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Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22. März 2006 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Kleve abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.945,97 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Juli 2004 sowie 419,80 € an vorgerichtlichen Anwaltskosten zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits – beide Instanzen – hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
3A.
4Die 1963 geborene Beklagte litt seit einer Luxation der Kniescheibe im Jahre 1999 unter Beschwerden im Bereich des linken Kniegelenks und war deshalb mehrfach operiert worden. Dabei war es zu einer Schädigung des Nervus femoralis gekommen. Wegen der anhaltenden Beschwerdesymptomatik stellte sich die Beklagte in der chirurgischen Klinik des in der Trägerschaft der Klägerin stehenden Krankenhauses St. J… Stift in D…-H… vor. Nach der Unterzeichnung eines Vertrages über vollstationäre und wahlärztliche Leistungen wurde sie stationär aufgenommen und am 12. November 2003 durch den leitenden Arzt Dr. R… operiert. Bei dem Eingriff wurde im Bereich des linken Kniegelenks eine sog. Avon-Prothese implantiert. Aufgrund der anhaltenden Schmerzsymptomatik unterzog sich die Beklagte am 4. Juni 2004 im Krankenhaus B… einer weiteren Operation, bei der die femorale Komponente der Avon-Prothese entfernt und eine Kniegelenkoberflächenersatzprothese implantiert wurde. Wegen eines postoperativen Streckdefizites wurde am 17. Juni 2004 eine Revisionsoperation vorgenommen, bei der eine stabilisierende Endoprothese des Kniegelenkes implantiert wurde.
5Die Klägerin hat der Beklagten die Kosten des stationären Aufenthaltes vom 11. bis27. November 2003 in Höhe von 11.068,60 € unter dem 1. Dezember 2003 in Rechnung gestellt. Ferner hat sie die Bezahlung von Nachsorgebehandlungen verlangt. Die Beklagte hat die Rechnungen nicht bezahlt. Mit der Klage verlangt die Klägerin die Bezahlung der Kosten für den stationären Aufenthalt sowie die Kosten der ambulanten Nachbehandlungen in Höhe von zusammen 12.945,97 €; ferner begehrt sie die Erstattung verzugsbedingt entstandener vorgerichtlicher Anwaltskosten.
6Die Klägerin hat geltend gemacht, die indizierte Behandlung und die nach entsprechender Aufklärung der Beklagten vorgenommene Operation sei lege artis erfolgt. Trotz diesbezüglicher Zusagen habe die Beklagte keine Zahlung erbracht, obwohl sie die für die Behandlungskosten vorgesehene Beihilfe von ihrem Arbeitgeber erhalten habe.
7Die Klägerin hat beantragt,
8die Beklagte zu verurteilen, an sie 12.945,97 € nebst Zinsen in Höhe von5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Juli 2004 sowie 419,80 € vorgerichtliche Anwaltskosten nach Ziff. 2400 RVG-VV zu zahlen.
9Die Beklagte hat beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Die Beklagte hat sich darauf berufen, dass die Operation nicht indiziert gewesen und fehlerhaft durchgeführt worden sei. Auch sei sie über die mit dem Eingriff verbundenen Risiken nicht aufgeklärt worden. Sie hat die Auffassung vertreten, aus diesem Grunde nicht zur Bezahlung der den Klinikaufenthalt betreffenden Kosten verpflichtet zu sein. Hilfsweise hat sie die Aufrechnung mit Nachbehandlungskosten in Höhe von 3.395,23 € sowie mit einem Schmerzensgeldanspruch von 10.000 € erklärt.
12Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung des Sachverständigen Dr. E… abgewiesen. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, die gewählte Operationsmethode sei kontraindiziert gewesen. Im Wege des Schadensersatzes sei die Beklagte daher von den aufgrund des Eingriffs entstandenen Kosten freizustellen, was zur Abweisung der Honorarklage führe.
13Gegen die Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie beanstandet die auf der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. E… beruhenden Feststellungen des Landgerichts und wiederholt ihre Darstellung, wonach die Operationsmethode den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen habe; sie verweist insoweit auf die Stellungnahme des Chefarztes der Unfallchirurgischen Klinik des Krankenhauses B… Privat-Dozent Dr. R….
14Die Klägerin beantragt,
15das am 22. März 2006 verkündete Urteil des Landgerichts Kleve abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 12.945,97 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Juli 2004 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 419,80 € zu zahlen.
16Die Beklagte beantragt,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Allerdings stellt sie den Vergütungsanspruch selbst nicht mehr in Frage. Sie meint, der Anspruch sei durch die von ihr erklärte Aufrechnung mit Schadenersatzansprüchen, auf die sie sich nunmehr alleine – und nicht mehr hilfsweise – beruft, erloschen.
19Der Senat hat durch Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. P… Beweis erhoben.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
21B.
22I.
23Die zulässige Berufung ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin die mit der Klage geltend gemachten Kosten für den stationären Aufenthalt vom 11. November bis 26. November 2003 (Rechnung vom 1. Dezember 2003) und die Kosten der in der Zeit vom 1. Dezember 2003 bis zum 17. Februar 2004 erfolgten Nachbehandlung (Rechnungen vom 27. Januar, 12. Februar, 11. März und 2. Juni 2004) zu erstatten.
24Die Berechtigung der entsprechenden Forderungen, denen gegenüber die Beklagte zunächst mit dem Einwand einer fehlerhaften Behandlung entgegengetreten war, wird von ihr nicht mehr in Frage gestellt.
25Danach ergeben sich folgende Zahlungsansprüche der Klägerin:
26Rechnung vom 1. Dezember 2003 11.068,60 €
27Rechnung vom 27. Januar 2004 750,00 €
28Rechnung vom 2. Juni 2004 227,92 €
29Rechnung vom 2. Juni 2004 44,10 €
30Rechnung vom 11. März 2004 520,95 €
31Rechnung vom 12. Februar 2004 334,40 €
3212.945,97 €
33II.
34Die Klageforderung ist nicht aufgrund der von der Beklagten erklärten Aufrechnung mit Schadenersatzansprüchen erloschen. Entsprechende Forderungen, die sie aus der Anwendung einer ihres Erachtens kontraindizierten Operationsmethode und aufgrund von Versäumnissen bei der gebotenen Patientenaufklärung herleitet, bestehen nicht.
351.
36Die von dem Zeugen Dr. R… bei dem Eingriff am 12. Januar 2003 gewählte Methode einer isolierten patellofemoralen Arthroplastie durch Implantation einer sog. Avon-Prothese ist entgegen den auf der Begutachtung von Dr. E… beruhenden Feststellungen des Landgerichts nicht zu beanstanden. Es war daher nicht fehlerhaft, der Patientin dieses Operationsverfahren, bei dessen Durchführung sich Versäumnisse nicht feststellen lassen, zu empfehlen.
37Zwar kommt Dr. E… bei seiner Begutachtung zu der Erkenntnis, dass die Verwendung der Avon-Prothese im Falle der Beklagten deshalb nicht die geeignete Operationsmethode war, weil es bei ihr aufgrund einer Femoralisparese zu einer tiefstehenden Kniescheibe (Patella baja) – unterhalb der Blumsaat’schen Linie liegend – gekommen war und weil es deshalb nicht zu einer regelgerechten Gelenkverbindung zwischen der Kniescheibe und der Oberfläche der Oberschenkelrolle kommen konnte. Dies sei, so Dr. E…, zumindest als Teilursache für die spätere Prothesenlockerung anzusehen.
38Der Auffassung von Dr. E…, der bereits der Sachverständige Dr. R… in seinem von der Klägerin vorgelegten Privatgutachten vom 26. April 2006 widersprochen hat, kann nicht gefolgt werden. Der Senat hat den streitgegenständlichen medizinischen Sachverhalt mit dem Sachverständigen Prof. Dr. P…, der als Chefarzt einer Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie über eine umfassende wissenschaftliche und praktische Erfahrung verfügt, anhand der vor dem Eingriff gefertigten Röntgenaufnahmen eingehend erörtert. Dabei hat sich zwar ergeben, dass im Falle einer tiefstehenden Kniescheibe (Patelle baja) eine Behandlung durch die mit der Avon-Prothese vorgesehene patellofemorale Arthroplastie nur selten erfolgreich ist, wenngleich sie entgegen der Annahme von Dr. E… nicht absolut kontraindiziert ist. Darauf kommt es indes nicht entscheidend an, weil bei der Beklagten vor der Operation vom 12. November 2003 keine Patella baja vorlag und weil es (deshalb) nicht zu beanstanden war, bei der Beklagten die empfohlene Implantation einer Avon-Prothese vorzunehmen.
39Prof. Dr. P… hat zunächst deutlich gemacht, dass aufgrund des präoperativen Kniegelenkbefundes die Indikation zum Ersatz der Kniegelenkfläche zu bejahen war, wenngleich ein anhaltender Erfolg aufgrund des Eingriffs nicht sicher vorhergesagt werden konnte. Die Kniescheibe der Patientin war nach mehreren operativen Eingriffen erheblich vorgeschädigt, so dass es bei jeder Form des Kniegelenkersatzes zu Problemen kommen konnte. Andererseits war es nicht gerechtfertigt, bei einer Patientin im Alter der Klägerin bereits an den Einsatz einer Vollprothese zu denken, zumal auch diese nicht in jedem Fall zu einer Beschwerdefreiheit führt. Deshalb, so Prof. Dr. P…, waren die Ausgangsverhältnisse für die geplante Operation auch angesichts der bestehenden Schädigung des Nervus femoralis zwar ungünstig. Aufgrund des durch eine Schmerzsymptomatik geprägten Beschwerdebildes war es aber in jeder Hinsicht vertretbar, der Klägerin den Einsatz der Avon-Prothese, der die Möglichkeit einer Befundbesserung eröffnete, zu empfehlen. Eine andere Beurteilung rechtfertigt auch nicht der Hinweis von Dr. E… auf einen Tiefstand der Kniescheibe und die seines Erachtens daraus folgende Kontraindikation des vorgenommenen Eingriffs. Ein solcher auch als Patella baja bezeichneter Befund lag entgegen der Annahme von Dr. E… nicht vor, was Prof. Dr. P… anhand des in der Verhandlung in Augenschein genommenen präoperativen Röntgenbefundes überzeugend dargestellt hat. Dabei hat sich gezeigt, dass Dr. E… bei seiner Beurteilung der Lage der Kniescheibe ein wegen seiner Ungenauigkeit heute allgemein abgelehntes Messverfahren unter Beachtung der sog. Blumsaat’schen Linie angewandt hat, was seine Fehldeutung einer tief stehenden Kniescheibe erklären mag. Die Blumsaat´sche Linie ändert sich nämlich mit der Winkelstellung des Kniegelenkes, weshalb Aussagen über die Lage der Kniescheibe schwierig und ohnehin nur bei einem Vergleich beider Kniegelenke möglich sind. Nach dem für die Beurteilung anerkannten Insall-Index, der die Länge der Gelenklinie misst und sie mit der Länge des Patellasehnenbandes vergleicht, ergab sich ausweislich des präoperativen Röntgenbefundes kein Hinweis auf eine Patella Baja, was Prof. Dr. P… anschaulich und überzeugend demonstiert hat. Der Sachverständige hat im übrigen deutlich gemacht, dass sich auch bei der Anwendung von anderen anerkannten Messverfahren keine andere Beurteilung ergibt.
40Dass es letztlich zur Lockerung der Prothese und damit zum Misserfolg des Eingriffs gekommen war, ist nicht von dem Operateur zu vertreten. Prof. Dr. P… hat unter Hinweis auf den mit ihm erörterten postoperativen Röntgenbefund keinen Zweifel daran gelassen, dass die Prothese ordnungsgemäß eingesetzt und befestigt war. Die postoperative Entwicklung führt er auf eine von ihm auf dem Röntgenbild festgestellte und als schicksalhaft beschriebenen Nekrotisierung des Knochens unter dem Schild zurück.
412.
42Die Klägerin ist der Beklagten auch nicht deshalb zum Schadenersatz verpflichtet, weil die präoperative Risikoaufklärung unzureichend war und damit zur Rechtswidrigkeit des vorgenommenen Eingriffs geführt hat.
43Die durchgeführte Beweisaufnahme hat ergeben, dass die erforderliche Aufklärung vor der Operation erfolgt war. Der vor dem Senat zur Frage der Patientenaufklärung vernommene Zeuge Dr. R…, der sowohl die Indikationsstellung als auch den Eingriff selbst vorgenommen hatte, hat ausgesagt, mit der Beklagten nach ihrer ersten Vorstellung im Rahmen der Besprechung der Operationsmöglichkeit ausführlich über die Chancen eines solchen Eingriffs und dessen Schwierigkeit in Anbetracht von vier Voroperationen gesprochen zu haben. Dabei habe er der Beklagten erklärt, dass angesichts des Vorbefundes ein gutes Operationsergebnis nicht sicher vorhergesagt werden könne. Nicht völlig sicher war sich der Zeuge, ob er die Klägerin ausdrücklich auf das Risiko einer Implantationslockerung hingewiesen hatte; allerdings, so der Zeuge, entspreche dieser Hinweis dem von ihm immer gewählten Muster der Patientenaufklärung.
44Der Senat sieht die von dem Zeugen geschilderte Aufklärung als ausreichend an, um der Beklagten – wie erforderlich - im Großen und Ganzen eine Vorstellung von dem möglichen Erfolg und von den Risiken des geplanten Eingriffs zu geben. Insbesondere ergibt sich aus seiner Darstellung, dass er der Beklagten deutlich gemacht hat, dass die Operation unter Umständen nicht zu der erhofften Befundbesserung führen wird. Angesichts dieser der Beklagten vermittelten Informationen kommt es nicht darauf an,
45inwieweit sie am Tag vor der Operation – erneut – über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt worden ist. Hierzu befindet sich bei den Behandlungsunterlagen eine von der Klägerin unter dem 11. November 2003 unterzeichnete Einwilligungserklärung, in der sie bestätigt, über den Eingriff und mögliche Komplikationen informiert worden zu sein.
46III.
47Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der geltend gemachten Anwaltskosten und der Zinsanspruch ergeben sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß §§ 286, 288 BGB.
48C.
49Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
50Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.945,97 € festgesetzt.
51Die Beschwer der Beklagten liegt unter 20.000 €.