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Landgericht Wuppertal, 2 O 298/19

Datum:
06.01.2023
Gericht:
Landgericht Wuppertal
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 298/19
ECLI:
ECLI:DE:LGW:2023:0106.2O298.19.00
 
Schlagworte:
Rechtsirrtum, Erbausschlagung, Wirksamkeit, Erbvertrag, Testament, Irrtum, Ausschlagungsfrist, Fristbeginn, Verjährung, Erbscheinverfahren, Pflichtteilsanspruch, Fristversäumung, Anfechtung, Anfechtungsfrist, Berufungsgrund.
Normen:
BGB § 2303 Abs. 1“ „BGB § 2306“ „BGB § 2278“ „BGB § 1941 Abs. 1“ „BGB § 1944 Abs. 1“ „BGB § 1944 Abs. 2“; BGB § 1945 Abs. 1“ „BGB § 1943“ „BGB § 1954 Abs. 1“ „BGB § 1957 Abs. 1“ „BGB § 1949 Abs. 1“ „BGB § 1948 Abs. 2“ „BGB § 2311 Abs. 1“; „BGB § 2289“ „BGB § 2290 Abs. 1“ „BGB § 2298 Abs. 1“ „BGB § 2280“ „BGB § 2269 Abs. 1“ „BGB § 1956“ „BGB § 1954“
Sachgebiet:
Sonstiges
Leitsätze:

Ergeben sich die Gründe, die gemäß § 2289 Abs. 1 BGB zur Unwirksamkeit eines durch die Erblasserin zuletzt errichteten Testaments führen, aus einer dem Wortlaut eines zeitlich vorher aufgesetzten Erbvertrages widersprechenden Bindungswirkung i.S.d. §§ 1941 Abs. 1, 2278 BGB dieser vorherigen vertragsmäßigen Verfügung der Erblasserin mit ihrem vorverstorbenen Ehemann, kann dies einen den Fristbeginn i.S.d. § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB hindernden, beachtlichen Rechtsirrtum über die Wirksamkeit des zuletzt errichteten Testaments begründen, weil die tatsächliche Rechtslage für Laien nicht ohne weiteres erkennbar ist.

Befindet sich ein Beteiligter eines zum Zwecke der Erteilung eines Erbscheins betriebenen Nachlassverfahrens durch den Glauben an die Wirksamkeit des zuletzt errichteten Testaments in einem Rechtsirrtum, kann ihm auch dann, wenn er durch andere Verfahrensbeteiligte oder gerichtliche Beschlüsse auf die tatsächliche Rechtslage hingewiesen wird, nicht verwehrt werden, für seine Rechtsauffassung mit den dafür vorgesehenen prozessualen Mitteln zu streiten. Die Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB beginnt in diesem Fall nicht vor der Ausschöpfung des Rechtswegs im Erbscheinverfahren.

Dass § 1948 Abs. 2 BGB seinen sinnvollen Anwendungsbereich nur in denjenigen Fällen hat, in denen sich Wirksamkeit und Unwirksamkeit dieser beiden Verfügungen bedingen, führt allein zu keinem anderen Ergebnis. Die Kenntnis der sich aus § 1948 Abs. 2 BGB ergebenden Möglichkeit, in dem dort geregelten Sonderfall die eine Erbeinsetzung ausschlagen zu können, ohne dabei den Verlust der anderen Erbeinsetzung zu riskieren, lässt den Rechtsirrtum über die Wirksamkeit der tatsächlich unwirksamen letztwilligen Verfügung nicht entfallen.

Eine andere Bewertung der Beachtlichkeit eines Irrtums über die Wirksamkeit eines in § 1948 Abs. 2 BGB genannten Berufungsgrundes in dem dort geregelten Fall kommt in Betracht, wenn der Irrtum für das Unterlassen der fristgerechten Ausschlagung des Erbes aus dem anderen Berufungsgrund nicht kausal war. Allein die Kenntnis der sich aus § 1948 Abs. 2 BGB ergebenden Möglichkeit lässt die Kausalität des Irrtums für die Versäumung der Ausschlagungsfrist aber nicht entfallen. Hierdurch würde aus der in § 1948 Abs. 2 BGB geregelten Möglichkeit in dem dort speziell geregelten Fall zur Wahrung der Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 1 BGB ein Zwang.

Setzt die Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs die Ausschlagung des Erbes voraus, die erst nach der Ausräumung eines beachtlichen Irrtums über die Wirksamkeit der durch einen anderen Berufungsgrund geregelten Erbfolge erfolgt, ist die Grenze der auf den Beginn der pflichtteilsrechtlichen Verjährungsfrist zu übertragenden Beachtlichkeit des Irrtums über den Berufungsgrund erst dort erreicht, wo die Beurteilung der Rechtslage eindeutig ist. Bis zu dieser Grenze ist ein dogmatischer Gleichlauf zwischen dem Beginn der pflichtteilsrechtlichen Verjährungsfrist und dem Beginn der Ausschlagungsfrist geboten.

 
Tenor:

Die Beklagten zu 1) bis 3) werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 542.731,70 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 891.815,46 Euro vom 01.08.2019 bis zum 13.09.2019 sowie aus einem Betrag von 541.815,46 Euro seit dem 14.09.2019 zu zahlen.

Der Beklagte zu 4) wird verurteilt, die Zwangsvollstreckung in den Nachlass nach Frau L, geb. am 24.09.1921 und verstorben am 03.01.2015, in diesem Umfang zu dulden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten, wobei die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner haften.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

 
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