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Auf die Berufung der Kläger wird das am 5. Juli 2000 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Zwangsvollstreckung der Beklagten aus der notariellen Grundschuldbestellungsurkunde vom 29. Dezember 1997 – Ur.-Nummer für 1997 S des Notars Dr. S. in Düsseldorf – wird für unzulässig erklärt.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000,00 DM abzuwenden, wenn nicht zuvor die Kläger in gleicher Höhe Sicherheit leisten.
Die Parteien dürfen die Sicherheitsleistung auch durch die selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Bundesrepublik Deutschland geschäftsansässigen Bank oder Sparkasse erbringen.
Tatbestand
2Die Kläger [Klägerin zu 1) geb. am 14. April 1923; Kläger zu 2) geb. am 17. März 1922] sind Eigentümer des im Grundbuch des Amtsgerichts Düsseldorf .....von Blatt ....eingetragenen Grundstücks V. Das ca. 424 qm große Grundstück wurde 1963 mit einem von den Klägern seitdem bewohnten Reiheneckhaus bebaut und verfügt über eine Wohnfläche von ca. 100 qm zuzüglich dem ausgebauten Dachgeschoss.
3Durch notarielle Urkunde des Notars Dr. S. vom 29. Dezember 1997 Ur.-Nummer ....... für 1997 S bestellten die Kläger zugunsten der Beklagten eine Grundschuld in Höhe von 150.000,00 DM nebst 15 % Jahreszinsen an ihrem Grundstück. Wegen des Grundschuldkapitals nebst Zinsen unterwarfen sich die Kläger gegenüber der Beklagten der sofortigen Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde in das belastete Hausgrundstück. Mit der vorliegenden Zwangsvollstreckungsgegenklage wenden sich die Kläger gegen die von der Beklagten betriebene Zwangsvollstreckung in ihr Grundstück. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
4Der verstorbene Schwiegersohn der Kläger war zu 50 % Anteil Gesellschafter und Kommanditist C. GmbH & Co. KG Nachdem die Kläger zunächst fortlaufend seit dem 9. Dezember 1994 zeitlich befristete Bürgschaften (zuletzt vom 24. Juli 1997) über insgesamt 150.000,00 DM zur Absicherung der Darlehensforderungen der Beklagten gegenüber der C. GmbH & Co. KG und/oder ihrem Schwiegersohn übernommen hatten, teilte die Beklagte den Klägern mit Schreiben vom 29. Oktober 1997 mit, dass nunmehr die Gesellschafter der C. GmbH & Co. KG beabsichtigen würden, die Eigenkapitalausstattung des Unternehmens durch Aufstockung des Stammkapitals und/oder Einzahlung eines Gesellschafterdarlehens deutlich zu verbessern. Der auf den Schwiegersohn der Kläger entfallende Teil der Kapitalaufstockung sollte hierbei über ein durch eine neu einzutragende Grundschuld auf dem Hausgrundstück der Kläger abgesichertes Privatdarlehen der Beklagten über 150.000,00 DM an den Schwiegersohn finanziert werden. Gemäß dem Vorschlag der Beklagten sollte bis zur Eintragung der Grundschuld der dem Schwiegersohn gewährte Kredit durch eine von den Klägern neu zu übernehmende Bürgschaft über 150.000,00 DM abgesichert werden. Nach rechtsverbindlicher Unterzeichnung der neuen Bürgschaft und der Gutschrift des Darlehensbetrages über 150.000,00 DM auf dem Geschäftskonto der C. GmbH & Co. KG sollten sodann die befristeten Bürgschaften vom 24. Juli 1997 gegenstandslos sein (Bl. 14 GA).
5Entsprechend der vorgeschlagenen Verfahrensweise gewährte die Beklagte dem Schwiegersohn der Kläger einen persönlichen Kredit über 150.000,00 DM, rückzahlbar bis zum 15. Dezember 2012 in monatlichen Zins- und Tilgungsraten von insgesamt 1.325,00 DM. Der dem Schwiegersohn von der Beklagten gewährte Kredit wurde zur Rückführung von in Anspruch genommenen Krediten der C. GmbH & Co. KG verwandt, wodurch das negative Eigenkapitalkonto des Schwiegersohnes ausgeglichen wurde. Die Kläger bestellten am 29. Dezember 1997 zugunsten der Beklagten die hier streitgegenständliche Grundschuld über 150.000,00 DM nebst Zinsen. Ebenfalls am 29. Dezember 1997 gaben die Kläger gegenüber der Beklagten eine Zweckerklärung für Grundschulden ab. Danach sicherte die Grundschuld nicht nur das dem Schwiegersohn der Kläger gewährte Privatdarlehn über 150.000,00 DM ab, sondern zusätzlich drei weitere dem Schwiegersohn von der Beklagten gewährte Privatdarlehen über ursprünglich 11.000,00 DM, 27.500,00 DM und 15.000,00 DM. Für diese zusätzlich abgesicherten Darlehen belief sich die monatliche Zins- und Tilgungsbelastung des Schwiegersohns der Kläger auf monatlich durchschnittlich 164,00 DM/352,92 DM/ 256,92 DM (Bl. 132, 81 GA), insgesamt gerundet 774,00 DM.
6Nachdem die dem Schwiegersohn der Kläger gewährten persönlichen Kredite nach dessen Tod nicht mehr bedient wurden, stellte die Beklagte gegenüber der Erbengemeinschaft die Kredite zur sofortigen Rückzahlung fällig und leitete die Verwertung der von den Klägern gestellten Grundschuldsicherheit ein.
7Die Kläger haben behauptet,
8dass sie die Bürgschaften nur deshalb übernommen und die Grundschuld bestellt hätten, weil ihr verstorbener Schwiegersohn, zu dem als Ehemann ihrer Tochter und Vater ihrer vier Enkelkinder eine emotionale Bindung bestanden habe, sie hierzu überredet hätte. Darüber, dass insbesondere die zuletzt bestellte Grundschuld der Beklagten den Zugriff auf ihr Grundstück eröffnen könnte, seien sie von dieser nicht aufgeklärt worden. Ebenso wenig hätte sich die Beklagte darum gekümmert, ob sie bei einer bezogenen Altersrente von monatlich 2.685,72 DM und 174,79 (Stand 30. Juni 1994) überhaupt imstande gewesen wären, die durch Bürgschaften und Grundschuld abgesicherten Kredite ihres Schwiegersohnes zumindest teilweise zurückzuzahlen. Zwar ermögliche ihnen ihr gemeinsames Renteneinkommen eine bescheidene Lebensführung, solange sie gemeinsam mietfrei in ihrem Einfamilienhaus wohnen könnten. Bei Wegfall dieser Voraussetzung, etwa durch eine Zwangsversteigerung des Hausgrundstücks oder einer wesentlichen Reduzierung des Renteneinkommens infolge des Todes des klagenden Ehemannes, würde die verbleibende Rente bei weitem nicht ausreichen, um neben der Rückführung der Schulden auch noch die Miete für eine altersgerechte Wohnung aufzubringen. Sogar auf eine Wertschätzung des Hausgrundstücks hätte die Beklagte verzichtet und den Verkehrswert einfach mit 500.000,00 DM angenommen.
9Im Sommer 1997 hätte sich – was der Beklagten bekannt gewesen sei - dieC. GmbH & Co. KG in einer wirtschaftlich desolaten Lage befunden. Nur durch die Aufnahme weiterer Kredite sei es dem Unternehmen möglich gewesen, den drohenden Konkurs abzuwenden und den Geschäftsbetrieb fortzusetzen. In dieser Situation seien der Beklagten Zweifel hinsichtlich der rechtlichen und wirtschaftlichen Durchsetzbarkeit der Bürgschaften gekommen. Aus diesem Grunde hätte sich die Beklagte dazu entschlossen, von ihnen anstelle der als Kreditsicherheit untauglichen Bürgschaften die Bestellung einer Grundschuld auf dem von ihnen bewohnten Hausgrundstück zu verlangen.
10Die Kläger haben beantragt,
11die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Grundschuldbestellungsurkunde vom 29. Dezember 1997 Ur.-Nummer ....... für 1997 des Notars Dr. S. in Düsseldorf für unzulässig zu erklären.
12Die Beklagte hat beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Die Beklagte hat behauptet,
15dass sie sich bereits vor der ersten Bürgschaftserklärung vom 9. Dezember 1994 durch die von den Klägern zu dem Wohnhaus überreichten Objektbeschreibung vom 25. Juli 1994 und den eingereichten Grundbuchauszug vom 29. Juli 1994 davon überzeugt hätte, dass die Kläger zur Erfüllung der Bürgschaftsverpflichtung imstande gewesen seien. Ausgehend von einem von ihr geschätzten Bodenwert von 267.120,00 DM und einem angenommenen Bauwert von 155.360,00 DM hätte sie den Beleihungswert für das Hausgrundstück unter Berücksichtigung der gebotenen Abschläge mit 390.000,00 DM ermittelt. Damit hätten die Kläger bei Bürgschaftsübernahme über erhebliches unbelastetes Vermögen verfügt, so dass diese für die Erfüllung ihrer Bürgschaftsverpflichtung nicht auf ihr laufendes Renteneinkommen hätten zurückgreifen müssen. Angesichts des Wertes des Beleihungsobjektes wären die Kläger bei einer Verwertung der Sicherheit auch nicht mittellos gewesen, sondern hätten bei einer Versteigerung selbst einen erheblichen Erlösanteil zu erwarten gehabt.
16Entgegen der Behauptung der Kläger hätte sich im Sommer 1997 die Ertragslage der C. GmbH & Co. KG mit Jahresgewinnen von 187.000,00 DM in 1996 und 161.000,00 DM in 1997 als zufriedenstellend dargestellt. Erst im Februar 1999 hätte sie durch Vorlage der betriebswirtschaftlichen Auswertung per Dezember 1998 davon Kenntnis erlangt, dass im Kalenderjahr 1998 durch Verluste und Privatentnahmen in einer Größenordnung von insgesamt 215.000,00 DM eine negative Entwicklung eingetreten sei.
17Das Landgericht hat die Zwangsvollstreckungsgegenklage der Kläger abgewiesen, da von einer Sittenwidrigkeit der ursprünglichen Bürgschaftserklärungen der Kläger und der die Bürgschaften dann ersetzenden Grundschuldbestellung nicht ausgegangen werden könne. Die von den Klägern gestellten Sicherheiten seien stets werthaltig gewesen und in Gestalt ihrer im übrigen unbelasteten Immobilie seien die Kläger auch immer in der Lage gewesen, ihren übernommenen Verpflichtungen nachzukommen.
18Mit ihrer Berufung verfolgen die Kläger ihr Klagevorbringen fort. Zur Begründung verweisen sie auf ihr gesamtes erstinstanzlichen Vorbringen und weisen ergänzend darauf hin, dass die formularmäßige Erweiterung des Sicherungszwecks einer Grundschuld über den Anlass der Sicherungsabrede hinaus (hier Absicherung des dem Schwiegersohn gewährten persönlichen Kredit über 150.000,00 ) auf weitere persönliche Kredite des Schwiegersohnes überraschend im Sinne des § 3 AGBG sei mit der Folge, dass die weitere Sicherungszweckerklärung nicht Vertragsinhalt geworden sei.
19Die Kläger beantragen,
20unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Grundschuldbestellungsurkunde vom 29. Dezember 1997 (Ur.-Nummer ......./1997 S) des Notars Dr. S. in Düsseldorf für unzulässig zu erklären.
21Die Beklagte beantragt,
22die Berufung zurückzuweisen.
23Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung.
Die zulässige Berufung der Kläger ist begründet.
26Die zugunsten der Beklagten erfolgte Grundschuldbestellung ist sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB) mit der Folge, dass den Klägern gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückübertragung der streitgegenständlichen Grundschuld zusteht, den sie im Wege der Zwangvollstreckungsgegenklage nach §§ 767 Abs. 1, 797 Abs. 4 ZPO geltend machen können. Zwar wird das abstrakte, wertneutrale Verfügungsgeschäft in aller Regel nicht von der Sittenwidrigkeit des Verpflichtungsgeschäfts erfasst. Allerdings ist das dingliche Geschäft dann nichtig, wenn die Unsittlichkeit gerade im Vollzug der Leistung liegt, wenn also mit dem dinglichen Rechtsvorgang sittenwidrige Zwecke verfolgt werden (BGH NJW 1985, 3006, 3007 m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall ist hier gegeben.
27Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Bürgschaftsverträge sittenwidrig und damit unwirksam, wenn sie erkennbar Ausdruck einer strukturellen Unterlegenheit des Bürgen sind und für ihn eine nicht hinnehmbare, mit seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen unvereinbare Belastung bedeuten (BVerfG NJW 1994, 36 f; 2749 ff). Im Anschluss an diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof von Bürgen aus emotionaler Verbundenheit zum Hauptschuldner übernommene, ihn finanziell krass überfordernde Bürgschaften in der Regel als sittenwidrig angesehen, ohne dass weitere Umstände hinzutreten müssen. Eine finanziell krasse Überforderung liegt nach der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats vor, wenn der Mithaftende bei Abgabe der Mithaftungserklärung aus eigenen Mitteln auf absehbare Zeit keine nennenswerten Tilgungsleistungen erbringen und nicht einmal die laufenden Zinsen aufzubringen vermag (BGH NJW 2001, 815; 1999, 2586 m.w.N.). Dem hat sich der für Bürgschaften zuständige IX. Zivilsenat unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung angeschlossen (BGH NJW 2000, 1181, 1183). Maßgeblich sind danach allein die Verhältnisse im Zeitpunkt der Bürgschaftserklärung, so dass eine spätere Verbesserung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Bürgen grundsätzlich außer Betracht zu bleiben hat.
28Diese Grundsätze sind auch im Streitfall anzuwenden. Zwar haben die Kläger im Unterschied zu den vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen letztlich keine Bürgschaft für ein von ihrem Schwiegersohn bei der Beklagten aufgenommenes Privatdarlehn übernommen, sondern ein solches Darlehen durch eine an ihrem Hausgrundstück zugunsten der Beklagten gestellte Grundschuld abgesichert. Bezogen auf die wirtschaftliche Belastung der Kläger sind jedoch beide Fälle vergleichbar, zumal die von den Klägern für die Zeit bis zur Eintragung der Grundschuld gegenüber der Beklagten übernommene Bürgschaft zur Absicherung des ihrem Schwiegersohn gewährten persönlichen Kredits über 150.000,00 DM u.a. durch die dann eingetragene Grundschuld ersetzt wurde. Ebenso ist die von der Rechtsprechung geforderte enge, emotionale Verbundenheit hier gegeben. Nach der Überzeugung des Senats bedeutet es rechtlich keinen Unterschied, ob sich eine unselbständige Tochter aufgrund ihrer familiären Bindung gedrängt fühlt, ein nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen unvertretbar hohes Haftungsrisiko einzugehen, um ihren Eltern die Kreditaufnahme zu ermöglichen (BGH NJW 1994, 1278, 1280), oder ob sich wie hier die betagten Eltern aufgrund ihrer familiären Bindung zu ihrer Tochter zur Übernahme eines solchen Haftungsrisikos gedrängt fühlen, um ihrem Schwiegersohn die Aufnahme eines die Existenzgrundlage ihrer Tochter und ihrer vier Enkelkinder absichernden persönlichen Kredits zu ermöglichen. Denn in beiden Fällen besteht eine vergleichbare enge persönliche Beziehung, die geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit des Sicherungsgebers zu beeinträchtigen.
29Schließlich werden die Kläger durch die bestellte Grundschuld auch krass überfordert. Denn die Verbindlichkeiten, zu deren Absicherung die Grundschuld bestellt wurde, sind so hoch, dass bereits bei Grundschuldbestellung nicht zu erwarten war, dass die Kläger, wenn sich das Risiko verwirklichen sollte, die Forderung der Beklagten wenigstens zu wesentlichen Teilen tilgen könnten. Denn durch die bestellte Grundschuld sollten nach dem Willen der Beklagten gemäß der Zweckerklärung für Grundschulden vom 29. Dezember 1997 dem Schwiegersohn der Kläger gewährte persönliche Kredite über eine Gesamtsumme von 203.500,00 DM abgesichert werden. Die insoweit aufzubringenden Zins- und Tilgungsleistungen konnten die Kläger ohne wesentliche Unterschreitung des ihnen zur Führung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt zu belassenden Existenzminimums aus ihrem Renteneinkommen nicht aufbringen.
30Die Kläger bezogen per 30. Juni 1994 ein Renteneinkommen von 3.092,94 DM und 187,34 DM, welches sich nach Abzug des Beitragsanteils zur Krankenversicherung (6,67 %) auf 2.685,72 DM und 174,79 DM belief. Ausgehend von einer angenommenen Rentensteigerung in Höhe von 6,63 % während des Zeitraums von 30. Juni 1994 bis zum 1. Juli 1997 (Rentenwert 1. Halbjahr 1994 = 44,49; Rentenwert 2. Halbjahr 1997 = 47,44 gemäß Tabelle B. 6 a, Aktuelle Rentenwerte der Tabellen von Schmidbauer, Zahlen und Werte für den Versorgungsausgleich II/2000) schätzt der Senat des Renteneinkommen der Kläger zum Zeitpunkt der Grundschuldbestellung auf 3.298,00 DM und 199,76 DM. Nach Abzug des Beitragsanteils zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (6,67 + 0,85 %) ist von einem Renteneinkommen des klagenden Ehemannes von monatlich gerundet 3.050,00 DM und der klagenden Ehefrau von monatlich gerundet 185,00 DM auszugehen, insgesamt somit von Renteneinkünften von 3.235,00 DM.
31Die Bemessung des Existenzminimums ist nach sozialhilferechtlichen Gesichtspunkten vorzunehmen (BVerfG FamRZ 1990, 955; 1993, 285). Im Rahmen der Gewährung der das Existenzminimums sichernden Hilfe zum Lebensunterhalt sind insbesondere zu berücksichtigen:
32einfacher Regelsatz für den Haushaltsvorstand und dem mit diesem in Haushaltsgemeinschaft zusammenlebenden weiteren Haushaltsangehörigen gemäß § 22 BSHG;
33Mehrbedarf in Höhe von 20 % des maßgeblichen Regelsatzes wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gemäß § 23 BSHG;
34Zuschlag zur Abgeltung einmaliger Leistungen wie Kleidung und Haushaltsgegenstände im Sinne des § 21 BSHG, der in Anbetracht der heutigen Kosten für diese Bedarfsposition mit einem Zuschlag von 25 % des Regelsatzes angenommen werden kann (OLG Karlsruhe, FamRZ 1995, 615 ff);
35tatsächlich Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß §§ 1 und 3 RegelsatzVO.
36Danach ergibt sich folgende Berechnung nach sozialhilferechtlichen Maßstäben:
37einfacher Regelsatz gemäß § 22 BSHG (Nordrhein-Westfalen, Stand 1. Juli 1997) für den klagenden Ehemann als Haushaltsvorstand monatlich 539,00 DM und für die klagende Ehefrau als sonstigen Familienangehörigen monatlich 431,00 DM;
38Zuschlag von 20 % für altersbedingten Mehrbedarf für den klagenden Ehemann als Haushaltsvorstand monatlich 107,80 DM und für die klagende Ehefrau monatlich 86,40 DM;
39Zuschlag von 25 % für einmalige Leistungen für den klagenden Ehemann als Haushaltsvorstand monatlich 134,75 DM und für die klagende Ehefrau 107,75 DM.
40Da die Kläger in ihrem Einfamilienhaus mietfrei wohnen, sind bei den angemessenen Wohnkosten nur die Aufwendungen für Heinzug und sonstige Nebenkosten wie Steuern, Versicherungsbeiträge, Gebühren und Abgaben in Ansatz zu bringen, die der Senat auf monatlich durchschnittlich 4,50 DM pro qm, bei den hier zugrunde liegenden 100 qm Wohnfläche somit auf monatlich 450,00 DM schätzt. Damit haben den Klägern zur Bestreitung ihres Existenzminimums monatlich gerundet 1.857,00 DM zu verbleiben.
41Allein die Zinsen (6,81 %) für das Hauptdarlehen über 150.000,00 DM belaufen sich auf monatlich rund 851,00 DM. Billigt man den Klägern darüber hinaus als geringfügige Tilgungsleistung eine Tilgung der bei der Grundschuldbestellung zusätzlich übernommenen Kredite über 11.000,00 DM, 27.500,00 und 15.000,00 DM zu, da ohne vorherige Rückführung dieser drei „kurzfristigen„ Kredite die Kläger auf Dauer außerstande sind, den Hauptkredit über 150.000,00 DM zurückzuführen und damit auch die weitere Zinsschuld von jährlich 15 % Jahreszinsen auf die Grundschuld zeitlich zu befristen (Bl. 17 GA), dann stehen den Klägern nach Abzug der ihnen zuzubilligenden Zins- und Tilgungsleistungen von monatlich 1.625,00 DM (851,00 DM Zinsen Hauptdarlehen, 774,00 DM Zins- und Tilgungsleistungen für die drei zusätzlichen Kredite) nur monatlich 1.610,00 DM zur Verfügung.
42Zugunsten der Beklagten kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Grundschuld entgegen der getroffenen Sicherungsabrede nur das dem Schwiegersohn gewährte Darlehn über 150.000,00 DM mit einer monatlichen Zins- und Tilgungszahlung von 1.325,00 DM absicherte. Zwar kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die formularmäßige Ausdehnung der dinglichen Haftung des Sicherungsgebers für alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten eines Dritten überraschend im Sinne des § 3 AGBG sein (BGH NJW 1997, 2320, 2321). Der überraschende Charakter entfällt hier jedoch deswegen, weil zwischen Darlehensgewährung an den Schwiegersohn Ende Oktober/Anfang November 1997 und der am 29. Dezember 1997 erfolgten Grundschuldbestellung mit Sicherungsabrede kein enger zeitlicher mehr Zusammenhang besteht und in der Zweckerklärung für Grundschulden die Darlehensverbindlichkeiten, die durch die Grundschuld abgesichert werden sollten, auf einem gesonderten Beiblatt konkret aufgeführt sind.
43Das von den Klägern übernommene Haftungsrisiko wurde nicht durch sonstige Umstände ausgeglichen oder entscheidend herabgemindert. Soweit die Beklagte meint, die Kläger seien zur Erfüllung der Kreditverbindlichkeiten nicht auf ihre laufenden Renteneinkünfte angewiesen, weil sie aus dem Verkauf des Einfamilienhauses nicht nur die übernommene Grundschuldverpflichtung bezahlen könnten, sondern ihnen noch ein erheblicher Erlösanteil verbleiben würde, übersehen sie, dass für die bei Grundschuldbestellung 75 und 74 Jahre alten Kläger eine Veräußerung ihres Hausgrundstücks eine unzumutbare Härte bedeuten würde. Das hier streitgegenständliche Grundstück ist mit einer Größe von 424 qm weder besonders groß noch aufwendig bebaut worden. Selbst die Beklagte hat den Bauwert des 1963 errichteten Reiheneckhauses nur mit 155.360,00 DM veranschlagt. Auch die den Klägern mit 100 qm zur Verfügung stehende Wohnfläche ist für ein Einfamilienhaus nicht unangemessen. Dieses Einfamilienhaus wurde von den Klägern im Zeitpunkt der Grundschuldbestellung seit mehr als 30 Jahren als Wohnstatt genutzt und diente der Sicherung ihrer Lebensgrundlage im Alter. Die krasse Überforderung der Kläger, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass diesen bei einer nur teilweisen Erfüllung der Kreditverbindlichkeiten ihres verstorbenen Schwiegersohnes aus ihrem Renteneinkommen noch nicht einmal die zur Bestreitung ihres Existenzminimums erforderlichen Geldmittel verbleiben würden, wird nicht dadurch abgemildert, das den hochbetagten Klägern statt dessen die Veräußerung des ihrer Lebensgrundlage dienenden Familienheims zugemutet wird. An dieser Bewertung ändert sich selbst dann nichts, wenn man zugunsten der Beklagten unterstellten würde, dass die Kläger aus einem freihändigen Verkauf des Hausgrundstücks den von der Beklagten mit 422.480,00 DM ermittelten Verkehrswert erzielen könnten, so dass ihnen nach Abzug der Grundschuldverpflichtung (ohne Zinsen !) noch ein Erlös von 272.480,00 DM verbliebe, den sie zinsgünstig anlegen könnten. Zwar könnten die Kläger aus diesem Betrag bei einer angenommenen durchschnittlichen Verzinsung von 5 % monatliche Zinseinkünfte von gerundet 1.135,00 DM erzielen, so dass sich ihr Gesamteinkommen auf monatlich 4.370,00 DM beliefe. Eine dem Alter der Kläger gerecht werdende Unterbringung im Rahmen des betreuten Wohnens lässt sich aus diesem Einkommen indes nicht finanzieren. Hierfür sind nach Kenntnis des Senats monatliche Beträge von mindestens 2.500,00 DM pro Person aufzuwenden.
44Die Nebenentscheidungen haben ihre Rechtsgrundlage in den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.
45Streitwert für das Berufungsverfahren und Beschwer der Beklagten: 157.522,01 DM.