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Die Sache wird an das Oberlandesgericht Hamm abgegeben.
I.
3Die Klägerin ist ein örtliches Energieversorgungsunternehmen. Sie nimmt den Beklagten mit einem Betrag von 2.019,40 € auf Zahlung restlichen Entgelts für bezogenes Erdgas im Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 31.12.2008 in Anspruch.
4Das Amtsgericht Warendorf hat die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.
5Mit Beschluss vom 29. Juni 2010 (GA 841 ff.) hat sich die angerufene Berufungszivilkammer des Landgerichts Münster für sachlich unzuständig erklärt und den Berufungsrechtsstreit an die Kartellkammer des Landgerichts Dortmund verwiesen.
6Das Landgericht Dortmund hat sich mit Beschluss vom 24. Februar 2011 (GA 885 ff.) für funktionell und örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt. Es hat in diesem Zusammenhang angenommen, dass die Kartellgerichte auch bei der Zuständigkeitsbestimmung in analoger Anwendung der §§ 102 Abs. 1, 106 Abs. 1 EnWG eine § 36 Abs. 1 und 2 ZPO verdrängende Sonderzuständigkeit besitzen.
7II.
8Die Sache war an das Oberlandesgericht Hamm abzugeben. Ihm obliegt gemäß § 36 ZPO die Bestimmung des zuständigen Berufungsgerichts.
91. Nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO wird, wenn sich verschiedene Gerichte für unzuständig erklärt haben, das zuständige Gericht durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt. Im Entscheidungsfall obliegt die Zuständigkeitsbestimmung damit dem Oberlandesgericht Hamm. Es ist das höhere gemeinschaftliche Gericht der Landgerichte Münster und Dortmund. Beide Gerichte gehören zum Oberlandesgerichtsbezirk Hamm.
102. Unerheblich ist, dass das um Zuständigkeitsbestimmung bittende Landgericht Dortmund als Kartellzivilgericht an dem vorliegenden Kompetenzkonflikt beteiligt ist (vgl. dazu: Senatsbeschluss v. 12.5.2010 – VI-W(Kart) 2/10). Selbst wenn man berücksichtigt, dass nach § 92 Abs. 1 GWB i.V.m. §§ 1 und 2 der Kartellsachen-Konzentrations-VO vom 27.9.2005 (GV NW S. 820) Rechtsmittelgericht für Kartellentscheidungen des Landgerichts Dortmund nicht das Oberlandesgericht Hamm, sondern das Oberlandesgericht Düsseldorf ist, bleibt es bei der Bestimmungskompetenz des Oberlandesgerichts Hamm. Sie ergibt sich in diesem Fall aus § 36 Abs. 2 ZPO. Danach wird - wenn das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof ist - das zuständige Gericht von demjenigen Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört. Das ist das Oberlandesgericht Hamm, weil das erstinstanzliche Urteil vom Amtsgericht Warendorf gefällt worden ist.
113. Eine § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO und § 36 Abs. 2 ZPO verdrängende Sonderzuständigkeit der Kartellgerichte besteht nicht. Sie wird zwar (ohne nähere Begründung) von einigen Oberlandesgerichten in analoger Anwendung der §§ 87 Satz 1, 91 GWB bzw. §§ 102 Abs. 1, 106 Abs. 1 EnWG befürwortet (OLG Celle, ZNER 2011, 67; OLG Celle, Beschl. v. 1.6.2010 – 13 AR 2/10; OLG München, WuW/E DE-R 2654 – Passauer Gasrechnung). Dem vermag sich der Senat aber nicht anzuschließen. Die Voraussetzungen für eine Analogie liegen nicht vor.
12a) Die Analogie setzt voraus, dass das Gesetz eine planwidrige (bewusste oder unbewusste) Regelungslücke enthält (zuletzt: BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09) und die im Gesetz für einzelne Tatbestände vorgesehene Regel auf einen anderen, aber rechtsähnlichen Tatbestand übertragen werden kann. Bei der Einzelanalogie wird die Rechtsfolge einer Norm auf einen vergleichbaren Fall übertragen (vgl. BGH, BGHZ 105, 140, 143), bei der Rechtsanalogie wird aus mehreren Rechtssätzen ein übergeordnetes Prinzip herausgearbeitet und dieses sodann auf ähnlich gelagerte Fälle angewendet.
13b) Vorliegend fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Das Gesetz regelt in § 36 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 ZPO, durch welches Gericht im Falle eines negativen Kompetenzkonfliktes auf der Ebene der Amts- und Landgerichte das zuständige Gericht zu bestimmen ist. Die Regelung ist erschöpfend und abschließend. § 36 Abs. 1 Nr. 6 GWB legt für die ordentlichen Gerichte in sämtlichen Verfahren nach der Zivilprozessordnung (vgl. Vollkommer in Zöller, Zivilprozessordnung, 28. Aufl., § 36 Rdnr. 23) fest, dass das zur Entscheidung berufene Gericht im Ausgangspunkt durch das nächst höhere gemeinsame Gericht bestimmt wird. Dementsprechend besitzt das Landgericht für die Amtsgerichte seines Bezirks und das Oberlandesgericht für die Landgerichte seines Bezirks die Bestimmungskompetenz. Sind an dem negativen Kompetenzkonflikt Amts- oder Landgerichte aus unterschiedlichen Oberlandesgerichtsbezirken beteiligt, so dass das höhere gemeinsame Gericht der Bundesgerichtshof ist, gilt nach § 36 Abs. 2 ZPO das Prioritätsprinzip. Die Zuständigkeitsbestimmung obliegt in diesen Fällen demjenigen Oberlandesgericht, dessen Gericht zuerst mit der Sache befasst war. In der Gesamtschau ist damit für alle denkbaren Fallgestaltungen eines negativen Kompetenzkonflikts zwischen Amts- und/oder Landgerichten das zur Zuständigkeitsbestimmung berufene Gericht gesetzlich festgelegt. Eine verbleibende Regelungslücke ist nicht zu erkennen.
14Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass die Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO in Fallgestaltungen der vorliegenden Art, bei denen der negative Kompetenzkonflikt durch die Frage ausgelöst worden ist, ob es sich bei dem Rechtsstreit um eine Kartellstreitsache im Sinne von § 87 GWB oder um eine Energiewirtschaftssache im Sinne von § 102 EnWG handelt, den Intentionen des Gesetzgebers widerspricht (vgl. BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09). Dieser hat im Gegenteil in § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO einheitlich für alle der Zivilprozessordnung unterliegende Verfahren das zur Zuständigkeitsbestimmung in einem negativen Kompetenzkonflikt auf der Ebene der Amts- und Landgerichte berufene Gericht festgelegt. Die zitierte Vorschrift gilt dementsprechend nicht nur für alle Klageverfahren, sondern kommt gleichermaßen auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, in Vollstreckungsverfahren, in Wohnungseigentums-Streitsachen, im Prozesskostenhilfe- und Mahnverfahren sowie im Insolvenzverfahren zur Anwendung (vgl. Vollkommer, a.a.O. § 36 Rdnr. 2 m.w.N.). Nichts spricht dafür, dass der Gesetzgeber gleichwohl negative Kompetenzkonflikte, denen die Einordnung des Rechtsstreits als Zivil- oder Kartellsache zugrunde liegt, anders behandelt wissen will, diese also dem Geltungsbereich des § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO entzogen sein sollen und eine verdrängende Entscheidungskompetenz der Kartellgerichte bestehen soll. § 87 GWB und § 102 EnWG verschaffen den Kartellgerichten nur die ausschließliche Zuständigkeit für die materiell-rechtliche Entscheidung eines kartell- bzw. energiewirtschaftsrechtlichen Prozesses. Die Prüfung und Entscheidung der vorgelagerten Frage, ob im Einzelfall eine kartell- oder energiewirtschaftsrechtliche Streitsache vorliegt, ist demgegenüber nicht den Kartellgerichten vorbehalten. Nach allgemeinen Grundsätzen hat vielmehr das jeweils angerufene Gericht - sei es ein Kartellgericht oder ein Nichtkartellgericht - in eigener Verantwortung zu beurteilen, ob die Voraussetzungen des § 87 GWB oder des § 102 Abs. 1 EnWG erfüllt sind. Kommt das Nichtkartellgericht zu dem Ergebnis, dass weder aus Kartellrecht oder Energiewirtschaftsrecht geklagt wird (§ 87 Satz 1 GWB, § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG) noch die Entscheidung des Rechtsstreits von der Beantwortung einer kartellrechtlichen oder energiewirtschaftsrechtlichen Frage abhängt (§ 87 Satz 2 GWB, § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG), hat es den Prozess zu entscheiden. Das gilt auch dann, wenn tatsächlich eine Kartell- oder Energiewirtschaftssache vorliegt. Wegen § 513 ZPO kann in einem solchen Fall die fehlende sachliche Zuständigkeit auch nicht im Berufungsverfahren gerügt werden (Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht GWB, 4. Aufl., § 87 Rdnr. 54; Bornkamm in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 1, 11. Aufl.,§ 95 Rdnr. 3; Bumiller in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl., § 60 Rdnr. 12; a.A. Bechtold, GWB, 6. Aufl., § 87 Rdnr. 11). Bejaht umgekehrt das Nichtkartellgericht eine Kartellstreitsache, weil es beispielsweise eine kartellrechtliche Frage für entscheidungserheblich erachtet, verliert es seine Zuständigkeit und muss den Rechtsstreit auf entsprechenden Klägerantrag an das zuständige Kartellgericht verweisen. Das Kartellgericht ist - von den Fällen einer willkürlichen oder haltlosen Verweisung abgesehen - an diese Verweisung gebunden, und zwar auch dann, wenn richtigerweise keine Kartellsache vorliegt (vgl. zu Allem: Karsten Schmidt a.a.O. § 87 Rdnr. 5; Bechtold, a.a.O. § 87 Rdnr. 3, 11; Bornkamm a.a.O. § 87 Rdnr. 23; Bumiller a.a.O. § 60 Rdnr. 12; Dicks in Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl., § 87 Rdnr. 29). Diese Erwägungen zeigen, dass dem Gesetz eine ausschließliche Entscheidungsbefugnis der Kartellgerichte in Bezug auf die Qualifizierung eines Rechtsstreits als Kartell- oder Nichtkartellstreitsache bzw. als Energiewirtschafts- oder Nichtenergiewirtschaftssache fremd ist. Dann besteht aber auch kein Anlass, den Kartellgerichten in den Verfahren zur Entscheidung über einen negativen Kompetenzkonflikt eine § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO verdrängende ausschließliche Entscheidungskompetenz analog § 87 GWB, § 102 Abs. 1 EnWG einzuräumen.
15b) Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass es sich bei der Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO nicht um eine mit § 87 GWB und § 102 Abs. 1 EnWG vergleichbare, rechtsähnliche Fallgestaltung handelt, die eine analoge Anwendung rechtfertigen kann. Nach der Konzeption des Gesetzes geht es vielmehr um grundverschiedene Sachverhalte. § 87 GWB und § 102 Abs. 1 EnWG verweisen ausschließlich die materiell-rechtliche Entscheidung der Kartell- oder Energiewirtschaftssache in die alleinige Zuständigkeit der Kartellgerichte. Die vorgeschaltete Frage, ob im Einzelfall eine Kartell- oder Energiewirtschaftssache vorliegt, fällt demgegenüber in die Entscheidungskompetenz des jeweils angerufenen (Kartell- oder Nichtkartell-)Gerichts. Das Gesetz kennt insoweit also eine ausschließliche Prüfungs- und Entscheidungskompetenz der Kartellgerichte nicht. Sie kann deshalb auch nicht über eine Analogie zu § 87 GWB und § 102 Abs. 1 EnWG begründet werden.