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Die Berufung des Klägers gegen das am 27.11.2002 ver-kündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Düs-seldorf wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleis-tung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Be-klagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
G r ü n d e :
2I.
3Der Kläger nimmt die Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche Schäden wegen behaupteter Behandlungsfehler in Anspruch. Dem liegt nach den Feststellungen des Landgerichts folgender Sachverhalt zugrunde:
4Der am 09.03.1953 geborene Kläger befand sich seit Mai 1996 wegen Schmerzen in der Brust- und Lendenwirbelsäule in orthopädischer Behandlung des Beklagten zu 1). Dieser führte eine Röntgenuntersuchung durch und diagnostizierte eine „Brustwirbelsäulenkyphose und Degeneration“.
5Am Abend des 09.08.1997 (Samstag) begab sich der Kläger notfallmäßig in die Ambulanz des Ev. Fachkrankenhauses Ratingen, nachdem er im Freibad einen Fußsprung vom 10-m-Turm unternommen und unmittelbar nach dem Sprung starke Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in die Beine empfunden hatte. Dort wurde er von der Beklagten zu 2) körperlich untersucht. Diese stellte keine äußeren Verletzungszeichen und keine Hämatome im Bereich der Rumpfwirbelsäule fest; es bestanden keine Paresen und kein Druck- oder Klopfschmerz über den Dornfortsätzen der Lendenwirbelsäule. Beiderseits der Lendenwirbelsäule stellte die Beklagte zu 2) einen geringen paravertebralen Muskelhartspann mit diskretem Beckenfederungsschmerz fest. Sie veranlasste eine Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule, auf der jedoch keine knöchernen Verletzungen nachzuweisen waren. Der Kläger wurde mit Analgetika versorgt und ihm wurde geraten, bei Fortdauer der Beschwerden am folgenden Montag einen Orthopäden aufzusuchen.
6Wegen fortdauernder starker Rückenschmerzen suchte der Kläger am Montag, den 11.08.1997 den Beklagten zu 1) auf, der eine Interferenzstromtherapie zur Schmerzbehandlung und Herabsetzung des Muskeltonus einleitete. Ein weiterer Behandlungstermin bei dem Beklagten zu 1) fand am 14.08.1997 statt.
7Am 18. bzw. 19.08.1997 bemerkte der Kläger eine höckerförmige Krümmung der Brustwirbelsäule nach hinten. Bei einer daraufhin vom Beklagten zu 1) veranlassten Röntgenuntersuchung der gesamten Wirbelsäule wurden eine Fraktur des 9. Brustwirbelkörpers und eine angedeutete Höhenminderung des 7. Brustwirbelkörpers festgestellt; das am 20.08.1997 durchgeführte CTG ergab neben der frischen Fraktur des 9. Brustwirbelkörpers eine ältere Fraktur des 7. Brustwirbelkörpers in Gestalt einer älteren Deckplattensinterung. Bei einer Knochendichtemessung wurde nunmehr festgestellt, dass der Kläger an einer Osteoporoseerkrankung litt. Die weitere Behandlung wurde im Ev. Fachkrankenhaus in Ratingen durchgeführt.
8Der Kläger hat behauptet, der Beklagte zu 1) habe wegen des Röntgenbefundes und der bei ihm, dem Kläger, vorliegenden osteologischen Risikofaktoren – Laktoseintoleranz, regelmäßiger Alkoholkonsum, familiäre Belastung – bereits im Mai 1996 Veranlassung gehabt, eine Knochendichtemessung vorzunehmen, bei der dann die Osteoporoseerkrankung festgestellt und rechtzeitig behandelt worden wäre. Dann wäre er – der Kläger – nicht vom 10-m-Turm gesprungen und es wäre nicht zum Bruch des 9. Brustwirbelkörpers gekommen. Die Beklagte zu 2) habe fehlerhaft eine Röntgenuntersuchung der Brustwirbelsäule unterlassen, obwohl er – der Kläger – über Schmerzen im gesamten Rückenbereich geklagt habe; deshalb sei der Bruch des 9. Brustwirbelkörpers zunächst nicht entdeckt worden. Der Beklagte zu 1) habe sich nicht auf das Ergebnis der Untersuchung im Ev. Krankenhaus verlassen dürfen, sondern seinerseits eine Röntgendiagnostik der gesamten Wirbelsäule veranlassen müssen. Bei einer rechtzeitigen Behandlung wäre es nicht zu den weitreichenden Folgen – ständige Schmerzbeeinträchtigung, Herabsetzung der Belastbarkeit der Wirbelsäule – gekommen, die ihn zur Aufgabe seines Berufs als Werbefotograf gezwungen hätten und deshalb ein Schmerzensgeld von mindestens DM 20.000 rechtfertigten. Da mit zunehmendem Alter noch eine Verschlimmerung der Unfallfolgen drohe, bestehe ein Interesse an der Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für sämtlichen Schaden aus ihrer jeweiligen Fehlbehandlung.
9Der Beklagte zu 1) hat behauptet, die Befundlage im Mai 1996 habe weitere Diagnosemaßnahmen im Hinblick auf eine etwaige Osteoporoseerkrankung nicht indiziert. Bei der Wiedervorstellung des Klägers am 11.08.1997 habe der Bruch des 9. Brustwirbelkörpers noch nicht vorgelegen; sämtliche Beschwerden des Klägers seien auf das schicksalbedingte Osteoporoseleiden zurückzuführen.
10Die Beklagte zu 2) hat behauptet, der Kläger habe bei der Untersuchung am 09.08.1997 angegeben, er habe nach einem Fußsprung vom 10-m-Brett Schmerzen in der unteren Lendenwirbelsäule, weshalb eine Röntgenuntersuchung der Brustwirbelsäule nicht indiziert gewesen sei. Die Fraktur des 9. Brustwirbelkörpers sei erst nach dem Unfall im Sinne eines langsamen Sinterungsbruchs des Brustwirbels infolge der Grunderkrankung aufgetreten.
11Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen, da ein Behandlungsfehler der Beklagten nicht bewiesen sei. Es lasse sich nicht einmal feststellen, dass der Zusammenbruch des 9. Brustwirbelkörpers am 09., 11. oder 14.08.1997 bereits eingetreten gewesen sei; wahrscheinlich sei es durch den Unfall nur zu einem Anbruch gekommen, bei dem offen bleibe, ob dieser bei einer gezielten Röntgenaufnahme entdeckt worden wäre.
12Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der geltend macht, das vom Landgericht eingeholte Gutachten sei nicht verwertbar, weil es nicht von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Löer erstellt worden sei, sondern von dessen Oberarzt Dr. Michiels, der auch allein vom Gericht angehört worden sei. Außerdem habe das Gericht den Beweisbeschluss vom 29.06.2002, in dem seine – des Klägers – Parteivernehmung zu seinen Schmerzäußerungen gegenüber der Beklagten zu 2) angeordnet worden sei, fehlerhaft nicht ausgeführt; nachdem die Beklagte zu 2) seiner Parteivernehmung widersprochen habe, sei das Gericht verpflichtet gewesen, ihn nach § 448 ZPO zu vernehmen.
13Der Kläger beantragt,
14das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 21.11.2002 abzuändern und
151. festzustellen, dass der Beklagte zu 1) verpflichtet sei, ihm – dem Kläger – sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihm aufgrund ärztlicher Fehlbehandlung durch Unterlassen diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen im Zeitraum vom 21.05.1996 bis 20.08.1997 entstanden sei oder noch entstehen werde;
162. festzustellen, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet sei, ihm – dem Kläger – sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihm aufgrund ärztlicher Fehlbehandlung durch unrichtige Diagnose und Behandlungen im Ev. Fachkrankenhaus in Ratingen im Zeitraum vom 09.08. bis 11.09.1997 entstanden sei oder noch entstehen werde;
173. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn – den Kläger – ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, nicht jedoch unter DM 20.000 = € 10.225,84, zu zahlen.
18Die Beklagten beantragen,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
21Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
22II.
23Die zulässige Berufung hat im Ergebnis keinen Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagten weder ein deliktischer Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB, noch (gegen den Beklagten zu 1) ein vertraglicher Anspruch wegen eines Behandlungsfehlers zu; ein vertraglicher Anspruch gegen die Beklagte zu 2) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil nicht vorgetragen ist, dass der Kläger in Vertragsbeziehungen zu der Beklagten zu 2) gestanden hat.
24Das Landgericht ist aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass ein für die Beschwerden des Klägers ursächlicher Behandlungsfehler weder zu Lasten des Beklagten zu 1), noch zu Lasten der Beklagten zu 2) festzustellen ist. Hieran ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 ZPO gebunden. Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten:
251. Das Landgericht hat seine Feststellungen zu Recht auf das Gutachten vom 08.02.2002 und die mündlichen Ausführungen des Leitenden Oberarztes Dr. Michiels bei seiner Anhörung am 10.07.2002 gestützt. Das Gutachten ist entgegen der Auffassung des Klägers prozessual nicht unverwertbar.
26Es erscheint bereits zweifelhaft, ob das schriftliche Gutachten unter Verstoß gegen § 407a Abs. 2 Satz 1 ZPO erstattet worden ist. Danach ist ein Sachverständiger nicht befugt, den ihm erteilten Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Ursprünglich hat das Landgericht mit der Gutachtenerstattung den Direktor der Klinik und Poliklinik für Orthopädie der Gesamthochschule Essen, Prof. Dr. Löer, beauftragt. Verfasst wurde das Gutachten jedoch von dessen Leitenden Oberarzt, Dr. Michiels, der das Gutachten unterzeichnet und bei seiner Anhörung auf Befragen angegeben hat, er sei der „Gutachtenerstatter“. Ein solches Gutachten ist gleichwohl verwertbar, soweit die volle persönliche Verantwortung des vom Gericht bestellten Sachverständigen gewahrt bleibt und die Feststellung erlaubt ist, dass eine eigenverantwortliche gutachterliche Tätigkeit des bestellten Sachverständigen vorliegt (vgl. OLG Oldenburg, r + s 1997, 124 u. 132; OLG Koblenz, NVersZ 2002, 315). Davon kann grundsätzlich ausgegangen werden, wenn er das Gutachten nicht nur mit „einverstanden“, sondern – wie hier – mit „einverstanden aufgrund eigener Meinungsbildung“ unterzeichnet.
27Darüber hinaus hat das Landgericht im Einverständnis der Parteien Dr. Michiels zur Erläuterung des schriftlichen Gutachtens geladen. Ob darin eine konkludente Änderung des Beweisbeschlusses gemäß § 360 Satz 2 ZPO dahin gehend zu sehen ist, dass nunmehr der tatsächlich tätig gewordene Arzt zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt worden ist (vgl. dazu Pfälz. OLG Zweibrücken, OLGR Koblenz/Saarbrücken/Zweibrücken 1999, 374, 376), bedarf keiner Entscheidung. Denn jedenfalls wäre ein etwaiger Verfahrensfehler gemäß § 295 Abs. 1 ZPO geheilt. Durch die Ladung von Dr. Michiels hat das Landgericht zumindest konkludent zu erkennen gegeben, dessen Gutachten als Beweismittel verwerten zu wollen. Die Parteivertreter haben daraufhin in der abschließenden mündlichen Verhandlung vom 17.10.2002 in Kenntnis dessen, dass das Gutachten nicht (allein) von dem ursprünglich mit der Erstellung beauftragten Prof. Löer verfasst worden ist, mündlich verhandelt, ohne dies zu rügen. Das Gutachten ist deshalb jedenfalls auch aus diesem Grunde verwertbar. Es steht grundsätzlich im Belieben der Parteien, ob sie es zulassen wollen, dass das Gericht Beweisstoff verwertet, den es eventuell verfahrensfehlerhaft beschafft hat (vgl. BGH, NJW-RR 1990, 1459, 1461; OLG Zweibrücken, a.a.O., S. 375).
282. Auch inhaltlich konnte das Landgericht seine Feststellungen auf das Gutachten und dessen mündliche Erläuterung durch Dr. Michiels stützen. Dr. Michiels, der als Leitender Oberarzt einer Universitätsklinik über die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen zur Beantwortung der Beweisfragen verfügt, hat anhand der ihm vollständig vorliegenden Röntgenaufnahmen und Behandlungsunterlagen die maßgebenden medizinischen Fragen beantwortet, die für eine etwaige Haftung der Beklagten von Bedeutung sind. Die Darlegungen des Klägers in der Berufungsbegründung sind nicht geeignet, die Ausführungen von Dr. Michiels in Frage zu stellen:
29a) Die Feststellung, die vom Beklagten zu 1) im Mai 1996 gefertigten Röntgenaufnahmen hätten keine deutlichen Hinweise auf eine Osteoporose geboten und deshalb keine Notwendigkeit zur Durchführung einer Osteodensitometrie begründet (Bl. 131, 140 GA), greift der Kläger mit der Berufungsbegründung nicht an. Zweifel hieran bestehen auch nicht, denn diese Feststellung steht auch im Einklang mit den Ausführungen in dem vom Kläger vorgelegten Privatgutachten von Prof. Dr. Ringe vom 26.07.2000 (Bl. 68 GA) und dem Ergebnis der Überprüfung durch die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler.
30Allerdings hat Prof. Ringe ausgeführt, beim Kläger hätten deutliche Risikofaktoren für eine Osteoporose vorgelegen, die zusammen mit Osteoporosehinweisen in den Röntgenaufnahmen der Brustwirbelsäule vom 21.05.1996 die Indikation für eine Osteodensitometrie begründet hätten (Bl. 69 GA). Hierdurch wird jedoch das Gutachten von Dr. Michiels nicht in Frage gestellt. Zum einen stehen diese Ausführungen im Widerspruch dazu, dass Prof. Ringe an anderer Stelle selbst davon ausgegangen ist, sichere Hinweise auf eine Osteoporose hätten nicht vorgelegen. Zum anderen hat der Kläger auch nicht vorgetragen, inwieweit dem Beklagten zu 1) die Risikofaktoren wie Lactoseintoleranz, regelmäßiger Alkoholkonsum und familiäre Belastung (Osteoporose der Mutter) überhaupt bekannt waren; es liegt vielmehr nahe, dass diese Faktoren von Prof. Ringe erst nachträglich in Kenntnis der vorliegenden Osteoporose gezielt erfragt worden sind. Letztlich kann dies jedoch dahin stehen, denn auch Prof. Ringe hat in seiner abschließenden Beurteilung ausgeführt, aus der verzögerten Diagnostik der Osteoporose könne ein eindeutig fehlerhaftes Verhalten der beteiligten Ärzte nicht abgeleitet werden (Bl. 73 GA).
31b) Dass der Bruch des 9. Brustwirbelkörpers erst am 19.08.1997 entdeckt wurde, beruht nach den Ausführungen von Dr. Michiels ebenfalls nicht auf einem Behandlungsfehler der Beklagten.
32aa) Danach war es nicht fehlerhaft, dass die Beklagte zu 2) am 09.08.1997 lediglich die Lendenwirbelsäule des Klägers hat röntgen lassen (Bl. 138, 142 GA). Denn ausweislich der Behandlungsunterlagen hat der Kläger Schmerzen in der unteren Lendenwirbelsäule angegeben. Auch Prof. Ringe hat es im Ergebnis nicht beanstandet, dass die Beklagte zu 2) sich bei der notfallmedizinischen Untersuchung nach der vom Kläger angegebenen Schmerzlokalisation gerichtet hat (Bl. 69, 73 GA). Beide haben es als ausreichend angesehen, dass dem Kläger geraten wurde, bei Fortdauer der Beschwerden am folgenden Werktag einen Orthopäden aufzusuchen.
33Dass der Kläger – entgegen den Eintragungen in den Behandlungsunterlagen des Ev. Krankenhauses Ratingen - bei der Untersuchung durch die Beklagte zu 2) über Schmerzen im Bereich des gesamten Rückens geklagt hat, hat das Landgericht nicht festgestellt. Eine Parteivernehmung des Klägers zu dieser Behauptung hat das Landgericht zu Recht unterlassen, denn die Voraussetzungen hierfür lagen nicht vor:
34(1.) Da der Kläger für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers beweispflichtig ist, muss er auch beweisen, welche Informationen er den beteiligten Ärzten bezüglich der von ihm empfundenen Schmerzen gegeben hat. Eine Vernehmung der beweispflichtigen Partei ist aber nach § 447 ZPO nur mit Einverständnis des Gegners zulässig. Hier hatte die Beklagte zu 2) indessen der Parteivernehmung des Klägers ausdrücklich widersprochen.
35(2.) Auch eine Parteivernehmung des Klägers von Amts wegen nach § 448 ZPO war nicht zulässig. Diese Vorschrift verschafft dem Gericht dann, wenn nach dem Ergebnis der bisherigen Verhandlung und Beweisaufnahme eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der streitigen Behauptung spricht und andere Erkenntnisquellen nicht mehr zur Verfügung stehen, unter Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes ein Mittel zur Gewinnung letzter Klarheit. Davon darf das Gericht allerdings nur dann Gebrauch machen, wenn es aufgrund der Gesamtwürdigung von bisheriger Verhandlung und Beweisaufnahme weder von der Wahrheit noch von der Unwahrheit der zu beweisenden Behauptung überzeugt ist, also eine echte non-liquet-Situation besteht (vgl. BGH, NJW 2002, 2247).
36Hier sprach indessen nichts für die Richtigkeit der Darstellung des Klägers. Es ist schon kein Grund ersichtlich, weshalb die Beklagte zu 2) in den Behandlungsunterlagen vermerkt haben sollte, der Kläger klage (nur) über Schmerzen in der unteren Lendenwirbelsäule, wenn dieser nicht genauer lokalisierte Schmerzen im ganzen Rückenbereich angegeben hätte. Dass die Beklagte zu 2) bei der Befunderhebung anstelle der geäußerten Beschwerden ihre subjektive Vorstellung von möglichen Beschwerden nach einem Fußsprung vom 10-m-Turm gesetzt hat, ist nach Auffassung von Dr. Michiels – der insoweit entgegen der Rüge des Klägers keine Beweiswürdigung vorgenommen hat, sondern eine sachverständige Bewertung der Eintragungen in den Behandlungsunterlagen – aus ärztlicher Sicht nicht vorstellbar (Bl. 174 GA). Der Kläger hat bei seiner informatorischen Anhörung am 10.07.2002 vor dem Landgericht nicht einmal selbst erklärt, er habe der Beklagten zu 2) über Schmerzen im gesamten Rückenbereich berichtet. Er konnte sich überhaupt nicht daran erinnern, bei seiner Vorstellung im Krankenhaus nach dem Unfallereignis danach gefragt worden zu sein, wo es ihm weh tue. Nach seinen Angaben kann nicht einmal festgestellt werden, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung noch Schmerzen im gesamten Rückenbereich bestanden. Es gibt auch keinen Anlass zu der Annahme, die Beklagte zu 2) habe die Anamnese nicht in der gebotenen Weise erhoben und deshalb nicht von Schmerzen im gesamten Bereich des Rückens erfahren. Unter diesen Umständen ist der für eine Vernehmung der beweispflichtigen Partei nach § 448 ZPO erforderliche Anfangsbeweis nicht erbracht, so dass das Landgericht seinen – ohnehin nur vorsorglich erlassenen – Beweisbeschluss nicht ausführen durfte.
37bb) Dem Beklagten zu 1) ist es nicht als Behandlungsfehler anzulasten, dass er am 11.08. oder 14.08.1997 nicht die gesamte Wirbelsäule des Klägers hat röntgen lassen. Der Beklagte zu 1) konnte sich auf die Mitteilung aus dem Ev. Krankenhaus Ratingen verlassen, wonach die Röntgenaufnahmen der Lendenwirbelsäule nach dem Unfall keine Fraktur zeigten (Bl. 145 GA). Da sich kein Klopf- oder Druckschmerz ergab und auch keine neurologischen Ausfälle bestanden, war eine sofortige neue Röntgenuntersuchung nicht angezeigt. Auch Prof. Ringe hat in seiner Gesamtbeurteilung ausgeführt, dass die eingeleitete Diagnostik durch den weiterbehandelnden Orthopäden – hier den Beklagten zu 1) – ordnungsgemäß erfolgte (Bl. 73 GA).
38cc) Hinzu kommt, dass nicht festgestellt werden kann, dass der Bruch des 9. Brustwirbelkörpers bei einer früheren Röntgenuntersuchung überhaupt entdeckt worden wäre. Wie Dr. Michiels ausgeführt hat, kam es beim Kläger durch den Sprung wahrscheinlich nicht sofort zu einer kompletten Fraktur, sondern höchstens zu einem Anbrechen (Infraktion) des Wirbelkörpers (Bl. 137 GA). Eine Fraktur hätte nämlich sofort zu stärksten Schmerzen und zu einer Knickbildung in der Wirbelsäule geführt. Gerade der Umstand, dass der Gibbus – das Hervorstehen des 9. Brustwirbeldornfortsatzes – erst am 18. bzw. 19.08.1997 aufgefallen ist, spricht für ein allmähliches Zusammenbrechen des Wirbelkörpers zwischen dem 09. und 18.08.1997. Eine Infraktion wäre aber auch bei einem gezielten Röntgen voraussichtlich nicht erkannt worden (Bl. 182 GA).
39Insoweit kommt dem Kläger auch dann keine Beweiserleichterung zugute, wenn man unterstellt, die Beklagten hätten zwingend gebotene Röntgenbefunde am 09.08. bzw. 11./14.08.1997 nicht erhoben. Denn ein Verstoß gegen die Pflicht zur Erhebung und Sicherung medizinischer Befunde erlaubt nur dann im Wege der Beweiserleichterung für den Patienten einen Schluss auf ein reaktionspflichtiges positives Befundergebnis, wenn ein solches Ergebnis hinreichend wahrscheinlich ist (vgl. BGH, NJW 1999, 862, 863). Das ist hier nicht der Fall; vielmehr spricht eher eine Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Bruch, der hätte erkannt werden können, zum fraglichen Zeitpunkt noch nicht vorlag.
40c) Es stellt schließlich keinen haftungsbegründenden Behandlungsfehler dar, dass die Beklagten die Osteoporoseerkrankung des Klägers nach dem Unfall nicht sogleich festgestellt haben. Es mag sein, dass die Osteoporoseerkrankung nach dem Unfall durch einen Vergleich der verschiedenen Röntgenaufnahmen erkennbar gewesen ist. Hinsichtlich der Beklagten zu 2) hat Dr. Michiels jedoch ausgeführt, dass allein die am 09.08.1997 gefertigten Röntgenaufnahmen keine Veranlassung zu sofortigen weiteren diagnostischen Maßnahmen im Hinblick auf eine Osteoporose boten (Bl. 143 GA). Auffälligkeiten ergaben sich allenfalls in Kenntnis der Krankengeschichte und der Voraufnahmen, die der Beklagten zu 2) jedoch unstreitig nicht vorlagen. Dass dem Beklagten zu 1) bei der Wiedervorstellung des Klägers am 11.08.1997 die im Ev. Krankenhaus Ratingen gefertigten Röntgenbilder bekannt waren, hat der Kläger nicht vorgetragen. Auch insofern kann daher ein Versäumnis nicht festgestellt werden. Im übrigen ist auch nicht ersichtlich, welcher Nachteil dem Kläger dadurch erwachsen sein soll, dass die Osteoporose erst eine Woche später festgestellt worden ist.
41III.
42Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
43Die Revisionszulassung ist nicht veranlasst.
44Die Beschwer des Klägers liegt über € 20.000.