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Zu den Anforderungen an die Person des Vertrauens im Sinne von § 429 II Nr. 3 FamFG
Unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wird festgestellt, dass die Haft des Betroffenen vom 29.06.2021 bis 09.07.2021 rechtswidrig war.
Notwendige Auslagen des Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren werden der Antragstellerin zu 50 % auferlegt.
Gründe
2I.
3Der am 02.11.1993 geborene Betroffene, der kurdischer Volkszugehörigkeit ist, heiratete in der Türkei am 10.03.2015 die deutsche Staatsangehörige L B. Am 16.09.2015 reiste er mit einem Visum zur Familienzusammenführung von Istanbul nach Deutschland.Seine damalige Ehefrau erstattete am 20.12.2015 Strafanzeige gegen den Betroffenen wegen schwerer Körperverletzung. Am 05.02.2016 beantragte sie einstweiligen Rechtsschutz nach dem Gewaltschutzgesetz und stellte einen Strafantrag wegen Nötigung und Bedrohung. Die Ehe wurde Anfang 2017 rechtskräftig geschieden.Der Antrag des Betroffenen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde mit Bescheid vom 18.03.2016 abgelehnt. Daraufhin beantragte er Asyl. Er wurde der Stadt S zugewiesen. Am 20.05.2017 wurden der Antrag, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus abgelehnt. Der Betroffene wurde aufgefordert, Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe zu verlassen. Widrigenfalls wurde seine Abschiebung angedroht. Das gesetzliche Einreise-und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate befristet. Die hiergegen von dem anwaltlich vertretenen Betroffenen erhobene Klage wies das VG Düsseldorf am 11.10.2019 – rechtskräftig seit dem 05.12.2019 – zurück (vgl. Asylfolgeantrag vom 05.07.2021, S. 2 = Bl. 784 Ausländerakte).Am 07.02.2020 erklärte der Betroffene, seiner Ausreiseverpflichtung nicht freiwillig nachkommen zu wollen (Bl. 457 Ausländerakte).Die Abschiebung wurde organisiert und der Rückführungstermin wurde dem Betroffenen unter dem 10.09.2020 mitgeteilt. Die für den 05.10.2020 geplante Abschiebung konnte nicht stattfinden, weil der Betroffene nicht angetroffen wurde. Die sodann für den 26.10.2020 organisierte Abschiebung scheiterte aus denselben Gründen. Der Betroffene wurde am 23.10.2020 als unbekannt verzogen amtlich abgemeldet. Da er sich nach Frankreich abgesetzt haben sollte, wurde er zur Fahndung ausgeschrieben.Ein für den 17.11.2020 vereinbarter Termin bei der Antragstellerin wurde von dem Betroffenen nicht wahrgenommen.Unter dem 19.11.2020 beantragte er eine Beschäftigungsduldung.Eine für den 09.12.2020 geplante Flugabschiebung scheiterte wiederum daran, dass der Betroffene unbekannten Aufenthaltes war.Am 02.06.2021 teilte die Polizei der Antragstellerin mit, sie habe den anonymen Hinweis erhalten, dass sich der Betroffene seit seiner Kenntnis über die bevorstehende Abschiebung bei einer Familie S in der F-Straße in V aufhalte. Die betreffende Wohnung wurde am 23.06.2021 durchsucht, der Betroffene vorgefunden und dem Polizeigewahrsam zugeführt.Am selben Tag hat die Antragstellerin beantragt, den Betroffenen zur Sicherung der Abschiebung – hilfsweise per einstweiliger Anordnung – bis zum 14.07.2021 in Haft zu nehmen.Fluchtgefahr liege vor. Es bestehe eine vollziehbare Ausreisepflicht. Die Abschiebung sei angedroht worden. Die Ausreisefrist sei abgelaufen und der Betroffene habe ausdrücklich erklärt, dieser Verpflichtung nicht freiwillig nachzukommen. Der Betroffene sei mindestens seit dem 23.10.2020 unbekannten Aufenthaltes. Trotz entsprechender Belehrung habe der Betroffene den Wechsel seines Aufenthaltsortes nicht angezeigt. Zudem habe er sich bereits in der Vergangenheit Abschiebungen entzogen. Die Sicherungshaft sei verhältnismäßig. Die Abschiebung könne innerhalb von drei Wochen erfolgen. Es bestehe ein Rückübernahmeabkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Der danach erforderliche Nachweis der Staatsangehörigkeit des Betroffenen sei in Form eines gültigen Reisepasses geführt. Nicht bereits eingestellte Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen bestünden nicht. Der den Betroffenen vertretende Rechtsanwalt sei über die Inhaftierung informiert worden.Das Amtsgericht hat den Betroffenen ebenfalls noch am 23.06.2021 persönlich angehört, der angekündigt hat, einen Asylfolgeantrag stellen zu wollen (Bl. 140-141 GA).Mit dem angefochtenen Beschluss vom selben Tag hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen Sicherungshaft bis zum 14.07.2021 angeordnet und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung bestimmt (Bl. 143 ff. GA).Mit am 29.06.2021 bei dem Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die „Person des Vertrauens“ beantragt, die Haft aufzuheben und festzustellen, dass die Haft ab Eingang dieses Schreibens rechtswidrig sei, sowie im Falle einer Haftentlassung das Verfahren als solches nach § 62 FamFG fortzusetzen (Bl. 148 GA).Mit Beschluss vom 01.07.2021 hat das Amtsgericht die Person des Vertrauens zugelassen (Bl. 158 GA).Der Betroffene wurde am 09.07.2021 zwecks Durchführung eines weiteren Asylverfahrens aus der Haft entlassen (Bl. 187-188 in GA).Am 12.07.2021 hat die Person des Vertrauens den Antrag auf Aufhebung der Haft begründet (Bl. 165 ff. GA).Der Haftantrag würde den gesetzlichen Anforderungen nicht genügen. Die vom BAMF erlassene Abschiebungsandrohung liege nicht vor, weil dem Betroffenen der Beschluss des VG Düsseldorf nicht zugegangen sei. Die Durchführbarkeit der Abschiebung sei nicht dargelegt. Warum die Abschiebung drei Wochen dauern solle, sei nicht ersichtlich. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs sei verletzt worden. Zumindest die wesentlichen Teile des Haftantrages hätten vor Beginn der Anhörung ausgehändigt werden müssen. Zu dem Haftantrag würden auch die Anhänge gehören, die nicht übersetzt worden seien. Eine Beiziehung der Ausländerakte sei nicht dokumentiert. Im Hauptantrag sei ausdrücklich erklärt worden, dass der Betroffene anwaltlich vertreten werde. Eine Ladung des Rechtsanwaltes sei dennoch nicht erfolgt. Welche Form von Fluchtgefahr nach § 62 IIIa und IIIb AufenthG vorliegen solle, sei nicht angegeben worden. Der erforderliche Hinweis auf die Folgen einer Verletzung der Pflicht nach § 50 IV AufenthG sei dem Betroffenen nicht in seine Sprache, nämlich Kumanci, übersetzt worden. Schließlich sei dem Betroffenen der Abschiebetermin nicht vorab mitgeteilt worden.Mit Schriftsatz vom 13.07.2021 hat die Person des Vertrauens weiter beantragt festzustellen, dass der Betroffene in dem Zeitraum seiner Festsetzung durch die Ausländerbehörde bis zum Zeitpunkt der Vorführung vor dem Amtsgericht in seinen Rechten verletzt worden sei (Bl. 173-174 GA).Die Freiheitsentziehung erfordere grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. Die Ausländerbehörde habe damit gerechnet, den Betroffenen bei der Durchsuchung aufzufinden. Der vorhergehende Erlass eines Haftbeschlusses sei jedoch nicht veranlasst worden.Die Antragstellerin hat in ihrer Stellungnahme zu den dargestellten Anträgen nahezu ausnahmslos Bezug auf ihren Haftantrag genommen (Bl. 193 GA).Mit Beschluss vom 17.08.2021 hat das Amtsgericht den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung als unbegründet zurückgewiesen (Bl. 194 ff. GA). Die Behörde habe nicht sicher davon ausgehen können, den Betroffenen bei der Durchsuchung anzutreffen. Die Dauer der angeordneten Haft sei nicht unverhältnismäßig. Anzeichen dafür, dass eine Abschiebung in die Türkei im Sommer 2021 nicht möglich sein würde, habe es nicht gegeben. Die Ausländerakte habe von dem Abteilungsrichter im Termin eingesehen werden können. Dem Betroffenen sei der Antrag im Vorfeld seiner Anhörung übersetzt worden. Er habe sich eines Beistandes bedient, der auch kritische Nachfragen gestellt habe. Mit dem im Antrag der Ausländerbehörde genannten Rechtsanwalt sei vor der Anhörung Kontakt aufgenommen worden. Es sei erklärt worden, er werde nicht am Termin teilnehmen.Gegen diesen Beschluss hat die Person des Vertrauens am 31.08.2021 Beschwerde eingelegt (Bl. 199 GA).Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 02.09.2021 nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht Wuppertal als Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 201 GA).Die Kammer hat die Ausländerakte des Betroffenen beigezogen.
4II.
5Die zulässige Beschwerde hat in der Sache nur im aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.Der Zulässigkeit der Beschwerde im Allgemeinen steht nicht entgegen, dass erhebliche Zweifel daran bestehen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich Person des Vertrauens im Sinne von § 429 II Nr. 3 FamFG ist. Zwar ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich derjenige Person des Vertrauens, um dessen Beteiligung der Betroffene bittet (BGH, XIII ZB 82/19, juris). Diese Auffassung dürfte jedoch angesichts der Gesetzesbegründung viel zu weit gehen. Vertrauensperson dürfte vielmehr nur derjenige sein, der zu dem Betroffenen in einer persönlichen Nähebeziehung steht (LG Kleve, zitiert bei Keidel/Göbel, 20. Aufl. 2020, FamFG § 418 Rn. 6). Denn der Gesetzgeber wollte dem Gericht die Möglichkeit geben, einen getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner, entferntere Angehörige sowie sonstige Personen, mit denen der Betroffenen eng verbunden ist, zum Verfahren hinzuzuziehen, wenn dies dem Interesse des Betroffenen dient (BeckOK FamFG/Günter, 39. Ed. 1.7.2021 Rn. 8, FamFG § 418 Rn. 8). Um den Kreis der kraft Hinzuziehung am Verfahren zu beteiligenden Personen allerdings nicht endlos ausufern zu lassen und um Missbräuchen entgegenzuwirken, scheiden solche Personen aus, die sich nicht auf eine nachvollziehbar dargelegte enge persönliche Beziehung zum Betroffenen und ein daraus folgendes eigenes ideelles Interesse am Ausgang des Verfahrens berufen können (MüKoFamFG/Wendtland, 3. Aufl. 2019 Rn. 9, FamFG § 418 Rn. 9). Vorliegend handelt es sich bei dem Beschwerdeführer gerichtsbekannt um jemanden, der – wenn auch unentgeltlich – geradezu geschäftsmäßig und unter Verstoß gegen §§ 1 I, 6 II 1 RDG Menschen vertritt, die als Ausländer unter anderem abgeschoben werden sollen. Ein aus einer engen persönlichen Beziehung herrührendes Interesse ist deshalb nicht ersichtlich, sondern von einem politischen oder ethischen Interesse auszugehen, das im gegebenen Zusammenhang nicht ausreichen kann. Bezeichnenderweise ist der „Person des Vertrauens“ die gegenwärtige Anschrift des Betroffenen nach eigenen Angaben nicht bekannt.Die aufgeworfene Frage kann aber letztlich dahinstehen, weil das Amtsgericht den Beschwerdeführer ausdrücklich als Person des Vertrauens zugelassen hat (Bl. 158 GA).
61. Feststellungsantrag betreffend den Gewahrsam des Betroffenen bis zum Zeitpunkt der Vorführung vor dem Amtsgericht
7Der Antrag ist gemäß § 62 FamFG zulässig (vgl. BVerfG, 2 BvR 2470/17, juris) und auch fristgerecht im Sinne von § 63 FamFG erhoben worden.In der Sache bleibt er ohne Erfolg. Nach § 62 V 1 AufenthG kann die für den Haftantrag zuständige Behörde einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn
81.
9der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 3 Satz 1 besteht,
102.
11die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
123.
13der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
14a)
15Der Beschwerdeführer stützt seine Auffassung der Rechtswidrigkeit des Gewahrsams darauf, dass eine vorherige richterliche Anordnung erforderlich gewesen wäre. Das trifft jedoch nicht zu.Das Bundesverfassungsgericht hat in einem vergleichbaren Fall ausgeführt:Für die Frage, ob der Zweck der Freiheitsentziehung bei Abwarten einer richterlichen Entscheidung nicht erreicht werden kann und daher die Freiheitsentziehung ausnahmsweise ohne vorherige gerichtliche Anordnung erfolgen darf, ist auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Freiheitsentziehung abzustellen. Daraus folgt, dass von der Ausländerbehörde konkret geplante Freiheitsentziehungen regelmäßig einer vorherigen richterlichen Anordnung bedürfen und Vollzugsbeamte der Polizei, die von der Ausländerbehörde gebeten worden sind, einen Ausländer im Wege der Amtshilfe in Gewahrsam zu nehmen, sich regelmäßig nicht mit Erfolg darauf berufen können, dass zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung eine richterliche Anordnung nicht mehr rechtzeitig eingeholt werden könne.
16Anders liegt der Fall, wenn ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer untertaucht und infolgedessen für die zu diesem Zeitpunkt zuständige Ausländerbehörde nicht mehr greifbar ist. Dann ist nicht absehbar, ob später die Abschiebungshaftvoraussetzungen vorliegen und welche Behörde gegebenenfalls für eine Ingewahrsamnahme zuständig sein wird; eine Festnahme im Falle des Aufgreifens des betroffenen Ausländers kann lediglich abstrakt geplant sein, da weder Aufgriffsort noch -zeitpunkt abgeschätzt werden können. Ein untergetauchter, vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer kann daher bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 62 IV AufenthG zum Zwecke der Vorführung vor den Haftrichter ohne Verstoß gegen Art. 104 II 1 GG durch die Exekutive in Gewahrsam genommen werden (BVerfG, 2 BvR 475/09, NVwZ 2009, 1034, beck-online).Diese Argumentation macht sich die Kammer zu Eigen. Der Betroffene war seit mindestens Herbst 2020 unbekannten Aufenthaltes und vollziehbar ausreisepflichtig. Dass er tatsächlich bei der Durchsuchung angetroffen werden würde, war nur möglich, aber nicht hinreichend sicher, zumal nur ein anonymer Hinweis vorlag.Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die Polizei den Betroffenen nicht ohnehin zur Vermeidung einer Straftat nach § 95 I Nr. 2, 6a und 7 AufenthG aus Gründen der Gefahrenabwehr nach Polizei- und Ordnungsrecht in Gewahrsam nehmen durfte (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 2 W 207/02, juris).
17b)
18aa)
19Die Voraussetzungen des § 62 III AufenthG, nämlich Fluchtgefahr, Betroffener vollziehbar ausreisepflichtig und ergangene Abschiebungsanordnung lagen vor.Nachdem die Klage des Betroffenen gegen den Bescheid des BAMF vom 20.05.2017 (Bl. 320 ff. Ausländerakte) rechtskräftig abgewiesen worden war, war seine Ausreisepflicht gemäß § 58 II 2 AufenthG vollziehbar. In dem genannten Bescheid war die Abschiebung gemäß § 59 I 1 Aufenthaltsgesetz angedroht worden. Fluchtgefahr bestand, weil sich der Betroffene bereits mehrfach Abschiebungen entzogen hatte und trotz entsprechender Belehrung (Bl. 452 Ausländerakte) seinen weisungswidrig geänderten Aufenthaltsort nicht angezeigt hatte.Soweit der Beschwerdeführer beanstandet hat, dass die Belehrung einem Betroffenen, der Deutsch nicht beherrsche, in eine Sprache zu übersetzen sei, die er beherrsche, und dass der Betroffene die Sprache Kumanci spreche, greift dies nicht durch. Der Beschwerdeführer versucht damit zu suggerieren, der Betroffene verstehe kein Türkisch. Abgesehen davon, dass das Goethe-Institut dem Betroffenen schon 2015 ausreichende Deutschkenntnisse attestiert hatte (Bl. 12 Ausländerakte), behauptet der Beschwerdeführer nicht ausdrücklich, dass der Betroffene kein Türkisch verstehe. Dies unterlässt er offenbar auch bewusst, ergibt sich doch aus der Niederschrift über die Anhörung im Asylverfahren vom 04.11.2016, dass diese in der Sprache Türkisch durchgeführt wurde und der Betroffene auf Nachfrage bestätigte, dass er sich mit dem Sprachmittler verständigen könne (Bl. 330 Ausländerakte).
20bb)
21Es bestand der begründete Verdacht, dass sich der Betroffene der Anordnung der Sicherungshaft entziehen wolle. Denn er hatte am 07.02.2020 erklärt, seiner Ausreiseverpflichtung nicht freiwillig nachkommen zu wollen und war seit mindestens 23.10.2020 unbekannten Aufenthaltes, obwohl er entsprechend belehrt worden war, den Wechsel seines Aufenthaltsortes anzuzeigen.
222. Feststellungsantrag betreffend die Haft des Betroffenen vom 27.06.2021 bis 09.07.2021
23Der Antrag ist gemäß §§ 62 und 63 FamFG zulässig. Er ist in der Sache auch begründet. Es lag kein in jeder Hinsicht ausreichend begründeter Haftantrag im Sinne von § 417 Abs. 2 S. 2 FamFG vor. Für die Bemessung der insofern einzuhaltenden Begründungsdichte ist die Bedeutung des Freiheitsgrundrechtes maßgeblich, ohne dass praxisferne überzogene Anforderungen gestellt werden dürfen, die letztlich auf eine Vereitelung jeglicher Durchsetzung der Verlassenspflichten hinauslaufen.Die beantragte Dauer der Freiheitsentziehung muss unter Berücksichtigung der in § 62 III 3 und IV AufenthG genannten Höchstfristen sowie des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit begründet werden (vgl. Budde, a.a.O., Rdn. 17). Das ist hier unter Zugrundelegung der Meinung des BGH nicht hinreichend erfolgt. Der BGH (XIII ZB 63/20, Rn. 7, juris) hat unlängst ausgeführt: Die Angabe im behördlichen Antrag vom 12. Februar 2020, die Vorlaufzeit für eine Flugbuchung liege nach Auskunft der Zentralstelle für Flugabschiebungen des Landes Nordrhein-Westfalen bei vier Wochen, genügt den Anforderungen des § 417 Abs. 2 Nr. 4 FamFG grundsätzlich nicht. Es bedarf vielmehr einer Begründung, die den für die Flugbuchung benötigten Zeitraum und die daraus folgende notwendige Haftdauer erklärt, etwa durch Angaben zu Terminen und zur Frequenz nutzbarer Flugverbindungen und zur Buchungslage. Der Zeitraum von der Festnahme des Betroffenen bis zum Tag der geplanten Abschiebung war mit mehr als vier Wochen nicht so kurz, dass sich ihre Notwendigkeit unter den gegebenen Umständen - für den Betroffenen lag ein gültiges Passersatzpapier vor, es war ein Flug ohne Sicherheitsbegleitung geplant - von selbst verstünde.
24Auch wenn die seitens der obergerichtlichen Rechtsprechung aufgestellten, insbesondere formellen Anforderungen, bedenklich im Hinblick auf ihre Erfüllbarkeit durch die unter erheblichem Zeitdruck arbeitenden Behörden sind, schließt sich die Kammer dieser Rechtsprechung aus Gründen der Rechtssicherheit an.Das führt hier zu dem Ergebnis eines unzureichenden Haftantrages. Der Betroffene hat einen Reisepass und eine Sicherheitsbegleitung war nicht vorgesehen. Zwischen Deutschland und der Türkei bestehen gerichtsbekannt zahlreiche Flugverbindungen. Dass hier nicht ein Zeitraum von „mehr als vier Wochen“, sondern vom 23.06.2021 bis zum 14.07.2021 angegeben worden ist, ist unerheblich. Auch 22 Tage (und nicht bloß drei Wochen) sind nach der zitierten Rechtsprechung nicht so kurz, als dass sich ihre Notwendigkeit von selbst verstünde.Allerdings hatte die Antragstellerin vorsorglich hilfsweise den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und diese hätte ergehen können.Nach § 427 I FamFG kann das Gericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Freiheitsentziehung anordnen, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Freiheitsentziehung gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Die vorläufige Freiheitsentziehung darf die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten. Das Gericht muss aufgrund der bis zum Zeitpunkt der Entscheidung getroffenen Feststellungen (vorläufig) davon überzeugt sein, dass mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die materiellen Voraussetzungen für die beantragte Freiheitsentziehungsmaßnahme vorliegen (BeckOK FamFG/Günter, 39. Ed. 1.7.2021 Rn. 3, FamFG § 427 Rn. 3). Erforderlich ist, dass die Begründung des Antrags die Ausreisepflicht des Betroffenen sowie den Haftgrund näher darstellt, während hinreichender Vortrag insbesondere zur Durchführbarkeit der Abschiebung innerhalb des Haftzeitraums von drei Monaten unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Verfahrensabwicklung der konsularischen Vertretung des jeweiligen Zielstaates einschließlich der Erteilung einer ggf. erforderlichen Zustimmung der Staatsanwaltschaft auch noch sollte nachgereicht werden können (Keidel/Göbel, 20. Aufl. 2020 Rn. 10, FamFG § 427 Rn. 10).Das Amtsgericht hätte danach zwar auf die dargestellte – nach der obergerichtlichen Rechtsprechung – unzureichende Begründungsdichte hinweisen und eine kurze Frist zur Abhilfe setzen sowie die Haft bis zum Ablauf dieser Frist per einstweiliger Anordnung beschließen können. Diese Frist wäre aber am 27.06.2021 bereits abgelaufen gewesen. Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 427 I 2 FamFG, wonach die vorläufige Freiheitsentziehung die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten darf. Denn hierbei handelt es sich nicht um eine Frist, die ohne weiteres ausgeschöpft werden darf. Vielmehr ist, gegebenenfalls nach Rücksprache mit der antragstellenden Behörde im Anhörungstermin, ein angemessener Zeitraum zu bestimmen, innerhalb dessen es der Behörde möglich ist, den Begründungsmangel abzustellen (vergleiche Budde in: Keidel, FamFG, 19. Aufl., § 427, Rn. 16; Heiderhoff in: Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, 3. Aufl. 2018, § 333 FamFG, Rn. 3; OLG Karlsruhe, 20 WF 112/01, juris: „… reicht der von dem Senat festgelegte Zeitraum bis zum … aus, um die für die endgültige Unterbringungsmaßnahme erforderlichen Voraussetzungen abzuklären“). Im Entscheidungsfall hätte es der Behörde möglich sein müssen, die erforderliche Haftdauer innerhalb von drei Tagen konkret zu begründen.Von daher bedarf es auch keiner Entscheidung, ob das Beschwerdegericht überhaupt eine mit der Beschwerde angefochtene Hauptsacheentscheidung als einstweilige Anordnung aufrecht erhalten darf, wofür allerdings vieles spricht.Der BGH hat zwar ausgeführt: Das Beschwerdegericht ist nicht befugt, eine tatsächlich im Hauptsacheverfahren ergangene Entscheidung des Amtsgerichts nachträglich als eine einstweilige Anordnung oder einen im Wege der einstweiligen Anordnung getroffenen Beschluss nachträglich als Hauptsachentscheidung anzusehen. Durch einen solchen Wechsel von der einen in die andere Verfahrensart würde die vom Gesetzgeber angeordnete Unterscheidung von Hauptsacheverfahren und einstweiligen Anordnungsverfahren, für die jeweils unterschiedliche Voraussetzungen gelten, missachtet. Zudem würde auch die Regelung des § 70 Abs. 4 FamFG unterlaufen (BGH, Beschluss vom 16. September 2015 – V ZB 40/15 –, Rn. 9, juris).Doch vermag diese Rechtsprechung nicht zu überzeugen. Indem die Beschwerdekammer die in der Hauptsache ergangene Entscheidung des Amtsgerichts als solche im Wege einer einstweiligen Anordnung aufrechterhält, wird die ursprüngliche Entscheidung nicht als einstweilige Anordnung angesehen.Hat das Amtsgericht einen Antrag auf Genehmigung einer Unterbringung nach Betreuungsrecht oder PsychKG zu prüfen, kann ihm durch den Antragsteller nicht vorgegeben werden, ob es im Wege der Hauptsachenentscheidung oder im Wege der einstweiligen Anordnung entscheidet. Das hängt allein vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ab.Werden die formellen und materiellen Voraussetzungen für den Erlass eines Beschlusses, durch den eine beantragte Genehmigung einer Unterbringung im Wege der Hauptsache einerseits und im Wege einer einstweiligen Anordnung andererseits miteinander verglichen, so zeigt sich, dass sämtliche Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgesehen von der spezifischen Eilbedürftigkeit und einer anderen zeitlichen Begrenzung auch für den Erlass einer Entscheidung in der Hauptsache vorliegen müssen, wobei letztere aber weitergehende Voraussetzungen aufstellt. Von daher ist es gerechtfertigt, die einstweilige Anordnung als minus und nicht als aliud im Vergleich zu einer Hauptsacheentscheidung anzusehen. Die Rechtsprechung des BGH berücksichtigt zudem nicht, dass das Beschwerdegericht, wie der BGH auch sonst stets hervorhebt, eine weitere vollständige Tatsacheninstanz ist. Hat das Amtsgericht hinsichtlich eines Antrages auf Genehmigung einer Unterbringung die formellen Voraussetzungen für eine Hauptsacheentscheidung als gegeben angesehen, liegen nach der Auffassung der aufgrund einer Beschwerde des Betroffenen mit der Sache befassten Beschwerdekammer aber – nur – die formellen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vor, dann muss die Kammer als Tatsacheninstanz eine solche auch erlassen können. Zum einen dient die Einhaltung des Verfahrensrechtes nicht einem Selbstzweck, sondern soll Gewähr für die Vermeidung willkürlicher Entscheidungen bieten, wie von Ihering (in: Der Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. 2. Teil, 2. Abteilung. 2. Auflage. Breitkopf und Härtel, Leipzig 1869, S. 456) schon ausgeführt hat: „Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält der Verlockung der Freiheit zur Zügellosigkeit das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zerstreue, verlaufe, sie kräftigt sie nach innen, schützt sie nach außen. Feste Formen sind die Schule der Zucht und Ordnung und damit der Freiheit selber und eine Schutzwehr gegen äußere Angriffe, – sie lassen sich nur brechen, nicht biegen.“[ Zum anderen geschieht dem Betroffenen kein Unrecht, wenn sowohl die materiellen als auch die formellen Voraussetzungen für den Erlass der betreffenden einstweiligen Anordnung vorliegen.Schließlich kann das Verschlechterungsverbot dem auch nur im Ansatz entgegengehalten werden. Indem eine Hauptsachenentscheidung eingeschränkt (siehe oben) als einstweilige Anordnung aufrecht erhalten wird, kommt § 70 IV FamFG zur Anwendung, sodass die ursprünglich als weiterer statthafter Rechtsbehelf in Betracht kommende Rechtsbeschwerde nunmehr grundsätzlich ausgeschlossen wird. Dieses Problem lässt sich jedoch zum einen durch eine einschränkende Auslegung des § 70 IV FamFG und zum anderen durch die Zulassung einer Rechtsbeschwerde, jedenfalls solange der Bundesgerichtshof bei seiner bisherigen Auffassung bleibt, lösen.
25III.
26Eine nochmalige persönliche Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren war nicht geboten, da diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurde und von einer erneuten Vornahme unter Berücksichtigung des Inhaltes der Beschwerde keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind (§ 68 Abs. 3 FamFG).
27IV.
28Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 I 1 und 2, 83 II, 430 FamFG, Art. 5 V EMRK analog.
29V.
30Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde zugunsten der Antragstellerin zugelassen, da der BGH, soweit ersichtlich, bislang nicht entschieden hat, ob ein Haftantrag unzureichend begründet ist, der ohne nähere Ausführungen eine Haftdauer von drei Wochen (bzw. 22 Tagen) als erforderlich erachtet.
31VI.Rechtsmittelbelehrung:
32Gegen diesen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft. Sie ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe (Her-renstraße 45 a, 76133 Karlsruhe) einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und die Erklärung enthalten, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwer-de eingelegt werde. Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben und so-dann, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat, beginnend mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses, zu begründen. Die Rechtsbeschwerde kann nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden.Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. I, S.3803) eingereicht werden. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.