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G r ü n d e
2A. Nachdem das Landgericht auf die Beschwerde der Antragstellerin seinen das Befangenheitsgesuch zurückweisenden Beschluss vom 27. August 2015 (GA 2329 ff.), der verfahrensfehlerhaft vom Kammervorsitzenden alleine gefasst worden war, unter dem 16. Oktober 2015 aufgehoben (GA 2383) und mit Beschluss vom selben Tag unter Beteiligung der Handelsrichter den Befangenheitsantrag inhaltsgleich erneut zurückgewiesen hat (GA 2391 ff.), richtet sich das Rechtsmittel gegen den Zurückweisungsbeschluss vom 16. Oktober 2015. Die Antragstellerin hat innerhalb der zweiwöchigen Beschwerdefrist des § 569 Abs. 1 ZPO durch Schriftsatz vom 29. Oktober 2015 (GA 2404 ff.) klargestellt, dass sie nunmehr die Korrektur dieses Beschlusses begehrt. Eine erneute Nichtabhilfeentscheidung des Landgerichts nach § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist entbehrlich. Denn die Kammer hat ihre zurückweisende Entscheidung vom 16. Oktober 2015 in Kenntnis derjenigen Gründe getroffen, die die Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift vom 16. September 2015 (GA 2357 ff.) vorgebracht hatte.
3B. Die sofortige Beschwerde hat Erfolg. Gegen die abgelehnte Richterin besteht die Besorgnis der Befangenheit.
41. Eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet gemäß § 42 Abs. 2 ZPO statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Misstrauen tatsächlich gerechtfertigt ist oder sich der abgelehnte Richter für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht einer vernünftig und besonnen denkenden Prozesspartei objektive Gründe bestehen, an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters zu zweifeln (BGH, NJW-RR 2012, 61 m.w.N.). Auf die Art und Weise der Verfahrensführung und die Rechtsauffassung des Richters kann im Allgemeinen ein Befangenheitsgesuch nicht gestützt werden. Etwas anders gilt allerdings, wenn sich die Gestaltung des Verfahrens oder die Entscheidungen des Richters so weit von den anerkannten rechtlichen Grundsätzen entfernen, dass für die davon betroffene Partei der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung entsteht (vgl. nur Vollkommer in Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 42 Rn. 24 m.w.N.).
52. So liegt der Fall hier. Die Prozessleitung der abgelehnten Richterin war in einem Maße sachwidrig, dass die Antragstellerin den Eindruck gewinnen durfte, der Antragsgegnerin solle durch eine unnötig lange Prozessdauer die nach dem Sach- und Streitstand an sich gebotene Abweisung ihrer Kartellschadensersatzklage möglichst erspart werden.
6a) Bei richtiger Verfahrensführung hätte die abgelehnte Richterin die Schadensersatzklage der Antragsgegnerin bereits auf die erste mündliche Verhandlung vom 26. Juli 2012 abweisen müssen. Die Antragsgegnerin war mit prozessleitender Verfügung vom 11. Januar 2011 und erneut mit Beschluss der Kammer vom 16. Januar 2012 darauf hingewiesen worden, dass ihr Prozessvortrag zum Grund und zur Höhe des eingeklagten Kartellschadensersatzanspruchs „völlig unsubstantiiert“ ist und es an „jeglichem substantiierten“ Vorbringen zum Schadensgrund und zur Schadenshöhe fehlt. Da sich - wie bereits die Rechtsausführungen der abgelehnten Richterin im Verhandlungstermin belegen - bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung an dieser Beurteilung nichts geändert hatte, war die entscheidungsreife Klage bei einer ordnungsgemäßen Prozessführung zwingend abzuweisen. Davon hat die abgelehnte Richterin ohne Angabe von Gründen abgesehen. Ihre Entscheidung, die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 25. Oktober 2012 (GA 1320 ff.) erneut auf die mangelnde Substanz ihres Vorbringens zur Schadenshöhe und zur Schadenskausalität hinzuweisen, entbehrte jeder Grundlage. Sie verzögerte die Entscheidung des Rechtsstreits zum Nachteil der Antragstellerin und musste erstes Misstrauen in die Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richterin wecken. Zweifel an der Unparteilichkeit der Richterin waren dabei umso mehr berechtigt, als diese der Antragsgegnerin im Verhandlungstermin am 26. Juli 2012 in bedenklicher Weise mehrfach empfohlen hatte, zur Vermeidung einer Klageabweisung in die Säumnis zu flüchten, um den bislang unzureichenden Sachvortrag im Einspruchsverfahren nachbessern zu können.
7b) Die Zweifel an einer unvoreingenommen zügigen Verfahrensleitung haben sich in der Folgezeit verstärkt, weil die abgelehnte Richterin die der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 25. Oktober 2012 gesetzte sechswöchige Schriftsatzfrist ohne die gebotene vorherige Anhörung der Antragstellerin um insgesamt drei Monate verlängert und zudem einen neuen Verhandlungstermin auf den 7. November 2013 erst bestimmt hat, nachdem die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 6. Februar 2013 und erneut unter dem 18. Februar 2013 nachdrücklich um eine zeitnahe Terminierung gebeten hatte.
8c) Im Verhandlungstermin vom 7. November 2013 selbst war die Antragsgegnerin säumig, so dass die Klage auf Antrag der Antragstellerin durch Versäumnisurteil abgewiesen wurde. Für die Antragsstellerin musste sich dabei ein Zusammenhang mit dem bedenklichen Ratschlag der abgelehnten Richterin im ersten Verhandlungstermin am 26. Juli 2012, zur Vermeidung einer Klageabweisung in die Säumnis zu flüchten, geradezu aufdrängen.
9d) Die anschließende Prozessleitung der abgelehnten Richterin bestärkte den Eindruck, dass zugunsten der Antragsgegnerin eine zeitnahe Entscheidung des Rechtsstreits vermieden werden sollte. Der Termin zur Verhandlung über den rechtzeitig eingelegten Einspruch der Antragsgegnerin gegen das Versäumnisurteil fand am 18. Dezember 2014 statt. Am Ende dieses Termins ordnete die abgelehnte Richterin in Abwesenheit der Parteien und ohne Angabe von Gründen an, dass der Rechtsstreit nach § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Nichtzulassungsbeschwerde der Antragsgegnerin gegen das Senatsurteil vom 25. Juni 2014 (VI – U(Kart) 46/13) ausgesetzt wird (GA 2066 ff.). Ausweislich ihrer dienstlichen Äußerung vom 15. Mai 2015 (GA 2307 ff.) war der abgelehnten Richterin bewusst, dass die Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung nach der genannten Vorschrift nicht erfüllt waren. Das entsprach auch der bereits seinerzeit veröffentlichten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, NJW-RR 2014, 758; NJW-RR 2012, 575). Der Bundesgerichtshof lehnt in Fallkonstellationen der vorliegenden Art sowohl eine direkte wie auch eine analoge Anwendung von § 148 ZPO ab.
10Die Aussetzung des Rechtsstreits war nicht nur verfahrensfehlerhaft, sondern weckte erneute Zweifel an der strikten Unparteilichkeit der Richterin. Auch nach einer mittlerweile fünfjährigen Prozessdauer war im Dezember 2014 immer noch unklar, ob es der Antragsgegnerin nach Auffassung der abgelehnten Richterin gelungen war, ihren Sachvortrag zum Kartellschaden hinreichend zu substantiieren. Eine Verlautbarung der Kammer zur zwischenzeitlich hergestellten Schlüssigkeit der Schadensersatzklage gab es nicht, und im Verhandlungstermin vom 7. November 2013 hatte die abgelehnte Richterin dem anwaltlichen Vertreter der Antragstellerin zu dem erwogenen Antrag auf Entscheidung nach Lage der Akten (§ 331 a Abs. 1 Satz 1 ZPO) lediglich mitgeteilt, dass nicht sicher mit einem klageabweisenden Urteil gerechnet werden könne und auch eine Beweisaufnahme in Betracht komme. Vor diesem Hintergrund durfte die Antragstellerin den Aussetzungsbeschluss in einen direkten Zusammenhang zu den vorausgegangenen Entscheidungen stellen, mit denen die abgelehnte Richterin zugunsten der Antragsgegnerin von der an sich angezeigt gewesenen Klageabweisung abgesehen hatte.
11e) In den Eindruck einer zugunsten der Antragsgegnerin unterbliebenen ordnungsgemäßen Prozessförderung fügt sich das weitere Verhalten der abgelehnten Richterin ein. Zwar hat sie mit Beschluss vom 26. März 2015 (GA 2232) den fehlerhaften Aussetzungsbeschluss im Abhilfeverfahren nach § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO selbst aufgehoben. Dem Rechtsstreit hat sie aber sodann keinen hinreichenden Fortgang gegeben. Die abgelehnte Richterin hat lediglich mit Verfügung vom 2. April 2015 einen neuen Verhandlungstermin für den 19. November 2015 angekündigt. Ohne dass hierfür irgendwelche Hinderungsgründe erkennbar sind, hat sie bis zum Eingang des Ablehnungsantrags vom 13. Mai 2015 darüber hinaus Nichts veranlasst. Sie hat weder den in Aussicht genommenen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt noch sonst irgendwelche Maßnahmen zur Förderung des Rechtsstreits aktenkundig gemacht. Dabei wäre der Prozess angesichts einer mittlerweile bereits fünfeinhalbjährigen Verfahrensdauer, die maßgeblich auf die Prozessleitung durch die abgelehnte Richterin zurückzuführen ist, in besonderer Weise zu fördern gewesen.
12f) In der Gesamtschau der vorstehenden dargestellten Umstände durfte die Antragstellerin im Mai 2015 zu Recht den Eindruck haben, dass die abgelehnte Richterin den Rechtsstreit in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht mit der gebotenen strikten Neutralität und Unvoreingenommenheit führt.
133. Die Antragstellerin ist mit den unter Ziffer 2 a) bis c) erörterten Gesichtspunkten nicht gemäß § 43 ZPO präkludiert. Nach der genannten Vorschrift kann eine Partei einen Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen.
14Die Antragstellerin hat zwar in den Verhandlungen vom 26. Juli 2012 und 7. November 2013 Sachanträge gestellt, ohne die bis dahin begründeten Zweifel an der Unparteilichkeit der abgelehnten Richterin geltend zu machen. Dies schließt es aber nicht aus, dass sie ihr Ablehnungsgesuch unter Einschluss der bis einschließlich zum 7. November 2013 gesetzten Befangenheitsgesichtspunkte auf den Gesamttatbestand der bis zum 13. Mai 2015 erfolgten Verfahrensführung der abgelehnten Richterin stützt (vgl. Vollkommer, a.a.O. § 43 Rn. 8 m.w.N.).
15C. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. BGH, NJW 2012, 1890).
16Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 und 3 ZPO liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die der Senat auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 42 Abs. 2 ZPO getroffen hat.
17Der Beschwerdewert entspricht dem Wert der Hauptsache (vgl. BGH, NJW 2012, 1890, 1891; NJW 1969, 796).