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Auf den Antrag der Antragstellerin wird die aufschiebende Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Bundeskar-tellamts vom 14. Februar 2003 (B 11 – 40 100 – T – 45/01) wieder-hergestellt.
G r ü n d e
2I.
3Durch die angefochtene Verfügung hat das Bundeskartellamt der Antragstellerin untersagt,
4Zur Begründung hat das Bundeskartellamt ausgeführt, das von der Antragstellerin nach Maßgabe der "Verbändevereinbarung II Plus" (nachfolgend: VV II Plus) berechnete Netznutzungsentgelt sei jedenfalls in den vorgenannten Positionen miß-bräuchlich überhöht kalkuliert. Zugrunde zu legender Maßstab für die Kostenkontrolle sei der Bericht der Arbeitsgruppe Netznutzung und die dort niedergelegten Kriterien zur Kalkulation von Netznutzungsentgelten. Diejenigen Kostenansätze in der VV II Plus, die zu höheren Netzkosten führen als der Kostenansatz nach den von der Arbeitsgruppe Netznutzung erarbeiteten Bemessungskriterien, seien missbräuchlich überhöht und folglich nach §§ 32, 19 Abs. 4 Nr. 2 1. Halbsatz GWB, §§ 32, 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB und §§ 32, 19 Abs. 4 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB zu untersagen.
12Gestützt auf § 65 Abs. 1 GWB hat das Bundeskartellamt überdies die sofortige Vollziehung seiner Untersagungsverfügung angeordnet und dies - zusammengefasst - mit der Erwägung gerechtfertigt, dass ohne eine sofortige Reduzierung der missbräuchlich überhöhten Netznutzungsentgelte der Antragstellerin ein wirksamer (Preis-)Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt der Stromlieferung an Endkunden nicht stattfinden könne. Die Netznutzungsentgelte seien für die neuen Stromanbieter ein wesentlicher Kostenfaktor, der unmittelbar deren Preiskalkulation bestimme und sich direkt auf deren Marktchancen auswirke. Nach Angaben der Beigeladenen zu 1. seien deren Strompreise derzeit zu rund .. % von den Netznutzungsentgelten bestimmt. Damit gehe einher, dass sich seit Öffnung des Strommarktes im April 1998 die große Zahl der neu in den Markt eintretenden Stromanbieter zwischenzeitlich deutlich reduziert habe. Seit dem Jahre 2000 sei von insgesamt 13 dieser neuen Stromhandelsunternehmen Insolvenz angemeldet worden. Ein Aufschub in der Umsetzung der Untersagungsverfügung würde zudem die Schaffung wettbewerblicher Strukturen in der Energiewirtschaft weiter erheblich verzögern und bei potentiellen Wettbewerbern den abschreckenden Eindruck erwecken, dass die Netzbetreiber in der Lage sind, durch jahrelange Rechtsstreitigkeiten Konkurrenten erfolgreich von einem Markteintritt abhalten zu können. Die Interessen der Antragstellerin an einer Fortsetzung ihrer bisherigen Entgeltberechnung müssten dahinter zurücktreten, zumal sich durch entsprechende vertragliche Absprachen mit den Nutzern ihres Leitungsnetzes sicherstellen lasse, dass im Falle eines für sie günstigen Ausgangs des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens die aufgrund der Verfügung reduzierten Entgelte nacherhoben werden können.
13Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerde. Sie stützt ihr Begehren zum einen auf § 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB und meint, die Voraussetzungen für einen Sofortvollzug seien nicht erfüllt, jedenfalls habe das Bundeskartellamt in der angefochtenen Verfügung nicht schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass die sofortige Vollziehung der Untersagungsverfügung zur Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem Stromlieferungsmarkt geboten sei. Darüber hinaus beruft sich die Antragstellerin auf § 65 Abs. 3 Satz 3, Satz 1 Nr. 3 GWB und macht geltend, der Sofortvollzug führe zu einer unbilligen, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotenen Härte.
14II.
15Das zulässige Begehren hat Erfolg.
16Auf den Antrag der Antragstellerin ist gemäß § 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB der Suspensiveffekt ihrer sofortigen Beschwerde wiederherzustellen. Die Voraussetzungen, unter denen die Kartellbehörde gemäß § 65 Abs. 1 GWB die sofortige Vollziehung einer Verfügung anordnen kann, liegen nicht vor.
17A. Die Beschwerde gegen eine nach § 32 GWB erlassene Untersagungsverfügung hat kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 GWB). Nur ausnahmsweise kann die Kartellbehörde die sofortige Vollziehung der Verfügung anordnen, wenn die sofortige Durchsetzung des ausgesprochenen Verbots im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten ist (§ 65 Abs. 1 GWB). Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Das öffentliche Interesse der Kartellbehörde an dem Erlass der angefochtenen Verbotsverfügung als solches reicht für die Anordnung des Sofortvollzuges nicht aus. Es müssen vielmehr Gründe vorliegen, die es gerade gebieten, das ausgesprochene Verbot schon vor einer endgültigen gerichtlichen Überprüfung zu vollziehen. Erforderlich ist stets eine Einzelfallbetrachtung, bei der das öffentliche Interesse oder Drittinteresse an der sofortigen Vollziehung auf der einen Seite und das Interesse des Verfügungsadressaten auf der anderen Seite gegeneinander abzuwägen sind. Nach dem Gesetzeswillen ist dabei der Suspensiveffekt die Regel und die sofortige Vollziehung die Ausnahme. Dementsprechend ist die Anordnung des Sofortvollzugs nur unter strengen Anforderungen zulässig (KG, WuW/E OLG 5132, 5133 - Empfehlung Ersatzwagenkostenerstattung; WuW/E OLG 1465, 1466 - Kalkulationsklausel; Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Kommentar zum GWB, 3. Aufl., § 65 Rdz. 6 f.; Bechtold, Kommentar zum GWB, 3. Aufl., § 65 Rdz. 2; Kollmorgen in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 1, 9. Aufl., § 65 Rdz. 5).
18Nach diesen Rechtsgrundsätzen ist auch der vorliegende Fall zu beurteilen. Das Bundeskartellamt macht in der angefochtenen Verfügung geltend, dass zwar im Rahmen der 6. GWB-Novelle von der Einführung eines generellen Sofortvollzugs für die Missbrauchsfälle des § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB abgesehen worden sei, im Gesetzgebungsverfahren aber Einvernehmen darüber geherrscht habe, dass im Energiebereich der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit für die Schaffung von Wettbewerb ein besonderes Gewicht und eine große Bedeutung zukomme. Daraus rechtfertigt sich nicht, die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit von Untersagungsverfügungen, die im Bereich der Energiewirtschaft ergehen, unter erleichterten Voraussetzungen zuzulassen. Die vom Bundeskartellamt vorgetragenen Überlegungen haben im Gesetz keinen Niederschlag gefunden; sie haben insbesondere nicht dazu geführt, dass Missbrauchsverfügungen der Kartellbehörde auf dem Sektor der Energiewirtschaft bei der Anordnung des Sofortvollzugs in irgendeiner Weise privilegiert sind. Nach der geltenden Rechtslage unterliegen jene Untersagungsverfügungen vielmehr denselben (dargestellten) Maßstäben, die auch für die Verbotsverfügungen der Kartellbehörde in allen anderen Wirtschaftszweigen und auf anderen Märkten gelten.
19Für die Beurteilung der aktuellen Rechtslage spielt ebensowenig das Gesetzgebungsvorhaben der Regierungskoalition eine Rolle, Untersagungsverfügungen, welche die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung bei Gas- und Elektrizitätsversorgungsnetzen verbieten, vom Anwendungsbereich des § 64 Abs. 1 Nr. 2 GWB auszunehmen und damit den gegen eine solche Missbrauchsverfügung gerichteten Beschwerden die aufschiebende Wirkung zu nehmen. Denn auch insoweit handelt es sich (noch) nicht um geltendes Recht.
20B. Im Entscheidungsfall sind die (engen) Voraussetzungen, unter denen die sofortige Vollziehbarkeit einer kartellbehördlichen Untersagungsverfügung angeordnet werden kann, nicht erfüllt.
211. Der Sofortvollzug kann nicht alleine mit dem Hinweis darauf gerechtfertigt werden, dass Gegenstand der angefochtenen Verfügung die Untersagung einer missbräuchlichen Preisgestaltung ist.
22Zwar hat - worauf das Bundeskartellamt hinweist - das Kammergericht in seiner Rechtsprechung ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung einer Missbrauchsverfügung regelmäßig dann bejaht, wenn die Kartellbehörde das Fordern missbräuchlich überhöhter Preise untersagt (WuW/E OLG 1465, 1466 - Kalkulationsklausel; WuW/E OLG 1467, 1468 - BP). Den Entscheidungen hat allerdings stets ein Preismissbrauch gegenüber dem Endverbraucher zugrunde gelegen. Zur Rechtfertigung des Sofortvollzugs in diesen Fällen hat das Kammergericht auf nicht wiedergutzumachende Nachteile für die Allgemeinheit hingewiesen, wenn bis zur Entscheidung über die Beschwerde laufend Geschäftsabschlüsse mit den Letztverbrauchern zu höheren als den wettbewerbskonformen Preisen abgeschlossen werden. Hierdurch - so führt das Kammergericht aus - werde nicht nur das subjektive Privatinteresse einzelner Käufer beeinträchtigt, sondern die bestmögliche Versorgung der Verbraucher durch Beschränkung des Wettbewerbs gefährdet und damit ein wesentliches, in den Gesetzesmaterialien immer wieder hervorgehobenes Anliegen des Kartellgesetzes beeinträchtigt. Überdies liege die sofortige Vollziehung kartellbehördlicher Verfügung gegen missbräuchlich überhöhte Preise vielfach auch deshalb im öffentlichen Interesse, weil und soweit sich die Verhältnisse auf den betroffenen Märkten so schnell verändern, dass die angefochtene Verbotsverfügung nicht zur Auswirkung kommen würde, wenn der Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung abgewartet werden müsste.
23Vorliegend geht es um eine andere Fallgestaltung. Gegenstand der Untersagungsverfügung des Bundeskartellamtes ist nicht ein Preismissbrauch der Antragstellerin gegenüber dem Endverbraucher, sondern die missbräuchliche Preisge-staltung im Verhältnis zum gewerblichen Zwischenhändler, der seinerseits den Letztverbraucher beliefert. Die vom Kammergericht für die Erforderlichkeit eines Sofortvollzugs herangezogenen Gesichtspunkte kommen hier nicht in gleicher Weise zum Tragen. Zwar wird sich das Einfordern missbräuchlich überhöhter Entgelte vielfach auch auf die Endverbraucherpreise des gewerblichen Zwischenhändlers auswirken, weil dieser die entsprechenden Kosten in seine Preiskalkulation einstellen muss. Es ist indes stets eine Frage des Einzelfalles, in welchem Umfang der Zwischenhändler das von ihm zu entrichtende Entgelt an seine Endkunden weitergibt. Insbesondere in Fallkonstellationen der vorliegenden Art, in denen der Adressat der Untersagungsverfügung nicht nur den Zwischenhändler beliefert, sondern mit diesem zugleich in einem Wettbewerbsverhältnis um die Endkunden steht, besteht die naheliegende Möglichkeit, dass der Zwischenhändler im Interesse seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Letztverbrauchern den missbräuchlich überhöhten Entgeltanteil nicht oder nicht vollständig an seine Abnehmer weiterleitet. Vor diesem Hintergrund kann - anders als dies beim Preisgestaltungsmissbrauch gegenüber dem Letztverbraucher der Fall ist - aus dem Fordern missbräuchlich überhöhter Preise von gewerblichen Zwischenhändlern nicht ohne weiteres auf das Entstehen nicht wiedergutzumachender Nachteile für die Allgemeinheit geschlossen werden, die ohne weiteres einen Sofortvollzug der Verbotsverfügung notwendig machen.
24Es ist auch nicht zu befürchten, dass die angefochtene Untersagungsverfügung wegen kurzfristig sich verändernder Marktverhältnisse ins Leere laufen und praktisch wirkungslos bleiben wird. Der angefochtenen Verfügung liegt die Streitfrage zugrunde, ob Netznutzungsentgelte dann missbräuchlich überhöht sind, wenn sie nicht nach Maßgabe des Berichts der Arbeitsgruppe Netznutzung, sondern mit dem Ergebnis höherer kalkulatorischer Kosten nach den Vorgaben der VV II Plus berechnet worden sind. Dass diese Problematik infolge sich wandelnder Marktverhältnisse kurzfristig erledigt sein wird, ist nicht ersichtlich. Sie kann nach heutigem Kenntnisstand allenfalls durch eine - vom Gesetzgeber derzeit in Erwägung gezogene (vgl. BT-Drucks. 15/197 Seite 16) - Anordnung obsolet werden, dass bei einer Preiskalkulation nach der VV II Plus die Vermutung nicht missbräuchlich überhöhter Entgelte besteht. Darauf lässt sich vorliegend indes schon im Ansatz ein Sofortvollzug nicht stützen, weil mit der dargestellten Gesetzesnovelle der angefochtenen Verbotsverfügung gerade die rechtliche Grundlage entzogen würde.
25Nach alledem verbleibt es deshalb bei der Notwendigkeit einer einzelfallbezogenen Abwägung der widerstreitenden Interessen, nämlich des öffentlichen Interesses oder von Drittinteressen einerseits und der Belange der Antragstellerin als Verfügungsadressatin andererseits.
262. Vorliegend führt diese Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass die sofortige Vollziehung der angefochtenen Untersagungsverfügung nicht geboten ist.
27a) Das Bundeskartellamt geht im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass sich die sofortige Vollziehung einer Untersagungsverfügung insbesondere aus dem Bestreben rechtfertigen kann, bestehende Wettbewerbsstrukturen zu erhalten oder erstmals die Voraussetzungen für einen funktionierenden Wettbewerb auf dem betroffenen Markt zu schaffen. Auf diesen Gesichtspunkt stützt es auch den Sofortvollzug der angefochtenen Verbotsverfügung und führt dazu im einzelnen aus: Die sofortige Durchsetzung der Untersagungsverfügung sei notwendig, um die mit dem zum 29. April 1998 in Kraft getretenen Energiewirtschaftsgesetz erstrebte Liberalisierung des Strommarktes in die Tat umzusetzen. Stromhändler, die über das Leitungsnetz der Antragstellerin Endkunden mit Strom beliefern, verfügten derzeit nur über einen geringen Marktanteil. Lediglich rund .. % der insgesamt im Versorgungsgebiet der Antragstellerin abgesetzten Strommenge stamme von mit der Antragstellerin konkurrierenden Stromhändlern. Die darin zum Ausdruck kommende fehlende Bereitschaft der Stromkunden zum Wechsel des Stromanbieters sei wesentlich auf die missbräuchlich überhöhten Netznutzungsentgelte der Antragstellerin zurückzuführen. Jene Durchleitungsentgelte beeinflussten in einem erheblichen Ausmaß die Kostenkalkulation der Netznutzer und verschlechterten damit unmittelbar deren Marktchancen im Wettbewerb um die Stromkunden. Nach Angaben der Beigeladenen zu 1. werde der Strompreis der neuen Anbieter derzeit bis zu .. % von den Netznutzungsentgelten bestimmt. Der direkte Zusammenhang zwischen den missbräuchlich überhöhten Netznutzungsentgelten und den unzureichenden Wettbewerbschancen neuer Stromanbieter werde überdies in dem Umstand sichtbar, dass sich die große Zahl der zu Beginn der Liberalisierung im Jahre 1998 neu in den Markt eingetretenen Stromanbieter mittlerweile deutlich reduziert habe. Seit dem Jahre 2000 sei von insgesamt 13 Stromhandelsunternehmen für die Belieferung von Klein- und Industriekunden Insolvenz angemeldet worden, zuletzt von der Beigeladenen zu 1. und dem Stromhändler R.... Die überhöhten Durchleitungsentgelte dürften für diese Insolvenzen zumindest mitursächlich gewesen sein. Ein weiterer Beleg für die wettbewerbsschädlichen Auswirkungen der missbräuchlich überhöhten Netznutzungsentgelte sei überdies die Tatsache, dass sich bislang kein Stromunternehmen bereit gefunden habe, die Kundenbeziehungen der Beigeladenen zu 1. und des Stromhändlers R... zu erwerben. In alledem füge sich schließlich ein, dass auch von Seiten der etablierten Energieversorgungsunternehmen mittlerweile kaum noch der Versuch unternommen werde, in fremde Versorgungsgebiete vorzustoßen. Bei dieser Sachlage könne nur durch eine sofortige Absenkung der missbräuchlich überhöhten Netznutzungsentgelte verhindert werden, dass die Beigeladenen zu 2. bis zu 4. und andere Newcomer aus dem Markt verdrängt sowie potentielle Wettbewerber von einem Markteintritt ferngehalten werden.
28b) Mit diesen Erwägungen kann der Sofortvollzug der angefochtenen Untersagungsverfügung indes nicht begründet werden.
29aa) Die Beschwerde trägt unwidersprochen vor, dass die meisten Stromhändler, die das Leitungsnetz der Antragstellerin in Anspruch nehmen, dafür nicht mehr als .. % ihrer Gesamtdurchleitungskosten aufwenden. Lege man - so macht die Antragstellerin weiter unangegriffen geltend - eine durch die angefochtene Verfügung aufgegebene Reduzierung des Netznutzungsentgelts um 10 % zugrunde, vermindere sich der Kostenaufwand der Stromhändler im Bereich der Durchleitungsentgelte insgesamt um lediglich 0,5 %. Daraus leitet die Antragstellerin mit Recht ab, dass die ihr gebotene Absenkung des Durchleitungsentgelts bei den Netznutzern nur zu einer marginalen Verbesserung ihrer Wettbewerbsmöglichkeiten führt, und dass unter diesen Umständen die sofortige Vollziehung der Untersagungsverfügung nicht mit dem Argument angeordnet werden kann, die unverzügliche Durchsetzung des ausgesprochenen Verbots sei zum Schutz des Wettbewerbs notwendig.
30bb) Das Bundeskartellamt hält dem entgegen, dass es im Interesse einer wirksamen Missbrauchsaufsicht im Stromsektor nicht darauf ankommen könne, ob der jeweilige Verfügungsadressat mit Blick auf den gesamten Stromnetzmarkt nur eine geringe wirtschaftliche Bedeutung für die Netznutzer habe. Die vom Gesetzgeber gewünschte Liberalisierung des Strommarktes könne nur dann rasch und effektiv durchgesetzt werden, wenn die Kartellbehörde gegen einzelne Netzbetreiber in deren Netzgebiet vorgehen könne, ohne darauf Rücksicht nehmen zu müssen, in welchem Maß dieser Netzanbieter die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Strommarkt beeinflusse. Das decke sich - so meint das Bundeskartellamt - im übrigen mit der höchstrichterlichen Judikatur zur "Flugpreisspaltung". Dort habe der Bundesgerichtshof ausgesprochen, dass es für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer Preisbildung auf die einzelne Flugstrecke und nicht auf das gesamte von der Fluggesellschaft bediente Netz ankomme (WuW/DE-R 375).
31Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
32Der Argumentation des Bundeskartellamt ist lediglich zuzustimmen, soweit es um den Erlass der Untersagungsverfügung geht. Die Kartellbehörde kann im Wege der Missbrauchsaufsicht gegen jedes Unternehmen vorgehen, das einen Preismissbrauch betreibt. Liegt ein kartellrechtswidriges Preisverhalten vor, darf das Bundeskartellamt dagegen einschreiten. Für den Erlass einer entsprechenden Untersagungsverfügung kommt es weder auf die bundesweite wirtschaftliche Bedeutung des Verfügungsadressaten noch auf dessen Preisverhalten auf benachbarten Märkten an. In diesem Sinne hat auch der Bundesgerichtshof in der vom Bundeskartellamt herangezogenen Entscheidung zur "Preisspaltung" für den festgestellten Preismissbrauch alleine darauf abgestellt, dass das Luftverkehrsunternehmen auf der untersuchten - und einen gesonderten Markt bildenden - Flug-strecke missbräuchlich überhöhte Preise gefordert hat. Für den Missbrauchstatbestand spielt ebensowenig eine Rolle, in welchem Umfang und Ausmaß der konstatierte Preismissbrauch die Wettbewerbsverhältnisse auf einem vor- oder nachgelagerten Markt beeinträchtigt.
33Geht es - wie vorliegend - demgegenüber um den Sofortvollzug einer Preismissbrauchsverfügung, ist die Argumentation des Bundeskartellamts nicht stichhaltig. Wie bereits ausgeführt, rechtfertigt nach der geltenden Rechtslage alleine das öffentliche Interesse an der Beendigung des festgestellten Preismissbrauchs den Sofortvollzug nicht. Folglich lässt sich die sofortige Vollziehung der angefochtenen Verfügung auch nicht - wie das Bundeskartellamt meint - mit dem Argument begründen, der Gesetzgeber wünsche eine Liberalisierung des Strommarktes. Für den Sofortvollzug müssen vielmehr besondere Gründe hinzutreten, die gerade die sofortige Durchsetzung des Preismissbrauchsverbots erforderlich machen. Ob solche Gründe vorliegen, hängt maßgeblich auch von den Wirkungen der kartellbehördlichen Maßnahme auf den Wirtschaftsablauf ab (vgl. Kollmorgen, a.a.O.). Vermag eine Untersagungsverfügung die Wettbewerbsverhältnisse auf dem zu schützenden Markt nicht nennenswert zu verbessern, fehlt es in aller Regel auch an der Notwendigkeit, die Verfügung entgegen der gesetzlichen Regel des § 64 Abs. 1 Nr. 2 GWB sofort zu vollziehen. So liegt der Fall auch hier. Nach dem unwidersprochenen Sachvortrag der Antragstellerin ist die ihr gebotene Absenkung der Netznutzungsentgelte für die Netznutzer mit einer nur ganz geringfügigen Kostenentlastung und demzufolge auch mit einer bloß marginalen Verbesserung ihrer Wettbewerbschancen verbunden.
34Der Streitfall wäre nur dann anders zu beurteilen, wenn entweder hinreichend sicher zu erwarten wäre, dass eine Vielzahl anderer Netzbetreiber das vorliegende Verfahren zum Anlass nehmen werden, ihre Netznutzungsentgelte freiwillig den in der angefochtenen Verfügung dargelegten Vorgaben des Bundeskartellamts anzupassen, oder wenn das Bundeskartellamt vergleichbare Preismissbrauchsverfügungen auch gegen eine Großzahl weiterer Netzbetreiber sofort vollziehbar erlassen hat oder in Kürze erlassen wird, so dass in der Summe dieser - freiwilligen oder verfügten - Preissenkungen die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Strommarkt spürbar verbessert werden. Entsprechendes macht das Bundeskartellamt indes selbst nicht geltend; zu alledem ist auch sonst nichts ersichtlich. Das gilt auch, soweit das Bundeskartellamt gegen zwei weitere Stromnetzbetrieber Preismissbrauchsverfügungen erlasssen hat, die dem Senat ebenfalls zur Entscheidung vorliegen. Es ist weder dargelegt noch sonst zu erkennen, dass jene beiden Untersagungsverfügungen zusammen mit der vorliegenden Verbotsverfügung die Kostenbelastung der Stromhändler in spürbarer Weise absenken.
35cc) Zusätzliche Zweifel, dass im Wege der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung die Kostenbelastung der - das Stromnetz der Antragstellerin nutzenden - Stromhändler gemindert werden kann, ergeben sich aus der Tatsache, dass es sich bis zur rechtskräftigen Bestätigung der Untersagungsverfügung nur um eine vorläufge Entgeltreduzierung handelt. Die Antragstellerin darf bei einem Sofortvollzug die Nutzung ihres Leitungsnetzes unter den Vorbehalt stellen, dass sie die reduzierten Entgeltbeträge im Falle der (vollständigen oder teilweisen) Aufhebung der angefochtenen Verfügung nachfordern wird. Das zwingt die Stromhändler nach kaufmännischen Gesichtspunkten (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) dazu, wegen der geminderten Entgeltbeträge Rückstellungen zu bilden.
36dd) Bedenken bestehen überdies gegen die Annahme des Bundeskartellamts, nur durch einen sofortigen Vollzug der angefochtenen Untersagungsverfügung könne der Wettbewerb auf dem Strommarkt erhalten und eine Verdrängung der noch am Markt agierenden neuen Stromhändler verhindert werden. Bereits die Behauptung des Kartellamts, die angeführten zahlreichen Unternehmensinsolvenzen seien durch die missbräuchlich überhöhten Nutzungsentgelte der Netzbetreiber zumindest mitverursacht worden, ist weder nachvollziehbar begründet noch nachgewiesen. Erst recht ist nicht dargelegt, dass - worauf es zur Rechtfertigung des Sofortvollzugs der angefochtenen Verfügung maßgebend ankommt - gerade die Preisgestaltung der Antragstelllerin diese Insolvenzen veranlasst oder gefördert hat.
37Es kommt hinzu, dass nach dem vom Bundeskartellamt nicht substantiiert bestrittenen Vorbringen der Antragstellerin selbst unter den gegebenen Marktverhältnissen der Marktanteil ihrer Wettbewerber auf dem Stromlieferungsmarkt von .. % im Jahre 2001 kontinuierlich auf derzeit .. % angestiegen sei. Auch das zieht die Annahme des Bundeskartellamts in Zweifel, nur durch eine sofortige Durchsetzung der Missbrauchsverfügung könne der bestehende Wettbewerb auf dem Strombelieferungsmarkt gesichert und das Entstehen weiteren Wettbewerbs gefördert werden.
38Bei dieser Sachlage ist es zum Schutz des Wettbewerbs auf dem Markt der Belieferung von Stromkunden nicht erforderlich, die gegen die Antragstellerin erlassene Verbotsverfügung sofort zu vollziehen. Es hat vielmehr bei der gesetzlich normierten Regel zu verbleiben, wonach die Beschwerde gegen eine Missbrauchsverfügung der Kartellbehörde aufschiebende Wirkung hat. Dies war durch die Wiederherstellung des Suspensiveffekts antragsgemäß auszusprechen.