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Der Antrag der Beteiligten vom 12.03.2015, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts vom 28.01.2015, B 8 – 175/11, anzuordnen, wird zurückgewiesen.
G r ü n d e:
2A.
3Die Beteiligte ist eine im Regierungsbezirk Freiburg in Baden Württemberg gelegene Kommune mit ca. 11.900 Einwohnern. Sie ist Inhaberin der Wegerechte an den öffentlichen Verkehrswegen im Stadtgebiet. Am 13.10.2009 gab sie das Auslaufen der Stromkonzession im Stadtgebiet im Bundesanzeiger bekannt und forderte interessierte Unternehmen auf, Angebote einzureichen. Wegen formeller Fehler erfolgte eine berichtigte Bekanntmachung. Politisches Ziel der Beteiligten war es, den Netzbetrieb zu rekommunalisieren. Am 27.10.2009 beschloss der Rat der Beteiligten, einen Kooperationspartner für den Netzbetrieb zu suchen. Im November 2009 bewarb sich die Beigeladene zu 1) um die Stromkonzession, die bisherige Altkonzessionärin war. Im März 2010 bewarb sich die C… AG & Co. KG ebenfalls um die Stromkonzession.
4Am 27.07.2010 beschloss der Rat der Beteiligten den Netzbetrieb zu rekommunalisieren und nahm zu diesem Zweck Kontakt zur O... e.G. auf. Am 29.03.2011 beschloss der Rat sodann mit der O... e.G. eine strategische Partnerschaft zur Gründung der F… GmbH (F...) einzugehen. An der F... beteiligte sich die Beteiligte zu 60 % und die O... e.G. zu 40 %. Zugleich wurde beschlossen, dass sich die F... um die Stromkonzession bewerben und den Stromvertrieb im Stadtgebiet der Beteiligten übernehmen solle.
5In der Ratssitzung vom 31.05.2011 beschloss der Rat der Beteiligten nachträglich Auswahlkriterien und Gewichtungen für die Vergabe der Wegenutzungsrechte für die Stromleitungen, die der Beigeladenen zu 1) und der C… AG & Co. KG am 07.06.2011 mitgeteilt wurden. Ihnen wurde zugleich eine Frist zur Anpassung der Angebote bis zum 30.07.2011 gewährt. Ebenfalls am 07.06.2011 wurde die F... gegründet und am 17.06.2011 ins Handelsregister eingetragen.
6Mit Schreiben vom 15.06.2011 nahm die C… AG & Co. KG ihre Bewerbung zurück. Die Beigeladene zu 1) teilte Anfang Juli 2011 der Beteiligten mit, ihre Bewerbung aufrecht zu erhalten. Am 05.07.2011 bewarb sich die F... ebenfalls um die Stromkonzession.
7Am 16.08.2011 beriet der Rat der Beteiligten über die Angebote und stimmte über die Auswahl des Angebotes ab, das den Zuschlag erhalten sollte. Mit einer Gegenstimme fiel die Auswahl auf das Angebot der F.... Mit Schreiben vom 17.08.2011 informierte die Beteiligte die Beigeladene zu 1), sich für die F... als zukünftiger Stromkonzessionärin entschieden zu haben. Am 07.11.2011 machte sie ihre Entscheidung öffentlich bekannt und schloss mit der F... am 16.12.2011 einen Stromkonzessionsvertrag.
8Am 28.09.2011 rügte die Beigeladene zu 1 die Vergabe der Stromkonzession an die F... gegenüber dem Bundeskartellamt.
9Am 04.05.2012 übernahm die F... unter Vorbehalt das Stromnetz. Mit Verfügung vom 28. Januar 2015 stellte das Bundeskartellamt fest, dass die Beteiligte bei der Auswahl des Unternehmens, dem sie die Wegerechte an den öffentlichen Verkehrswegen für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen zur Versorgung von Letztverbrauchern mit Strom in ihrem Stadtgebiet übertragen hat, gegen Kartellrecht verstoßen habe. Zugleich gab sie der Beteiligten auf, das Verfahren zur Vergabe der Stromkonzession zu wiederholen und dies öffentlich bekannt zu machen.
10Hiergegen hat die Beteiligte am 03.03.2015 Beschwerde eingelegt und mit am gleichen Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 12.03.2015 beantragt,
11die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts vom 28.01.2015, B 8 – 175/11, anzuordnen.
12Das Bundeskartellamt ist dem Eilantrag ebenso wie die Beigeladene zu 1) entgegengetreten.
13B.
14Der Antrag der Beteiligten auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde nach § 65 Abs. 3 Satz 3, Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB ist unbegründet. Es bestehen weder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Missbrauchsverfügung noch stellt die Vollziehung für die Beteiligte eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte dar.
15I. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Bundeskartellamts ist aus den zutreffenden Gründen in der angefochtenen Verfügung, auf die zur Vermeidung bloßer Wiederholungen verwiesen wird, eröffnet. Auch bestehen keine ernstlichen Zweifel an der formalen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung, deren Tenor hinreichend bestimmt und die ausführlich begründet worden ist.
16II. Auch an der materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen auf der Grundlage der gebotenen lediglich summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine ernstlichen Zweifel, § 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB.
17Solche Zweifel können in tatsächlicher (so bei nicht zureichender Sachaufklärung) oder in rechtlicher (in verfahrens- oder in materiell-rechtlicher) Hinsicht begründet sein. Ernstliche Zweifel sind regelmäßig dann zu bejahen, wenn nach der Einschätzung des Gerichts die Aufhebung der angefochtenen Verfügung überwiegend wahrscheinlich ist. Nicht ausreichend ist es, wenn die Rechtslage als offen zu bewerten ist (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.04.2005, VI-Kart 3/05, juris Rn. 16; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.07.2003, Kart 18/03, BA 16). Die Umstände des einzelnen Falles sind in Betracht zu ziehen. Ungewissheiten bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung können danach umso mehr ins Gewicht fallen, je stärker das beteiligte Unternehmen durch einen Sofortvollzug der Verfügung belastet ist. Fehlt es an derartigen Härten, dann reicht der offene Verfahrensausgang nicht aus, die sofortige Vollziehung auszusetzen bzw. die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
181. Die Beteiligte hat bei der am 13.10.2009 im Bundesanzeiger bekannt gemachten Neuvergabe einer Stromkonzession gegen Kartellrecht verstoßen.
19a) Sie hat eine bei der Vergabe energierechtlicher Konzessionen marktbeherrschende Stellung missbräuchlich im Sinn der §§ 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 GWB a.F. ausgenutzt und Bewerber in einer für den Wettbewerb auf dem Markt erheblichen Weise ohne sachlich gerechtfertigten Grund beeinträchtigt. Hierin liegt zugleich eine unbillige Behinderung im Sinn von § 20 Abs. 1 GWB a.F. Darüber hinaus hat die Beteiligte durch den Abschluss eines Konzessionsvertrags mit der Beigeladenen zu 2) am 16.12.2011 gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen nach § 1 GWB verstoßen.
20Auf den Streitfall findet das GWB in seiner Fassung vom 29.05.2009 Anwendung, das im Hinblick auf die hier anzuwendenden Vorschriften bis zum Abschluss des Konzessionsvertrags mit der Beigeladenen zu 2) am 16.12.2011 unverändert fortgalt.
21aa) Wie der Bundesgerichtshof in seinen Urteilen vom 17.12.2013, KZR 65/112 und KZR 66/12 entschieden hat, ist das Kartellrecht im Rahmen der Vergabe energierechtlicher Konzessionen anwendbar.
22Als Normadressat des kartellrechtlichen Missbrauchs-, Diskriminierungs- und Behinderungsverbots sind Kommunen nach §§ 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB a.F. verpflichtet, im Auswahlverfahren zur Vergabe energierechtlicher Wegenutzungsrechte keinen Bewerber unter Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ungerechtfertigt zu beeinträchtigen und ihn weder unbillig zu behindern noch zu diskriminieren (BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 65/12, Rn. 77 ff.; Urt. v. 17.12.013, KZR 66/12; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.04.2014, VI-2 Kart 4/13 (V), VI-2 Kart 3/13 (V), VI-2 Kart 2/13 (V)).
23Bei der Vergabe von Wegenutzungsrechten haben Kommunen eine marktbeherrschende Stellung. Sachlich relevanter Markt ist das Angebot von Wegenutzungsrechten zur Verlegung und zum Betrieb von Leitungen, die zum Netz der allgemeinen Versorgung mit Energie gehören. Der relevante Markt ist örtlich auf das Gebiet der jeweiligen Kommune beschränkt. Er umfasst sämtliche Wege, die sich für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen zur unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern im Gemeinde- oder Stadtgebiet eignen (BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 65/12, Rn. 20; Urt. v. 17.12.2013, KZR 66/12, Rn. 21 m.w.N.).
24Der Markt ist gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich im Sinn von § 20 Abs. 1 GWB a.F. Der Zugang zum Wegenutzungsrecht ist bereits dadurch eröffnet, dass die Gemeinden aufgrund der Bekanntmachungspflichten nach § 46 Abs. 3 EnWG fremde Unternehmen dazu aufzufordern haben, sich im Wettbewerb um die Konzession zu bewerben (BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 65/12, Rn. 23; Urt. v. 17.12.2013, KZR 66/12, Rn. 24; Urt. v. 06.10.1992, KZR 10/91, BGHZ 119, 335, 339).
25bb) Die kartellrechtlichen Verbotsvorschriften stehen in Einklang mit dem Energiewirtschaftsrecht.
26(1) Die Regelungen des § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG, insbesondere das Diskriminierungsverbot nach § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG, finden auf die von § 46 Abs. 2 EnWG erfassten Wegenutzungsverträge Anwendung. Die kartellrechtlichen und energiewirtschaftsrechtlichen Anforderungen stimmen insoweit überein (BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 65/12, Rn. 27 ff.; Urt. v. 17.12.2013, KZR 66/12, Rn. 27 ff.).
27(2) Aus der Bindung der Kommunen an das kartellrechtliche Missbrauchs-, Behinderungs- und Diskriminierungsverbot sowie das EnWG ergeben sich sowohl verfahrensbezogene als auch materielle Anforderungen an die zu treffende Auswahlentscheidung.
28(a) Das Auswahlverfahren muss so gestaltet werden, dass die am Netzbetrieb interessierten Unternehmen erkennen können, worauf es der Gemeinde bei der Auswahlentscheidung ankommt. Denn nur dann ist gewährleistet, dass die Auswahlentscheidung im unverfälschten Wettbewerb nach sachlichen Kriterien und diskriminierungsfrei zugunsten desjenigen Bewerbers erfolgt, dessen Angebot den Auswahlkriterien am besten entspricht. Das im Zusammenhang mit Auswahl- und Vergabeentscheidungen bestehende Diskriminierungsverbot schließt eine Verpflichtung zur Transparenz ein, um durch einen angemessenen Grad von Öffentlichkeit sicherzustellen, dass ein fairer, unverfälschter Wettbewerb eröffnet wird und überprüft werden kann, ob die kartellrechtlichen Verbotsnormen eingehalten worden sind. Aus dem Transparenzgebot folgt als allgemeiner Grundsatz diskriminierungsfreier Auswahlverfahren die Pflicht zur Offenlegung der Entscheidungskriterien der Gemeinde. Diese müssen ebenso wie ihre Gewichtung Wettbewerbsteilnehmern rechtzeitig vor Angebotsabgabe mitgeteilt werden (BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 65/12, Rn. 44; Urt. v. 17.12.2013, KZR 66/12, Rn. 35 m.w.N.; vgl. zu Dienstleistungskonzessionen EuGH, Urteil vom 13. Oktober 2005, C-458/03, Rn. 49 - Parking Brixen). Nur so kann eine diskriminierungsfreie Teilnahme aller Interessenten am Auswahlverfahren gewährleistet werden, die ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen ausschließt (BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 65/12, Rn. 45 f. m.w.N.).
29(b) Das Diskriminierungsverbot schließt zudem das allgemeine Gebot ein, eine Auswahlentscheidung allein nach sachlichen Kriterien zu treffen. Für den Bereich der Konzessionsvergabe wird dieses Gebot durch das Energiewirtschaftsrecht näher bestimmt. Danach ist die Auswahl des Netzbetreibers vorrangig an Kriterien auszurichten, die die Zielsetzung des § 1 Abs. 1 EnWG konkretisieren. Der Betrieb eines Energieversorgungsnetzes soll im örtlichen Bereich zur Erreichung des Ziels des § 1 Abs. 1 EnWG beitragen, eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas zu gewährleisten (BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 66/12, Rn. 36). Der Zweck des Gesetzes, einen Wettbewerb um das Netz zu erreichen, lässt weitere Auswahlkriterien, die weder konzessionsabgabenrechtlich zulässige Nebenleistungen im Zusammenhang mit der Wegenutzung noch die Ausrichtung des Netzbetriebs auf die Ziele des § 1 EnWG betreffen nicht zu (BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 66/12, Rn. 47).
30Wie das Bundeskartellamt zutreffend in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, war die Verpflichtung auf die Ziele des § 1 EnWG, wie sie nunmehr in § 46 Abs. 3 Satz 5 EnWG ausdrücklich durch den Gesetzgeber festgelegt worden ist, für die Beteiligte schon bei der durch Bekanntmachung am 13.10.2009 in die Wege geleiteten Neuvergabe der Wegenutzungsrechte bindend. Maßgeblich ist zum einen die Rechtslage zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung, die im Streitfall durch Ratsbeschluss vom 16.08.2011 getroffen worden ist. § 46 Abs. 3 Satz 5 EnWG wurde mit der Novelle des EnWG vom 26.07.2011 mit Wirkung ab dem 04.08.2011 in § 46 Abs. 3 EnWG eingefügt. Zum anderen hatte eine Konzessionsvergabe schon unter Geltung des § 13 EnWG 1998 und § 46 EnWG 2005 nach den Zielbestimmungen des § 1 EnWG zu erfolgen (BGH, a.a.O., Rn. 41 m.w.N.).
31cc) Die Pflicht der Gemeinde zur diskriminierungsfreien Auswahl des Konzessionärs verletzt nicht das Recht der Beteiligten auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG.
32Die Versorgung der Einwohner und ortsansässigen Unternehmen mit Energie ist eine Aufgabe der verfassungsrechtlich geschützten kommunalen Selbstverwaltung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die im Zusammenhang mit dieser Versorgung stehende wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden keinen rechtlichen Schranken unterläge. Das Recht zur kommunalen Selbstverwaltung besteht vielmehr nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze, zu denen auch das Energiewirtschaftsgesetz zählt (BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 65/12, Rn. 40; Urt. v. 17.12.2013, KZR 66/12, Rn. 31 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.04.2014, VI-2 Kart 2/13 (V); VI-2 Kart 3/13 (V) sowie VI-2 Kart 4/13 (V)).
33Soweit in der aus § 46 Abs. 1, 4 EnWG folgenden Verpflichtung der Gemeinden, auch Eigenbetriebe, Eigengesellschaften und kommunale Beteiligungsgesellschaften bei der Konzessionsvergabe nicht ohne sachlichen Grund zu bevorzugen, überhaupt ein Eingriff in das Recht auf kommunale Selbstverwaltung zu sehen sein sollte, wäre er jedenfalls verhältnismäßig und verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Pflicht zur diskriminierungsfreien Entscheidung über den Netzbetreiber ist zur Förderung des Wettbewerbs um das für den Betrieb des allgemeinen Versorgungsnetzes notwendige Wegenutzungsrecht im Interesse der Allgemeinheit an einer Verbesserung der Versorgungsbedingungen geeignet und erforderlich (vgl. BGHZ 168, 295 Rn. 21 a.E. - Deutsche Bahn/KVS Saarlouis). Die Regelung beschränkt die Gemeinden auch nicht übermäßig. Sie sind nicht gehindert, sich mit einem eigenen Unternehmen oder einem Eigenbetrieb am Wettbewerb zu beteiligen und auf dieser Grundlage gegebenenfalls den Netzbetrieb selbst zu übernehmen (BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 65/12, Rn. 41; Urt. v. 17.12.2013, KZR 66/12, Rn. 31 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.04.2014, VI-2 Kart 2/13 (V); VI-2 Kart 3/13 (V) sowie VI-2 Kart 4/13 (V)).
34dd) Genügt eine Konzessionsvergabe den Anforderungen der §§ 1, 46 Abs. 1 und Abs. 3 EnWG nicht, liegt ein Verstoß gegen Kartellrecht vor, §§ 19 Abs.1, Abs. 4 Nr. 1, 20 GWB a.F.
35Die Beteiligte hat gegen das Missbrauchsverbot des § 19 Abs. 1 GWB verstoßen, indem sie ihre marktbeherrschende Stellung bei der Vergabe der Stromkonzession an die Beigeladene zu 2) missbraucht und ein Auswahlverfahren unter Missachtung der §§ 1, 46 EnWG durchgeführt hat. Nach § 19 Abs.1, Abs. 4 Nr. 1 GWB a.F. handelt ein marktbeherrschender Anbieter oder Nachfrager missbräuchlich, wenn er die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen in einer für den Wettbewerb erheblichen Weise ohne sachlich gerechtfertigten Grund beeinträchtigt. Eine Beeinträchtigung von Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen liegt bei jeder für ein Unternehmen wettbewerblich nachteiligen Maßnahme vor. Der missbräuchliche Charakter ergibt sich aus dem Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung (Götting in: Loewenheim/ Meessen/ Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl., 2009, S. 1872; Bechtold, GWB, 6. Aufl. 2010, § 19 Rn. 76 f., 81).
36Bei der Festlegung der Auswahlkriterien und deren Gewichtung hat die Beteiligte ebenso wie bei der Bewertung der eingereichten Angebote in vielfältiger Weise formelle und materielle Anforderungen an das Auswahlverfahren missachtet und dadurch das Transparenzgebot verletzt. Das stellt zugleich einen Verstoß des Auswahlverfahrens gegen § 46 Abs. 1 EnWG und eine Diskriminierung der im durchgeführten Wettbewerb unterlegenen Beigeladenen zu 1) dar. Der Auftraggeber hat für Transparenz und Gleichbehandlung zu sorgen und Auswahlkriterien sowie deren Gewichtung festzulegen, anhand derer er seine Auswahlentscheidung treffen will, diese rechtzeitig bekannt zu geben und die Bewertung anhand der bekannt gemachten Kriterien vorzunehmen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.04.2014, VI-2 Kart 2/13 (V); VI-2 Kart 3/13 (V) sowie VI-2 Kart 4/13 (V); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.05.2011, VII-Verg 64/10, Rn. 38; Beschl. v. 03.08.2011, VII-Verg 16/11, Rn. 46; Beschl. v. 03.03.2010, VII-Verg 48/09, Rn. 44 ff.; Beschl. v. 30.07.2009, VII-Verg 10/09, Rn. 48.).
37(a) Es kann dahin stehen, ob bereits die Vermischung der Suche nach einem strategischen Partner für eine mehrheitlich von der Beteiligten beherrschten Netzgesellschaft in privater Rechtsform mit dem Ziel einer Rekommunalisierung des Stromnetzbetriebs und der Neuvergabe der energierechtlichen Wegenutzungsrechte gegen Kartellrecht verstieß, weil nicht nur die Vergabe der Wegenutzungsrechte, sondern auch die Suche eines strategischen Partners für eine noch zu gründende Netzgesellschaft nach dem vierten Teil des GWB ausschreibungspflichtig (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.01.2013, VII-Verg 26/12) und für interessierte Unternehmen nicht erkennbar war, dass die durch Präsentationen im Februar und März 2011 vorgestellte Angebote nicht der im Oktober 2009 bekannt gemachten Neuvergabe der Stromkonzession, sondern ausschließlich der Suche eines strategischen Partners diente. Allerdings kann, wie der Senat im Beschluss vom 09.01.2013, VII-Verg 26/12, ausgeführt hat, eine strategische Partnerschaft zum Betrieb eines Stromnetzes zugleich mit der Vergabe energierechtlicher Wegenutzungsrechte ausgeschrieben werden. Das setzt aber eine europaweite Bekanntmachung auch der Partnersuche voraus, was hier nicht geschehen ist. Auch ist die Bekanntgabe der Kriterien, nach denen ein Auftrag für die Eingehung einer strategischen Partnerschaft vergeben werden sollte, vergaberechtswidrig unterblieben.
38(b) Ungeachtet dessen litt die Vergabe der energierechtlichen Wegenutzungsrechte an weiteren Fehlern.
39So stellte die Beteiligte einen Bewertungskatalog auf, der nicht erkennen ließ, nach welchen Unterkriterien die Bewertung von Angeboten vollzogen werden sollte.
40Am 31.05.2011 beschloss der Rat der Beteiligten folgende Auswahlkriterien für die Vergabe der Wegenutzungsrechte:
41Einflussnahme der Gemeinde auf die Netzgesellschaft 30%
Ökologisches Konzept 15%
Möglichkeit der Bürgerbeteiligung an der Netzgesellschaft 10%
Möglichst geringe Belastung des Gemeindeshaushalts 10%
Errichtung einer Betriebsstätte vor Ort 10%
Erzielung von Synergien für den Gemeindehaushalt 10%
Möglichkeit des Einstiegs in den Stromvertrieb 10%
Maximal zulässige KA, 10 % Gemeinderabatt, 5%
Ausgestaltung der Folgekostenregelung
51Um Bieter in die Lage zu versetzen, selber beurteilen zu können, wie sie die gewichteten Auswahlkriterien der Beteiligten am besten erfüllen können, war zwingend die Bildung von Unterkriterien erforderlich. Keines der von der Beteiligten in der Ratssitzung am 31.05.2011 festgelegten Bewertungskriterien ermöglichte Bietern aber zu erkennen, worauf es der Beteiligten bei den schlagwortartig aufgestellten Kriterien ankam. Sie waren intransparent und für die Vorlage vergleichbarer Angebote ungeeignet. Auch fehlten jegliche Angaben gegenüber Bietern, nach welcher Methode die gewichteten Prozentpunkte vergeben und wie Angebote miteinander verglichen werden sollten. Dass die Beteiligte eine Auswertung der mit Schreiben vom 07.06.2011 bekannt gemachten Bewertungskriterien durch Abstimmung im Rat vorzunehmen gedachte, wobei die auf das jeweilige Angebot entfallenden Stimmen in Punkte umgerechnet werden sollten, ist weder transparent bekannt gegeben worden, noch vergaberechtlich zulässig, weil die Kriterien, die bei der jeweiligen Stimmabgabe zu berücksichtigen sein sollten, nicht im Vorhinein und für Bieter erkennbar festgelegt worden waren. Das Abstimmungsverhalten war damit willkürlich, was zusätzlich dadurch verschärft wurde, dass die Beigeladene zu 2) mit dem Angebot keinen Entwurf eines Konzessionsvertrags vorgelegt hat und Vergabeunterlagen, zu denen z.B. ein Vertragsentwurf gehörte, nicht erstellt worden waren. Eine solche Angebotswertung ermöglicht unzulässige Manipulationen und schließt nicht aus, dass das Abstimmungsverhalten der Ratsmitglieder durch eine Vorfestlegung in der Bewerberauswahl bestimmt wird.
52(c) Insbesondere aber hat die Beteiligte bei der Festlegung der Bewertungskriterien die Ziele des § 1 EnWG weitestgehend unberücksichtigt gelassen.
53(aa) Der Gesetzeszweck einer preisgünstigen Versorgung ist im Kriterienkatalog der Beteiligten rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt worden. Den Kriterien „Möglichst geringe Belastung des Gemeindehaushalts“ und „ „10% Gemeinderabatt“ sowie „Ausgestaltung der Folgekosten“ kann zwar ein gewisser Bezug zu diesem Ziel entnommen werden, weil insbesondere ein Rabatt die Leistungsfähigkeit der Gemeinden steigert und dies der Bevölkerung zu Gute kommen kann. Da der Preisnachlass für den Eigenverbrauch der Gemeinde aber nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KAV zu den Leistungen gehört, die neben oder anstelle von Konzessionsabgaben vereinbart werden dürfen, und damit Gegenleistungen für die Einräumung des Wegenutzungsrechts sind, kann seine Berücksichtigung die Bewertung eines Angebots im Hinblick auf den Gesetzeszweck einer preisgünstigen Versorgung nicht ersetzen. Mit einer preisgünstigen Versorgung beim Netzbetrieb werden vielmehr die nicht rabattierten Netzentgelte angesprochen, bei denen trotz Regulierung erhebliche Unterschiede zwischen Bewerbern bestehen können, insbesondere, weil in die Regulierung der Effizienzwert des Netzbetreibers einfließt (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 66/12, Rn. 86 mit Hinweis auf Monopolkommission, 65. Sondergutachten Rn. 470). Darauf gerichtete greifbare Kriterien zu einer preisgünstigen Versorgung fehlen hier.
54(bb) Das Ziel der Effizienz kommt im Kriterienkatalog der Beteiligten ebenso wenig vor, wie das Ziel der Versorgungssicherheit.
55(cc) Dem Ziel der Umweltverträglichkeit wird durch das Auswahlkriterium „Ökologische Konzepte“ Rechnung getragen, wenngleich hierzu erforderliche Unterkriterien fehlen. Nach dem Musterkriterienkatalog der Energiekartellbehörde Baden-Württemberg (dort S. 4) findet das Ziel der Umweltverträglichkeit in Beratungsleistungen zur Entwicklung der lokalen oder regionalen umweltverträglichen Energieversorgung und Bürgerinformation zur Akzeptanzstärkung seinen Ausdruck. Hierzu gehören auch Energiekonzepte im Rahmen des § 3 Abs. 2 Nr. 1, 2. Halbsatz KAV.
56(dd) Das Auswahlkriterium „Einflussnahme der Gemeinde auf die Netzgesellschaft“ ist unzulässig und als nicht vorrangig an den Zielen des § 1 EnWG ausgerichtet zu beanstanden. Ein sachlicher Zusammenhang zwischen einem Einfluss der Gemeinde auf die Netzgesellschaft und den Zielen des § 1 EnWG ist weder ersichtlich noch für einen möglicherweise zulässigen Einfluss auf den Netzbetrieb erforderlich. Die Festlegung eines solchen Kriteriums zielt vielmehr auf eine Diskriminierung derjenigen Bieter ab, die eine kommunale Gesellschaftsbeteiligung ihrer Gesellschaftsstruktur nach nicht zulassen.
57Des Weiteren bedurfte dieses Kriterium zur Schaffung eines fairen Wettbewerbs zwingend auch deshalb einer Konkretisierung, um Bietern die Möglichkeit zu geben, Art und Intensität der gewünschten Einflussnahme beurteilen zu können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der zum Zweck des Strombetriebs gegründeten Mitbewerberin F..., an der die Beteiligte als Mehrheitsgesellschafterin unmittelbar beteiligt ist. Neben einer hierdurch ermöglichten unmittelbaren Einflussnahme, die die Beigeladene zu 1) von vornherein nicht ermöglichen konnte, bedurfte es der Konkretisierung, in welcher Weise die Gemeinde einen Einfluss auf die Netzgesellschaft wünschten, der zudem auf den Netzbetrieb zu beschränken gewesen wäre.
58(ee) Das Auswahlkriterium „Möglichkeit des Einstiegs in den Stromvertrieb“ steht ebenfalls in keinem sachlichen Zusammenhang mit den Zielen des § 1 EnWG und ist unzulässig.
59(ff) Auch das Auswahlkriterium „Erzielung von Synergien für den Gemeindehaushalt“ ist unzulässig und steht nicht in Einklang mit den Zielen des § 1 EnWG, weil es ebenso wie das Kriterium „Möglichst geringe Belastung des Gemeindehaushalts“ auf rein fiskalische Interessen der Beteiligten abzielt, die von den in § 1 EnWG festgelegten Zielsetzungen nicht erfasst werden. Mit Auswahlkriterien verfolgte fiskalische Interessen der Gemeinde, die über die in § 3 Abs. 1 KAV erlaubten Nebenleitungen hinausgehen sind vielmehr nach § 3 Abs. 2 KAV verboten. Wie das Bundeskartellamt zutreffend ausgeführt hat, werden über dieses Auswahlkriterium die im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Absprachen zur Gründung der Beigeladenen zu 2) vereinbarten Finanzierungsmodalitäten, nach denen der Beteiligten wirtschaftlich betrachtet eine zinslose Finanzierung der Gesellschaftereinlage durch eine Gegenfinanzierung aus Erträgen ermöglicht wurde, in die Auswahl des zukünftigen Konzessionärs ein und stellen sich damit als Verstoß gegen das Nebenleistungsverbot des § 3 Abs. 2 Nr. 1 KAV dar.
60ee) Allein die Beeinträchtigung der Wettbewerbsmöglichkeiten der Beigeladenen zu 1) durch das Auswahlverfahren der Beteiligten stellt noch keinen Missbrauch im Sinn des § 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 GWB dar. Erforderlich ist darüber hinaus vielmehr, dass die Beeinträchtigung ohne sachlich gerechtfertigten Grund erfolgt ist.
61(a) Ob ein fehlerhaftes Auswahlverfahren Bewerber um die Konzession sachlich gerechtfertigt ist, bestimmt sich anhand einer Gesamtwürdigung und Abwägung aller beteiligten Interessen unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die auf die Sicherung des Leistungswettbewerbs und insbesondere die Offenheit der Marktzugänge gerichtet ist (BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 66/12, Rn. 55 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.03.2002, Kart 7/02 (V), Rn. 24; Bechtold, a.a.O., § 19 Rn. 81).
62Im Fall der Konzessionsvergabe wird die Gesamtwürdigung durch das energiewirtschaftsrechtliche Gebot geprägt, die für den Betrieb eines Energieversorgungsnetzes erforderliche Konzession diskriminierungsfrei im Wettbewerb zu vergeben und die Auswahl zwischen den Anbietern daran auszurichten, welches Angebot nach den von der Gemeinde aufgestellten, die Zielsetzung des § 1 Abs. 1 EnWG konkretisierenden Kriterien das günstigste ist. Das stimmt mit der Zielsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen überein, im Bereich der Energieversorgung einen Leistungswettbewerb um Netze und die Öffnung eines Zugangs für interessierte und qualifizierte Betreiberunternehmen zu Konzessionen zu gewährleisten (BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 66/12, Rn. 56).
63Das berechtigte Interesse der aktuellen und potentiellen Bewerber um die Konzession ist darauf gerichtet, ihre Chancen auf Erteilung der Konzession durch ein gesetzmäßiges Auswahlverfahren gewahrt zu sehen. Die Gemeinden als bei der Vergabe der Konzessionen marktbeherrschende Unternehmen dürfen ihre eigenen Interessen bei der Auswahlentscheidung nur im gesetzlich zulässigen Rahmen verfolgen. Schutzwürdige Interessen fehlerhaft ausgewählter Unternehmen an der tatsächlichen Erfüllung eines unter Verstoß gegen zwingende Bestimmungen abgeschlossenen Vertrags bestehen - jedenfalls vor tatsächlicher Übernahme des Netzes oder Aufnahme des Netzbetriebs - von vornherein nicht (BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 66/12, Rn. 57). Ebenso wenig ist eine mit der Zielsetzung des § 1 EnWG unvereinbare Interessenverfolgung der Gemeinde berücksichtigungsfähig.
64Bei der im Rahmen der Prüfung des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots gebotenen Gesamtwürdigung stellt ein gegen § 46 EnWG verstoßendes Auswahlverfahren somit eine zu missbilligende Beeinträchtigung der Wettbewerbsmöglichkeiten derjenigen Bewerber dar, deren Chancen auf die Konzession dadurch beeinträchtigt wurden (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 66/12, Rn. 58; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.03.2002, Kart 7/02 (V), Rn. 24; Bechtold, a.a.O., § 19, Rn. 81).
65ff) Fehler des Bundeskartellamts bei der Ermessensausübung sind nicht festzustellen, §§ 32 Abs. 1, 71 Abs. 5 GWB.
66b) Die unbillige Behinderung der Mitbewerber um die Wegenutzungsrechte durch das Auswahlverfahren führt zur Unwirksamkeit des mit der Beigeladenen zu 2) geschlossenen Konzessionsvertrags, der in entsprechender Anwendung des § 134 BGB nichtig ist (BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 66/12, juris Rn. 101 ff.).
672. Darüber hinaus hat die Beteiligte auch gegen § 1 GWB verstoßen, indem sie am 16.12.2011 mit der Beigeladenen zu 2) einen Konzessionsvertrag geschlossen hat, ohne zuvor einen ordnungsgemäßen Wettbewerb durchgeführt zu haben. Eine Freistellung der Beteiligten nach § 2 GWB i.V.m. den Gruppenfreistellungsverordnungen gemäß Art. 101 Abs. 3, 288 AEUV ist aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Verfügung auf die verwiesen wird, nicht gegeben.
68Auf die Wirksamkeit des Konzessionsvertrags ist ohne Einfluss, ob die für die Beteiligte zuständige Kommunalaufsichtsbehörde die Gesetzmäßigkeit des Ratsbeschlusses vom 16.08.2011 bestätigt hat, weil die gesetzliche Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB der Entscheidungskompetenz der Aufsichtsbehörde entzogen ist.
693. Die angefochtene Verfügung steht im Einklang mit Gemeinschaftsrecht. Insbesondere widerspricht die Auslegung und Anwendung der Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 19, 20 GWB und § 46 EnWG nicht den Zielen der zum 17.04.2014 in Kraft getretenen, bisher aber noch nicht in nationales Recht umgesetzten Richtlinie 2014/23/EU.
70a) Für eine Vorwirkung der Art. 41 Abs. 1 und Abs. 2 Richtlinie 2014/23/EU besteht in der hier durchzuführenden Rechtsprüfung kein Raum. Richtlinien erzeugen eine sogenannte Vorwirkung, wenn die Auslegung innerstaatlichen Rechts durch die Gerichte das Erreichen des Richtlinienziels nach Ablauf der Umsetzungsfrist beeinträchtigen kann. Die Vorwirkung begründet zur Wahrung des effe utile eine Unterlassungspflicht, nationale Vorschriften mit Blick auf die Richtlinienziele auszulegen und anzuwenden (EuGH, Urt. v. 04.07.2006, C-212/04, Rn. 121, 123). Die Unterlassungspflicht kann so weit gehen, dass die Gerichte, um die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, eine entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen haben (EuGH, Urt. v. 22.11.2005, C-144/04, Rn. 77). Positiv ausgedrückt bedeutet die Vorwirkung einer noch nicht in nationales Recht umgesetzten Richtlinie die Verpflichtung der Mitgliedstaaten und insbesondere die Gerichte und Bundesbehörden wie das Bundeskartellamt auf das in der Richtlinie normierte Ergebnis hinzuwirken und die dazu erforderlichen Maßnahmen bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist zu ergreifen. Hierum geht es bei der Anwendung des Kartellrechts auf die Vergabe energierechtlicher Wegenutzungsrechte aber nicht, weil das nationale Kartellrecht dem eigentlichen Ziel europäischen Vergaberechts dient, Wettbewerb im Binnenmarkt zu ermöglichen und zu schützen. Der Richtliniengeber hat dieses Ziel mit der Richtlinie 201423/EU nunmehr ausdrücklich auch für die Vergabe energierechtliche Wegenutzungsrechte festgelegt. Das nationale Kartellrecht engt den Wettbewerb jedoch unter keinem Gesichtspunkt ein. Das gilt auch, soweit das nunmehr auch gemeinschaftsrechtlich kodifizierte und von öffentlichen Auftraggebern durchzuführende Auswahlverfahren bei der Neuvergabe von energierechtlichen Wegenutzungsrechten durch die nationalrechtlichen Vorschriften des EnWG (§§ 1, 46 EnWG) einem strengen Maßstab unterworfen wird. Denn auch die in §§ 46, 1 EnWG festgelegten Bedingungen dienen der Förderung des Wettbewerbs.
71Soweit die Beteiligte die Auffassung vertritt, Art. 41 Abs. 1 und Abs. 2 Richtlinie 2014/23/EU öffne das energierechtliche Auswahlverfahren für Ziele des kommunalen Haushaltswirtschaft und gestatte, in öffentlichen Ausschreibungen einen wirtschaftlichen Gesamtvorteil für den öffentlichen Auftraggeber als Auswahlkriterium festzulegen, missversteht sie den Wortlaut des Art. 41 Abs. 1 Richtlinie 2014/23/EU. Soweit der Richtliniengeber darin festlegt, dass Konzessionen auf der Grundlage objektiver Kriterien vergeben werden, die „… sicherstellen, dass die Angebote unter wirksamen Wettbewerbsbedingungen bewertet werden, so dass ein wirtschaftlicher Gesamtvorteil für den öffentlichen Auftraggeber … ermittelt werden kann“, bezieht sich der in Bezug genommene Gesamtvorteil nicht auf ein Auswahlkriterium, sondern auf das Ausschreibungsergebnis mit dem ebenso wie im übrigen europäischen Vergaberecht das wirtschaftlichste Angebot erzielt werden soll.
72Eine Vorwirkung löst Art. 41 Richtlinie 2014/23/EU auch deshalb nicht aus, weil sie nur bei zwingenden Vorgaben in Betracht kommt, die dem Mitgliedstaat keinen Umsetzungsspielraum eröffnen. Eine solche zwingende Vorgabe enthält Art 41 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie nicht.
73b) Ziele kommunaler Haushaltsführung sind darüber hinaus auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in den Urteilen vom 17.12.2013 (KZR 65/12 und KZR 66/12) bei der Vergabe energierechtlicher Wegenutzungsrechte keineswegs generell ausgeschlossen. In den durch § 1 EnWG und das Nebenleistungsverbot des § 3 KAV gezogenen Grenzen können sie durchaus Berücksichtigung finden. Nebenleistungen, die entgeltlich anzubieten sind, erlauben durchaus einen Preiswettbewerb (vgl. dazu BGH, Urt. v. 17.12.2013, KZR 66/12, juris Rn. 53).
74c) Auch die §§ 1, 46 EnWG stehen nicht im Widerspruch zu Art. 41 Abs. 1 und Abs. 2 Richtlinie 2014/23/EU. Soweit öffentliche Auftraggeber in § 46 Abs. 3 Satz 5 EnWG auf die Ziele des § 1 EnWG verpflichtet werden, handelt es sich um eine Festlegung des Gesetzgebers auf derjenigen Auswahlkriterien, die als mit dem Gegenstand der Konzession in Verbindung stehend, also in einem sachlichen Zusammenhang anerkannt werden. Das entspricht dem Inhalt von Art. 41 Abs. 2 Unterabsatz 1 Richtlinie 2014/23/EU. §§ 46, 1 EnWG schließen insbesondere mit der Neuvergabe energierechtlicher Konzessionen verfolgte Ziele der Nachhaltigkeit, d.h. insbesondere der Energieeffizienz und Ökologie, nicht aus.
75Um Fragen der Zulässigkeit von Aspekten der Nachhaltigkeit im Rahmen der Ausschreibung einer Konzession geht es im Streitfall aber nicht, weil die Auswahlkriterien der Beteiligten bereits die in § 1 EnWG festgelegten Ziele insbesondere mit Blick auf das Ziel der Versorgungssicherheit und der Preisgünstigkeit überhaupt nicht berücksichtigt haben.
76d) Ebenso wenig ist die Reihenfolge der Kriterien der mit Ratsbeschluss vom 31.05.2011 festgelegten Bewertungskriterien mit Blick auf Art. 41 Abs. 3 Richtlinie 2014/23/EU von rechtlicher Bedeutung. Denn die Reihenfolge festgelegter Auswahlkriterien ist nur von Relevanz, wenn – anders als im Streitfall – eine Gewichtung der beschlossenen Auswahlkriterien fehlt.
77III. Die angefochtene Verfügung stellt sich auch im Übrigen nicht als rechtswidrig dar.
781. Die Verfahrensführung durch das Bundeskartellamt ist nicht zu kritisieren, weil sie auf die Rechtmäßigkeit der Vergabe der energierechtlichen Wegenutzungsrechte an die Beigeladene zu 2) durch Vertrag vom 16.12.2011 ohne Einfluss ist. Die Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB knüpft an die Verletzung von Verbotsnormen an und ist eine durch das Gesetz vorgeschriebene zwingende Rechtsfolge. Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensführung ist darüber hinaus nicht erkennbar, weil die Verfahrensdauer von zwei Jahren und neun Monaten (Einleitung des Kartellverwaltungsverfahrens im Mai 2012 und Erlass der strittigen Verfügung am 28.01.2015) in Ansehung der Vielzahl zu prüfender und durch das Auslaufen zahlreicher energierechtlicher Konzessionen insbesondere im Jahr 2012 neu zu vergebender Konzessionen nicht ungewöhnlich ist. Die Entscheidung des Bundeskartellamts war für die Beteiligte auch nicht überraschend, weil das Bundeskartellamt von dieser bereits im April 2013 die Abgabe einer Verpflichtungserklärung gefordert hat. Durch die Veröffentlichung des gemeinsamen Leitfadens des Bundeskartellamts und der Bundesnetzagentur vom Oktober 2010 war der Beteiligten darüber hinaus die vom Bundeskartellamt aller Voraussicht nach vertretene Rechtsauffassung bekannt. Anlass zu der Annahme, das Verfahren werde „fallen gelassen“ hatte die Beteiligte zu keinem Zeitpunkt.
792. Die Entscheidung des Bundeskartellamts, von einer Entscheidung nach § 65 Abs. 3 Satz 2 GWB abzusehen, ist ebenfalls nicht zu überprüfen. Sie ist unanfechtbar, weil dem Interesse des Beteiligten an einer Aufhebung der sofortigen Vollziehbarkeit der Verfügung durch die Möglichkeit eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde in § 65 Abs. 3 Satz 3 GWB Rechnung getragen wird. Ungeachtet dessen wäre eine Überprüfung der Entscheidung, von der Möglichkeit einer Aussetzung der Vollziehung der Verfügung abzusehen, nur auf Ermessensfehler zu überprüfen. Wie sich aus der summarischen Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung ergibt, sind Ermessensfehler des Bundeskartellamts nicht zu besorgen.
803. Ebenso wenig wird die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung durch die Zurückweisung des Aussetzungsantrags der Beteiligten nach Einreichung einer Kommunalverfassungsbeschwerde bei dem Bundesverfassungsgericht in Frage gestellt. Auch diese Entscheidung ist vom Beschwerdegericht nicht zu überprüfen.
81IV. Die Vollziehung der angefochtenen Verfügung hat keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge, § 65 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 GWB. Das Vollziehungsinteresse überwiegt im Streitfall das Aussetzungsinteresse der Beteiligten.
821. Das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Verfügung ergibt sich aus der Schwere des begangenen Kartellrechtsverstoßes, die Mitbewerber der Beigeladenen zu 2) in besonderem Maße diskriminiert hat. Bei dieser Würdigung fällt nicht unerheblich ins Gewicht, dass der Vergabe der Wegenutzungsrechte erhebliche Transparenzverstöße anhafteten. Demgegenüber fällt ein öffentliches Interesse an einer Aussetzung der Vollziehung wegen einer von der Beteiligten bemühten unklaren Rechtslage nicht ins Gewicht. Die Transparenzverstöße und Missachtung des Diskriminierungsverbots durch die Beteiligte können auch bei nur summarischer Prüfung bereits jetzt schon festgestellt werden und beruhen keineswegs auf einer unklaren Rechtslage. Die Urteile des Bundesgerichtshofes vom 17.12.2013 (KZR 65/12 und KZR 66/12) legen die Anforderungen an die Ausschreibung von energierechtlichen Wegenutzungsrechten ebenso umfassend dar, wie einen mit einer Missachtung einhergehenden Verstoß gegen Kartellrecht. Hieran ändert auch die von der Beteiligten beim Bundesverfassungsgericht eingelegte Kommunalverfassungsbeschwerde nichts, deren Zulässigkeit wegen des darin enthaltenen Normenkontrollbegehrens zweifelhaft ist. Auch entfällt das öffentliche Interesse an einer Vollziehung der Verfügung des Bundeskartellamts nicht deswegen, weil an der strittigen Ausschreibung ausschließlich staatliche Akteure beteiligt seien. Bedienen sich staatliche Akteure privatrechtlicher Gesellschaftsformen und nehmen sie als Gesellschaft des Privatrechts am Wettbewerb teil, genießen sie ebenso wie sonstige private Unternehmen den Schutz des Kartell- und Vergaberechts.
832. Zur Begründung einer unbilligen Härte kann sich die Beteiligte nicht darauf berufen, der Beigeladenen zu 2) drohe die Insolvenz für den Fall der Vollziehung der Verfügung.
84Eine unbillige Härte setzt schwerwiegende, in der Regel wirtschaftliche Nachteile voraus, die über den eigentlichen Zweck der Verfügung hinausgehen und nicht - jedenfalls kaum - wieder gut zu machen sind (Bechtold, a.a.O., § 65 Rn. 7). Derartige Nachteile drohen nicht. Im Streitfall ist eine infolge der Nichtigkeit des geschlossenen Konzessionsvertrags mögliche Insolvenz der Beigeladenen zu 2) vielmehr hinzunehmen, weil die Beigeladene zu 2) zum Zweck der Rekommunalisierung des Stromnetzbetriebs gegründet worden ist und ihr wirtschaftlicher Bestand mit einer rechtmäßigen Übertragung des Netzbetriebs steht und fällt.
85Als Wirtschaftsteilnehmerin unterliegt auch die Beigeladene zu 2) unternehmerischen Risiken. Ihre Mehrheitsgesellschafterin ist bei der Durchführung der Vergabe bewusst unternehmerische Risiken eingegangen, die – sollten sich diese realisieren – den Bestand der Beigeladenen zu 2) gefährdeten. Noch vor Gründung der Beigeladenen zu 2) veröffentlichte das Bundeskartellamt gemeinsam mit der Bundesnetzagentur einen Leitfaden, in dem Pflicht zur Durchführung eines fairen, transparenten und diskriminierungsfreien Wettbewerbs bei der Vergabe energierechtlicher Wegenutzungsrechte ebenso wie die Einzelheiten des durchzuführenden Verfahrens ausführlich dargestellt sind.
863. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, § 74 Abs. 2 u. 3 GWB.Es ist weder eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden, noch bedarf die Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung einer Entscheidung des BGH. Dieser hat vielmehr in seinen Urteilen vom 17.12.2013 (KZR 65/12 und KZR 66/12) umfassend zu den hier relevanten Streitfragen Stellung genommen.
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