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Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 29. April 2009 (VK 3-76/09) aufgehoben.
Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat der Antragsteller zu tragen.
Der Antragsteller hat die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Antragsgegnerin zu tragen. Eine weitergehende Kostenerstattung findet nicht statt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen dem Antragsteller zur Last.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren beträgt bis zu 25.000,00 Euro.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I.
3Die Antragsgegnerin schrieb die Vergabe der Durchführung von Maßnahmen nach § 38a SGB IX für die individuelle betriebliche Qualifizierung von Behinderten im Rahmen Unterstützter Beschäftigung bei behinderten Menschen in 26 Losen national aus. Die Maßnahmen wurden zum 30. Dezember 2008 mit dem Gesetz zur Einführung Unterstützter Beschäftigung vom 22. Dezember 2008, BGBl. I 2008, 2959 ff. etabliert.
4Der Antragsteller war Träger einer Werkstatt für behinderte Menschen im Sinne der §§ 40, 41 SGB IX. Er beabsichtigte, sich an der öffentlichen Ausschreibung der Antragsgegnerin zur Beschaffung von Maßnahmen zur individuellen betrieblichen Qualifizierung im Rahmen Unterstützter Beschäftigung nach § 38 a SGB IX /2009 zu beteiligen. Für das Los drei reichte der Antragsteller in Bietergemeinschaft mit dem E… (E…) ein Angebot ein, welches den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet.
5Die Verdingungsunterlagen enthielten einen Allgemeinen Teil (Teil A) und die Leistungsbeschreibung (Teil B). Unter B.2.4. der Leistungsbeschreibung heißt es:
6Die Unterstütze Beschäftigung wird als Rahmenvereinbarung ausgestaltet. Die Rahmenvereinbarung umfasst eine Vertragslaufzeit von 4 Jahren.
7Das Kontingent an Teilnehmermonaten (Gesamtsumme aller Teilnehmermonate) ist dem Los- und Preisblatt zu entnehmen.
8Dem Auftragnehmer wird eine Vergütung in Höhe von 70% des Kontingents an Teilnehmermonaten garantiert. Diese Vergütung erfolgt unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme. Teilnehmermonate oberhalb von 70% des Kontingents werden vom Bedarfsträger nach tatsächlicher Inanspruchnahme vergütet.
9B.2.9.1. lautet ferner wie folgt:
10Mit dem angebotenen Teilnehmerkostensatz werden alle Kosten zur Durchführung der Maßnahme vergütet.
11Entsprechende Regelungen befanden sich auch in § 5 und § 23 des Vertragsentwurfs.
12Im Teil B der Leistungsbeschreibung unter B.1. "Allgemeine Rahmenbedingungen" lauteten die Vorgaben zum Personal unter B.1.1 "Personal":
13Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg dieser Leistung ist fachlich qualifiziertes und erfahrenes Personal. Der Personaleinsatz muss quantitativ und qualitativ der Leistungsbeschreibung entsprechen. .....
14Der Nachweis des Personals hat mit Erhebungsbogen "Personal (P.1)" sowie der Gesamtübersicht "Personaleinsatz P2" nach Zuschlagserteilung, spätestens vier Wochen vor Beginn der Maßnahme, gegenüber dem Auftraggeber und der koordinierenden Dienststelle zu erfolgen. Bei kurzfristigem Beginntermin ist die Vorlage unmittelbar nach Zuschlagserteilung erforderlich.
15Ferner enthielt die Leistungsbeschreibung "Personal" unter B.2.5.1. "Personalansatz/Personalschlüssel" quantitative Vorgaben für den Personalansatz und unter B.2.5.2. qualitative Anforderungen an das Personal. Unter B.2.5.1. hieß es:
16Der Personalschlüssel beträgt:
171 Qualifizierungstrainer zu 5 Teilnehmern
18Bei weniger als fünf Teilnehmern erfolgt der Personalansatz des Qualifizierungstrainers unabhängig vom Personalschlüssel mit 1,0 (minimaler Personalansatz).
19Beim minimalen Personalansatz von 1,0 dürfen nicht mehr als zwei Mitarbeiter eingesetzt werden; in diesen Fällen sind bei Ansatz von zwei Mitarbeitern die Einsatzzeiten hälftig (je 0,5) zu verteilen.
20Der Auftragnehmer hat die Personalkapazität entsprechend der tatsächlichen Inanspruchnahme im erforderlichen Umfang herzustellen.
21Die Räumlichkeiten waren spätestens vier Wochen vor Maßnahmebeginn nachzuweisen (vgl. B.1.3). Mindestens ein Gruppenraum, ein Sozialraum und in ausreichender Zahl Besprechungsräume waren ab Maßnahmebeginn vom Auftragsnehmer vorzuhalten (vgl. B.2.6.).
22Der Antragsteller rügte mit Schreiben vom 18. und 20. Februar 2009 u. a. den Umstand, dass die Antragsgegnerin eine Vergütung in Höhe von nur 70% der Teilnehmerstunden garantiere, im Übrigen aber der Bieter das Risiko der tatsächlichen Inanspruchnahme der pro Los ausgeschriebenen Teilnehmerstunden trage. Die Antragsgegnerin half den Rügen mit Schreiben vom 20. Februar 2009 und vom 5. März 2009 nicht ab.
23Mit Schreiben vom 30. März 2009 unterrichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller darüber, dass das Konzept in den Wertungskriterien B.4.1.3, B.4.2.1, B.4.3.1, B.4.4.1 und B.4.5.1 mit Null Punkten bewertet worden und deshalb auszuschließen sei. Nach den einleitenden Vorgaben in der Bewertungsmatrix und auf Seite 8 der Verdingungsunterlagen unter A.8. führt eine Bewertung bei einem dieser Wertungskriterien mit Null Punkten zum Ausschluss des Angebots. Hinsichtlich des Loses drei rügte der Antragsteller noch am gleichen Tage eine fehlerhafte Angebotswertung.
24Danach stellte der Antragsteller einen Nachprüfungsantrag, der sich unter anderen auch gegen die beabsichtigte Vergabe des streitgegenständlichen Loses richtete.
25Mit Beschluss vom 29. April 2009 hat die Vergabekammer der Antragsgegnerin untersagt, einen Zuschlag auf das Los drei zu erteilen, ohne die Verdingungsunterlagen entsprechend der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu überarbeiten und den Bietern erneut Gelegenheit zur Abgabe von Angeboten gegeben zu haben.
26Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt: Die Verlagerung des Auslastungsrisikos auf den Auftragnehmer sei nicht per se vergaberechtswidrig. Der Auftragnehmer müsse aber auch dann, wenn die maximale Teilnehmerzahl nicht erreicht werde, im Extremfall die räumlichen und insbesondere die personellen Kapazitäten vorhalten, ohne diese Aufwendung amortisieren zu können. Zwar sei der Antragsgegnerin nicht vorzuwerfen, dass sie über eine vierjährige Laufzeit der Maßnahme nicht prognostizieren könne, wie viele Personen betreut werden. Dennoch falle die Auslastungsfrage in die Risikosphäre der Antragsgegnerin. Selbst wenn der Auftragnehmer in gewissem Maße das Auslastungsrisiko zu tragen habe, werde im Streitfall die Grenze des Zulässigen überschritten, was sich schon daraus ergebe, dass es sich um die Vergabe eines Auftrags, mit einer sehr langen Laufzeit und einer Quote von 70 : 30 handele, mit der ein Ausfallrisiko von rund einem Drittel auf den Bieter verlagert werde. Bei einem Personalschlüssel von 1 : 5 sei die Maßnahme nicht nur personalintensiv, sondern es werde auch hoch qualifiziertes Personal vorausgesetzt, das sehr teuer sei. In Bezug auf die konkrete Maßnahme erscheine eine Verlagerung des Ausfallrisikos auf die Bieter in Höhe von maximal 15% der Teilnehmermonate vergaberechtskonform.
27Dagegen hat die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde erhoben, mit der sie in erster Linie die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags als unbegründet begehrt.
28Sie führt zur Begründung aus: Die Vergabekammer berücksichtige nur den Fall der fehlenden Auslastung von 30%, lasse aber den Extremfall unberücksichtigt, dass der Auftragnehmer mangels Teilnehmern überhaupt keine Leistungen erbringen müsse. Es sei nicht nachvollziehbar, dass dem Auftraggeber eine Mindestabnahmemenge von 85% der Teilnehmermonate ohne eine nachvollziehbare Begründung auferlegt werde.
29Die Antragsgegnerin beantragt,
30den Beschluss der Vergabekammer vom 29. April 2009 aufzuheben
31und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
32hilfsweise die Vergabekammer zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats über die Sache erneut zu entscheiden.
33Der Antragsteller beantragt,
34die Beschwerde zurückzuweisen.
35Der Antragsteller verteidigt den Beschluss der Vergabekammer im Wesentlichen mit den folgenden Erwägungen: Die Antragsgegnerin habe bewusst einen Rahmenvertrag ausgeschrieben, um das Verwendungsrisiko auf den Auftragnehmer übertragen zu können.
36Die Vorgaben in den Verdingungsunterlagen zu den Vorhalte- und Nachweisverpflichtungen seien unklar. Er habe die Verdingungsunterlagen unter B.1.1. der Leistungsbeschreibung dahingehend verstanden, dass der Auftragnehmer nicht nur das Verwendungsrisiko der Leistung in Höhe von 30%, sondern auch das mit der Leistungserbringung verbundene Vorhalterisiko für die räumliche, sachliche und personelle Ausstattung trage.
37Im Zeitpunkt der Nachweispflicht vier Wochen vor Beginn der Maßnahme seien dem Auftragnehmer regelmäßig noch keine Teilnehmerzahlen bekannt, so dass nicht ersichtlich sei, welcher andere Maßstab als die volle Personalbereitstellung sonst noch in Betracht komme. Ein verständiger Bieter habe daher die Verdingungsunterlagen nur so verstehen können, dass spätestens vier Wochen vor Beginn der Maßnahme der Nachweis für eine Vollauslastung (456 Teilnehmermonate bei Los drei) des erforderlichen Fachpersonals zu führen sei. Zudem müsse der Auftragnehmer sich auch darauf einstellen, dass eine Aufnahme der Teilnehmer ausweislich B.2.3 der Leistungsbeschreibung täglich erfolgen könne und andererseits die Maßnahme in der achtwöchigen Erprobungsphase kurzfristig beendet werden könne. Die Formulierung unter B.2.5.1 der Leistungsbeschreibung stehe hierzu in einem gewissen Widerspruch. Ein solcher gehe jedoch zu Lasten der Antragsgegnerin.
38Keinesfalls sei die Formulierung in B.2.5.1. dahin zu deuten, dass die Vorgaben unter B.1.1. der Leistungsbeschreibung von einem verständigen Bieter dahin zu verstehen waren, der Nachweis sei stets nur in Abhängigkeit von dem bis dato vom Auftraggeber angemeldeten Teilnehmerbedarf erforderlich. Das Nachweisverlangen sei völlig unabhängig von einer Bedarfsanmeldung des Auftraggebers formuliert, so dass einzig ein Zusammenhang mit dem im Los und Preisblatt vorgegebenen Kontingent bestehe. Auch an zahlreichen anderen Stellen der Verdingungsunterlagen werde nahezu durchgängig an das im Los- und Preisblatt vorgegebene Kontingent angeknüpft.
39Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
40II.
41Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig. Das Rechtsmittel ist auch begründet, denn der Nachprüfungsantrag hat keinen Erfolg.
42a) Der Antragsteller war zur Einreichung des Nachprüfungsantrags im eigenen Namen berechtigt. Allerdings ist ein einzelnes Mitglied einer Bietergemeinschaft grundsätzlich allein nicht befugt, einen Nachprüfungsantrag zu stellen. Denn im Nachprüfungsverfahren ist nach dem Wortlaut von § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB nur das Unternehmen antragsbefugt, das (unter anderem) ein Interesse am Auftrag hat. Bewirbt sich (auch in der Form eines Teilnahmeantrags zu einem Nichtoffenen Verfahren oder einer Beschränkten Ausschreibung) eine Bietergemeinschaft um eine Auftragsvergabe, ist deshalb nur die Bietergemeinschaft dasjenige Unternehmen, das ein Interesse am Auftrag hat und im Sinne von § 107 Abs. 2 GWB befugt ist, einen Nachprüfungsantrag zu stellen.
44Im Streitfall hat der Antragsteller durch schriftliche Erklärung vom 1. April 2009 jedoch nachgewiesen, vom E… ermächtigt worden zu sein, das Nachprüfungsverfahren zu betreiben. Analog dem im Prozessrecht anerkannten Institut der gewillkürten Prozessstandschaft (vgl. Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 24. Aufl., vor § 50 ZPO Rn. 42 ff., 44 m.w.N.) ist auch im Vergabenachprüfungsverfahren der Antragsteller befugt, eine Verletzung fremder Bewerber- oder Bieterrechte im eigenen Namen geltend zu machen, sofern er dazu vom Berechtigten ermächtigt worden ist und ein eigenes schutzwürdiges Interesse an der Durchführung des Nachprüfungsverfahrens im eigenen Namen hat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. März 2005 – VII-Verg 101/04, BA 4 f.). Ein schutzwürdiges Eigeninteresse an der Durchführung des Verfahrens ist anzunehmen, wenn die Entscheidung im Nachprüfungsverfahren Einfluss auf die eigene Rechtslage des Antragstellers hat. Die Verfahrensstandschaft ist danach im vorliegenden Fall zulässig, weil dem Antragsteller ein Auftragsverlust und damit ein Schaden zu entstehen droht.
45b) Der Antragsteller ist auch der Rügeobliegenheit unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB nachgekommen. Er hat noch vor Ablauf der Angebotsfrist am 26. Februar 2009 mit Schreiben vom 20. Februar 2009 zum einen gerügt, es sei vergaberechtswidrig, die in Rede stehenden Leistungen als Rahmenvereinbarung auszuschreiben. Zum anderen hat er gerügt, der Umstand dass dem Auftragnehmer nur eine Vergütung in Höhe von 70 % der pro Los ausgeschriebenen Teilnehmermonate garantiert werde, stelle ein unzumutbares Wagnis dar.
46Auch die Rüge der fehlerhaften Wertung des Angebotskonzepts ist nicht präkludiert. Der Antragsteller hat von dem beabsichtigten Ausschluss seines Angebots mit Schreiben vom 30. März 2009 erfahren. Noch am selben Tage hat er schriftlich die Fehlerhaftigkeit der Vergabe von Null Punkten bei den Wertungskriterien beanstandet.
47a) Allerdings kann es im Streitfall dahinstehen, ob die Antragsgegnerin tatsächlich eine Rahmenvereinbarung im Sinne des § 3a VOL/A in vergaberechtlich zulässiger Weise ausschreiben durfte, wie die Antragstellerin bezweifelt. Als "Rahmenvertrag" (mit nur einem Bieter) ist er zwar in den Verdingungsunterlagen vom Antragsgegner bezeichnet worden. Gegen die Ausschreibung eines Rahmenvertrags spricht aber, dass die Zuweisung von Teilnehmern nicht erst aufgrund eines später geschlossenen Einzelvertrages, sondern aufgrund eines Realakts, nämlich einer bloßen Mitteilung durch den Bedarfsträger (Arbeitsagentur) mit einer Vorlaufzeit von zwölf bzw. acht Arbeitstagen (vgl. B.7.2. der Leistungsbeschreibung) erfolgt. Die Frage bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Denn unabhängig von der zivilrechtlichen Einordnung des ausgeschriebenen Vertrags kann auch in einem Dienstleistungsvertrag das Verwendungsrisiko der Dienstleistung (§ 611 BGB) vom Dienstherrn auf den Dienstleister übertragen werden. Der Ausschreibung eines Rahmenvertrags bedurfte es mithin nicht, um eine Verlagerung von Verwendungsrisiken vorzusehen. Aufgrund der allgemeinen Vertragsfreiheit und des Nichtbestehens eines Formen- und Typenzwangs im Zivilrecht können die Vertragsparteien eine Verlagerung des Verwendungsrisikos der Dienstleistung vom Dienstherrn auf den Auftragnehmer bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) vereinbaren. Dass diese Grenze durch die Preisvereinbarung in § 23 des Vertragsentwurfs überschritten worden sei, macht die Antragstellerin nicht geltend, und dies ist angesichts des Umfangs der Verlagerung des Risikos in Höhe von 30% auch nicht ersichtlich. Preisvereinbarungen wie die vorliegende unterliegen zudem nicht einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB (vgl. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB).
49b) Mit der Ausschreibung des streitgegenständlichen Vertrags verstößt der Antragsgegner nicht gegen § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A. Die Vorschrift besagt, dass Risiken (Wagnisse) dann in die Sphäre des öffentlichen Auftragsgebers fallen und nicht dem Auftragnehmer auferlegt werden dürfen, wenn das jeweilige Risiko auf Umständen und Ereignissen beruht, auf die der Auftragnehmer keinen Einfluss hat, das Risiko nach Art und Umfang ungewöhnlich ist und die Einwirkung des Risikos auf Preise und Fristen durch den Auftragnehmer nicht geschätzt werden kann. Aus dieser Vorschrift folgt nicht, dass die Verlagerung eines Wagnisses per se unzulässig ist. Die Verlagerung von Wagnissen, die auf Umständen und Ereignissen beruhen, auf die der Auftragnehmer Einfluss hat, und/oder deren Einwirkungen auf die Preise er schätzen kann, ist vergaberechtlich nicht unzulässig.
50aa) Allerdings wurden dem Auftragnehmer zusätzlich zum Ausfallrisiko von 30% keine (weiteren) ungewöhnlichen, besonderen Vorhalterisiken für den Fall der Nichtausschöpfung des Teilnehmermonatekontingents durch den Vertrag und die Vorgaben der Leistungsbeschreibung auferlegt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der vorliegende Fall schon in tatsächlicher Hinsicht von dem vom Senat mit Beschluss vom 9. Juni 2004 (VII-Verg 18/04) entschiedenen Fall. Dort waren Personal und Räumlichkeiten während der gesamten Vertragslaufzeit in vollem Umfang vorzuhalten und ferner sollte der Auftragnehmer bei einem Ausfall von 30% der Teilnehmer keine Vergütung erhalten. Der Senat hat in der Kombination von Vergütungsausfall in Höhe von 30% bei Ausfall von 30% der Teilnehmer der Maßnahme und ersatzloser Kostentragung für Personal und Räumlichkeiten die Überbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses gesehen. Im Streitfall erhält der Auftragnehmer bei Nichtbelegung der Teilnehmerstunden in Höhe von 30 % zwar auch nur eine Vergütung in Höhe von 70%. Personal und dem überwiegenden Teil der Räumlichkeiten sind nach den Vorgaben in den Verdingungsunterlagen unter B.2.5.1. aber nur nach dem Maß der tatsächlichen Inanspruchnahme der Teilnehmerstunden vorzuhalten. Dies ergibt sich aus einer Vorgabe unter B.2.5.1 der Leistungsbeschreibung, welche besagt:
51Der Auftragnehmer hat die Personalkapazität entsprechend der tatsächlichen Inanspruchnahme im erforderlichen Umfang herzustellen.
52Die Verdingungsunterlagen sind, soweit es die Vorhalteverpflichtung für das Personal und die Räumlichkeiten entsprechend einer tatsächlichen Inanspruchnahme der Teilnehmerstunden betrifft, auch nicht unklar im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A. Die Verdingungsunterlagen sind in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB aus der Sicht eines verständigen Bieters auszulegen. Die Anforderungen der Leistungsbeschreibung zum Personaleinsatz unter B.1.1. "Personal" und B.2.5.1 "Personalansatz/Personalschlüssel sind nicht unklar. Die Vorgaben unter B.2.5.1 widersprechen den Vorgaben unter B.1.1. nicht. Ein verständiger Bieter musste dem Hinweis unter B.1.1. "Der Personaleinsatz muss quantitativ und qualitativ der Leistungsbeschreibung entsprechen" vielmehr entnehmen, dass in der Leistungsbeschreibung noch konkretere Vorgaben zum Personaleinsatz enthalten waren. Dem entspricht auch der Umstand, dass der Teil B.1. mit der Aussage "Allgemeine Rahmenbedingungen" überschrieben war. Während das Kapitel B.1.1. neben allgemeinen Aussagen zur Qualifikation des Personals auch Angaben zum Zeitpunkt des Nachweises des Personals enthielt, befanden sich unter B.2.5.2 die qualitativen Vorgaben zum Personaleinsatz, nämlich zum einen der Personalschlüssel und zum anderen die Vorgabe, die Personalkapazität entsprechend der tatsächlichen Inanspruchnahme im erforderlichen Umfang herzustellen. Die allgemeinen Vorgaben unter B.1.1. wurden mithin durch die Vorgaben nach B.2.5.1. in quantitativer Hinsicht und nach B.2.5.2. in qualitativer Hinsicht konkretisiert und näher ausgefüllt.
53Ein verständiger Bieter/Auftragnehmer fasst die konkret gehaltenen quantitativen Vorgaben unter B.2.5.2. im Kontext mit den allgemeinen Ausführungen unter B.1.1. dahin auf, dass ein Nachweis des Personals nur hinsichtlich des tatsächlich benötigten Personals ab Maßnahmebeginn zu erfolgen hat, und nicht dass das gesamte Personal vier Wochen vor Maßnahmebeginn – unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme - vorzuhalten und nachzuweisen sind. Zwar trifft es zu, dass die koordinierende Dienststelle den Auftragnehmer (spätestens) acht Tage vor dem erstmöglichen Eintrittstermin über geplante Zuweisung von Teilnehmern zu informieren (vgl. B.2.7.2. der Leistungsbeschreibung, 4. Absatz) hat. Für den Fall, dass vier Wochen vor Maßnahmebeginn der Auftragnehmer deshalb noch keine Kenntnis von der Zahl der zuzuweisenden Teilnehmer besitzt, bedeutete dies, dass er vier Wochen vor Maßnahmebeginn auch noch kein Personal nachzuweisen, sondern erst zu Beginn der Maßnahme den Nachweis des Personals im Umfang der tatsächlichen Inanspruchnahme zu führen hat. Weder hat der Auftragnehmer das Personal in vollem Umfang während der Gesamtdauer der Maßnahme vorzuhalten, noch ist er verpflichtet, das Personal schon vier Wochen vor Beginn des Auftrags bereitzustellen. Die Vorgabe, der Auftragnehmer habe die Personalkapazität entsprechend der tatsächlichen Inanspruchnahme im erforderlichen Umfang herzustellen, sollte gerade gewährleisten, dass der Auftragnehmer das Personal nicht in einem unnötigen Umfang schon vor Beginn oder während der Maßnahme bereitstellt und ihm nicht notwendige Aufwendungen entstehen. Auch der Nachweis des Personals war daher nur in Abhängigkeit zu den bis dahin gemeldeten Teilnehmern zu führen. Ein anderes Verständnis – wie es der Antragsteller vertritt – würde zu wirtschaftlich unvernünftigen Ergebnissen führen. Ob der Auftragnehmer in der Anfangsphase auf schon neu eingestelltes Personal einstellt oder auf (nicht ausgelastetes) Stammpersonal zurückgreift, bleibt nach den Vorgaben der Leistungsbeschreibung und der Vertragsgestaltung allein der autonomen Entscheidung des Auftragnehmers überlassen.
54bb) Eine solchermaßen nach der tatsächlichen Inanspruchnahme beschränkte Vorhalteverpflichtung bestand nach den Vorgaben in der Leistungsbeschreibung unter B.2.6. auch hinsichtlich der Räumlichkeiten, weshalb auch insoweit nicht ein unvorhersehbares Wagnis vorlag. Nur der Gruppen- und der Sozialraum waren "mindestens", die Besprechungsräume waren "in ausreichender Zahl", also gemessen an der Zahl der Teilnehmer und dem Grad der tatsächlichen Inanspruchnahme vorzuhalten.
55cc) Zuzustimmen ist dem Antragsteller zwar darin, dass der Auftragnehmer keinen Einfluss auf die Zuweisung der Teilnehmer hat. Die Zuweisungen erfolgen durch den Bedarfsträger und liegend damit außerhalb der Einfluss- und Risikosphäre des Auftragsnehmers. Die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A sind indes nicht erfüllt.
56Bieter können aber die Einwirkung einer unterbleibenden Zuweisung von 30% der Teilnehmer auf die Preise (und Fristen) schätzen, indem er den Preis für die Teilnehmerstunde mit einem Sicherheitszuschlag, der eine Nichtauslastung von 30 % der Teilnehmerstunden berücksichtigt, kalkuliert. Als Ausgangsgröße für die Schätzung der voraussichtlichen Teilnehmerzahl kann der Auftragnehmer auf die Teilnehmerzahlen der Werkstätten für behinderte Menschen zurückgegriffen werden, denn bei diesen Maßnahmen hat auch der Antragsteller mit der Antragsgegnerin schon wiederholt zusammengearbeitet. Die der Schätzung zugrunde zu legende Teilenehmerzahl muss aber deutlich unter der Teilnehmerzahl der Werkstätten für behinderte Menschen liegen, weil ein großer Teil der behinderten Menschen an Werkstattmaßnahmen wohl geeignet ist, an Integrationsmaßnahmen aufgrund der Art ihres Handicaps auf dem ersten Arbeitsmarkt teilzunehmen. Auf dieser Grundlage haben auch die Arbeitsagenturen eine Schätzung des Bedarfs zur Ermittlung der jeweils pro Los ausgeschriebenen Teilnehmerstundenzahlen vorgenommen. Auch indiziert der Umstand, dass die Bietergemeinschaft eine derartige Kalkulation beim Los drei vorgenommen hat, nicht, dass solches nicht möglich oder betriebswirtschaftlich unvertretbar gewesen ist.
57Der Antragsteller beanstandet insoweit, die Antragsgegnerin habe den Bietern vergaberechtswidrig nicht mitgeteilt, dass es sich bei den Bedarfsmeldungen der Arbeitsagenturen um vorsichtige Schätzungen gehandelt habe und dass die Antragsgegnerin im Vorfeld der Ausschreibung davon ausgegangen sei, dass die Maßnahmen zu 100% oder mehr ausgelastet werden würden, und zwar auch unter Berücksichtigung der üblichen Fluktuation, also eher mit einer Vollauslastung statt mit einer Nichtausschöpfung der Stundenkontingente zu rechnen sei. Die Antragsgegnerin war zu Schätzungen berechtigt und lediglich gehalten, diese unter Wahrung der größtmöglichen Sorgfalt vorzunehmen. Dies ist ausweislich der Vergabeakten geschehen. Jedoch war die Antragsgegnerin nicht verpflichtet, dem Antragsteller mitzuteilen, dass die pro Los ausgeschriebenen Teilnehmerstundenzahlen dem von den Arbeitsagenturen geschätzten Bedarf zu 100% entsprachen. Diese Mitteilung hätte auch dann, wenn sie den Bietern bekannt gewesen wäre, ihnen keine andere, insbesondere günstigere Kalkulation erlaubt. Ein verständiger Bieter hätte auf jeden Fall mit einem Sicherheitszuschlag für den Fall der Nichtauslastung der Maßnahme zu kalkulieren. Ob die Prognosen der Arbeitsagenturen Wirklichkeit werden, war gleichwohl ungewiss, weil es sich um eine zum 1. Januar 2009 neu eingeführte Maßnahme der Förderung handelte. Auch der Antragsteller macht nicht geltend, die Bietergemeinschaft habe mit noch niedrigeren Preisen kalkulieren können, als sie es ohnehin schon getan habe. Dass die Bietergemeinschaft des Antragstellers infolge des Sicherheitszuschlags nicht mit einem wettbewerbsfähigen Angebotspreis kalkulieren konnte, behauptet der Antragsteller ohnedies nicht. Die Bietergemeinschaft hat vielmehr das - mit deutlichem Abstand zum Angebot der Beigeladenen – preislich günstigste Angebot abgegeben.
58Das dem Auftragnehmer verbleibende wirtschaftliche Risiko ist auch nicht ungewöhnlich. Ein ungewöhnliches Risiko ist anzunehmen, wenn das Wagnis nach der Art der Vertragsgestaltung und nach dem allgemeinen geplanten Ablauf nicht zu erwarten ist. Das Ungewöhnliche kann sowohl in den technischen (Art der Leistung) als auch den wirtschaftlichen Leistungselementen (Art der Vertragsgestaltung) liegen. Es muss schwerwiegende wirtschaftliche Folgen für den Auftragnehmer mit sich bringen (vgl. Senat, Beschl. v. 19.10.2006, VII-Verg 39/06, BA 12). Im Streitfall sind nach der Art der Vertragsgestaltung die Risiken vorhersehbar und planbar und nicht ungewöhnlich oder überraschend. Das Risiko einer Nichtbelegung der Maßnahme hat die Antragsgegnerin dadurch übernommen, dass sie unabhängig von der tatsächlichen Auslastung mindestens 70% der Teilnehmermonate vergütet. Der Leistungsbeschreibung und der Vertragsgestaltung konnte ein verständiger Bieter aber entnehmen, welches wirtschaftliche (Rest-)Risiko infolge einer Teilauslastung der Maßnahme im Auftragsfalle auf ihn übertragen werden sollte. Das damit übernommene vorhersehbare Risiko wird schließlich dadurch minimiert, dass infolge einer längeren Vertragslaufzeit von vier Jahren der Auftragnehmer mit einer feststehenden Teilnehmerzahl kalkulieren und infolgedessen auch mit einer feststehenden monatlichen Vergütung kalkulieren und planen kann. Die Garantie der Antragsgegnerin in Höhe von 70% vermeidet einen noch größeren Verlust des Auftragnehmers.
59Der Umstand, dass mit dem Auftragnehmer eine Probezeit vereinbart werden sollte, vermag ein ungewöhnliches Wagnis ebenfalls nicht zu begründen. Probezeiten sind ebenso wie Vertragsstrafen oder Gewährleistungsverpflichtungen üblich und vom Bieter kalkulier- und beherrschbar.
60c) Das Angebot der Antragstellerin ist mit Recht vom Antragsgegner auch aus formalen Gründen von der Wertung ausgeschlossen worden. Das von der Antragstellerin mit dem Angebot vorgelegte Konzept erfüllte nicht die formalen Vorgaben im Allgemeinen Teil der Verdingungsunterlagen unter A.6 "Aufbau, Form und Inhalt des Angebotes". Dort hieß es zum mit dem Angebot vorzulegenden Konzept:
61Das Konzept ist entsprechend der in der Bewertungsmatrix (dargestellt unter B.4) vorgegebenen Reihenfolge der Wertungskriterien innerhalb der Wertungsbereiche zu gliedern. Sofern dieses nicht nach der vorgegebenen Gliederung erstellt worden ist, wird es ausgeschlossen.
62Eine Gliederung nach den einzelnen Wertungskriterien wies das dem Angebot beigefügte Konzept der Bietergemeinschaft aber nicht auf. Das Konzept war lediglich nach den Wertungsbereichen 4.1 bis 4.5 gegliedert, nicht aber nach der Gliederung der einzelnen Wertungskriterien und entsprach damit nicht den zitierten Anforderungen. Die Gliederung der Konzepte in der Reihenfolge der Wertungskriterien war auch wettbewerbsrelevant, weil sie vom Auftraggeber gefordert war. Dies sollte zum einen den Prüfern die Bewertung, nämlich das Auffinden der Angaben zum jeweiligen Wertungskriterium erleichtern, indem ohne weiteres festzustellen war, welche Angaben welchem Kriterium zugeordnet waren. Zum anderen dienten diese formalen Vorgaben dem Zweck sicherzustellen, dass die Konzepte der Bieter ihrer äußeren Form nach in jeder Hinsicht miteinander vergleichbar waren, um damit ein transparentes und ein die Bieter gleichbehandelndes Vergabeverfahren zu gewährleisten. Die Übernahme der Gliederung der Bewertungsmatrix in das Angebotskonzept war den Bietern auch zumutbar. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung der zur Vollständigkeit der Preise aufgestellten Grundsätze.
63Auch wenn sich bei einem Vergleich des mit dem Angebot eingereichten und des mit dem Schriftsatz vom 20. April 2009 im Nachprüfungsverfahren überreichten internen Konzepts der Antragstellerin feststellen lassen sollte, dass der Aufbau des Konzepts der chronologischen Reihenfolge der Wertungskriterien entsprochen hat, vermag die erst nach Ablauf der Angebotsfrist erfolgte Vorlage des Konzepts am Ausschluss des Angebots nichts zu ändern. Die Berücksichtigung einer späteren Änderung des Angebots durch Nachreichung des gegliederten Ursprungskonzeptes ist nach § 23 Nr. 1a VOL/A ausgeschlossen. Eine spätere Änderung ist immer dann gegeben, wenn sie die nachträgliche Erklärung nicht lediglich auf die inhaltliche Klärung eines an sich festgelegten Angebots beschränkt. An der notwendigen Festlegung fehlte es hier, weil offen geblieben war, welche inhaltlichen Ausführungen im Konzept welchem Bewertungskriterium zuzuordnen waren. Die Ausführungen sind nur den Wertungsbereichen B.4.1 bis B.4.5 zugeordnet. Eine Nachholung der Gliederung des Konzeptes kann die fehlende Festlegung nicht beseitigen und kann deshalb den Ausschluss des Angebots nicht verhindern. In diesem Punkt nicht die notwendige Aufmerksamkeit auf die äußere Form des Konzepts aufgewandt zu haben, geht zu Lasten der Bietergemeinschaft.
64d) Vor diesem Hintergrund ist auch die Bewertung des Konzepts mit null Punkten bei den Wertungskriterien B.4.1.2, B.4.1.3 und B.4.2.1 nicht als auf einem falschen Sachverhalt beruhend oder ermessensfehlerhaft, insbesondere als willkürlich zu beanstanden. Ausweislich der Bewertungsmatrix haben die Prüfer die Bewertung des Konzepts nach der Bewertung der Kriterien B.4.1.2, B.4.1.3 und B.4.2.1 mit null Punkten abgebrochen. Diese Bewertung ist im Kern darauf zurückzuführen, dass eine Festlegung fehlte, welche Angaben welchem Kriterium zuzuordnen waren. Der Umstand, dass die Antragsgegnerin die Vergabe von null Punkten im Auswertungsbogen und der Bieterinformation damit begründet hat, die Angaben fehlten völlig, ist zwar in der Sache nicht zutreffend, beruht aber ersichtlich auf dem Umstand, dass nach der Rechtsprechung des Senats die Vergabe von null Punkten mit einer Begründung zu versehen ist. Tatsächlich beruhte sie aber darauf, dass das Konzept nicht gegliedert war. Eine inhaltliche Bewertung des Konzepts hat der Antragsgegner im Grunde nicht mehr vorgenommen und hierzu war er auch nicht gehalten, weil die formalen Vorgaben an das Konzept schon nicht gewahrt worden waren.
65Dicks Dieck-Bogatzke Frister