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Die Berufung des Klägers gegen das am 20. April 2001 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kleve wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die am 2. November 1959 geborene Mutter des Klägers, die bereits im Jahre 1984 und 1986 zwei Kinder spontan zur Welt gebracht hatte, war im Jahre 1990 zum dritten Mal schwanger. Der voraussichtliche Entbindungstermin wurde auf den 10. Juni 1991 errechnet. Am 8. Januar 1991 wurde die Patientin von ihrem Frauenarzt wegen einer Cervixinsuffizienz in die gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung des Krankenhauses B…, deren Träger die Beklagte zu 1) ist, eingewiesen. Dort wurde eine Cerclage gelegt und eine Thromboseprophylaxe verordnet, da aus der Vorgeschichte eine Thrombophlebitis bekannt war. Die Gravidität verlief in der Folgezeit problemlos; allerdings wurde der errechnete Entbindungstermin überschritten. In der 42. Schwangerschaftswoche, am 20. Juni 1991, wurde die Mutter des Klägers deswegen stationär in die Klinik der Beklagten zu 1) eingewiesen. Bei der Aufnahmeuntersuchung in der geburtshilflichen Abteilung war der Muttermund auf 3 cm eröffnet, das kindliche Köpfchen befand sich bei stehender Fruchtblase hoch im Beckeneingang. Eine Sonographie ergab dem Tragzeitende entsprechende fetale Maße bei Schädellage, das geschätzte Gewicht der Leibesfrucht betrug 3.600 g. Das von dem als Stationsarzt tätigen Beklagten zu 2) angeordnete Aufnahme-CTG zeigte eine Dezeleration in Rückenlage. Daraufhin wurde ein Wehenbelastungstest geplant, der ab 15.00 Uhr durchgeführt wurde. Im Rahmen des Tests entwickelten sich variable Dezelerationen; um ca. 16.30 Uhr wurde der Wehentropf abgestellt, und es wurden bis 20.20 Uhr weitere CTG-Ableitungen vorgenommen. Am Morgen des 21. Juni 1991 erfolgte auf Anordnung des Beklagten zu 4) oder zu 5), die als Oberärzte in der geburtshilflichen Abteilung tätig waren, ein erneuter Oxytocin-Belastungstest. Gegen 8.00 Uhr kam es nach einer Wehe zu einer tiefen Dezeleration mit nachfolgender Erholung der Herzfrequenz des Feten; daraufhin wurde der Patientin 1 ml Partusisten verabreicht. 40 Minuten später erfolgte ein spontaner Blasensprung mit Abgang von klarem Fruchtwasser; der Muttermund war zu diesem Zeitpunkt auf 5 cm eröffnet; der kindliche Höhenstand wurde in der Dokumentation mit "kopfüber BE-5" vermerkt. Da sich im CTG variable Dezelerationen fanden, wurde durch den Beklagten zu 2) gegen 10.00 Uhr eine Mikroblutuntersuchung bei dem Feten vorgenommen, die einen pH-Wert von 7,30 ergab. Bei einer um 10.30 Uhr durchgeführten vaginalen Untersuchung fand sich der kindliche Kopf in der Stellung "BE-4"; der Muttermund war auf 6 bis 7 cm eröffnet, die Pfeilnaht stand im zweiten schrägen Durchmesser. Um 11.30 Uhr wurde in den Behandlungsunterlagen vermerkt: "Kopf in Beckenmitte, Muttermund vollständig, Pfeilnaht fast gerade, variable Dezelerationen im CTG, Forcepsvorbereitungen sind getroffen". Um 11.40 Uhr finden sich folgende Eintragungen des Beklagten zu 2) in den Unterlagen: "Muttermund vollständig, VT + 3, Pfeilnaht gerade, kleine Fontanelle links vorne, variable Dezelerationen im CTG, eingeschränkt. Diagnose: Drohende kindliche Asphyxie in der Austreibungsphase. Indikation zur Geburtsbeendigung durch Forceps. Therapie: Anlegen der Naegele-Zange biparietal, Nachtastung ohne Befund, Probezug, VT folgt. Mit zwei wehensynchronen Traktionen Entwicklung eines lebensfrischen, reifen Knaben aus erster vorderer Hinterhauptslage durch Forceps von Beckenboden nach rechts laterale Episiotomie." Der Kläger wurde um 11.47 Uhr geboren; er wog bei einer Länge von 54 cm und einem Kopfumfang von 35,6 cm 3.450 g. Die Apgarwerte lagen bei 9/10/10; der pH-Wert des Nabelschnurblutes betrug 7,224 bei einem Basenüberschuss von –10,4. Die pädiatrische Erstuntersuchung beschrieb den Kläger als eutrophes und am Stamm rosiges Neugeborenes mit livide gefärbten Extremitäten, unauffälligem Organbefund und regelrechtem neurologischen Status. Am Nachmittag des 21. Juni 1991 vermerkte die Kinderschwester gegen 15.30 Uhr im Pflegebericht, das Kind nehme keine Nahrung an, sei blass und weise ein grau-bläuliches Hautkolorit auf. Gegen 18.30 Uhr wurde festgestellt, dass der Kläger begann, mit dem linken Arm zu zucken; er wurde daraufhin in die Kinderklinik des Krankenhauses B… verlegt. Eine am 22. Juni 1991 durchgeführte Computertomographie des Hirnschädels zeigte eine massive rechts-hemisphäral betonte Hirnschwellung bei Infarzierung des gesamten rechten Arteria-cerebri-media-Stromgebietes, eine beginnende Hypodensität des linken Arteria-cerebri-media-Stromgebietes sowie eine Subarachnoidalblutung im Bereich der rechten Sylvii'schen Furche. Eine weitere CT-Kontrolle vom 25. Juli 1991 ergab den Befund einer rechtsseitigen Porencephalie im gesamten Versorgungsgebiet der rechten Arteria cerebri media sowie eine Aufweitung des rechten Seitenventrikels im Sinne eines Hydrocephalus e vacou. Der Kläger ist aufgrund des Hirnschadens stark behindert; er leidet unter einer Gesichtsasymmetrie, einer linksseitigen Hemiparese, einer fokalen Epilepsie sowie einer globalen Entwicklungsverzögerung.
3Die Eltern des Klägers baten die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler um die Überprüfung des Geburtsmanagements der Klinik der Beklagten zu 1). Die Kommission kam nach Einholung gutachterlicher Stellungnahmen des Gynäkologen Prof. Dr. B… und des Pädiaters Prof. Dr. G… zu dem Ergebnis, dass die Geburtsleitung fehlerfrei erfolgt sei.
4Der Kläger macht Ersatzansprüche geltend. Er hat vorgetragen, aufgrund der Überschreitung des errechneten Termins habe eine Risikoschwangerschaft vorgelegen. Mit Blick hierauf und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich bereits in dem am Aufnahmetag gefertigten CTG hochpathologische Veränderungen der fetalen Herzfrequenz gezeigt hätten, sei eine Entbindung durch einen Kaiserschnitt erforderlich gewesen. Da diese Beeinträchtigungen der Herzfrequenz sich am Morgen des 21. Juni 1991 verstärkt hätten, hätte spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Sectio vorgenommen werden müssen. Die Geburtsbeendigung per Forceps sei nicht indiziert gewesen; die Geburtshelfer hätten ab 11.40 Uhr eine normale vaginale Entbindung abwarten dürfen und müssen. Die Forcepsextraktion sei stets mit erheblichen Gefahren für die Leibesfrucht verbunden, zu denen nach dem vorprozessual eingeholten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Sch… auch der bei ihm, dem Kläger, eingetretene ischämische Hirninfarkt mit Einblutungen gehöre. Angesichts dessen dürfe sich der Geburtshelfer bei der Indikationsstellung nicht allein an pathologischen CTG-Aufzeichnungen orientieren, die in vielen Fällen einen "Fehlalarm auslösten", sondern müsse zur Prüfung des Verdachtes einer fetalen Asphyxie zunächst eine Mikroblutuntersuchung durchführen. Einer solchen Maßnahme habe es auch deswegen bedurft, weil die Zangenentbindung in seinem, des Klägers, Fall aufgrund des Höhenstandes des kindlichen Köpfchens nicht vom Beckenboden sondern der Beckenmitte aus habe erfolgen müssen und dies stets mit einem erhöhten Traumatisierungsrisiko für die Leibesfrucht verbunden sei. Bei Anwendung der entsprechenden Diagnostik hätte sich herausgestellt, dass eine Asphyxie nicht vorgelegen habe; dies ergebe sich aus dem postpartal erhobenen unauffälligen pH-Wert des Nabelschnurblutes. Bei einem einwandfreien Vorgehen wäre der Hirnschaden vermieden worden. Eventuelle Zweifel hinsichtlich des Kausalverlaufes gingen zu Lasten der Beklagten, weil die Nichtvornahme des gebotenen Kaiserschnitts und die Forcepsextraktion als grob fehlerhaft zu bewerten seien. Des weiteren hat der Kläger sich auf ein Aufklärungsversäumnis berufen und geltend gemacht, aufgrund der pathologischen CTG-Aufzeichnungen am 20. sowie am Morgen des 21. Juni 1991 habe eine ungünstige Prognose für den weiteren Geburtsverlauf und deswegen jedenfalls eine relative Indikation für eine Sectio bestanden, über die man seine Mutter habe belehren müssen. Sie hätte sich sodann zu einem Kaiserschnitt entschlossen. Darüber hinaus hätte die Patientin auch über die bei einer Zangenentbindung von der Beckenmitte aus drohenden Risiken informiert werden müssen; sie hätte sich in diesem Fall gegen eine Forcepsextraktion entschieden. Infolge der erlittenen Hemiparese sei er, der Kläger, beim Gehen und Laufen behindert; der linke Arm sei nur eingeschränkt belastbar, da er hypoton gebeult, die linke Hand gefaustet und eingeschlagen sei. Aufgrund der durch den Hirnschaden hervorgerufenen Entwicklungsstörung könne er nur unter erschwerten Bedingungen schreiben und habe Sprachschwierigkeiten; wegen des Krampfleidens müsse er sich einer ständigen antikonvulsiven Therapie unterziehen. Er werde in seiner Berufswahl deutlich eingeschränkt und voraussichtlich sein Leben lang auf die Hilfe und Betreuung dritter Personen angewiesen sein. Zum Ausgleich dieser immateriellen Schäden sei ein Schmerzensgeld von mindestens 300.000 DM angemessen.
5Der Kläger hat beantragt,
61.
7die Beklagten zu verurteilen, an ihn wegen der fehlerhaften Geburtshilfe am 20./21. Juni 1991 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt werde, zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit Klagezustellung;
82.
9festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner dazu verpflichtet seien, aufgrund der fehlerhaften Geburtshilfe am 20. und 21. Juni 1991 ihm alle materielle Schäden zu ersetzen, die ihm hieraus entstanden seien und in Zukunft noch entstünden, soweit diese Ansprüche nicht infolge sachlicher oder zeitlicher Kongruenz auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen seien oder übergingen.
10Die Beklagten haben beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie haben Versäumnisse in Abrede gestellt und unter Berufung auf die von der Gutachterkommission eingeholten Stellungnahme der Sachverständigen Prof. Dr. B… sowie ein – von der Haftpflichtversicherung eingeholtes – Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K… vorgetragen, zu einer Entbindung durch Kaiserschnitt habe mit Blick auf die CTG-Aufzeichnungen sowie die Mikroblutuntersuchung weder eine absolute noch eine relative Indikation bestanden. Die Geburtsbeendigung per Forceps sei wegen der sich im CTG abzeichnenden drohenden Asphyxie erforderlich gewesen; weiterer diagnostischer Maßnahmen habe es nicht bedurft; ein erhöhtes Traumatisierungsrisiko des Feten habe nicht vorgelegen, da der kindliche Kopf lediglich noch 1 cm über den Beckenboden gestanden habe. Wenn die Entscheidung für eine Forcepsextraktion gefallen sei, sei es weder üblich noch möglich, die Mutter über das geplante Vorgehen aufzuklären und ihr die Entscheidung über den weiteren Verlauf zu überlassen; sie werde regelmäßig nur über die anzuwendende Maßnahme informiert. Schließlich haben die Beklagten den ursächlichen Zusammenhang des geburtshilflichen Vorgehens mit dem Hirnschaden bestritten.
13Das Landgericht hat durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens Beweis erhoben und sodann die Klage abgewiesen.
14Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers. Er wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen, wendet sich erneut gegen die Indikation zu einer Forcepsextraktion und behauptet, in der letzten Phase vor der Entwicklung der Leibesfrucht seien die CTG-Aufzeichnungen lediglich suspekt, nicht aber hochpathologisch gewesen, so dass jedenfalls ohne eine vorherige Mikroblutuntersuchung keine Geburtszange habe angewendet werden dürfen. Ohne eine entsprechende Diagnostik sei die Entbindung per Forceps vielmehr streng kontraindiziert gewesen. Darüber hinaus beruft der Kläger sich weiterhin auf Aufklärungsversäumnisse und beantragt,
15unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung
161.
17die Beklagten zu verurteilen, an ihn wegen der fehlerhaften Geburtshilfe am 20./21. Juni 1991 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Senats gestellt werde, zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit Klagezustellung;
182.
19festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihm aufgrund der fehlerhaften Geburtshilfe am 20. und 21. Juni 1991 alle materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm hieraus entstanden seien und in Zukunft noch entstünden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergangen seien oder übergingen.
20Die Beklagten beantragen,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Sie wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen und verteidigen die Entscheidung des Landgerichts.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
24Der Senat hat durch Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. Schw… und Prof. Dr. Sch Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk vom 16. September 2002 (Bl. 628 ff GA) verwiesen.
25E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
26A.
27Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Kläger kann weder gemäß § 847 BGB die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes verlangen, noch steht ihm nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung (§§ 611, 242, 276, 249 ff BGB) oder aus dem Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung im Sinne von § 823 BGB ein Anspruch auf Ausgleich schon entstandener und zukünftig entstehender materieller Schäden zu. Den Beklagten ist ein für die Schädigung des Klägers ursächlicher Behandlungsfehler bei der geburtshilflichen Betreuung nicht vorzuwerfen; auch ein Versäumnis im Rahmen der gebotenen Patientenaufklärung ist ihnen nicht anzulasten:
28I.
29Eine Ersatzpflicht der Beklagten zu 3), die an der Entbindung lediglich als Hebamme beteiligt war, scheidet von vornherein aus: Versäumnisse der Beklagten zu 3) in dem ihr obliegenden Betreuungsbereich hat der Kläger nicht dargelegt; die Fehler, die er den Geburtshelfern anlastet - unterlassene Sectio, mangelnde Diagnostik und Indikation betreffend die Geburtsbeendigung durch Forceps – betreffen sämtlich diejenigen Bereiche des Geburtsmanagements, die allein in die ärztliche Beurteilungs- und Entscheidungskompetenz fallen.
30II.
31Auch die Beklagten zu 1) und 2), 4) und 5) haften nicht für den bei dem Kläger eingetretenen Schaden. Die von der Kammer durchgeführte und von dem Senat fortgesetzte Beweisaufnahme hat nämlich eindeutig ergeben, dass die Entbindung aus geburtshilflicher Sicht einwandfrei verlaufen ist. Der Sachverständige Prof. Dr. Schw…, der als Direktor einer Frauenklinik über umfassende wissenschaftliche Kenntnisse und große praktische Erfahrungen verfügt, hat im Rahmen seiner sorgfältigen Prüfung des Geschehensablaufs keinen Anlass zu Beanstandungen gefunden:
321.)
33Das nach der stationären Aufnahme der Patientin gewählte geburtshilfliche Konzept, eine vaginale Geburt anzustreben, war auch vor dem Hintergrund der Überschreitung des errechneten Geburtstermins sachgerecht. Prof. Dr. Schw… hat deutlich gemacht, dass eine Terminüberschreitung von 10 Tagen in den meisten Fällen rein rechnerisch, nicht aber biologisch bedingt ist und deswegen keine Veranlassung zu einem primären Kaiserschnitt gibt. In gleicher Weise hat sich Prof. Dr. K… in seinem Privatgutachten geäußert; auch er hat darauf hingewiesen, dass eine rechnerische Übertragung von 10 bis 11 Tagen nicht die Annahme einer Risikoschwangerschaft rechtfertigt und keine Indikation zu einer Sectio darstellt.
342.)
35Der Zustand der Leibesfrucht wurde nach der stationären Aufnahme der Patientin mit Hilfe eines Cardiotokographen überwacht. Die dabei ermittelten Aufzeichnungen der kindlichen Herztöne gaben gemäß den Ausführungen von Dr. Schw… „nicht ansatzweise“ Anlass, von dem Konzept einer vaginalen Entbindung abzuweichen. Die CTG-Streifen zeigten einen normalen fetalen Herzschlag mit kurzen Oszillationen und Akzelerationen, die der bedarfsweisen Regulierung des kindlichen Kreislaufes dienen. Die gegen 11.03 Uhr registrierte wehensynchrone Dezeleration in Rückenlage war nicht besorgniserregend, da sie sich innerhalb von 2 Minuten wieder normalisierte.
363.)
37a)
38Die nach der Beurteilung der Sachverständigen Prof. Dr. Schw… und Prof. Dr. K… wegen der rechnerischen Terminüberschreitung erforderliche Abklärung der Funktion der Placenta wurde noch am Aufnahmetag der Schwangeren durchgeführt; ab 15 Uhr erfolgte der hierzu notwendige Wehenbelastungstest.
39Zwar traten darunter gegen 15.10 Uhr ein diskreter Abfall der Herztöne mit anschließender Akzeleration sowie ab 15.43 Uhr variable Dezelerationen auf; da die Mikrooszillation dabei aber gut erhalten war, ergab sich aus diese Ableitungen nach der übereinstimmenden Beurteilung sowohl des Sachverständigen Prof. Dr. Schw… als auch des Privatgutachters Prof. Dr. K… kein Grund, einen Kaiserschnitt ernsthaft in Erwägung zu ziehen; das CTG-Bild bot – nur – Anlass zu einer weiteren Überwachung der Schwangeren.
40b)
41Eine Mikroblutuntersuchung war aufgrund des Ergebnisses des Wehenbelastungstests nicht angebracht; eine derartige Untersuchung, bei der Blut aus dem kindlichen Köpfchen entnommen wird, konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgeführt werden, weil der Muttermund noch nicht so weit geöffnet war, dass der Kopf des Feten erreicht werden konnte.
424.)
43Dem Erfordernis einer weiteren Kontrolle des kindlichen Befindens wurde durch die Geburtshelfer sachgemäß Rechnung getragen: Die Patientin wurde nach Beendigung des Wehenbelastungstest nicht auf die Station zurückverlegt; die Herztätigkeit des Feten wurde vielmehr weiterhin einer cardiotokographischen Überwachung bis 17.55 Uhr unterzogen. Die dabei ermittelten Aufzeichnungen zeigten nach dem Abstellen des Wehentropfs eine Normalisierung der kindlichen Herztöne; auch das am Abend des Aufnahmetages von 19.51 Uhr bis 20.23 Uhr abgeleitete CTG war unauffällig, so dass die Geburtshelfer von einem physiologischen fetalen Zustand ausgehen durften.
445.)
45a)
46Die Kontrolle mittels CTG wurde am 21. Juni 1991 ab ca. 6.00 Uhr fortgesetzt. Prof. Dr. Schwenzer hat auch diese Ableitungen sorgfältig ausgewertet und dabei deutlich gemacht, dass weder die vereinzelten Dezelerationen mit einem guten Oszillationsmuster, noch der zeitweilige undulatorisch eingeengte bis silente Verlauf der kindlichen Herztöne – der beispielsweise während einer Schlafphase der Leibesfrucht eintreten kann – geeignet waren, das Konzept einer vaginalen Entbindung in Frage zu stellen. Die um 7.59 Uhr registrierte tiefe Dezeleration benötigte zwar einige Zeit zur Erholung, da die Herztöne sich danach aber wieder normalisierten, bestand auch zu diesem Zeitpunkt nur Anlass zu weiterer Aufmerksamkeit und Überwachung.
47b)
48Als sich ab ca. 9.00 Uhr eine regelmäßige Wehentätigkeit ergab, unter der sich im weiteren Verlauf Dezelerationen zeigten, musste die Möglichkeit einer drohenden fetalen Hypoxie in Betracht gezogen werden. Wie der dokumentierte Ablauf der Geburt zeigt, waren die Geburtshelfer sich dieser Gefahr durchaus bewusst und haben hierauf mit Durchführung der gebotenen Maßnahme reagiert: Die kindliche Sauerstoffversorgung wurde durch eine Mikroblutuntersuchung überprüft. Da sich dabei ein normaler pH-Wert von 7,30 ergab, konnte eine Sauerstoffunterversorgung nach der Beurteilung sowohl des Sachverständigen Prof. Dr. Schw… als auch des Gutachters Prof. Dr. K… ausgeschlossen werden mit der Folge, dass weiterhin eine vaginale Geburt anzustreben war.
496.)
50a)
51Die geburtshilfliche Entscheidung des Beklagten zu 2), die Entbindung durch eine Forcepsextraktion zu beenden, haben die Sachverständigen nicht beanstandet. Sowohl Prof. Dr. Schw… wie auch Prof. Dr. K… und der seitens der Gutachterkommission eingeschaltete Direktor der Universitätsfrauenklinik Köln, Prof. Dr. B…, haben keinen Zweifel daran gelassen, dass wegen der Zunahme der kindlichen Herzfrequenzalteration in der Austreibungsphase, die sich in häufigeren und auch tiefen Dezelerationen zeigten, eine Indikation zu einer vaginal-operativen Geburt vorlag; ein Anlass zu einer Sectio bestand nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Schw… auch zu dem Zeitpunkt, als nach der Dokumentation um 11.30 Uhr die Forcepsvorbereitungen getroffen wurden, indes nicht.
52b)
53Das weitere Vorgehen des Beklagten zu 2) hat der Sachverständige anlässlich seiner Anhörung im Termin für einwandfrei erachtet; da der bisherige Geburtsverlauf relativ rasch vonstatten gegangen war, durfte mit der Vornahme der Zangenentbindung von 11.30 Uhr bis 11.40 Uhr zugewartet werden, um möglicherweise noch eine natürliche Geburt zu erreichen.
54c)
55Der kindliche Kopf stand zum Zeitpunkt der Forcepsextraktion um 11.40 Uhr völlig zangengerecht. Prof. Dr. Schw… hat darauf hingewiesen, dass nach der Dokumentation „vorangehender Teil + 3“ keine – mit erhöhten Risiken verbun-
56dene – Entwicklung aus der Beckenmitte vorzunehmen war, sondern bereits eine Beckenausgangslage vorlag. Auch die Drehbewegung des Kindes war ausweislich des Vermerkes in den Behandlungsunterlagen „Pfeilnaht gerade“ bereits erfolgt und brauchte von dem Geburtshelfer nicht mehr mit der Zange vollzogen zu werden.
57d) Angesichts dieser – wie Prof. Dr. Schw… betont hat – „klassischen“ Indikation für eine Forcepsextraktion war es sowohl nach seiner Einschätzung als auch nach der Auffassung des Gutachters Prof. Dr. K… nicht angebracht, vor der vaginal-operativen Entbindung eine erneute Mirkoblutuntersuchung vorzunehmen und durch eine derartige Kontrolle der Sauerstoffversorgung des Feten Zeit zu verlieren. Beide Sachverständige haben überdies betont, dass eine entsprechende Blutuntersuchung nach aller Wahrscheinlichkeit einen Wert in der gleichen Größenordnung wie der nach der Geburt gemessene pH-Wert von 7,224 gezeigt hätte. Hieraus hätte sich angesichts der Dezelerationen und mit Blick darauf, dass der pH-Wert noch im Normbereich, aber an dessen unterem Rand lag, wiederum eine Indikation zu einer Beendigung der Geburt per Forceps ergeben.
587.)
59Eine unsachgemäße Durchführung der vaginal-operativen Entbindung lässt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen; wie Prof. Dr. Schw… erläutert hat, verlief die Entwicklung des Kindes nach dem Geburtsprotokoll völlig problemlos.
608.)
61Schließlich lässt auch die Tatsache, dass die Schädigung des Klägers – der Infarkt der Arteria cerebri media – nach der Beurteilung des pädiatrischen Gutachters Prof. Dr. Schulte perinatal aufgetreten ist, nicht den Schluss auf ein geburtshilfliches Fehlverhalten zu:
62Eine Sauerstoffunterversorgung unter der Geburt ist nach den Ausführungen des Sachverständigen aufgrund des noch in der Norm liegenden pH-Wertes des Nabelschnurblutes von 7,224 sowie des ebenfalls noch am unteren Rand der Norm angesiedelten Base-Excess von – 10,4 äußerst unwahrscheinlich. Gleiches gilt für ein direktes Trauma durch Einwirkung der Geburtszange auf den kindlichen Schädel; das am 22. Juni 1991 angefertigte Computertomogramm lässt nämlich keinerlei traumatische Blutung erkennen. Bei den hyperdensen Strukturen und Arealen in der Sylvischen Fissur rechts und im interhemisphären Spalt handelt es sich nicht um freies Blut, sondern lediglich um die kontrastreiche Darstellung der kindlichen Blutgefäße.
63Zwar hat Prof. Dr. Sch… als eine mögliche Ursache für den Eintritt des ischämischen Ereignisses auch eine Dissektion der Innenwand der Arterie erwähnt, zugleich aber ausdrücklich betont, dass eine derartige Verletzung nur bei abnormen mechanischen Einwirkungen auf den Kopf der Leibesfrucht vorstellbar ist. Dass es bei der Entbindung zu derartigen Einwirkungen gekommen ist, lässt sich indes nicht feststellen. Es bestehen nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, dass bei der Entwicklung des Klägers mittels der Geburtszange ein abnormes Ziehen oder Drehen – dessen es angesichts der zangengerechten Stellung des Kopfes mit gerader Pfeilnaht gar nicht bedurfte – stattgefunden hat.
64II.
65Eine Haftung der Beklagten kann auch nicht auf eine fehlende Einwilligung der Mutter des Klägers in das geburtshilfliche Vorgehen gestützt werden; es bestand keine Veranlassung, sie über die Alternative eines Kaiserschnitts zu belehren.
661.)
67In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass eine Mutter an der Entscheidung über das Entbindungskonzept zu beteiligen ist, wenn ernsthaft verschiedene Möglichkeiten – vaginale Geburt oder Sectio – zur Verfügung stehen. In einem solchen Fall sind die jeweiligen Vor- und Nachteile mit der Patientin zu besprechen; anschließend ist ihre Entscheidung über die in der konkreten Situation zu ergreifenden Maßnahmen herbeizuführen. Ein derartiges Gespräch hätte aber nur dann stattzufinden, wenn ein Kaiserschnitt aufgrund ernstzunehmender Gefahren für die Leibesfrucht aus medizinischer Sicht erwägenswert ist. Andernfalls ist die Frage eines Kaiserschnitts mit einer Patientin nicht zu erörtern; weil die operative Entbindung mit gesundheitlichen Risiken für die Mutter verbunden ist.
682.)
69a)
70Im Streitfall bestand eine solche relative Indikation für einen Kaiserschnitt nicht; wie bereits oben ausgeführt lagen keine Risikofaktoren vor, die bei einer natürlichen Geburt oder bei einer vaginal-operativen Entbindung bedrohliche Komplikationen für das Kind befürchten ließen; die Anwendung der Geburtszange ist nach den Erläuterungen des Sachverständigen Prof. Dr. Schw…bei einer ordnungsgemäßen Indikationsstellung – wie sie im Streitfall vorlag – äußerst risikoarm.
71b)
72Aus dem Höhenstand des kindlichen Kopfes ergaben sich ebenfalls keinerlei bedrohliche Gefahren für die Leibesfrucht, weil – wie oben bereits erörtert – eine Beckenausgangslage und damit eine vollkommen zangengerechte Stellung des Feten vorlag.
73B.
74Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die
75vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
76Die gesetzlichen Voraussetzungen zur Zulassung der Revision liegen nicht vor.
77Die Beschwer des Klägers liegt über 20.000 €.