Teilleistungen von 3.000 € sowie von 10.000 € erbracht. Schließlich war klagegegenständlich ein Begehren betreffend die Feststellung der gesamtschuldnerischen Ersatzverpflichtung der Beklagten für alle künftigen materiellen und immateriellen Unfallschäden vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs auf Dritte.
7Der Kläger hat behauptet, der Beklagte zu 1. habe bei der Einfahrt in die A-Straße allein den von rechts kommenden Verkehr beobachtet und sich im Übrigen fälschlicherweise auf die Fahrtfreigabe durch den Zeugen E in dem Sinne verlassen, dass dieser die Verkehrssituation hinter ihm hinreichend beobachtet gehabt habe. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, den Beklagten zu 1. treffe das alleinige Verschulden an der Entstehung des Zusammenstoßes.
8Die Beklagten haben Klageabweisung mit der Behauptung beantragt, der Beklagte zu 1. habe sich unter Betätigung des linken Blinkers vorsichtig in die Linksabbiegerspur hinein getastet. Wegen unangepasster Geschwindigkeit sei der Kläger nicht rechtzeitig wahrnehmbar gewesen und sei plötzlich aus dem Sichtschatten des Sattelzuges aufgetaucht. Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, der Kläger müsste sich im Umfang von 30 % ein anspruchsminderndes Mitverschulden an der Entstehung des Schadensereignisses zurechnen lassen. Im Übrigen haben die Beklagten die durch den Kläger vorgetragenen Verletzungsfolgen in Abrede gestellt, ebenso wie dessen Vorbringen zur Begründung eines Haushaltsführungsschadens.
9Die Schadensersatzklage des jetzigen Beklagten zu 1. war Gegenstand eines bei dem Landgericht Kleve zu dem Az. 1 O 226/11 anhängig gewesenen Rechtsstreits umgekehrten Rubrums, der mit einer in Rechtskraft erwachsenen klageabweisenden Entscheidung endete.
10Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen E sowie durch Verwertung des im staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren zu dem Az. 601 Js 245/11 StA Kleve, Zweigstelle Moers eingeholten unfallanalytischen Gutachtens eines DEKRA-Sachverständigen, des Dipl.-Ing. D, vom 5. Oktober 2011 (Bl. 13 ff. d.A.). Darüber hinaus hat das Landgericht den Sachverständigen unter dem Datum des 10. Dezember 2014 ein Nachtragsgutachten erstellen lassen (Bl. 171 ff. d.A.). Im Übrigen wird zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme auf die Sitzungsniederschrift vom 10. September 2014 (Bl. 147 ff. d.A.) verwiesen.
11Am 5. März 2015 hat das Landgericht ein Grund- und Teilurteil erlassen. Die auf Ersatz des Haushaltsführungsschadens gerichtete Klage hat es unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers zu 30 % dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Zudem hat es die Beklagten gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 367,50 € als Ersatz für materielle Schäden sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 16.000 € abzüglich bereits erbrachter 3.000 € sowie 10.000 € zu leisten. Die weitergehende Klage auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden hat das Landgericht abgewiesen. Schließlich hat es unter Abweisung der weitergehenden Feststellungsklage die Verpflichtung der Beklagten ausgesprochen, als Gesamtschuldner dem Kläger 70 % aller materiellen und immateriellen Unfallschäden, vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs auf Dritte, zu ersetzen. Die Kostenentscheidung hat das Landgericht dem Schlussurteil vorbehalten.
12Zur Begründung hat es im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
13Die geltend gemachten Ansprüche seien dem Grunde nach gerechtfertigt, so dass insoweit ein Grundurteil gemäß § 304 Abs. 1 ZPO ergehen könne. Bezüglich der Höhe sei die Klage, soweit entscheidungsreif, ebenso wie hinsichtlich des Feststellungsbegehrens teilweise begründet. Insoweit könne durch Teilurteil gemäß § 301 Abs. 1 ZPO entschieden werden. Dieses habe die Ansprüche auf Zahlung eines Schmerzensgeldes, auf Ersatz der Kaskoselbstbeteiligung, auf Zahlung einer Auslagenpauschale, auf Feststellung der Ersatzverpflichtung für Zukunftsschäden sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten zum Gegenstand. Was das Begehren auf Ersatz eines Haushaltsführungsschadens anbelange, sei der Rechtsstreit noch nicht entscheidungsreif.
14Dem Kläger stehe dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 70 % der materiellen Unfallschäden sowie ein entsprechendes Schmerzensgeld auf der Rechtsgrundlage der §§ 7 Abs. 1, 11 Satz 2, 18 Abs. 1 Satz 1 StVG, 253 Abs. 2, 823 BGB, 115 Abs. 1 VVG, 421 BGB zu. Im Hinblick auf die Aussage des Zeugen E sei von folgendem Sachverhalt auszugehen: Der Sattelzug habe sich der Ampelkreuzung zunächst mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 bis 60 km/h genähert; sodann habe der Zeuge ungefähr ab dem Beginn einer der schraffierten Sperrfläche vorgelagerten durchgehenden Fahrstreifenbegrenzung (Vorschriftszeichen 295) damit begonnen, sich ausrollen zu lassen. Der Zeuge habe die Absicht des Beklagten zu 1. erkannt, das Betriebsgelände zu verlassen und nach links in die A-Straße einzufahren. Um dem Beklagten zu 1. das Einfahren zu erleichtern, habe der Zeuge damit begonnen, durch Lichthupenzeichen die Gestattung der Herausfahrt zu signalisieren. Nach den insoweit unwidersprochen gebliebenen Angaben des Klägers bei seiner informatorischen Anhörung sei zudem davon auszugehen, dass dieser sich mit seinem Motorrad unmittelbar hinter dem Sattelzug befunden und aus dieser Position aus einer Schrittgeschwindigkeit heraus zum Überholen angesetzt habe.
15Nach den gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen D sei erwiesen, dass der Kläger noch im Bereich der schraffierten Sperrfläche nach links ausgeschert sei, um den Sattelzug mit einer Geschwindigkeit von etwa 64 km/h zu überholen. Zu Beginn des Überholvorganges hätten die Unfallbeteiligten wegen des Sattelzuges wechselseitig noch keine Sicht aufeinander gehabt. Zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes sei das Fahrzeug des Beklagten zu 1. gerade mit der Front in den Bereich der Linksabbiegerspur gelangt.
16Den Beklagten sei der Unabwendbarkeitsnachweis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVO nicht gelungen. Denn es sei nicht auszuschließen, dass ein besonders aufmerksamer Kraftfahrer die Möglichkeit in Erwägung gezogen hätte, dass sich auf der Linksabbiegerspur – verdeckt durch den Lkw – ein Fahrzeug im Überholvorgang befunden habe. Ebenso wenig sei dem Kläger der Unabwendbarkeitsnachweis gelungen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein umsichtiger Fahrer wegen des Rotlichts der Ampel und des sich verlangsamenden Sattelzuges auf einen Überholvorgang über die Linksabbiegespur unter Verstoß gegen das Vorschriftszeichen 297 (§ 41 StVO) so kurz vor Erreichen der Kreuzung verzichtet hätte. Dies zumal ein umsichtiger Fahrer in Erwägung hätte ziehen können, dass der Lkw seine Fahrt auch deshalb verlangsamt habe, weil er einem Fahrzeug habe ermöglichen wollen, nach links in die A-Straße einzubiegen; zudem sei für den Kläger ein sonstiges Verkehrshindernis nicht auszuschließen gewesen.
17Der Beklagte zu 1. habe als Grundstücksausfahrer gegen die Sorgfaltspflichten des § 10 Satz 1 StVO verstoßen. Ihm sei es wegen des durch den Sattelzug gebildeten Sichthindernisses nicht möglich gewesen, die Linksabbiegerspur vollständig zu überblicken. Deswegen sei eine Gefährdung anderer durch den Einfahrvorgang gerade nicht auszuschließen gewesen. Zwar sei davon auszugehen, dass der Kläger verbotswidrig noch im Bereich der schraffierten Sperrfläche nach links ausgeschert sei und dass er die Linksabbiegerspur allein zum Zwecke des Überholens des Sattelzuges habe nutzen wollen. Beides sei jedoch im Hinblick auf den Verstoß des Beklagten zu 1. gegen § 10 Satz 1 StVO unerheblich.
18Der Kläger habe den Unfall verschuldet, weil er entgegen § 5 Abs. 2 Nr. 1 StVO trotz unklarer Verkehrslage aus einer Schrittgeschwindigkeit heraus überholt habe. Der Grund für die Verlangsamung des Sattelzuges vor ihm sei für den Kläger nicht ersichtlich gewesen. Für ihn habe sich nicht die rein theoretische Möglichkeit eröffnen müssen, dass die Geschwindigkeitsreduzierung des Zeugen E ihre Ursache in einer dem Lkw vorgelagerten besonderen Verkehrssituation gehabt habe. Deshalb habe der Kläger nicht, insbesondere nicht aus einer Entfernung von nur etwa 80 m zu der Ampelanlage, mit einer Geschwindigkeit von über 60 km/h überholen dürfen. Der Kläger habe nach eigenem Bekunden die durch den Beklagten benutzte Grundstücksausfahrt nicht gesehen und habe auch nicht gewusst, ob sich vor dem Sattelzug weitere Fahrzeuge fortbewegt hätten.
19Unter Abwägung der beiderseitigen Verschuldens- und Gefährdungsanteile sei eine Haftungsverteilung im Verhältnis 70 % : 30 % zugunsten des Klägers angemessen. Die unklare Verkehrssituation sowie die eingeschränkten Sichtverhältnisse, die einem Überholen entgegen gestanden hätten, ließen es nicht zu, den auf den Kläger entfallenden Verschuldensanteil gänzlich hinter demjenigen des Beklagten zu 1. zurücktreten zu lassen – zumal der Kläger den Überholvorgang in einem vergleichsweise kurzen Abstand zu der Ampelanlage begonnen und dabei eine vergleichsweise hohe Geschwindigkeit erreicht gehabt habe. Hinzu komme, dass der Kläger verbotswidrig die schraffierte Sperrfläche überfahren und den Sattelzug unter Benutzung der mit Richtungspfeilen markierten Linksabbiegerspur -- mithin unter Verstoß gegen § 41 StVO in Verbindung mit Vorschriftszeichen 297 – überholt habe.
20Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes zu, dessen Höhe das Landgericht mit dem Ausgangsbetrag von 16.000 € beziffert hat. Sodann hat das Landgericht ausführlich die Ermessenserwägungen dargelegt, von welchen es sich bei der Bestimmung der Entschädigungsleistung hat leiten lassen.
21Hinsichtlich der materiellen Schäden habe der Kläger einen Anspruch von 70 % der Eigenbeteiligung an der Vollkaskoversicherung des Motorrades, also im Umfang von 350 €. Der entsprechende prozentuale Anteil an der Auslagenpauschale stelle sich auf 17,50 €. Sodann folgen Ausführungen des Landgerichts zur Zulässigkeit und Begründetheit des klägerischen Feststellungsbegehrens sowie zum Umfang der erstattungsfähigen vorgerichtlichen Anwaltskosten.
22Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung.
23Sein Rechtsmittel begründet er im Wesentlichen wie folgt: Das Landgericht habe das Ausmaß des dem Beklagten zu 1. anzulastenden Annäherungsverschuldens nicht umfassend erfasst und gewürdigt. So habe das Landgericht die durch den Sachverständigen festgestellten Tatsachen außer Acht gelassen, dass der Beklagte zu 1. im Zuge des Einfahrvorganges nur nach rechts geschaut habe und dass der Unfall für ihn vermeidbar gewesen wäre, wenn er seinen Blick früher nach links gerichtet hätte. Zudem habe das Landgericht unberücksichtigt gelassen, dass der Beklagte zu 1. mit dem Beweis des ersten Anscheins für ein fehlerhaftes Abbiegeverhalten belastet sei. Fälschlicherweise habe es dem Beklagten zu 1. zugute gehalten, ganz langsam und vorsichtig aus der Ausfahrt herausgefahren zu sein. Diese Annahme treffe jedoch nicht zu, da sich der Beklagte zu 1. nach den Erkenntnissen des Sachverständigen mit ca. 7 km/h, und damit mit doppelter Schrittgeschwindigkeit, fortbewegt habe. Wegen des durch den Sattelzug gebildeten Sichthindernisses sei der Beklagte zu 1. nicht nur zu schnell, sondern auch im „Blindflug“ aus der Ausfahrt herausgekommen. In Anbetracht dieser erheblichen Pflichtverletzung trete die von dem klägerischen Motorrad ausgegangene Betriebsgefahr als ein im fließenden Verkehr bevorrechtigt gewesenes Fahrzeug im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG gänzlich zurück.
24Fehlerhaft habe das Landgericht einen ihm, dem Kläger, anzulastenden Mithaftungsanteil angenommen. Ihm könne nicht vorgehalten werden, bei unklarer Verkehrslage überholt zu haben. Denn Überholverbote schützten nicht den aus einem Grundstück durch eine Kolonnenlücke in die Fahrbahn einfahrenden Verkehrsteilnehmer. Ganz abgesehen davon sei die Verkehrslage bei Einleitung des Überholvorganges auch nicht unklar gewesen. Denn die Verlangsamung der Geschwindigkeit durch den Zeugen E sei ganz eindeutig auf das Rotlicht der Kreuzungsampel zurück zu führen gewesen. Nachvollziehbar sei auch seine, des Klägers, Annahme gewesen, der Lkw habe sich mit der anfänglichen Langsamfahrt Platz verschaffen wollen, um später bei Grünlicht beschleunigen zu können. Die durch das Landgericht zur Darlegung einer unklaren Verkehrslage aufgezeigten möglichen Verkehrssituationen seien spekulativ und abwegig.
25Des Weiteren habe das Landgericht zu Unrecht eine vergleichsweise hohe Geschwindigkeit beanstandet, da auf dem Streckenabschnitt eine Geschwindigkeit von 70 km/h erlaubt und dieses Tempo mit dem Motorrad nicht erreicht worden sei. Fehlerhaft sei auch die Tatsachenfeststellung im Tatbestand des angefochtenen Urteils, zum Zeitpunkt des Überholbeginns habe die Lichtzeichenanlage Rotlicht gezeigt. Dies sei nach dem übereinstimmenden Sachvortrag der Parteien nicht zutreffend. Selbst wenn er, der Kläger, die Grundstücksausfahrt hätte wahrnehmen können, habe er nach den Umständen nicht damit rechnen müssen, dass der vor ihm fahrende Sattelzug eine Lücke gelassen habe, um einem Grundstücksausfahrer ein Abbiegen nach links unter Querung der Linksabbiegerspur zu ermöglichen.
26Unerheblich sei auch das anfängliche Überfahren der schraffierten Sperrfläche. Ganz abgesehen davon, dass die Verletzung des Vorfahrtrechtes das Verschulden des Einfahrenden indiziere, habe der Kläger auf die Beachtung seines Vorfahrtrechtes vertrauen dürfen. Eine schraffierte Sperrfläche diene dem Schutz des Geradeaus- und nicht des Einbiegeverkehrs. Hinzu komme, dass das Befahren der Linksabbiegerspur nicht als Verschuldenstatbestand hätte angelastet werden dürfen, wenn er, der Kläger, mit betätigtem linken Fahrtrichteranzeiger die Absicht gehabt hätte, an der Kreuzung nach links abzubiegen. Ein solches rechtmäßiges Alternativverhalten schließe die Feststellung eines Mitverschuldens aus. Denn der Beklagte zu 1. habe auf jeden Fall damit rechnen müssen, dass Verkehrsteilnehmer zum Zwecke des Linksabbiegens die dafür vorgesehene Spur benutzten. Als die Missachtung seines Vorfahrtrechtes für ihn, den Kläger, erstmals wahrnehmbar gewesen sei, sei die Kollision nach den gutachterlichen Ausführungen nicht mehr vermeidbar gewesen, zumal der Beklagte zu 1. zu diesem Zeitpunkt noch nach rechts geschaut habe.
27Im Ergebnis sei deshalb kein ihm, dem Kläger, anzulastender Verschuldensbeitrag festzustellen. Folglich müsse für die Bemessung der Schmerzensgeldhöhe ein anspruchskürzendes Mitverschulden unberücksichtigt bleiben, so dass ein Schmerzensgeld von 35.000 € abzüglich der bereits geleisteten Vorschüsse angemessen sei. Eine volle Haftung der Beklagten sei weiterhin für den Haushaltsführungsschaden, den Feststellungsantrag sowie für die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Ansatz zu bringen. Unter Verkennung der Grundsätze des Quotenvorrechts habe das Landgericht schließlich die Erstattungsfähigkeit der Selbstbeteiligung von 500 € an dem Kaskoversicherungsschutz nur in Höhe von 70 % als erstattungsfähig behandelt.
28Der Kläger beantragt,
291.
30die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn für den Haushaltführungsschaden über die dem Grunde nach zuerkannten 70 % weitere 30 %, also 100 %, zu zahlen;
312.
32die Beklagten zu verurteilen, gesamtschuldnerisch an ihn 520 € sowie ein weitergehendes, über die zuerkannten 16.000 € hinausgehendes, angemessenes Schmerzensgeld jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 30. November 2013 zu zahlen abzüglich am 12. September 2011 gezahlter 3.000 € und am 12. Juni 2012 gezahlter 10.000 €;
333.
34festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, gesamtschuldnerisch ihm über die zuerkannten 70 % weitere 30 %, also 100 %, aller materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen;
35Die Beklagten beantragen,
36die Berufung zurückzuweisen.
37Sie verteidigen die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und treten dem gegnerischen Rechtsmittelvorbringen im Einzelnen entgegen.
38Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Die beigezogenen Akten 601 Js 245/11 StA Kleve, Zweigstelle Moers sowie 1 O 226/11 LG Kleve waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
39E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
40Die zulässige Berufung des Klägers ist in der Sache unbegründet. Er wendet sich ohne Erfolg dagegen, dass das Landgericht seine Anspruchsberechtigung hinsichtlich des Ersatzes unfallbedingter materieller und immaterieller Schäden auf die Quote von 70 % begrenzt hat.
41Der Kläger macht einerseits zu Recht geltend, dass die Tatsachenfeststellungen des Landgerichts zum Hergang des Unfallgeschehens in einzelnen Punkten korrekturbedürftig sind. Tatsächlich hat der Beklagte zu 1. die Sorgfaltspflichten, die er als Grundstücksausfahrer einzuhalten hatte, in einem etwas größeren Umfang missachtet als in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils dargelegt. Für diese Erkenntnis kommt es allerdings nicht entscheidend auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises an. Denn der Hergang des streitigen Unfallgeschehens ist im Rahmen des Möglichen durch den erstinstanzlich erhobenen Zeugen- und Sachverständigenbeweis aufgeklärt. Daraus ergibt sich, dass den Beklagten zu 1. das überwiegende Verschulden an der Entstehung des Zusammenstoßes seines PKW Mazda mit dem Motorrad des Klägers trifft. Er hat leichtfertig als Folge des ihm durch den Zeugen E signalisierten Vorfahrtverzichts auf eine rasche und ungehinderte Einfahrtmöglichkeit über alle drei Fahrbahnen hinweg vertraut, ohne durch ein vorsichtiges Hineintasten in die durch den Kläger befahrene Linksabbiegerspur und durch rechtzeitige Beobachtung der dortigen Verkehrssituation das ihm Mögliche zur Vermeidung des Schadensereignisses beigetragen zu haben.
42Gleichwohl dringt der Kläger nicht mit dem Einwand durch, mit Rücksicht auf die gravierenden Pflichtwidrigkeiten seines Unfallgegners könne die von seinem Motorrad ausgegangene Betriebsgefahr nicht mehr anspruchsmindernd ins Gewicht fallen. Diese war nicht nur durch ein in zweifacher Hinsicht unzulässiges Überholmanöver deutlich erhöht. Hinzu kam die Tatsache, dass er mit einer in Anbetracht der konkreten Verkehrssituation deutlich überhöhten Geschwindigkeit von 64 km/h unter Inanspruchnahme der Linksabbiegerspur zum Überholen eines Fahrzeugstaus auf der rechten Geradeausspur angesetzt hatte. Als er sich zur Durchführung des Überholmanövers entschloss, konnte er wegen des Sichthindernisses des vor ihm langsam ausrollenden Sattelzuges nicht erkennen, welche Verkehrssituation ihn im Zuge der raschen Vorbeifahrt an der Stausituation vorbei erwarten werde. Die völlig überhöhte Ausgangsgeschwindigkeit führte dazu, dass er nicht rechtzeitig zu erkennen vermochte, dass der Zeuge E in Höhe des Hausgrundstücks Nr. ... eine sehr breite Lücke für den beabsichtigten Linksabbiegevorgang des Beklagten zu 1. gelassen hatte. Daraus ergab sich, dass der Kläger nicht mehr rechtzeitig auf den seitlich einfahrenden PKW Mazda reagieren konnte.
43Dem dem Kläger anzulastenden Verursachungs- und Verschuldensanteil ist ein solches Gewicht beizumessen, dass er keinesfalls bei der Abwägung aller unfallursächlichen Umstände mit Rücksicht auf das Einfahrverschulden des Beklagten zu 1. verdrängt wird. Es ist nicht die Wertungsfrage entscheidungserheblich, ob der durch das Landgericht ausgesprochene Eigenhaftungsanteil des Klägers im Umfang von 30 % nicht höher in Ansatz zu bringen ist, da die im erstinstanzlichen Urteil festgesetzte Haftungsverteilung dem Grunde nach von den Beklagten nicht angegriffen wird.
44Einen geringen Teilerfolg erzielt der Kläger lediglich in dem Umfang, in welchem das Landgericht die quotale Schadensteilung auch auf seine Selbstbeteiligung von 500 € an seinem Kaskoversicherungsschutz bezogen hat. Insoweit hat das Landgericht die Grundsätze des Quotenvorrechts nach der Inanspruchnahme der Kaskoversicherung durch den Unfallgeschädigten verkannt.
45Im Einzelnen ist Folgendes auszuführen:
46I.
47Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (BGH NJW 2006, 152 mit Hinweis auf BGHZ 152, 254, 258). Derartige Richtigkeitszweifel sind im Ergebnis bezüglich der durch das Landgericht ausgesprochenen Haftungsverteilung dem Grunde nach nicht gegeben.
481 )
49Einerseits beanstandet der Kläger zu Recht, dass nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Tatsachenaufklärung der Beklagte zu 1. die strengen Sorgfaltspflichten, die er als Grundstücksausfahrer nach Maßgabe des § 10 StVO zu beachten hatte, im größeren Umfang missachtet hat als durch das Landgericht angenommen. Erwiesen ist, dass der Beklagte zu 1. bei Einleitung des Einfahrvorganges zunächst nur nach rechts geschaut hatte, um vorfahrtberechtigten Verkehr aus der nördlichen Annäherungsrichtung der A-Straße, der tatsächlich aber ausblieb, beobachten zu können. Den bevorrechtigten Verkehr aus der Gegenrichtung auf der Linksabbiegerspur, auf der sich der Kläger in einem Überholvorgang näherte, hat der Beklagte zu 1. zu spät wahrgenommen. Dies erst zu einem Zeitpunkt, als er bereits mit dem Vorderwagen auf die Linksabbiegerspur eingefahren war und er als Reaktion auf das Erkennen der Annäherung des Klägers viel zu spät, nämlich 1,25 Sekunden vor dem Zusammenstoß, die Abbremsung seines Fahrzeuges einleitete.
502 )
51Darüber hinaus kann entgegen der Darstellung im angefochtenen Urteil dem Beklagten zu 1. nicht zugute gehalten werden, er sei ganz langsam und ganz vorsichtig aus der Ausfahrt herausgefahren und habe dabei den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt (Bl. 10, 11 UA; Bl. 219, 220 d.A.). Nach den unfallanalytischen Erkenntnissen, die der Sachverständige in seinem Schlussgutachten vom 10. Dezember 2014 dargelegt hat, hatte der Beklagte zu 1 im Zuge des Einfahrvorganges eine Geschwindigkeit von knapp 7 km/h erreicht. Da ihm der Blick in die Annäherungsrichtung des Klägers durch den Sattelzug versperrt war, hätte er sich im Zuge des Verlassens der Grundstücksausfahrt nur ganz vorsichtig in die Linksabbiegerspur hineintasten dürfen, die er für die nördliche Einfahrt in die A-Straße überqueren musste. Geboten gewesen wäre demnach ein zentimeterweises Vorrollen bis zum Übersichtspunkt, was mit einem Einfahrtempo von 7 km/h unvereinbar ist.
523 )
53Zutreffend ist auch Beanstandung des Klägers, das Landgericht habe in der Sachverhaltsschilderung des Tatbestandes des angefochtenen Urteils fälschlicherweise dargelegt, die Lichtzeichenanlage an der der Unfallstelle vorgelagerten Kreuzung der A-Straße mit der Straße C-Weg habe zum Unfallzeitpunkt für die Annäherungsrichtung des Klägers Rotlicht gezeigt (Bl. 3 UA; Bl. 212 d.A.). Die Beklagten haben in ihrem Schriftsatz vom 26. August 2014 die Richtigkeit des gegnerischen Vorbringens eingeräumt, dass sich der Kläger erst dann zur Einleitung des Überholvorganges entschloss, als die Ampel für die auf der A-Straße wartenden Fahrzeug auf „Grün“ sprang (Bl. 140 d.A.).
544 )
55Gleichwohl folgt aus der Notwendigkeit einzelner Korrekturen der Feststellungen des Landgerichts zum Unfallhergang entgegen dem Berufungsvorbringen des Klägers nicht, dass seine in dem angefochtenen Urteil ausgesprochene Eigenhaftungsquote von 30 % auf Null zu reduzieren oder auf eine Minderquote herabzusetzen ist. Denn er muss sich vorhalten lassen, dass die von seinem Motorrad ausgegangene Betriebsgefahr als mithaftungsbegründender Umstand durch ein ohnehin schon in zweifacher Hinsicht unzulässiges und darüber hinaus auch fahrlässig-riskantes Überholmanöver deutlich erhöht war. Zwar bezwecken Überholverbote nicht den Schutz aus einem Grundstück Einfahrender, die den Sorgfaltspflichten des § 10 StVO unterliegen. Dies ändert jedoch nichts an der Feststellung der Betriebsgefahrerhöhung. Der Fahrlässigkeitsvorwurf rechtfertigt sich aus der Tatsache, dass das Annäherungstempo des Klägers von 64 km/h nach den Vorgaben des § 3 Abs. 1 StVO wegen der unklaren Verkehrslage, in die hinein er den Überholvorgang unter Inanspruchnahme der Linksabbiegerspur einleitete, völlig übersetzt war.
56II.
571 )
58Bereits gegenüber den mit der Unfallaufnahme befasst gewesenen Polizeibeamten hatte der Beklagte zu 1. angegeben, im Zuge des Verlassens der Grundstücksausfahrt nach rechts geschaut zu haben; als er von dort keinen – berechtigten - Fahrzeugverkehr habe kommen sehen, sei er eingefahren. Von einem Blick in die nördliche Richtung der A-Straße hatte er nichts bekundet (Bl. 4 BA). Die Schilderung eines nach rechts gerichteten Blicks bei dem Versuch des Verlassens der Grundstücksausfahrt hat er bei seiner informatorischen Befragung durch das Landgericht im Termin vom 10. September 2014 wiederholt. Daran schloss sich seiner Darstellung gemäß die Einfahrt in die Straße an. Was die Fahrtrichtung des Klägers anbelangt, war seine erste Wahrnehmung diejenige, dass das Motorrad bremsend auf ihn zukam (Bl. 151 d.A.). Daraus folgt, dass der Kläger zur Kollisionsvermeidung viel zu spät in die Fahrtrichtung der A-Straße geblickt hat, aus der sich der Kläger näherte.
592 )
60Diese Unterlassung erklärt sich schlüssig aus dem Umstand, dass der Zeuge E ihm durch ein Lichthupen- und möglicherweise auch durch ein Handzeichen im Sinne einer „gefährdenden Höflichkeit“ signalisiert hatte, er, der Beklagte zu 1., könne den Linksabbiegevorgang in die A-Straße einleiten. Der Beklagte zu 1. hat als Reaktion auf das Freigabesignal des Zeugen fahrlässig darauf vertraut, dass die Linksabbiegerspur, die er wegen des langen Sattelzuges nicht einsehen konnte, frei von bevorrechtigtem Verkehr war und blieb. Dieses Vertrauen ist jedoch nicht schutzwürdig. Der Verzicht eines Vorfahrtberechtigten (§ 11 Abs. 3 StVO) gilt jeweils immer nur für den Verzichtenden selbst, hat aber keine Rechtswirkung bezüglich der anderen vorfahrtberechtigten Verkehrsteilnehmer (Senat, Urteil vom 4. März 2014, Az.: I-1 U 71/13; Senat, VersR 1981, 556, Rdnr. 12 – zitiert nach Juris; Hentschel/König, a.a.O., § 8 StVO, Rdnr. 31 m.w.Rsprnw.).
613 )
62Als Grundstücksausfahrer hatte der Beklagte zu 1. die strengen Sorgfaltspflichten des § 10 Satz 1 StVO zu beachten. Er musste sich folglich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Der Ein- oder Anfahrende muss sich vergewissern, dass die Fahrbahn für ihn im Rahmen der gebotenen Sicherheitsabstände frei ist. Die Verantwortung für die Sicherheit des Vorganges trifft vor allem ihn, was allerdings fremde Mitschuld nicht ausschließt (Hentschel/König a.a.O., § 10 StVO, Rdnr. 10 m. zahlr. Rsprnw.). Auf die Beibehaltung des Fahrstreifens durch den fließenden Verkehr darf er sich nicht verlassen (Hentschel/König a.a.O. mit Hinweis KG NZV 2008, 413; OLG Köln VersR 1986, 666). Selbst das Befahren der linken Fahrbahn durch den am fließenden Verkehr teilnehmenden Fahrzeugführer beseitigt nicht die Verpflichtung des aus einem Grundstück auf die Straße Einfahrenden, dem fließenden Verkehr den Vorrang zu belassen und diesen nicht zu behindern (BGH, Urteil vom 20. September 2011, Az.: VI ZR 282/10). Kommt es – wie hier – in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Ein- und Ausfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschuldens des Grundstückseinfahrers beziehungsweise Ausfahrers (Hentschel/König a.a.O., § 10 StVO, Rdnr. 11 sowie Burmann/Hess/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 10 StVO, Rdnr. 8 jeweils mit. zahlreichen. Rechtsprechungsnachweisen). Dem entspricht die ständige Rechtsprechung des Senats (Senat a.a.O.).
634 )
64Diesen strengen Sorgfaltsanforderungen ist der Beklagte zu 1. entgegen der durch das Landgericht vertretenen Rechtsansicht auch unter dem Gesichtspunkt nicht gerecht geworden, dass er sich mit einer zu hohen Geschwindigkeit der Linksabbiegerspur genähert hat, die er anfänglich nicht einsehen konnte. Für die Feststellung eines solchen Annäherungsverschuldens bedarf es nicht der Heranziehung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis, sondern sie ergibt sich aus der Weg/Zeit-Analyse des Sachverständigen.
65a )
66Einerseits ist der Wartepflichtige grundsätzlich berechtigt, sich bei Sichtbehinderung durch die freigewordene Lücke mit äußerster Vorsicht so weit vorzutasten, bis er Sicht gewinnt. Unter einem langsamen Vortasten versteht man jedoch, dass ein Fahrer mit seinem Wagen jeweils nur wenige Zentimeter langsam vorrollt und dann wieder anhält und dieses Fahrmanöver über einen längeren Zeitraum bis zum Übersichtspunkt mehrmals wiederholt. Nur bei einer solchen Fahrweise kann der Fahrer eines herannahenden Wagens das vortastende Fahrzeug gefahrenneutral frühzeitig erkennen und sich auf dieses einstellen (Senat a.a.O.; Senat VersR 1981, 556 – Rdnr. 12 – zitiert nach Juris; LG Karlsruhe, Urteil vom 11. Mai 2007, Az.: 3 O 419/06, Rdnr. 23 – zitiert nach Juris). Bei dem Verlassen einer Grundstücksausfahrt zum Zwecke des Linksabbiegens im vermeintlichen Schutz von eine Lücke freilassenden Fahrzeugen handelt es sich um ein besonderes gefährliches Verkehrsmanöver, weil der Verkehrsraum der Gegenfahrbahn, in welchen das Fahrzeug hinein bewegt wird, für den Fahrzeugführer zunächst nicht einsehbar ist (Senat Urteil vom 4. März 2014, Az.: I-1 U 71/13).
67b )
68In ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 26. August 2014 haben die Beklagten die Verpflichtung eingeräumt, dass der Beklagte zu 1. nur mit einer äußerst verhaltenen Geschwindigkeit, nämlich im Sinne eines zentimeterweisen Vorrollens bis zum Übersichtspunkt mit der Möglichkeit des jederzeitigen Anhaltens, sich auf die zunächst nicht einsehbare Fahrspur hätte zubewegen dürfen (Bl. 141 d.A.). Ganz abgesehen davon, dass er bis zur Wahrnehmung der sich anbahnenden Unfallsituation ausschließlich nach rechts geblickt hatte, war er nach den Berechnungen des Sachverständigen vor der Abbremsung des PKW Mazda nicht zentimeterweise bis zum Übersichtspunkt vorgerollt. Vielmehr war er in dem falschen Vertrauen auf dem Abschirmeffekt durch den verzögerten Sattelzug mit knapp 7 km/h auf die Linksabbiegerspur zugefahren. Damit bewegte er sich im oberen Schrittgeschwindigkeitsbereich. Dies ergibt sich aus dem Nachtragsgutachten des Sachverständigen D vom 10. Dezember 2014 mit einer anschaulichen grafischen Darstellung der Weg/Zeit-Analyse (Bl. 171/178 d.A.). Daraus geht hervor, dass 2,8 Sekunden vor dem Zusammenstoß der PKW Mazda eine Geschwindigkeit von 6,9 km/h inne hatte (Pos. 3 der grafischen Darstellung). Dies bedeutete wiederum für den Kläger die Reaktionsaufforderung zur Einleitung seiner sturzursächlichen Vollbremsung 1,8 Sekunden vor der Kollision (Pos. 4). In dieser Phase hatte sich die Front des durch den Beklagten zu 1. gesteuerten PKW bereits bis an den rechten Rand der Linksabbiegerspur heranbewegt. Erstmals 1,25 Sekunden vor Eintritt des Schadensereignisses leitete der Beklagte zu 1. seine Bremsung ein; zu diesem Zeitpunkt war er mit dem Vorderwagen bereits bis etwa zur Hälfte der Linksabbiegerspur vorgedrungen (Pos. 5). Dies hatte dann zur Folge, dass das zwischenzeitlich führerlos gewordene Motorrad in Kollisionskontakt mit der vorderen rechten Ecke des PKW Mazda geriet. Die Kollisionsstellung ist im Erstgutachten des Sachverständigen vom 5. Oktober 2011 in der zeichnerischen Anlage schematisch wiedergegeben (Bl. 42 d.A.). Richtigkeitseinwendungen werden von den Parteien gegen die unfallanalytischen Ausführungen des Sachverständigen D nicht erhoben.
69III.
70Der Kläger beanstandet darüber hinaus zu Recht, dass entgegen der anders lautenden Darstellung im angefochtenen Urteil zu dem Zeitpunkt, als er sich aus der Position unmittelbar hinter dem Heck des Lastzuges zur Einleitung des Übervorholganges entschloss, die Lichtzeichenanlage für die angestrebte Geradeausrichtung auf der A-Straße an der Kreuzung mit der Straße C-Weg für ihn ein grünes Signal zeigte. Die Richtigkeit dieser Darstellung hatten die Beklagten in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 26. August 2014 zugestanden (Bl. 140 d.A.). Allerdings vermag der Kläger aus dieser Erkenntnis nichts Wesentliches zu seinen Gunsten herzuleiten. Es verbleibt bei der Feststellung des Landgerichts, dass die Einleitung des Überholvorgangs aus mehreren Gründen unzulässig war. Darüber hinaus ist dem Kläger zum Vorwurf zu machen, dass er den Überholvorgang in einer gefahrenträchtigen Stausituation mit einer völlig überhöhten Geschwindigkeit durchgeführt hat.
711 a )
72Wie die grafische Darstellung der Weg/Zeit-Verhältnisse erkennen lässt (Anlage zum Zweitgutachten vom 10. Dezember 2014; Bl. 175 d.A.), war die Einleitung des Überholvorganges nur aufgrund des Umstandes möglich, dass der Kläger dazu im Bereich der noch einspurigen Streckenführung der A-Straße die linksseitig schraffierte Sperrfläche ( Zeichen 298 der laufenden Nr. 72 der Anlage 2 zur Straßenverkehrsordnung ) in Anspruch nahm – und zwar fast über die gesamte Längenausdehnung. Bereits in seinem Erstgutachten vom 5.Oktober 2011 hatte der Sachverständige überzeugend dargelegt, unfallanalytisch sei davon auszugehen, dass das Kraftrad über die Sperrfläche den Sattelzug überholt habe; dessen Seitenabstand zur linken Fahrspur sei so gering gewesen, dass der Kläger mit dem Motorrad über die Sperrfläche habe fahren müssen (Bl. 30 d.A.). In seinem Folgeschriftsatz vom 25. Februar 2014 hatte der Kläger die Möglichkeit eingeräumt, vorkollisionär die Sperrfläche teilweise überfahren zu haben, um auf diese Weise auf der Linksabbiegerspur den Sattelzug zu überholen (Bl. 115 Rs. d.A.).
73b )
74Zwar hat er anlässlich seiner informatorischen Befragung durch das Landgericht im Termin vom 10. September 2014 sich relativierend dahingehend geäußert, er habe allenfalls die schraffierte Fläche an deren Ende zum Überholen benutzt (Bl. 150 d.A.). Der Senat wertet jedoch diese Darstellung als reine Schutzbehauptung. Denn bei seiner unfallnäheren informatorischen Befragung durch das Landgericht im Termin vom 30. März 2012 in dem Rechtsstreit umgekehrten Rubrums 1 O 226/11 LG Kleve hatte der Kläger zugestanden, er sei, soweit er sich erinnern könne, zu Beginn des Überholvorgangs „über die schraffierte Linie gefahren“; in dieser Phase habe er sich „mittig bei der schraffierten Linie befunden“ (Bl. 809 BA). Der Kläger hätte demnach an der Stelle, an welcher er zur Vorbereitung seiner Weiterfahrt nach links ausscherte, im Hinblick auf die Verbotsanordnung des Zeichens 298 laufenden Nr. 72 der Anlage 2 zur Straßenverkehrsordnung gar nicht zum Überholen ansetzen dürfen.
752 )
76Es kommt ein weiterer Unzulässigkeitsgesichtspunkt hinzu: Der Kläger hat bei seiner informatorischen Anhörung durch das Landgericht im Termin vom 10. September 2014 eingeräumt, er habe die angestrebte Linksabbiegerspur nicht zum Abbiegen an der nachfolgenden Kreuzung benutzen wollen, sondern er „wollte an dem LKW vorbei, um nicht später überholen zu müssen und wollte vor dem LKW einscheren“ (Bl. 150 d.A.). Entgegen der Anordnung zu Ziffer 1 des Zeichens 297 der laufenden Nr. 70 der Anlage 2 zur Straßenverkehrsordnung hat der Kläger somit nach dem Verlassen der schraffierten Sperrfläche seine Fahrt auf der Linksabbiegerspur nicht mit der Absicht fortgesetzt, vorschriftsgemäß an der Kreuzung A-Straße/C-Weg nach links abzubiegen, sondern allein in dem Bestreben, verkehrsordnungswidrig eine ihm günstig erscheinende Möglichkeit auszunutzen, den vor ihm immer langsam werdenden Sattelzug linksseitig zu überholen.
773 )
78Die Tatsache, dass der Kläger unzulässigerweise den Überholvorgang einleitete, änderte allerdings nichts an seiner Vorfahrtberechtigung im Verhältnis zu dem Beklagten
79zu 1. Denn der Vorfahrtbereich erstreckt sich über die gesamte Fahrbahnbreite. Er ist auch für einen Verkehrsteilnehmer einschlägig, der im Zuge des Überholens einer wartenden Fahrzeugkolonne auf die linke Straßenseite wechselt (Senat, Urteil vom 29. September 2009, Az.: I-1 U 60/07). Ein sich so verhaltender Verkehrsteilnehmer bleibt auch dann durch die Vorschrift des § 10 StVO geschützt, wenn er im Zuge des Überholvorganges verbotswidrig eine Sperrfläche überfährt (Senat, Urteil vom 4. März 2014, Az.: I-1 U 71/13 mit Hinweis auf OLG Hamm, NZV 2006, 204). Ein verkehrswidriges Verhalten des Berechtigten beseitigt seine Vorfahrt grundsätzlich nicht (Hentschel/König a.a.O., § 8 StVO, Rdnr. 30 mit Hinweis auf BGH NJW 1986, 2651 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
804 a )
81Dem durch den Kläger eingeleiteten Fahrmanöver standen zwei faktische Überholverbote entgegen. Der Senat lässt einerseits nicht außer Acht, das Überholverbote den Gegenverkehr, vorausfahrende Verkehrsteilnehmer und den nachfolgenden Verkehr schützen. Sie bezwecken hingegen nicht den Schutz aus einem Grundstück Einfahrender, die den Sorgfaltspflichten des § 10 StVO unterliegen (Hentschel/König a.a.O., § 5 StVO, Rdnr. 33 sowie Burmann/Heß/Jahnke/Janker a.a.O., § 5 StVO, Rdnr. 13 a). Andererseits war durch den unzulässigen Überholvorgang die von dem Motorrad des Klägers ausgegangene Betriebsgefahr deutlich erhöht. Sowohl der Zeuge E als auch der Beklagte zu 1. vertrauten auf eine Sperrwirkung des auf der Geradeausspur langsamer gewordenen Lastzuges in dem Sinne, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer aus südlicher Fahrtrichtung aus einer Position hinter dem LKW-Heck unter Inanspruchnahme der schraffierten Sperrfläche auf die Linksabbiegerspur einfahren werde. Dieser Annahme hat der Kläger durch sein unzulässiges Fahrmanöver zuwider gehandelt.
82b )
83Die zeichnerische Darstellung der einzelnen Unfallphasen als Anlage zum Zweitgutachten des Sachverständigen vom 10. Dezember 2014 macht deutlich, dass der Kläger aus der Anfangsposition ca. 6,9 Sekunden vor der Kollision den Überholvorgang auf der noch einspurigen Streckenführung der A-Straße in einem Bereich einleitete, von welchem er die Grundstücksausfahrt in Höhe des Hauses Nr. ... noch nicht einsehen konnte. Gleichzeitig verhinderten die langgezogene schraffierte Sperrfläche sowie der Sattelzug – ein durch den Zeugen E angenommenes verkehrsordnungsgemäßes Verhalten rückwärtiger Verkehrsteilnehmer unterstellt – jegliche Weiterfahrt zur Linksabbiegerspur hin (Bl. 175 d.A.). Aus den Bekundungen des Zeugen, die er sowohl bei seiner Befragung in dem bezeichneten Vorverfahren als auch im Termin vor dem Landgericht am 10. September 2014 gemacht hat, lässt sich entnehmen, dass er zum Zeitpunkt des Signals der Fahrtfreigabe die rückwärtige Annäherung des Klägers auf dem Motorrad über die Sperrfläche hinweg noch nicht wahrgenommen hatte. Der Zeuge ging somit von der – objektiv falschen – Annahme aus, der Verkehrsraum links neben dem Lastzug werde frei bleiben.
84c )
85Korrespondierend dazu löste die Fahrtfreigabe durch den Zeugen bei dem Beklagten zu 1. die – trügerische – Erwartung aus, er könne ungehindert durch linksseitigen Annäherungsverkehr noch vor dem immer langsamer gewordenen Sattelzug nach links in die A-Straße abbiegen. Dies hat er bei seiner informatorischen Befragung im Termin vom 30. März 2012 in dem bezeichneten Vorverfahren ausdrücklich so dargestellt („Ich habe mich allerdings auch darauf verlassen, dass der LKW-Fahrer, der mir Licht- und Handzeichen gegeben hatte, kontrolliert hatte, dass sich auf der Linksabbiegerspur niemand befand‘‘ (Bl. 108 unten BA). Das so hervorgerufene falsche Vertrauen war die Ursache dafür, dass der Beklagte zu 1. in der kritischen Phase der Annäherung an die Unfallstelle seine Aufmerksamkeit zunächst ausschließlich auf den Verkehr aus der nördlichen Richtung der A-Straße richtete. Erwartungswidrig näherte sich aber der Kläger auf der Linksabbiegerspur mit der weiteren Folge, dass der Beklagte zu 1. erst 1,25 Sekunden vor der Kollisionsberührung eine Gefahrenbremsung einleitete. Obwohl die Spontanverzögerung den PKW Mazda zum Zeitpunkt der Kollisionsberührung noch zum Stillstand bringen konnte, reichte sie nicht mehr zur räumlichen Vermeidbarkeit des Zusammenstoßes aus. Zuvor war der Kläger wegen einer Überbremsung bereits von dem Motorrad abgeworfen worden. Vergeblich versucht der Kläger in seiner Berufungsbegründung, die mit seinem unzulässigen Fahrmanöver verbunden gewesene deutliche Erhöhung der von seinem Krad ausgegangenen Betriebsgefahr zu verharmlosen.
864 )
87Eine weitere Gefahrensteigerung ergab sich aus der Tatsache, dass der Kläger den Überholvorgang in der Stausituation mit einer nach den Vorgaben der §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 StVO völlig übersetzten Geschwindigkeit durchgeführt hat. Nach dieser Bestimmung darf ein Fahrzeugführer nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird (Satz 1). Die Geschwindigkeit ist unter anderem den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen anzupassen (Satz 2). Diesen Sorgfaltsanforderungen ist der Kläger nicht gerecht geworden, weil er nach den Berechnungen des Sachverständigen während des – ohnehin unzulässigen – Überholvorganges eine Geschwindigkeit von 64 km/h erreichte. Zwar galt auf dem in Rede stehenden Streckenabschnitt der A-Straße eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h. Es versteht sich jedoch von selbst, dass der Kläger dieses Tempolimit dann hätte ausnutzen dürfen, wenn die Vorgaben des §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 StVO dies zuließen. Dies war eindeutig nicht der Fall.
88a )
89Wie bereits ausgeführt, hatte der Kläger in der ersten Phase des Unfallgeschehens 6,9 Sekunden vor dem Zusammenstoß keine Sicht auf die Verkehrssituation vor dem Sattelzug. Der Kläger überholte somit in eine für ihn unübersichtliche Verkehrslage hinein. Nach der Aussage des Zeugen E hat dieser sich anfänglich auf der A-Straße mit 50 bis 60 km/h angenähert; als er dann das Rotlicht der Ampelanlage an der Kreuzung wahrnahm, hat er dann den Sattelzug ausrollen lassen (Bl. 148 d.A.). Die kontinuierliche Geschwindigkeitsreduzierung eröffnete ihm dann die Möglichkeit, weit vor Erreichen der Grundstücksausfahrt dem dort wartenden Beklagten zu 1. das Freigabesignal anzuzeigen. Wie die maßstabsgerechte Darstellung der einzelnen Unfallphasen verdeutlicht, war die Front des Lastzuges noch mehr als 50 m von der Grundstücksausfahrt entfernt, als der Beklagte zu 1. 3,7 Sekunden vor dem Zusammenstoß in der Position 2 den Einfahrvorgang begann (Bl. 175 d.A.).
90b )
91Unstreitig war in der Phase, als der Kläger den Überholvorgang einleitete, die angestrebte Linksabbiegerspur vor ihm verkehrsfrei. Zu seinen Gunsten war indes wegen der Unübersichtlichkeit der Stausituation auf dem rechten Fahrstreifen kein Vertrauenstatbestand des Inhaltes einschlägig, dass die linke Spur im Zuge seiner Annäherung verkehrsfrei blieb. Allein schon aus diesem Grund war seine Annäherungsgeschwindigkeit im Hinblick auf die Vorgaben der §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 StVO überhöht.
92c )
93Der Kläger hat sich in seinem Schriftsatz vom 25. Februar 2014 die Geschwindigkeitsangabe des Sachverständigen in dessen Erstgutachten vom 5. Oktober 2011 zu Eigen gemacht, derzufolge die Annäherungsgeschwindigkeit seines Krades zwischen 46 und 65 km/h betragen hatte (Bl. 116 d.A.). Nachdem das Landgericht im Termin vom 10. September 2014 den Kläger, den Beklagten zu 1. sowie den Zeugen E in Anwesenheit des Sachverständigen zum Unfallhergang befragt hatte, war dieser in der Lage, in seinem Nachtragsgutachten vom 10. Dezember 2014 das Annäherungstempo des Motorrades mit 64 km/h zu konkretisieren und es mit diesem Wert in eine plausible Unfallrekonstruktion einzubinden (Bl. 172, 173 d.A.).
945 )
95Wegen dieses Ausgangstempos ist dem Kläger vorzuhalten, die Fahrzeugkolonne auf der rechten Geradeausspur mit einer großen Lückenbildung vor dem Hausgrundstück A-Straße Nr. ... unter Verstoß gegen §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 StVO mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit passiert zu haben.
96a )
97Kommt eine Fahrzeugreihe vor einer Einmündung ins Stocken, dann muss derjenige Verkehrsteilnehmer, der diese Reihe überholen will, mit dem Vorhandensein für ihn unsichtbarer Hindernisse rechnen und seine Geschwindigkeit darauf einrichten (BGH VersR 1969, 756). An diese Entscheidung knüpft sich die in der obergerichtlichen Judikatur entwickelte sogenannte Lückenfallrechtsprechung. Danach muss ein vorfahrtberechtigter Verkehrsteilnehmer, der an einer zum Stillstand gekommenen Fahrzeugkolonne links vorbeifährt, bei Annäherung an eine Kreuzung oder Einmündung auf größere Lücken in der Kolonne achten. Er hat sich darauf einzustellen, dass diese Lücken vom Querverkehr benutzt werden. Er muss zudem damit rechnen, dass der eine solche Lücke ausnutzende Verkehrsteilnehmer nur unter erheblichen Schwierigkeiten an der haltenden Fahrzeugschlange vorbei Einblick in den parallel verlaufenden Fahrstreifen nehmen und das Verkehrsverhalten der dort befindlichen Fahrzeugführer beobachten kann. Er darf sich der Lücke nur mit voller Aufmerksamkeit und unter Beachtung einer Geschwindigkeit nähern, die ihm notfalls ein sofortiges Anhalten ermöglicht (Senat, Urteil vom 4. März 2014, Az.: I-1 U 71/13; Senat, Urteil vom 29. September 2009, Az.: I-1 U 60/07 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen; Senat, Urteil vom 14. Januar 1980, Az.: 1 U 135/79; Senat, Urteil vom 27. Juni 1983, Az.: 1 U 220/82; KG NZV 2007, 524; OLG Hamm NZV 2006, 204; weitere Rechtsprechungsnachweise bei Hentschel/König/Dauer a.a.O., § 5 StVO, Rdnr. 41).
98b )
99In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist streitig, ob die sogenannte Lückenrechtsprechung auch dann anwendbar ist, wenn der Wartepflichtige nicht aus einer untergeordneten Seitenstraße durch eine Kolonnenlücke hindurch auf die bevorrechtigte Straße einbiegen will, sondern wenn er bei dem Verlassen von Grundstücksausfahrten die strengen Sorgfaltsanforderungen des § 10 StVO zu beachten hat. Die entsprechende Anwendbarkeit hat der Senat in der Vergangenheit wiederholt bejaht (zuletzt Urteil vom 4. März 2014, Az.: I-1 U 71/13; Urteil vom 27. Juni 1983, Az.: 1 U 220/82 mit Hinweis auf Senat, VersR 1980, 634 sowie VersR 1980, 774; Urteil vom 29. September 2009, Az.: 1 U 60/07; so auch OLG Frankfurt, Urteil vom 25. November 2005, Az.: 24 U 138/05 sowie OLG Hamm, NZV 1992, 238 jeweils für Tankstellenausfahrten; LG Köln, DAR 1995, 449 – anderer Ansicht: KG NZV 1996, 365; KG NZV 2007, 524; OLG Rostock NZV 2011, 289 sowie LG Saarbrücken NZV 2013, 494). Das Landgericht Kleve hat sich in dem Rechtsstreit umgekehrten Rubrums zu dem Aktenzeichen 1 O 226/11 in seinem am 27. April 2012 verkündeten Urteil der Meinung angeschlossen, wonach die Lückenrechtsprechung nicht auf Querverkehr aus Grundstücksausfahrten übertragbar sein soll. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Ausdehnung der Rechtsprechung auf Grundstückszuwegungen führe zu einer unzumutbaren Belastung des fließenden Verkehrs (Bl. 7 UA; Bl. 133 Beiakte).
1006 )
101Der vorliegende Fall gibt dem Senat keinen Anlass, die Anwendbarkeit der Lückenrechtsprechung noch einmal für Fallkonstellationen zu überprüfen, bei welchen ein Verkehrsteilnehmer eine Grundstücksausfahrt durch eine Kolonnenlücke hindurch verlassen will, um auf eine bevorrechtigte Straße zu fahren. Selbst wenn man die entsprechende Anwendbarkeit der Lückenrechtsprechung verneinte, änderte dies nichts an der Feststellung, dass der Kläger in Anbetracht der Kolonnenbildung auf der rechten Geradeausspur nicht auf freie Fahrt auf der angestrebten Linksabbiegerspur vertrauen durfte.
102a )
103Zunächst ist zu berücksichtigen, dass entgegen der durch den Kläger in seiner Berufungsbegründung vertretenen Rechtsansicht für ihn von vornherein kein Vertrauensgrundsatz einschlägig war. Dies machen die Beklagten in ihrer Berufungserwiderung zu Recht geltend. Denn nur solche Verkehrsteilnehmer, die sich selbst verkehrsrichtig verhalten, brauchen sich nicht vorsorglich auf alle möglichen Verkehrswidrigkeiten anderer Verkehrsteilnehmer einzurichten, sondern dürfen mangels gegenteiliger Anhaltspunkte erwarten und sich darauf einrichten, dass Andere die für sie geltenden Vorschriften beachten und den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten gefährden (Hentschel/König, a.a.O., § 1 StVO, Rdnr. 20 mit Hinweis auf BGH NJW 2003, 1929; BGH NZV 1992, 108 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Von einem vorkollisionären verkehrsrichtigen Verhalten des Klägers kann indes keine Rede sein, weil aus den dargelegten Gründen die Einleitung des Überholmanövers über die schraffierte Sperrfläche hinweg mit nachfolgender Inanspruchnahme der Linksabbiegerspur unzulässig war.
104b )
105Unabhängig davon ist in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend dargelegt, dass der Kläger den Versuch unternommen hat, den durch den Zeugen E gesteuerten und langsamer werdenden Sattelzug entgegen § 5 Abs. 2 Ziff. 1 StVO in einer unklaren Verkehrslage zu überholen (Bl. 9, 10 UA; Bl. 218, 219 d.A.).
106aa )
107Der Aussage des Zeugen zufolge verlangsamte er seine Fahrt deutlich, als er auf die Grundstücksausfahrt vor dem Haus A-Straße Nr. ... zufuhr. Nach der zutreffenden Feststellung des Landgerichts setzte die Verzögerung bereits etwa ab dem Beginn der der schraffierten Sperrfläche vorgelagerten durchgehenden Fahrstreifenbegrenzung (Vorschriftszeichen 295) ein. Der Grund für die erhebliche Verlangsamung war für den Kläger nicht erkennbar, da der lange Sattelzug vor ihn ein Sichthindernis bildete. Nach der zeichnerischen Unfallrekonstruktion des Sachverständigen begann der Überholvorgang des Klägers 6,9 Sekunden vor der Kollision in einer Phase, als sich der Sattelzug noch knapp 160 m von der ampelgeregelten Kreuzung mit der Straße C-Weg entfernt befand. Gleichzeitig machte die Distanz zu dem späteren Kollisionsort über 100 m aus (Bl. 175 d.A.).
108bb )
109Da der kontinuierliche Geschwindigkeitsabbau des Sattelzuges bereits weit vor der Kreuzung, noch vor der schraffierten Sperrfläche bemerkbar wurde und der Kläger die Verkehrssituation vor ihm nicht einsehen konnte, war für ihn auch die Ursache des Fahrverhaltens des Zeugen E nicht in dem Sinne eindeutig, dass es zwingend in einem Zusammenhang mit einer Rotlichtanzeige an der nachfolgenden Kreuzung stand. Anlässlich seiner informatorischen Befragung durch das Landgericht im Termin vom 10. September 2014 hat der Kläger zunächst angegeben, „Gedanken darüber, warum der Lkw so früh angefangen hat zu bremsen bzw. sich ausrollen zu lassen“, habe er sich nicht gemacht. Die nachfolgende korrigierende Darstellung, er habe sich „vielmehr gedacht, dass sich der Lkw Platz verschaffen wollte, um nachher beschleunigen zu können, wenn die Ampel wieder auf Grün geschaltet ist“ (Bl. 150 d.A.), ist bezeichnend dafür, dass auch aus der Sicht des Klägers eine ambivalente Verkehrssituation gegeben war, in die hinein er den Überholvorgang einleitete.
110cc )
111Eine unklare Verkehrslage im Sinne des § 5 Abs. 3 Ziff. 1 StVO ist gegeben, wenn in einer haltenden Fahrzeugschlange erkennbar eine Lücke freigehalten ist, um dem Querverkehr das Überqueren oder aus einer Tankstelle das Einfahren zu ermöglichen (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., § 5 StVO, Rdnr. 27 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Allerdings mag der Kläger bei Einleitung des Überholvorganges aus der Entfernung noch nicht gesehen haben, dass der Beklagte zu 1. etwa 100 m vor ihm auf eine Einbiegemöglichkeit aus einer 9 m breiten Grundstücksausfahrt wartete und dass der Zeuge E seine Geschwindigkeit kontinuierlich verringerte, um dem Fahrer des Pkw Mazda das Linksabbiegen zu ermöglichen. Wenn aber der Vorausfahrende besonders auffällig und über eine längere Zeit langsam fährt, kann der nachfolgende Verkehr nicht davon ausgehen, dass alles in Ordnung und ein gefahrloses Überholen möglich ist (Senat, Urteil vom 10. März 2008, Az.: I-1 U 175/07, NJW-Spezial 2008, 490, zitiert bei Burmann/Heß/Jahnke/Janker a.a.O.). Genau diese Situation war im vorliegenden Fall gegeben. Obwohl auf dem in Rede stehenden Streckenabschnitt der A-Straße eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h erlaubt ist, hatte der Zeuge E sein Fahrzeug aus einem Anfangstempo von 50 bis 60 km/h schließlich ausrollen lassen. Bei seiner informatorischen Befragung im Termin vom 10. September 2014 hat der Kläger erklärt, er sei dem Lkw vor ihm in einer Weise gefolgt, dass er schließlich selbst nur noch Schrittgeschwindigkeit gefahren sei. Als dann die Ampel auf „Grün“ gesprungen sei, habe er aus dieser Situation heraus zum Überholen angesetzt (Bl. 150 d.A.).
112dd )
113Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers die Richtigkeit seiner Darstellung im Termin vor dem Landgericht am 10. September 2014 unterstellt, er sei von der Annahme ausgegangen, der Lkw habe sich mit seiner Langsamfahrt Platz verschaffen wollen, um nachher bei dem Wechsel der Ampel auf „Grün“ zu beschleunigen (Bl. 150 d.A.), änderte dies nichts an der Feststellung des Überholens der Fahrzeugkolonne auf der linken Fahrspur in einer unklaren Verkehrslage. Denn ein Fall des § 5 Abs. 3 Ziff. 1 StVO ist auch bei dem Überholen einer soeben bei „Grün“ anfahrenden Fahrzeugkolonne von acht bis zehn Fahrzeugen unter vollständiger Benutzung der Gegenfahrbahn gegeben (Hentschel/König a.a.O., § 5 StVO, Rdnr. 34 mit Hinweis auf OLG Frankfurt, VersR 1982, 1008). Nichts anderes gilt für eine Verkehrssituation, bei der sich der Überholvorgang an der Fahrzeugkolonne vorbei unter Inanspruchnahme einer Linksabbiegerspur vollzieht, für die aus einer Entfernung von etwa 100 m nicht sicher absehbar ist, ob sie verkehrsfrei bleibt.
1147 )
115Im Ergebnis ist somit unter allen in Betracht kommenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten die Feststellung zu treffen, dass die Überholgeschwindigkeit des Klägers von 64 km/h völlig übersetzt war. In diesem Zusammenhang überzeugt auch nicht der Argumentationsansatz des Klägers, der das riskant-fahrlässige Überholmanöver mit dem Hinweis auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten zu rechtfertigen versucht. Denn an der Sache vorbei geht der Vergleich mit einem Verkehrsteilnehmer, der hypothetisch in zulässiger Fahrt über die Linksabbiegerspur sich der Grundstücksausfahrt vor dem Haus A-Straße Nr. ... genähert und dort von einem plötzlich quer einfahrenden Pkw überrascht worden wäre. Denn das rechtmäßige Alternativverhalten des Klägers hätte darin bestanden, von dem Versuch der Weiterfahrt über die Linksabbiegerspur durch Einleitung des -- unzulässigen – Überholvorgangs abzusehen und seine verlangsamte Fahrt hinter dem Sattelzug fortzusetzen. Dass auf diese Weise, wie der Sachverständige dargelegt hat, die Kollision vermieden worden wäre, bedarf keiner weiteren Ausführungen.
116IV.
117Kommt es zu einem Zusammenstoß zwischen einem Grundstücksausfahrer und einem Teilnehmer des bevorrechtigten fließenden Verkehrs, trifft den Ersteren gewöhnlich die volle Haftung, sofern die Betriebsgefahr des durch den Unfallgegner gesteuerten Fahrzeuges nicht wegen eines Annäherungsverschuldens erhöht ist. Eine volle Haftung der Beklagten kann aufgrund der Gefahrerhöhung des durch den Kläger gesteuerten Motorrades wegen der übersetzten Annäherungsgeschwindigkeit bei einem unzulässigen Überholmanöver in einer Kolonnensituation nicht angenommen werden. Für eine vergleichbare Fallkonstellation hat der Senat eine Haftungsverteilung im Verhältnis von 2/3 zu 1/3 zum Nachteil des Grundstücksausfahrers angenommen (Urteil vom 4. März 2014, Az.: I-1 U 71/13). Auf derselben Linie liegen die Entscheidungen des Kammergerichts Berlin vom 4. März 1996 zu dem Aktenzeichen 12 U 1032/95 (NZV 1996, 365) sowie des OLG Hamm vom 27. September 2000 zu dem Aktenzeichen 13 U 80/00 (DAR 2001, 390). Folglich ist die durch das Landgericht ausgesprochene Haftungsverteilung, mit der es dem Kläger eine Anspruchsberechtigung von 70 % seiner Unfallschäden zuerkannt hat, zu seinen Gunsten nicht abänderungsbedürftig.
118V.
1191 )
120Das Landgericht hat dem Kläger unter Berücksichtigung des auf ihn entfallenden Mitverschuldensanteils mit ausführlicher Begründung ein Schmerzensgeld im Umfang von 16.000 Euro zuerkannt (Bl. 11/13 UA; Bl. 220/222 d.A.). Abzüglich der bereits durch die Beklagte zu 2. geleisteten Teilzahlungen von 3.000 Euro und 10.000 Euro, die in den Urteilstenor mit aufgenommen sind (Bl. 2 UA; Bl. 211 d.A.), verbleibt damit ein Saldo von 3.000 Euro. Mit seiner Berufungsbegründung macht der Kläger geltend, bei der Schmerzensgeldbemessung hätte ein Mitverschuldensanteil keine Berücksichtigung finden dürfen, so dass sich seine begründete Schmerzensgeldforderung auf 35.000 Euro stelle (Bl. 267 d.A.). Da sich der Kläger jedoch eine Mitverantwortlichkeit an der Entstehung des Unfallereignisses in Höhe von 30 % anspruchsmindernd entgegen halten lassen muss, besteht kein Anlass, das Schmerzensgelderkenntnis des Landgerichts zu seinen Gunsten zu korrigieren. Ließe man hypothetisch den Mitverschuldensanteil des Klägers von 30 % in Fortfall geraten, stellte sich das ihm durch das Landgericht zugesprochene Schmerzensgeld rein rechnerisch auf die Größenordnung von etwa 21.000 Euro. Der Kläger legt in seiner Berufungsbegründung nicht dar, aus welchen Gründen ein solches Schmerzensgeld dem Umfang seiner immateriellen Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung der Zumessungsfaktoren des § 253 Abs. 2 BGB nicht gerecht werden soll.
1212 )
122Eine Berufung ist unzulässig, wenn ihre Begründung sich darauf beschränkt, eine im ersten Rechtszug getroffene Ermessensentscheidung, etwa bei der Bemessung von Schmerzensgeld, als unangemessen zu beanstanden (Senat, Urteil vom 5. März 2013, Az.: I-1 U 115/12 mit Hinweis auf OLG Hamm, MDR 2003, 1249 und Eggert, Verkehrsrecht aktuell 2007, 64, 68). Selbst wenn das Berufungsvorbringen des Klägers dahingehend zu verstehen wäre, dass er bei unterstellter Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen des Landgerichts zur Bemessung des Schmerzensgeldes dessen erstinstanzlich zuerkannte Höhe als unangemessen erachtete, gäbe dies keinen Anlass zu einer Überprüfung und gegebenenfalls Abänderung der Entschädigungsfestsetzung. Denn es fehlt jegliche Konkretisierung nach Maßgabe des § 520 Abs. 3 Ziff. 2 und 3 ZPO, aus welchen tatsächlichen und/oder rechtlichen Erwägungen die ausführlich begründete Ermessensentscheidung des Landgerichts zur Schmerzensgeldbemessung der Abänderung unterliegen soll. Grundsätzlich ist eine pauschale Verweisung auf den erstinstanzlichen Sachvortrag keine ausreichende Berufungsbegründung. Dies gilt selbst dann, wenn der Streitstoff einfach liegt und möglicherweise nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist (Zöller/Heßler, Kommentar zur ZPO, 30. Aufl., § 520, Rdnr. 40 mit Hinweis auf BGH NJW-RR 1996, 572 und zahlreichen weiteren Nachweisen).
1233 )
124Eine geringfügige Abänderung ist nur hinsichtlich des zweiten Absatzes des Tenors der angefochtenen Entscheidung vorzunehmen, der sich in der Hauptsache im Umfang von 367,50 € auf die gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zum Ersatz materieller Unfallschäden bezieht. Der Eigenanteil des Klägers von 500,-- € als Selbstbeteiligung an seiner Kaskoversicherung ist nicht auf seine quotale Anspruchsberechtigung von 70 % zu reduzieren. Denn der Kaskoversicherungseigenanteil partizipiert am Quotenvorrecht und ist damit in voller Höhe ersatzfähig (Senat, Urteil vom 7. Juli 2015, Az.: I-1 U 155/14).
125VI.
126Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO.
127Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
128Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug beträgt 21.692,50 € (1.192,50 € + 19.000 Euro + 1.500 Euro).
129Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.