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Die Berufung der Klägerin gegen das am 23.03.2006 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg – 8 O 522/04 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
G r ü n d e :
2I.
3Die Klägerin stürzte am 29.12.2001 während eines Ausritts, als ihr Pferd scheute und durchging. Sie erhielt einen Tritt ihres Pferdes gegen ihren Helm, der dabei nach ihrer Darstellung zerbrach. Sie wurde von einem Bekannten in die Notfallambulanz des E… Krankenhauses M… a… d… R… gebracht und dort von dem diensthabenden Arzt Dr. R… behandelt. Nach der klinischen Untersuchung folgte eine Röntgenuntersuchung des Schädels und der Halswirbelsäule, bei der keine knöcherne Verletzung gesehen wurde. Gegen 17.00 Uhr wurde die Klägerin mit dem Hinweis, sich bei Persistenz oder Verschlimmerung der geklagten Kopfschmerzen wieder vorzustellen, nach Hause entlassen. Am 02.01.2002 suchte sie die W…-Kliniken des Klinikums D… auf. Dort ergab eine CT-Untersuchung eine linkstemporale Schädel-Kalottenfraktur mit deutlicher vegetativer Begleitsymptomatik. Die Klägerin verblieb bis zum 21.01.2002 in konservativer unfallchirurgischer und nachfolgend bis zum 28.03.2002 in einer Anschlussheilbehandlung.
4Die Klägerin hat behauptet, sie habe sich nach der Untersuchung im Krankenhaus der Beklagten in einem Trancezustand befunden. Am Abend des 31.12.2001 habe sie Übelkeit verspürt und erbrochen. Ihre Kopfschmerzen seien weiterhin beinahe unerträglich gewesen. Ihre Benommenheit und Orientierungslosigkeit hätten sich verstärkt. Es seien horizontale und vertikale Doppelbilder aufgetreten. Dem diensthabenden Arzt der Beklagten seien grobe Fehler unterlaufen, die die rechtzeitige Diagnose und die adäquate Therapie verhindert hätten. Sie habe dem Arzt berichtet, dass sie doppelt und verschwommen sehe, ihr schwindelig sei und sie unerträgliche Kopfschmerzen habe. Grob fehlerhaft sei vor allem der Verzicht auf eine CT-Untersuchung gewesen. Diese hätte schon am 29.12.2001 den Nachweis der Schädelfraktur und des Schädel-Hirntraumas erbracht. Bei rechtzeitiger Diagnose und Therapie der Schädelfraktur und des Schädel-Hirn-Traumas wäre es nicht zu den erheblichen neurologischen Störungen gekommen, an denen sie nach wie vor leide und die sie erheblich beeinträchtigten.
5Die Klägerin hat ein Schmerzensgeld in Höhe von € 70.000 (Kapitalbetrag) und eine Schmerzensgeldrente sowie Zahlung von € 30.840 zum Ausgleich materieller Schäden (Verdienstausfall, Haushaltsführungsschaden) gefordert und hat die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz allen künftigen materiellen und immateriellen Schadens begehrt.
6Die Beklagte hat geltend gemacht, die Klägerin habe nicht davon berichtet, dass ihr Reithelm bei dem Tritt des Pferdes zersplittert sei. Sie habe über Kopfschmerzen geklagt, aber weder Bewusstlosigkeit noch Erbrechen angegeben. Angesichts des klinischen Bildes und des Ergebnisses der Röntgenuntersuchung habe kein Anlass bestanden, eine CT-Untersuchung vorzunehmen. Die Klägerin habe vielmehr mit dem Hinweis, sich bei Verschlimmerung des Zustands wieder vorzustellen, entlassen werden dürfen. Die Beklagte hat bestritten, dass die von der Klägerin behaupteten Beschwerden bei sofortiger Diagnose der Schädelfraktur und stationärer Behandlung ab dem 29.12.2001 vermieden worden wären.
7Das Landgericht hat die Klage gestützt auf ein unfallchirurgisches und ein neurologisches Gutachten abgewiesen, weil weder ein Behandlungsfehler festzustellen sei, noch ein kausaler Zusammenhang zwischen der damaligen Verletzung und der sich im Verlauf entwickelnden Symptomatik erkennbar sei; schließlich habe der Sachverständige festgestellt, dass die Behandlung keine andere gewesen wäre, wenn bei der Beklagten eine Computertomografie durchgeführt und eine Kalottenfraktur diagnostiziert worden wäre. Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
8Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlich gestellten Klageanträge weiter und wiederholt ihr früheres Vorbringen. Sie rügt, das Landgericht habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt und sei verfahrensfehlerhaft ihren Einwendungen gegen die Gutachten nicht nachgegangen; die Anhörung der Gutachter sei nachzuholen. Als monatliche Rente macht sie nunmehr einen Betrag von mindestens € 500 ab dem 01.01.2003 geltend.
9D ie Kläger in beantrag t ,
10unter „Aufhebung“ des Urteils des Landgerichts Duisburg vom 23.02.2006 die Beklagte entsprechend den in I. Instanz gestellten Anträgen zu verurteilen.
11D ie Beklagte beantrag t ,
12die Berufung zurückzuweisen.
13Sie tritt dem Berufungsvorbringen der Klägerin entgegen und verteidigt die Entscheidung des Landgerichts.
14Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
15II.
16Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat Ersatzansprüche der Klägerin wegen der Behandlung am 29.12.2001 im Krankenhaus der Beklagten zutreffend verneint.
17Nach allgemeinen Grundsätzen hat ein Patient im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses zu beweisen, dass dem in Anspruch genommenen Arzt ein zumindest fahrlässiges Versäumnis bei der medizinischen Versorgung zur Last zu legen ist, das eine bestimmte gesundheitliche Beeinträchtigung hervorgerufen hat (vgl. BGHZ 99, 391 = NJW 1987, 1482 = VersR 1987, 1089; VersR 1995, 539; ständige Rechtsprechung). Das hat das Landgericht nach der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme nicht festzustellen vermocht. Hieran ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.
181.
19Der unfallchirurgische Sachverständige Dr. D… hat ein fehlerhaftes Vorgehen des diensthabenden Arztes eindeutig verneint. Er hat die Röntgenbilder vom 29.12.2001 gesehen und befundet und hat bestätigt, dass sich eine knöcherne Verletzung nicht erkennen lasse. Dass dem Gutachter die CT-Aufnahme aus dem Klinikum D… vom 02.01.2002 nicht vorgelegen hat, ist unschädlich, denn für die Fehlerfrage ist allein entscheidend, dass die Kalottenfraktur auf den angefertigten Röntgenbildern nicht erkennbar war. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Schreiben des Chefarztes Dr. I… vom 31.01.2002.
20Angesichts des klinischen Bildes und des Röntgenbefundes bedurfte es weitergehender Diagnostik (Anfertigung eines CT) zum Ausschluss cerebraler Blutungen ebenso wenig wie der Aufnahme zur stationären Behandlung. Nach der Dokumentation war die Klägerin neurologisch unauffällig. Dabei konnte es das Landgericht mit Recht offen lassen, ob die Klägerin – wie sie nach Vorliegen der schriftlichen Gutachten erstmals behauptet hat – auch angegeben hat, sie sei vermutlich bewusstlos gewesen. Aus dem neurologischen Zusatzgutachten von Prof. Dr. St… ergibt sich nämlich, dass aus neurologischer Sicht nur beim Vorliegen ganz bestimmter Symptome (u.a. persistierende Vigilanzminderung, wiederholtes Erbrechen oder neurologische Defizite) die Anfertigung einer Computertomografie zwingend erforderlich ist. Diese Symptome lagen jedoch bei der Klägerin schon nach ihrem eigenen Sachvortrag nicht vor. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass weder die auf Veranlassung der Wedau-Kliniken durchgeführten neurologischen Konsiliaruntersuchungen noch das am 08.01.2002 angefertigte MRT des Schädels einen krankhaften Befund gezeigt haben, der das Vorliegen relevanter neurologischer Ausfälle am 29.12.2001 plausibel machen würde.
21Dem erstmals in zweiter Instanz gestellten Antrag der Klägerin, die erstinstanzlichen Sachverständigen zu ihren Gutachten anzuhören, ist nicht zu entsprechen, weil es sich um ein neues Angriffsmittel handelt und die Voraussetzungen einer Berücksichtigung nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist einem erstmals in zweiter Instanz gestellten Anhörungsantrag stattzugeben, wenn er entscheidungserhebliche Gesichtspunkte betrifft, die das Gericht des ersten Rechtszuges auf Grund einer fehlerhaften Beurteilung der Rechtslage übersehen hat (BGH, NJW 2004, 2828, 2830). Darüber hinaus ist einer Partei keine Nachlässigkeit i.S. des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO vorzuwerfen, wenn neue Einwendungen gegen ein Gerichtsgutachten fachspezifische Fragen betreffen und eine besondere Sachkunde erfordern, weil die Partei grundsätzlich nicht verpflichtet ist, solche Einwendungen bereits in erster Instanz auf ein Privatgutachten oder sachverständigen Rat zu stützen (BGH, NJW 2004, 2825, 2827; NJW 2006, 152, 154). Diese Voraussetzungen liegen hier indessen nicht vor:
22Die vom Landgericht eingeholten Gutachten sind eindeutig und beantworten umfassend die entscheidungserhebliche Frage, ob unter den gegebenen Voraussetzungen die Durchführung eines CT zwingend erforderlich war. Bei dieser Sachlage musste das Landgericht auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin in ihrer Stellungnahme zu den Gutachten keinen Anlass sehen, von Amts wegen eine Anhörung der Sachverständigen vorzunehmen. Diese Notwendigkeit ergab sich insbesondere nicht durch den Hinweis der Klägerin auf die Eintragungen unter dem Stichwort „Schädel-Hirn-Trauma“ in der 259. Auflage des Pschyrembel, denn diese besagt nichts darüber, unter welchen Voraussetzungen ein CT anzufertigen ist. Unzutreffend ist die Behauptung der Klägerin, der neurologische Sachverständige Prof. Dr. St… habe seine Begutachtung auf „überwiegend veraltete Nachweise“ gestützt. Vielmehr hat der Sachverständige seine Auffassung auch mit einer Veröffentlichung aus dem Jahre 2005 belegt. Wenn die Klägerin gleichwohl der Auffassung war, dass die Gutachten erläuterungsbedürftig sind, hätte sie die Anhörung ohne weiteres bereits in erster Instanz beantragen können. Auch in zweiter Instanz zeigt sie keine neuen Gesichtspunkte auf, die das Unterlassen des Anhörungsantrags im Sinne der zitierten BGH-Rechtsprechung als nicht vorwerfbar erscheinen lassen. Das Landgericht war entgegen der von ihr vertretenen Auffassung auch nicht gehalten, die Klägerin darauf hinzuweisen, dass die Sachverständigen nicht zur Anhörung geladen werden würden.
232.
24Darüber hinaus fehlt es aber auch an dem Nachweis der Kausalität des vermeintlichen Behandlungsfehlers für die geklagten Beeinträchtigungen. Der neurologische Gutachter Prof. Dr. St… verneint sogar den Zusammenhang zwischen dem Unfall (Schädel-Hirn-Trauma) und den behaupteten Störungen. Hierauf kommt es allerdings nicht einmal an, vielmehr darauf, ob sich ein für die Klägerin günstigerer Verlauf eingestellt hätte, wenn die Schädelfraktur sogleich festgestellt und die Klägerin deshalb stationär aufgenommen worden wäre. Diesbezüglich hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass die Behandlung nicht anders gewesen wäre, wenn sogleich das CT gemacht (und die Schädelfraktur gesehen) worden wäre. Nach dem Ergebnis des neurologischen Gutachtens ist es jedenfalls als gänzlich unwahrscheinlich anzusehen, dass sich bei sofortiger Diagnose der Schädelverletzung und anschließender stationärer Aufnahme (mit konservativer Behandlung) ein für die Klägerin günstigerer Verlauf ergeben hätte.
25III.
26Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
27Die Revisionszulassung ist nicht veranlasst .
28Die Beschwer der Klägerin liegt über € 20.000.
29IV.
30Der Streitwert für beide Instanzen wird – für die erste Instanz in Abänderung der landgerichtlichen Festsetzung – auf (bis zu) € 155.000 festgesetzt. Zur näheren Begründung wird auf den Inhalt des Beschlusses vom 25.10.2006 verwiesen.