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Der Angeklagte ist der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen schuldig.
Er wird zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von
8 Jahren
verurteilt.
Er trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendi-
gen Auslagen des Nebenklägers.
- Angewandte Vorschriften: §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, 53 StGB -
G r ü n d e :
2I.
3Der strafrechtlich bereits erheblich in Erscheinung getretene Angeklagte wurde als drittes von vier Geschwisterkindern in der Türkei geboren und wuchs im elterlichen Haushalt auf. Die Ehe seiner Eltern beschreibt er als harmonisch und ihre Erziehungsmethoden als gewaltfrei. Nachdem sein Vater im Jahre 1970 als Gastarbeiter nach Deutschland gegangen war, zog der Rest der Familie ein Jahr später nach und lebte seitdem G.. Der Vater arbeitete zunächst im Ruhrgebiet für unterschiedliche Firmen, bis er ca. zu Beginn der 90er Jahre sich selbstständig machte und einen „Dönerladen“ G eröffnete.
4Ohne einen Kindergarten besucht zu haben, wurde der körperlich und geistig gesunde, mindestens durchschnittlich intelligente Angeklagte nach Absolvierung eines Vorschuljahres im Alter von sieben Jahren eingeschult. In der Grundschulzeit war er ein ruhiger und unauffälliger Schüler, der durchschnittliche Leistungen erbrachte. Nach dem Wechsel auf die Hauptschule verschlechterten sich seine Leistungen rasch und er musste zwei oder dreimal die Klasse wiederholen. Er wies viele Fehlzeiten auf, weil er dem Unterricht fernblieb und stattdessen mit anderen Gleichgesinnten „viel Unsinn“ machte, von dem er seinen Eltern nichts berichtete. Letztlich beendete er nach der siebten Klasse ohne einen Abschluss zu erlangen seine Schullaufbahn. Im Anschluss daran begann er bei der Fa. E. ein Berufsvorbereitungsjahr, das er nach vier Monaten abbrach, weil er die Zeit lieber mit seinen Freunden verbrachte, wodurch er immer tiefer in ein kriminogenes Milieu abglitt. Er beteiligte sich in der jugendlichen Gruppe an Diebstählen von Fahrrädern und begann zunehmend, Trickdiebstähle an Automaten durchzuführen. Auf diese Weise gelang es ihm früh, über höhere Geldsummen von mehreren 100 DM frei verfügen zu können, die er jeweils für eigene Bedürfnisse verwendete.
5Im Alter von 16 Jahren hatte der Angeklagte begonnen, Alkohol und nachfolgend THC zu konsumieren. Weil er sich nach dem Konsum der Droge „wie auf Wolken“ fühlte, begann er relativ zügig, sie täglich zu sich zu nehmen. Hinzu trat im Alter von 20 oder 21 Jahren der Konsum von Kokain, das er nasal zu sich nahm, um sich aufzuputschen. Andere Drogen, wie Ecstasy, probierte er lediglich aus, ohne ihnen etwas abgewinnen zu können. Weil er durch seine Straftaten über ausreichende finanzielle Mittel verfügte, war er häufig nicht gezwungen, seinen Konsum von bis zu mehreren Gramm Kokain und Cannabis täglich zu reglementieren.
6Nachdem sein Vater sich selbstständig gemacht hatte, und auch seine Mutter in dem Imbissbetrieb mitarbeitete, reduzierte der Angeklagte passager die Begehung seiner Trickdiebstähle sowie seinen Drogenkonsum maßgeblich, ohne dass Entzugserscheinungen bei ihm auftraten, und arbeitete im elterlichen Betrieb mit. Von seinem kriminogenen Umfeld löste er sich, obwohl er erstmals einer geregelten Tätigkeit nachging, nicht vollständig. Die Eltern des Angeklagten ahnten, zumal dieser, wie nachfolgend noch aufgeführt werden wird, bereits wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten war, dass ihr Sohn das Geld, über das er verfügte, nicht legal erworben hatte. Weil sie gut integriert in Deutschland lebten, lehnten sie es strikt ab, irgendetwas von ihm anzunehmen, da sein Geld von ihnen als „Haram“ (verboten) eingestuft wurde. Dennoch kritisierten sie seinen Lebenswandel nicht offen und verknüpften seinen Verbleib in der Familie auch nicht mit einer Änderung seiner Lebensweise. Entsprechend blieb der Angeklagte stets in sehr engem Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern – einem älteren Bruder und zwei Schwestern -, auch wenn er spätestens nach zwei Jahren seine Tätigkeit im elterlichen Geschäft wieder aufgab und seinen unsteten, überwiegend kriminellen Lebenswandel weiter fortsetzte. Er veräußerte Drogen und beging wieder vermehrt Automatentrickdiebstähle. Wegen der veränderten Technologie wurden diese immer schwieriger, sodass er sie teilweise gemeinschaftlich mit anderen durchführen musste.
7In dieser Zeit lernte der Angeklagte in einer Diskothek die später Geschädigte Y. kennen, die er im Jahr 1995 heiratete. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder, der im Jahr 1997 geborene, später Geschädigte Sohn H., und eine im Jahr 1998 geborene Tochter hervor. Die Ehe, die im Jahr 2006 offiziell geschieden wurde, verlief unglücklich und wird von der Geschädigten, weil der Angeklagte sich so selten bei ihr und den Kindern aufhielt, als „On-Off-Beziehung“ beschrieben. Bereits vor den Schwangerschaften erfuhr die Zeugin Y Gewalt durch den Angeklagten, der ihr gegenüber gereizt auftrat und sie ohne erkennbaren Grund oder für ein banales Fehlverhalten schlug. Weil er oft monatelang unterwegs war und teilweise in Haft geriet, war die Zeugin viel auf sich allein gestellt und auf die Hilfe ihrer Mutter angewiesen. Von dem Drogenkonsum, den er in dieser Zeit wieder regelmäßig betrieb, wusste sie. Aus persönlicher Unreife ließ sie sich ihrer Einschätzung nach immer wieder auf ihn ein, obwohl beide bis zur Geburt der Kinder noch nicht einmal über eigene Wohnräume verfügten. Wenn der Angeklagte, der sehr eifersüchtig war, sich bei ihr aufhielt, kam es wiederholt zu heftigen Streitigkeiten zwischen ihnen, da er ihr seine Vorstellungen von dem Leben aufdrängen wollte, das sie in seiner Abwesenheit zu führen hatte. Weil er Kontakte von ihr zu anderen Männern vermutete, schlug er sie auch während sie von ihm schwanger war. Obwohl sich der Angeklagte, nachdem er sie tätlich angegangen war, immer wieder reuig zeigte und sich bei ihr entschuldigte, entschloss sich die Zeugin Y bereits im Jahr 2002 ihre Beziehung zu ihm zu beenden. Sie tat dies maßgeblich auch, um ihre beiden kleinen Kinder zu schützen, von denen sie nicht wollte, dass sie die Streitigkeiten miterleben mussten. Den Trennungswunsch der Zeugin konnte der Angeklagte, obwohl er zu keinem Zeitpunkt ein geregeltes Familienleben mit ihr und den Kindern geführt hatte, nur schwer akzeptieren. Er versuchte sie immer wieder anzutreffen und belästigte sie in zahllosen Telefonaten, welche die Geschädigte als Terroranrufe bezeichnete, mit Drohungen, sie umzubringen und ihr im Alltag viel Ärger zu bereiten. Erst nachdem die Scheidung amtlich vollzogen worden war, flachte das heftige Nachstellen des Angeklagten ab. Auf von ihm übersandte Videos oder Textnachrichten reagierte die Zeugin, die mit ihren Kindern in K. lebte, nicht mehr. Zu seinen Familienmitgliedern unterhielt sie keine Kontakte, weil sie von ihnen „als giftige Person“ angesehen und abgelehnt wurde. Seinen finanziellen Verpflichtungen kam der Angeklagte nur unzureichend nach, sodass die später Geschädigte und ihre Kinder überwiegend von öffentlichen Mitteln lebten. Die im Alltag anfallenden Entscheidungen traf die Zeugin Y, die sich durch das vom Angeklagten in ihrer Beziehung gezeigte Verhalten traumatisiert fühlte, überwiegend allein. Sie litt in den folgenden Jahren bis zum Tatgeschehen unter Selbstzweifeln sowie depressiven Phasen und war nicht in der Lage einer Arbeitstätigkeit nachzugehen.
8Demgegenüber empfand sich der Angeklagte, der den Verlauf seiner Ehe und deren Beendigung im angeblich allseitigen Einverständnis ersichtlich bagatellisiert, als präsenter Vater, der weiterhin ein starkes Interesse an dem Wohlergehen seiner Kinder hatte.
9Seine Eltern hatten durch den erfolgreichen Betrieb des Imbissgeschäfts G. auf der S.-straße ein Mehrfamilienhaus erworben, in dem sich neben zwei Ladenlokalen im Erdgeschoß insgesamt fünf weitere Wohnungen befanden. Eine wurde dauerhaft von den Eltern des Angeklagten genutzt, die anderen waren, teilweise an Familienangehörige, vermietet. Ursprünglich war die Mutter des Angeklagten als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Der Angeklagte, der eigentlich über keinen festen Wohnsitz verfügte, sondern vagabundierend umherreiste, um seinen Lebensunterhalt durch Straftaten zu sichern, fand aber immer Aufnahme in der Wohnung seiner Eltern, wenn er sich G. aufhielt. In dieser Zeit bestanden bereits lose Kontakte zu den Zeugen P. und U.. Die Zeugin P., zu welcher der Angeklagte eine freundschaftliche Beziehung unterhielt, erinnert ihn als charmant, liebenswert und zuvorkommend im persönlichen Umgang. Der Zeuge U. bezog, wenn sich der Angeklagte im Imbissbetrieb seiner Eltern aufhielt gelegentlich Drogen von ihm.
10Der Angeklagte hatte sich einem hedonistischen Lebensprinzip zugewandt, indem er Härten auswich, Genuss und Freude suchte, und sich durch den Konsum von Alkohol und Drogen berauschte, um Probleme nicht wahrnehmen zu müssen. Phasenweise hielt er sich in V auf, um einfacher das ihm zustehende Umgangsrecht mit seinen Kindern wahrnehmen zu können, die er teilweise an den Wochenenden zu sich holte. Die Zeugin Y ließ dies zu, auch wenn sie jeglichen näheren Umgang mit ihm ablehnte, weil sie merkte, dass ihr Sohn einen engeren Kontakt zu seinem Vater suchte und sie diesen ihm nicht abschlagen wollte. Ihr gegenüber war der Angeklagte zwar aufbrausend und auch tätlich begegnet, eine generelle, persönlichkeitsbedingte Neigung, Konflikte gewaltsam auszutragen, besteht bei ihm hingegen nicht. Ihm war bewusst, dass er seiner geschiedenen Ehefrau in den Jahren durch sein Verhalten sehr zugesetzt hatte und diese psychisch labil geworden war.
11Im Jahr 2014 erkrankte der Vater des Angeklagten, der mehrere Schlaganfälle erlitt, schwer und wurde schließlich zum Pflegefall. Die Mutter und seine beiden Schwestern, die eigene Familien zu betreuen hatten, waren mit seiner Versorgung überaus belastet, sodass schließlich der Angeklagte sich dieser Verantwortung stellte und seinen Vater bis zu dessen Tod im Jahr 2019 konsequent begleitete und pflegte. In diesen Jahren lebte er in der Wohnung seiner Eltern und hielt Kontakt zu seinem Sohn, der im Jahr 2015 das Abitur erlangte. Anschließend zog der Nebenkläger H. Y im Einvernehmen mit dem Angeklagten ebenfalls in den Haushalt der Großeltern nach G , weil er dort in der Nähe einen Aushilfsjob angenommen hatte. Nach mehreren Monaten kehrte er, nachdem es zu Missstimmungen zwischen ihm und dem Angeklagten, der es abgelehnt hatte, ihm einen neuwertigen PKW zu kaufen, gekommen war, wieder zurück in den Haushalt seiner Mutter. Kontakte zu seinem Vater blieben aber stets bestehen, auch nachdem er in M. an der Universität ein Studium angefangen hatte, das er nach dem Eindruck des Angeklagten nicht konsequent betrieb. Die Nichte des Angeklagten, die Zeugin O., unterstützte ihn auf Wunsch des Angeklagten, der wollte, dass sein Sohn einen soliden Beruf erlernen sollte, in den Phasen, in denen sich der Nebenkläger wiederholt im Haushalt seiner Großeltern aufhielt, bei der Abfassung von Bewerbungen.
12Nachdem es mit der Verwaltung des Mehrfamilienhauses zu Problemen gekommen war, insbesondere Rechnungen des Finanzamtes nicht verlässlich beglichen worden waren, übertrug die Mutter des Angeklagten das Eigentum an dem Haus im Einvernehmen mit ihren Kindern auf eine Schwester des Angeklagten. Unter den Geschwistern war abgesprochen worden, dass die Geschäftslokale sowie zwei Wohneinheiten dem Angeklagten und die drei übrigen Wohneinheiten dem Bruder des Angeklagten zustehen sollten. Weil sowohl der Angeklagte mit seiner kriminellen Vergangenheit als auch sein Bruder, der ebenfalls einen unsteten Lebenswandel führte und Glücksspiel betrieb, nicht ausreichend verlässlich und solvent waren, wollten sie selbst nicht ins Grundbuch eingetragen werden. Als der schwer kranke Vater des Angeklagten gemeinsam mit seiner Ehefrau zurück in die Türkei gehen wollte, akzeptierte der Angeklagte dies und begleitete ihn abwechselnd mit seinem Bruder jeweils über mehrere Monate hinweg bis zu dessen Tod auch dort. Die Mutter des Angeklagten, die zeitweise zurück nach Deutschland kam, um sich hier ärztlich behandeln zu lassen, lebte in dieser Zeit weiterhin in ihrer Wohnung, die für sie ein stets verfügbarer und gesicherter Rückzugsort in Deutschland geblieben war.
13Im September 2017 begann der Zeuge Y eine Ausbildung bei der Polizei zunächst als Kommissaranwärter. Nach Darstellung des Angeklagten, die sein Sohn nicht bestätigt, will er diese Berufswahl maßgeblich initiiert haben. Jedenfalls war der Angeklagte, was auch dem Nebenkläger bewusst war, in hohem Maße stolz auf seinen Sohn, der, anders als er, keine kriminelle Vergangenheit hatte und sich als Polizeibeamter in einem abgesicherten Status und in einem soliden Umfeld bewegen würde. Weil der Angeklagte seinen Vaterstolz so offen vor sich her trug, empfand sich der Zeuge Y teilweise als trophäenähnlich behandelt. In den folgenden zwei Jahren hielt er sich wieder regelmäßig in der Wohnung seiner Großeltern auf, die er mit seinem Vater oder seiner Großmutter teilte, wenn diese aus der Türkei zurückgekehrt waren. Weil sich die Schwester des Angeklagten mit der Verwaltung des Hauses ebenfalls überfordert fühlte, zumal der Bruder des Angeklagten ihr nicht korrekt seine Anteile zur Begleichung der laufenden Kosten für seine drei Wohneinheiten zukommen ließ, stimmte der Angeklagte zu, dass das Eigentum wieder auf die Mutter rückübertragen wurde. Unter den Geschwistern entstand Streit, als sein Bruder nachfolgend eine ihm in der Vergangenheit erteilte Generalvollmacht nutzte, und seine Anteile absprachewidrig auf seine Tochter übertrug. Dies verunsicherte den Angeklagten und er überlegte sich, wem er vertrauen konnte. Ihm war bewusst, dass er über keine Altersversorgung verfügte, sondern dass die beiden Ladenlokale und die Wohnungen sein Obdach und Auskommen im Alter sichern sollten, zumal er bereits anteilig die von den Ladenlokalen herrührenden Mieteinnahmen ausbezahlt erhielt und auch von ihnen lebte. Im Einvernehmen mit seiner Mutter entschloss er sich, seine Immobilienanteile auf seinen Sohn zu übertragen. H. Y und seine Mutter, der dies zur Kenntnis gelangte, waren hiermit einverstanden. Der Angeklagte war sich in diesem Zusammenhang durchaus bewusst, dass er abgesehen von seinem unsteten Lebenswandel auch fachlich nicht in der Lage sein würde, seinen Immobilienbesitz adäquat zu unterhalten und zu verwalten. Er vertraute stattdessen seinem Sohn in jeder Hinsicht und übertrug, berechtigt durch eine Vollmacht seiner Mutter, die nach der internen Absprache ihm zustehenden drei Immobilienanteile auf den Nebenkläger, ohne Bedingungen hieran zu knüpfen oder Verfügungsbeschränkungen notariell festlegen zu lassen. Dem Bild, das der Angeklagte diesem in Gesprächen zeichnete, dass sie gemeinsam als Vater und Sohn etwas dauerhaft Verbindendes haben würden, dessen Wert sie weiter steigern könnten, trat der Zeuge Y nicht entgegen. Ihm war ebenfalls bewusst, dass sein Vater die Immobilien als eigene Altersversorgung ansah und nahm es hin, dass monatlich mehrere 100 €, die aus der Vermietung der Ladenlokale resultierten, an ihn flossen, während er sich um die Verwaltung kümmerte.
14In den Jahren, in denen er seinen Vater gepflegt und sich immer wieder in der Türkei aufgehalten hatte, hatte der Angeklagte, ohne dass ihm dies Probleme bereitet hätte, nahezu keine Drogen mehr konsumiert. Erst nach dem Tod des Vaters und seiner dauerhaften Rückkehr in die elterliche Wohnung nach G begann er wieder, ohne dass dies auf einem konkreten Anlass beruhte, nahezu täglich 2 bis 3 g Cannabis und, soweit es seine finanzielle Lage zuließ, auch Kokain zu konsumieren. Zeitlich verzögert kehrte die Mutter des Angeklagten ebenfalls aus der Türkei zurück nach G und lebte gemeinsam mit ihm und dem Nebenkläger in der Wohnung, in welcher ihr das Schlafzimmer überlassen wurde, während der Angeklagte und sein Sohn im Wohnzimmer auf einer großen Schlafcouch nächtigten. Die Mutter, die zunächst ärztlich versorgt wurde, litt mittlerweile unter einer Demenzerkrankung und war zunehmend auf die Hilfe und Versorgung ihrer Kinder angewiesen. Wiederum war es der Angeklagte, der aufgrund seiner Lebenssituation in der Lage, aber auch bereit war, sich dieser Aufgabe zu stellen. Wegen der beengten Verhältnisse in der vormals elterlichen Wohnung kündigte der Angeklagte seinem langjährigen Mieter und begann, die nebenan in der ersten Etage liegende kleine Wohnung umfassend zu renovieren. Beabsichtigt war, dass der Nebenkläger sie nach ihrer Fertigstellung allein beziehen würde. Im Zusammenleben der Beiden gewann der Zeuge Y den Eindruck, dass sein Vater gesteigerten Wert darauf legte, von ihm als Oberhaupt der Familie akzeptiert und entsprechend ehrerbietig behandelt zu werden. Diese tradierten Vorstellungen sagten ihm zwar nicht zu, aber er suchte deshalb nicht die Konfrontation zu ihm. Bereits Ende 2018 hatte er aus dem Polizeidienst ausscheiden müssen, weil er den Anforderungen nicht genügt und die erforderlichen Klausuren nicht bestanden hatte. Diesen Umstand verschwieg er dem Angeklagten und seinen übrigen, G. lebenden Angehörigen bewusst. Stattdessen begab er sich jeden Morgen angeblich weiterhin zu seiner Arbeitsstelle und kehrte nach vermeintlichem Dienstschluss wieder in die Wohnung zurück. Am Wochenende wusch er seine angeblich während der Arbeit getragene Bekleidung. Noch im Tatzeitpunkt verfügte er über eine Uniformjacke der Polizei, die er im Kofferraum seines PKWs aufbewahrte. Der Angeklagte, der weiterhin bereit war, ihn in jeder Form, auch finanziell, zu unterstützen, ging davon aus, dass er sich in seinem letzten Ausbildungsjahr befand. Da der Angeklagte ihm die kleine Wohnung möbliert und bis auf das Bad fertig renoviert hatte, bezog der Nebenkläger, nachdem er sich eine Zeit lang wieder in K. bei seiner Mutter aufgehalten hatte, die Wohnung, mit der Option, in der vom Angeklagten und der Großmutter genutzten Wohnung duschen zu können. Angesichts der beginnenden Corona-Pandemie war der Angeklagte im besonderen Maße auf Reinlichkeit bedacht und um das Wohlergehen seiner Mutter besorgt.
15Am 6.07.2020 kam es G. in Gegenwart der Mutter und der Schwester I. Y des Angeklagten in der großelterlichen Wohnung zwischen dem Angeklagten und seinem Sohn aus nichtigem Anlass zu einem Streit über benutzte Putzmittel, der in weitere tätliche Auseinandersetzungen mündete und das Verhältnis beider vollständig zerrüttete.
16H. Y, der die Polizei informierte und Strafantrag stellte, beschuldigte den Angeklagten, ihn gewürgt und mit einem Messer bedroht zu haben. Kurze Zeit danach kam es, nachdem der Angeklagte die Wohnung verlassen hatte, auf der Straße vor dem Haus zu einer heftigen Auseinandersetzung, in welcher der wegen des Streits mittlerweile alkoholisierte und unter Betäubungsmitteln stehende Angeklagte seinen Sohn, der ihn verbal herabwürdigt hatte, mit dem Tode bedrohte und schlug. Nach Eintreffen der Polizei wurde zudem 0,15 g Amphetamin in der Kleidung des Angeklagten sichergestellt. Die Vorfälle nahm H. Y zum Anlass eine einstweilige Verfügung des Amtsgericht Essen-Borbeck zu erwirken, die es seinem Vater untersagte, sich ihm zu nähern. Auf der Grundlage dieser Verfügung ließ er den Angeklagten, der sich im Besitz von 3 g Cannabis befand, am 8.07.2020 aus der zuvor gemeinsam genutzten Wohnung mithilfe der Polizei entfernen. Eine Woche später kam es in dem Haus zu einer weiteren tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und seinem Sohn, der sich in Begleitung eines Freundes befand. Der Zeuge H. Y wies, als Polizeikräfte eintrafen, zwei Schnittverletzungen am Unterarm auf, die chirurgisch versorgt werden mussten, während der Angeklagte, in dessen Kleidung auf der Polizeiwache 1 Bubble Kokain sichergestellt wurde, mehrere Zähne verlor und den Bruch einer Hand erlitten hatte.
17Auf der Grundlage der Anschuldigungen seines Sohnes erhob die Staatsanwaltschaft Essen am 6.10.2020 Anklage gegen den Angeklagten u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen und Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Nach umfangreich durchgeführter Beweisaufnahme am 19.01.und 9.02.2021 verurteilte das Amtsgericht Essen, Schöffengericht, den Angeklagten am 2.03.2021 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, Bedrohung und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtgeldstrafe i.H.v. 120 Tagessätzen zu je zehn Euro. Im Übrigen wurde der Angeklagte von den gegen ihn erhobenen schwerwiegenderen Vorwürfen freigesprochen. Am 2.03.2021 leitete stattdessen die Staatsanwaltschaft Essen ein Ermittlungsverfahren gegen H. Y wegen falscher uneidlicher Aussage und falscher Verdächtigung ein, von dessen Existenz der Zeuge bis zur vorliegenden Hauptverhandlung keine Kenntnis besaß und dessen Stand derzeit unbekannt ist.
18Da den Hergang der Streitigkeiten beide weiterhin unterschiedlich schildern, waren gesichertere Feststellungen hierzu durch die Kammer nicht zu treffen und mit Blick auf das vorliegend abzuurteilende Tatgeschehen auch nicht geboten.
19Nach der letzten tätlichen Auseinandersetzung Mitte Juni 2020 kam der Angeklagte zunächst bei seiner Schwester I. Y unter, die gemeinsam mit ihrer Tochter dafür Sorge trug, dass ihr Bruder ärztlich versorgt, insbesondere der Bruch seiner Hand operiert wurde. Während er sich in deren oder in der Wohnung seiner Nichte aufhielt, fühlte sich der Angeklagte zunehmend unwohl. Eine Rückkehr in die vormals elterliche Wohnung war ihm verwehrt, zumal H. Y unter dem Hinweis, er sei Eigentümer der Wohnung, dem Jobcenter, das bis dahin die Miete finanziert hatte, mitteilte, dass kein Mietvertrag mehr bestehen würde. Die Mutter des Angeklagten hielt sich in diesem Zeitraum bei Verwandten in der Türkei auf. Letzte Sachen des Angeklagten wurden von seiner Schwester aus der Wohnung geholt. Noch im Juni 2020 bot der Nebenkläger seine Teileigentumsanteile an dem Haus zum Kauf an, weil er seiner Darstellung nach mit der Immobilie nichts mehr zu tun haben wollte, zumal Forderungen des Finanzamtes ausstanden, und er sich in seiner Verfügungsberechtigung in keiner Form eingeschränkt sah. Von den Verkaufsbemühungen erfuhr der Angeklagte über einen seiner langjährigen Pächter noch vor Prozessbeginn G.. Seine Hoffnung, die Gerichtsverhandlung werde ihn gänzlich rehabilitieren und das Vorgehen seines Sohnes aufdecken, zerschlugen sich. Stattdessen wurde ihm durch die Zeugenvernehmung seines Sohnes in der Hauptverhandlung bekannt, dass dieser sich seit vielen Monaten nicht mehr in der Ausbildung bei der Polizei befand. Am 18.03.2021 wurde der Käufer, den H. Y für die Ladenlokale und Wohnungen gefunden hatte, im Grundbuch als Eigentümer eingetragen. Dem Nebenkläger war bewusst, dass er hierdurch den mit seinem Vater lodernden Streit noch weiter eskalieren lassen würde. Er ging davon aus, dass dieser ihn und seine Mutter „terrorisieren“ würde, nahm dies aber in Kauf, da er sich im Recht fühlte und nicht einschüchtern lassen wollte. Vergeblich hatte der Angeklagte, dem es nicht gelang, einen Kontakt zu seinem Sohn oder seiner geschiedenen Frau herzustellen, versucht, diesen Verkauf zu verhindern oder zumindest zu besseren Bedingungen - seiner Ansicht nach verkaufte der Nebenkläger völlig unter Wert - abzuwickeln.
20Durch das Geschehene war er in eine krisenhafte Lebenssituation geraten und empfand das Verhalten seines Sohnes, der ihn auch vor ihrem Zerwürfnis schon monatelang belogen und hintergangen hatte, als schweren Vertrauensbruch, der ihn zutiefst kränkte. Er war zudem wütend, verzweifelt und gekränkt über den Verlust seiner Immobilienanteile, die von seinen Eltern erarbeitet worden waren, und die er, was ihn nunmehr reute, so blauäugig beschränkungslos auf H. Y im Vertrauen auf dessen Verlässlichkeit und Zugehörigkeit zur Familie übertragen hatte. Er litt unter dem Umstand, obdachlos geworden zu sein, da er nicht länger bei seiner Nichte oder anderen Verwandten nächtigen wollte und mangels legalem Einkommen und eines Schufa-Eintrages keine eigene Wohnung anmieten konnte. Es quälte ihn die Vorstellung, unerwartet ohne jegliche Altersversorgung dazustehen und auch nicht mehr über die anteilig erhaltenen monatlichen Beträge aus den Vermietungen der Ladenlokale verfügen zu können. Zudem schmerzte es ihn sehr, dass er seine Mutter nicht mehr aus der Türkei zurück nach Deutschland holen und in der Wohnung weiter versorgen und betreuen konnte. Seine Versuche, über den Bruder seiner geschiedenen Frau einen Kontakt zu der Zeugin Y aufzubauen, blockte diese ab, obwohl es dem Angeklagten wichtig war, von ihr zu erfahren, wie sie zu der Vorgehensweise ihres Sohnes stand. Weil ihm dies nicht möglich war, verfestigte sich in ihm der Eindruck, dass sie mit ihm „unter einer Decke stecken würde“ und dass alles gegen ihn Gerichtete von ihr und seinem Sohn gemeinsam geplant worden war. In zahlreichen Gesprächen mit seiner Schwester und der Zeugin O. wurde für Letztere deutlich, wie stark der Angeklagte psychisch belastet war, der häufig weinte und seiner Fassungslosigkeit Ausdruck verlieh, wie sein Sohn ihm so etwas hatte antun können. Er beklagte, in einer Nacht alles verloren zu haben, sein Kind, seine Wohnung, sein Leben. Versuche der Familie, ihm emotional einen ausreichenden Rückhalt zu geben, misslangen letztlich.
21Ende März 2021 ließ sich der Angeklagte von einem Bekannten mit dem PKW nach K. in die Nähe der Wohnanschrift der Zeugen Y fahren, um sie zur Rede zu stellen. H. Y, der aus Sorge vor einem Zusammentreffen mit dem Angeklagten entsprechend sensibilisiert und umsichtig seine Umgebung beobachtete, bemerkte den Angeklagten zufällig in dem Fahrzeug mit dem G Kennzeichen, fuhr ihm nach und stellte ihn auf einem Parkplatz. Dort beschimpfte und bedrohte der Angeklagte seinen Sohn erregt, der ihn provozierend mit dem Handy filmte, um Belastendes gegen ihn in der Hand zu haben. Geldforderungen stellte der wütende Angeklagte nicht, aber machte deutlich, dass sowohl sein Sohn als auch seine Ex-Frau nirgendwo sicher vor ihm seien und um ihr Leben fürchten müssten. Bis zum Tatgeschehen im Juni 2021 suchte er nach seinen unwiderlegten Angaben noch drei bis vier weitere Male vergeblich die Umgebung der Wohnanschrift seiner geschiedenen Ehefrau auf, um sie abzupassen und zur Rede zu stellen. Insbesondere die später Geschädigte, die das unbeherrschte und übergriffige Verhalten des Angeklagten in der Vergangenheit noch präsent vor Augen hatte, aber auch ihr Sohn, fürchteten sich bereits zu diesem Zeitpunkt vor einem Zusammentreffen mit ihm. Sie hatten deshalb die in unmittelbarer Nähe zu Ihrer Wohnung liegende Polizeidienstelle um schützende Maßnahmen ersucht.
22Nachdem der Angeklagte, der angesichts seiner prekären Lebenssituation den Vorgaben seiner Familie nicht nachkam, sich unter Zuhilfenahme der Behörden um seine persönlichen Angelegenheiten zu kümmern, im Streit die Wohnung seiner Nichte verlassen hatte, lebte er tagelang auf der Straße. Erschwerend kam hinzu, dass aufgrund der Corona-Pandemie viele kleine Hotels geschlossen hatten. Gelegentlich fand er Unterschlupf bei Bekannten, zuletzt bei der Zeugin P., die ihre Wohnung dem Angeklagten, der auf sie unauffällig, wenn auch etwas bedrückt wirkte, ohne weitergehende Nachfragen zu stellen, überließ und bei ihrem Freund, dem Zeugen U., nächtigte. Lebensmittel bezog der Angeklagte oft von der Tafel. Soweit ihm seine finanzielle Lage dies ermöglichte, konsumierte er weiter täglich THC, Alkohol und gelegentlich Kokain. Er hatte nunmehr auch den Rückhalt seiner eigenen Ursprungsfamilie verloren und letztlich niemanden, mit dem er seine Wut und Enttäuschung teilen konnte.
23Strafrechtlich ist der Angeklagte seit seiner Jugend immer wieder wie folgt in Erscheinung getreten:
241.
25Am 22.05.1986 erteilte das Amtsgericht Essen in dem Verfahren 67 Ds 62 Js 1583/85, rechtskräftig seit diesem Tage, wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug eine richterliche Weisung nebst Ermahnung und stellte das Verfahren nach § 47 JGG ein.
262.
27Am 24.10.1986 erteilte das Amtsgericht Essen in dem Verfahren 64 Ds 62 Js 1449/86, rechtskräftig seit diesem Tage, wegen gemeinschaftlichen Diebstahls erneut eine richterliche Weisung nebst Verwarnung.
283.
29Am 18.04.1989 verhängte das Amtsgericht Essen in dem Verfahren 64 Ds 62 Js 1808/88, rechtskräftig seit dem 10.10.1989, wegen versuchten Diebstahls in einem schweren Fall, gemeinschaftlichen Diebstahls in einem schweren Fall vier Freizeitarreste und erteilte eine Verwarnung.
304.
31Am 17.12.1990 verurteilte ihn das Amtsgericht Essen in dem Verfahren 58 Ds 80 Js 1091/90, rechtskräftig seit dem 25.12.1990, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe i.H.v. 30 Tagessätzen zu je 15 DM.
325.
33Am 05.03.1991 verurteilte ihn das Amtsgericht Bottrop in dem Verfahren 28 Ls 20 Js 652/90, rechtskräftig seit dem 13.03.1991, wegen fortgesetzten gemeinschaftlichen Diebstahls in einem schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe i.H.v. 4 Monaten, die zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach Widerruf der Bewährung, erneuter Strafaussetzung und anschließendem, erneuten Widerruf der Strafaussetzung verbüßte der Angeklagte erstmals Strafhaft bis zum 05.10.2001.
346.
35Am 14.11.1994 verurteilte ihn das Amtsgericht Essen in dem Verfahren 54 Cs 21 Js 691/94 -955/94, rechtskräftig seit dem 03.12.1994, wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Gebrauch einer verfälschten Urkunde zu einer Geldstrafe i.H.v. 75 Tagessätzen zu je 30 DM. Ferner wurde eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis bis zum 02.12.1997 verhängt.
367.
37Am 3.11.1997 verurteilte ihn das Amtsgericht Essen in dem Verfahren 54 Ds 57 Js 1038/94 (383/97), rechtskräftig seit dem 11.11.1997, wegen Begünstigung zu einer Freiheitsstrafe i.H.v. 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nachdem die Bewährungszeit verlängert werden musste, wurde die Strafe mit Wirkung vom 09.01.2002 erlassen.
388.
39Am 19.03.1999 verurteilte ihn das Amtsgericht Velbert in dem Verfahren 21 Ds 512 Js 26/99, rechtskräftig seit dem 18.05.1999, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe i.H.v. 6 Monaten, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ferner wurde eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis bis zum 17.05.2000 verhängt. Nach dem Widerruf der Strafaussetzung war die Strafvollstreckung am 16.01.2004 erledigt.
409.
41Am 17.10.2000 verurteilte ihn das Amtsgericht Rosenheim in dem Verfahren 2 Cs 470 Js 26498/00, rechtskräftig seit dem 04.11.2000, wegen unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe i.H.v. 70 Tages-sätzen zu je 40 DM.
4210.
43Am 28.03.2001 verurteilte ihn das Amtsgericht Essen in dem Verfahren 38 Ds 21 Js 605/00 (656/00) wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe i.H.v. 8 Monaten, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ferner wurde eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis bis zum 04.04.2003 verhängt. Nachdem die Strafaussetzung widerrufen werden musste, war die Strafvollstreckung am 16.11.2003 erledigt.
4411.
45Am 6.09.2001 verurteilte ihn das Amtsgericht München in dem Verfahren 1111 Cs 368 Js 38827/01, rechtskräftig seit dem 01.12.2001, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe i.H.v. 15 Tagessätzen zu je 80 DM.
4612.
47Am 16.01.2004 verurteilte ihn das Amtsgericht Stuttgart in dem Verfahren 15 Cs 91 Js 53717/02 3142 VRS, rechtskräftig seit dem 20.01.2004, wegen Diebstahls im besonders schweren Fall in elf Fällen, versuchten Diebstahls im besonders schweren Fall in fünf Fällen und versuchten gewerbsmäßigen Betruges zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nachdem die Strafaussetzung widerrufen werden musste, war die Strafvollstreckung durch Verjährung am 6.09.2011 erledigt.
4813.
49Am 3.05.2012 verurteilte ihn das Amtsgericht Essen-Borbeck in dem Verfahren 3 Cs 49 Js 709/12 – 287/12, rechtskräftig seit dem 12.06.2012, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe i.H.v. 60 Tagessätzen zu je 10 Euro.
5014.
51Am 18.09.2012 verurteilte ihn das Amtsgericht Laufen in dem Verfahren 3 Cs 150 Js 24891/12, rechtskräftig seit dem 5.10.2012, wegen vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe i.H.v. 20 Tagessätzen zu je 15 €.
5215.
53Am 29.01.2014 verurteilte ihn das Amtsgericht Villingen-Schwenningen in dem Verfahren 6 Cs 34 Js 20826/13, rechtskräftig seit dem 27.04.2014, wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe i.H.v. 60 Tagessätzen zu je 15 €.
5416.
55Am 28.02.2014 verurteilte ihn das Amtsgericht Darmstadt in dem Verfahren 217 Cs 900 Js 52664/13, rechtskräftig seit dem 22.03.2014, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe i.H.v. 30 Tagessätzen zu je 20 €.
5617.
57Am 05.06.2014 verurteilte ihn das Amtsgericht Lindau in dem Verfahren Ds 421 Js 18797/13, rechtskräftig seit dem 03.10.2014, wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe i.H.v. 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde
5818.
59Am 02.10.2014 verurteilte ihn das Amtsgericht Pforzheim in dem Verfahren 7 Cs 84 Js 10596/13, rechtskräftig seit dem 22.10.2014, wegen Betruges zu einer Geldstrafe i.H.v. 60 Tagessätzen zu je 30 €.
6019.
61Am 05.01.2015 bildete das Amtsgericht Lindau in dem Verfahren Ds 24 Js 18797/13, rechtskräftig seit dem 09.04.2015, unter Einbeziehung der unter 15., 16. und 18. aufgeführten Entscheidungen eine Gesamtgeldstrafe i.H.v. 110 Tagessätzen zu je 20 €. Die Freiheitsstrafe aus der unter 17. aufgeführten Verurteilung blieb daneben bestehen. Diese Strafe wurde mit Wirkung vom 17.11.2018 erlassen.
6220.
63Am 28.11.2018 verurteilte ihn das Amtsgericht Osnabrück in dem Verfahren 206 Cs 175 Js 52495/18 -595/18, rechtskräftig seit dem 15.12.2018, wegen Betruges zu einer Geldstrafe i.H.v. 40 Tagessätzen zu je 30 €.
6421.
65Am 17.04.2019 verurteilte ihn das Amtsgericht Bitburg in dem Verfahren 3 Cs 8047 Js 4165/19, rechtskräftig seit dem 07.05.2019, wegen Betruges zu einer Geldstrafe i.H.v. 60 Tagessätzen zu je 30 €.
6622.
67Am 05.12.2019 verurteilte ihn das Amtsgericht Fürth in dem Verfahren 451 Ds 354 Js 19024/19, rechtskräftig seit dem 28.12.2019, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe i.H.v. 20 Tagessätzen zu je 30 €.
6823.
69Am 2.03.2021 verurteilte ihn – wie oben dargestellt - das Amtsgericht Essen in dem Verfahren 51 Ls 70 Js 320/20 -174/20, rechtskräftig seit dem 10.03.2021, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, Bedrohung und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe i.H.v. 120 Tagessätzen zu je 10 Euro.
70Darüber hinaus wurde der Angeklagte seinen Angaben nach in früheren Jahren auch in Österreich zwei Mal im Zusammenhang mit Betrugstaten zu Haftstrafen verurteilt, die die er dort verbüßt hat.
71II.
72Am 2.07.2021 hielt sich der Angeklagte in K. auf und hatte erneut vergeblich versucht, seine Ehefrau in der Nähe ihrer in der J.-straße gelegenen Wohnung abzupassen. Gegen Mitternacht wurde er durch Vermittlung eines Bekannten von dem Zeugen A., der als Taxifahrer arbeitet, von einer Gaststätte abgeholt und nach G gefahren. Zu diesem Zeitpunkt wirkte er auf den Zeugen erheblich angetrunken, wenngleich er sich mit diesem angeregt unterhielt und berichtete, dass er geschieden sei und sich wegen seines Sohnes in K. aufhalte, ohne nähere Einzelheiten zu benennen. Weil der Zeuge selbst in Trennung lebte, lenkte er das Gespräch auf ihm angenehmere, unverfängliche Bereiche wie Fußball und Politik, worauf der Angeklagte sich bereitwillig einließ.
73Am Tag vor der Tat, dem 6.07.2021, hielt er sich wieder in K. auf, ab 20:00 Uhr im Hotel „N.“, und ließ sich am Abend von dem Zeugen T. ca. eine halbe Stunde lang durch verschiedene Straßen, zuletzt auch durch die J.-straße, fahren, wo er konzentriert Ausschau nach seiner Ehefrau und dem von ihr und dem Nebenkläger genutzten weißen Pkw der Marke Seat Ibiza hielt, der G.er Kennzeichen besaß. Weil seine Nachschau erfolglos blieb, nächtigte er in dem Hotel, das er am folgenden Tattag gegen Mittag verließ, um weiter den Bereich um die J.-straße zu beobachten. Am Vormittag hatte er einen Joint geraucht, der im Rahmen des nachfolgenden Tatgeschehens keinen einschränkenden Einfluss auf seine Steuerungsfähigkeit hatte. Er führte eine Schusswaffe, Kaliber 6,35 mm Browning, mit sich, deren Waffensystem unbekannt blieb. Das Magazin war mit acht Schuss aufmunitioniert. Unwiderlegt war diese Waffe, bei der es sich um ein italienisches Fabrikat gehandelt haben soll, ca. zwei Jahre zuvor im Rahmen eines Betäubungsmittelgeschäfts zusammen mit 25 Schuss Munition in den Besitz des Angeklagten gelangt. Nachdem er mit ihr in einem Waldstück probeweise geschossen und sie anschließend dort versteckt hatte, nahm er sie nach dem 14.07.2020 an sich, weil er in der tätlichen Auseinandersetzung mit seinem Sohn maßgeblich verletzt worden war. Auch in der Zeit, als er auf der Straße lebte, führte er sie dauerhaft zum Schutz bei sich.
74Der engere Tatort, die J.-straße, ist überwiegend mit Mehrfamilienhäusern bebaut. Bei der Hausnummer xx handelt es sich um ein Mehrfamilienhaus mit insgesamt sechs Wohnparteien, die Wohnung der nachfolgend Geschädigten befindet sich im zweiten Ober- und Dachgeschoss. Im gesamten Verlauf dieser Straßenseite, an der das von den Geschädigten bewohnte Gebäude liegt, besteht ein Halteverbot, sodass die Anwohner zum dauerhaften Abstellen ihrer Fahrzeuge die gegenüberliegende Straßenseite benutzen. In ihrem weiteren Verlauf wird die J.-straße von der W.-straße gekreuzt.
75Als der Angeklagte sich schon wieder entfernen wollte, nahm er das von ihm gesuchte Fahrzeug wahr, das von seiner geschiedenen Ehefrau gesteuert wurde, die Einkäufe erledigt hatte. Aus diesem Grund lief er von der W.-straße kommend auf dem Bürgersteig langsam dem Fahrzeug entgegen, das die Zeugin Y, die den Angeklagten nicht bemerkt hatte, um ihre Einkäufe problemlos auszupacken, so abgestellt hatte, dass ihre geöffnete Fahrertür sich unmittelbar auf der Höhe ihrer Haustür befand, die sie ebenfalls öffnete und mit einem Keil fixierte. Da sie ihren Sohn zuvor von ihrem Eintreffen telefonisch in Kenntnis gesetzt hatte, übergab sie ihm im Hausflur erste Einkäufe, welche dieser in ihre Wohnung hochtrug. Anschließend lud sie weitere Lebensmittel aus, die sie im Erdgeschoss des Hausflurs auf dem Treppenpodest und den ersten Stufen einer insgesamt sechsstufigen Treppe abstellte. Diese führt unmittelbar auf ein weiteres Podest und die erste Wohnungstür zu, neben der sich linksseitig eine zweite Tür befindet, über welche die weitere, parterre gelegene Wohnung erreichbar ist. Von diesem Podest, dessen Grundfläche in der Breite 2,25 m und 1,52 m in der Tiefe beträgt, führt sodann zur Straßenseite gerichtet eine 8-stufige Treppe zum ersten Zwischengeschoss hoch, über das die Hausflurtreppe im weiteren rechtwinkligen Verlauf jeweils zu den beiden höher gelegenen Stockwerken des Hauses führt. Auf dem Zwischenpodest befindet sich ein großes, zweiflügeliges Flurfenster, das einen ungehinderten Überblick auf die J.-straße ermöglicht.
76Die Zeugin Y ging zu ihrem Fahrzeug zurück, dessen Fahrertür sie hatte offenstehen lassen, und begab sich auf die Beifahrerseite, die sie öffnete, um aus dem Innenraum weitere Lebensmittel zu entnehmen. Den Fahrzeugschlüssel hatte sie, weil sie anschließend das Fahrzeug umsetzen wollte, im Zündschloss stecken gelassen.
77Als sie sich erhob, nahm sie über die Motorhaube hinweg den Angeklagten wahr, der für sie völlig unerwartet in Höhe der Haustür stand. Geschockt und sofort Schlimmes befürchtend, fragte sie ihn, was er hier mache. Der innerlich aufgewühlte Angeklagte, der Stärke demonstrieren wollte, um der von ihm als ungerecht empfundenen Behandlung durch seinen Sohn entgegenzutreten und seine tiefe Kränkung zu kompensieren, antwortete ihr, dass sie wisse was los sei und er reden wolle. Völlig verängstigt schrie die Zeugin mehrfach laut auf und rief immer wieder den Namen ihres Sohnes, um Hilfe zu erlangen. Der Angeklagte, der nunmehr zu der Gewissheit gelangt war, dass sie mit ihrem Sohn „unter einer Decke steckte“, zog die bereits entsicherte Schusswaffe aus seiner Hosentasche und hielt sie ihr vor, weshalb die Zeugin noch entsetzter und nunmehr um ihr Leben fürchtend weiter laut schrie. Sodann ging er auf dem Bürgersteig um den Kofferraum des Fahrzeugs herum auf sie zu. Als er auf der Straße nur noch wenige Meter von der Zeugin, die in einer Art Schockstarre verharrte, entfernt war, schoss er aus geringer Distanz auf ihren Oberkörper. Dabei nahm er in seiner Wut ihren Tod billigend in Kauf, da er ihr alles, was sein Sohn ihm angetan hatte, ebenfalls anlastete. Er traf sie im Bereich des linken Oberarms, wo er ihr ventralseitig eine Durchschusswunde zufügte, die nicht stark blutete. Die Zeugin, die sich „wie in einem Tunnel“ fühlte und die erlittene Schussverletzung in ihrem panischen Zustand zunächst nicht bemerkte, drehte sich um und lief mehrere Schritte auf der Straße vor dem Angeklagten weg. Dieser hatte erkannt, dass er die Geschädigte im Armbereich getroffen hatte, und schoss ein weiteres Mal – ihren Tod billigend in Kauf nehmend -in ihre Richtung, ohne sie zu treffen. Einer der beiden abgegebenen Schüsse verursachte an der A-Säule der Fahrerseite eines parkenden Kleinwagens, der leicht versetzt zur Haustür der J.-straße Nummer xx auf der gegenüberliegenden Straßenseite abgeparkt war, in Höhe des Übergangs von der Dachkante zur Windschutzscheibe eine Eindellung im Blech. In dem Straßenbereich vor der Haustür J str. wurden später zwei Patronenhülsen sichergestellt.
78Der Zeuge Y hatte die panischen Schreie seiner Mutter nach ihm vernommen und war, weil er wegen der im Raum stehenden Drohungen seines Vaters ohnehin innerlich angespannt war, im Hausflur sofort die Treppe von ihrer Wohnung bis zu dem Podest des ersten Zwischengeschosses hinuntergelaufen und hatte das oben beschriebene Flurfenster geöffnet. Um schneller laufen zu können, hatte er seine Hausschlappen auf dem Treppenpodest des zweiten Zwischengeschosses von den Füßen geschleudert. Aus dem Fenster schauend nahm er unterhalb des Hauses auf der Straße in Höhe des Pkws Seat seinen Vater wahr, der mit einer Schusswaffe auf seine Mutter zielte. Der Angeklagte hatte bemerkt, dass sein Sohn aus dem geöffneten Flurfenster des ersten Zwischengeschosses hinunter auf die Straße sah. Weil er in Höhe des Pkws unmittelbar unterhalb des Fensters stand, fürchtete er, sein Sohn werfe einen Gegenstand auf ihn. Aus diesem Grund schoss er - seinen insoweit unwiderlegten Angaben nach - einmal ungezielt in Richtung des Fensters, von dem der Zeuge Y sodann zurückwich. Eine mit diesem Schuss korrespondierende, weitere Patronenhülse wurde nachfolgend im Straßenbereich nicht aufgefunden.
79Der entsetzte Zeuge Y, der den Fensterflügel halbgeöffnet ließ, lief sofort die Treppe hinunter und schrie immer wieder laut: „Polizei“ und „Hilfe“. Um zusätzlich auf sich und seine Notlage aufmerksam zu machen, hämmerte er mit seiner linken Hand gegen die beiden in der Parterre liegenden Wohnungstüren. Dabei schlug er im oberen Bereich der Tür, die der Hauseingangstür unmittelbar gegenüber liegt, ein Loch in eine Glasfüllung, die mit lackiertem Holz hinterfüttert ist. Hierbei zog er sich u.a. am linken Mittelfinger eine mehrere Zentimeter lange Schnittwunde zu, die unvermittelt heftig zu bluten begann. Mit dieser Wunde lief er, weil anders das später im Rahmen der Spurensicherung festgestellte, sicher von ihm verursachte Blutspurenbild im Hausflurbereich nicht erklärbar ist, nicht unmittelbar auf die Straße hinaus zu seiner Mutter, sondern, mit unklar gebliebener Intention, da er dies nicht erinnert, noch einmal die Treppen hinauf bis fast zum zweiten Obergeschoss. Dort drehte er, ohne noch weiter hinauf bis zu seiner Wohnung zu gelangen, wieder um und rannte sofort wieder hinunter, um seiner Mutter zu Hilfe zu eilen. Bereits beim Hinauflaufen verursachte er am Treppengeländer des Treppenaufgangs vom Erdgeschoss zum ersten Obergeschoss erhebliche Blutantragungen, die das Geländer von außen hinabliefen. Entsprechend deutliche Blutantragungen in Form von Wischspuren und Auftropfungen entstandenen ebenfalls im Bodenbereich, auf Treppenstufen und vereinzelt an den Wänden sowie am Geländer bis hinauf zum zweiten Obergeschoss.
80Die Zeugin Y, die ihren Sohn an dem Flurfenster ebenfalls bemerkt hatte, brach nach wenigen Schritten ihre Flucht vor dem Angeklagten, die sie als sinnlos ansah, ab, blieb auf der Straße stehen und drehte sich zu ihm um. Der Angeklagte, der kurz zuvor in Richtung seines Sohnes geschossen hatte, vernahm auf der Straße, wie dieser nun im Hausflur laute Geräusche verursachte und schrie. Um ihn dort zu stellen, ließ er, obwohl er erkannte, dass er seine geschiedene Ehefrau nicht maßgeblich und schon gar nicht todbringend verletzt hatte, von dieser ab. Er lief von der Straße wieder zurück um den Kofferraum des Pkw herum auf den Bürgersteig und anschließend in den Hausflur. Dort traf er auf seinen Sohn, der erneut auf dem Podest in Höhe der Wohnungstür stand, in deren Scheibe er das Loch geschlagen hatte. Im unteren Bereich der Treppe stehend, schoss der Angeklagte in seiner tiefen Wut und Enttäuschung gezielt auf den Oberkörper seines Sohnes, dessen Tod er billigend in Kauf nahm. Das Projektil, das den Zeugen Y nicht traf, drang seitlich in einer Höhe von 75 cm in die unmittelbar rechts von der Wohnungstür angrenzende Hauswand ein, wo es später sichergestellt wurde.
81Der Zeuge Y hatte sich, als er seinen Vater im Hausflur mit der Waffe wahrnahm, sofort umgedreht und war fluchtartig die Treppe zum Zwischengeschoss hochgeeilt. Der Angeklagte, der zutreffend davon ausging, ihn nicht getroffen zu haben, setzte ihm unmittelbar nach. In Todesangst öffnete der sportlich durchtrainierte Zeuge Y den Fensterflügel wieder vollständig, kletterte über die in einer Höhe von ca. 83 cm befindliche Fensterbank und sprang von dort aus mit den Füßen zuerst gezielt auf seinen unmittelbar unterhalb des Fensters parkenden Pkw. Beim Hinausklettern aus dem Fenster verursachte er aufgrund seiner weiterhin blutenden tiefen Schnittverletzung im Mittelfinger zahlreiche Blutantragungen an der Wand unterhalb des Fensters und Auftropfspuren sowie Wischspuren auf dem inneren und äußeren Fensterbrett. Er traf auf der Heckscheibe auf, die ein großes Splitterfeld verursachend zerbarst und stieß sich von der Hutablage so ab, dass er in einer drehenden Bewegung in Höhe des Kofferraums des Pkws auf der Straße zu liegen kam.
82Bevor der Geschädigte aus dem Fenster geklettert und gesprungen war, hatte der Angeklagte, der wenige Stufen die Treppe hinauf hinter ihm hergeeilt war, mit der Waffe aus einer Entfernung von allenfalls 3 bis 4 m einen weiteren Schuss auf den Oberkörper seines Sohnes abgegeben. Auch bei Abgabe dieses Schusses nahm er dessen Tod billigend in Kauf. Das Projektil traf den Geschädigten im Bereich des Gesäßes und drang über 10 cm bis zur linken Hüftkugel vor, wo es stecken blieb. Als es eindrang, verspürte der Geschädigte einen ziehenden Schmerz im Bein. Bevor dieser aus dem Fenster sprang nahm der Angeklagte trotz seiner tiefempfundenen Wut die verzweifelte Angst im Gesicht seines Sohnes wahr. Er entschloss sich, obwohl er sah, dass er ihm keine tödlichen Verletzungen beigebracht hatte, und sein Sohn handlungsfähig geblieben war, nicht weiter tätlich gegen ihn vorgehen zu wollen, und nahm von weiteren Schüssen auf ihn, die ihm möglich gewesen wären, freiwillig Abstand. Stattdessen drehte er sich in dem Gefühl um, seinem Sohn - und auch seiner geschiedenen Ehefrau - einen maßgeblichen Denkzettel verpasst zu haben, und entschloss sich zur Flucht.
83In den Hausflur war zwischenzeitlich die Zeugin Y hineingelaufen, die in verzweifelter Sorge um ihren Sohn war, zumal sie die kurz hintereinander gefallenen Schüsse wahrgenommen hatte. Als sie auf dem oberen Podest vor den Wohnungstüren angelangt war, lief der Angeklagte mit weiterhin schussbereit in der Hand gehaltenen Waffe dicht an ihr vorbei die Treppe hinunter hinaus auf die Straße, ohne, was ihm angesichts der räumlichen Enge problemlos möglich gewesen wäre, erneut auf ihren Körper einzuwirken, weil er dies nicht mehr wollte. Stattdessen lief er aus dem Wohnhaus, sprang, ohne seinem Sohn, der sich vom Boden aufrappelte, bis auf einen Blickkontakt noch Beachtung zu schenken, in das vor dem Haus immer noch mit geöffneter Fahrertür stehende Fahrzeug. Er schloss dessen Fahrertür und fuhr mit hoher Geschwindigkeit in Richtung W.-straße davon.
84Die Zeugin Y hatte auf dem Podest stehend die im Bodenbereich und an dem Geländer vorhandenen Blutantragungen, die von den Schnittverletzungen ihres Sohnes herrührten, bemerkt, und sich entsetzt zur Seite gedreht, als der Angeklagte an ihr vorbeigelaufen war. In diesem Moment spürte sie zum ersten Mal den auf der Straße erlittenen Durchschuss an ihrem Ellenbogen und ging, zumal sie unmittelbar zuvor die laut hallenden Schussgeräusche im Hausflur vernommen hatte, davon aus, dass der Angeklagte ihr diese Verletzung im Vorbeilaufen auf dem Podest zugefügt hatte. An ihrer Wunde, die durch den Ärmel einer von ihr getragenen Bluse verdeckt wurde und kaum blutete, empfand sie vor dem Hintergrund ihres schockartigen Zustandes zunächst weiterhin keine starken Schmerzen. Wo sich ihr Sohn befand, wusste sie zu diesem Zeitpunkt nicht.
85Bei dem Sprung aus dem Fenster und Auftreffen auf der Heckscheibe des Pkws hatte der geschädigte Y sich eine dislozierte Fraktur des linken Fersenbeines zugezogen. Im Zusammenhang mit dem Zersplittern der hinteren Windschutzscheibe hatte er zudem eine 6 bis 7 cm breite, bis zu 1 cm tiefe Schnittwunde innen im Bereich des linken Ellenbogens sowie zahlreiche weitere, kleinere Schnittwunden an den Händen, Unterarmen und Beinen erlitten. Insbesondere die Wunde im Ellenbogenbereich blutete sofort stark. In tiefer Sorge um seine Mutter, die im Hausflur verzweifelt seinen Namen schrie, lief er zur Hauseingangstür, wo er sie auf dem unteren Podest im Bereich der ersten Treppenstufen wahrnahm. Er ließ sich zu Boden gleiten und die Zeugin nahm ihn dort stark blutend sitzend wahr, ohne dass sie sich erklären konnte, wie er dorthin gelangen konnte. Zutiefst geschockt von dem Erlebten versuchten beide verzweifelt, die stark blutende Wunde des Zeugen Y im Ellenbogenbereich notdürftig abzubinden. Im unteren Eingangsbereich des Flures wurden in diesem Zeitraum größere Blutantragungen auf dem Boden verursacht.
86Polizei- und Rettungskräfte trafen nur wenige Minuten nach dem Tatgeschehen vor Ort ein.
87Die unbeteiligte Zeugin Z. hatte ihren Pkw im Bereich der W.-straße abgestellt und beim Aussteigen Schüsse sowie verzweifelte Schreie einer Frau vernommen. Sie war bis in den Kreuzungsbereich zur J.-straße vorgelaufen und hatte in der J.-straße einen Mann, der auf der Straße stand und eine Pistole in den Händen hielt sowie eine Frau, die in Todesangst um Hilfe schrie, wahrgenommen. Zudem hörte sie weitere Schüsse, als sie sah, wie jemand aus dem Fenster sprang und flüchtete sich hinter ein Fahrzeug, als ein weißer Pkw mit hoher Geschwindigkeit auf sie zufuhr und in die W.-straße abbog. Völlig geschockt hatte sie mit ihrem Mobiltelefon den Notruf gewählt und ihre Beobachtungen mitgeteilt. Ebenso hatte der Zeuge D. der im Erdgeschoss unmittelbar gegenüber dem Tathaus auf der J.-straße wohnt, einen Notruf abgesetzt, nachdem er Angstschreie sowie mehr als drei Schüsse vernommen und beim Blick aus dem Küchenfenster entsetzt den fallenden Körper des Zeugen Y, der ihm vom Sehen bekannt war, sowie das Zerbersten der Heckscheibe beobachtet hatte. Parallel zu diesen Anrufen gingen zahlreiche weitere Notrufe von verschreckten Nachbarn und Anwohnern ein, die von Schüssen berichteten.
88Die ersteintreffenden Polizeibeamten F., X. und C. die sich bei Einsatzvergabe um 16:22 Uhr lediglich zwei Straßen vom Tatort entfernt aufhielten, trafen auf die beiden Geschädigten, die sich für sie ersichtlich in einer emotionalen Ausnahmesituation befanden. Weil sie wegen des hohen Blutverlustes davon ausging, dass eine Arterie verletzt worden war, legte die Zeugin X. dem Zeugen Y einen Tourniquet-Verband an. Gleichzeitig nahm sie Schnittverletzungen an den Beinen wahr, der kaum blutende Hüft-Steckschuss blieb zunächst unentdeckt. Bevor der Geschädigte Y erstversorgt über die Straße zu dem eingetroffenen Rettungsfahrzeug lief, teilte er der Zeugin C mit, dass sein Vater auf ihn und seine Mutter geschossen habe und mit dem Pkw, dessen Marke und Kennzeichen er benannte, sich auf der Flucht befinde. Auch die Geschädigte rief, während sie von dem Zeugen F. erstversorgt wurde, immer wieder, dass ihr Exmann auf sie geschossen habe und mit dem Pkw davon gefahren sei. Nach dem Abtransport der Verletzten ins Q.-Klinikum K. sicherten die Polizeikräfte den Tatort und das umfangreiche Spurenbild. Auf der dritten Stufe der Treppe hinauf zum Zwischengeschoss und auf dem Treppenpodest in Höhe der Wohnungstür, in welche der Zeuge Y ein Loch in die Scheibe geschlagen hatte, fanden sie im Hausflur aufgrund der dort erfolgten Schussabgaben zwei Patronenhülsen vor.
89Auf seiner Flucht in dem Pkw der Geschädigten fiel der Angeklagte dem Zeugen R. auf, weil er, das Fahrzeug ansonsten sicher führend, in einer 30er Zone mit hoher Geschwindigkeit eine rote Ampel überfuhr und den Weg des Zeugen kreuzte, der bei Grün über die Ampel gegangen war. Beim Blick in das Fahrzeug sah der Zeuge, dass dessen Fahrer eine Schusswaffe in der rechten Hand hielt. Zudem nahm der Zeuge die zersplitterte Heckscheibe des Fahrzeugs wahr. Der Angeklagte steuerte das Fahrzeug wenige Kilometer vom Tatort entfernt zu einem in K. an der Straße B. gelegenen V.-Parkplatz. Dort stellte er es bewusst abseitig und zudem rückwärts eingeparkt im Eckbereich einer hohen Betonmauer ab, die das Parkplatzgelände begrenzte, um die zerborstene Heckscheibe möglichst zu verbergen und von ihm erwartete Fahndungsmaßnahmen der Polizei nach dem Fahrzeug zu erschweren. Anschließend flüchtete er zu Fuß weiter und veranlasste über sein Mobiltelefon um 16:34 Uhr einen Bekannten, ihm die Rufnummer des Zeugen A. zu übermitteln. Diesen bat er in zwei Telefonaten, in denen er ihm seinen jeweiligen Standort in B. beschrieb, ihn mit dem Pkw von dort abzuholen. Der Zeuge, auf den der Angeklagte kurzatmig vom Laufen, aber ansonsten unauffällig wirkte, fuhr ihn weisungsgemäß, nachdem ihm wechselnde Routen von seinem Fahrgast vorgegeben worden waren, nach G.
90Die Geschädigten wurden beide im Q.-Klinikum u.a. von dem Zeugen Dr. L. notfallmäßig chirurgisch versorgt.
91Die nicht lebensbedrohende Durchschusswunde der Zeugin Y wurde gespült, und es zeigte sich, dass keine Gefäßverletzung verursacht worden war, was grundsätzlich möglich gewesen wäre, da auch in diesem Bereich des Armes große Blutgefäße hätten getroffen werden können, was in diesem Fall zu einer potentiellen Lebensgefahr hätte führen können. Stattdessen wurde eine Einschusswunde mit einer Naht versehen, während die andere zur infektionsfreien Wundheilung offen blieb. Einschränkungen in der Beweglichkeit des Arms sind grundsätzlich nicht zu erwarten. Die Geschädigte befand sich auch im Krankenhaus weiterhin in einer emotionalen Ausnahmesituation. Sie zeigte keinerlei Interesse für ihre eigene ärztliche Versorgung, sondern sorgte sich lediglich verzweifelt um das Wohlergehen ihres Sohnes. Dieser wurde, weil sein Verletzungsbild so komplex war, insgesamt von drei Ärzten behandelt. Weil die Wunde im linken Ellenbogenbereich so stark blutete, bestand der Verdacht auf eine Gefäßverletzung, der sich nach weiterer Sondierung aber nicht bestätigte. Dort verlaufende Nerven und Muskeln waren ebenfalls nicht verletzt worden. Der Zeuge Dr. L., der die glattrandige Wunde chirurgisch versorgte, hatte Zweifel, dass es sich um eine Schusswunde handelte, auch wenn dies vom Chefarzt des Bereichs Orthopädie und Unfallchirurgie, der nicht vor Ort war, im ärztlichen Behandlungsbericht des Q.-Klinikums abweichend festgehalten wurde. Ferner wurden die zahlreichen Schnittwunden an den Händen, u.a. die am linken Mittelfinger, und die an den Beinen chirurgisch versorgt bzw. gereinigt. Das ins Gesäß eingedrungene Projektil war 12 bis 13 cm bis zum Hüftkopf vorgedrungen. Da in diesem Bereich parallel zur Leistengegend zahlreiche Gefäße verlaufen, handelte es sich um eine potentiell lebensbedrohliche Verletzung. Das Projektil wurde von anderer Seite geborgen und eine Dränage angelegt, die 3 Tage bei ansonsten problemlos verlaufender Wundheilung verblieb. Erst fünf Tage später konnte der Bruch des Fersenbeines operativ mittels Schrauben und Platten. versorgt werden. Nach vollständiger Einheilung des gebrochenen Knochenstücks wird, was noch aussteht, ein weiterer Eingriff zur Entfernung des Metalls notwendig sein. Der Geschädigte hielt sich, ebenso wie seine Mutter, vom 7.07. bis zum 14.07.2021 stationär im Krankenhaus auf.
92Nach dem Tatgeschehen baute der Angeklagte nach seinen unwiderlegten Angaben die Waffe auseinander und entsorgte ihre Einzelteile in unterschiedlichen Mülltonnen. Den durch die Tat begangenen Verstoß gegen das Waffengesetz hat die Kammer auf Antrag der Staatsanwaltschaft gem. §154 Abs. 2 StPO eingestellt.
93Dem Angeklagten war bewusst, dass er einen entscheidenden Punkt überschritten hatte und nicht länger G. verbleiben konnte. Mit Regionalbahnzügen, in denen er Kontrollen auswich, fuhr er nach Ä und mietete sich dort in kleinen Hotels ein. Mehrere Male suchte er Unterschlupf bei alten Bekannten, die nicht wussten, dass nach ihm wegen eines versuchten Tötungsdeliktes europaweit gefahndet wurde. Bei einem Freund, der in VY. lebte, kam er für eine Woche unter. Von diesem entwendete er einen Impfausweis und hielt sich sodann in Ä in einem kleinen Hotel auf. Seinen Lebensunterhalt finanzierte er während der Flucht durch die Begehung von Wechselbetrügereien und Trickdiebstählen. Drogen, insbesondere Kokain, und Alkohol konsumierte er nur noch in geringem Umfang, weil ihm grundsätzlich hierfür die finanziellen Mittel fehlten. In unwiderlegt intoxikiertem Zustand schrieb er in dieser Zeit an die Geschädigten handschriftlich in seiner Muttersprache einen im Gedankenfluss ungeordnet wirkenden Brief, den er nicht absendete, sondern den er lediglich mit seinem Mobiltelefon abfotografierte. In ihm formulierte er das Motiv seiner Tat, seine Wut und Enttäuschung auf die Geschädigten in drastischen Worten, mit denen er erstmals konkret eine Geldforderung verband. Auszugsweise schrieb er folgendes:
94…Es gibt kein Erbarmen, kein Gewissen, keine Vergebung…Ich werde Köpfe abreißen, Blut fließen lassen, ich werde euch alle in Stücke schneiden, euch zeigen, was blutige Feindschaft ist… Hätte ich euch töten wollen, hätte ich eine Kugel in eure Köpfe gejagt und gesagt, ihr kommt jetzt zur Vernunft. Jetzt gebe ich euch eine Woche Zeit das Geld, das der Arbeit meines Vaters und meiner Mutter geschuldet ist, werdet ihr meiner Mutter übergeben oder an MJ. oder ich werde einem von euch das Totenhemd überziehen. Er ist kein Schritt aus der Tür herausgekommen, hat seinen Kopf nicht hervor gezeigt, als ich auf dich geschossen habe. Er wird es wieder nicht tun, und du wirst nichts für deinen Sohn tun…
95In einem weiteren, von dem Angeklagten auf seinem Mobiltelefon abfotografierten, handschriftlich von unbekannter Person verfassten Brief, ergreift inhaltlich eine kurdisch arabische Großfamilie Partei für ihn und droht dem Zeugen Y und dessen Familie mit Repressalien. Auch dieser Brief wurde den Geschädigten nicht übersandt. Von dem Inhalt beider Briefe distanziert sich der Angeklagte heute. Er beabsichtigt zu einem späteren Zeitpunkt über neutrale Dritte vom Weißen Ring sich an die Geschädigten zu wenden, um ihnen zu vermitteln, dass sie nichts mehr von ihm zu befürchten haben.
96Als er am 11.05.2022 in einem Park eine Zigarettenkippe auf den Boden geworfen hatte, wurde er, da ein Verstoß gegen das Kreislaufwirtschaftsgesetz geahndet werden sollte, von einer zivilen Polizeistreife kontrolliert. Weil der von ihm vorgelegte Impfausweis den Beamten nicht zur Identitätsfeststellung ausreichte, wurde er zur ortsnahen Wache verbracht. Da im dortigen System die entsprechenden Fahndungsvermerke hinterlegt waren, gelangte der Angeklagte, der auf der Wache seinen richtigen Namen nannte, zunächst in der JVA Stuttgart in Untersuchungshaft.
97Die Zeit bis zur Festnahme des Angeklagten wurde von beiden Geschädigten als überaus quälend erlebt, weil sie täglich befürchteten, erneut von ihm angegriffen und getötet zu werden. Die Angst um ihre Sicherheit ist auch heute noch in ihrem Leben präsent. Bis auf die verbliebenen Narben, die ihn an das Tatgeschehen erinnern, klagt der Zeuge Y, der wieder Kampfsport betreiben kann, über keine nennenswerten körperlichen Beschwerden mehr. Den zunächst vorhandenen Einschränkungen begegnete er durch konsequente Physiotherapie. Auch wenn er bekundete, dass er keinen Groll gegen seinen Vater hege, ihn nicht hasse, ist für ihn die Angst allgegenwärtig, dass ihm etwas Ähnliches erneut passieren könnte. Sein Sicherheitsgefühl ist durch die Tat erheblich beeinträchtigt worden und er beobachtet, wenn er unterwegs ist, sein Umfeld genau. Therapeutisch war er bisher nicht angebunden und erwägt derartiges allenfalls nach Abschluss des vorliegenden Strafverfahrens, falls er eine noch deutlichere Veränderung in seinem Verhalten bemerken sollte. Demgegenüber befand sich die Zeugin Y schon länger in therapeutischer Behandlung, auch um den Verlauf ihrer gescheiterten Ehe aufzuarbeiten. Seit dem Tatgeschehen leidet sie unter Panikattacken und Nervenzusammenbrüchen, aus Angst, dass sie wieder einem tätlichen Übergriff ausgesetzt sein könnte. In ihrem Alltag ist sie stark eingeschränkt und empfindet eine große Scham, weil sie sich durch die erlittene Tat gebrandmarkt sieht und nicht verstehen kann, warum ausgerechnet ihr so etwas passieren musste. Mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, bereitet ihr große Probleme, weshalb sie sich immer mehr zurückzieht und versucht, soziale Kontakte zu vermeiden. Sie ist besetzt von dem Gedanken, was passieren wird, wenn ihr geschiedener Ehemann wieder aus dem Gefängnis entlassen werden sollte, da sie sich sicher ist, dass er weiter Rache an ihr und ihrem Sohn üben und niemals aufgeben wird. Die ihr verschriebenen Antidepressiva nimmt sie wegen befürchteter Nebenwirkungen nicht regelmäßig ein. Obwohl die Wunden an ihrem Arm gut verheilt sind, klagt sie in letzter Zeit über Schmerzen im linken Arm und Schulterbereich, deren Ursache durch eine bildgebende Diagnostik weiter abgeklärt werden soll.
98Die Zeugin Z. fühlt sich heute noch verfolgt von dem auf offener Straße in ihrem häuslichen Umfeld Erlebten und beschreibt es als „blanken Horror“. Mehrere Monate fühlte sie sich psychisch sehr belastet und versuchte möglichst viel, mit anderen Personen darüber zu reden, um es besser verarbeiten zu können. Gleichwohl hat sie die Bilder immer noch vor Augen, wenngleich sie nicht mehr so beängstigend für sie sind.
99III.
100Die vorstehend getroffenen Feststellungen beruhen ganz überwiegend auf der Einlassung des Angeklagten, welcher die Kammer nahezu in vollem Umfang zu folgen vermochte, und im Übrigen auf dem Ergebnis der Beweisaufnahme, deren Umfang sich aus der Niederschrift ergibt.
101Ohne dass diesem Aspekt im Ergebnis eine entscheidende Bedeutung zukam, ließ sich der Angeklagte bezogen auf seinen Tatvorsatz abweichend von diesen Feststellungen dahingehend ein, er habe weder als er auf seine geschiedene Ehefrau noch auf seinen Sohn geschossen habe, deren Tod billigend in Kauf genommen. Er habe vielmehr aus jeweils geringer Entfernung bei ihr gezielt auf den Arm, bei ihm gezielt auf das Bein geschossen, um sie zu verletzten. Bei der Schussabgabe auf seinen Sohn in den Hausflurbereich habe er sich keine Vorstellungen gemacht, aber bemerkt, dass er ihn nicht getroffen habe.
1021.
103Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung seinen Lebensweg sowie Umstände und Hintergründe der Tat umfassend geschildert und sich den Fragen der Kammer in jeder Hinsicht gestellt. Insbesondere seinen kriminellen Lebenswandel beschönigte er in keiner Form. Ebenso schilderte er anschaulich und in sich schlüssig wie er sich um seine Eltern gekümmert und gleichzeitig die berufliche Entwicklung seines Sohnes habe fördern wollen. Er vermittelte dabei anschaulich wie stolz er auf ihn als Kommissaranwärter gewesen sei und dass er ihm im Vertrauen auf die Fortsetzung eines engen Vater-Sohn-Verhältnisses die Immobilien ohne jegliche Verfügungsbeschränkungen übertragen habe. Dagegen zeichnete der Zeuge Y von seinem Vater zunächst ein abweichendes Bild, indem er pauschal ausführte, dass dieser unter Alkohol und Drogen zu Gewalttätigkeiten neige, und er, der Zeuge, sich G. in der Wohnung eher bei seinen Großeltern als bei ihm aufgehalten habe. Dieses Bild vermochte er auf kritische Nachfragen nicht aufrecht zu halten, da es bereits widersprüchlich war, dass er auch nach den Angaben seiner Mutter stets die Nähe seines Vaters gesucht habe und dass diese ihm ein Umgangsrecht mit seinem Vater deshalb nie verwehrt habe.
104Die Kammer hat aufgrund der Angaben der Zeugin Y keine Zweifel, dass es zu tätlichen Übergriffen des Angeklagten auf sie in ihrer ehelichen Beziehung kam und dass dieser ihr lange nachgestellt hatte. Dennoch lag die Ursache der vom Angeklagten ausgeübten Gewalt in der Beziehung zu ihr, war z.B. auf Eifersucht zurückzuführen und lag nicht in einer generellen charakterlichen Disposition von ihm begründet, in bestimmten Situationen oder in berauschtem Zustand gewaltsam zu reagieren. Anhaltspunkte dafür ergaben sich auch nicht aus der langen Reihe seiner Vorstrafen. Damit einhergehend berichtete die Zeugin, dass sie sich vom Angeklagten getrennt habe, damit ihre kleinen Kinder nicht die tätlichen Auseinandersetzungen hätten miterleben müssen, und nicht, weil diese selbst vom Angeklagten tätlich angegangen worden seien. Entsprechend räumte der Zeuge Y schließlich auch ein, dass gewaltsame Übergriffe seines Vaters auf ihn nie ein Thema zwischen ihm und seiner Mutter gewesen seien. Deutlich wurde aber, wie sehr er den Angeklagten bis heute in der Verantwortung für den psychisch labilen Zustand seiner Mutter sieht, die ihn und seine Schwester allein, und seiner Ansicht nach ohne auf ihr eigenes Wohl Rücksicht zu nehmen, groß gezogen habe. Soweit der Nebenkläger schließlich noch von vereinzelt in der G Wohnung erhaltenen Ohrfeigen berichtete - welche die Zeugin O., die nie erlebt hat, dass der Angeklagte irgendjemanden schlug, sich nicht vorzustellen vermochte - räumte er letztlich ein, diesen keine entscheidende Bedeutung beigemessen und von ihnen den Verbleib in der Wohnung auch nicht abhängig gemacht zu haben. Ansonsten berichtete der Zeuge Y von ihn langweilenden Vorträgen seines Vaters über familiäre Zusammenhänge, die dieser ihm in alkoholisiertem Zustand gehalten habe, und während derer der Angeklagte häufig weinerlich sowie aggressiv gegen Gegenstände geworden sei. Deutlich wurde in seinen Schilderungen, dass der Nebenkläger seine innere Distanz, die er zu seinem Vater stets behielt, auch wenn er sich bei ihm in der großelterlichen Wohnung aufhielt, dem Angeklagten nie vermittelte. Entsprechend hoffte der Angeklagte einseitig auf ein enges, in die Zukunft hineinreichendes Vater-Sohn-Verhältnis, während der Nebenkläger die Wünsche seines Vaters zwar erkannte, sie aber nicht teilte und schon gar nicht gemeinsam mit ihm verwirklichen wollte. Daraus resultierte zur Überzeugung der Kammer auch der Umstand, dass der Nebenkläger das Motiv der Tat, anders als die Kammer es festgestellt hat, nicht in tiefen Kränkungen und schweren Vertrauensbrüchen sah, die er seinem Vater durch das Verschweigen des Verlustes seines Ausbildungsplatzes und des Verkaufs der Immobilien zugefügt hatte. Er ging vielmehr davon aus, dass tradierte Wert- und Idealvorstellungen, die im Mittelpunkt des Lebens des Angeklagten stünden, ihn zu der Tat veranlasst hätten. Seiner Darstellung nach habe der Umstand, dass er seinen Vater am 20.07.2020 weggestoßen habe, einen „point of no return“ dargestellt und der Angeklagte habe allein den Umstand, dass sein Sohn die Hand gegen ihn erhoben habe, mit Blick auf seine eigene Ehre nicht tolerieren können. Es sei dem Angeklagten wichtig gewesen, von ihm als Oberhaupt akzeptiert zu werden und er habe erwartet, dass sein Sohn ihm ehrerbietig gegenüber trete. Physische Gewalt durch seinen Sohn erfahren zu haben, sei für ihn nicht akzeptabel gewesen.
105Das Motiv der Tat auf tradierte Werte reduzieren zu wollen, war sicher verfehlt. Dies folgte nicht nur aus der glaubhaften Einlassung des Angeklagten, der authentisch darlegte, wie sehr es ihn geschockt habe, erfahren zu müssen, dass sein Sohn lange nicht mehr bei der Polizei tätig gewesen sei und ihm dies gleichwohl monatelang vorgespielt habe. Auch vermochte er nachvollziehbar die in den Feststellungen näher dargestellte Bedeutung des Verlustes der Immobilien für ihn und seine Mutter darzulegen. Insbesondere die Zeugin O hat seine damalige psychische Verfassung in Übereinstimmung mit den Angaben des Angeklagten anschaulich wie festgestellt beschrieben. Seine Gemütsverfassung findet auch noch Ausdruck in dem von ihm handschriftlich nach der Tat verfassten, abfotografierten Brief, aus dem die tiefe Wut und Enttäuschung spricht, um das Vermögen, das aus seiner Herkunftsfamilie stammt, durch die Geschädigten betrogen worden zu sein. Der Nebenkläger bestätigte auch den Schock, den er in den Augen seines Vaters gesehen habe, als dieser im Prozess von dem Verlust des Ausbildungsplatzes erfahren habe und räumte ein, dass der Angeklagte in den Immobilien seine Altersversorgung gesehen und monatlich von ihnen finanziell profitiert habe. Auf Nachfrage erklärte er auch, die Immobilien in dem Bewusstsein verkauft zu haben, dass dem Angeklagten dies nicht gefallen und er sie dafür „terrorisieren“ werde. Weil der Zeuge Y aber augenscheinlich seine eigenen Handlungsanteile nicht entsprechend gewichten will, die er unabhängig von den Vorfällen im Juli 2020 an der eskalierenden Gesamtsituation mit seinem Vater hatte, war er schlicht nicht bereit, diese in einen offensichtlich bestehenden Kontext zum Tatgeschehen zu setzen oder gar einem Motiv seines Vaters zuzuordnen. Stattdessen beharrte er darauf, im Recht gewesen zu sein, als er die Immobilienanteile verkauft habe. Insoweit verwies er wiederholt darauf, sich nicht von drohender Gewalt habe einschüchtern lassen müssen, zumal er bereit gewesen sei, alle Mittel des Rechtsstaates auszunutzen, und führte in diesem Zusammenhang – was bereits mit Rücksicht auf die in der Familie jahrelang anders gehandhabte Praxis unglaubhaft war - auch an, dass seine Großmutter sowieso nicht nach Deutschland habe zurückkehren wollen. Nach Darstellung der Zeugin Y habe sie sich aus allen Entscheidungen ihres Sohnes herausgehalten, weshalb die Sichtweise des Nebenklägers - etwa in Bezug auf einen Verkauf der Immobilien - durch sie keine Korrektur oder Begrenzung erfuhr. Angesichts ihres zerrütteten Verhältnisses zu ihrem geschiedenen Ehemann war es auch kaum zu erwarten, dass sie die Sichtweise des Angeklagten einnehmen und seinen Bedürfnissen Rechnung tragen wollte. Dass dies dem Angeklagten letztlich bewusst war, erklärte, warum er sie mit in der Verantwortung sah, auch wenn die im Hintergrund der Tat stehenden Konflikte ausschließlich zwischen ihm und seinem Sohn bestanden.
1062.
107Die Feststellungen zum Tatkerngeschehen, insbesondere auch im Hinblick auf die Reihenfolge der Schussabgabe, beruhen maßgeblich auf der Einlassung des Angeklagten, da diese in hohem Maße mit der gesicherten Spurenlage in Einklang stand.
108Insoweit blieben keine Zweifel, dass der Angeklagte unmittelbar nachdem er die Zeugin Y abgepasst hatte, auf diese insgesamt zwei Mal schoss und beim ersten Schuss ihren Arm traf, als sie in Höhe des Pkws der Geschädigten auf der J.-straße stand. Zwar hat die Zeugin Y, der es ersichtlich schwer fiel, das Tatgeschehen in der Hauptverhandlung noch einmal durchleben und von ihm berichten zu müssen, bekundet, der Angeklagte habe auf der Straße nicht auf sie geschossen, sondern sie habe Schüsse nur innerhalb des Hauses wahrgenommen und gehe davon aus, dass er ihr im Hausflur, als sie auf dem Podest vor den Wohnungstüren gestanden habe, beim Hinauslaufen die Schussverletzung zugefügt habe, was ihrer Ansicht nach das Projektil belege, das in der dortigen Wand gefunden worden sei. Diese auf Rückschlüssen beruhende Einschätzung ist widerlegt, weil auf der Straßenmitte in dem tatrelevanten Bereich zwei Patronenhülsen sichergestellt und an dem auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkenden Pkw ein mit einem Schusstreffer korrespondierender frischer Defekt im oberen Türrahmenbereich festgestellt wurde. Zudem hat die Zeugin Z. unmittelbar nach den ersten Angstschreien einer Frau mehrere Schüsse wahrgenommen und auch der Zeuge Y hat bekundet, dass er meine, Schussgeräusche wahrgenommen zu haben, als er aus dem Fenster geschaut und seinen Vater mit auf seine Mutter zielender Waffe in der Hand auf der Straße stehen gesehen habe. Dass die Geschädigte keine Schmerzen unmittelbar nach dem Durchschuss verspürte, steht dieser Wertung nicht entgegen, weil sie auch in der Situation auf dem Podest im Hausflur, als sie glaubte, angeschossen worden zu sein, keinen Schmerz empfand.
109Die Kammer geht angesichts der abweichenden Beschreibung der Geschädigten nicht davon aus, dass diese bewusst wahrheitswidrige Angaben zum Tatgeschehen machte, sondern es handelte sich ersichtlich um Fehleinschätzungen, die auf ihrer panischen Angst in der Tatsituation beruhten, in der sie sich ihrer anschaulichen Schilderung nach „wie in einer Blase“ gefühlt habe, in der die Zeit still gestanden habe. Insgesamt war sie erkennbar bemüht, die ihr präsenten Erinnerungen wiederzugeben, ohne dass Tendenzen erkennbar wurden, ihren geschiedenen Ehemann wahrheitswidrig belasten zu wollen, zumal sie keinen Hehl daraus machte, wie sehr sie ihn ablehnte und für ihren labilen psychischen Zustand verantwortlich machte.
110Die Annahme eines weiteren Schusses in Richtung Flurfenster beruhte allein auf den Angaben des Angeklagten, auch wenn eine dritte Patronenhülse im Straßenbereich nicht sichergestellt wurde. Der Angeklagte berichtete insoweit in besonderem Maße anschaulich und plausibel, warum er auf seinen Sohn geschossen habe, nämlich um zu verhindern, dass dieser einen Gegenstand aus dem Fenster auf ihn hinab werfen könne. Auch die Zeugin Y berichtete, dass sie dem Blick des Angeklagten zum Fenster hin gefolgt sei und dort ebenfalls ihren Sohn wahrgenommen habe, auch wenn sie eine Schussabgabe nicht erinnerte. Sie verknüpfte dieses Bild jedoch nachvollziehbar mit dem von ihr in diesem Augenblick empfundenen Entsetzen, dass nunmehr auch ihr Sohn im Fokus des Angriffs stehen würde.
111Die vierte, von dem Angeklagten geschilderte Schussabgabe, wiederum auf seinen Sohn, nunmehr im Hausflur vom unteren Treppenbereich aus, korrespondierte mit dem Projektil, dass seitlich in die rechts von der Wohnungstür angrenzende Hauswand, und bedingt durch die von unten nach oben erfolgte Schussabgabe, lediglich in einer Höhe von 75 cm eindrang und dort sichergestellt wurde. Dieser Schuss verletzte den Zeugen Y, anders als er es aus seiner Erinnerung her darstellte und es im ärztlichen Bericht des Q.-Klinikum angenommen wurde, nicht im Bereich des linken Ellenbogens. Bei dieser bis zu 1 cm tiefen und 6 bis 7 cm breiten Wunde handelte es sich nicht um eine Schussverletzung. Dies folgt sicher aus den sachverständigen Ausführungen des Rechtsmediziners Dr. Meyer, nach in Augenscheinnahme der ihm von dem behandelnden Arzt Dr. L. zur Verfügung gestellten Lichtbilder von den erlittenen Verletzungen des Geschädigten, als sich diese noch in ärztlich unversorgtem Zustand befanden. Der Sachverständige führte aus, dass morphologisch die Wunde in der linken Armbeuge alle Charakteristika für eine scharfe Gewalt aufweise, insbesondere da sie deutlich glattrandige Wundränder erkennen lasse, die spitz zulaufen würden. Insoweit könne er aus rechtsmedizinischer Sicht sicher ausschließen, dass es sich um eine Schussverletzung handele, da ansonsten an den Wundrändern bedingt durch das Eindringen des Projektils typische oberflächliche Hautdefekte zu erwarten seien. Aus seiner Sicht plausibel könne die Wunde im Zusammenhang mit dem Auftreffen des Geschädigten auf die zerberstende Heckscheibe entstanden sein, durch die auch die zahlreichen weiteren Schnittverletzungen an den Händen, im Arm- und Beinbereich sowie der Fersenbruch ohne weiteres erklärbar seien. Diese Wertung wird gestützt durch die Angaben des behandelnden Arztes Dr. L., der als die Verletzung versorgender Chirurg seiner Darstellung nach von vornherein Zweifel gehabt habe, ob es sich bei dieser Wunde - anders als offensichtlich im Gesäßbereich - tatsächlich auch um eine Schusswunde handele. Dass der Angeklagte, wie von ihm eingeräumt, vom unteren Bereich der ins erste Zwischengeschoss führenden Treppe einen weiteren Schuss auf seinen Sohn, der vor dem geöffneten Fenster stand, abgab, folgt auch aus den Angaben des Geschädigten und wird, ebenso wie die zuvor geschilderte Schussabgabe, bestätigt durch die Sicherstellung einer jeweils auf der Schussabgabe beruhenden Patronenhülse im Treppen- bzw. Podestbereich.
112Demgegenüber schoss der Angeklagte, anders als es die Zeugin Y wahrnahm, nicht mehr auf sie, als er, zur Flucht entschlossen, an ihr auf dem Podest unmittelbar vorbeieilte. Ein derartiger Schuss, der aufgrund der räumlichen Nähe nahezu aufgesetzt hätte erfolgen müssen, wäre aufgrund des Standortes des Schützen und der Geschädigten auf dem Podest jedenfalls deutlich höher in die an der Wohnungstür angrenzende Wand eingedrungen, als das Projektil, dass die Zeugin als von diesem Schuss herrührend vermutet. Zudem wäre ein derartiger Durchschuss in einem anderen, nämlich nicht seitlichen Winkel in die Wand eingedrungen. Die Geschädigte hat insoweit berichtet, dass sie sicher Schüsse im Hausflur vernommen habe, was mit den Feststellungen einhergeht, da die Schussabgaben auf ihren Sohn dort erfolgt waren und sie unmittelbar hinter dem Angeklagten in den Hausflur hineingeeilt war. Auch schilderte sie, dass sie, als ihr geschiedener Mann an ihr vorbeigeeilt sei, Blutantragungen im Treppenbereich bemerkt habe. Dieser sie entsetzende Umstand im Zusammenhang mit den unmittelbar vorangegangenen Schussgeräuschen lässt es nachvollziehbar erscheinen, dass sie in dieser Situation erstmals ihre eigene Verletzung bemerkte und diese dann dem unmittelbar an ihr vorbei geeilten Angeklagten, von dem sie sich weggedreht hatte, zuordnete, zumal dieser die Waffe immer noch sichtbar in seiner rechten Hand schussbereit führte. Soweit der Zeuge Y bekundete, er erinnere, dass der Angeklagte unmittelbar bevor er in den Pkw gesprungen sei, vor dem Haus stehend in den Hausflur hinein auf die geschädigte Y noch einmal geschossen habe, ist dieser irrige Rückschluss zur Überzeugung der Kammer ebenso der Wahrnehmung geschuldet, dass der flüchtende Angeklagte die Waffe immer noch sichtbar in der Hand hielt. Denn eine derartige Schussabgabe vor der Haustür stehend mittig in den Hausflur hinein, hätte einen entsprechenden Defekt in der oberhalb der Treppe liegenden Wohnungstür im unteren Bereich erwarten lassen, der jedoch nicht vorliegt. Ebenso fehlt es, auch wenn diesem Umstand lediglich ein unspezifischer Beweiswert zukommt, an einer mit einer derartigen Schussabgabe korrespondierenden Patronenhülse.
113Das in den Feststellungen beschriebene massive Blutspurenbild im unteren Treppenhaus, im Bereich des geöffneten Flurfenster, sowie hinaufreichend bis in die oberen Etagen des Hauses, das auf der Grundlage des DNA-analytischen Gutachtens des LKA NRW vom 25.08.2021 sicher als vom Zeugen Y verursacht anzusehen war, war faktisch nur so zu erklären, dass der Geschädigte mit einer stark blutenden Verletzung noch einmal bis in das zweite Obergeschoss hinauf gelaufen sein musste. Die Kammer hielt es für ausgeschlossen, dass er dies nach dem Sprung aus dem Fenster mit gebrochenem Fersenbein und dem erlittenen Steckschuss im Gesäßbereich noch tat. Zwar blutete er zu diesem Zeitpunkt erheblich, sodass sich - bis auf die Spuren im geöffneten Fensterbereich - grundsätzlich die Verursachung einer derartigen Spurenlage erklären ließe. Jedoch schließt die Kammer aus, dass der Zeuge, der in großer Sorge um seine Mutter war, blutend an ihr im Flurbereich vorbeigelaufen wäre. Beide Geschädigte waren vielmehr in hoher Besorgnis um das Wohlergehen des jeweils anderen und derart aufeinander fixiert, dass sie, wie sie es auch erinnerten, sich nach dem Zusammentreffen im unteren Flurbereich umeinander bemühten und sich bis zum Eintreffen der Rettungskräfte auch nicht mehr trennten. Entsprechend war plausibel nur, dass der Geschädigte beim Schlagen gegen die Wohnungstüren sich im Handbereich - der Mittelfinger der linken Hand wies eine entsprechend große Schnittwunde auf - an der Scheibe der Wohnungstür verletzte und anschließend, aus unbekannt gebliebenem Motiv, erst noch einmal, stark blutend, die Treppe hinauf in Richtung seiner Wohnung lief. Angesichts des kurzen Zeitfensters, das hierzu blieb, da er bereits wieder auf dem unteren Treppenpodest stand, als der Angeklagte auf ihn schoss, muss er unvermittelt wieder umgekehrt, sein, um seiner Mutter zu Hilfe zu eilen. Entsprechend befand sich im Bereich der oberen Etagen auch kein Blutspurenbild, das auf ein Verweilen einer blutenden Person dort hindeutete. Der von der Kammer gezogene Rückschluss wird auch dadurch gestützt, dass es sich bei der Verletzung in der linken Armbeuge des Zeugen Y sicher nicht um eine Schussverletzung handelte, und andernfalls, ohne eine deutlich nach außen blutende Wunde - der Treffer durch die Hose in das Gesäß blutete nach außen kaum – auch die deutlichen Blutantragungen im Bereich der Fensterwand und der Fensterbretter nicht plausibel erklärbar wären. Ob der Angeklagte dieses kurze Hinaufeilen, etwa um sich gegen seinen Vater ebenfalls zu bewaffnen, tatsächlich aufgrund des traumatischen Erlebnisses nicht erinnerte, oder es aus Scham nicht einräumen wollte, weil er seiner Mutter nicht sofort zu Hilfe geeilt war, vermochte die Kammer nicht zu klären.
1143.
115Der Angeklagte handelte mit bedingtem Tötungsvorsatz als er auf die beiden Geschädigten schoss. Bei seiner Einlassung, er habe gezielt auf den Arm der Geschädigten bzw. auf das Bein seines Sohnes geschossen, um diese lediglich zu verletzen, handelte es sich zur Überzeugung der Kammer um eine reine Schutzbehauptung. Bei einer äußerst gefährlichen Gewalthandlung, wie der Abgabe eines Schusses aus kurzer Distanz auf das Tatopfer, liegt die besonders gesteigerte Lebensgefährlichkeit des Tuns ebenso auf der Hand, wie dass der Täter entsprechend mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne dabei zu Tode kommen bzw. dass er einen solchen Erfolg zumindest auch billigend in Kauf nimmt. Die insoweit stets erforderliche Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände machte vorliegend deutlich, dass der Angeklagte nicht spontan und unüberlegt handelte, sondern die Geschädigten gezielt mit bereits entsicherter Schusswaffe überraschend abpasste. Zudem schoss er auf beide Geschädigte auch, als sich diese in Bewegung befanden und es insoweit völlig unwägbar war, wohin er sie treffen würde. Abgesehen davon birgt ein Schuss auf den Oberkörper, auch wenn er nur den Arm oder das Bein treffen sollte, die Gefahr von todbringenden Verletzungen in sich aufgrund der dort verlaufenden großen Blutgefäße. Auch die Motivlage des Angeklagten, die von tiefer Enttäuschung und Wut geprägt war, sprach dafür, dass zumindest im Zeitpunkt der Schussabgabe das voluntative Vorsatzelement gegeben war.
116Letztlich hätte die Kammer die Frage des Bestehens eines bedingten Tötungsvorsatzes auch offen lassen können, weil der Angeklagte jedenfalls freiwillig strafbefreiend von dem unbeendeten Versuch einer Tötung der Geschädigten gemäß § 24 Abs. 1, S. 1, 1. Alt. StGB zurückgetreten ist. Im Magazin der Tatwaffe befanden sich unwiderlegt acht Patronen, von denen er nach den Feststellungen lediglich fünf verschoss. Nachdem er zweimal außerhalb des Hauses auf seine geschiedene Ehefrau geschossen und diese, von ihm so erkannt, am Arm verletzt hatte, ließ er von ihr ab, obwohl ihm aufgrund ihrer uneingeschränkt vorhanden gebliebenen Handlungsfähigkeit bewusst war, dass er sie nicht schwerwiegend oder gar todbringend verletzt hatte. Spätestens als er unmittelbar an ihr auf dem Podest im Hausflur vorbeilief, ohne, was ihm möglich gewesen wäre, noch einmal auf sie zu schießen, hat er seinen Rücktrittswillen manifestiert und von jeglichem weiteren Handeln Abstand genommen.
117Gleiches galt für die gegen seinen Sohn gerichtete Tat. Der Angeklagte hatte nach den Schussabgaben auf seinen Sohn erkannt, dass er ihn vor dem Flurfenster, wie er es wahrgenommen hatte, im Beinbereich getroffen hatte. Unabhängig davon, dass er angab, er habe wegen der angstvollen Reaktion seines Sohnes und weil ihm der den Geschädigten verpasste „Denkzettel“ gereicht habe, aufgehört zu handeln, hatte er unmittelbar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung nicht die Vorstellung, er habe seinem Sohn, der handlungsfähig blieb, todbringende Verletzungen beigebracht. Dennoch setzte er ihm nicht nach, schoss, was ihm möglich gewesen wäre, weder erneut im Fensterbereich auf ihn, und auch nicht, bevor er in den Pkw sprang, und sein Sohn sich auf der Straße aufrappelte. Dafür, dass er davon ausging, der Nebenkläger habe sich durch den Sprung aus dem Fenster auf das Fahrzeugdach todbringende Verletzungen zugefügt, und es deshalb keiner weiteren Schüsse auf ihn mehr bedürfe, bestanden keine konkreten Anhaltspunkte.
118IV.
119Nach den getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte gem. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der beiden Geschädigten strafbar gemacht.
120Indem er wiederholt mit der Schusswaffe auf den Nebenkläger sowie die Zeugin Y schoss und ihnen die beschriebenen Verletzungen beibrachte, beging er die Körperverletzungen mittels einer Waffe und einer das Leben gefährdenden Behandlung, da die Schüsse auf die Oberkörper der Geschädigten generell geeignet waren, deren Leben konkret zu gefährden.
121Demgegenüber hat er sich nicht des versuchten Totschlags in 2 Fällen gem. § 212 Abs.1, 22, 23 StGB strafbar gemacht, weil er, wie oben ausgeführt, nach den Feststellungen der Kammer gem. § 24 Abs.1 S.1, 1. Alt. StGB strafbefreiend von dem unbeendeten Versuch der Tötungsdelikte durch freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung zurück getreten ist.
122V.
123Der Angeklagte war bei Begehung der beiden festgestellten rechtswidrigen Taten voll schuldfähig.
124Weder war seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben noch war seine Steuerungsfähigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB aufgehoben oder erheblich eingeschränkt.
125Die Kammer folgt insoweit den überzeugenden, das Ergebnis der Hauptverhandlung ausschöpfenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. UK., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, forensische Psychiatrie, denen sie sich nach eigener Prüfung anschließt.
126Die Sachverständige machte zunächst deutlich, dass sich aus den biografischen Daten und erhobenen Angaben keine Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass der Angeklagte in seiner bisherigen Lebensgeschichte an einer psychotischen oder affektiven Erkrankung gelitten habe. Auch seien Symptome für eine hirnorganische Erkrankung nicht erkennbar geworden. Sodann legte sie dar, dass aufgrund seines langjährigen, teils passager betriebenen Drogenkonsums ein Abhängigkeitssyndrom durch THC und Kokain (ICD-10: F12.2, F14.2) bei ihm zu diagnostizieren sei, das grundsätzlich dem Eingangsmerkmal einer „schweren anderen seelischen Störung“ im Sinne von §§ 20, 21 StGB zuzuordnen sei. Eine ausgeprägte psychische Abnormisierung sei beim Angeklagten jedoch zu keinem Zeitpunkt, auch nicht im Zeitraum vor der Tat, eingetreten. Im Hinblick auf seine Persönlichkeitsstruktur liege zwar eine deutliche dissoziale Akzentuierung vor, die seinen vagabundierenden, insgesamt kriminogenen Lebenswandel widerspiegle, in dem nie eine feste Erwerbstätigkeit ausgeübt worden sei. In der Gesamtbetrachtung erreiche dieses Störungsbild jedoch keinesfalls den Schweregrad einer „schweren anderen seelischen Störung“. Es komme nämlich in seinem Gewicht nicht einer „krankhaften seelischen Störung“ im Sinne von §§ 20, 21 StGB gleich, weil es in seiner Gesamtheit das Leben des Angeklagten nicht vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belastet oder gestört habe. Dieser habe vielmehr immer engen Kontakt zu seiner Ursprungsfamilie, in die er stets integriert gewesen sei, sowie zu seinem Sohn gehalten. Auch habe er Verantwortung übernommen, als es um die schwierige Versorgung und Pflege seiner Eltern gegangen sei und in langen Phasen seinen Drogenkonsum immer wieder maßgeblich reduziert, ohne jemals vollständig und nicht nur lebensbegleitend in diesen abzugleiten.
127Bezogen auf den Tatzeitpunkt legte sie dar, dass keine Hinweise auf eine maßgebliche Intoxikation des Angeklagten vorhanden gewesen seien. Soweit er am Vormittag vor der Tat einen Joint geraucht habe, sei dieser geringe Konsum nicht geeignet, sich psychiatrisch relevant auf das Handlungsvermögen des drogengewohnten Angeklagten auszuwirken. Entsprechend seien im Rahmen des vielaktigen Tatgeschehens oder der nachfolgenden Flucht auch keine psychopathologischen Auffälligkeiten oder Leistungseinbußen bei ihm erkennbar geworden.
128Ferner führte die Sachverständige überzeugend aus, dass der Angeklagte im Tatzeitpunkt auch nicht in seinem Bewusstsein tiefgreifend gestört gewesen sei. Dabei nahm sie die spezifische Vorgeschichte - das Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn und die daraus resultierenden Gefühle der Wut und Kränkung des Angeklagten - und eine daraus bei ihm resultierende hohe affektive Erregung im Vorfeld der Tat in den Blick, legte sodann aber umfassend dar, dass Anhaltspunkte für eine im weiteren Verlauf sich entwickelnde manifeste Affektdominanz nicht erkennbar geworden seien. Nachvollziehbar verwies sie auf das komplexe Tatbild, das der Angeklagte maßgeblich selbst konstelliert habe, indem er seine Ehefrau gezielt abgepasst habe und ihr mit entsicherter Tatwaffe gegenübergetreten sei. Nachvollziehbar beschrieb sie die in hohem Maße erhalten gebliebenen Handlungskompetenzen des Angeklagten, der spontan, etwa auf das Erscheinen seines Sohnes am Fenster, reagiert und sein Verhalten auf die jeweils veränderte Situation eingestellt habe. Dabei seien Anzeichen einer hochgradigen Einengung seines Wahrnehmungsfeldes und der seelischen Abläufe bei ihm nicht erkennbar geworden. Er erinnere vielmehr zahlreiche Einzelheiten des Tatgeschehens überaus detailliert und sei auch in der Lage, die Affekte der von ihm Geschädigten zu beschreiben, etwa die Angst in den Augen seines Sohnes. Zudem sei er in gewissem Maße mit sich selbst in einen Dialog getreten, habe beschlossen, dass der „Denkzettel“, den er den Geschädigten verpasst habe, ausreichend sei und sich dann zur Flucht entschlossen, was als maximal vorhandene Introspektions- und Steuerungsfähigkeit zu bewerten sei. Damit einhergehend sei auch sein gesamtes Tatnachverhalten von kontrollierten und überlegten Elementen gekennzeichnet gewesen.
129VI.
130Im Rahmen der Strafzumessung hat die Kammer für beide Taten den Regelstrafrahmen des §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt und ist mithin von einem Strafrahmen in Höhe von 6 Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe ausgegangen.
131Die Annahme eines minder schweren Falles kam unter Berücksichtigung der insoweit gebotenen Gesamtschau aller tat- und täterbezogenen Umstände im Hinblick auf das jeweilige Tatbild, insbesondere das Ausmaß der vom Angeklagten eingesetzten Gewalt, da er wiederholt auf beide Geschädigte schoss, auch unter Berücksichtigung der nachfolgend dargestellten, zu seinen Gunsten sprechenden Strafzumessungserwägungen nicht in Betracht.
132Zugunsten des Angeklagten sprach sein weitgehendes Geständnis, auch wenn dieses, was den Verlauf seiner ehelichen Beziehung anbelangte, Bagatellisierungstendenzen erkennen ließ, ansonsten aber einer Art Lebensbeichte gleichkam, da er seinen unsteten, von Straffälligkeit und Drogenkonsum begleiteten Lebensweg offen beschrieb. Er formulierte zudem bezogen auf die von ihm verübten Taten glaubhaft Reue und ließ Empathie für die beiden Geschädigten erkennen. Für ihn sprach ferner, dass er sich vor der Tat seit Juli 2020 in einer für ihn nicht vorhersehbaren, krisenhaften Lebenssituation befand. Durch das tiefe Zerwürfnis mit seinem Sohn verlor er seine Wohnung und erfuhr in dem Prozess vor dem Essener Schöffengericht, dass der Nebenkläger ihn viele Monate lang hintergangen und belogen hatte. Durch dessen - wenn auch rechtlich legitime - Veräußerung der Eigentumsanteile an dem Haus der Großeltern wurde dem Angeklagten seine einzige legale, regelmäßige Geldeinnahmequelle und seine von ihm so empfundene Altersversorgung entzogen, sodass dieser durch das nicht mit ihm abgestimmte Verhalten nicht nur eine weitere, starke Kränkung erfuhr, sondern auch einen materiellen Verlust erlitt, der ihn faktisch zeitweilig in die Obdachlosigkeit trieb. Zudem hatte er durch den Verkauf der Wohnung neben seinem eigenen Rückzugsort auch die Option verloren, seine betagte Mutter wieder zu sich in den Haushalt aufnehmen und in Deutschland versorgen zu können. Letztlich hatte er im Tatzeitraum auch jeglichen Rückhalt seiner Ursprungsfamilie verloren. Bezogen auf den Tattag war zu seinen Gunsten zu gewichten, dass er bedingt durch die monatelang empfundene Kränkung und Wut innerlich stark erregt und durch den Konsum von Cannabis am Vormittag - wenn auch allenfalls leichtgradig - enthemmt war, als er auf seine Ehefrau und nachfolgend auf seinen Sohn traf, wenngleich weder die affektive Erregung noch der vorangegangene Cannabiskonsum seine Steuerungsfähigkeit i.S.v. §§ 20, 21 StGB erheblich einschränkte.
133Zulasten des Angeklagten sprach demgegenüber, dass er erheblich, seit 1986 immer wieder, strafrechtlich in Erscheinung getreten war und bereits wiederholt Strafhaft verbüßt hatte, wenn auch nicht auf der Grundlage von Verurteilungen wegen Körperverletzungs- oder ähnlich gelagerter, fremdaggressiver Delikte. Zu seinem Nachteil war ferner zu berücksichtigen, dass die abzuurteilende Tat den Endpunkt einer längeren Phase von Anfeindungen seines Sohnes und seiner geschiedenen Ehefrau darstellte, die er wiederholt verbal angegangen war und mit dem Leben bedroht hatte. Bereits durch dieses Verhalten vor dem Tatgeschehen hatte er beide Geschädigte in ihrem Alltag erheblich eingeschränkt, zumal dem Angeklagten die ohnehin labile psychische Konstitution seiner geschiedenen Ehefrau, die persönliche Kontakte zu ihm ablehnte, bekannt war. Gegen ihn sprachen zudem die Begleitumstände der Taten. Der Angeklagte lauerte mit großer Hartnäckigkeit seiner Ehefrau gezielt mit bereits ungesicherter Schusswaffe auf, um den Überraschungseffekt zu nutzen und ihr ein Ausweichen nahezu unmöglich zu machen. Entsprechend unvermittelt setzte er die Schusswaffe auch gegen seinen Sohn ein, sobald er ihn gewahr wurde und schoss auf beide Geschädigte wiederholt, die vor ihm in höchster Todesangst flohen.
134Zu seinen Lasten war entsprechend das Ausmaß der von seinem Sohn erlittenen Verletzungen zu berücksichtigen, die sämtlich, auch soweit sie durch die Flucht und den damit zusammenhängenden Sprung auf das Fahrzeugdach verursacht wurden, dem Angeklagten anzulasten waren. Der Geschädigte wird bleibende Narben zurückbehalten, die ihn immer wieder an das Tatgeschehen erinnern, und sich einem weiteren operativen Eingriff am Fuß unterziehen müssen. Nachteilig zu gewichten war auch, dass dieser in seinem Sicherheitsgefühl bis heute beeinträchtigt ist, auch wenn er das Tatgeschehen besser als seine Mutter verarbeitet zu haben scheint. Diese leidet psychisch schwer unter den Folgen der Tat, zumal sie schon in hohem Maße zuvor unter den Drohungen des Angeklagten und in der Ehe unter seinem unbeherrschten Verhalten gelitten hatte. Als besondere Belastung stellte sich für sie - und auch ihren Sohn - die lange Zeit bis zur Inhaftierung des Angeklagten dar, weil beide befürchteten, dass er ihnen erneut auflauern und sie töten werde. Tatbedingt ist die Zeugin Y, obwohl sie sich in therapeutischer Behandlung befindet, bis heute in der Führung ihres Alltags in starkem Maße eingeschränkt und meidet soziale Kontakte zu anderen Menschen. Präsent sind auch ihre Ängste, der Angeklagte werde sich nach seiner Haftentlassung an ihr und ihrem Sohn rächen. Gegen den Angeklagten sprach auch, dass er die Tat tagsüber im belebten öffentlichen Raum begangen hat, und damit nicht nur das Sicherheitsgefühl der angrenzenden Nachbarn, die Schussgeräusche wahrgenommen hatten, beeinträchtigte, sondern dass die Zeugin Z. als weitere, unbeteiligte Anwohnerin bis heute durch das Erlebte psychisch beeinträchtigt ist.
135Zu seinem Nachteil war ferner zu berücksichtigen, dass er einen weiteren Qualifikationstatbestand der gefährlichen Körperverletzung gem. § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht hat.
136Um die Schuld des Angeklagten und das Unrecht der von ihm begangenen beiden Taten angemessen zu ahnden, hielt die Kammer für jede Tat jeweils eine Freiheitsstrafe in Höhe von
137fünf Jahren und sechs Monaten
138für angemessen, aber auch unumgänglich, um der jeweiligen Tat und dem Unrechtsgehalt der Handlungsweise des Angeklagten gerecht zu werden.
139Aus den beiden vorbezeichneten Einzelstrafen hat die Kammer gem. §§ 53, 54 Abs. 1 S. 2 und 3, Abs. 2 StGB aufgrund einer erneuten zusammenfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Taten eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von
140acht Jahren
141gebildet.
142Dabei hat die Kammer insbesondere dem persönlichen, sachlichen und situativen Zusammenhang der Taten Beachtung geschenkt.
143VII.
144Die Voraussetzungen für eine Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 Abs. 1 StGB lagen nicht vor.
145Die Kammer folgt auch insoweit den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. UK. nach entsprechend eigener Prüfung.
146Diese hat einhergehend mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme nachvollziehbar dargelegt, dass beim Angeklagten seit vielen Jahren ein Abhängigkeitssyndrom durch THC und Kokain (ICD-10: F12.2, F14.2) vorgelegen habe, das die geforderten Kriterien eines Hanges aufweise, auch wenn er die Fähigkeit zur Kontrolle des Rauschmittelkonsums besessen habe und diesen immer wieder für längere Zeit, teilweise über Jahre hinweg, habe einstellen oder wesentlich einschränken können. Die beiden von ihm begangenen Taten seien ihren weiteren, überzeugenden Ausführungen nach von ihm jedoch weder im Rausch begangen worden, noch seien sie auf diesen Hang, Betäubungsmittel im Übermaß zu konsumieren, zurückzuführen. Ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang und den Anlasstaten bestehe nicht. Zutreffend verwies sie darauf, dass am Vormittag des Tattages der Angeklagte lediglich einen Joint geraucht habe und entsprechend eine forensisch relevante Intoxikation bei ihm sicher nicht vorgelegen habe. Eine allenfalls noch im Tatzeitpunkt verbliebene, gering gradig vorhandene Berauschung habe sich ebenfalls nicht in einer relevanten Form auf seinen Handlungsentschluss ausgewirkt. Handlungsleitend sei vielmehr der seit Monaten schwelende Konflikt zwischen ihm und seinem Sohn gewesen, in den er seine geschiedene Ehefrau mit einbezogen habe. Dieser tatauslösende Konflikt sei keinesfalls symptomatischer Ausdruck des Hanges, sondern sei herzuleiten aus der Kernthematik des aus Sicht des Angeklagten erlittenen massiven Unrechts, das ihm seinem Empfinden nach sein Sohn zugefügt habe. An dieser Wahrnehmung und den damit verbundenen Affekten habe sich - wie sich in der Hauptverhandlung auch für die Kammer anschaulich zeigte - auch nach Monaten der Abstinenz nichts geändert, sondern beides bestehe fort, selbst wenn der Angeklagte sich heute von seiner Tat distanziere und eine gewisse Empathie für die Opfer zeige. Sein Hang habe daher die spezifische Form der Reaktion nicht verursacht oder mit bestimmt, zumal auch unter Berücksichtigung seiner erheblichen Vorstrafen aus seiner Vergangenheit sich nicht ableiten lasse, dass er nach dem Konsum von Rauschgift oder Alkohol aggressiv reagiere. Die wenigen bekannt gewordenen Fälle von tätlichen Aggressionen im Juni 2020 bzw. innerhalb des langjährig zurückliegenden Verhältnisses zur geschiedenen Ehefrau stünden ebenfalls grundlegend in einem Kontext zu dem jeweils konfliktbehafteten Verlauf innerhalb der familiären Strukturen. Entsprechend bestehe auch keine Gefahr, dass er infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten, etwa in Form von Gewaltdelikten, begehen werde. Soweit er durch Straftaten seinen Lebensunterhalt bestritten habe, handele es sich insoweit nicht um Beschaffungskriminalität im eigentlichen Sinne, die er aufgrund eines Suchtdrucks handelnd und damit infolge seines Hanges begangen habe. Diese Taten seien vielmehr Ausdruck der dissozialen Anteile in seiner Persönlichkeitsstruktur, aufgrund derer er sich zu einem entsprechenden Lebenswandel entschlossen habe, innerhalb dessen es dann, lebensbegleitend und teils passager, immer wieder zu einem regelmäßigen Rauschgiftkonsum gekommen sei.
147Diesen, von der Kammer nachvollzogenen und geteilten Erwägungen der Sachverständigen steht nicht entgegen, dass sie darüber hinaus auf Fragen der Verteidigung darlegte, dass der Angeklagte grundsätzlich von einer therapeutischen Behandlung seiner Suchtproblematik profitieren würde.
148Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465, 472 Abs.1 Abs. 1 StPO.