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Auf Antrag des Antragstellers wird die aufschiebende Wirkung seiner Be-schwerde gegen den Auskunftsbeschluss des Bundeskartellamts vom 19. August 2010 (B 8 – 40/10) angeordnet.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I.
3Das Bundeskartellamt, an das die Landeskartellbehörde Berlin das Verfahren gemäß § 49 Abs. 2 GWB abgegeben hat, führt gegen die Berliner Wasserbetriebe A.ö.R (BWB), gestützt auf § 19 Abs. 1, Abs. 4 S. 2 GWB sowie § 131 Abs. 6 GWB i.V.m. § 103 Abs. 5, Abs. 7 und § 22 Abs. 5 GWB 1990, ein Verfahren wegen des Verdachts missbräuchlich überhöhter Trinkwasserpreise durch. Die BWB berechnen ihren Kunden nach Maßgabe des § 16 BerlBG privatrechtliche Entgelte. Die Preise der BWB je m³ Wasser sind nach den Ermittlungen des Amtes deutlich höher als die in anderen Großstädten.
4Um Informationen über Entgelte, Kosten und Erlöse in möglichen Vergleichsgebieten zu erlangen, hat das Amt Auskunftsbeschlüsse gemäß § 59 Abs. 1 Nr. 1 GWB gegen insgesamt 45 Trinkwasserversorgungsunternehmen erlassen, darunter der Antragsteller.
5Bei dem Antragsteller handelt es sich um einen auf Grund des brandenburgischen Gesetzes über kommunale Zusammenarbeit gebildeten Wasser- und Abwasserzweckverband. Nach §§ 5, 7 der Satzung über die Wasserversorgung besteht ein Anschluss- und Benutzungszwang. Gemäß § 24 Abs. 2 werden für die Benutzung der öffentlichen Wasserversorgungsanlage nach Maßgabe der Satzung über die Gebühren für die Wasserversorgung Gebühren erhoben.
6Der Antragsteller hat gegen den Auskunftsbeschluss Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, er sei auf Grund der hoheitlichen Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses über die Trinkwasserversorgung zwischen ihm und dem Empfänger nicht als Unternehmen im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 1 GWB anzusehen. Er beantragt daher, gestützt auf § 65 Abs. 3 S. 3 i.V.m. S. 1 Nr. 2 GWB,
7die aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde gegen den Auskunftsbeschluss vom 19. August 2010 anzuordnen.
8Das Amt beantragt,
9den Antrag zurückzuweisen.
10Es ist der Auffassung, die Trinkwasserversorgung stelle – auch wenn sie gegenüber dem Kunden auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erfolge – keine dem Geltungsbereich des GWB entzogene Tätigkeit dar, vielmehr sei sie als unternehmerische Tätigkeit anzusehen. Jedenfalls seien die Versorger im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 1 GWB als "Unternehmen" anzusehen, weil andernfalls in gewissen Branchen eine Grundlage für einen aussagekräftigen Vergleich der Preise und Erlöse verschiedener Versorger nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten ermittelt werden könnte; es sei zu berücksichtigen, dass es nicht um ein gegen den Antragstellerin gerichtetes Verwaltungsverfahren wegen der von ihm festgesetzten Entgelte, sondern nur um Auskunftserteilung gehe.
11Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten und den Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
12II.
13Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde gegen den Auskunftsbeschluss des Bundeskartellamts vom 19. August 2010 anzuordnen, ist begründet.
14Gemäß § 65 Abs. 3 S. 3 GWB (i.V.m. S. 1 Nr. 2, Nr. 3) kann das Beschwerdegericht die aufschiebende Wirkung einer - nicht unter § 64 GWB fallenden und damit sofort vollziehbaren - Entscheidung der Kartellbehörde dann anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
15Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses, so dass die aufschiebende Wirkung der Beschwerde des Antragstellers anzuordnen ist. Ein Ermessen steht dem Senat dabei nicht zu.
16Der Antragsteller ist nämlich kein Unternehmen im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 1 GWB.
171.
18Allerdings steht der Rechtscharakter des Antragstellers, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, einer Einordnung als Unternehmen im Sinne des GWB nicht von vornherein entgegen (§ 130 Abs. 1 S. 1 GWB). Es gilt vielmehr ein funktionaler Unternehmensbegriff. Danach unterliegt die Tätigkeit des Staates dann dem GWB, wenn er sich auf dem Markt als Anbieter (zur Nachfrage des Staates nach Leistungen s. BGH WuW/E DE-R 2161 – Tariftreueerklärung III) wirtschaftlicher Leistungen betätigt (BGH WuW/E DE-R 289 – Lottospielgemeinschaft; Stadler, in Langen/Bunte, GWB, 11. Aufl., § 130 Rdnr. 17 m.w.N.; vgl. auch 18. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 17/2600, Rdnrn. 398 ff. m.w.N.).
19Demgegenüber gilt das GWB nicht für die hoheitliche Tätigkeit des Staates. Unabhängig von der Frage, ob hier allein die öffentlich-rechtliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen dem Antragsteller und den Verbrauchern für eine derartige Qualifikation ausreicht oder nicht, ist die Versorgungstätigkeit des Antragstellers jedenfalls wegen des Anschluss- und Benutzungszwangs nicht als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen.
20Die Anwendbarkeit des GWB setzt potenzielle Wettbewerbsbeziehungen zu Dritten voraus (Stadler, a.a.O., Rdnrn. 16, 21 m.w.N.). Das ist dann nicht der Fall, wenn der Wasserversorger die Verbraucher auf Grund öffentlich-rechtlicher Rechtsbeziehungen auf der Grundlage eines Anschluss- und Benutzungszwangs mit Trinkwasser versorgt. In diesem Fall wird der Staat nicht nur auf öffentlich-rechtlicher Grundlage tätig, sondern schließt durch die (rechtlich zulässige) Monopolisierung (zu unzulässigen staatlichen Monopolen s. 18. Hauptgutachten, Rdnrn. 399 ff.) jedweden Wettbewerb Dritter von vornherein aus.
21Dementsprechend geht die h.M. (wenn auch teilweise mit unterschiedlichen Akzenten) davon aus, dass jedenfalls bei dieser Fallgestaltung der Wasserversorger nicht als Unternehmen anzusehen ist und eine Anwendung des GWB damit ausscheidet (vgl. die umfangreiche Erörterung der denkbaren Fallkonstellationen durch Reif, in Münchener Kommentar, GWB, § 131 Rdnrn 48 ff. m.w.N.; Klaue, in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 131 Rdnr. 32; Emmerich, a.a.O., § 130 Rdnr. 40; Zuber, in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 131 Rdnr. 15; Kühling, DVBl. 2010, 205, 212; Breuer, NVwZ 2009, 1249, 1250; Bormann/Finsinger, WuW 2003, 241, 242).
22Davon geht auch der Gesetzgeber aus. In den Motiven zur 6. GWB-Novelle (BT-Drs. 13/9720 S. 70) hieß es zu § 98 Abs. 2 (jetzt § 131 Abs. 6) zur Begründung für die Übergangsbestimmung u.a.:
23… darüber hinaus findet das Kartellrecht ohnehin in den zahlreichen Fällen keine Anwendung, in denen die Versorgung von Endverbrauchern öffentlich-rechtlich ausgestaltet ist.
24Das Problem ist auch in anderem Zusammenhang im Rahmen der 7. GWB-Novelle angesprochen worden. Der Bundesrat (BT-Drs. 15/3640 S. 77) hat vorgeschlagen, § 32e über die Auskunftsrechte der Kartellbehörde im Rahmen einer Sektorenuntersuchung auf öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen zu erweitern und darauf hingewiesen, dass das "schwer durchschaubare… Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Vertragsbeziehungen zwischen Anbietern und Kunden" "vollständige[n] Branchenerhebungen als Vergleichsmaßstäbe[n] im Rahmen von Vergleichsmarktkonzepten" erschwere und diese voraussetzten, dass "auch öffentlich-rechtliche Anbieter der Ver- und Entsorgungsbranchen zur notwendigen Mitwirkung heranzuziehen" seien. Die Bundesregierung hat in ihrer Erwiderung (BT-Drs. 3640 S. 88) darauf hingewiesen, dass das GWB auch auf Unternehmen der öffentlichen Hand Anwendung finde, wegen der Gefahr eines Umkehrschlusses im Übrigen vor der Sonderregel gewarnt und darauf verwiesen, dass öffentlich-rechtliche Kundenbeziehungen einer Rechtsgrundlage bedürften, die von der Kartellbehörde eingesehen werden könne.
25Danach ist auf den konkreten Fall abzustellen und zu fragen, ob der konkrete Wasserversorger eine wirtschaftliche Tätigkeit erbringt. Das Abstellen des Bundeskartellamts auf die abstrakte Möglichkeit einer Wasserversorgung auf nichthoheitlicher und wirtschaftlicher Grundlage (so wohl auch 18. Hauptgutachten der Monopolkommission, a.a.O., Rdnr. 10) steht damit nicht in Einklang. Das Argument des Amtes, die Trinkwasserversorgung sei nach dem Gemeindewirtschaftsrecht als wirtschaftliche Tätigkeit einzuordnen, greift gleichfalls nicht durch, denn das Gemeindewirtschaftsrecht hat einen anderen Schutzzweck. Das gilt auch im Hinblick auf das Steuerrecht, das in bestimmten Fällen hoheitliche und wirtschaftliche Tätigkeit in gleicher Weise behandeln will.
26Danach ist der Antragsteller nicht als Unternehmen anzusehen. Die Rechtsbeziehungen des Antragstellers zum Verbraucher sind nach seiner Satzung eindeutig öffentlich-rechtlicher Natur, er erhebt Gebühren. Es besteht ein Anschluss- und Benutzungszwang.
272.
28Entgegen der Auffassung des Amtes wird in § 59 Abs. 1 Nr. 1 GWB kein davon abweichender Unternehmensbegriff verwendet.
29Dem Bundeskartellamt ist zwar zuzugeben, dass Sektorenuntersuchungen nach § 32e und Kartellverwaltungsverfahren in bestimmten Branchen erschwert werden, wenn ein erheblicher Teil der Ver- bzw. Entsorger auf hoheitlicher Grundlage tätig wird. Des Weiteren ist die oben angesprochene Erklärung der Bundesregierung (BT-Drs. 15/640 S. 88) insoweit unzutreffend, als die Kartellbehörde gegen den Willen des Ver- bzw. Entsorgers nur auf allgemein bekannte Unterlagen (z.B. Satzung), nicht aber z.B. auf die interne Kalkulation zurückgreifen kann. Auch dürfte insbesondere die Kalkulation trotz der Unterschiede zwischen einer kartellrechtlichen und einer gebührenrechtlichen Berechnung (vgl. IR 2010, 276, 280/281) nicht von vornherein ohne Erkenntnisgewinn für die kartellrechtliche Überprüfung von Wasserpreisen sein.
30Dem Amt ist auch zuzugestehen, dass ein Unternehmen im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 1 GWB als solches nicht befürchten muss, Adressat einer Missbrauchsverfügung zu sein, sondern es vielmehr lediglich um eine bloße Auskunftserteilung geht.
31Diese Erwägungen rechtfertigen jedoch einen "gespaltenen" Unternehmensbegriff nicht. Dafür ist im Gesetz nichts ersichtlich. Gesetzesinitiativen in diese Richtung sind, wie bereits dargelegt, erfolglos geblieben. Auch bloße Auskunftsbeschlüsse sind Verwaltungsakte und bedürfen jedenfalls im Bund-Länder-Verhältnis einer Rechtsgrundlage.
323.
33Die Zusammenarbeit der Kartellbehörden mit anderen Behörden richtet sich – soweit nicht Sonderregeln eingreifen (z.B. §§ 49 ff. GWB, Art. 11 VO 1/2003) – nach den allgemeinen Amtshilferegeln. Ob der Antragsteller gegenüber dem Bundeskartellamt amtshilfepflichtig ist, bedarf hier keiner Entscheidung, da Amtshilfe nach anderen als den in § 59 Abs. 1 Nr. 1 GWB genannten Grundsätzen zu leisten ist und das Amt einen Auskunftsbeschluss darauf nicht stützen durfte.
34III.
35Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 74 Abs. 2 GWB zuzulassen. Der Frage, ob Trinkwasserversorger, deren Versorgungsverhältnis öffentlich-rechtlich mit Anschluss- und Benutzungszwang ausgestaltet ist, als Unternehmen im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 1 anzusehen sind, kommt rechtsgrundsätzliche Bedeutung zu. Sie bedarf einer obergerichtlichen Klärung, auch wenn im Rechtsbeschwerdeverfahren die Rechtsauffassung des Senats nur auf rechtliche Plausibilität und Vertretbarkeit hin überprüft werden kann (BGH WuW/E DE-R 2035).
36Rechtsmittelbelehrung:
37Die Beschwerdeentscheidung kann mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung. Die Rechtsbeschwerde ist durch einen beim Beschwerdegericht oder Rechtsbeschwerdegericht (Bundesgerichtshof) einzureichenden Schriftsatz binnen zwei Monaten zu begründen. Diese Frist beginnt mit der Zustellung des angefochtenen Beschlusses und kann auf Antrag des Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Beschwerdeentscheidung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Beschwerdeentscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruht.
38Schüttpelz Frister Adam