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Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 10. Kammer für Handels-sachen des Landgerichts Dortmund vom 23. Oktober 2009 teilweise abgeän-dert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1.
Das Netznutzungsentgelt einschließlich der Mess- und Verrechnungsentgelte für die Nutzung des Stromversorgungsnetzes der Beklagten durch die frühere L... GmbH & Co. KG zur Energieversorgung ihrer Kunden, die sie vom 01. Januar 2005 bis zum 28. Oktober 2005 im Netzgebiet der Beklagten angemeldet und versorgt hat, einschließlich der Nutzung vorgelagerter Netze, soweit berechnet und übergewälzt, wird auf
9.224,76 € brutto
festgesetzt.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, 2.306,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent-punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Januar 2009 an die L... AG zu zahlen.
3.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin zu 17 % und die Beklagte zu 83 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 58 % und die Beklagte zu 42 %.
5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beitreibbaren Betrages ab-wenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
6.
Die Revision wird für die Klägerin zugelassen, soweit der Senat den geltend gemachten Anspruch für den Zeitraum 29. Oktober 2005 bis 31. Dezember 2005 abgewiesen hat.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I.
3Die Beklagte gestattete aufgrund eines Rahmenvertrages vom 16./20. November 2000 der damals noch als L... GmbH & Co. KG firmierenden Klägerin die Netzdurchleitung gegen Entgelt in Höhe der jeweils einschlägigen Preisblätter. Die Klägerin hat bei Unterzeichnung sowie zumindest in den Jahren 2004 und 2005 Vorbehalte gegen die Höhe der verlangten Durchleitungsentgelte erhoben.
4Die Klägerin verlangt Rückzahlung der ihrer Ansicht nach überhöhten Durchleitungsentgelte für das Jahr 2005. Sie erbrachte in diesem Jahr Zahlungen in Höhe von 9.542,88 € netto. Sie hat zunächst die Bestimmung des billigen Netznutzungsentgelts für das Jahr 2005 und Rückzahlung der Differenz zu den gezahlten 9.542,88 Euro netto zuzüglich Mehrwertsteuer und gesetzlicher Rechtshängigkeitszinsen verlangt, wobei sie von einer Überhöhung von 30 % ausgegangen ist. Im Verlaufe des Rechtsstreits ist die Klägerin umfirmiert und das Geschäftsfeld einschließlich der streitigen Forderung an die L... AG übertragen worden. Die Klägerin hat zudem die Auffassung vertreten, die Beklagte habe keine aussagekräftigen Zahlen zur Bestimmung des billigen Entgelts vorgelegt, sie könne daher Rückzahlung der vollständigen Summe an die L... AG verlangen. Sie hat beantragt,
51. das billige Netzentgelt einschließlich der Mess- und Verrechnungsentgelte für die Nutzung des Stromversorgungsnetzes der Beklagten durch die ehemalige L... GmbH & Co. KG zur Energieversorgung ihrer Kunden, die sie im Jahr 2005 im Netzgebiet der Beklagten angemeldet und versorgt hat, einschließlich der Nutzung der vorgelagerten Netze, soweit berechnet bzw. übergewälzt, zu bestimmen, sowie
62. die Beklagte zu verurteilen, die Differenz zwischen den ausweislich der Auflistung K 1 tatsächlich für die Netznutzung im Jahr 2005 gezahlten Entgelten in einer Gesamthöhe von 9.542,88 € und dem vom Gericht für die Netznutzung im Jahr 2005 bestimmten billigen Entgelt zzgl. Umsatzsteuer und Rechtshängigkeitszinsen an die L... zu zahlen,
73. hilfsweise zu 2., die Beklagte zu verurteilen, an die L... AG die für die Netznutzung im Jahr 2005 insgesamt gezahlten Entgelte in Höhe von 9.542,88 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
8Die Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Sie hat geltend gemacht, hilfsweise sei eine Schätzung des billigen Entgeltes vorzunehmen, das nicht 0,00 € betragen könne. Zudem sei nach der Rechtsprechung des BGH eine Rückzahlung überhöhter Durchleitungsentgelte für den Zeitraum ab dem 29. Oktober 2005 ausgeschlossen.
11Das Landgericht hat in Anlehnung an das Urteil des Senats vom 26.11.2008 (VI-2 U (Kart) 12/07) das Entgelt auf 0,00 € festgesetzt und die Beklagte zur Zahlung von 9.542,88 Euro netto zuzüglich MWSt. nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz an die L... AG seit Rechtshängigkeit verurteilt.
12Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie meint, nach Ausgliederung auf die L... AG sei die Klägerin nicht aktivlegitimiert. Die Schätzung des billigen Entgelts auf 0,00 € sei unzulässig; entsprechend der Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte könne eine Schätzung anhand der Festsetzungen der Bundesnetzagentur erfolgen. Jedenfalls für den Zeitpunkt ab dem 29. Oktober 2005 könne sie nicht zur Zurückzahlung verurteilt werden. Sie beantragt,
13unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
14Die Klägerin beantragt,
15die Berufung zurückzuweisen.
16Sie verteidigt das angefochtene Urteil, hält eine Schätzung für unzulässig und meint, ein Ausschluss ihres Rückzahlungsanspruchs ab dem 29. Oktober 2005 sei europarechtswidrig.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Feststellungen des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszuge gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
18II.
19Die Berufung der Beklagten hat einen Teilerfolg.
201. Klagebefugnis der Klägerin
21Die Klägerin ist prozessführungsbefugt. Sie ist mit der "L... GmbH & Co. KG" identisch, es hat lediglich eine Umfirmierung gegeben.
22Die Ausgliederung des Geschäftsfeldes, welches auch die streitige Forderung umfasst, auf die L... AG im Verlaufe des Rechtsstreits berührt weder ihre Parteistellung noch ihre Prozessführungsbefugnis. Diese Vorgänge führen nicht zu einer Gesamtrechtsnachfolge der L... AG (was konsequenterweise zur Folge haben müsste, dass prozessual an die Stelle der "L... GmbH & Co. KG" ohne Weiteres als Klägerin die L... AG getreten wäre), sondern lediglich dazu, dass die Aktivlegitimation im Wege einer (vereinfachten) Einzelrechtsnachfolge auf die L... AG übergegangen ist (vgl. näher Stöber, NZG 2006, 574 m.w.N.). Dies führt zu einer Anwendung des § 265 Abs. 2 ZPO mit der Folge, dass die Klägerin weiterhin Partei des Rechtstreits ist, jedoch Zahlung nur an die neue Gläubigerin verlangen kann.
232.
24Der Rückzahlungsanspruch besteht (vorbehaltlich des Zeitraums ab dem 29. Oktober 2005, dazu unter 3.) dem Grunde nach gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 BGB. Das Entgelt der Beklagten ist um 25 % überhöht.
25a) Die Begründung des Landgerichts, die mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 26.11.2008 – 2 U (Kart) 2/08; s. auch BGH WuW/E DE-R 3023) im Einklang steht, greift die Beklagte in diesem Punkt auch nicht an. Die Beklagte hat keine Zahlen zur Entgeltkalkulation vorgelegt. Sie hat lediglich erklärt, ihre nach der Verbändevereinbarung II plus kalkulierten Entgelte (vgl. Bl. 64/65) seien im Verhältnis zu anderen Unternehmen sehr niedrig. Das besagt bereits deswegen nichts, weil – wie die Klägerin unter Hinweis auf BGH WuW/E DE-R 1617 ff., 1620) zu Recht ausführt (Bl. 105) - die Verbändevereinbarung II plus für das Jahr 2005 keinerlei Vermutungswirkungen auslöst.
26Auch im Parallelverfahren VI-2 U (Kart) 17/09 hat die Beklagte keine hinreichenden Angaben zur Entgeltbestimmung getätigt. Sie hat dort mit Schriftsatz vom 21. November 2008 vorgetragen, ihren Berechnungen anhand der Verbändevereinbarung II plus liege der Jahresabschluss per 31. Dezember 1997 zugrunde, der Abschluss für 1998 unterscheide sich von diesem nicht "substantiell". Abgesehen davon, dass auch der Jahresabschluss 1998 nicht mehr als zeitnah zum Jahr 2003 angesehen werden kann, hat die Klägerin zutreffend – ohne eine Reaktion der Beklagten - darauf hingewiesen, dass das Wort "substantiell" ohne Substanz ist. Die Rüge der Beklagten, das Landgericht hätte über den mangelnden Unterschied der Kostenstruktur in den Jahren 1997 einerseits und 1998 andererseits Beweis erheben müssen, ist daher unberechtigt. Zeitnähere Zahlen liegen nicht vor. Es müssten erheblich zeitnähere Unterlagen vorgelegt werden, nur so können die "jahresspezifischen Kosten" im Sinne der VV II plus einigermaßen berechnet werden. Gerade durch den – u.a. infolge der VV erst ermöglichten – Marktzutritt Dritter sind die Netzbetreiber gehalten gewesen, ihre Kostenstrukturen kritisch zu überprüfen, insoweit ist damit zu rechnen, dass sich nach mehreren Jahren die Kostenstrukturen geändert haben.
27b) Der Senat setzt das billige Entgelt gemäß § 315 Abs. 3 S. 2 BGB auf 75 % des von der Beklagten verlangten Entgeltes fest.
28Das Landgericht hat das billige Entgelt im Anschluss an das Urteil des Senats vom 26.11.2008 (VI-2 U (Kart) 12/07) auf 0,00 € festgesetzt. Der Senat hat dieses Ergebnis damals damit begründet, er verkenne zwar nicht, dass dem Netzbetreiber ein Entgelt zustehen müsse, er habe jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, in welcher Höhe ein Entgelt billig im Sinne des § 315 BGB sei; eine Schätzung sei unzulässig, wenn sie "völlig in der Luft hängen würde" (vgl. Greger, in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 287 Rdnr. 5).
29Der Bundesgerichtshof hat jedoch in seiner Entscheidung vom 20. Juli 2010 (EnZR 23/09, WuW/E DE-R 3023) in einem vergleichbaren Fall eine Schätzung für grundsätzlich möglich erachtet. Unter diesen Umständen hält es der Senat – auch zur Wahrung der Rechtseinheit – für geboten, eine Schätzung vorzunehmen.
30Der Senat legt der Schätzung in vergleichbaren Fallgestaltungen, soweit möglich, im Allgemeinen nicht den Durchschnittssatz, sondern den individuellen Kürzungssatz zugrunde, den die Bundesnetzagentur in ihrem ersten Bescheid gegenüber den vorherigen Sätzen vorgenommen hat. Wie im Termin vom 07. Juli 2010 erörtert, hat die Klägerin Kürzungssätze zwischen 12,5 % (bei einem Jahresverbrauch von 1.500 kWh/a) und 18,6 % (bei einem Jahresverbrauch von 4.500 kW/h) errechnet (Anlage K 8). Die Beklagte hat im Termin vom 24. November 2010 erheblich niedrigere Kürzungssätze errechnet. All dies konnte der Senat mangels Vorlage des Bescheides und der Rechenwege nicht nachvollziehen. Unter diesen Umständen muss der Senat von dem durchschnittlichen Kürzungssatz ausgehen.
31Wie der Senat bereits im Termin vom 24. November 2010 ausgeführt hat, addiert er zu diesem Kürzungssatz noch einen Zuschlag. Die Netzregulierungsbehörde hat nämlich in der ersten Regulierungsrunde unbestritten nur eine rudimentäre Prüfung der vorgelegten Unterlagen vornehmen können. Sie hat lediglich bestimmte Werte geprüft, eine in die Tiefe gehende Untersuchung hat nicht – und zwar auch in der Folgezeit – nicht stattgefunden.
32Insgesamt schätzt der Senat daher den Kürzungsbetrag auf 25 %.
333.
34Für den Zeitraum ab dem 29. Oktober 2005 besteht ein Anspruch nicht (ebenso OLG Celle, Urteil vom 17.06.2010 – 13 U 5/10 (Kart), OLG München, Beschlüsse vom 16.03.2010 und 20.05.2010 – U (K) 1743/10; OLG München, WuW/E DE-R 3031, 3033 - 3335).
35Auf diesen Zeitraum entfallen nach den nachvollziehbaren Schätzungen der Klägerin im Schriftsatz vom 10. Juni 2009 (Bl. 168/169 und Anlage K 45), die der Senat zugrunde legt, Zahlungen von 1.590,50 € netto (= 1.844,98 € brutto). Der sich damit unter Berücksichtigung von Mehrwertsteuer und Kürzungssatz (s. 2.) zunächst ergebende Anspruch in Höhe von 461,25 € ist durch § 23a Abs. 5 S. 1 i.V.m. § 118 Abs. 1b S. 1 EnWG ausgeschlossen.
36Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschlüsse vom 14.08.2008 – KVR 27/07 und KVR 39/07) darf der Netzbetreiber die von ihm berechneten Entgelte vorläufig beibehalten. Etwaige Zuvielleistungen der durchleitenden Unternehmen sind nicht im Individualverhältnis, sondern bei zukünftigen Regulierungsentscheidungen zu berücksichtigen. Die dagegen gerichteten Einwände der Klägerin greifen nicht durch.
37a) Soweit die Klägerin meint, das Auslegungsergebnis ergebe sich nicht hinreichend deutlich aus dem EnWG, trifft dies nicht zu. Der Bundesgerichtshof stützt sein Ergebnis auf § 23a Abs. 5 S. 1 i.V.m. § 118 Abs. 1b S. 2 EnWG und das Zusammenspiel der Regelungen des EnWG. Das Bundesverfassungsgericht hat die gegen die Mehrerlösberücksichtigung bei der Regulierung gerichtete Verfassungsbeschwerde eines Netzbetreibers, die mit einer fehlenden Rechtsgrundlage begründet wurde, zurückgewiesen (NVwZ 2010, 373) und damit die verfassungsrechtliche Vertretbarkeit des Auslegungsergebnisses des Bundesgerichtshofs bestätigt.
38Der Hinweis der Klägerin darauf, dass die verwaltungsrechtliche Mehrerlösabschöpfung gegenüber individuellen Zahlungsansprüchen nach § 33 Abs. 2 EnWG subsidiär sei, greift gleichfalls nicht durch. Der Bundesgerichtshof hat die von ihm für zutreffend erachtete Berücksichtigung von Mehrerlösen bei der Genehmigung von Netzdurchleitungsentgelten nicht mit § 33 EnWG, sondern mit dem Regelungsgefüge des § 23a EnWG und des § 118 Abs. 1b EnwG begründet.
39Es trifft zwar zu, dass die Rechtsprechung die vor dem EnWG 2005 geltende Rechtslage dahin ausgelegt hat, dass eine behördliche Genehmigung des Tarifs weder eine Überprüfung des Tarifs durch Dritte in einem zivilrechtlichen Rechtsstreit noch Rückforderungsansprüche ausschloss. Angesichts dessen wäre es sicherlich wünschenswert gewesen, wenn sich der Ausschluss individueller Rückzahlungsansprüche unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes ergeben würde. Nach ständiger Rechtsprechung bleibt die Auslegung eines Gesetzes jedoch nicht bei dem Wortlaut stehen, sondern berücksichtigt auch die Systematik und das Regelungsgefüge des Gesetzes, auf das sich der Bundesgerichtshof maßgeblich gestützt hat.
40b) Auch die EU-rechtlichen Einwände der Klägerin greifen nicht durch.
41Art. 20 Abs. 1 der damals geltenden Richtlinie 2003/54/EG ließ es zu, dass die Tarife für Netzdurchleitungsentgelte einer Genehmigung unterworfen wurden. Ob die genehmigten Tarife von Dritten unmittelbar oder im Rahmen von Zahlungsstreitigkeiten angefochten und überprüft werden konnten, regelt diese Vorschrift nicht.
42Auch Art. 23 der Richtlinie steht dieser Auslegung nicht entgegen. Gemäß Abs. 8 müssen die Mitgliedsstaaten wirksame Mechanismen für die Regulierung insbesondere zur Gewährleistung des – damals geltenden - Art. 82 EGV schaffen. Nach Abs. 11 bleiben die nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften möglichen Rechtsbehelfe unberührt. In diesem Zusammenhang hält es die Klägerin für mit Abs. 11 nicht vereinbar, dass nach § 130 Abs. 3 GWB, § 111 EnWG die Anwendbarkeit der §§ 19, 20 GWB für diesen Zeitraum ausgeschlossen ist (aA OLG München, WuW/E DE-R 3031, 3034) und verweist darauf, dass das nationale Recht die Geltung der Art. 81, 82 EGV (jetzt Art. 101, 102 AEUV) nicht ausschließen kann (kritisch zu § 111 Abs. 3 EnWG daher Salje, EnWG, § 111 Rdnrn. 18 ff.). Aber auch wenn man diesen Bedenken dem Grunde nach folgen sollte sowie davon ausgeht, dass die von der Klägerin beklagten Handlungen geeignet waren, den Handel zwischen den gemeinsamen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen, folgt daraus nicht, dass das nationale Recht individuelle Rückzahlungsansprüche wegen überhöhter Netzdurchleitungsentgelte nicht ausschließen darf.
43Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 20.09.2001, C-453/99, WuW/E EU-R 479) haben die nationalen Gerichte bei einer Verletzung der Art. 81, 82 EGV diesen Vorschriften effektiven Schutz zu verschaffen, und zwar auch durch die Gewährung von Schadensersatzansprüchen zugunsten von Verletzten rechtwidriger Kartellabsprachen bzw. von missbräuchlicher Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt. Diese Rechtsprechung erfordert aber nicht die Anerkennung von Rückzahlungsansprüchen wegen überhöhter Netzdurchleitungsentgelte. Wie im Termin vom 07. Juli 2010 näher erläutert, verlangt das europäische Recht nicht den Ausschluss des passing-on Einwands (EuGH, a.a.O.; Lübbig, in Münchener Kommentar, GWB, § 33 Rdnr. 92 m.w.N.. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die Klägerin die Überhöhung der Netzentgelte an ihre Kunden weitergegeben hat. Die Voraussetzungen, unter denen von einer solchen Weiterwälzung auszugehen ist (vgl. Bornkamm, GRUR 2010, 501, 503) liegen vor. Sämtliche Wettbewerber der Klägerin und der Beklagten waren von der Überhöhung der Netzentgelte betroffen. Die Endverbraucher konnten nicht ausweichen, weil der Strom nur durch das Netz der Beklagten geliefert werden konnte. Das Abnahmeverhalten der Endverbraucher war nicht preiselastisch. Die Klägerin musste mit den – letztlich überhöhten - Netzdurchleitungsentgelten kalkulieren. Wie aus ihrem Vorbringen zu einer frühzeitigen Kenntnis von einer Überhöhung hervorgeht, hatte sie den Verdacht, dass die Netzdurchleitungsentgelte überhöht waren, dieser Verdacht war aber sehr vage. Sie hatte jahrelang - außer der Erklärung von Vorbehalten – nichts gegen die Beklagte unternommen. Sie musste realistischerweise daher in ihre Kalkulation die geforderten Netzentgelte einbeziehen und konnte nicht auf Rückforderungen, die zudem auch aus damaliger Sicht nur gerichtlich hätten durchgesetzt werden können, bauen. Unter diesen Umständen reicht das allgemeine Bestreiten der Klägerin, die Netzdurchleitungsentgelte, soweit sie überhöht waren, an ihre Kunden weitergereicht zu haben, nicht aus.
44Ein Schadensersatzanspruch nach Art. 81, 82 EGV könnte sich danach allenfalls auf die übrigen Schäden (geringere Möglichkeit der Klägerin, durch die überhöhten Netzdurchleitungsentgelte zu Lasten der Beklagten Marktanteile zu gewinnen, vgl. Lübbig, a.a.O., Rdnr. 85 a.E.) beschränken; ein solcher wird in diesem Verfahren jedoch nicht geltend gemacht.
45Die Klägerin wird entgegen ihrer Auffassung auch nicht rechtlos gestellt. Ein durchleitendes Unternehmen kann sich gegen ein seiner Ansicht nach überhöhtes Entgelt dadurch wehren, dass es nach § 31 EnWG bei der Regulierungsbehörde eine Beschwerde einreicht sowie auf einen möglichst schnellen und seinem Begehren entsprechenden erstmaligen Bescheid oder – bei einem bereits vorhandenen, aber der Rechtslage nicht entsprechenden Bescheid - auf eine Überprüfung drängt (worauf sie einen Anspruch hat). Von einem (erstmaligen oder erneuten) Bescheid kann ein solches Unternehmen dadurch profitieren, dass etwaige Überzahlungen in folgenden Perioden durch niedrigere Festsetzungen ausgeglichen werden.
464.
47Die Berufung der Beklagten hat zudem hinsichtlich der Zinsentscheidung einen Teilerfolg. Es handelt sich bei der geltend gemachten Forderung auf Rückzahlung überhöhter Entgelte nicht um eine Entgeltforderung im Sinne des § 288 Abs. 2 BGB (vgl. Grüneberg, in Palandt, BGB, 69. Aufl., § 286 Rdnr. 27; § 288 Rdnr. 8; für die Anwendbarkeit des § 288 Abs. 2 BGB ohne nähere Erörterung allerdings Emmerich, in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 33 Rdnr. 67). Soweit das OLG München (WuW/E DE-R 3031, 3040) für seine gegenteilige Auffassung darauf verweist, Bereicherungsansprüche wegen rechtsgrundloser Lieferungen seien als Entgeltforderungen zu behandeln, trifft dies nur für Bereicherungsansprüche des Lieferanten, nicht des Belieferten zu (Grüneberg, a.a.O.). Entgeltforderungen setzen voraus, dass die Geldforderung Gegenleistung für eine von dem Gläubiger erbrachte oder zu erbringende Leistung ist (BGH NJW 2010, 1878); das ist hier nicht der Fall.
485.
49Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 1, 2, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass die Klägerin vor dem Landgericht in erster Linie die Höhe des Rückzahlungsbetrages in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Das rechtfertigt es, die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO vollständig der Beklagten aufzuerlegen, soweit es den Zeitraum bis zum 28. Oktober 2005 betrifft. Für das Berufungsverfahren hält der Senat eine Kostenaufhebung gerechtfertigt; er ist der Auffassung, dass die Klägerin auch vor dem Hintergrund der genannten Vorschrift angesichts ihres Festhaltens an einer Festsetzung auf 0,00 € einen erheblichen Teil des Risikos des Rechtsstreits tragen muss.
50Der Senat hat die Revision zugelassen, soweit er einen Anspruch der Klägerin für den Zeitraum vom 29. Oktober 2005 bis zum 31. Dezember 2005 ablehnt; insoweit hat sich der Bundesgerichtshof noch nicht mit den Einwänden der Klägerin auseinandergesetzt. Im Übrigen bestehen Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) nicht.
51Der Berufungsstreitwert beträgt 11.069,74 €.
52Schüttpelz Frister Breiler