Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Be-schlussverfahren zurückzuweisen. Die Klägerin erhält Gelegenheit, zu den Gründen binnen einer Frist von z w e i W o c h e n schriftsätzlich Stellung zu nehmen.
2. Der für den 07. September 2010 geplante Senatstermin entfällt
G r ü n d e
2Das Rechtsmittel hat keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz (7.819,16 € nebst Zinsen) gerichtete Klage nach erfolgter Beweisaufnahme zu Recht abgewiesen. Infolge des Unfallereignisses vom 11. Juni 2006 in dem von der Beklagten betriebenen Landeskrankenhaus hat die klagende Krankenkasse keinen kraft Gesetzes auf sie übergegangenen Schadensersatzanspruch des bei ihr versicherten Patienten G. (künftig: Versicherter) aus §§ 611, 280 Abs. 1 BGB sowie aus § 823 Abs. 1 BGB jeweils in Verbindung mit § 116 Abs. 1 SGB X. Die gegen das Urteil vorgebrachten Berufungseinwände rechtfertigen keine der Klägerin günstigere Entscheidung.
3I.
41. Richtig ist, dass der Beklagten aus dem Krankenhausaufnahmevertrag (nicht Heimvertrag, wie das Landgericht eingangs der Entscheidungsgründe offensichtlich versehentlich den Kontrakt bezeichnet) und inhaltsgleich aus der sie treffenden deliktischen Verkehrssicherungspflicht Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit des ihr anvertrauten Versicherten erwuchsen. Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflichten ist daher geeignet, einen Schadensersatzanspruch sowohl aus positiver Verletzung des Krankenhausaufnahmevertrags gemäß §§ 280 Abs. 1, 249 ff. BGB als auch einen damit konkurrierenden deliktischen Anspruch gemäß §§ 823, 831 bzw.§ 31 BGB zu begründen (vgl. OLG Düsseldorf (8. ZS) GesR 2006, 214 zur Krankenhauspflege; BGH NJW 2005, 1937 und 2613; Senat VersR 2008, 1079; RDG 2009, 221 und 223 jew. zur Altenwohnheimpflege).
52. Diese Pflichten sind aber begrenzt auf die in derartigen Pflegeeinrichtungen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab sind das Erforderliche sowie das für die Patienten und das Pflegepersonal Zumutbare. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass mit der stationären Behandlung und Pflege in einer geschlossenen geronto-psychiatrischen Abteilung, in welche der zur Unfallzeit 77-jährige, seit Mai 2005 in einem Altenpflegeheim lebende Versicherte Ende Mai 2006 auf Veranlassung seiner Betreuerin aufgenommen worden ist, die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Patienten vor vermeidbaren Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Patienten zu wahren und zu fördern sind (vgl. OLG Düsseldorf [8. Zivilsenat], aaO; BGH aaO; Senat aaO). Die zu erbringenden Leistungen richten sich nach dem jeweils allgemein anerkannten Stand der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse (BGH NJW 2005, 2613; Senat aaO), wozu insbesondere auch die nachhaltige Förderung der Mobilität der Patienten in dem ihnen jeweils angemessen Maße gehört (OLG Düsseldorf [8. Zivilsenat], aaO).
63. Aus dieser vielschichtigen Situation folgt in Schadensfällen eine nach Risikosphären zu differenzierende Darlegungs- und Beweislast, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Befand sich der Geschädigte (Patient, Bewohner) zum Unfallzeitpunkt in einer konkreten, eine besondere Sicherungspflicht des Obhutspflichtigen auslösenden Gefahrenlage, hat der Obhutspflichtige (Krankenhaus-, Altenheimträger) darzulegen und notfalls zu beweisen, dass der Unfall nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten der Ärzte oder des Pflegepersonals beruhte. Hat sich der Unfall dagegen im üblichen, alltäglichen Gefahrenbereich, der grundsätzlich in der eigenverantwortlichen Risikosphäre des Geschädigten verbleibt, zugetragen, ändert sich an der allgemeinen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nichts. Der Geschädigte muss als derjenige, der einen Anspruch geltend macht, hier zunächst auf der Ebene der schadensbegründenden Kausalität (§ 286 ZPO) den vollen Beweis führen, dass der Träger der Pflegeeinrichtung Obhutspflichten verletzt hat. Hat er diesen Beweis geführt und kommt es dann im Rahmen der schadensausfüllenden Kausalität (§ 287 ZPO) nur noch darauf an, ob der eingetretene Schaden auf der (bewiesenen) Pflichtverletzung beruht, so kommen ihm nach allgemeinen Grundsätzen Beweiserleichterungen zugute, die bis zu einer Umkehrung der Beweislast reichen können (vgl. BGH NJW 2005, 68 ,71f.).
7II.
8Unter Anlegung dieser Kriterien kann nicht festgestellt werden, dass das ärztliche Personal und/oder das Pflegepersonal der Beklagten die sie treffenden Pflichten bei der Behandlung und Pflege des Versicherten verletzt haben.
91. Zutreffend hat das Landgericht erkannt, dass die Klägerin als Zessionarin nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen auf der hier zunächst gefragten Ebene der haftungsbegründenden Kausalität (§ 286 ZPO) uneingeschränkt darzulegen und zu beweisen hat, dass die Beklagte bzw. deren Erfüllungsgehilfen (Ärzte, Pflegepersonal) die sie treffenden Obhutspflichten verletzt haben. Der Unfall hat sich nämlich nicht in einer konkreten, eine besondere Sicherungspflicht auslösenden, sondern in einer alltäglichen Gefahrenlage zugetragen.
102. Die Behauptung der Klägerin, der Versicherte habe sich krankheitsbedingt in einer permanenten Gefahrenlage befunden, die entweder seine ständige Fixierung oder seine ununterbrochene Überwachung erfordert hätten, ist unrichtig.
11a) Diese Auffassung widerspricht bereits den Empfehlungen des "Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege" (Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege -DNQP-, Osnabrück 2005). Bereits in der Präambel dieser Handlungsanweisung (vgl. www.dnqp.de/ExpertenstandardSturzprophylaxe.pdf) heißt es dazu, "Die zu Grunde gelegte Literatur [ausgewertet wurden 125 wissenschaftliche Beiträge] hat deutlich gemacht, dass dieses Ziel [gemeint ist: Sturzvermeidung] nicht durch eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu erreichen ist, sondern vielmehr durch die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer größtmöglichen sicheren Mobilität von Patienten und Bewohnern, verbunden mit einer höheren Lebensqualität" und weiter (S. 87 f), "Personen, die fixiert wurden [mittels Bettgitter, Fixiergurte, Stecktische etc] hatten nach Beendigung dieser Maßnahme ein etwa doppelt so hohes Risiko zu stürzen als Personen, die nicht fixiert worden waren. Daher wird empfohlen, diese Maßnahme zu vermeiden" … "Die Verwendung freiheitseinschränkender Maßnahmen einschließlich Bettgittern zur Sturzprävention sollten unbedingt vermieden werden." (vgl. dazu auch Coeppicus, Sachfragen des Betreuungs- und Unterbringungsrechts [2000], S. 182 sub 5b).
12b) Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass im begründeten Einzelfall und bezogen auf eine konkrete Situation gleichwohl eine Fixierung erforderlich werden kann. In einer solchen Situation befand sich der Versicherte zur Unfallzeit indes in feststellbarer Weise nicht (vgl. OLG Düsseldorf [8. Zivilsenat]), aaO).
13aa) Nach der übereinstimmenden Bekundung aller im ersten Rechtszug gehörten ärztlichen Zeuginnen litt der Versicherte u. a. an einer manifesten manisch-depressiven Psychose, die sich durch ihren episodischen Verlauf, nämlich dem Wechsel zwischen manischer und depressiver Phase auszeichnet. Der Versicherte wurde am 30. Mai 2006 deshalb (im Übrigen zum wiederholten Male) in die geschlossene geronto-psychiatrische Abteilung der von der Beklagten betriebenen Krankenanstalt verlegt, weil sich die seit Ende April 2006 wieder einmal erneut einsetzende manische Episode derart zuspitzte, dass sich die Pflegefachkräfte des Altenwohnheims mit den Schubauswirkungen der Krankheit schlicht überfordert sahen. Nach der überzeugenden Bekundung der Zeugin Dr. H., Fachärztin für Psychiatrie, inhaltlich im Wesentlichen bestätigt durch die Zeuginnen B., Leiterin des Wohnheims, J., Krankenpflegehelferin, sowie den Zeugen M., Altenpflegehelfer; war der Versicherte in der manischen Episode Tag und Nacht "sehr umtriebig und sehr antriebsstark", betrat (auch des Nachts) die Zimmer von Mitbewohnern bzw. Mitpatienten und belästigte diese. Auch gefährdete er das Eigentum Dritter (Stockschläge auf parkende Autos, Inbetriebnahme des E-Herds mit aufgestelltem Plastiktopf). Nach der übereinstimmenden Bekundung dieser Zeugen, die den Krankheitsverlauf des Versicherte nicht nur episodisch, sondern verlaufsmäßig zu schildern wussten, konnten in dieser Situation zwar durchaus Gangunsicherheiten auftreten, sie waren aber trotz der Antriebsstärke im allgemeinen beherrschbar. Die (gerichtlich genehmigten) Fixierungen dienten denn auch nicht dazu, den Versicherten vor Stürzen zu bewahren, sondern die Abläufe im Wohnheim bzw. im Krankenhaus in Zeiten eskalierender Verschlimmerungen der Krankheit zu sichern.
14bb) Diese Verläufe rechtfertigten zur Sturzprävention keinesfalls eine ständige Fixierung des Versicherten oder dessen ununterbrochene Überwachung. Das gilt erst Recht für die konkrete Unfallsituation, die nicht gefahrenträchtig gewesen ist. Der Versicherte war nicht unterwegs, sondern er saß auf einem Stuhl im Tagesraum am Frühstückstisch. Er befand sich demnach in einer vergleichsweise sicheren Lage. Daran änderte auch nichts der Umstand, dass der Versicherte in solcher Lage selbsttätig aufstehen konnte. Auch eine solche Situation war relativ sicher, weil er am Tisch stehen und sich bei auftretender Unsicherheit an ihm festhalten konnte. Dass ihm das in der konkreten Unfallsituation nicht gelungen war, war nach den bis dahin gewonnenen Erkenntnissen nicht vorhersehbar (vgl. OLG Koblenz NJW-RR 2002, 867, 868 = FamRZ 2002, 1359, 1361).
15c) An dieser Beurteilung vermag auch die Bekundung der Zeugin Frau Dr. W., Hausärztin des Versicherten, nichts zu ändern. Abgesehen davon, dass sie die Auswirkungen der Erkrankung immer nur episodisch beobachten konnte, geht es im Streitfall nicht um die Frage, ob dem Versicherten in der manischen Phase zu seinem eigenen Schutz von ihm allein bestimmte Wege innerhalb oder außerhalb der Einrichtung verboten und seine Ausgänge zwangsweise verhindert werden mussten, sondern darum, ob er auch bei Tisch sitzend fixiert, d. h. gefesselt werden musste. Eine solche extrem freiheitsentziehende Maßnahme war zur Unfallzeit nicht indiziert. Daran ändert auch nichts der "Fixierungsbeschluss" des AG Mönchengladbach vom 04. August 2005 (16 G XVII 690). Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung wiederkehrender freiheitsentziehender Maßnahmen (§ 1906 Abs. 1, 4 BGB) kein "Befehl zum Handeln", sondern (nur) die gerichtliche Erlaubnis als Voraussetzung eines wiederkehrend für erforderlich gehaltenen Handelns in diesem Sinne. Das befreit den Betreuer nicht davon, in jedem Anwendungseinzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen (ggf. nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt und/oder dem Pflegepersonal) zu prüfen, ob die in Betracht gezogene Maßnahme nach Grund und Intensität zum Schutz des Betreuten (noch) geboten ist. Er hat von ihrer Anwendung abzusehen oder sie unverzüglich abzubrechen, wenn sie nicht (mehr) erforderlich ist (vgl. Staudinger/Bienwald, BGB [2006], § 1906 Rn 102).
16II.
17Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Entscheidung im Beschlussverfahren liegen vor. Die Rechtssache hat nämlich weder grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats im Urteilsverfahren (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO).
18III.
19Der Senat weist darauf hin, dass die Berufungsrücknahme vor Erlass einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO gemäß GKG KV 1222 S. 1 und 2 kostenrechtlich privilegiert ist; statt vier fallen nur zwei Gerichtsgebühren an (vgl. z. B. Senat, Beschl. v. 01.02.2010, I-24 U 156/09, juris Rz 16 m. w. Nachw.).