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§ 65 Abs. 2 EnWG, § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG a.F.
1. Im Rahmen der allgemeinen Missbrauchsaufsicht nach § 65 Abs. 2 EnWG sind auch strukturelle Maßnahmen der Regulierungsbehörde zulässig, die Eingriffe in die Unternehmenssubstanz darstellen. Allerdings sind bei der Frage der Erforderlichkeit und der Angemessenheit solcher Maßnahmen strenge Maßstäbe anzulegen.
2. § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG in der bis zum 03.08.2011 gültigen Fassung begründet keinen Anspruch auf Übertragung des Eigentums an den für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen.
3. Geht die Regulierungsbehörde im Rahmen ihrer allgemeinen Missbrauchsaufsicht gegen einen Verstoß des Netzbetreibers gegen seine Überlassungspflichten aus § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG vor, so hat sie die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm, insbesondere den wirksamen Abschluss eines neuen Konzessionsvertrags, umfassend zu überprüfen.
4. Verteilungsanlagen, die sowohl der örtlichen als auch der überörtlichen Versorgung dienen, (sog. gemischt genutzte Anlagen) sind vom Überlassungsanspruch des § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG nicht erfasst.
Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der Beschlusskammer 6 der Bundesnetzagentur vom 26. Januar 2012 – BK6-11-052 - aufgehoben.
Die Bundesnetzagentur trägt die im Beschwerdeverfahren entstandenen Gerichtskosten sowie die der Betroffenen entstandenen außergerichtlichen Kosten und Auslagen. Die Beigeladene trägt die ihr entstandenen Kosten und Auslagen selbst.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf . . . EUR festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
G r ü n d e
2A.
3Gegenstand des Beschwerdeverfahrens - und des zugrundeliegenden Aufsichtsverfahrens - ist die Verpflichtung der Betroffenen zur Übertragung von gemischt genutzten Mittelspannungsanlagen im Gebiet der Stadtteile der Stadt A. an die Beigeladene und die damit einhergehende Netzentflechtung.
4Die Betroffene betätigt sich als Energieversorgungsunternehmen in den Bereichen der örtlichen Versorgung. Unter anderem betreibt sie das Elektrizitätsverteilernetz im Gebiet der Stadtteile der Stadt A. Das Elektrizitätsverteilernetz im Bereich der A. betreibt die Beigeladene.
5Bei der Beigeladenen handelt es sich um eine genossenschaftliche Personenvereinigung, an der ca. . . . Mitglieder, u.a. auch die Stadt A. selbst, beteiligt sind.
6Am . . . 1992 schloss die Rechtsvorgängerin der Betroffenen mit der Stadt A. für das Gebiet der Stadtteile der Stadt A. einen Stromkonzessionsvertrag, der am 31.12.2011 endete. § 14 dieses Vertrags enthielt eine Endschaftsbestimmung mit folgendem Wortlaut:
7„(1) Falls die Stadt nach Ablauf dieses Vertrages die örtliche Versorgung mit elek- trischer Energie selbst übernehmen will, ist sie berechtigt und auf Verlangen der B. (Anm. d. Gerichts: Rechtsvorgängerin der Betroffenen) verpflichtet, von der B. die im Vertragsgebiet vorhandenen, für die örtliche Versorgung bei rationeller Betriebsführung notwendigen Anlagen zu übernehmen....
8(3) Als Entgelt hat die Stadt der B. den Sachzeitwert der zu übernehmenden Anlagen zum Zeitpunkt der Übergabe zu vergüten...
9(5) Können sich die Vertragspartner über die zu übernehmenden Anlagen, über das Übernahmeentgelt oder über die notwendigen Entflechtungs- bzw. Einbin- dungsmaßnahmen nicht einigen, so ist der Sachverhalt einem Gutachteraus- schuß vorzulegen...“
10Im April 2009 schrieb die Stadt A. die Neuvergabe der Wegenutzungsrechte aus. Durch Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung vom . . . 2009 und vom . . . 2010 wurde die Beigeladene als neue Konzessionsvertragspartnerin ausgewählt. Die maßgeblichen Gründe für diese Entscheidung wurden öffentlich bekannt gemacht (Öffentliche Bekanntmachung vom . . . 2010). Die Stadt A. schloss mit der Beigeladenen einen Konzessionsvertrag, dessen Laufzeit am . . . 2012 begann.
11Im . . . 2010 nahmen die Betroffene und die Beigeladene Verhandlungen über den Übergang des örtlichen Stromversorgungsnetzes (sog. Netzentflechtung) auf. Neben der Pflicht der Betroffenen zur Mitteilung der kalkulatorischen Restwerte und der Art der Berechnung der angemessenen Vergütung waren insbesondere der Umfang der zu übertragenden Verteilungsanlagen in der Mittelspannungsebene, die sowohl der regionalen als auch der überregionalen Versorgung dienen - sog. gemischt genutzte Leitungen - streitig. Die Beigeladene verlangte von der Betroffenen auch die Übertragung von insgesamt sieben gemischt genutzten Mittelspannungsleitungen sowie die Überlassung des Umspannwerks A.
12Das Umspannwerk A. verbindet die 20 kV- mit der 110 kV-Ebene und speist das 20 kV-Mittelspannungsnetz im Gemeindegebiet. Es dient der Bereitstellung von Reserveleitungen, der direkten Reservehaltung für fünf benachbarte Umspannwerke sowie Betriebsschaltungen im größeren Netzverbund. Die gemischt genutzten Mittelspannungsleitungen sind in das 20 kV-Netz der Betroffenen eingebunden. Sie verbinden Stadtteile und Gemeinden in der Region und speisen das Niederspannungsnetz. Sie versorgen im Konzessionsgebiet ausgehend vom Umspannwerk A. die Stadtteile von A. ebenso wie einzelne unmittelbar angeschlossene Letztverbraucher mit Strom. Zugleich dienen sie auch Zwecken außerhalb des Versorgungsgebiets. Sie werden zur Versorgung angrenzender Gemeindegebiete sowie bei planbaren Arbeiten oder im Störungsfall als Reserveleitungen genutzt.
13Durch Vereinbarung vom . . . 2010 trat die Stadt A. der Beigeladenen ihre Rechte aus der Endschaftsklausel in § 14 des Konzessionsvertrags aus dem Jahr 1992 ab und teilte dies der Betroffene mit Schreiben vom . . . 2010 mit. Die Betroffene stimmte mit Schreiben vom . . . 2010 der in der Abtretungsvereinbarung enthaltenen Schuldübernahme mit der Maßgabe zu, dass sämtliche Regelungen der Einvernehmlichen Erläuterungen zum Konzessionsvertrag, die dessen § 14 beträfen, auch gegenüber der Beigeladenen gelten sollten.
14Die Betroffene verweigerte in der Folgezeit weiterhin die von der Beigeladenen geforderte Übertragung der gemischt genutzten Mittelspannungsleitungen sowie des Umspannwerks. Einem Kompromissvorschlag vom . . . 2010, in dem die Beigeladene der Betroffenen anbot, das Eigentum an den streitigen Anlagen zu übernehmen, die Betriebsführung aber bei der Betroffenen zu belassen, lehnte diese ebenfalls ab. Bei dieser Ablehnung blieb die Betroffene auch nach weiterer Korrespondenz (u.a. Schreiben der Betroffenen vom . . . 2010, Reaktion der Beigeladenen vom . . . 2010, Schreiben der Betroffenen vom . . . 2011). Sie zeigte sich lediglich bereit, der Beigeladenen die der örtlichen Versorgung dienenden Anlagen der Niederspannungs- (1-kV-) netze (Ortsnetze), der Ortsnetzstationen mit Ausnahme der MS-Durchgangsschalter sowie aller vorhandenen MS-Stichleitungen und MS-Ortsringe zu überlassen.
15Die Beigeladene wandte sich mit Schreiben vom . . . 2011 mit der Bitte um Unterstützung an die Bundesnetzagentur. Nachdem eine Einigung jedoch auch durch die Beschlusskammer der Bundesnetzagentur am . . . 2011 durchgeführten Vermittlungsgespräch nicht erzielt werden konnte, stellte die Beigeladene mit Schreiben vom . . . 2011 einen Antrag auf Einleitung eines besonderen Missbrauchsverfahrens nach § 31 EnWG.
16Die mit der Sache befasste Beschlusskammer der Bundesnetzagentur hielt das besondere Missbrauchsverfahren nach § 31 EnWG zwar nicht für einschlägig, fasste den Antrag jedoch als eine Anregung auf ein Tätigwerden von Amts wegen auf und leitete am . . . 2011 ein Verfahren nach § 65 EnWG ein. An diesem Verfahren wurde die Beigeladene aufgrund ihres Antrags vom . . . 2011 mit Beschluss der Beschlusskammer vom . . . 2011 gemäß § 66 Abs. 2 Nr. 3 EnWG beteiligt.
17Am . . . 2011 führte die Beschlusskammer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.
18Die Beigeladene nahm zu dieser Verhandlung mit Schriftsatz vom . . . 2011 Stellung und legte in diesem Schriftsatz insbesondere ihr Konzept zur Netzentflechtung dar. Die Betroffene nahm mit Schreiben vom . . . 2011 und . . . 2011 nochmals Stellung.
19Mit Schreiben vom . . . 2011 und vom . . . 2012 legte die Betroffene dem Bundeskartellamt das Konzessionierungsverfahren für die Stadtteile der Stadt A. zur Überprüfung aus kartellrechtlicher Sicht vor.
20Mit dem auf § 65 Abs. 2 EnWG i.V.m. § 46 Abs. 2 S. 2 und 3 EnWG gestützten Beschluss vom 26. Januar 2012 hat die Beschlusskammer 6 der Bundesnetzagentur Folgendes beschlossen:
21"1. Die Betroffene wird verpflichtet, folgende, im Gebiet der Stadtteile A. belegene Mittelspannungsleitungen, in dem die Beigeladene ab dem . . . 2012 Konzessionsnehmerin ist, jeweils bis zur Grenze des Konzessionsgebietes gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung an die Beigeladene nach deren Wahl zu übereignen oder den Besitz hieran zu verschaffen
22a. MS-Leitung UW A. - C. - D. - E. (UW F.) abgehend vom mittelspannungsseitigen Abgangsschaltfeld der Sammelschiene im Umspannwerk A.,
23b. MS-Leitung UW A. - G. - H. - I. (UW J.) abgehend von der Abgangssammelschiene im Umspannwerk A.,
24c. MS-Leitung UW A. - K. - H. - I. (UW J./L.), abgehend vom mittelspannungsseitigen Abgangsschaltfeld der Sammelschiene im Umspannwerk A.,
25d. MS-Leitung UW A. - M. - N. - (UW O.) abgehend vom mittelspannungsseitigen Abgangsschaltfeld der Sammelschiene im Umspannwerk A.,
26e. MS-Leitung UW A. - P. - Q.(UW O.),
27f. MS-Leitungen A. (SM A. - A.), R., S., T., U.,
28g. MS-Leitung UW A. - V. - W. (UW X.), abgehend vom mittelspannungsseitigen Abgangsschaltfeld der Sammelschiene im Umspannwerk A.
29Das Umspannwerk A. ist vom Besitzverschaffungs- bzw. Übereignungsanspruch nicht umfasst.
302. Abweichend vom Tenor zu 1. können die Betroffene und die Beigeladene, einen von der Konzessionsgebietsgrenze verschiedenen Übergabepunkt vereinbaren, um die Netztrennung mit einfacheren Mitteln zu verwirklichen oder eine sinnvolle Netzstruktur zu bilden.
313. Die Betroffene hat zusammen mit der Beigeladenen unverzüglich ein Netzentflechtungskonzept zu erstellen, aus dem die genaue Aufteilung des gesamten zu überlassenden Verteilernetzes hervorgeht. Dabei sind für die Netzgrenzen geeignete Übergabepunkte und ihre technische Umsetzung zu bestimmen.
324. Die Betroffene hat der Beschlusskammer das Konzept bis zum . . . 2012 zusammen mit einem Zeitplan für die weitere Umsetzung der Netzentflechtung vorzulegen. Die Netzanlagen hat die Betroffene der Beigeladenen bis zum . . . 2012 zu übertragen oder Besitz hieran zu verschaffen. ..."
33Zur Begründung ist in der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
341. Die Bundesnetzagentur sei nach § 54 Abs. 1 Hs. 1 EnWG, für die getroffene Entscheidung zuständig. Die von der Betroffenen angenommene alleinige Zuständigkeit der Zivilgerichte und allenfalls des Bundeskartellamts bestehe nicht. Vielmehr verschaffe § 46 Abs. 2 EnWG einen gesetzlichen Anspruch auf Überlassung von Verteilungsanlagen beim Wechsel des Konzessionsnehmers, dessen Durchsetzung sowohl dem Grunde nach als auch dem materiell-rechtlichen Umfang nach durch sie, die Bundesnetzagentur, zu überprüfen sei. Dieser gesetzliche Anspruch stehe unabhängig neben einem etwaigen vertraglichen Anspruch aus dem Altkonzessionsvertrag.
352. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht sei der Beschluss nach § 65 Abs. 2 EnWG berechtigt.
36Durch die Verweigerung zur Überlassung von Verteilnetzanlagen an die Beigeladene verstoße die Betroffene gegen die gesetzlichen Vorgaben zur Überlassung der für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen im Sinne der Regelung des § 46 Abs. 2 S. 2 und 3 EnWG und komme somit ihren gesetzlichen Verpflichtungen nicht nach.
37Die Betroffene habe die streitigen Mittelspannungsleitungen im Gemeindegebiet A. der Beigeladenen gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung zu übereignen oder auf deren Verlangen ihr den Besitz hieran zu verschaffen. Der gesetzliche Überlassungsanspruch nach § 46 Abs. 2 S. 2 und 3 EnWG umfasse unabhängig von ihrer Spannungsstufe und sonstiger Zweckbindung grundsätzlich sämtliche Anlagen des Verteilernetzes im Konzessionsgebiet, die der neue Konzessionsnehmer als örtlicher Netzbetreiber zur Kundenversorgung benötige. Zu den zu übertragenden, zum Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen zählten auch die streitigen Mittelspannungsleitungen.
38Weder dem Wortlaut des § 46 EnWG noch den im EnWG getroffenen Begriffsbestimmungen lasse sich eine Beschränkung des Überlassungsanspruchs auf Niederspannungsleitungen entnehmen. Vielmehr kämen sämtliche Vorrichtungen des Verteilernetzes zur Überlassung als Verteilungsanlage nach § 46 Abs. 2 EnWG unabhängig von ihrer Spannungsebene in Betracht. Hierzu gehörten auch die streitigen Mittelspannungsleitungen. Diese seien auch für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendig, da sie zur unmittelbaren und mittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern über das öffentliche Netz genutzt würden.
39Soweit die Betroffene davon ausgehe, dass schon dann eine Mittelspannungsleitung nicht mehr vom Anspruch des § 46 EnWG umfasst werde, wenn diese auch zur Durchleitung diene, so könne dies nicht überzeugen. Ausgehend von dieser Annahme müsse eine Infrastruktur vom Übertragungsnetz bis hin zum Letztverbraucher im Eigentum eines einheitlichen Konzessionärs stehen. Dies würde eine Neuvergabe von Konzessionsgebieten weitgehend leerlaufen lassen und verkenne den in § 20 EnWG verankerten Netzzugangsanspruch, der die Frage der Netznutzung gerade von der Frage der Konzessionsinhaberschaft losgelöst habe.
40Die Beschränkung des Überlassungsanspruchs auf die zur "Versorgung des Gemeindegebiets" notwendigen Verteilungsanlagen lasse einerseits den Schluss zu, dass grundsätzlich nur die räumlich im Konzessionsgebiet der Gemeinde belegenen Verteilungsanlagen zu überlassen seien. Zum anderen sei eine Anlage nur dann zu überlassen, wenn sie gerade für die örtliche Versorgung im Konzessionsgebiet benötigt werde. Maßgeblich hierfür sei aber, dass der neue Konzessionsnehmer die Anlage zur Kundenversorgung über ein zusammenhängendes, sicheres und zuverlässiges Verteilernetz im Konzessionsgebiet benötige. Er müsse eigenständig über die zur lokalen Versorgung erforderlichen Anlagen verfügen können. Dem werde eine Überlassung vereinzelter Netzfragmente ebenso wenig gerecht wie die Vorenthaltung zentraler Betriebsmittel. Vielmehr würden regelmäßig sämtliche Anlagen der Niederspannung und Mittelspannung im Konzessionsgebiet zur örtlichen Kundenversorgung genutzt. Sie bildeten das Verteilernetz, welches der örtliche Netzbetreiber benötige, um die örtliche Versorgung zu gewährleisten.
41Dagegen seien Anlagen mit rein überörtlichem Charakter, wie beispielsweise reine Transitleitungen, die das Konzessionsgebiet lediglich querten und nicht in die örtliche Versorgung eingebunden seien, grundsätzlich von der Überlassungspflicht ausgenommen. Dies gelte in der Regel auch für Anlagen der Hochspannungsebene, die lediglich mittelbar die örtliche Versorgung ermöglichten. Danach werde das Umspannwerk A., das zur Transformation des über die Hochspannungsebene transportierten Stroms von 110 kV auf 20 kV genutzt werde und vorrangig in die überregionale Struktur des 110 kV-Netzes eingebunden sei, als "Eingangstor" für die örtliche Versorgung nicht vom Überlassungsanspruch erfasst. Anderes gelte jedoch für die streitigen Mittelspannungsleitungen, über die einerseits auch unmittelbar Letztverbraucher im Gemeindegebiet versorgt würden und deren Überlassung andererseits zum Betrieb eines zusammenhängenden Netzes der Kundenversorgung im Konzessionsgebiet notwendig sei.
423. Der Pflicht zur Übertragung der Mittelspannungsleitungen stehe weiterhin nicht die Tatsache entgegen, dass es sich dabei um sog. gemischt genutzte Leitungen handele.
43Eine enge Auslegung des § 46 EnWG in dem Sinne, dass überregionalen Zwecken dienende Anlagen von der Überlassung ausgenommen seien, sei entgegen der Ansicht der Betroffene nicht aus einem Bedeutungsverlust der Norm herzuleiten. Zwar habe sich infolge der Regulierung des Netzzugangs ein Wettbewerb im Netz etabliert. Hieraus lasse sich jedoch nicht der Schluss ziehen, dass der Wettbewerb um das Netz selber keine Rechtfertigung mehr habe. Vielmehr habe der Gesetzgeber die Rechte des neuen Konzessionsnehmers anlässlich der EnWG-Novelle zum 5. August 2011 noch gestärkt.
44Auch sei der Überlassungsanspruch nicht auf unmittelbar und ausschließlich zur Letztverbraucherversorgung notwendige Anlagen beschränkt. In der Regelung des § 46 Abs. 2 EnWG finde sich im Gegensatz zu § 46 Abs. 1 EnWG kein Unmittelbarkeitserfordernis. Das Kriterium des Letztverbraucheranschlusses führe zudem zu willkürlichen Ergebnissen, da sich in diesem Fall die Überlassungspflicht hinsichtlich einer Leitung durch Neuanschluss oder Beendigung eines Netzanschlussverhältnisses jederzeit ändern könnte.
45Eine Ausnahme multifunktionaler Anlagen von der Überlassungspflicht sei nicht aufgrund einer historischen Auslegung des § 46 Abs. 2 EnWG geboten. Insbesondere könne aus der Regelung des § 103 GWB a.F. keine Begrenzung hergeleitet werden.
46Die von der Betroffene geforderte Einschränkung würde ferner dem Sinn und Zweck der Regelung widersprechen, die beabsichtige, mit dem Wettbewerb um Wegenutzungsrechte einen Wettbewerb um das örtliche Versorgungsnetz zu schaffen. Bei einer Beschränkung der Überlassungspflicht sei die Entwicklung von Parallelstrukturen zu befürchten, die der Gesetzgeber habe verhindern wollen. Zu beachten sei auch, dass die von der Überlassungspflicht ausgenommenen Leitungen vom Netz abgespalten und damit als einzelne Leitungen nach § 46 Abs. 1 EnWG zu behandeln wären. Sie unterfielen dann nicht mehr dem Regelungsregime der qualifizierten Wegenutzung, womit dem alten Versorger faktisch ein Ewigkeitsrecht am Betrieb dieser Leitungen eingeräumt werde. Dies liefe dem vom Gesetzgeber verfolgten Regelungszweck zuwider, zumal hierdurch besonders attraktive Netzanschlusskunden, die häufig an Leitungen in höheren Spannungsebenen angeschlossen seien, dem Wettbewerb entzogen werden könnten. Der Gesetzgeber habe bewusst die örtlichen Netzbetreiber privilegieren wollen und ein Aufbrechen der alten Versorgungsstruktur zu Lasten des alteingesessenen Versorgungsunternehmen in Kauf genommen.
47Schließlich stünden die Erfordernisse einer ganzheitlichen Betriebsführung der Übertragung multifunktionaler Leitungen nicht entgegen, da die Überlassung von Mittelspannungsleitungen an der Netzstruktur und Aufnahmekapazität des Netzes nichts ändere. Die sichere und zuverlässige Versorgung sei auch an sonstigen Netzgrenzen gewährleistet, obwohl aneinandergrenzende Netze verschiedener Betreiber regelmäßig nicht mit einem einheitlichen Automatisierungskonzept durch eine Netzleitstelle geführt würden. Sie werde auch durch die Umsetzung der erforderlichen Netzentflechtung nicht gefährdet. Vielmehr obliege es dem alten und dem neuen Konzessionsnehmer, durch die Gestaltung des Entflechtungskonzepts eine möglichst effiziente Abgrenzung durch geeignete Übergabestellen in der Nähe der Konzessionsgebietsgrenzen festzulegen.
48Ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht der Betroffenen auf Eigentum gemäß Art. 14 GG liege nicht vor, da die Übertragungsverpflichtung zur Schaffung von Wettbewerb um Netze als legitimes Ziel erforderlich sei.
494. Mit Auslaufen des Konzessionsvertrags könne die Betroffene die Netzübergabe jedenfalls nicht verweigern, wenn die Beigeladene eine Zahlung unter Vorbehalt anbiete. Damit der Streit über die Vergütung der Netzüberlassung nicht zu einer weiteren erheblichen Verzögerung der Verhandlungen führe, habe der Bundesgerichtshof anerkannt, dass der Erwerber des Netzes den Vertrag unter dem Vorbehalt schließen könne, die Angemessenheit der Vergütung gerichtlich überprüfen zu lassen, ohne dass der Vertrag dadurch unwirksam werde.
50Mit Schriftsatz vom . . . 2012 hat die Betroffene einstweiligen Rechtsschutz gem. § 77 Abs. 3 S. 4 EnWG gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 26. Januar 2012 beantragt. Mit Schriftsatz vom . . . 2012 hat die Betroffene Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt und diese mit Schriftsatz vom . . . 2012 begründet.
51Sie beruft sich im Einzelnen auf Folgendes:
521. Die Bundesnetzagentur sei bereits unzuständig, über den Umfang der Übertragungspflicht des bisherigen Konzessionsnehmers zu entscheiden.
53Für die Entscheidung über den von der Beigeladenen geltend gemachten vertraglichen Übertragungsanspruch aus abgetretenem Recht und die vertraglichen Gegenforderungen der Betroffene seien ausschließlich die Zivilgerichte zuständig. Die gegenteilige Auffassung der Beschwerdegegnerin sei mit § 113 EnWG und der verfassungsrechtlich geschützten Eigentümerstellung des Altkonzessionärs nicht in Einklang zu bringen. Der Zuständigkeit der Beschwerdegegnerin stünde auch die in §14 Abs. 5 des Altkonzessionsvertrags enthaltene Gutachterklausel entgegen. Auch sei die Bundesnetzagentur verpflichtet gewesen, zunächst eine Überprüfung des im Jahr 2009/2010 durch die Stadt A. durchgeführten Konzessionierungsverfahrens durch das Bundeskartellamt oder durch die Zivilgerichte abzuwarten.
542. Der auf § 46 Abs. 2 S. 2 und 3 EnWG gestützte Anspruch bestehe schon deswegen nicht, weil der zwischen der Stadt A. und der Beigeladenen geschlossene Konzessionsvertrag Folge eines fehlerhaft durchgeführten Auswahlverfahrens und wegen offensichtlicher und schwerwiegender Verstöße gegen §§ 19, 20 GWB und § 46 Abs. 1 und 3 EnWG nichtig sei.
55Die Stadt A. habe im Rahmen des Verfahrens bei der Vergabe des Stromkonzessionsvertrags gegen die Grundsätze eines transparenten und diskriminierungsfreien Auswahlverfahrens verstoßen. Sie habe ihre Auswahlkriterien vor Konzessionsvergabe nicht bekannt gemacht. Die der Betroffenen zunächst genannten "Erwartungen" seien sachwidrig gewesen und hätten nicht den in der Bekanntmachung vom . . . 2010 genannten Kriterien entsprochen, die im Übrigen ebenfalls unzulässig seien. Insbesondere seien die finanziellen Interessen der Kommune und ihrer Bürger in unzulässiger Weise herangezogen worden, auch liege eine einseitige Bevorzugung eines mit der Stadt A. verbundenen Unternehmens vor. Des Weiteren liege ein Verstoß gegen das Nebenleistungsverbot des § 3 KAV vor.
56Die Bundesnetzagentur sei verpflichtet gewesen, die Nichtigkeit des mit der Beigeladenen geschlossenen Konzessionsvertrags bei ihrer Entscheidung zu beachten, da nicht nur ein schwerwiegender Verstoß gegen §§ 19, 20 GWB, sondern auch gegen § 46 Abs. 1 und 3 EnWG sowie ein ungerechtfertigter Eingriff in Art.14 GG vorliege.
573. Ferner leite die Beschwerdegegnerin zu Unrecht eine Verpflichtung zur Übertragung gemischt genutzter Anlagen aus § 46 Abs. 2 EnWG ab. Auf Grundlage dieser Vorschrift seien nur diejenigen Anlagen des Netzes der allgemeinen Versorgung zu übertragen, die der ausschließlichen Versorgung im jeweiligen Gemeindegebiet dienten.
58Dies ergebe sich bereits aus der wörtlichen Auslegung, da § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG nur die "im Gemeindegebiet", also in einem Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen erfasse, wogegen gemischt genutzte Anlagen für mehrere Gemeindegebiete notwendig seien. Auch handele es sich bei den in Streit stehenden Mittelspannungsanlagen nicht um Anlagen, die zur allgemeinen Versorgung im Gebiet der Stadt A. notwendig seien. Vielmehr seien diese in erster Linie zur Versorgung von weiteren Kommunen im Umland zwingend erforderlich. Das Eigentum, der Mitbesitz oder der Alleinbesitz an diesen Anlagen sei dagegen für die Versorgung des Gemeindegebiets nicht notwendig, da der neue Netzbetreiber ebenso wie andere Netznutzungspetenten Anspruch auf diskriminierungsfreie Durchleitung habe. Ebenso wie das Umspannwerk A. dienten auch die streitigen Mittelspannungsleitungen nur mittelbar der örtlichen Versorgung.
59Das anhand des Wortlauts gefundene Ergebnis werde durch die systematische Auslegung, insbesondere durch das Zusammenspiel von § 46 Abs. 2 und § 46 Abs.1 EnWG, in dem sich ein Hinweis auf die "unmittelbare Versorgung" von Letztverbrauchern im Gemeindegebiet finde, bestätigt. Auch sei es mit den Netzbetreiberpflichten nach §§ 17,18 EnWG und § 11 EnWG unvereinbar, wenn ein Regionalnetzbetreiber im Zusammenhang mit der Übertragung eines Ortsnetzes auch die gemischt genutzten Anlagen, die für die sichere Versorgung weiterer Kunden oder Gemeinden notwendig seien, mit abgäbe. Des Weiteren widerspräche eine Pflicht zur Übertragung gemischt genutzter Anlagen den Wettbewerbszielen des EnWG. Durch die Kommunalisierung der örtlichen Versorgung werde der Wettbewerb um das Netz ein für alle Mal beendet.
60Die historische Auslegung führe zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere gäben die Gesetzesmaterialien zu § 13 Abs. 2 S. 2 EnWG 1998 keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Übertragungspflicht des bisherigen Netzbetreibers über das bisherige zu § 103 GWB a.F. anerkannte Maß hinaus auf eine Herausgabe auch der gemischt genutzten Anlage erweitert werden sollte. Durch das EnWG 2011 sei ebenfalls keine Verschärfung der Übertragungspflicht beabsichtigt gewesen.
61Auch nach Sinn und Zweck des § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts unterfielen gemischt genutzte Anlagen nicht dem Herausgabeanspruch. Das neue Versorgungsunternehmen sei aufgrund seines umfassenden Durchleitungsanspruchs in keiner Weise in seinen geschäftlichen Möglichkeiten beim Betrieb der übernommenen Ortsnetzanlage beeinträchtigt. Hätte dagegen der Regionalnetzbetreiber die multifunktionalen Leitungen abzugeben, so müsste er wegen der Unsicherheiten, ein jederzeit gesichertes Durchleitungsrecht durch die nachgelagerten Netze zu erhalten und abzurechnen, Ersatzleitungen allein zu Transitzwecken bauen, um die durch die Netzübertragung aufgerissenen Lücken in seinem Regionalnetz zu schließen.
62Die Erreichung der Ziele des § 1 EnWG sei durch die Übertragung multifunktionaler Leitungen gefährdet. Insbesondere sei die notwendige einheitliche und effiziente Betriebsführung und damit die Versorgungszuverlässigkeit und Preisgünstigkeit sowie die Umsetzung der Energiewende im Falle einer Netzzersplitterung nicht dauerhaft gesichert.
63Nach der Entscheidung der Bundesnetzagentur sei eine willkürliche Aufteilung des Mittelspannungsnetzes zu befürchten, bei der der Betreiber des Ortsnetzes, dessen Konzessionsvertrag zuerst geendet habe, den Übergangspunkt bestimme. Des Weiteren käme es bei Gebietsreformen zu willkürlichen Ergebnissen.
64Schließlich sei im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung eine restriktive Handhabung des § 46 Abs.2 S. 2 EnWG geboten, da dieser in erheblichem Maße in grundrechtlich geschützte Eigentumspositionen eingreife. Die streitgegenständlichen Mittelspannungsleitungen hätten ganz überwiegend überörtlichen Charakter.
654. Die Anwendung des § 46 Abs. S. 2 und 3 EnWG in der seit dem 4. August 2011 geltenden Fassung auf den vorliegenden Sachverhalt sei ausgeschlossen, weswegen eine Verpflichtung zur Eigentumsübertragung hierauf nicht gestützt werden könne. Maßgeblich für die Entscheidung des anwendbaren Rechts sei der Zeitpunkt der Entscheidung über den neuen Konzessionsnehmer.
665. Des Weiteren verkenne die Bundesnetzagentur, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung vorliegend keine Pflicht der Betroffene bestehe, einen Vorbehaltskauf zu akzeptieren und dem Übertragungsanspruch der Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung entgegen gehalten werden könne. Der bisherige Netzbetreiber könne dem Übertragungsanspruch sowohl ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB als auch die Einrede des nicht erfüllten Vertrags nach § 320 BGB entgegen halten. Die Beigeladene habe bislang noch nicht einmal einen Kaufpreis angeboten. Der durch die Bundesnetzagentur vorgegebene Vorbehalt habe keine Erfüllungswirkung, da die Beigeladene schon die Zulässigkeit eines Entgelts in Höhe des Sachwerts in Abrede stelle. Im Übrigen bedürfe die Verpflichtung zum Kauf unter Vorbehalt einer Billigkeitsprüfung einer gesetzlichen Regelung, die nicht bestehe.
676. Tenorziffer 4 S. 2 des Beschlusses der Bundesnetzagentur sei zudem offensichtlich rechtswidrig, da er die gesamten zu übertragenden Netzanlagen (Mittelspannungs- und Niederspannungsleitungen) erfasse, der Beschluss für die Niederspannungsleitungen jedoch keine Zug-um-Zug-Verpflichtung enthalte. Hinzu komme, dass die Bundesnetzagentur mit Tenorziffer 3. und 4. zu Unrecht über das gesamte zu überlassende Verteilernetz entscheide, obwohl Gegenstand des Aufsichtsverfahrens nach § 65 EnWG nur die gemischt genutzten Mittelspannungsleitungen gewesen seien. Zumindest seien die Tenorziffern 3. und 4. missverständlich und inhaltlich nicht hinreichend bestimmt.
687. Es sei auch tatsächlich nicht möglich, die Umsetzung des Beschlusses innerhalb der gesetzten Fristen bis zum . . . 2012 und . . . 2012 durchzuführen. Insoweit bestünden tatsächliche Zweifel an der Umsetzbarkeit des Beschlusses. Die Bundesnetzagentur verkenne die technischen Anforderungen an den Betrieb eines über kommunale Gebietsgrenzen hinausgehenden überörtlichen Mittelspannungsnetzes entsprechend der in § 1 EnWG genannten Ziele.
698. Neben den rechtlichen Erwägungen ergäben sich aber auch den Zielen des § 1 EnWG und den Zielen des EEG widersprechende tatsächliche Auswirkungen aus der Überlassung der gemischt genutzten Mittelspannungsanlagen. Insbesondere bei Störfällen wie auch bei Erhaltungs- und Erweiterungsmaßnahmen würden die in der Vorschrift genannten Ziele der Preisgünstigkeit und Versorgungssicherheit nicht nur gefährdet, sondern konterkariert, weil die notwendige Entflechtung erhebliche Kosten verursachen würde.
70Auch werde durch die Herausgabe gemischt genutzter Leitungen die Energiewende in Deutschland gefährdet. Der weitere Anstieg dezentraler Stromeinspeisungen aus EEG-Anlagen setze leistungsstarke, zusammenhängende und stabile Mittelspannungsnetze mit hoher Kurzschlussleistung, hohem Vermaschungsgrad und einheitlicher Betriebsführung voraus. Dies sei nach der Entscheidung der Beschwerdegegnerin nicht gewährleistet.
71Demgegenüber sei das von ihr, der Betroffenen, vorgeschlagene Entflechtungskonzept, nach dem die Niederspannungsnetze im Verteilgebiet, sowie die Ortsnetzstationen mit Ausnahme der Mittelspannungs-Durchgangsschalter sowie die Mittelspannungs-Stichleitungen und die Mittelspannungs-Ortsringe übertragen würden, technisch durchführbar und erfülle die Anforderungen an einen sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb.
72Nachdem die Betroffene ihren Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde in der öffentlichen Sitzung vom 24. Oktober 2012 mit Zustimmung der Bundesnetzagentur zurückgenommen hat, beantragt sie,
73den Beschluss der Beschwerdegegnerin vom 26 Januar 2012 (Az. BK 6-11-052) aufzuheben.
74Die Bundesnetzagentur beantragt,
75die Beschwerde zurückzuweisen
76Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Gründe.
77Ergänzend macht sie geltend, es käme im Rahmen des Überlassungsanspruchs nach § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG auf die Rechtswirksamkeit des neuen Konzessionsvertrags nicht an. Ein Prüfungsauftrag für ihre Behörde könne allenfalls bei offensichtlichen und schweren Mängeln des Konzessionierungsverfahrens angenommen werden, die hier nicht vorlägen. Ausreichend sei grundsätzlich, dass die Gemeinde ihre Auswahlentscheidung durch den Abschluss eines Konzessionsvertrags zum Ausdruck gebracht habe. Im Übrigen sei nicht nachvollziehbar, warum die Betroffene erst fast zwei Jahre nach Abschluss des Konzessionierungsverfahrens eine Überprüfung durch das Bundeskartellamt angeregt habe.
78Die Beigeladene hat mit Schriftsätzen vom . . . 2012 und . . . 2012 Stellung genommen und den angefochtenen Beschluss verteidigt. Sie beantragt ebenfalls,
79die Beschwerde zurückzuweisen.
80Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze mit Anlagen, den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Bundesnetzagentur und das Protokoll der Senatssitzung vom 24. Oktober 2012 Bezug genommen.
81B.
82Die zulässige Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 26. Januar 2012 hat Erfolg. Der Beschluss, mit dem die Bundesnetzagentur der Betroffenen aufgegeben hat, die dort im Einzelnen bezeichneten, im Gebiet der Stadtteile A. belegenen Mittelspannungsleitungen, in dem die Beigeladene ab dem . . . 2012 Konzessionsnehmerin sein soll, jeweils bis zur Grenze des Konzessionsgebiets gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung an die Beigeladene nach deren Wahl zu übereignen oder den Besitz hieran zu verschaffen, ist rechtswidrig und aufzuheben.
83Die Bundesnetzagentur ist zwar für die von ihr getroffene Anordnung grundsätzlich zuständig; sie verkennt aber den Umfang ihrer Anordnungskompetenz. Im Streitfall fehlt es allerdings schon an einer Anspruchsgrundlage für die Anordnung. Zudem hat die Bundesnetzagentur die Tatbestandsvoraussetzungen der von ihr herangezogenen Vorschrift des § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG nur verkürzt geprüft und die sich hieraus ergebenden Rechtsfolgen unzutreffend beurteilt.
84I. Zuständigkeit
85Grundsätzlich ist die Bundesnetzagentur für den Erlass der angefochtenen Entscheidung zuständig. Sie ist berechtigt, die Einhaltung der Verpflichtung des Altkonzessionärs zur Überlassung der von § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG erfassten Altanlagen im Wege der allgemeinen Missbrauchsaufsicht nach § 65 Abs. 2 EnWG zu überprüfen und tätig zu werden.
86Im Streitfall ist § 65 Abs. 2 EnWG anwendbar, da die besonderen Missbrauchsvorschriften der §§ 30, 31 EnWG nicht einschlägig sind. Das Missbrauchsverfahren ist auch nicht auf die in §§ 30, 31 EnWG geregelten besonderen Missbrauchsfälle beschränkt. Vielmehr ist § 65 EnWG als sog. „Generalklausel“ ein Auffangtatbestand, der neben den spezielleren Ermächtigungsvorschriften eingreift (Bachert/Elspaß in Rosin/Pohlmann/Gentzsch/Metzenthin/Böwing, Praxiskommentar zum EnWG, Stand Aug. 2012, § 65 Rn. 3).
87§ 65 Abs. 2 EnWG erlaubt der Regulierungsbehörde, Maßnahmen zur Einhaltung einer Verpflichtung nach den Bestimmungen des EnWG oder den aufgrund des EnWG erlassenen Rechtsvorschriften zu ergreifen, wenn ein Unternehmen oder eine Vereinigung von Unternehmen diesen Verpflichtungen nicht nachkommt.
88§ 46 Abs. 2 S. 2 und 3 EnWG begründen eine Verpflichtung im Sinne des § 65 Abs. 2 EnWG. Sie verpflichten den Altkonzessionär, die für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen dem neuen Energieversorgungsunternehmen gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung zu übereignen. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteile vom 29.09.2009 – EnZR 14/08 und 15/08) verschafft § 46 Abs. 2 EnWG damit einen eigenständigen gesetzlichen Anspruch auf Überlassung von Verteilungsanlagen beim Wechsel des Konzessionsnehmers, dessen Durchsetzung sowohl dem Grunde nach als auch über den materiell-rechtlichen Umfang durch die Bundesnetzagentur zu überprüfen ist. Hieraus ergibt sich, dass die Zuständigkeit der Bundesnetzagentur unabhängig von der Zuständigkeit der Zivilgerichte für vertragliche Regelungen gegeben ist und auch durch vertragliche Regelungen wie die in § 14 Abs. 5 des Konzessionsvertrags aus dem Jahr 1992 enthaltene Gutachterklausel nicht abbedungen werden kann. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 113 EnWG, der lediglich die - abgesehen von den Änderungen durch die §§ 36, 46 und 48 EnWG – ansonsten unveränderte Fortgeltung der Konzessionsverträge regelt (vgl. hierzu Hellermann in Britz/Hellermann/Hermes, 2. Auflage, § 113 EnWG Rn. 1). Über den Inhalt des gesetzlichen Anspruchs aus § 46 Abs. 2 S. 2 und 3 EnWG trifft § 113 EnWG keine Aussage, ebenso wenig lässt sich aus ihm eine alleinige Zuständigkeit der Zivilgerichte auch für den gesetzlichen Anspruch herleiten.
89Die dem Anspruch des Neukonzessionärs aus § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG gegenüberstehende Verpflichtung des Altkonzessionärs unterliegt demnach der allgemeinen Aufsicht nach § 65 EnWG, in deren Rahmen die nach § 54 Abs. 1 Hs. 1 EnWG zuständige Bundesnetzagentur auch zum Erlass von Missbrauchsverfügungen berechtigt ist.
90II. Voraussetzungen und Reichweite der Missbrauchsaufsicht
91Die streitgegenständliche Anordnung der Bundesnetzagentur ist allerdings bereits deshalb aufzuheben, weil sie ermessensfehlerhaft ist. Die Bundesnetzagentur hat bei Erlass der angefochtenen Anordnungsverfügung die ihr eingeräumte Aufsichtsbefugnis nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt. Denn sie hat bei ihrer Entscheidung die Voraussetzungen und die Reichweite der allgemeinen Missbrauchsaufsicht nach § 65 Abs. 2 EnWG verkannt.
921. Bei der Anordnung zivilrechtlicher Verfügungen im Rahmen der allgemeinen Missbrauchsaufsicht sind folgende Grundsätze zu beachten:
93a) § 65 Abs. 2 EnWG ermächtigt die Regulierungsbehörde, mittels einer Anordnungsverfügung konkrete Vorgaben zur Beseitigung eines unmittelbar bevorstehenden oder gegenwärtigen Störungszustands und zur Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustands zu machen (Säcker/Paul, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2. Auflage, § 65 EnWG Rn. 4, 6). Voraussetzung für ein Einschreiten ist ein Verstoß gegen Bestimmungen des EnWG oder die aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschriften. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen und Grenzen ergeben sich aus den im EnWG konkret geregelten Pflichten (Säcker/Paul, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2. Auflage, § 65 EnWG Rn. 7 m.w.N.). Dies bedeutet, dass ein Verstoß gegen die Vorschriften des EnWG durch die Regulierungsbehörde konkret festgestellt werden muss. Auf ein Verschulden des Unternehmens oder der Unternehmensvereinigung kommt es dagegen nicht an (Hanebeck in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2. Auflage, § 65 Rn. 2).
94b) Der Erlass der Anordnungsverfügung steht im Ermessen der Regulierungsbehörde. Es herrscht das Opportunitätsprinzip. Dabei ist - wie bei belastenden Verwaltungsakten generell - die Verhältnismäßigkeit zu wahren (Hanebeck in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2. Auflage, § 65 Rn. 2). Zu beachten ist, dass die Behörde nicht im Interesse eines Dritten, sondern im öffentlichen Interesse tätig wird; ihre Aufgabe liegt nicht in der Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche, die der Dritte selbst verfolgen kann (Säcker/Paul, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2. Auflage, § 65 EnWG Rn. 21.). Bei der Ausübung des Ermessens sind insbesondere der in § 1 normierte Zweck des Energiewirtschaftsgesetzes sowie die Zielrichtung der aufsichtlich im konkreten Fall durchzusetzenden Regelung zu berücksichtigen. Weiterhin kann in die Ermessenserwägungen einbezogen werden, ob alternative, zivilrechtliche Rechtsschutzmöglichkeiten für die von dem rechtswidrigen Verhalten Betroffenen bestehen, ob es sich um einen Einzelfall oder um eine Vielzahl von Fällen handelt oder welches wirtschaftliche Gewicht das beanstandete Verhalten hat (Säcker/Paul, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2. Auflage, § 65 EnWG Rn. 22 m.w.N.).
95Zwar können Gegenstand der Anordnungsverfügung auch strukturelle Maßnahmen sein, also Abhilfe-Maßnahmen, die dem Unternehmen bereits die Möglichkeit zu einem Rechtsverstoß nehmen. Dabei sind auch Eingriffe in die Unternehmenssubstanz zulässig (Bechtold, GWB, 4. Auflage, § 32 Rn. 16).
96Allerdings sind bei der Frage der Erforderlichkeit und der Angemessenheit solcher Maßnahmen strenge Maßstäbe anzulegen. Denn bei Eingriffen in die Unternehmenssubstanz sind die zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Folgen schwerwiegend und unter Umständen gar nicht mehr rückgängig zu machen. Zudem stellt die hoheitsrechtlich verfügte Verpflichtung des Eigentümers, einen Teil seines Unternehmens zu veräußern, aber auch jede andere auf Entflechtung abzielende Entzugsmaßnahme der öffentlichen Gewalt, einen Eingriff in die legal erlangte Eigentumssubstanz dar und damit eine die entschädigungslos zulässige Sozialbindung überschreitende Einwirkung in die eigentumsrechtliche Bestandsgarantie (Papier, Rechtsgutachten zur verfassungskonformen Auslegung des Begriffs der „wirtschaftlich angemessenen Vergütung“ in § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG vom 06.02.2012, S. 33 Rn. 72, Anlage ASt 34).
972. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Bundesnetzagentur im Streitfall das ihr zustehende Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt.
98Dies gilt bereits deshalb, weil in der angefochtenen Entscheidung nachvollziehbare Erwägungen dazu fehlen, aus welchem Grund die angefochtene Anordnungsverfügung im öffentlichen Interesse erforderlich war.
99Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regulierungsbehörde mit ihrer Verfügung an die Stelle der Zivilgerichte tritt, die primär zur Entscheidung über die hier streitgegenständlichen und nach dem Zivilrecht zu beurteilenden Rechtsfragen berufen sind. Die Bundesnetzagentur ordnet die Übereignung oder nach Wahl der Beteiligten die Besitzüberlassung an. Beides sind Tatbestände, die im Zivilrecht geregelt und erfasst werden. Dies gilt sowohl für die schuldrechtlichen Verpflichtungstatbestände als auch für die sachenrechtlichen Verfügungstatbestände, deren Voraussetzungen und ihre Rechtsfolgen. Die Regulierungsbehörde hatte demnach bei ihrer Ermessensentscheidung auch die Möglichkeit der Beigeladenen zur selbständigen Verfolgung ihrer Rechte in die Ermessensabwägung einzubeziehen. Sie hatte zu bedenken, dass sie mit ihrer Anordnung die Gefahr widersprechender Entscheidungen schafft, nämlich dann, wenn die Zivilgerichte die Frage, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für die begehrte Rechtsfolge vorliegen, anders beurteilen als die Regulierungsbehörde.
100Der Gefahr widersprechender Entscheidungen hat die Regulierungsbehörde zwar insofern Rechnung entgegen wirken wollen, als sie die Bestimmung der wirtschaftlich angemessenen Vergütung den Zivilgerichten überlassen hat. Dabei hat sie jedoch außer Acht gelassen, dass die Anordnung der Übereignung gegen eine „wirtschaftlich angemessene Vergütung“ gänzlich unbestimmt und damit nicht vollstreckbar ist, was unter Ziff. VI. noch näher ausgeführt werden wird.
101Demgegenüber ist ein besonderes öffentliches Interesse an der angefochtenen Verfügung nicht ersichtlich. Das von der Bundesnetzagentur angeführte Ziel der Schaffung von Wettbewerb um Netze erfordert das Eingreifen der Regulierungsbehörde nicht zwingend. Dies gilt auch dann, wenn der Regulierungsbehörde eine Vielzahl von gleichgelagerten Fällen bekannt sein sollte. Insbesondere liegt kein beachtliches Wettbewerbshindernis darin, dass ein von der Beigeladenen durchzuführendes Zivilrechtsverfahren aufgrund der Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen längere Zeit in Anspruch nehmen könnte. Auch ist nicht ersichtlich, dass bei der Durchführung eines Zivilrechtsstreits die Versorgungssicherheit gefährdet würde oder eine sonstige Gefahr für überragende Rechtsgüter bestehen würde, die einen umgehenden Eigentumsübergang im Interesse der Allgemeinheit erforderlich machen würde. Die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen des Neukonzessionärs ist dagegen grundsätzlich nicht Aufgabe der Regulierungsbehörde.
102III. Rechtsgrundlage
103Unabhängig hiervon ist die Entscheidung der Bundesnetzagentur aber auch deshalb rechtswidrig und aufzuheben, weil für die angeordnete Übereignung keine rechtliche Grundlage besteht.
104Die Bundesnetzagentur begründet die angeordnete Verpflichtung der Betroffenen, die nach Wahl der Beigeladenen in der Übereignung oder der Besitzverschaffung der für die allgemeine Versorgung im Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen liegen soll, mit § 46 Abs. 2 S. 2 und 3 EnWG, der den Übergang des örtlichen Versorgungsnetzes auf den neuen Konzessionsnehmer vorsehe. Gemeint sind die Vorschriften des § 46 Abs. 2 S. 2 und 3 EnWG in der ab dem 4. August 2011 geltenden Fassung, die lautet:
105„…Werden solche Verträge nach ihrem Ablauf nicht verlängert, so ist der bisher Nutzungsberechtigte verpflichtet, seine für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen dem neuen Energieversorgungsunternehmen gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung zu übereignen. Das neue Energieversorgungsunternehmen kann statt der Übereignung verlangen, dass ihm der Besitz hieran eingeräumt wird….“
106Auf diese Vorschrift kann sich die Bundesnetzagentur allerdings nicht stützen. Auf den vorliegenden Fall findet vielmehr § 46 Abs. 2 EnWG in der ab dem 7. Juli 2005 geltenden Fassung (BGBl. I S. 1970) Anwendung. Die Vorschrift lautet wie folgt:
107„Verträge von Energieversorgungsunternehmen mit Gemeinden über die Nutzung öffentlicher Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen, die zu einem Energieversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet gehören, dürfen höchstens für eine Laufzeit von 20 Jahren abgeschlossen werden. Werden solche Verträge nach ihrer Laufzeit nicht verlängert, so ist der bisherige Nutzungsberechtigte verpflichtet, seine für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen dem neuen Energieversorgungsunternehmen gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung zu überlassen.“
108Aus dieser Vorschrift lässt sich jedoch die beabsichtigte Rechtsfolge nicht herleiten.
1091. Maßgeblich für die Bestimmung des Pflichtenumfangs der Betroffenen ist § 46 Abs. 2 EnWG a.F. (so im Ergebnis auch OLG Frankfurt, Urteil vom 14.06.2011, 11 U 36/10 (Kart.); OLG Schleswig, Urteil vom 22.11.2012, 16 U(Kart) 21/12, dort S. 16). Denn für die Bestimmung des anwendbaren Rechts kommt es auf den Zeitpunkt der Entstehung des gesetzlichen Schuldverhältnisses zwischen der Betroffenen und der Beigeladenen an.
110a) Entgegen der Ansicht der Bundesnetzagentur bestimmt sich das anzuwendende Recht in der hier vorliegenden Anfechtungssituation nicht generell nach dem Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung, also hier nach dem am 26. Januar 2012 geltenden Recht.
111Vielmehr folgt nach der Rechtsprechung des BVerwG (BVerwG, Urteil vom 27.04.1990, 8 C 87/88 (München), NVwZ 1991, 360; Beschluss vom 23.11.1990, 1 B155/90 (Koblenz), NVwZ 1991, 372; Urteil vom 13.12.2007, 4 C 9/07, DVBl. 2008, 386; so auch Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. § 113 Rn. 41; Redeker/van Oertzen, 15. Aufl., § 108 Rn. 16; Eyermann/Schmidt, VwGO 13. Aufl. § 113 Rn. 45; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner/Gerhardt, VwGO, 22. Ergänzungslieferung, § 113 Rn. 21 Fn. 1) aus dem Prozessrecht für die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage nur, dass der Kläger sowohl mit einem Aufhebungs- als auch mit einem Verpflichtungsbegehren nur dann durchdringen kann, wenn er im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung einen dahingehenden Anspruch hat. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach materiellem Recht, dem nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage zu entnehmen sind, sondern auch die Festlegung, wann diese vorliegen müssen.
112Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Bundesnetzagentur zitierten Entscheidungen des Kartellsenats des Bundesgerichtshofs. In seinem Beschluss vom 28. Juni 2011 (EnVR 48/10, dort Rn. 28) hat der Bundesgerichtshof zwar eingangs ausgeführt, grundsätzlich sei für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung auf die Rechtslage zum Erlasszeitpunkt abzustellen. Im Folgenden hat er das anwendbare Recht (hier den anwendbaren Eigenkapitalsatz) jedoch unter Auslegung der materiellen Vorschriften der ARegV sowie der StromNEV bestimmt, aus denen sich nach seiner Ansicht für die Berechnung des im Rahmen der Festlegung der Erlösobergrenzen anzusetzenden Investitionsbudgets die Anwendbarkeit des Eigenkapitalzinssatzes in der zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung geltenden Fassung ergibt. Gleiches gilt für die zweite von der Bundesnetzagentur angeführte Entscheidung (Beschluss vom 09.11.2010, EnVR 1/10), in welcher der Bundesgerichtshof zu beurteilen hatte, ob eine nachträglich ergangene Rechtsänderung zur Rechtswidrigkeit einer zum Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßigen Entscheidung führt. Auch hier hat der Bundesgerichtshof (jedenfalls für Verfügungen ohne Dauerwirkung) eingangs zwar ausgeführt, die für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer behördlichen Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage richte sich bei der Entscheidung über Anfechtungsbeschwerden im Grundsatz nach dem Zeitpunkt der angefochtenen Behördenentscheidung. Zur Bestimmung der maßgeblichen Rechtslage hat er im folgenden jedoch das materielle Recht, nämlich die Vorschriften des § 21 EnWG, § 23a EnWG und der ARegV, herangezogen, aus denen sich nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ergibt, dass der angefochtene Beschluss durch die Rechtsänderung weder fehlerhaft geworden war noch sich sonst erledigt hatte.
113Demnach ist für die Bestimmung des anwendbaren Rechts auch nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs die materielle Rechtslage, also hier mangels ausdrücklicher Übergangsregelung insbesondere § 46 EnWG selbst, heranzuziehen.
114b) Weder § 46 Abs. 2 EnWG a. F. noch die am 04. August 2011 in Kraft getretene Fassung des § 46 Abs. 2 EnWG enthalten einen Hinweis auf ihren zeitlichen Anwendungsbereich. Auch lässt sich aus der Gesetzesbegründung nicht herleiten, dass diese unmittelbar auf Fälle anzuwenden sein soll, in denen das gesetzliche Schuldverhältnis des § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG vor Inkrafttreten der Neuregelung entstanden ist. Die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs (BR DRS 343/11 S. 221) bezieht sich nicht auf den zeitlichen Anwendungsbereich der Norm. In dieser heißt es:
115„Mit der Änderung von Absatz 2 Satz 2 wird gesetzlich klargestellt, dass im Falle eines Konzessionswechsels der neue Konzessionär gegenüber dem bisherigen Konzessionär einen Anspruch auf die Übereignung der notwendigen Verteilungsanlagen hat. Die bisherige Formulierung, wonach die Anlagen zu überlassen sind, hatte zu kosten- und zeitaufwendigen Auseinandersetzungen dazu geführt, ob eine Besitzverschaffung ausreicht. Mit der gesetzlichen Klarstellung wird für die Unternehmen eine Rechtssicherheit geschaffen. Der Anspruch auf Übereignung des Eigentums stellt sicher, dass die benötigten Wegerechte für die Anlagen und das Eigentum an den Anlagen in einer Hand zusammengeführt werden können. Dem neuen Konzessionär soll jedoch auf Grundlage des neuen Satz 3 weiterhin die Möglichkeit eröffnet werden, mit dem bisherigen Konzessionär eine Besitzüberlassung an den Netzanlagen bzw. durch Pachtvertrag zu überlassen.“
116Aus dieser Begründung ergibt sich nach Auffassung des Senats nur, dass Rechtssicherheit für die Zukunft geschaffen werden soll. Die Begründung weist ausdrücklich darauf hin, dass die alte Regelung zu zeit- und kostenaufwendigen Auseinandersetzungen geführt hatte. Dass die Neufassung sich direkt oder mittelbar auf diese Auseinandersetzungen auswirken soll, lässt sich der Begründung, insbesondere dem Umstand, dass von einer „Klarstellung“ gesprochen wird, dagegen nicht entnehmen. Die Begründung deutet allenfalls darauf hin, dass die derzeitige Bundesregierung dazu neigt, auch den Wortlaut der alten Fassung i.S. eines Anspruchs auf Eigentumsübertragung auszulegen (so auch LG Hannover, Teilurteil vom 15.11.2011, 18 O 88/09, S. 13).
117Gegen die Anwendbarkeit des § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG n.F. auf vor dem 4. August 2011 entstandene gesetzliche Schuldverhältnisse spricht auch die gebotene verfassungskonforme Auslegung, insbesondere das Prinzip des Vertrauensschutzes. Insoweit ist der von Papier/Schröder (Rechtsgutachten zur verfassungskonformen Auslegung des Begriffs der „wirtschaftlich angemessenen Vergütung“ in § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG vom 06.02.2012, S. 43 ff., Anlage ASt. 34) vertretenen Auffassung zu folgen, nach der der Altkonzessionär aufgrund der bestehenden Rechtslage bei Abschluss des Altkonzessionsvertrags in der Regel auf die Fortdauer seines Eigentums an den Verteilungsanlagen vertrauen durfte. Zwar mussten die Energieversorgungsunternehmen spätestens seit dem Inkrafttreten des GWB im Jahr 1958 damit rechnen, bei Auslaufen der Konzessionen, die Netzanlagen einem neuen Konzessionär oder der Gemeinde „überlassen“ zu müssen. Unter Überlassung war – wie unter Ziff. 2. noch ausgeführt wird - aber nicht zwingend die „Übereignung“ verstehen. Die Anwendung der Neufassung des § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG auf bereits vor Inkrafttreten der Regelung entstandene Ansprüche dürfte daher einen Fall der unzulässigen Rückwirkung darstellen. Der Auffassung der Bundesnetzagentur, mangels erfolgter Überlassung der Verteilanlagen handele es sich um einen nicht abgeschlossenen Sachverhalt, ist dagegen nicht zu folgen. Denn der gesetzliche Anspruch knüpft allein an den Ablauf des alten und Abschluss eines neuen Konzessionsvertrags an.
118Insoweit ist der vorliegende Fall entgegen der Ansicht der Bundesnetzagentur auch mit dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Landgerichts Hannover (Teilurteil vom 18.11.2011, 18 O 88/09) zugrunde lag, durchaus vergleichbar. Soweit in dem vom Landgericht Hannover entschiedenen Fall ein Pachtvertrag vorbehaltlich einer gerichtlichen Klärung der Übereignungsansprüche abgeschlossen wurde, kann dies nicht dazu führen, dass im Gegensatz zu dem hier zu entscheidenden Fall das Vorliegen eines abgeschlossenen Sachverhalts angenommen wird.
119c) Daher verbleibt es bei dem allgemeinen schuldrechtlichen Rechtsgedanken, wonach das Schuldverhältnis nach seinen Voraussetzungen, seinem Inhalt und seinen Wirkungen dem Recht untersteht, das zur Zeit der Verwirklichung seines Entstehungstatbestands galt (Münchener Kommentar zum BGB/ Krüger, 5. Aufl., Art. 170 EGBGB Rn. 3; Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., Einl v § 241 Rn. 14). Dieser allgemeine Rechtsgedanke ist auch auf gesetzliche Schuldverhältnisse anwendbar.
120Entstanden ist das Schuldverhältnis aus § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG bereits mit Auslaufen des alten und Abschluss des neuen Konzessionsvertrags im Jahr 2010 und somit vor Inkrafttreten der Regelung des § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG n.F. Denn hierdurch wurden die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Entstehung des gesetzlichen Schuldverhältnisses verwirklicht (vgl. Hellermann in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2. Auflage, § 46 Rn. 69 f.).
1212. Aus der Vorschrift des § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG a.F. kann ein Übereignungsanspruch jedoch nicht hergeleitet werden.
122Die Frage, ob der neue Konzessionsnehmer einen Anspruch auf Übertragung des Eigentums an den Energieversorgungsanlagen hatte oder ob ihm aufgrund des am 29. April 1998 in Kraft getretenen § 13 Abs. 2 S. 2 EnWG, dem die Vorschrift des 2005 in Kraft getretenen § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG entspricht, nur ein schuldrechtlicher Überlassungsanspruch zustand, ist höchstrichterlich nicht entschieden. Der Bundesgerichtshof hat in den Urteilen vom 29. September 2009 (EnZR 14/08 und EnZR 15/08, bei juris jeweils unter Rn. 20) die Wirksamkeit des vertraglichen Übereignungsanspruchs trotz der zwischenzeitlichen Änderung der Vorschrift angenommen, aber die Reichweite des gesetzlichen Überlassungsanspruchs ausdrücklich offengelassen, weil der Übereignungsanspruch aus der vertraglichen Endschaftsbestimmung für das Begehren der Klägerin ausreichte.
123In der übrigen Rechtsprechung und Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG begründe einen Anspruch auf Eigentumsübertragung (Landgericht Kiel, Urteil vom 08.07.2005, 14 O Kart. 48/04; OLG Schleswig, Urteil vom 10.01.2006, 6 U Kart 58/05 bei juris Rn. 30; Hellermann in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2. Auflage, § 46 Rn. 76 f.; Theobald in Danner/Theobald, Energierecht, 74. Erg. Lief., Band 1, § 46 EnWG Rn 35 ff.; Kühne in Büdenbender/Kühne, Festschrift für J.F. Baur, 2002, S 191 ff., Kühling, Der gesetzliche Überlassungsanspruch des § 46 II 2 EnWG – Ein Lehrstück für die Methodik juristischer Auslegung, InfrastrukturRecht 2008, 173 ff.). Zur Begründung (vgl. ausführlich Theobald in Danner/Theobald, a.a.O., § 46 Rn 35 ff.) wird auf die langjährige Tradition in konzessionsvertraglichen Endschaftsbestimmungen verwiesen, in denen stets ein Übereignungsanspruch der Gemeinde begründet worden sei. Werde nur ein zeitlich begrenztes Besitzrecht begründet, so könne der neue Versorger nach Auslaufen seines Vertrages dem nächsten Versorger weder Eigentum noch Besitz verschaffen. Sowohl die Eigentums- als auch die Besitzverschaffung seien nur durch den Eigentümer möglich. Umgekehrt bestehe nach dem gesetzlichen Wortlaut kein Anspruch gegen das ursprüngliche Energieversorgungsunternehmen. Damit würde der dem neuen Versorger in spätestens 20 Jahren nachfolgende Konzessionsnehmer schutzlos gestellt, da ihm kein direkter Anspruch gegen das ursprünglich versorgende Unternehmen zustehe. Nach der Gesetzesbegründung solle zudem ein „prohibitiv wirkender Kaufpreis“ verhindert werden. Der in § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG i.V.m. S. 1 bestehende systematische Zusammenhang spreche ebenfalls für einen Eigentumsübertragungsanspruch. Die in S. 1 zum Ausdruck gekommene Zielsetzung, Ewigkeitsrechte zu verhindern, würde ohne Eigentumsübertragung vereitelt. Auch Sinn und Zweck der Norm, Wettbewerb um Netze zu schaffen, sprächen für diese Auslegung.
124Andere Stimmen in Rechtsprechung und Literatur sprechen sich gegen eine Verpflichtung zur Eigentumsübertragung aus (so OLG Frankfurt, Urteile vom 29.01.2008 11 U 19/07 bei juris Rn. 53 und 11 U 20/07 bei juris Rn 51; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.06.2011, 11 U 36/10 (Kart), bei juris, Rn. 93; Landgericht Darmstadt, Urteile vom 24.04.2007,18 O 517/06 und 14 O 494/06, RdE 2007, 239 und 240; Büdenbender, Schwerpunkte der Energierechtsreform 1998, S. 2092 Rn. 492 zu Art. 4 § 1 NeuregelungsG; Salje, EnWG, § 46 Rn 158 ff.; Säcker/Jaecks, Netzüberlassungspflicht im Energiewirtschaftsgesetz: Eigentumsübertragung oder Gebrauchsüberlassung?, BB 2001, S. 997 ff.;).
125Letzterer Ansicht ist zuzustimmen. Mit der Ende 1998 erfolgten Abschaffung der geschlossenen Versorgungsgebiete und der Einführung eines Anspruchs auf Netzzugang für Dritte haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Abschluss von Energieversorgungsverträgen fundamental geändert (vgl. Säcker/Jaecks, a.a.O., S. 1003 ff.). Der bisher traditionell vereinbarte Eigentumsübertragungsanspruch der Gemeinde ist daher nicht mehr erforderlich. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass nach der Gesetzesbegründung prohibitiv hohe Kaufpreise verhindert werden sollen. Aus dieser Formulierung lässt sich nämlich nicht ableiten, der Gesetzgeber habe die Überlassung der Anlagen ausschließlich mittels der Übertragung des Eigentums hieran zulassen wollen (so aber OLG Schleswig, Urteil vom 10.01.2006, 6 U Kart 58/05 bei juris Rn. 31). Vielmehr wird damit nur ein möglicher Hinderungsgrund bei der Netzübernahme erwähnt. Die Formulierung besagt indes nicht, dass dieser Hinderungsgrund nur durch die Verpflichtung zur Übertragung des Eigentums beseitigt werden könne. Auch wird der neue Konzessionsnehmer, der seinerseits nicht Eigentümer der örtlichen Verteilungsanlagen wird, gegenüber dem ihm ggf. nach Ablauf des neuen Konzessionsvertrags nachfolgenden Konzessionsnehmer nicht schutzlos gestellt. Denn er kann sich gegenüber dem Anspruch des nachfolgenden Konzessionsnehmers auf Besitz- oder Eigentumsverschaffung aus § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG seinerseits auf eine von ihm nicht zu vertretende Unmöglichkeit berufen. Fraglich erscheint auch, welcher Stellenwert dem Wettbewerb um die Netze angesichts der im EnWG verankerten umfassenden Durchleitungsrechte noch zuzumessen ist.
126Entscheidend gegen eine Verpflichtung zur Eigentumsübertragung am Gasversorgungsnetz und den Verteilungsanlagen auf den neuen Konzessionär aus § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG a.F. spricht aber – wie bereits das OLG Frankfurt (Urteile vom 29.01.2008, 11 U 19/07 bei juris Rn. 53 und 11 U 20/07 bei juris Rn 51) ausgeführt hat - die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Schon zur gleich lautenden Vorgängerbestimmung in § 13 Abs. 2 Satz 2 EnWG a.F. ist im Schrifttum erörtert worden, ob mit „Überlassen“ die Übertragung des Eigentums gemeint sei oder der Gesetzgeber eine bloße Einräumung der Verfügungsgewalt, etwa durch Pachtvertrag, genügen lassen und die Beteiligten nicht in einer bestimmten Weise festlegen wollte. Hätte der Gesetzgeber die Bestimmung ausschließlich im Sinn einer Festlegung auf die Übertragung des Eigentums an den Anlagen verstehen wollen, so hätte er von vornherein eine präzisere Formulierung verwenden können; spätestens bei der Neufassung der Bestimmung in § 46 Abs. 2 EnWG anlässlich der Novellierung des EnWG 2005 hätte er Gelegenheit gehabt, seine Vorstellungen zu konkretisieren und eine striktere Formulierung zu wählen. Anlass dazu hätte umso mehr bestanden, als während des Gesetzgebungsverfahrens eine Klarstellung in diesem Sinn von mehreren Seiten angeregt wurde. So beantragte die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen eine ausdrückliche Klarstellung im Gesetzeswortlaut. Auch das Bundeskartellamt hat bei der Anhörung vor dem Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit eine entsprechende Klarstellung empfohlen (Ausschussdrucksache 15/1520 v. 25.11.2004, S. 133). Wenn der Gesetzgeber gleichwohl am bisherigen Wortlaut festgehalten und auf eine „Klarstellung“ verzichtet hat, spricht dies eindeutig gegen das Verständnis, § 46 Abs. 2 EnWG gewähre einen Anspruch auf Übertragung des Eigentums. Vielmehr bestätigt die Untätigkeit des Gesetzgebers die Auffassung, § 46 Abs. 2 EnWG verlange zur Überlassung nicht ausnahmslos eine Übereignung, sondern behalte die nähere Ausgestaltung den Parteien vor.
127IV. Nichtigkeit des zwischen der Beigeladenen und der Stadt A. geschlossenen Konzessionsvertrags
128Des Weiteren hat die Bundesnetzagentur die Wirksamkeit des zwischen der Gemeinde A. und der Beigeladenen abgeschlossenen neuen Konzessionsvertrags zu Unrecht offen gelassen. Vor Erlass der Anordnungsverfügung hätte sie überprüfen müssen, ob die Konzessionierung in Gestalt der Vergabe der Wegerechte an die Beigeladene gegen die allgemeinen und besonderen kartellrechtlichen Vorschriften der § 46 Abs. 3 EnWG und §§ 19, 20 GWB verstößt, weil dies – auch im Verhältnis zwischen Alt- und Neukonzessionär – ihre Nichtigkeit zur Folge hätte.
129Die Betroffene hat konkrete Gründe für ihre Ansicht, der Konzessionsvertrag zwischen der Gemeinde sei nichtig, angeführt. Sie ist der Auffassung, die Gemeinde A. habe mit der Entscheidung, einen neuen Konzessionsvertrag mit der Beteiligten abzuschließen, ihre marktbeherrschende Stellung i.S.v. § 19 Abs. 1 GWB missbraucht und zugleich die Betroffene i.S.v. § 20 GWB behindert. Auch liege ein Verstoß gegen die besonderen Wettbewerbsvorschriften der § 46 Abs. 1 und 3 GWB vor. Diesen Vortrag der Betroffenen hatte die Bundesnetzagentur zu überprüfen.
1301. Wie bereits unter Ziff. II.1.a) dargelegt, muss die Regulierungsbehörde im Rahmen eines Tätigwerdens nach § 65 Abs. 2 EnWG einen konkreten Verstoß gegen die Vorschriften des EnWG feststellen. Hierzu gehört die Überprüfung sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen der betroffenen Norm, hier des § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG. Nicht nachvollziehbar ist insoweit die Ansicht der Bundesnetzagentur, einerseits ihre Zuständigkeit für die getroffene Anordnung trotz paralleler Zuständigkeiten der Zivilgerichte und des Bundeskartellamts zu bejahen, ihre Verpflichtung zur Überprüfung der Tatbestandsvoraussetzungen jedoch einschränkend in dem Sinne auszulegen, dass sie den neuen Konzessionsvertrag nur auf „offensichtliche“ Mängel zu überprüfen habe.
1312. Voraussetzung des Überlassungsanspruchs nach § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG ist ein wirksamer Konzessionsvertrag mit dem neuen Konzessionsnehmer. Verstößt der neue Konzessionsvertrag gegen kartellrechtliche Vorschriften, führt dies zu seiner Nichtigkeit, die auch im Verhältnis der Betroffenen und der Beigeladenen zueinander Wirkung entfaltet (vgl. auch OLG Schleswig, Urteile vom 22. November 2012, 16 U (Kart) 21/12 und 16 U (Kart) 22/12).
132a) Entgegen der Ansicht der Bundesnetzagentur ist im Rahmen des gesetzlichen Anspruchs aus § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG nicht ausreichend, dass die Gemeinde ihre Auswahlentscheidung durch den Abschluss eines Konzessionsvertrags zum Ausdruck gebracht hat. Vielmehr geht die Vorschrift bereits nach ihrem Wortlaut von einem bisherigen Nutzungsberechtigten und einem neuen Energieversorger aus. Aus dem Umstand, dass die Begriffe des bisherigen Nutzungsberechtigten und des neuen Energieversorgers einander gegenüber gestellt werden, ergibt sich, dass hinsichtlich des neuen Energieversorgers nicht nur auf tatsächliche Umstände abzustellen, sondern auch eine rechtliche Betrachtung mit einzubeziehen ist.
133b) Gegen eine solche Verknüpfung des zwischen dem Altkonzessionär und dem Neukonzessionär aus § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG entstandenen gesetzlichen Schuldverhältnisses mit dem zwischen der Gemeinde und dem Neukonzessionär bestehenden vertraglichen Schuldverhältnis spricht nicht die (schuldrechtliche) Unabhängigkeit der vertraglichen und gesetzlichen Rechtsverhältnisse. Zwar regelt § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG nur die Rechtsbeziehung zwischen dem Altkonzessionär und dem Neukonzessionär und lässt den vertraglichen Anspruch der Gemeinde auf Übertragung unberührt (BGH, Urteile vom 29.09.2009 (EnZR 15/08, zitiert aus juris, dort Rn. 12 ff. und EnZR 14/08). Für die Frage der Tatbestandsvoraussetzungen des gesetzlichen Anspruchs kann hieraus jedoch nichts abgeleitet werden.
134c) Entscheidend für das Erfordernis einer wirksamen Neukonzessionierung sprechen dagegen Sinn und Zweck der Vorschrift des § 46 EnWG.
135Ein Verstoß gegen das in § 46 Abs. 1 S. 1 EnWG verankerte Diskriminierungsverbot stellt zugleich einen Verstoß gegen die allgemeine kartellrechtliche Bestimmung des § 20 GWB dar (vgl. hierzu ausführlich OLG Schleswig, Urteile vom 22. November 2012, 16 U (Kart) 21/12, S. 31 f. Und 16 U (Kart) 22/12, S. 33 f). Zwar führt im Allgemeinen ein Verstoß gegen die kartellrechtliche Bestimmung des § 20 GWB nicht zur Unwirksamkeit der aufgrund der sachwidrigen Auswahl zustande gekommenen Folgeverträge, sondern nur zu einem Anspruch auf Gleichbehandlung der negativ betroffenen Dritten. Denn das Verbot richtet sich allein an den marktbeherrschenden Akteur, nicht aber an seine Vertragspartner. Daher soll § 134 BGB dann nicht anwendbar sein, wenn die Gleichbehandlung unter Aufrechterhaltung dieser Verträge durch Abschluss entsprechender Verträge mit benachteiligten Unternehmen möglich ist und für die Durchsetzung der Interessen der Beeinträchtigten Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche ausreichen (vgl. auch Immenga/Mestmäcker/Markert, Wettbewerbsrecht, 4. Auflage, § 20 GWB Rn. 229).
136Dies gilt jedoch im Streitfall im Hinblick auf die primär zu beachtenden Vorschriften des EnWG und deren Zielsetzung nicht. Mit einer wettbewerbsrechtswidrigen Auswahlentscheidung benachteiligen die Gemeinden nicht nur die Mitbewerber des neu konzessionierten Unternehmens, sondern verstoßen auch gegen den Zweck der Vorschriften des EnWG. Sinn und Zweck des § 46 Abs. 3 EnWG liegen gerade darin, einen Wettbewerb um die Netze zu ermöglichen, der letztlich der Förderung der Ziele des § 1 EnWG dienen soll. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen des OLG Schleswig (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 22. November 2012, 16 U (Kart) 21/12, S. 36 f.), das auf Folgendes hinweist:
137§ 46 EnWG sieht nicht nur die Durchführung eines bestimmten Verfahrens, sondern ausdrücklich vor, dass die Wegrechte diskriminierungsfrei durch Vertrag zur Verfügung zu stellen sind. Vergabe und Abschluss des neuen Vertrags bauen aufeinander auf und sind eng miteinander gekoppelt. Insbesondere ist dem benachteiligten Unternehmen eine spätere Beteiligung nicht möglich und sind Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche ebenfalls ausgeschlossen bzw. unpraktikabel. Maßgeblich ist schließlich, dass ein aufrecht erhaltenes Folgegeschäft, wie der Abschluss des neuen Konzessionierungsvertrags, offensichtlich dem Zweck des § 46 Abs. 3 EnWG zuwiderliefe. Danach soll ein Wettbewerb um die Netze ermöglicht werden, den die Gemeinden zu veranstalten haben. Kommt es zu einer wettbewerbswidrigen Vergabe, würde, wenn der Folgevertrag mit dem neuen Betreiber aufrecht erhalten bliebe und der gesetzliche Anspruch aus § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG dennoch bestünde, der wettbewerbswidrige Zustand bis zu 20 Jahren Bestand haben. Es erscheint auch durchaus möglich, dass sich in dieser Zeit die Verhältnisse so verändert und verfestigt haben, dass eine Rückgabe der Netze an den bisherigen Eigentümer sinnvoll gar nicht mehr in Betracht kommt. Tatsächlich bliebe ohne die Nichtigkeitsannahme der Verstoß gegen die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften sanktionslos.
138Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen schließt die Nichtigkeit des Konzessionsvertrags nach Sinn und Zweck der Vorschrift auch den gesetzlichen Anspruch des Neukonzessionärs nach § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG aus. Denn die Begründung eines Überlassungsanspruchs eines unter Verstoß gegen die Vorschriften des EnWG ausgewählten Neukonzessionärs liefe ebenso wie die Wirksamkeit des neuen Konzessionsvertrags den Zielen des EnWG zuwider und könnte die erneute Durchführung eines nunmehr diskriminierungsfreien Konzessionierungsverfahrens wegen der notwendigen Rückabwicklung der Netzüberlassung erschweren.
139Dabei erscheint im Streitfall die Beigeladene auch nur eingeschränkt schutzwürdig. Denn das Argument, dass der Dritte - hier die Beigeladene – an dem rechtswidrigen Handeln der Gemeinde nicht beteiligt gewesen wäre, passt in Fällen, in denen ein am Kartell beteiligtes Unternehmen in Ausführung einer verbotenen Absprache Verträge mit Dritten schließt, ohne dass diese über die Motive und Grundlagen des Handelns des Unternehmens im Bilde sind (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 22. November 2012, 16 U (Kart) 21/12 , S. 35). Das ist hier aber – ebenso wie in dem vom OLG Schleswig entschiedenen Fall - insoweit anders, als es sich bei der Beigeladenen um ein mit der vergebenden Gemeinde – wenn auch nur im weiteren Sinne - rechtlich verbundenes Unternehmen handelt. Die Gemeinde A. ist selbst Gesellschaftsmitglied der Beigeladenen.
140d) Entgegen der Ansicht der Bundesnetzagentur ist es der Betroffenen auch nicht verwehrt, sich auf einen etwaigen Verstoß gegen §§ 19, 20 GWB, § 46 Abs. 1 und 3 EnWG zu berufen, weil sie die Auswahlkriterien und die von den Gemeinden getroffene Entscheidung nicht sogleich beanstandet hat. Denn wie vorstehend ausgeführt, dienen die Vorschriften nicht in erster Linie der Wahrung der Interessen der ausgeschlossenen Mitbewerber, sondern öffentlichen Interessen und Zielen und sind daher jederzeit zu beachten (vgl. auch insoweit OLG Schleswig, Urteil vom 22. November 2012, 16 U (Kart) 21/12, S. 36).
141Danach kommt es auch nicht darauf an, dass die Betroffene erst mit Schreiben vom . . . 2011 und vom . . . 2012 dem Bundeskartellamt das Konzessionierungsverfahren für die Stadtteile der Stadt A. zur Überprüfung aus kartellrechtlicher Sicht vorgelegt hat.
1423. Im Streitfall könnte sich die Nichtigkeit des zwischen der Betroffenen und der Beigeladenen abgeschlossenen Konzessionsvertrag aus §§ 19 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1, 20 GWB, § 46 Abs. 1 und 3 EnWG, § 134 BGB ergeben. Denn nach dem Vortrag der Betroffenen kommt ein Verstoß gegen die allgemeinen sowie die besonderen kartellrechtlichen Vorschriften des Energierechts in Betracht.
143Ob die Gemeinde A. im Rahmen des Konzessionierungsverfahrens tatsächlich gegen kartellrechtliche Vorschriften verstoßen hat, was noch aufzuklären wäre, kann jedoch offen bleiben, da der Beschluss der Bundesnetzagentur bereits aus den unter Ziff. II. und III. genannten Gründen rechtswidrig und aufzuheben ist.
144V. Umfang des Überlassungsanspruchs
145Des Weiteren hat die Bundesnetzagentur den Umfang des Überlassungsanspruchs unzutreffend beurteilt, indem sie angenommen hat, auch gemischt genutzte Leitungen seien hiervon erfasst.
146Allerdings wird die Frage, ob der neue Konzessionsnehmer auch die Überlassung von im Konzessionsgebiet gelegenen gemischt genutzten Leitungen verlangen kann, unterschiedlich beurteilt. Höchstrichterliche Rechtsprechung gibt es hierzu noch nicht. Bei Auslegung der Norm – insbesondere im Lichte des Verfassungsrechts – ergibt sich jedoch nach Auffassung des Senats, dass gemischt genutzte Leitungen von der Überlassungspflicht nicht erfasst sind.
1471. Aus dem Wortlaut des § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG, nach dem der bisherige Nutzungsberechtigte verpflichtet ist, seine für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen dem neuen Energieversorgungsunternehmen zu überlassen, kann dies allerdings nicht hergeleitet werden.
148a) Entgegen der Auffassung der Betroffenen (ebenso Jacob, Zum Umfang der Netzübergangspflicht in § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG, N & R 2011, 176, 178) ist aus der Beschränkung der Überlassungspflicht auf die „im Gemeindegebiet“ notwendigen Verteilungsanlagen nicht zu folgern, dass Anlagen, die nicht oder nicht ausschließlich für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung in einem Gebiet notwendig sind, von dieser nicht erfasst sind. Denn diese Auslegung ist nach Auffassung des Senats nicht zwingend. Vielmehr könnte die Formulierung „im Gemeindegebiet“ auch als Bezugnahme auf das von dem Konzessionsvertrag nach § 46 Abs. 2 EnWG erfasste Gebiet und als Abgrenzung zu Anlagen außerhalb des Gemeindegebiets zu verstehen sein und nicht als Beschränkung auf Anlagen, die ausschließlich diesem einem Gebiet dienen.
149b) Auch ergibt sich aus dem Kriterium der Notwendigkeit weder die Einbeziehung gemischt genutzter Anlagen in den Überlassungsanspruch noch deren Ausschluss.
150Anderer Auffassung ist zwar das OLG Frankfurt (Urteil vom 14.06.2011, 11 U 36/10 (Kart.), S. 16; im Ergebnis ebenso LG Hannover, Urteil vom 24.06.2010, 18 O 260/08, dort S. 10; LG Hannover, Teilurteil vom 22.02.2011, 18 O 383/06, Rn 55 bei juris; Theobald in Danner/Theobald, Energierecht, Band 1, 74. Erg.Lief., § 46 EnWG Rn. 31; ähnlich auch Hellermann in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2. Aufl., § 46 Rn. 74), das ausführt, bereits der Wortlaut des § 46 Abs. 2 EnWG, der nicht auf die „ausschließlich“ der Versorgung von Letztverbrauchern dienenden Anlagen abstelle, sondern von „notwendigen Verteilungsanlagen“ spreche, mache deutlich, dass die Überlassungspflicht nicht auf ausschließlich der Versorgung des Gemeindegebiets dienende Anlagen beschränkt sei, sondern auch gemischt genutzte Anlagen erfasse, die für die Versorgung notwendig seien, weil sie nicht hinweggedacht werden könnten, ohne dass der neue Versorger seiner Versorgungsaufgabe nicht mehr wie der frühere Versorger nachkommen könne.
151Dem wird jedoch entgegen gehalten, bei dieser weiten Auslegung des Begriffs der Notwendigkeit entfalte der Tatbestand des § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG keine Abgrenzungsfunktion mehr (Jacob, a.a.O.,177). Der Begriff der „notwendigen Verteilungsanlagen“ sei der entscheidende Hinweis auf eine restriktive Interpretation des § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG (Lecheler, Der Umfang der nach § 46 Abs. 2 EnWG herauszugebenden Netzanlagen beim Wechsel des Versorgers, RdE 2007, 181, 183). Der gesetzliche Überlassungsanspruch erfasse damit zweifelsfrei nicht alle Verteilungsanlagen. Wolle der neue Versorger auch die Überlassung der Verteilungsanlagen, die für den bisherigen Versorger auch andere Funktionen erfüllen als die unmittelbare Versorgung im Gemeindegebiet, so müsse er darlegen, inwiefern ohne die Überlassung auch dieser Anlagen eine Versorgung nicht möglich wäre. Das werde ihm unter dem Regime eines Anspruchs auf nicht diskriminierende Durchleitung nicht möglich sein.
152Nach Auffassung des Senats sprechen für keine der beiden Auffassungen entscheidende Argumente. Aus dem Wortlaut der Regelung lässt sich nicht entnehmen, was der Gesetzgeber mit der Aufnahme des Kriteriums der Notwendigkeit beabsichtigte.
153c) Soweit die Bundesnetzagentur den Wortlaut des § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG dadurch einschränken will, dass die Anlage unmittelbar der lokalen Versorgung dienen bzw. ein „verbindendes Glied der örtlichen Netzstruktur“ sein muss, findet sich hierfür im Gesetzeswortlaut ebenfalls keine Grundlage.
1542. Auch lässt sich aus der Gesetzessystematik nicht herleiten, ob gemischt genutzte Leitungen vom Überlassungsanspruch erfasst sind.
155a) Im Rahmen der Auslegung nach der Gesetzessystematik wird insbesondere das Verhältnis zwischen § 46 Abs. 1 und Abs. 2 EnWG herangezogen.
156Nach Auffassung des Senats (ebenso OLG Schleswig, Urteile vom 22. November 2012, 16 U(Kart) 21/12, S. 18 f. und 16 U (Kart) 22/12, S. 22 f.; Lecheler, a.a.O., S. 184; a. A. Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Auflage, § 46 Rn. 97 ff.; Hellermann in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2. Auflage, § 46 Rn. 52) stellt § 46 Abs. 1 S. 1 EnWG insoweit den Grundtatbestand für die Vergabe von Konzessionen durch die Gemeinde dar und ist nicht etwa, wie teilweise vertreten wird, eine Spezialregelung nur für einfache Wegenutzungsverträge, insbesondere für Verträge über die Errichtung und den Betrieb von sog. Direktleitungen. Vom Wortlaut fällt der Regelungsgehalt von Konzessionsverträgen ohne jede Einschränkung auch unter § 46 Abs. 1 S. 1 EnWG, weil auch mit diesen Verträgen seitens der Gemeinde Leitungsrechte für öffentliche Verkehrswege für die unmittelbare Versorgung von Letztverbrauchern im Gemeindegebiet eingeräumt werden. § 46 Abs. 2 S. 1 EnWG stellt sich danach systematisch als Sondertatbestand für Konzessionsverträge mit zeitlichen Restriktionen dar. Vom Standpunkt des EnWG wäre auch kaum verständlich, dass das Diskriminierungsverbot nur für den wettbewerbspolitisch wenig bedeutsamen Bereich der Direktleitungen geltend sollte, nicht aber für die erheblich bedeutsameren gemeindlichen Konzessionsverträge, die praktisch das gesamte deutsche Verteilnetz betreffen (OLG Schleswig, Urteile vom 22. November 2012, 16 U(Kart) 21/12, S. 19 und 16 U (Kart) 22/12, S. 23).
157Soweit jedoch aus dem Hinweis auf die „unmittelbare Versorgung“ von Letztverbrauchern im Gemeindegebiet in § 46 Abs. 1 EnWG geschlossen wird, dass dies eine Pflicht zur Überlassung gemischt genutzter Leitungen ausschließe (so beispielsweise Lecheler, a.a.O., S. 184) erscheint dem Senat dies nicht zwingend. Denn § 46 Abs. 1 EnWG spricht gerade nicht von ausschließlich der unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern im Gemeindegebiet dienenden Leitungen. Auch gemischt genutzte Leitungen können aber der unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern im Gemeindegebiet dienen. Dies ist gerade im Streitfall so, in dem an den streitigen gemischt genutzten Leitungen auch Direktanschlüsse von Letztverbrauchern im Gebiet der Gemeinde A. liegen.
158b) Auch erlauben die Vorschriften der §§ 17 und 11 EnWG keinen Rückschluss auf den Umfang der Überlassungspflicht nach § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG.
159Zwar leitet Jacob (a.a.O., S. 179) aus der allgemeinen Anschlusspflicht für die Betreiber von Energieversorgungsnetzen in § 17 EnWG eine Dauerverpflichtung her, einen einmal hergestellten Netzanschluss im Rahmen der wirtschaftlichen Zumutbarkeit aufrechtzuerhalten. Dies schließe es aus, bestehende Netzanschlüsse später einfach „abzuklemmen“ oder durch Veräußerung der zur Versorgung dieser Netzanschlüsse erforderlichen Verteilungsanlagen den bestehenden Netzanschluss qualitativ zu entwerten. Auch ergebe sich aus § 11 EnWG, dass Leitungen oder Umspannwerke, die bezogen auf bestimmte Regionen zu Redundanz- bzw. Reservezwecken vorgehalten würden, nicht beliebig abgebaut oder an Dritte veräußert werden könnten.
160Dieser Folgerung ist jedoch nicht zuzustimmen. Die allgemeinen Pflichten des Netzbetreibers nach §§ 17 und 11 EnWG können einen etwaigen Überlassungsanspruch nicht beschränken. Vielmehr gehen die Pflichten des alten Netzbetreibers mit der Netzüberlassung insoweit auf den neuen Energieversorger über.
1613. Die Gesetzeshistorie gibt ebenfalls keinen Aufschluss über den Umfang des Überlassungsanspruchs.
162Im Rahmen der historischen Rechtsprechung wird die Entwicklung des Regelungswerks in §§ 103, 103a GWB und § 13 EnWG 1998 bzw. § 46 EnWG 2005 herangezogen.
163Das OLG Frankfurt (Urteil vom 11.02.1997, 11 U (Kart) 38/96, NJWE-WettbR 1997, S. 135, 140 f.) hatte sich zur Rechtslage vor Inkrafttreten des EnWG (1998) gegen einen Anspruch auf Überlassung gemischt genutzter Leitungen ausgesprochen. Es hatte ausgeführt, das neue Energieversorgungsunternehmen sei nur befugt, die Anlagen abzulösen, die ausschließlich der Versorgung der Letztverbraucher in ihrem Gemeindegebiet gewidmet seien. Diese Begrenzung folge aus der Regelung über die Freistellung der Konzessionsverträge insbesondere vom Kartellverbot (§ 1 GWB) in § 103 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Für die mittelbare Versorgung und damit auch für die „unechte Durchleitung" ohne Abgabe von Energie an Abnehmer im Gemeindegebiet finde aber § 103 Abs. 1 Nr. 2 GWB keine Anwendung. Daher folge aus §§ 1 Abs. 1, 103a Abs. 4 GWB auch nur die Unwirksamkeit der Konzessionsverträge, die auf die "unmittelbare öffentliche Versorgung von Letztverbrauchern im Gebiet der Gebietskörperschaft" gerichtet seien, womit auch nur im Umfang der entsprechenden Versorgungseinrichtungen eine Grundlage für die Übernahme durch den neuen Energieversorger bestehe. Anlagen, die daneben zumindest auch der Durchleitung elektrischer Energie zur Versorgung anderer Gebiete dienten, könnten dem alten Energieversorgungsunternehmen wegen dieses weitergehenden Zwecks nicht entzogen werden.
164Teilweise wird eine Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf das neue Recht angenommen. Nach dem Landgericht Frankfurt (Urteil vom 28.05.2010, 3/12 O 114/09, Rn. 77 bei juris; im Ergebnis ebenso Lecheler, a.a.O., S. 183 f., Jacob, a.a.O., 179) besteht eine konzessionsvertragliche Rechtstradition, dass sich die konzessionsvertragliche Übereignungspflicht nur auf solche Anlagen bezog, die ausschließlich der Verteilung der elektrischen Energie im Gemeindegebiet dienten. Die Gesetzesmaterialien zur Vorgängerregelung des § 13 Abs. 2 Satz 2 EnWG 1998 gäben keine Anhaltspunkt dafür her, das über das bisherige Rechtsverständnis hinaus die Überlassungspflicht des bisher versorgenden Unternehmens (so die Formulierung des § 13 Abs. 2 Satz 2 EnWG 1998) dahin erweitert werden sollte, dass dem neuen Energieversorgungsunternehmen auch solche Netzanlagen zu überlassen seien, die zwar auch der Versorgung des Gemeindegebiets dienen, aber nicht ausschließlich, sondern zur Versorgung von Netzkunden außerhalb des Gemeindegebiets benötigt würden.
165Allerdings wurde das letztgenannte Urteil durch das OLG Frankfurt (Urteil vom 14.06.2011, 11 U 36/10 (Kart.)) aufgehoben, in welchem ausgeführt wird, die Neufassungen der §§ 13 Abs. 2 EnWG (1998) und 46 Abs. 2 EnWG (2005) sprächen dafür, dass auch multifunktionale Leitungen auf den neuen Netzbetreiber zu übertragen seien, wenn aus ihnen unmittelbar Letztverbraucher im Gemeindegebiet versorgt würden. Die Neuschaffung eines gesetzliche Überlassungsanspruchs und vor allem der mit dem EnWG 1998 geschaffene völlig neue, am Wettbewerbsprinzip orientierte Ordnungsrahmen ständen einer unbesehenen Übernahme der älteren Rechtsprechung entgegen.
166Dem Urteil des OLG Frankfurt dürfte insoweit zuzustimmen sein, als aufgrund des mit dem EnWG 1998 veränderten Ordnungsrahmens die Gesetzeshistorie nicht für den Ausschluss gemischt genutzter Leitungen von der Überlassungspflicht spricht. Andererseits kann aus ihr aber auch nicht hergeleitet werden, dass gemischt genutzte Leitungen im Gegensatz zur alten Gesetzeslage erfasst sein sollen. Hinweise für diese Ansicht ergeben sich aus den jeweiligen Gesetzgebungsverfahren jedenfalls nicht.
1674. Schließlich führt auch die teleologische, vornehmlich an den Wettbewerbszwecken des EnWG orientierte Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis.
168Das OLG Frankfurt (Urteil vom 14.06.2011, 11 U 36/10 (Kart.), S. 17; ähnlich LG Hannover, Urteil vom 24.06.2010, 18 O 260/08, dort S. 10) ist der Ansicht, der gesetzlichen Regelung sei für diese Situation eine Vorgabe zugunsten des Neukonzessionärs zu entnehmen. Der Begriff der notwendigen Anlagen sei wegen des Gesetzeszwecks, einen effektiven Wettbewerb um das örtliche Verteilnetz zu sichern, grundsätzlich weit auszulegen. Für ein weitgehendes Überlassungsrecht des neuen Konzessionärs spreche neben der Vermeidung einer Zersplitterung der Ortsnetze auch, dass ein grundsätzlicher Verbleib der multifunktionalen Anlagen bei dem Altkonzessionär zu einem Ewigkeitsrecht bezüglich der Anlagen führe, die sich auf dem Gebiet einer Gemeinde befänden, aber der Versorgung mehrerer Gemeinden dienten.
169Dagegen führt die Betroffene an, die Bundesnetzagentur orientiere sich einseitig nur am Wettbewerb um Netze. Der Gesetzgeber habe jedoch auch Wettbewerb im Netz mittels Direktanschlüssen oder Direktleitungsbau fördern wollen. Zudem habe das neue Energieversorgungsunternehmen gemäß § 20 EnWG einen umfassenden Durchleitungsanspruch gegen den bisherigen Betreiber in Bezug auf die gemischt genutzten Anlagen, so dass es auf eine Überlassung für die Erfüllung der Pflichten aus dem Konzessionsvertrag nicht mehr ankomme („Bedeutungsverlust der Norm“). Der Regionalnetzbetreiber habe ein ebenso schutzwürdiges Interesse an einem zusammenhängenden Netz wie der Ortsnetzbetreiber.
170Diese Ansicht entspricht verschiedenen Stimmen in der Literatur. Berücksichtige man, dass es bei dem Konzessionsvertrag nach § 46 EnWG lediglich um die Sicherstellung des Betriebs des Netzes des allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet gehe und der bisherige Netzbetreiber den Betrieb von Transportleitungen und Leitungen zu Letztverbrauchern in anderen Gemeindegebieten in der Regel fortsetzen wolle, könne sich die Überlassungspflicht lediglich auf die ausschließlich der Versorgung von im Gemeindegebiet ansässigen Letztverbrauchern dienenden Anlagen beziehen (Säcker/Wegner, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2. Auflage, Band 1, § 46 EnWG Rn. 62 unter Verweis auf Böwing in Böwing/Röhling/Salje/Scholz, Stromwirtschaft, 2. Aufl., Kap. 13 Rn. 28 ff.).
171Nach einer anderen Ansicht widerspricht eine Überlassungspflicht bezüglich gemischt genutzter Leitungen sogar dem Wettbewerbszweck des EnWG. So verstärke eine Verschärfung der Überlassungspflicht gegenüber der Rechtslage vor Inkrafttreten des EnWG 1998 das faktische Monopol in der Hand des neuen Netzbetreibers, was nicht in die den Wettbewerb fördernde Zielsetzung des § 46 EnWG passe (Lecheler, a.a.O., S. 184; Jakob, a.a.O., S. 179 f.).
172Dem Senat erscheint auch insoweit keine der dargestellten Ansichten zwingend. Zwar wird zutreffend darauf hingewiesen, dass das EnWG den Wettbewerb um die örtlichen Verteilnetze fördern will und der Anreiz zur Übernahme dieser Verteilnetze auch durch die Möglichkeit der Übernahme der im Gemeindegebiet liegenden Mittelspannungsleitungen bestimmt wird. Andererseits könnte die Überlassung dieser Leitungen an die jeweils örtlichen Netzbetreiber mit der Folge einer Zersplitterung des bestehenden Mittelspannungsnetzes aufgrund der notwendigen Entflechtung mit erheblichen Folgekosten einhergehen, was wiederum dem Ziel des § 1 EnWG, eine möglichst preisgünstige Versorgung der Allgemeinheit sicherzustellen, widerspräche. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Kriteriums der Versorgungssicherheit. Während die Versorgung eines Gemeindegebiets durch den dortigen Betreiber am besten durch ein zusammenhängendes örtliches Verteilnetz sichergestellt und gesteuert werden kann, bestehen im Falle eines zusammenhängenden überregionalen Mittelspannungsnetzes in der Hand eines Betreibers bessere Steuerungsmöglichkeiten dieses Netzbetreibers im Hinblick auf die Sicherheit der überörtlichen Versorgung.
1735. Eine Beschränkung des Überlassungsanspruchs ergibt sich jedoch aus der gebotenen verfassungskonformen Auslegung im Lichte des Art. 14 GG.
174Der Senat folgt insoweit der Auffassung des LG Frankfurt (Urteil vom 28.05.2010, 3/12 O 114/09, Rn. 77 bei juris, allerdings aufgehoben durch das OLG Frankfurt, Urteil vom 14.06.2011, 11 U 36/10), das Folgendes ausgeführt hat:
175„Während schon durch die Überlassungspflicht hinsichtlich solcher Netzanlagen, die ausschließlich der Verteilung im Gemeindegebiet dienen, in erheblichem Maß in die Grundrechtsposition "Eigentum" (Art. 14 Abs. 1 GG) des bisher Nutzungsberechtigten eingegriffen wird, wäre dies bei der Verpflichtung zur Überlassung auch der gemischt-genutzten Mittelspannungsverteilungsleitungen und –anlagen – beschränkt auf das Gemeindegebiet – in noch größerem Maße der Fall. Im Hinblick hierauf ist die restriktive Handhabung des § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG geboten und es müsste, um die Überlassungsverpflichtung auch in diesem erweiterten Sinne bejahen zu können, zweifelsfrei feststehen, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung, der bisher Nutzungsberechtigte sei verpflichtet, seine für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet „notwendigen" Verteilungsanlagen dem neuen Energieversorgungsunternehmen zu überlassen, auch die multifunktionalen Leitungen und Anlagen als erfasst ansehen wollte. Dies ist zu verneinen.“
176Dieser Meinung ist zuzustimmen. Auch wenn § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG bei dem Netzbetreiber nicht unmittelbar zu einem Eigentums- oder Besitzverlust führt, sondern ihm lediglich eine schuldrechtliche Verpflichtung für die Aufgabe des Eigentums und/oder des Besitzes zu einem bestimmten Zeitpunkt auferlegt, betrifft diese Verpflichtung konkret bestimmbare Eigentumsgegenstände und damit die Nutzung und gegebenenfalls den Bestand des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG (Papier/Schröder, Wirtschaftlich angemessene Vergütung für Netzanlagen, RdE 2012, 125, 127; ähnlich Lecheler, a.a.O., S. 185 f. und Jacob, a.a.O., S. 180 ). Bei einem solchen Eingriff in eine grundrechtsrelevante Position ist die Frage, ob die Interessen des bisherigen Eigentümers oder die des Neukonzessionärs Vorrang haben, eindeutig zugunsten des Eigentümers zu beantworten. Leitungen, die sowohl der örtlichen Versorgung als auch der überörtlichen Versorgung dienen, haben in diesem Fall im Netzverbund der überörtlichen Netzbetreibers zu bleiben. Dies gilt zumindest dann, wenn es an einer eindeutigen und hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage für den diesbezüglichen Grundrechtseingriff fehlt.
177Das mag dazu führen, dass der örtliche Verteilernetzbetreiber das Netz nicht so effizient betreiben kann, wie dies nach den Vorstellungen des EnWG-Gesetzgebers der Fall sein sollte. Das bedeutet aber nicht, dass diese möglichen Probleme bei der effizienten Leistungserbringung im Sinne des § 1 EnWG auf den überörtlichen Netzbetreiber verlagert werden könnten, um vor Ort einen möglichst effizienten Netzbetrieb zu ermöglichen. Ein solcher Wertungsvorrang des gewünschten Wettbewerbs um das örtliche Verteilernetz scheitert an der grundrechtlich geschützten Position des überörtlichen Netzbetreibers. Sein Interesse, ein einheitliches und damit effizientes Netz betreiben zu können, hat im Streitfall den Vorrang. Wenn das Bestreben, das örtliche Verteilernetz zu übernehmen, dazu führt, dass „Netzfragmente“ entstehen, wie die Beschlusskammer ausführt, dann besteht diese Gefahr ebenso für das überörtliche Netz.
178Aus welchem Grund der überörtliche Netzbetreiber gezwungen sein sollte, unter Umständen Parallelleitungen zu schaffen, um ein zuverlässiges und effizientes Netz betreiben zu können, ist nicht ersichtlich. Abgesehen von den ineffizienten Kosten der Ersatzleitungen wäre es auch keineswegs gesichert, dass er hierzu auf dem Gemeindegebiet berechtigt wäre, denn bei den Durchgangsleitungen würde es sich jedenfalls nicht um Direktleitungen im Sinne des § 46 Abs. 1 EnWG handeln. Der Wettbewerb um Endkunden durch Direktleitungen im Sinne des § 46 Abs. 1 EnWG ist im Übrigen entgegen der Auffassung der Beschlusskammer, die dem örtlichen Verteilernetzbetreiber „attraktive Netzanschlusskunden“ sichern möchte, gerade gewünscht.
179Der rechtliche Ansatz, dass dem örtlichen Verteilernetzbetreiber auch die gemischt genutzten Leitungen zu übertragen sind, hätte auch zur Voraussetzung, dass die Frage geprüft wird, ob der überörtliche Netzbetreiber sein Netz zuverlässig betreiben kann, wenn er auf die Durchleitung durch andere Netze angewiesen ist, wogegen Vieles spricht.
180Im Lichte der gebotenen verfassungskonformen Auslegung stellt sich daher die von der Bundesnetzagentur angeordnete Pflicht zur Übertragung sämtlicher gemischt genutzter Leitungen als rechtswidrig dar.
181VI. Bestimmung einer angemessenen Vergütung
182Schließlich ist auch die von der Bundesnetzagentur angeordnete Überlassung gegen Zahlung einer angemessenen Vergütung rechtlich unzulässig.
1831. Die Zulässigkeit dieser Anordnung ergibt sich entgegen der Ansicht der Bundesnetzagentur nicht aus der von ihr zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 07.02.2006, KZR 24/04).
184Die Beschlusskammer führt insoweit aus, mit Auslaufen des Konzessionsvertrags könne die Betroffene die Netzübergabe jedenfalls nicht verweigern, wenn die Beigeladene eine Zahlung unter Vorbehalt anbiete. Damit der Streit über die Vergütung der Netzüberlassung nicht zu einer weiteren erheblichen Verzögerung der Verhandlungen führe, habe der Bundesgerichtshof anerkannt, dass der Erwerber des Netzes den Vertrag unter dem Vorbehalt schließen könne, die Angemessenheit der Vergütung gerichtlich überprüfen zu lassen, ohne dass der Vertrag dadurch unwirksam werde.
185Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist aber nicht in diesem Sinne zu verstehen. Der Bundesgerichtshof hat mit der von der Bundesnetzagentur zitierten Entscheidung lediglich zum Ausdruck gebracht, dass ein Kaufvertrag dann zu dem vom Verkäufer geforderten Kaufpreis – unter Vorbehalt – wirksam zustande kommt, wenn sich der Käufer, obwohl er den geforderten Kaufpreis für überhöht hält, den Preisvorstellungen des Verkäufers beugt, um das Zustandekommen des Kaufs nicht zu gefährden und sich vertraglich vorbehält, die Angemessenheit des Kaufpreises gerichtlich überprüfen zu lassen und das zuviel Gezahlte zurückzufordern.
186Im Streitfall liegt jedoch keine Einigung der Betroffenen und der Beigeladenen vor, dass in dieser Weise verfahren werden soll. Die Betroffene und die Beigeladene haben sich weder über die Leistung noch die Gegenleistung, ob nun Kaufpreis oder Pacht, für die zu überlassenden Anlagen geeinigt.
1872. Abgesehen von der fehlenden Einigung der Betroffenen und der Beigeladenen über die zu erbringende Gegenleistung wäre die Anordnung der Bundesnetzagentur auch wegen ihrer Unbestimmtheit aufzuheben. Denn die Verpflichtung, eine „wirtschaftlich angemessene Vergütung“ zu entrichten, ist nicht vollstreckbar.
188§ 94 S. 1 EnWG stellt klar, dass die Regulierungsbehörden ihre Entscheidungen nach den für die Vollstreckung von Verwaltungsakten geltenden Vorschriften durchsetzen können. Dies ist im Fall der Bundesnetzagentur das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes. Voraussetzung für die Vollstreckung nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz ist nach § 6 Abs. 1 VwVG ein vollziehbarer Verwaltungsakt.
189Einem auf den Abschluss eines Vertrags gerichteten Titel fehlt jedoch die für die Vollstreckung erforderliche Bestimmtheit, wenn die für die Leistung des einen Teils vorgesehene Gegenleistung in dem Titel nicht bestimmt ist (BVerfG, Beschluss vom 13.03.1997, 1 BvR 116/97). Zumindest muss die Gegenleistung so bestimmbar sein, dass die gemäß § 7 Abs. 1 VwVG zuständige Vollzugsbehörde, also hier die Bundesnetzagentur selbst, ohne Weiteres entscheiden kann, ob der Schuldner nur noch zuzugreifen braucht, um die Gegenleistung zu erhalten (vgl. zur Zwangsvollstreckung im Geltungsbereich der ZPO Zöller/Stöber, ZPO, 29. Auflage, § 756 Rn. 3 m.w.N.).
190Im Streitfall ist die Gegenleistung aber weder ausdrücklich bestimmt noch durch die Bundesnetzagentur ohne Weiteres bestimmbar. Dies zeigen bereits die Ausführungen der Bundesnetzagentur im angefochtenen Beschluss, dort S. 21, zu den möglichen Berechnungsmethoden (Sachzeitwertverfahren oder Ertragswertverfahren).
191C.
1921. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 S. 1 EnWG. Da die Beschwerde Erfolg hat, entspricht es der Billigkeit, dass die Bundesnetzagentur die Gerichtskosten zu tragen und der Betroffenen die entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten hat. Die Beigeladene hat die ihr entstandenen Kosten selbst zu tragen.
1932. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Beschwerdeverfahren, der den übereinstimmenden Angaben der Parteien in der Senatssitzung vom 24. Oktober 2012 entspricht, beruht auf § 50 Abs. 1 Nr. 2 GKG, § 3 ZPO.
194D.
195Der Senat hat die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof gegen diese Entscheidung zugelassen, weil die streitgegenständlichen Fragen grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 86 Abs. 2 Nr. 1 EnWG haben und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs entsprechend § 86 Abs. 2 Nr. 2 EnWG erfordert.
196Rechtsmittelbelehrung:
197Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht (§§ 546, 547 ZPO). Sie ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung. Die Rechtsbeschwerde ist durch einen bei dem Beschwerdegericht oder Rechtsbeschwerdegericht (Bundesgerichtshof) einzureichenden Schriftsatz binnen eines Monats zu begründen. Die Frist beginnt mit der Einlegung der Beschwerde und kann auf Antrag von dem oder der Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Rechtsbeschwerdeschrift und -begründung müssen durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Für die Regulierungsbehörde besteht kein Anwaltszwang; sie kann sich im Rechtsbeschwerdeverfahren durch ein Mitglied der Behörde vertreten lassen (§§ 88 Abs. 4 S. 2, 80 S. 2 EnWG).