Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Auf die Beschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Vollzug des Ausreisegewahrsams aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts B (54 XIV(B) 4/24) vom 26.11.2024 (jetzt Amtsgericht Paderborn, 11 XIV(B) 777/24) den Betroffenen im Zeitraum 26.11.2024 bis 09.12.2024 in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung des Betroffenen notwendigen außergerichtlichen Kosten fallen der antragstellenden Behörde zur Last.
Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Mit Antrag vom 26.11.2024 (Bl. 1-7 d. erstinstanzlichen Akten) hat die Beteiligte zu 2) bei dem Amtsgericht B die Anordnung von Ausreisegewahrsam gegen den Betroffenen bis zum 10.12.2024 beantragt.
4Das Amtsgericht B hat den Betroffenen am 26.11.2024 persönlich angehört. Zu Beginn der Anhörung hat das Amtsgericht folgenden Beschluss gefasst:
5„Rechtsanwalt S wird als Verfahrenspfleger berufsmäßig bestellt.“
6Wegen des Inhalts der Anhörung wird im Übrigen auf den Anhörungsvermerk vom 26.11.2024 (Bl. 8-13 d.e.A.) Bezug genommen.
7Mit Beschluss vom 26.11.2024 (Bl. 13.A-13.D. d.e.A.) hat das Amtsgericht B antragsgemäß Ausreisegewahrsam bis zum 10.12.2024 angeordnet.
8Wegen des der Gewahrsamsanordnung zugrundeliegenden Sachverhalts wird im Übrigen auf die tatsächlichen Feststellungen in dem vorbezeichneten Beschluss und dem Haftantrag Bezug genommen.
9Das Verfahren wurde an das Amtsgericht Paderborn abgegeben.
10Der zum Verfahrenspfleger bestellte Rechtsanwalt hat am 02.12.2024 gegen den Beschluss des Amtsgerichts B Beschwerde eingelegt. Wegen des Beschwerdevorbringens wird auf die Beschwerdeschrift (Bl. 53-57 d.e.A.) Bezug genommen. Im Wesentlichen hat er vorgetragen, dass der Betroffene wegen eines Asylfolgeantrags nicht abgeschoben werden dürfe.
11Die Beteiligte zu 2) hat mit Schriftsatz vom 05.12.2024 (Bl. 155-157 d.e.A.) Stellung genommen; auch auf diesen wird Bezug genommen. Sie hat u.a. vorgetragen, nach Auskunft des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gebe es keinen Asylfolgeantrag.
12Tatsächlich hatte der Betroffene am 02.12.2024 einen Asylfolgeantrag gestellt. Wohl aufgrund eines Behördenversehens hatte die Beteiligte zu 2) seitens des BAMF die unrichtige Mitteilung erhalten, es sei kein Asylfolgeantrag gestellt worden.
13Das Amtsgericht Paderborn hat mit Beschluss vom 05.12.2024 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
14Die Kammer hat mit Beschluss vom 06.12.2024 (Bl. 51 d.e.A.) Herrn Rechtsanwalt S gemäß § 62d AufenthG zum Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen bestellt und seine Bestellung zum Verfahrenspfleger aufgehoben.
15Mit Beschluss vom 09.12.2024 (10 L 1341/24) hat das Verwaltungsgericht B der Beteiligten zu 2) im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, den Betroffenen am 09.12.2024 in die Türkei abzuschieben. Die Abschiebung war zum Zeitpunkt des Beschlusserlasses bereits begonnen worden und konnte nicht mehr aufgehalten werden. Der Betroffene wurde in die Türkei abgeschoben. Sein Verfahrensbevollmächtigter versucht in Zusammenarbeit mit der Beteiligten zu 2) und der Bundespolizei den Rückflug in das Bundesgebiet zu organisieren.
16II.
17Die Beschwerde ist in Form des Feststellungsantrags gemäß § 62 FamFG zulässig. Ein Feststellungsinteresse besteht für den Zeitraum des Vollzuges der Haft, d.h. bis zum 09.12.2024.
18Die Beschwerdeeinlegung erfolgte form- und fristgemäß. Zwar war der die Beschwerde einlegende Rechtsanwalt im Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung nicht Verfahrensbevollmächtigter, sondern Verfahrenspfleger. Als solcher war er jedoch nach § 429 Abs. 3 FamFG zur Beschwerdeeinlegung im Interesse des Betroffenen befugt. Nachdem er nunmehr nicht mehr Verfahrenspfleger, sondern –bevollmächtigter ist, ist er uneingeschränkt zur Beschwerdeeinlegung namens des Betroffenen befugt. Durch seine weiteren Schriftsätze, insbesondere die Stellung des Feststellungsantrags, hat er deutlich gemacht, auch in dieser Rolle an der Beschwerde festzuhalten. Zudem war die Beschwerdefrist im Zeitpunkt der Umbestellung noch nicht abgelaufen.
19Die Beschwerde ist auch begründet.
20Das erstinstanzliche Verfahren war fehlerhaft.
21Gemäß § 62d AufenthG ist dem Betroffenen, der noch keinen anwaltlichen Vertreter hat, von Amts wegen für die Dauer des Verfahrens ein anwaltlicher Vertreter als Bevollmächtigter zu bestellen.
22Hiergegen hat das Amtsgericht B verstoßen, indem es dem Betroffenen keinen Verfahrensbevollmächtigten, sondern einen berufsmäßigen Verfahrenspfleger bestellt hat.
23Schon nach alter Rechtslage durfte das Haftgericht durch seine Verfahrensgestaltung nicht verhindern, dass der Betroffene einen Bevollmächtigten beauftragt und dieser an der Anhörung teilnimmt. Ein solches Vorgehen führt ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2022 – XIII ZB 34/21 –, Rn. 5, juris).
24Nach neuer Rechtslage gibt das Gesetz durch § 62d AufenthG dem Haftrichter auf, in jedem Fall von Amts wegen sicherzustellen, dass der Betroffene von einem Rechtsanwalt vertreten wird, indem einem Betroffenen, der noch keinen anwaltlichen Vertreter hat, vor der Entscheidung über die Gewahrsamsanordnung ein solcher als Verfahrensbevollmächtigter beizuordnen ist. Absicht des Gesetzgebers war dabei, es dem Betroffenen zu ermöglichen, mithilfe eines anwaltlichen Vertreters seine Rechte in dem für ihn in der Regel unbekannten Verfahren der Anordnung der Abschiebungshaft bzw. des Ausreisegewahrsams geltend zu machen (BT-Drs. 20/10090, S. 18).
25Durch die Bestellung eines berufsmäßigen Verfahrenspflegers hat das Amtsgericht dieser Pflicht nicht genügt. Die Aufgaben eines Verfahrenspflegers nach § 419 Abs. 2 FamFG unterscheiden sich grundlegend von denen eines Verfahrensbevollmächtigten. Eine Verfahrenspflegerbestellung, die im Freiheitsentziehungsverfahren Ausnahmecharakter hat, kommt bei einer Beeinträchtigung des Gesundheitszustands in Betracht, aufgrund derer der Betroffene nicht in der Lage ist, seine Interessen selbst wahrzunehmen. Der Verfahrenspfleger ist nicht weisungsgebunden und nicht Vertreter des Betroffenen (vgl. zur Parallelregelung in § 276 FamFG Sternal/Giers, 21. Aufl. 2023, FamFG § 276 Rn. 11, beck-online). Ein Verfahrensbevollmächtigter, ob gewählt oder beigeordnet, ist hingegen Interessenvertreter des Betroffenen, § 10 FamFG.
26Das Amtsgericht hat somit durch seine Verfahrensgestaltung den Anspruch des Betroffenen auf Beiordnung eines Verfahrensbevollmächtigten aus § 62d AufenthG verletzt. Eine Heilung des Verfahrensfehlers ist trotz des Beschlusses der Kammer vom 06.12.2024 nicht mehr erfolgt, weil eine solche eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen nach § 420 FamFG vorausgesetzt hätte, die aufgrund des kurzen Zeitraums bis zur Abschiebung nicht mehr durchgeführt werden konnte (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2016 – V ZB 23/15 –, Rn. 25, juris; BGH, Beschluss vom 22. Februar 2022 – XIII ZB 74/20 –, Rn. 18, juris)
27Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob der Haftvollzug den Betroffenen noch aus anderen Gründen in seinen Rechten verletzt hat.
28Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Kammer hat hierbei die Rechtsgedanken des Art. 5 EMRK berücksichtigt. Gelangt das Rechtsmittelgericht zu der Feststellung (§ 62 Abs. 1 FamFG), dass eine Haftmaßnahme zu Unrecht angeordnet oder aufrechterhalten worden ist, entspricht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten des Betroffenen der Billigkeit. Dieses Ergebnis wird maßgebend auf den Gedanken der Verwirklichung eines materiell-rechtlichen Entschädigungsanspruchs des Betroffenen aus Art. 5 Abs. 5 EMRK gestützt. Dies gilt, wenn die Feststellung der Rechtswidrigkeit darauf beruht, dass die Haft von Anfang nicht hätte angeordnet werden dürfen, etwa wegen Mängeln der Begründung des Antrags der Behörde oder Fehlens der sachlichen Haftvoraussetzungen. Diese Rechtsprechung erstreckt der Bundesgerichtshof darüber hinausgehend auch auf Fälle, in denen – wie hier – Verfahrensfehler des Gerichts (bspw. unzureichende Anhörung oder Belehrung des Betroffenen, Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör) zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme führen (BGH, Beschluss vom 06.05.2010 – V ZB 223/09 –, Rn. 19, juris; zum Ganzen: Sternal/Göbel, 21. Aufl. 2023, FamFG § 430 Rn. 14).
29Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 36 Abs. 3, 61 Abs. 1 GNotKG.
30Rechtsbehelfsbelehrung:
31Gegen diesen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft.
32Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof Karlsruhe, Herrenstr. 45a, 76133 Karlsruhe in deutscher Sprache einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung (Datum des Beschlusses, Geschäftsnummer und Parteien) sowie die Erklärung enthalten, dass Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt wird.
33Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Rechtsbeschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung zu begründen. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:
341. die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge),
352. in den Fällen, in denen die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist eine Darlegung, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert,
363. die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
37- die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
38- soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
39Die Parteien müssen sich vor dem Bundesgerichtshof durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Rechtsbeschwerdeschrift und die Begründung der Rechtsbeschwerde von einem solchen unterzeichnet sein. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der angefochtenen Entscheidung vorgelegt werden.
40Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
41Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 wird hingewiesen.
42Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.