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Die Berufung der Klägerin gegen das am 11. Februar 2003 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung des Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
G r ü n d e
2I.
3Der am 12. Juli 1939 geborenen Klägerin wurde im Jahre 1978 infolge einer Coxarthrose eine zementfreie Hüfttotalendoprothese links implantiert; der Prothesenkopf musste 1981 gewechselt werden. Nachdem sich im Laufe der Zeit eine Lockerung der Prothese eingestellt hatte, begab sich die Patientin am 28. März 1995 zum Zweck des Austauschs in die F…-Klinik in R…. Am 29. März 1995 nahm der Beklagte den Prothesenwechsel vor. Nach dem Operationsbericht zeigte sich die Pfanne gelockert und ließ sich ohne große Probleme herausschlagen. Nach dem Herausmeißeln einzelner Palacosinseln im caudalen Bereich des Beckens stellt der Beklagte ausweislich seines Berichtes fest, dass der gesamte obere Pfannenerker defekt war und ein neues Pfannendach geformt werden musste. Der Zustand der Klägerin während des Eingriffs gestaltete sich nach dem Anästhesieprotokoll, nach dem die Vollnarkose um 12.30 Uhr eingeleitet wurde, anfänglich unproblematisch; nach 13.30 Uhr sank der Blutdruck jedoch kontinuierlich auf Werte um 90/70 mm/Hg ab; ab ca. 14.20 Uhr fiel er auf 70/50 mm/Hg. Ursache hierfür war eine Gefäßverletzung und eine daraus resultierende Blutung in den Retroperitonealraum, die unbemerkt blieb. Wegen des Blutdruckabfalls wurde die Patientin mit Erythrozytenkonzentraten und Frischplasmen versorgt; ein Anstieg des Blutdrucks war trotz der Transfusionen bis zum Ende der Narkose – nach dem Protokoll gegen 16.00 Uhr – nicht zu verzeichnen. Eine zu diesem Zeitpunkt vorgenommene Blutuntersuchung ergab einen Abfall des Hb-Wertes auf 8,4 g/dl; eine Stunde später, um 17.00 Uhr, lag der Hb-Wert bei 8,3 g/dl. Eine am Abend vor 19.00 Uhr durchgeführte Sonographie des Abdomens zeigte freie Flüssigkeit im Bereich des rechten Oberbauches; daraufhin wurde die Patientin als Notfall in die Gefäßchirurgische Klinik des Klinikums R… verlegt; nach dem Bericht dieser Klinik vom 18. Mai 1995 befand sie sich bei der Ankunft in einem protrahierten Schockzustand. Wegen des Verdachtes einer Blutungsquelle im Bauchraum wurde die Klägerin gegen 20.30 Uhr operiert; dabei wurde ein Abriss der Vena iliaca externa kurz unterhalb der Venenbifurkation sowie eine Quetschung der Arteria iliaca externa festgestellt. Der Venenabriss wurde durch Einbringung eines Kunststoffsegmentes überbrückt; die Arterie wurde in Höhe der Quetschmarke durchtrennt und durch eine End-zu-End-Neuanastomosierung wieder hergestellt. Am 1. April 1995 mussten in einem erneuten Eingriff Blutgerinsel aus den Becken-Beinvenen ausgeräumt werden; außerdem erfolgte eine Verlängerung der künstlichen Beinvene sowie die Anlage einer künstlichen arterio-venösen Fistel. Am 10. Mai 1995 wurde die Patientin unter einer Marcumar-Therapie aus dem Klinikum R… entlassen. Wegen Schwellungen und Stauungen im linken Bein sowie einer gewissen Herzüberlastung wurde am 15. Dezember 1995 eine operative Unterbrechung der Fistel vorgenommen. Am 1. Juli 1997 unterzog die Klägerin sich wegen zunehmender Stenosen im Bereich der Verbindung der Femoralvene zur implantierten künstlichen Beinvene einer Ballondilatation; zusätzlich wurde eine innere Gefäßstütze (Stent) implantiert.
4Die Klägerin, die von der Haftpflichtversicherung des Beklagten vorprozessual ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 DM erhalten hat, begehrt die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von mindestens 12.782,30 € sowie Ersatz ihres Verdienstausfalls. Sie hat vorgetragen, der Venenabriss sowie die Arterienquetschung seien auf ein unsachgemäßes operatives Vorgehen des Beklagten zurückzuführen. Darüber hinaus habe er den durch die Gefäßverletzung bedingten Blutverlust, den er angesichts des Blutdruckabfalls habe vermuten müssen, intraoperativ verkannt und es deswegen versäumt, noch während des Eingriffs Maßnahmen zur Feststellung der Blutungsquelle und ihrer Behebung einzuleiten. Auch postoperativ habe er trotz des Blutdruckabfalls und der niedrigen Hb-Werte eine Blutung im Bauchraum fehlerhaft nicht rechtzeitig in Betracht gezogen; die Sonographie hätte unmittelbar nach dem Eingriff – der nicht am Nachmittag, sondern bereits am Morgen des 29. März 1995 stattgefunden habe – durchgeführt werden müssen; statt dessen sei diese Diagnostik verzögert und erst vorgenommen worden, als sie, die Patientin, über starke Schmerzen und Druck im Bauch geklagt habe. Der Transport in das Klinikum R… sei ebenfalls zu spät erfolgt, als sie sich bereits in einem lebensbedrohlichen Zustand befunden habe. Des weiteren hat die Klägerin sich auf ein Aufklärungsversäumnis berufen und geltend gemacht, sie sei vor dem Eingriff weder über die grundsätzliche Gefahr von Gefäßverletzungen noch darüber belehrt worden, dass dieses Risiko bei Folgeoperationen an der Hüfte erheblich gesteigert sei. Aufgrund der Versäumnisse des Beklagten habe sie sich den weiteren Operationen, die mit Schmerzen und erheblichen psychischen Belastungen verbunden gewesen seien, unterziehen müssen; auch in Zukunft müsse sie ständige Kontrolluntersuchungen vornehmen lassen, um einer Schädigung durch eine Stenose vorzubeugen; die Gefäßverletzung habe überdies zu einer Erwerbsunfähigkeit geführt.
5Der Beklagte hat Behandlungsfehler in Abrede gestellt und geltend gemacht, bei der Formung eines neues Pfannendaches und der Vornahme von Korrekturen im Bereich des Pfannengrundes sei eine Verletzung von Gefäßen durch Instrumente auch bei äußerst sorgfältigem Vorgehen nicht immer zu vermeiden. Die Gefäßschädigungen habe er intraoperativ nicht feststellen können, weil die Blutung in das kleine Becken hinein erfolgt und deshalb im Operationsbereich nicht erkennbar gewesen sei. Unmittelbar nach der Beendigung des Eingriffs habe er eine Ultraschalluntersuchung veranlasst, die zum Verdacht einer Einblutung geführt habe. Daraufhin sei die Patientin auf der Intensivstation behandelt worden, um die Kreislaufverhältnisse zu stabilisieren und eine Verlegung in eine gefäßchirurgische Klinik durchführen zu können. Eine Verzögerung der Entdeckung der Blutung habe sich im übrigen für die Klägerin nicht nachteilig ausgewirkt, da auch bei einer sofortigen Feststellung die Gefäßoperation sowie die Nachbehandlungen hätten erfolgen müssen. Die Patientenaufklärung sei ordnungsgemäß durchgeführt worden; der Stationsarzt Dr. T… habe mit der Klägerin ein sehr intensives Gespräch über die möglichen Risiken geführt; dabei sei auch auf die Gefahr einer Gefäßverletzung mit entsprechender Blutung bei Folgeoperationen hingewiesen worden.
6Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung von Zeugen und Einholungeines medizinischen Sachverständigengutachtens abgewiesen. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, auf der Grundlage der durch den Sachverständigen Prof. Dr. H… getroffenen Feststellungen sei die Gefäßverletzung mit sehr großer Wahrscheinlichkeit dadurch entstanden, dass der Beklagte den Darmbeinknochen mit einem Bohrer zu weit durchdrungen habe; dies sei nicht als Behandlungsfehler zu werten, da es sich um eine für derartige Hüftoperationen typische Komplikation handele, die auch bei Anwendung größter Sorgfalt nicht immer vermeidbar sei. Eine verzögerte Feststellung der Blutung sei dem Beklagten nicht vorzuwerfen; die ordnungsgemäße Aufklärung habe er bewiesen.
7Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie die Sachaufklärung und die Beweiswürdigung des Landgerichts beanstandet und rügt, der Sachverständige habe sich bei seiner Beurteilung des operativen Vorgehens nicht mit der anatomischen Lage der Gefäße zum Operationsgebiet und der Art der Verletzung auseinandergesetzt. Da die Gefäße nicht unmittelbar dem kleinen Becken von innen her anlägen, sondern in Muskel- und Bindegewebe eingebettet seien und außerdem eine gewisse eigene Elastizität aufwiesen, könne ein vollständiger Abriss der Vene und eine Quetschung der Arterie nur durch eine unsachgemäße „Gewalteinwirkung“ beim Einsatz des Bohrers verursacht worden sein. Außerdem sei es dem Beklagten als Fehler anzulasten, dass er die erforderliche intraoperative röntgenologische Kontrolle, mit der eine zu tiefe Durchdringung des Knochens hätte verhindert werden können, unterlassen habe. Gegen 14.30 Uhr, als sich dem Beklagten der Verdacht einer Gefäßverletzung habe aufdrängen müssen, hätte ein Chirurg eingeschaltet und das blutende Gefäß gesucht und abgeklemmt werden müssen. Die Klägerin bewertet das Verhalten des Beklagten als grob fehlerhaft, beruft sich erneut ein Aufklärungsversäumnis bezüglich der Risikoerhöhung bei Folgeoperationen und beantragt,
8das angefochtene Urteil „aufzuheben“ und nach den Schlussanträgen der ersten Instanz zu erkennen.
9Der Beklagte beantragt,
10die Berufung zurückzuweisen.
11Er verteidigt unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens die Entscheidung des Landgerichts.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
13Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. N…. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk vom 19. April 2004 verwiesen.
14II.
15Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin kann von dem Beklagten weder gemäß § 847 BGB a.F. die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes verlangen, noch steht ihr nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung oder aus dem Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung nach§ 823 BGB a.F. ein Anspruch auf Ausgleich materieller Schäden zu.
16Im Arzthaftungsprozess obliegt es grundsätzlich dem Patienten zu beweisen, dass dem in Anspruch genommenen Arzt bei der medizinischen Versorgung ein zumindest fahrlässiges Fehlverhalten unterlaufen ist, das eine bestimmte gesundheitliche Beeinträchtigung hervorgerufen hat. Diesen Nachweis hat die Klägerin nicht geführt; die vom Landgericht begonnene und von dem Senat fortgesetzte Beweisaufnahme hat nicht ergeben, dass diese Voraussetzungen mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit erfüllt sind:
171.Der Grund für die Gefäßverletzungen hat sich nicht mit letzter Gewissheit feststellen lassen, allerdings sind sowohl der Sachverständige Prof. Dr. H… als auch der vom Senat beauftragte Gutachter Prof. Dr. N… zu dem Ergebnis gelangt, dass als wahrscheinlichste Ursache ein zu tiefes Durchbohren des Beckenlagers (Darmbein) bei der Anlage der Schraubenlöcher für die Implantierung des neuen Pfannendachs in Betracht kommt. Wie Prof. Dr. N… anlässlich seiner Anhörung erläutert hat, wird ein solches aus Fremdknochen zubereitetes Pfannendach angeschraubt; zur Herstellung der notwendigen Schraubenlöcher müssen diejenigen knöchernden Strukturen in Richtung auf das Beckeninnere durchbohrt werden, in deren unmittelbaren Nähe sich dort – im Beckeninneren – die verletzten Gefäße befinden. Ausweislich der Aufnahme aus dem Klinikum R… vom 29. März 1995, auf der die Schrauben und ihre räumliche Beziehung zu den Gefäßen zu ersehen sind, zielte die Bohrung auch in die Richtung der zerrissenen Vene und der gequetschten Arterie.
18Eine Schädigung der Gefäße beim Einbringen der Schrauben hat Prof.Dr. N… nicht für wahrscheinlich erachtet und dies damit begründet, dass der bloße Druck durch eine Schraube im allgemeinen nicht zum regelrechten Zerreißen eines Gefäßes führt. Das Herausmeißeln der Palacosinseln hat der Sachverständige als Schädigungsursache ausgeschlossen, weil diese Inseln nach dem Operationsbericht im caudalen Bereich des Beckens lagen und sich damit nicht in der Nachbarschaft der Gefäße befanden.
192.Es lässt sich allerdings nicht feststellen, dass die Schädigung der Vene und der Arterie auf ein fehlerhaftes Vorgehen des Beklagten bei der Bohrung zurückzuführen ist:
20Prof. Dr. N… hat deutlich gemacht, dass die Schrauben, mit denen das Implantat befestigt wird, über die äußere Knochenschicht des Darmbeins – hinter dem sich in einem Abstand von ca. 1,5 cm die Gefäße befinden – hinausgehen und in die unmittelbar zwischen dem Knochen und den Gefäßen liegende Muskulatur eingebracht werden müssen, um genügenden Halt zu finden. Deswegen ist es bei der Anlage der Schraubenlöcher erforderlich, auch die äußere, den Gefäßen zugewandte Randschicht des Beckenlagers vollständig mit dem Bohrer zu durchdringen. Diese Bohrung erfolgt „blind“; der Operateur hat keine Sicht auf die jenseits des Darmbeins gelegene Muskulatur sowie die Gefäße und muss „nach Gefühl“ arbeiten. Dabei kann der Operateur sich für die Bohrungstiefe – nur – an der unterschiedlichen Konsistenz des Knochens, der im Falle normalen Knochenmaterials außen eine harte Randschicht – die Corticalis – und innen den weicheren Schwammknochen – die Spongiosa - aufweist, orientieren. Prof. Dr. N… hat dies anschaulich wie folgt beschrieben: „Man bohrt zunächst durch die erste äußere feste Knochenschicht, geht dann durch das weiche Innere und erreicht danach die gegenüberliegende Corticalis. Das spürt man genau, weil sie härter ist als der innere Schwammknochen. Wenn man die zweite Corticalisschicht durchbohrt hat, gibt es einen kleinen Rutsch mit dem Bohrer; dann weiß man genau, man ist durch“.
21Derartige normale anatomische Verhältnisse, die es dem Operateur ermöglichen zu erkennen, wann der Bohrer die den Gefäßen zugewandte äußere Knochenschicht durchdrungen hat, lagen bei der Klägerin indes nicht mehr vor; nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass die ursprüngliche Knochenstruktur im Bereich des Beckenlagers nicht mehr erhalten war: Prof. Dr. N… hat betont, dass angesichts der Voroperationen und mit Blick auf die Darstellung im Operationsbericht – die alte Pfanne sei gelockert und lasse sich leicht lösen – davon auszugehen ist, dass die ursprüngliche Konsistenz der Corticalis des Darmbeins, die durchbohrt werden musste, sich verändert hatte und eine – bei Voroperationen typische – Aufweichung dieser Knochenschicht eingetreten war. Der Sachverständige hat keinen Zweifel daran gelassen, dass in einem solchen Fall auch bei sorgfältigem Vorgehen ein zu tiefes Eindringen mit dem Bohrer nicht immer zu vermeiden ist, weil der Operateur bei einer Bohrung in aufgeweichtem Knochen keinen Widerstand spürt und deshalb nicht sicher abschätzen kann, wann er die den Gefäßen zugewandte äußere Knochenschicht erreicht und durchdrungen hat. Auch der in erster Instanz tätig gewordene Sachverständige Prof. Dr. H… hat die Gefäßverletzungen nicht als Behandlungsfehler gewertet und auf die mangelnde sichere Vermeidbarkeit, die auf dem Zustand nach Voreingriffen beruht, hingewiesen.
22b)Der – von der Klägerin vermisste – Einsatz eines Bildwandlers zur Überprüfung der Bohrungstiefe gehört nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N… bei einer Wechseloperation, wie sei bei der Klägerin vorgenommen worden ist, nicht zum medizinischen Standard, weil der Bildwandler nur ein zweidimensionales Bild liefert, das keine genaue Kontrolle der Lage des Bohrers oder der Schrauben in Bezug auf die Gefäße ermöglicht. Wie Prof. Dr. N… hervorgehoben hat, lässt sich wegen dieser fehlenden Dreidimensionalität der Abbildung überdies eine zu tiefe Bohrung auch bei Zuhilfenahme eines Bildwandlers nicht immer vermeiden.
23c)Eine Durchführung der Bohrung mit Abstandshaltern zur Vermeidung von Gefäßverletzungen ist gemäß den Erläuterungen des Sachverständigen nicht möglich, da die erforderliche Länge der Bohrstrecke sich präoperativ nicht bestimmen lässt.
243.Dass der Abriss der Vene und die daraus resultierende Blutung intraoperativ von dem Beklagten nicht entdeckt worden ist, kann ihm ebenfalls nicht als Versäumnis zur Last gelegt werden:
25a)Nach den Ausführungen beider Gutachter war die Blutung aus der Vene nicht sichtbar, weil sie in das kleine Becken hinein erfolgte, das der Beklagte bei der Durchführung der Wechseloperation nicht übersehen konnte.
26b)Auch der Vorwurf, der Beklagte habe den intraoperativ aufgetretenen Blutdruckabfall bemerken, an eine Blutung denken und danach suchen müssen, geht fehl:
27aa)Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es nicht Aufgabe des Operateurs, während des Eingriffs auf den Blutdruck des Patienten zu achten und ihn zu überprüfen. Die Überwachung der Vitalfunktionen obliegt gemäß den Erläuterungen des Sachverständigen Prof. Dr. N… vielmehr allein dem Anästhesisten; seine Aufgabe ist es, einen Blutdruckabfall und einen Volumenmangel zu diagnostizieren und zu behandeln. Der Operateur darf sich darauf verlassen, dass der Anästhesist ihn dann, wenn die Behebung eines Volumenmangels Probleme bereitet, hierauf hinweist, um mit ihm gemeinsam die Ursache – im Falle der Klägerin eine versteckte Blutung – abzuklären.
28Dass die Anästhesistin Dr. U… den Beklagten während der Operation entsprechend informiert hat, lässt sich indes nicht feststellen; dies ergibt sich weder aus der Dokumentation, noch hat die Klägerin dies bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragen.
29bb)Ihre erstmals nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung, Dr. U… habe den Beklagten „zeitgerecht“ über einen nicht mehr beherrschbaren Blutdruckabfall sowie einen Volumenmangel unterrichtet, gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, weil die Voraussetzungen, unter denen ein neues Vorbringen zugelassen werden kann, nicht vorliegen (§ 531 ZPO). Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass es ihr nicht möglich war, den jetzt behaupteten Sachverhalt bereits in erster Instanz vorzutragen.
304.a)Wie Prof. Dr. N… erläutert hat, liegt die Kontrolle des Blutdruckes und die Behebung eines Volumenmangels auch in der ersten Zeit nach einer Operation grundsätzlich in den Händen des Anästhesisten; solange er den Operateur nicht zur Abklärung der Ursache einschaltet, darf dieser davon ausgehen, dass derAnästhesist die Situation beherrscht.
31Mit Blick hierauf kann dem Beklagten auch nicht der Vorwurf einer zu späten postoperativen Entdeckung der Blutung gemacht werden. Es lässt sich nämlich nicht feststellen, dass der Beklagte zu einem früheren Zeitpunkt als zwischen 18.00 und 19.00 Uhr – als er die Sonographie anordnete, die zum Verdacht einer retroperitonealen Einblutung und zur Verlegung der Patientin in die Gefäßchirurgie des Klinikums Remscheid führte – von der mangelnden Behebbarkeit des Blutdruckabfalles unterrichtet wurde.
32b)Ungeachtet dessen könnte auch eine vorwerfbare postoperative Verkennung der Blutung nicht zur Zubilligung einer über das bereits geleistete Schmerzensgeld von 25.000 DM hinausgehenden immateriellen Entschädigung führen:
33Auch bei einer früheren postoperativen Entdeckung der Blutung wären der Patientin nämlich weder die Gefäßoperation, die wegen der Schädigung der Vene und der Arterie in jedem Fall durchgeführt werden musste, noch die späteren Komplikationen, die nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N… allein auf die Gefäßverletzung und nicht auf eine verzögerte Behebung der Gefäßschädigungen zurückzuführen sind, erspart geblieben. Die Folgen einer verspäteten postoperativen Entdeckung der Blutung – nämlich deren zeitliche Dauer, die dazu geführt hat, dass die Klägerin unter Schmerzen zeitweilig in einen lebensbedrohlichen Zustand geriet, der aber letztlich beherrscht werden konnte und sich nicht nachteilig ausgewirkt hat – sind durch den schon gezahlten Schmerzensgeldbetrag von 25.000 DM abgegolten.
34Dies gilt auch, wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, dass die Hüftoperation nicht wie dokumentiert ab 12.30 Uhr, sondern bereits am Morgen des 29. März 1995 durchgeführt wurde. Auch eine in diesem Fall zu berücksichtigende längere Verzögerung der Entdeckung der Blutung um wenige Stunden rechtfertigt keine höhere Entschädigung.
355.Ein Versäumnis bei der Aufklärung über die Risiken des Eingriffs mit der Folge einer fehlenden Operationseinwilligung der Patientin ist dem Beklagten nicht vorzuwerfen:
36a)Da bei der Klägerin bereits zwei Voreingriffe an der Hüfte vorgenommen worden waren, war die Gefahr der Entstehung von Gefäß- und/oder Nervenverletzungen bei der dritten Operation höher als bei einem Ersteingriff; über diese Risikosteigerung musste die Patientin unterrichtet werden.
37b)Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass der Klägerin von dem Zeugen Dr. T… eine entsprechende Belehrung zuteil geworden ist:
38Er hat anlässlich seiner Vernehmung vor dem Senat bekundet, dass er sich an die Einzelheiten des mit der Klägerin geführten Aufklärungsgespräches nicht mehr erinnern könne, dass er die ihm anvertrauten Patienten aber stets „entlang des Perimedbogens“ über die Gefahr der Verletzung von Nerven und Gefäßen informiert und bei wiederholten Eingriffen darauf hingewiesen habe, dass diese Risiken sowie auch sämtliche sonstigen Komplikationsmöglichkeiten im Falle einer Wechseloperation erhöht seien.
39Der Senat folgt mit dem Landgericht dieser Aussage. Dass der Zeuge sich an das konkrete Gespräch nicht mehr erinnern konnte, ist angesichts der Zeitablaufs sowie mit Blick darauf, dass ein Arzt eine Vielzahl von Patienten betreut, nur verständlich und gibt keinen Anlass, an der Richtigkeit der Schilderung des Zeugen zu seiner ständigen Aufklärungspraxis zu zweifeln, zumal seine Darstellung zur Belehrung über die Gefahrerhöhung bei Wechseloperationen durch den handschriftlichen Vermerk „Wechsel“ auf dem Perimedbogen gestützt wird. Wie der Zeuge bekundet hat, entsprach und entspricht es seiner üblichen Praxis, mit dieser Eintragung zum Ausdruck zu bringen, dass die Gefahrerhöhung mit Patienten besprochen wurde.
40c)Die erstmals nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung aufgestellten Behauptungen der Klägerin, das Aufklärungsgespräch sei nicht von dem Zeugen Dr. T…, an dessen Person sie sich „nicht ansatzweise“ erinnern könne, geführt worden, auch habe sie kein „Aufklärungsformular“ unterzeichnet, geben schon deswegen keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, weil die Voraussetzungen für die Zulassung dieses neuen Vorbringens nicht vorliegen (§ 531 ZPO). Die Klägerin hat nicht dargelegt, aus welchen Gründen sie den jetzt behaupteten Sachverhalt nicht in erster Instanz vorgebracht, sondern im Termin vom 21. Januar 2003 in Gegenwart des Zeugen Dr. T…, erklärt hat, sie habe den Aufklärungsbogen im Beisein beider Ärzte, des Zeugen – den sie folglich damals erkannt haben muss – und des Beklagten, unterzeichnet.
41Der ebenfalls erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag der Klägerin, sie als Partei dazu zu vernehmen oder gemäß § 141 ZPO dazu anzuhören, dass sie nicht über die erhöhten Risiken einer Folgeoperation aufgeklärt worden sei, gibt ebenfalls keinen Anlass zu Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Da die Klägerin der Vernehmung des Zeugen Dr. T… beigewohnt hat, hätte sie ihre Einwände gegen seine Aussage sowie ihre Anträge in der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2004 vorbringen können und müssen.
42III.
43Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
44Die Beschwer der Klägerin liegt über 20.000 €.
45Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.