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Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lippstadt (41 XIV (L) 397/23 A) vom 07.12.2023 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Der Betroffene ist aufgrund Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts I vom 11.09.2023 (…) gemäß § 126a StPO im LWL-Zentrum für forensische Psychiatrie M untergebracht. Er leidet an einer paranoiden Schizophrenie.
4Der Betroffene wird durch den Beteiligten zu 3) gesetzlich betreut. Der Aufgabenkreis ist der Kammer nicht bekannt.
5Der Beteiligte zu 2) hat mit Antragsschrift vom 05.12.2023 (Bl. 1-16 d.A.) bei dem Amtsgericht Lippstadt die vorherige gerichtliche Genehmigung der Zwangsbehandlung des Betroffenen mit einer Injektion Olanzapin (Zyphadera) 300-405 mg intramuskulär alle 14 Tage nach vorheriger Überprüfung der Verträglichkeit durch Gabe von Olanzapin 10 mg i.m. über drei Tage und bei Unverträglichkeit oder unzureichender Wirkung im Wechsel mit Haldol-Decanoat 100-150 mg i.m. alle 14 Tage nach Überprüfung der Verträglichkeit durch Gaben von Haloperidol 5 mg i.m. über drei Tage beantragt. Die Durchführung der Zwangsbehandlungsmaßnahme solle zum nächstmöglichen Zeitpunkt für zunächst längstens sechs Wochen erfolgen.
6Zur Begründung hat er ausgeführt, die beabsichtigte medizinische Zwangsbehandlung sei zum Wohl des Betroffenen rechtmäßig, insbesondere geeignet, erforderlich und angemessen. Der Beteiligte zu 3) habe in die Zwangsmedikation eingewilligt. Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 10 StrUG NRW i.V.m. § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 BGB lägen vor. Wegen der weiteren Begründung wird auf die vorbezeichnete Antragsschrift Bezug genommen.
7Das Amtsgericht Lippstadt hat mit Beschluss vom 07.12.2023 (Bl. 17-20 d.A.) den Antrag des Beteiligten zu 2) zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antrag sei unzulässig. Die in Rede stehende Zwangsbehandlung richte sich nach „§ 1823 BGB“ (gemeint ist wohl § 1832 BGB). Die gerichtliche Genehmigung sei „gem. § 832 Absatz 2 BGB“ (gemeint ist wohl § 1832 Absatz 2 BGB) vom gesetzlichen Betreuer zu beantragen, nicht vom Antragsteller. Gemäß § 10 Abs. 10 StrUG gelte für vorläufig Untergebrachte § 1832 BGB. Der Wortlaut der Regelung sei eindeutig und sehe die einschränkungslose Geltung der Bestimmung vor. Dies ergebe sich daraus, dass im Gesetzgebungsverfahren der Verein B e.V. in seiner Stellungnahme die ursprünglich geplante Formulierung „richtet sich nach“ als nicht hinreichend konkret moniert und zur Klarstellung den Begriff „gelten“ vorgeschlagen habe, wie er auch in der Endfassung übernommen worden sei. § 12 Abs. 3 StrUG konkretisiere die Reichweite des § 1832 BGB für ärztliche Zwangsmaßnahmen dahin, dass die Geltung des § 1832 BGB die Zulässigkeit und Durchführung ärztlicher Zwangsmaßnahmen umfasse. Diese Formulierung sei als eine generelle Verweisung auf das Betreuungsrecht einschließlich der Verfahrensvorschriften zu verstehen. Diese Formulierung sei zwar in § 10 Abs. 10 StrUG nicht enthalten. Aus der Begründung der Landesregierung zum Gesetzesentwurf ergebe sich indes, dass sich die Zulässigkeit und Durchführung ärztlicher Zwangsmaßnahmen in der gleichen Weise wie in § 12 StrUG nach § 1832 BGB richteten.
8Zudem habe das dem StrUG vorausgegangene Maßregelvollzugsgesetz in § 35 die Anwendung von ärztlichen Zwangsmaßnahmen ausdrücklich für vorläufig Untergebrachte vorgesehen. § 10 Abs. 10 StrUG enthalte dagegen gerade nicht einen solchen Verweis, sondern ordne die Geltung des § 1832 BGB an.
9Die vom Antragsteller vorgenommene einschränkende Auslegung des § 10 Abs. 10 StrUG bestehe nicht. Das Rechtskonstrukt, wonach die Antragsbefugnis bei der Einrichtung liege und der Betreuer lediglich mitzuwirken habe, ergebe sich weder aus dem Wortlaut der Norm noch aus Sinn und Zweck oder der Natur der Sache.
10Wegen der weiteren Begründung wird auf den vorbezeichneten Beschluss Bezug genommen.
11Gegen diesen Beschluss, der ihm am 19.12.2023 zugestellt worden ist, wendet sich der Beteiligte zu 2) mit seiner am 27.12.2023 zunächst per Fax eingelegten Beschwerde vom 22.12.2023.
12Unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags führt der Beteiligte zu 2) in der Beschwerdeschrift, die er nach Hinweis der Kammer am 10.01.2024 in elektronischer Form erneut eingereicht hat (Bl. 44-50 d.A.), aus, der Beschluss weise durchgreifende Verfahrensmängel auf. Das Amtsgericht verkenne die Antragsbefugnis des Beteiligten zu 2). Diese folge aus § 10 Abs. 10 StrUG i.V.m. §§ 126 Abs. 5, 126a Abs. 2 StPO i.V.m. § 121b StVollzG i.V.m. §§ 7 Abs. 1, 8 Nr. 1, 9 Abs. 3 FamFG analog. Dies ergebe sich insbesondere nach systematischer und teleologischer Gesamtschau der anzuwendenden Vorschriften.
13§ 10 StrUG NRW bilde die spezielle Ermächtigungsgrundlage im psychiatrischen Maßregelvollzug für psychopharmakologische Zwangsbehandlungsmaßnahmen zur Herstellung der Selbstbestimmungsfähigkeit gegen den natürlichen Willen der untergebrachten Person. Sie enthalte sowohl spezielle materielle, als auch spezielle verfahrensrechtliche Voraussetzungen. Sie diene mittelbar dem Erreichen der Vollzugsziele aus §§ 2 StrUG, 63 StGB u.a.
14Das StrUG insgesamt gelte für den in § 1 StrUG NRW bestimmten Personenkreis, nach Maßgabe des § 1 Abs. 3 StrUG auch für den Vollzug einstweiliger Unterbringungen nach § 126a StPO mit einzelnen Besonderheiten.
15Antragstellerin und vollzugsbehördlich Verfahrensbeteiligte sei die Maßregelvollzugseinrichtung, die die ärztliche Maßnahme durchführen wolle. Dies folge aus § 10 Abs. 5 StrUG i.V.m. § 7 Abs. 1, 8 Nr. 3, 315 Abs. 3 FamFG. Vollzugsbehördlich unmittelbar zuständig sei die grundsätzlich vollzugsleitend zuständige therapeutische Einrichtungsleitung bzw. therapeutische Leitung einer therapeutisch selbständigen Abteilung der Vollzugseinrichtung, § 53 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 StrUG. Der Verweis in § 10 Abs. 5 StrUG auf §§ 121a, 121b StVollzG sei nur deklaratorischer Art. Aus der Regelung der §§ 121a, 121b StVollzG ergebe sich i.V.m. § 138 Abs. 4 StVollzG bereits deren verweisungsunabhängige, unmittelbare Anwendbarkeit auf landesvollzugsrechtliche Richtervorbehaltsmaßnahmen im Vollzug rechtskräftiger Unterbringungen nach §§ 63, 64 StGB.
16Für Zwangsbehandlungsmaßnahmen zur Herstellung der Selbstbestimmungsfähigkeit gegen den natürlichen Willen der einstweilig untergebrachten Person im Vollzug einstweiliger Unterbringung gemäß § 126a StPO enthalte § 10 Abs. 10 StrUG allerdings eine Sondervorschrift. Dabei handle es sich um einen eingeschränkten Rechtsgrundverweis nach § 1832 BGB.
17Anders als bei rechtskräftig nach § 63 StGB untergebrachten Personen bedürfe eine Zwangsbehandlungsmaßnahme nach § 10 StrUG gegen eine gemäß § 126a StPO einstweilige untergebrachte Person gemäß dessen Absatz 10 zwingend der Beteiligung einer bestellten, ggfs. zunächst zu bestellenden, Betreuungsperson. Die Vollzugseinrichtung habe mithin zunächst die Genehmigung, ggfs. Ablehnung der gesetzlichen Betreuungsperson zu der von der Vollzugseinrichtung beabsichtigten Zwangsbehandlungsmaßnahme einzuholen. Die Beantragung der richterlichen Erlaubnis erfolge aber ausschließlich durch die Vollzugseinrichtung unter Vorlage der Einwilligung der Betreuungsperson, ggfs. deren Ablehnung.
18Es handle sich nämlich auch hier um eine vollzugsbehördliche Zwangsmaßnahme – nämlich im Vollzug der einstweiligen Unterbringung –, die nunmehr „bloß“ auch der vorherigen Einwilligung der Betreuungsperson vor der abschließenden gerichtlichen Erlaubnisprüfung bedürfe. Ggfs. könne das Gericht die nicht erteilte Einwilligung der gesetzlichen Betreuungsperson auch ersetzen.
19Aus § 1832 BGB ergebe sich nicht unmittelbar die Erforderlichkeit einer Antragstellung durch den gesetzlichen Betreuer, diese folge – außerhalb des Maßregelvollzugs bzw. des Vollzugs einstweiliger Unterbringung – vielmehr aufgrund der verfahrensrechtlichen Vorschriften des FamFG, die an die materielle Rechtsgrundlage des § 1832 BGB anknüpfen.
20Im Vollzug der einstweiligen Unterbringung gemäß § 126a StPO ergäben sich, rechtlich vorrangig geregelt, verfahrensrechtlich abweichende Besonderheiten, die insbesondere zur Antragsbefugnis nur der Vollzugsbehörde sowie zur stets begründeten sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts für die Richtervorbehaltsentscheidung führten, in dessen Bezirk die Maßnahme durchgeführt werden solle.
21§ 126 Abs. 5 Satz 1 StPO bestimme als lex specialis die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts für vollzugsbehördliche Maßnahmen, die nach den Landesvollzugsgesetzen zur Untersuchungshaft bzw. einstweiligen Unterbringung einem Richtervorbehalt unterlägen. Das StrUG NRW sei das einschlägige Landesvollzugsgesetz für den Vollzug der einstweiligen Unterbringung. § 10 StrUG stelle, wenn auch i.V.m. – eingeschränkt – § 1832 BGB die vollzugsrechtliche Rechtsgrundlage einer dem Richtervorbehalt unterliegenden vollzugsrechtlichen Zwangsbehandlungsmaßname dar. § 126 Abs. 5 Satz 3 StPO führe dann, über den Verweis auf die entsprechende Anwendung des § 121b StVollzG zur ebenfalls nur entsprechenden Anwendung der für Unterbringungssachen nach § 312 Nr. 4 FamFG geltenden Bestimmungen, also nur im Übrigen.
22Durch die vorrangige bundesrechtliche Spezialnorm des § 126 Abs. 5 StPO würden also vollzugsrechtliche Richtervorbehaltsmaßnahmen der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit der Strafgerichtsbarkeit entzogen. Auch durch Verweis könne das StrUG keine die normenhierarchisch höherrangige bundesrechtliche Spezialvorschrift des § 126 Abs. 5 StPO abdrängende Gerichtszuständigkeit begründen.
23Daraus folge, dass auch in den Fällen, in denen bereits eine gesetzliche Betreuung durch ein anderes örtlich zuständiges Amtsgericht bestellt worden sei, insbesondere am Wohnort des Betroffenen vor der Unterbringung, dessen Zuständigkeit für vollzugsrechtliche Richtervorbehaltsmaßnahmen niemals gegeben sei.
24Die allein vollzugsbehördliche (klinische) Antragsbefugnis ergebe sich unter ergänzender Berücksichtigung des § 126 Abs. 5 StPO aus der Rechtsnatur der einstweiligen Unterbringung bzw. der gesetzlichen Ermöglichung von Zwangsbehandlungen zur Herstellung der Selbstbestimmungsfähigkeit bereits während der einstweiligen Unterbringung. Das auch eine derartige Zwangsbehandlung bereits während nur einstweiliger Unterbringung möglich sei, verstehe sich dabei angesichts der strafprozessualen Rechtsnatur der einstweiligen Unterbringung als nur vorläufiger Sicherungsmaßnahme, nicht von selbst. Die Maßnahme sei in der einstweiligen Unterbringung ihrem Rechtszweck nach darauf gerichtet, eine Selbstbestimmungsfähigkeit bereits während der einstweiligen Unterbringung zu erreichen und dadurch potentiell eine Unterbringungsanordnung nach § 63 StGB womöglich nicht erforderlich zu machen bzw. nur eine bedingte Anordnung zu ermöglichen; zumindest aber solle mit einer erforderlichen Behandlung frühzeitig begonnen werden, um auch im Falle einer folgenden, vollstreckbaren rechtskräftigen Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB die Vollzugsziele aus §§ 2 StrUG, 63 StGB möglichst, und frühzeitig, zu erreichen, um die Unterbringung so kurz wie möglich zu halten. Dies auch im Hinblick auf teilweise relativ lange einstweilige Unterbringungsdauern von einem Jahr und länger.
25Die Beantragung der richterlichen Genehmigung einer von der Vollzugseinrichtung beabsichtigten Zwangsbehandlung, die ihren einstweiligen Vollzugsauftrag zu erfüllen hat, könne daher nicht von der Antragstellung durch die gesetzliche Betreuungsperson abhängig sein. Antragstellerin bleibe allein die für den Vollzug der einstweiligen Unterbringung zuständige Vollzugsbehörde.
26Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die vorbezeichnete Beschwerdeschrift Bezug genommen.
27Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 27.12.2023 (Bl. 32-33 d.A.) nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
28Parallel wird beim Amtsgericht Lippstadt im Betreuungsverfahren zum Az. 11 XVII 486/23 die Notwendigkeit einer Zwangsbehandlung gemäß § 1832 BGB geprüft.
29Die Beteiligten hatten im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Beteiligte zu 2) hält an seinem Vortrag aus der Beschwerdeschrift fest; weitere Stellungnahmen sind bis zum Fristablauf nicht zur Akte gelangt.
30II.
311.
32Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie durch die erneute Einreichung in elektronischer Form während der noch laufenden Beschwerdefrist am 10.01.2024 formgerecht gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1, § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG eingelegt worden.
332.
34Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
35a)
36Dass der Beteiligte zu 2) für maßregelvollzugsrechtliche Anordnung zuständig ist, führt nicht zum Erfolg des Antrags, weil eine maßregevollzugsrechtliche Zwangsbehandlung im Falle einer einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO gemäß § 10 Abs. 10 StrUG NRW ausgeschlossen ist.
37Indem § 10 Abs. 10 StrUG NRW bestimmt, dass für ärztliche Zwangsmaßnahmen bei vorläufig gemäß § 126a StPO Untergebrachten § 1832 BGB gilt, schließt das Gesetz eine ärztliche Zwangsmaßnahme zur Wiederherstellung der Selbstbestimmungsfähigkeit nach § 10 Abs. 1-9 StrUG NRW aus. Vielmehr sind ärztliche Zwangsmaßnahmen ausschließlich mit dem Ziel des § 1832 Abs. 1 Nr. 1 BGB – der Abwendung eines drohenden gesundheitlichen Schadens vom Betroffenen – und bei Vorliegen der übrigen materiellrechtlichen Voraussetzungen des § 1832 BGB zulässig. In der Folge gibt es keine Ermächtigungsgrundlage, auf die eine maßregelvollzugsrechtliche Zwangsbehandlungsmaßnahme bei vorläufig gemäß § 126a StPO Untergebrachten gestützt werden könnte.
38Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm, ihrer Entstehungsgeschichte, ihrem Sinn und Zweck und der Gesetzessystematik.
39aa)
40Der Wortlaut der Norm, wonach für vorläufig Untergebrachte § 1832 BGB „gilt“, spricht für eine uneingeschränkte Rechtsgrundverweisung, gerade weil die Norm keine einschränkenden Zusätze, wie etwa „gilt auch“, „gelten zusätzlich die Voraussetzungen des § 1832 BGB“, „ist daneben § 1832 BGB zu beachten“ enthält.
41bb)
42Dieser Befund deckt sich mit der Entstehungsgeschichte der Norm.
43Im ursprünglichen Entwurf der Landesregierung vom 09.10.2020 (Vorlage 17/3994, https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV17-3994.pdf, abgerufen am 12.01.2024; im Folgenden: StrUG-E1), d.h. im für die Verbändeanhörung vorgesehenen Entwurf vor der förmlichen Einbringung eines Gesetzentwurfs in den Landtag, war für § 10 Abs. 10 StrUG NRW die Formulierung vorgesehen, eine ärztliche Zwangsmaßnahme zur Herstellung der Selbstbestimmungsfähigkeit bei Personen, die gemäß § 126a StPO untergebracht sind, „richtet sich nach § 1906a des Bürgerlichen Gesetzbuches“. Eine gleichlautende Formulierung fand sich in § 12 Abs. 3 StrUG-E1 („Die Zulässigkeit und Durchführung ärztlicher Zwangsmaßnahmen im Rahmen der Behandlung sonstiger Krankheiten richtet sich nach § 1906a des Bürgerlichen Gesetzbuches.“).
44Zu dieser letztgenannten Formulierung merkte der B e.V. in seiner Stellungnahme vom 04.11.2020 (https://www.apk-ev.de/fileadmin/downloads/Stellungnahmen_Positionspapiere/STN_APK_NRW_-_StrUG_NRW.pdf , S. 7, abgerufen am 12.01.2024) an, der Begriff „richtet sich nach“ sei nicht konkret genug, der Begriff „gelten“ sei eindeutiger.
45Der Betreuungsgerichtstag e.V. merkte in seiner Stellungnahme vom 03.11.2020 (https://www.bgt-ev.de/fileadmin/Mediendatenbank/Stellungnahmen/2018-2020/201103_Stellungnahme_StrUG_NRW.pdf , S. 4, abgerufen am 12.01.2024) an, die Reichweite der Verweisung sei sowohl in § 10 Abs. 10 als auch in § 12 Abs. 3 StrUG-E1 unklar, es solle klargestellt werden, welche Voraussetzungen des § 1906a BGB konkret Anwendung finden sollten.
46Der schlussendliche Gesetzentwurf der Landesregierung vom 13.01.2021 (LT-Drs. 17/12306 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-12306.pdf , abgerufen am 12.01.2024, im Folgenden: StrUG-E2) enthielt nunmehr die jetzige Formulierung, freilich ohne Änderung an der Gesetzesbegründung, wonach „Zulässigkeit und Durchführung ärztlicher Zwangsmaßnahmen (…) sich daher nach § 1906a BGB“ richten (ebd. S. 62).
47An anderer Stelle (zu § 1 StrUG-E2) führt die Gesetzesbegründung aus, dass bei den nach § 126a StPO untergebrachten Personen der Sicherungszweck im Vordergrund stehe. „Ärztliche Zwangsmaßnahmen sind daher nur unter den Voraussetzungen des § 1906a des Bürgerlichen Gesetzbuches zulässig“ (ebd. S. 50 f).
48In der parlamentarischen Beratung ist die Norm nicht weiter thematisiert worden (Verlauf siehe https://www.landtag.nrw.de/home/dokumente/dokumentensuche/parlamentsdokumente/parlamentsdatenbank-suchergebnis.html?vnr=17VIZ-Beratungsverlauf:1710219&view=berver&wp=17 , abgerufen am 12.01.2024).
49Mit dem Gesetz zur Änderung des StrUG vom 18.10.2022 (GV.NRW 2022 Nr. 40 S. 962-963) ist eine redaktionelle Anpassung an das geänderte Betreuungsrecht vorgenommen worden, ohne an der Formulierung des Gesetzes im Übrigen etwas zu ändern.
50Daraus, dass die Formulierung des Gesetzesentwurfs auf den Hinweis zweier Fachverbände von „richtet sich nach“ zu „gilt“, mithin einer eindeutigeren Formulierung, geändert wurde, folgt in Verbindung mit der Begründung des StrUG-E2, wonach bei der vorläufigen Unterbringung der Sicherungszweck im Vordergrund stehe und ärztliche Zwangsmaßnahmen nur unter den Voraussetzungen des § 1906a BGB a. F., jetzt § 1832 BGB, zulässig seien, dass es Absicht des Gesetzgebers war, für vorläufig gemäß § 126a StPO Untergebrachte gerade keine maßregelvollzugsbehördlichen Zwangsbehandlungsmaßnahmen zuzulassen. Vielmehr war es Absicht des Gesetzgebers, es bei den nach dem BGB zulässigen Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge zu belassen. Dies folgt auch daraus, dass die Gesetzesbegründung klarstellt, dass die Verweisungsnorm bedeutet, dass Zulässigkeit und Durchführung der Zwangsbehandlung sich nach § 1832 BGB richten, mithin nach dem Willen des Gesetzgebers eine formelle wie materiellrechtliche Verweisung beabsichtigt war.
51cc)
52Aus der Gesetzesbegründung folgt zugleich der Sinn und Zweck der Norm, den Besonderheiten der vorläufigen Unterbringung, bei der der Sicherungszweck im Vordergrund stehe, Rechnung zu tragen.
53§ 126a StPO ist eine rein präventive polizeiliche Vorschrift, welche ausschließlich der Gefahrenabwehr dient und eine spätere Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB ermöglichen soll. Daher dient die Vorschrift dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren erheblichen Straftaten psychisch kranker Rechtsbrecher (MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl. 2023, StPO § 126a Rn. 2). Die Unterbringung nach § 63 StGB hat demgegenüber neben dem Schutz der Allgemeinheit auch den Zweck, erkrankte oder krankhaft veranlagte Menschen von einem dauernden Zustand zu heilen oder sie in ihrem Zustand zu pflegen (st. Rspr., BGH, NStZ 1983, 429, beck-online; BGH, NStZ 2002, 533 Rn. 7, beck-online).
54Zwar mag es gleichwohl zulässig sein, maßregelvollzugsbehördliche Zwangsbehandlungsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Selbstbestimmungsfähigkeit landesrechtlich zuzulassen (zur Rechtslage in Hessen bspw. OLG Frankfurt, Beschluss vom 3. Januar 2023 – 3 Ws 488/22 –, Rn. 12 ff., juris). Es unterliegt jedoch dem Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, ob er entsprechende Maßnahmen zulassen will oder nicht. Der nordrhein-westfälische Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, dies nicht zu tun.
55dd)
56Dies wird ferner gestützt durch die Gesetzessystematik. § 10 StrUG NRW trifft eine Regelung für den vom StrUG gemäß dessen § 1 erfassten Personenkreis, die über die Verweisung in § 1 Abs. 3 StrUG NRW für vorläufig Untergebrachte entsprechend gilt, soweit sich aus Bundesrecht oder aus dem StrUG NRW selbst nichts Abweichendes ergibt und Zweck und Eigenart des Verfahrens nicht entgegenstehen.
57§ 10 Abs. 10 StrUG NRW stellt eine solche abweichende Regelung dar, die eine entsprechende Anwendung des § 10 Abs. 1-9 StrUG NRW i.S.d. § 1 Abs. 3 StrUG NRW im Falle vorläufig Untergebrachter ausschließt. Durch ihre Stellung als letzter Absatz des § 10 StrUG NRW wird klargestellt, dass es sich um eine zu den vorstehenden Absätzen vorrangige Spezialnorm handelt.
58b)
59Der vollständige Ausschluss maßregelvollzugsrechtlicher Zwangsbehandlungsmaßnahmen bei vorläufig Untergebrachten und die Rechtsgrundverweisung auf § 1832 BGB führen zugleich dazu, dass kein Verfahren nach §§ 121a, 121b StVollzG einzuleiten, vielmehr ein solches nach § 312 ff. FamFG durchzuführen ist.
60c)
61Der besondere Charakter der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO steht einer Zwangsbehandlung auf Grundlage des § 1832 BGB nicht entgegen.
62aa)
63Maßnahmen nach § 1832 BGB können im Rahmen des Vollzugs der vorläufigen Unterbringung nach § 126a StPO durchgeführt werden. § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB verlangt den stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist. Soweit es sich dabei – wie hier – um eine psychiatrische Zwangsbehandlung handelt, ist eine Behandlung in der Maßregelvollzugsklinik möglich. Bei dieser handelt es sich um ein Krankenhaus, also eine medizinische Einrichtung zur stationären Behandlung (psychiatrisch) Erkrankter; die medizinische Versorgung ist sichergestellt.
64Zwar wird eine Zwangsbehandlung eines nach § 63 StGB im Maßregelvollzug untergebrachten Betreuten nur auf der Grundlage des Maßregelvollzugsrechts für möglich befunden, nicht aber nach Betreuungsrecht, soweit es sich um die Behandlung der sog. Anlasskrankheit handelt (so Brosey/Lesting/Loer/Marschner BetreuungsR, Rn. 735, beck-online). Vorliegend geht es aber eben nicht um eine endgültige Unterbringung nach § 63 StGB, sondern um eine vorläufige Unterbringung nach § 126a StPO. In einem solchen Fall müssen – neben den weiteren Voraussetzungen des § 126a StPO – lediglich dringende Gründe dafür vorliegen, dass eine die Schuldunfähigkeit herbeiführende Erkrankung vorliegt, einer gesicherten Diagnose, die i.d.R. erst in der Hauptverhandlung gefunden wird, bedarf es nicht, sodass die Anlasserkrankung u.U. noch gar nicht feststeht. Zudem knüpft diese Auffassung an die Rechtslage noch vor Schaffung des § 1906a BGB a.F. an, als die Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung in § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB gesehen wurde, der keine Grundlage für die isolierte Genehmigung der Zwangsbehandlung eines bereits aufgrund einer anderen Rechtsnorm Untergebrachten bilden konnte. Eine von den jeweiligen Unterbringungsvoraussetzungen losgelöste Übertragung allein der Zwangsbefugnisse auf andere Unterbringungssachverhalte kam nach dieser Rechtslage nicht in Betracht (OLG München, Beschluss vom 7. April 2009 – 33 Wx 37/09 –, Rn. 9 - 11, juris). Indem § 1832 BGB in seiner heutigen Fassung eine geschlossene Unterbringung des Betroffenen überhaupt nicht mehr zur Voraussetzung der Zwangsbehandlung macht, sondern einen stationären Krankenhausaufenthalt ausreichen lässt, steht zumindest in Fällen der vorläufigen Unterbringung nach § 126a StPO der Charakter dieser Unterbringung der Durchführung einer betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlungsmaßnahme nicht entgegen.
65bb)
66Für ein betreuungsrechtliches Zwangsbehandlungsverfahren nach § 1832 BGB, § 312 Nr. 3 FamFG bedarf es im Übrigen weder eines Antrages des gesetzlichen Betreuers noch des Beteiligten zu 2). Für ein solches Verfahren ist ein förmlicher Antrag nicht erforderlich, wiewohl das Genehmigungsverfahren i.d.R. durch einen Antrag des Betreuers bzw. des Bevollmächtigten eingeleitet wird. Gleichwohl muss sich zumindest aus dem Verhalten des Betreuers ergeben, dass er die Genehmigung wünscht, zudem wird man verlangen dürfen, dass der Antrag bzw. die Anregung des Betreuers oder Bevollmächtigten die vorgesehene ärztliche Maßnahme ebenso wie die Einwilligungsvoraussetzungen genau beschreibt, wobei Bezugnahmen auf ärztliche Einschätzungen oder von der psychiatrischen Klinik dokumentierte Überzeugungsversuche möglich sein dürften (BeckOGK/Brilla, 15.6.2023, BGB § 1832 Rn. 65; zu § 1906a BGB a.F. Staudinger/Bienwald (2017) BGB § 1906a, Rn. 74; vgl. zu § 1831 BGB bzw. § 1906 a.F. BGB BeckOGK/Brilla, 15.6.2023, BGB § 1831 Rn. 153; Staudinger/Werner Bienwald (2013) BGB § 1906, Rn. 131; i.E. offengelassen BGH, Beschluss vom 28. Juli 2015 – XII ZB 44/15 –, Rn. 13, juris).
67Dies führt zwar nicht zu einer Antragsbefugnis des Beteiligten zu 2). Es wäre jedoch möglich, dass dieser dem Betreuungsgericht eine auf Anordnung der Zwangsbehandlung gerichtete Anregung übermittelt, in welcher er zugleich die erteilte Einwilligung des Betreuers mitteilt. Auf diese Anregung hin hätte das Betreuungsgericht ein Verfahren nach § 1832 BGB, § 312 Nr. 3 FamFG einzuleiten.
68Soweit wegen dringender Behandlungsbedürftigkeit eine Befassung des nach § 313 Abs. 1 Nr. 1-2 FamFG zuständigen auswärtigen Betreuungsgerichts zu einer unvertretbaren Verzögerung führen würde, kann eine Zwangsbehandlungsmaßnahme im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 313 Abs. 2 Satz 1 FamFG unter den Voraussetzungen des § 331 FamFG auch vom Gericht, in dessen Bezirk das Bedürfnis für die Maßnahme bekannt wird – d.h. dem für den Sitz der Maßregelvollzugseinrichtung örtlich zuständigen Betreuungsgericht – erlassen werden. Im Falle der Hinderung des Betreuers oder wenn ein solcher noch nicht bestellt ist, hat dieses zudem nach § 1867 BGB tätig zu werden.
693.
70Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 84 FamFG.
714.
72Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 FamFG zuzulassen wegen grundsätzlicher Bedeutung und weil die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern. Die Frage, ob § 10 Abs. 10 StrUG NRW maßregelvollzugsrechtliche Zwangsbehandlungsmaßnahmen nach § 10 Abs. 1-9 StrUG NRW ausschließt, ist bislang – soweit ersichtlich – obergerichtlich nicht entschieden und betrifft voraussichtlich eine Vielzahl künftiger Verfahren unterschiedlicher Gerichte.
73Rechtsbehelfsbelehrung:
74Gegen diesen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft.
75Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof Karlsruhe, Herrenstr. 45a, 76133 Karlsruhe in deutscher Sprache einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung (Datum des Beschlusses, Geschäftsnummer und Parteien) sowie die Erklärung enthalten, dass Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt wird.
76Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Rechtsbeschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung zu begründen. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:
771. die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge),
782. in den Fällen, in denen die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist eine Darlegung, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert,
793. die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
80- die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
81- soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
82Die Parteien müssen sich vor dem Bundesgerichtshof durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Rechtsbeschwerdeschrift und die Begründung der Rechtsbeschwerde von einem solchen unterzeichnet sein. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der angefochtenen Entscheidung vorgelegt werden.
83Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
84Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 wird hingewiesen.
85Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.