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Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 10. Kammer für Handels-sachen des Landgerichts Dortmund vom 26. Juni 2009 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1.
Das Netznutzungsentgelt einschließlich der Mess- und Verrechnungsentgelte für die Nutzung des Stromversorgungsnetzes der Beklagten durch die frühere L... GmbH & Co. KG zur Energieversorgung ihrer Kunden, die sie in den Jahren 2003 und 2004 im Netzgebiet der Beklagten angemeldet und versorgt hat, einschließlich der Nutzung vorgelagerter Netze, soweit berechnet und übergewälzt, wird auf
8.233,84 € brutto festgesetzt.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, 2.744,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent-punkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. Dezember 2007 an die L... AG zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens verbleibt es bei der Entscheidung.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I.
3Die Beklagte gestattete aufgrund eines Rahmenvertrages vom 16./20. November 2000 der damals noch als L... GmbH & Co. KG firmierenden Klägerin die Netzdurchleitung gegen Entgelt in Höhe der jeweils einschlägigen Preisblätter. Die Klägerin hat bei Unterzeichnung sowie zumindest in den Jahren 2004 und 2005 Vorbehalte gegen die Höhe der verlangten Durchleitungsentgelte erhoben.
4Die Klägerin verlangt – soweit für die Berufungsinstanz noch von Belang – mit der 2007 erhobenen Klage Rückzahlung der ihrer Ansicht nach überhöhten Durchleitungsentgelte für die Jahre 2003 und 2004. Sie erbrachte in diesen Jahren Zahlungen in Höhe von 9.463,66 € netto. Sie hat zunächst die Bestimmung des billigen Netznutzungsentgelts für diese Jahre und Rückzahlung der Differenz zu den gezahlten 9.463,66 Euro netto zuzüglich Mehrwertsteuer und gesetzlicher Rechtshängigkeitszinsen verlangt, wobei sie von einer Überhöhung von 30 % ausgegangen ist. Die Klägerin hat zudem die Auffassung vertreten, die Beklagte habe keine aussagekräftigen Zahlen zur Bestimmung des billigen Netznutzungsentgelts vorgelegt, sie könne daher Rückzahlung der vollständigen Summe verlangen.
5Die Beklagte ist dem entgegen getreten. Sie hat sich auf aufbereitete Zahlen berufen, die auf ihrer Bilanz für das Jahr 1997 beruhen. Hilfsweise hat sie geltend gemacht, es sei eine Schätzung des billigen Entgeltes vorzunehmen, das sich nicht auf 0,00 € belaufen könne. Sie hat sich zudem auf Verjährung und Verwirkung berufen.
6Das Landgericht hat – unter Zurückweisung der auf Rückzahlung für die Jahre 2000 bis 2002 gerichteten Klage wegen Verjährung - in Anlehnung an das Urteil des Senats vom 26.11.2008 (VI-2 U (Kart) 12/07) das Entgelt für die Jahre 2003 und 2004 auf 0,00 € festgesetzt und die Beklagte zur Zahlung von 9.463,66 Euro netto zuzüglich MWSt. nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz an die L... AG seit Rechtshängigkeit verurteilt.
7Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
8Im Verlaufe des Rechtsstreits ist die Klägerin umfirmiert und das Geschäftsfeld einschließlich der streitigen Forderung an die L... AG übertragen worden. Die Beklagte meint daher, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert und auch nicht prozessführungsbefugt. Der Anspruch für das Jahr 2003 sei verjährt, jedenfalls verwirkt. Das Landgericht habe ihre Beweisantritte zur Billigkeit des verlangten Entgeltes übergangen. Die Schätzung des billigen Entgelts auf 0,00 € sei unzulässig; entsprechend der Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte könne eine Schätzung anhand der Festsetzungen der Bundesnetzagentur erfolgen. Sie beantragt,
9unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
10Die Klägerin beantragt,
11die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass es unter 1. statt "Klägerin" "frühere L... GmbH & Co. KG" heißen muss und die Zahlung unter 2. an die L...AG zu erfolgen hat.
12Sie verteidigt das angefochtene Urteil und hält eine Schätzung für unzulässig.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Feststellungen des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszuge gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
14II.
15Die Berufung der Beklagten hat einen Teilerfolg.
161. Klagebefugnis der Klägerin
17Die Klägerin ist prozessführungsbefugt. Sie ist mit der "L... GmbH & Co. KG" identisch, es hat lediglich eine Umfirmierung gegeben.
18Die Ausgliederung des Geschäftsfeldes, welches auch die streitige Forderung umfasst, auf die L... AG im Verlaufe des Rechtsstreits berührt sowohl ihre Parteistellung als auch ihre Prozessführungsbefugnis nicht. Diese Vorgänge führen nicht zu einer Gesamtrechtsnachfolge der L... AG (was konsequenterweise zur Folge haben müsste, dass prozessual an die Stelle der "L... GmbH & Co. KG" ohne Weiteres als Klägerin die L... AG getreten wäre), sondern lediglich dazu, dass die Aktivlegitimation im Wege einer (vereinfachten) Einzelrechtsnachfolge auf die L... AG übergegangen ist (vgl. näher Stöber, NZG 2006, 574 m.w.N.). Dies führt zu einer Anwendung des § 265 Abs. 2 ZPO mit der Folge, dass die Klägerin weiterhin Partei des Rechtstreits ist, jedoch Zahlung nur an die neue Gläubigerin verlangen kann.
192. Rückzahlungsanspruch für das Jahr 2003
20Der Klägerin steht ein Rückzahlungsanspruch hinsichtlich der für das Jahr 2003 geleisteten Zahlungen nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB in Höhe von 25 % der geleisteten Zahlungen zu.
21a) Wie das Landgericht zu Recht unter Hinweis auf die Entscheidung des Senats vom 26. November 2008 (VI-2 U [Kart] 12/07, ZNER 2009, 46 m.w.N.) ausgeführt hat, ist die Vorschrift des § 315 Abs. 1 BGB einschlägig.
22b) Die Entgeltfestsetzung der Beklagten ist unbillig.
23Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 21. November 2008 vorgetragen (Bl. 282 GA), ihren Berechnungen anhand der Verbändevereinbarung II plus liege der Jahresabschluss per 31. Dezember 1997 zugrunde, der Abschluss für 1998 unterscheide sich von diesem nicht "substantiell". Abgesehen davon, dass auch der Jahresabschluss 1998 nicht mehr als zeitnah zum Jahr 2003 angesehen werden kann, hat die Klägerin zutreffend – ohne eine Reaktion der Beklagten - darauf hingewiesen (Bl. 369), dass das Wort "substantiell" ohne Substanz ist. Die Rüge der Beklagten, das Landgericht hätte über den mangelnden Unterschied der Kostenstruktur in den Jahren 1997 einerseits und 1998 andererseits Beweis erheben müssen, ist daher unberechtigt. Zeitnähere Zahlen liegen nicht vor. Es müssten erheblich zeitnähere Unterlagen vorgelegt werden, nur so können die "jahresspezifischen Kosten" im Sinne der VV II plus einigermaßen berechnet werden. Gerade durch den – u.a. infolge der VV erst ermöglichten – Marktzutritt Dritter sind die Netzbetreiber gehalten gewesen, ihre Kostenstrukturen kritisch zu überprüfen, insoweit ist damit zu rechnen, dass sich nach mehreren Jahren die Kostenstrukturen geändert haben.
24c) Der Senat setzt das billige Entgelt gemäß § 315 Abs. 3 S. 2 BGB auf 75 % des von der Beklagten verlangten Entgeltes fest.
25Das Landgericht hat das billige Entgelt im Anschluss an das Urteil des Senats vom 26.11.2008 (VI-2 U (Kart) 12/07) auf 0,00 € festgesetzt. Der Senat hat dieses Ergebnis damals damit begründet, er verkenne zwar nicht, dass dem Netzbetreiber ein Entgelt zustehen müsse, er habe jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, in welcher Höhe ein Entgelt billig im Sinne des § 315 BGB sei; eine Schätzung sei unzulässig, wenn sie "völlig in der Luft hängen würde" (vgl. Greger, in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 287 Rdnr. 5).
26Der Bundesgerichtshof hat jedoch in seiner Entscheidung vom 20. Juli 2010 (EnZR 23/09) in einem vergleichbaren Fall eine Schätzung für grundsätzlich möglich erachtet. Unter diesen Umständen hält es der Senat – auch zur Wahrung der Rechtseinheit – für geboten, eine Schätzung vorzunehmen.
27Der Senat legt der Schätzung in vergleichbaren Fallgestaltungen, soweit möglich, im Allgemeinen nicht den Durchschnittssatz, sondern den individuellen Kürzungssatz zugrunde, den die Bundesnetzagentur in ihrem ersten Bescheid gegenüber den vorherigen Sätzen vorgenommen hat. Im Termin vom 07. Juli 2010 ist unter diesem Gesichtspunkt der im Parallelverfahren 2 U (Kart) 34/09 angesprochene Bescheid (Anlage K 8) erörtert worden. Die Klägerin hat dort Kürzungssätze zwischen 12,5 % (bei einem Jahresverbrauch von 1.500 kWh/a) und 18,6 % (bei einem Jahresverbrauch von 4.500 kW/h) errechnet. Die Beklagte hat im Termin vom 24. November 2010 erheblich niedrigere Kürzungssätze errechnet. All dies konnte der Senat mangels Vorlage des Bescheides und der Rechenwege nicht nachvollziehen. Unter diesen Umständen muss der Senat von dem durchschnittlichen Kürzungssatz ausgehen.
28Wie der Senat bereits im Termin vom 24. November 2010 ausgeführt hat, addiert er zu diesem Kürzungssatz noch einen Zuschlag. Die Netzregulierungsbehörde hat nämlich in der ersten Regulierungsrunde unbestritten nur eine rudimentäre Prüfung der vorgelegten Unterlagen vornehmen können. Sie hat lediglich bestimmte Werte geprüft, eine in die Tiefe gehende Untersuchung hat - und zwar auch in der Folgezeit - nicht stattgefunden.
29Insgesamt schätzt der Senat daher den Kürzungsbetrag auf 25 %.
30b) Der Anspruch ist nicht verjährt.
31Der Rückzahlungsanspruch ist im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB erst im Jahre 2004 entstanden.
32Grundsätzlich entsteht ein Anspruch auf Rückgewähr des Geleisteten nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB bereits mit der Leistung (vgl. Teilurteil des Senats vom 04.11.2009 – VI-2 U (Kart) 8/08). Denn bereits bei der Zahlung steht im Allgemeinen objektiv fest, ob sie geschuldet war oder nicht.
33Das ist aber bei Abschlagszahlungen anders. Erst bei Abrechnungsreife steht fest, ob und in welchem Umfange tatsächlich ein Entgelt verlangt werden kann. Erst dann steht dem Zahlenden ein Anspruch auf Rückzahlung des zu viel Gezahlten zu (vgl. BGH NJW 2005, 1499; 2006, 2552 für Vorauszahlungen auf Betriebskosten).
34Die Beklagte hat Abschlagszahlungen (so unwidersprochen die Klägerin) nach Nr. 8.1 S. 2 des Rahmenvertrages erhoben. Ob und in welcher Höhe die Abschlagszahlungen berechtigt waren, ergab sich erst aus der Jahresabrechnung (Nr. 8 Abs. 1 S. 1 Rahmenvertrag. Damit sind Rückzahlungsansprüche für das Jahr 2003 erst im Jahr 2004 entstanden.
35Auf die Frage, ob bei der Klägerin die subjektiven Voraussetzungen für den Beginn der Verjährung nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bereits im Jahre 2003 vorlagen, kommt es danach nicht an.
36Die Klageerhebung hat sodann rechtzeitig zu einer Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB geführt. Die Zustellung der Klage ist am 22. Dezember 2007 erfolgt .
37c) Die – zutreffenden – Ausführungen des Landgerichts zur fehlenden Verwirkung der Ansprüche nimmt die Beklagte hin.
383. Rückzahlungsanspruch für das Jahr 2004
39Die Ausführungen unter 2.a) gelten entsprechend. Hinzu kommt, dass die Vermutung der Kartellrechtskonformität eines nach der Verbändevereinbarung II plus als angemessen kalkulierten Entgeltes für das Jahr 2004 nicht mehr galt (BGH WuW/E DE-R 1617 ff., 1620). Sonstige Zahlen legt die Klägerin nicht vor.
404. Zinsen
41Die Berufung der Beklagten hat auch hinsichtlich der Zinsentscheidung einen Teilerfolg. Es handelt sich bei der geltend gemachten Forderung nicht um eine Entgeltforderung im Sinne des § 288 Abs. 2 BGB (für die Anwendbarkeit des § 288 Abs. 2 BGB ohne nähere Erörterung allerdings Emmerich, in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 33 Rdnr. 67).
425.
43Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 1, 2, § 708 Nr. 10, § 713 ZPO. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass die Klägerin in erster Instanz in erster Linie die Höhe des Rückzahlungsbetrages in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Das rechtfertigt es, die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO vollständig der Beklagten aufzuerlegen. Für das Berufungsverfahren hält der Senat eine Kostenaufhebung gerechtfertigt; er ist der Auffassung, dass auch vor dem Hintergrund der genannten Vorschrift die Klägerin angesichts ihres Festhaltens an einer Festsetzung auf 0,00 € einen erheblichen Teil des Risikos des Rechtsstreits tragen muss.
44Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) sind nicht ersichtlich.
45Der Berufungsstreitwert beträgt 10. 977,84 €.
46Schüttpelz Frister Breiler