Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ahlen (11a XIV(B) 31/24) vom 07.11.2024 (jetzt Amtsgericht Paderborn, 11 XIV(B) 718/24) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Betroffene.
Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Der Betroffene irakische Staatsbürger reiste am 07.07.2022 in das Bundesgebiet ein und stellte am 03.08.2022 einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Da Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Dublin-III-VO vorlagen, nämlich der Republik Litauen, wurde dorthin am 19.08.2022 ein Übernahmeersuchen gerichtet. Nachdem die litauischen Behörden nicht fristgerecht antworteten, ging die Zuständigkeit mit Ablauf des 02.09.2022 gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO auf Litauen über und die Republik Litauen ist für die Bearbeitung des Asylantrages zuständig geworden.
4Mit Bescheid vom 15.09.2022 wies das BAMF den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Litauen an.
5Der Betroffene erhob hiergegen Klage und stellte einen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO beim Verwaltungsgericht Minden. Die für den 31.01.2023 geplante Überstellung wurde daraufhin storniert.
6Mit Beschluss des Verwaltungsgericht Minden vom 02.02.2023 (2 L 1062/22.A) wurde die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des BAMF angeordnet.
7Der Betroffene wurde mit Zuweisungsbescheid der Bezirksregierung Arnsberg der Stadt Ahlen zugewiesen.
8Mit Urteil vom 17.05.2024 (2 K 3246/22.A) wies das Verwaltungsgericht Minden die Klage ab. Das Urteil ist rechtskräftig und die Abschiebungsanordnung vollziehbar seit dem 22.06.2024.
9Die Überstellungsfrist läuft am 22.12.2024 ab.
10Am 02.07.2024 erklärte der Betroffene bei Vorsprache bei der Beteiligten zu 2), er werde die Bundesrepublik nicht verlassen und nicht nach Litauen ausreisen.
11Der Betroffene reichte eine klinisch-psychologische Stellungnahme der Dipl.-Psych. O vom 20.12.2022 (Bl. 603-632 d. Ausländerakte) nebst einer Bescheinigung derselben Psychologin vom 28.03.2024 (Bl. 633-634 d. Ausländerakte) sowie – einige Tage später – eine fachärztliche Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie, Suchtmedizin und Verkehrsmedizin T vom 24.07.2024 (Bl. 601-602 d. Ausländerakte) zur Akte. Auf beide Schriftstücke wird wegen ihres Inhalts Bezug genommen.
12Die Beteiligte zu 2) fragte daraufhin beim BAMF an, ob ein Abschiebungshindernis bestehe. Das BAMF teilte mit Schreiben vom 26.07.2024 mit, dass die psychologische Stellungnahme nicht ausreiche, um Reiseunfähigkeit zu belegen. An der Überstellungsabsicht werde festgehalten. Die beschriebenen Krankheitsbilder seien auch in Litauen behandelbar. Zudem solle die Abschiebemaßnahme ärztlich begleitet werden und eine Sicherheitsbegleitung sei zu prüfen. Auf das Schreiben (Bl. 444-445 d. Ausländerakte) wird Bezug genommen. Mit weiterem Schreiben vom 30.07.2024 (Bl. 450 d. Ausländerakte) teilte das BAMF mit, auch die fachärztliche Stellungnahme führe zu keiner Änderung.
13Am 07.11.2024 sollte der Betroffene nach Litauen überstellt werden. Im Vorfeld der Maßnahme wurde er durch den Arzt L untersucht, der dem Betroffenen Reisefähigkeit mit Bedarfsmedikation (IBU 600) („fit to fly with treatment and support as above mentioned“) bescheinigte (Bl. 668 d. Ausländerakte).
14Der Betroffene sollte in Begleitung zweier Bundespolizeibeamter sowie eines Arztes überstellt werden. Nach der Annahme durch die Bundespolizei äußerte der Betroffene gegenüber den Begleitbeamten absolute Flugunwilligkeit. Er wurde mit Klettband an den Armen gefesselt. Vor dem Pre-Boarding wies der Flugkapitän ausdrücklich darauf hin, dass er den Betroffenen nur befördern wolle, wenn dieser allenfalls schreien werde. Bei Zwangshandlungen jeglicher Art schloss er die Beförderung trotz Begleitung aus. Als die Beamten zum Fahrzeug zurückkehrten, lag der Betroffene auf dem Boden und wurde durch die im Fahrzeug befindlichen Beamten fixiert und äußerte weiterhin seine absolute Flugunwilligkeit. Nach erneuter Rücksprache mit dem Flugkapitän verweigerte dieser die Beförderung des Betroffenen.
15Der Arzt L bescheinigte dem Betroffenen Haftfähigkeit bei Erforderlichkeit ärztlicher Weiterversorgung am Folgetag und besonderer Sicherungsmaßnahmen (Bl. 671 d. Ausländerakte).
16Die Beteiligte zu 2) hat sodann bei dem Amtsgericht Ahlen die Anordnung von Überstellungshaft beantragt.
17Wegen des Sachverhalts wird im Übrigen auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Beschluss vom 07.11.2024 (Bl. 7-13 d. erstinstanzlichen Akten) sowie dem Haftantrag der Beteiligten zu 2) vom 07.11.2024 (Bl. 2-6 d.e.A.) Bezug genommen.
18Das Amtsgericht Ahlen hat nach persönlicher Anhörung des Betroffenen dem Antrag der Beteiligten zu 2) entsprochen und gegen den Betroffenen mit sofortiger Wirkung Überstellungshaft bis zum 19.12.2024 angeordnet.
19Wegen des Inhalts der Anhörung wird auf den Anhörungsvermerk vom 07.11.2024 (Bl. 15-17 d.e.A.) Bezug genommen. Im Zuge der Anhörung hat der Betroffene die Beteiligte zu 3) als seine Vertrauensperson benannt.
20Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 11.11.2024 beim Amtsgericht eingegangene Beschwerde des Betroffenen vom 11.11.2024. Wegen des Beschwerdevorbringens wird auf die Beschwerdeschrift (Bl. 21 d.e.A.) Bezug genommen.
21Nach der Aufnahme des Betroffenen in die Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA) C äußerte dieser Suizidabsichten und unternahm am 14.11.2024 den Versuch, sich mittels eines Abflussbleches am Hals und an den Handgelenken zu verletzen. Auf Bl. 766 und 774 d. Ausländerakte wird Bezug genommen. In der Folge ist der Betroffene isoliert worden.
22Der Betroffene hat mit Schriftsatz vom 18.11.2024 (Bl. 43-44 d.e.A.), auf den Bezug genommen wird, die Beschwerde weiter begründet und eine Bescheinigung der Dipl.-Psych. O vom 18.11.2024 vorgelegt, die ausführt, der Betroffene sei durch die Erlebnisse in der UfA retraumatisiert und psychisch erheblich destabilisiert worden und habe - offenbar aufgrund des ganzen durchlebten Stresses - erheblich abgenommen. Die weitere Unterbringung in der UfA werde ihn an die erlebte Haft in Litauen erinnern und weiter traumatisieren und psychisch destabilisieren. Von weiteren Suizidversuchen müsse man dann ausgehen. Auf die Bescheinigung (Bl. 37-38 d.e.A.) wird Bezug genommen.
23Mit Bescheid vom 21.11.2024 (Bl. 59-79 d.e.A.) hat das BAMF den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 15.09.2022 abgelehnt. Mit Schreiben vom 22.11.2024 (Bl. 81 d.e.A.) hat es der Beteiligten zudem mitgeteilt, dass am Reisetag eine Reisetauglichkeitsuntersuchung angezeigt sei. Bei einem erneuten Suizidversuch sei die Maßnahme umgehend abzubrechen.
24Am 25.11.2024 hat die Beteiligte zu 2) zudem eine Stellungnahme der Unterbringungseinrichtung zur Akte gereicht. Auf diese (Bl. 90-91 d.e.A.) wird Bezug genommen.
25Das Amtsgericht Paderborn, an welches das Verfahren abgegeben worden ist, hat der Beschwerde mit Beschluss vom 26.11.2024 (Bl. 95-96 d.e.A.) nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
26Der Kammer hat die Ausländerakte im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung in elektronischer Form vorgelegen. Für die Beteiligten bestand im Rahmen des Beschwerdeverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme.
27Der Betroffene hat mit Schriftsatz vom 04.12.2024 (Bl. 34-35 d.A.) ergänzend Stellung genommen. Die Beteiligte zu 3) hat mit Schreiben vom 03.12.2024 (Bl. 11-13 d.A.) Stellung genommen. Die Beteiligte zu 2) hat mit Schriftsatz vom 05.12.2024 (Bl. 43 d.A.) mitgeteilt, dass die Überstellung nunmehr für den 16.12.2024 geplant sei. Mit Schriftsatz vom 10.12.2024 (Bl. 69 d.A.) hat sie zudem eine ergänzende Stellungnahme der Unterbringungseinrichtung zur Akte gereicht (Bl. 68 d.e.A.). Auf die vorbezeichneten Schriftstücke wird Bezug genommen.
28Die Kammer hat den Betroffenen am 10.12.2024 in Anwesenheit seines Bevollmächtigten und Vertretern der Beteiligten zu 2) persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll vom 10.12.2024 (Bl. 72-75 d.A.) Bezug genommen.
29II.
30Die gemäß § 58 FamFG statthafte sowie gemäß §§ 63, 64 FamFG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
31Die Anordnung der Überstellungshaft durch das Amtsgericht Ahlen mit dem angegriffenen Beschluss ist im Ergebnis rechtmäßig erfolgt und verletzt den Betroffenen nicht in seinen Rechten.
32Die Voraussetzungen der Anordnung der Überstellungshaft bis zum 19.12.2024 liegen vor, §§ 50, 58, 2 Abs. 14, § 62 Abs. 3a AufenthG, Art. 28 Abs. 2, Art. 2 Buchstabe n) Dublin-III-VO, §§ 415, 425 FamFG .
33Ein zulässiger Haftantrag i.S.d. § 417 Abs. 2 FamFG liegt vor.
34Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind neben den Angaben zu Identität und gewöhnlichem Aufenthalt des Betroffenen Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 5 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Dazu müssen die Darlegungen auf den konkreten Fall bezogen sein und dürfen sich nicht in Leerformeln erschöpfen (BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2023 – XIII ZB 14/21 –, Rn. 9, juris m .w. N.). Ob die Angaben in dem Haftantrag der beteiligten Behörde sachlich richtig sind oder eine tragfähige Grundlage für die beantragte Haft bieten, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Haftantrags (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2020 – XIII ZB 15/19 –, BGHZ 224, 344-350, Rn. 8).
35Der Haftantrag der Beteiligten zu 2) vom 07.11.2024 genügt diesen Anforderungen jedenfalls in Verbindung mit den weiteren Eingaben der Beteiligten zu 2) im Beschwerdeverfahren sowie den von der Kammer ergänzend ermittelten Tatsachen.
36Die Beteiligte zu 2) schildert in ihrem Haftantrag vom 07.11.2024 den Sachverhalt betreffend die Vorgeschichte des Betroffenen, zum EURODAC-Treffer, zur Zuständigkeit Litauens sowie zum erlassenen Bescheid des BAMF und zur vollziehbaren Abschiebungsanordnung. Ferner macht sie hinreichende Angaben zur Identität des Betroffenen und zur Vorlage von Reisepapieren. Zudem macht sie Ausführungen zur Rechtslage und nennt als Haftgrund erhebliche Fluchtgefahr gemäß Art. 28 Abs. 2, Art. 2 Buchstabe n) Dublin-III-VO i. V. m. § 2 Abs. 14, § 62 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 3a Nrn. 5 und 6 AufenthG. Sie legt zudem dar, dass der Betroffene vollziehbar gemäß §§ 50 Abs. 1 und 2, § 58 AufenthG ausreisepflichtig sei. Dabei erläutert sie das Verfahren hinsichtlich der Abschiebungsanordnung und legt dar, warum von einer vollziehbaren Ausreisepflicht auszugehen sei.
37Soweit der Haftantrag vom 07.11.2024 ausführt, Erkrankungen, die zu einer Haft- oder Reiseuntauglichkeit führten, seien nicht bekannt oder angezeigt, kann dahinstehen, ob diese Ausführungen zutreffend sind. Abgesehen davon, dass die Frage, ob die Angaben im Haftantrag zutreffen, nicht dessen Zulässigkeit, sondern die Begründetheit betreffen, hat die Beteiligte zu 2) diesbezüglich mit ihren weiteren Eingaben hinreichend vorgetragen und dargelegt, warum aus ihrer Sicht von einer Reise- und Haftfähigkeit des Betroffenen trotz der bekannten Erkrankungen auszugehen sei.
38Der Haftantrag ist auch begründet.
39Der Betroffene ist gemäß §§ 50, 58 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Die Abschiebung wurde mit dem Bescheid des BAMF vom 15.09.2022 angeordnet. Er verfügt über keinen Aufenthaltstitel i.S.d. § 4 Abs. 1 AufenthG. Die Abschiebungsanordnung ist seit dem 22.06.2024 vollziehbar.
40Der Haftgrund der erheblichen Fluchtgefahr nach Art. 28 Abs. 2, Art. 2 Buchstabe n) Dublin-III-VO i. V. m. § 2 Abs. 14, § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3a Nr. 5 AufenthG liegt vor. Nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO dürfen die Mitgliedstaaten zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr i. S. v. Art. 2 Buchstabe n) der Verordnung besteht und wenn die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Nach der Legaldefinition in Art. 28 Abs. 2 Art. 2 Buchstabe n) Dublin-III-VO muss erhebliche Fluchtgefahr vorliegen, also im Einzelfall bestehende Gründe, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zur Annahme Anlass geben, dass sich ein Ausländer, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Nach dem Verweis in § 2 Abs. 14 Satz 1 AufenthG sind aus dem Katalog der Vermutungstatbestände des § 62 Abs. 3a AufenthG alle Varianten anwendbar, aus dem Katalog der Anhaltspunkte des § 62 Abs. 3b AufenthG die Nummern 1 bis 5.
41Fluchtgefahr wird gemäß § 62 Abs. 3a Nr. 5 AufenthG widerleglich vermutet, wenn der Betroffene sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat. Dies ist der Fall. Der Betroffene hat die Abschiebung am 07.11.2024 durch sein Verhalten verhindert. Der zumindest passive körperliche Widerstand des Betroffenen führte zum Abbruch der Maßnahme, weil der Flugkapitän die Mitnahme des Betroffenen verweigerte.
42Es ist nichts ersichtlich, wodurch die gesetzliche Vermutung widerlegt würde.
43Ob weitere Vermutungstatbestände des § 62 Abs. 3a AufenthG erfüllt sind, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.
44Abschiebungshindernisse gemäß §§ 60, 60a AufenthG liegen nicht vor.
45Der Einwand der Reiseunfähigkeit dringt nicht durch. Die Haftgerichte sind grundsätzlich nicht selbst zur Prüfung verpflichtet, ob der Abschiebung eine etwaig mangelnde Reisefähigkeit der Betroffenen entgegensteht. Im Ausnahmefall kann eine aus § 60a Abs. 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Aufklärungspflicht auch des Haftrichters bestehen, etwa weil die beteiligte Behörde weitere Ermittlungen zur Reisefähigkeit der Betroffenen unter offenkundiger Verkennung der Bedeutung eines vorgelegten Attests z.B. einer Anstaltsärztin unterlässt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2024 – XIII ZB 12/22 –, Rn. 26, juris).
46So liegt der Fall hier nicht. Die Beteiligte zu 2) hat bereits im Vorfeld der Abschiebungsmaßnahme vom 07.11.2024 das BAMF um Auskunft ersucht, ob von einer Reiseunfähigkeit des Betroffenen ausgegangen werden müsse. Die vom BAMF daraufhin angeregte ärztliche Begleitung wie auch eine medizinische Untersuchung vor Beginn der Maßnahme wurden veranlasst und die Reisefähigkeit des Betroffenen ärztlich festgestellt. Infolge der suizidalen Äußerungen und des Suizidversuchs des Betroffenen nach Beginn der Unterbringung hat die Beteiligte zu 2) zudem auf Veranlassung des Amtsgerichts eine medizinische Stellungnahme der Unterbringungseinrichtung eingeholt. Weitere Untersuchungen der Reisefähigkeit durch die Kammer sind damit nicht veranlasst. Vielmehr muss diese Frage vor dem Verwaltungsgericht geklärt werden. Auch nach dem Europarecht ist das Haftgericht - vom oben dargelegten krassen Ausnahmefall einer offenkundigen Verkennung der Tatsachen durch die beteiligte Behörde - nicht gehalten, Ermittlungen durchzuführen, die dem Verwaltungsverfahren zugewiesen sind. Das in Bezug genommene Urteil des Europäischen Gerichtshofs spricht lediglich aus, dass die zuständige Justizbehörde von Amts wegen zu prüfen hat, ob eine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung missachtet wurde, auf die sich die betroffene Person nicht berufen hat (EuGH, Urteil vom 8. November 2022 – C-704/20 und C-39/21 –, Rn. 94, juris). Das ist nach deutschem Recht (§ 26 FamFG) ohnehin der Fall. Aus dem Amtsermittlungsgrundsatz folgt jedoch nicht, dass das dem Haftverfahren vorangehende Verwaltungsverfahren, - dessen Vollstreckung zu sichern das Abschiebeverfahren zu dienen bestimmt ist - zu wiederholen wäre. Rechtsstaatlichen Anforderungen ist dadurch genügt, dass das beschließende ordentliche Gericht die von der Behörde ausdrücklich oder durch den Haftantrag oder dessen Aufrechterhaltung schlüssig vorgebrachte Wertung, dass das Asylbegehren unbeachtlich oder aus anderen Gründen kein rechtliches Hindernis für eine Abschiebung sei, auf das Vorliegen von Nichtigkeitsgründen überprüft, und dem Asylbewerber im übrigen die Möglichkeit offensteht, die Rechtmäßigkeit dieser Wertung verwaltungsgerichtlich kontrollieren zu lassen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. Mai 1987 – 2 BvR 800/84 –, Rn. 10, juris). Eine Kompetenzvermischung zwischen den Verwaltungs- und Haftgerichten wäre zudem der Rechtssicherheit abträglich.
47Hat der Betroffene Verwaltungsrechtsschutz nicht beantragt, haben die Haftgerichte von dem Bestand der Verwaltungsentscheidungen auszugehen und eine angeordnete Haft gegebenenfalls gemäß § 426 FamFG (von Amts wegen) aufzuheben, wenn ihnen später bekannt wird, dass der Betroffene bei dem Verwaltungsgericht Rechtsschutz beantragt hat und zu erwarten ist, dass das Verwaltungsgericht dem Antrag entsprechen wird (BGH, Beschluss vom 20. September 2017 – V ZB 118/17 –, Rn. 18, juris).
48Der Betroffene hat zwar Klage erhoben gegen den Bescheid des BAMF vom 21.11.2024. Diese Klage ist jedoch für das Haftverfahren ohne Bedeutung, einesteils, weil sie keine aufschiebende Wirkung hat, anderenteils, weil selbst eine Aufhebung des Bescheides dem Betroffenen kein Bleiberecht verschaffte, vielmehr das BAMF lediglich zur Neubescheidung verpflichtete. Verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz, gerichtet auf einen vorläufigen Abschiebungsstopp, hat der Betroffene bislang nicht gesucht. Dass er einen solchen Antrag in den nächsten Tagen zustellen beabsichtigt, führt nach dem vorstehend Ausgeführten zu keiner anderen Bewertung.
49Die Haftanordnung ist auch verhältnismäßig.
50Mildere Mittel, etwa eine Wohnsitzauflage, kommen vor dem Hintergrund des bisherigen Verhaltens des Betroffenen nicht in Betracht.
51Insbesondere ist der Beschleunigungsgrundsatz nicht verletzt.
52Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist die Inhaftnahme auf die kürzestmögliche Dauer zu beschränken. Diese Voraussetzungen sind vom Beschwerdegericht unter Berücksichtigung des im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung erkennbaren Verlaufs des Abschiebungsverfahrens erneut zu prüfen. Es ist eine Prognose zu treffen, welche Haftdauer erforderlich ist und ob eine Zurückschiebung innerhalb der angeordneten Haftdauer möglich ist. Dabei sind grundsätzlich konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens erforderlich sowie eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können (BGH, Beschluss vom 11. Mai 2011 – V ZB 265/10 –, Rn. 9, juris).
53Ist – wie hier – eine Sicherheitsbegleitung erforderlich, wobei die Erforderlichkeit von den Haftgerichten nicht zu überprüfen ist, so erschließt sich grundsätzlich ohne Weiteres, dass der organisatorische Aufwand für die Vorbereitung der Abschiebung jedenfalls eine Zeit von bis zu sechs Wochen in Anspruch nimmt, da erst die für die Begleitung in Betracht kommenden Personen ermittelt und innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeitfenster die Flüge für den Betroffenen und die Begleitpersonen gebucht werden müssen. Im Hinblick auf die beschränkten Personalressourcen wird zwangsläufig ein zeitlicher Vorlauf benötigt, der bis zu sechs Wochen in Anspruch nehmen und daher als angemessen angesehen werden kann (BGH, Beschluss vom 25. August 2020 – XIII ZB 45/19 –, Rn. 22, juris).
54Soweit die Beteiligte zu 2) mitgeteilt hat, dass die Abschiebung des Betroffenen für den 16.12.2024 geplant sei, die Haft aber bis zum 19.12.2024 beantragt und angeordnet worden ist, steht dies einer angemessenen Haftdauer nicht entgegen. Ist die Abschiebung für ein bestimmtes Datum durchorganisiert, darf das Gericht die Abschiebungshaft nur für wenige Tage über den vorgesehen Abschiebungstermin hinaus aufrechterhalten, um der beteiligten Behörde einen zeitlichen Puffer für allfällige Verzögerungen einzuräumen. Für den Zeitraum danach muss es die Abschiebungshaft aber gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, § 426 Abs. 1 FamFG von Amts wegen aufheben (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2016 – V ZB 167/14 –, Rn. 13, juris). Ein zeitlicher Puffer von bis zu einer Woche, der hier nicht überschritten wird, ist nicht zu beanstanden, um auf unvorhersehbare Verzögerungen oder spontane Stornierungen zu reagieren.
55Haftausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.
56Der Betroffene ist insbesondere nicht haftunfähig. Aus den zur Akte gelangten Stellungnahmen der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige in C ergibt sich, dass der Betroffene dort Suizidabsichten erklärt und einen Suizidversuch unternommen hat. Die UfA hat daraufhin besondere Sicherungsmaßnahmen getroffen.
57Suizidversuche in der Haft geben zur Prüfung Anlass, ob diese auf die Haft oder die bevorstehende Abschiebung zurückzuführen ist; in letzterem Fall (was die Regel sein wird) betreffen sie ein potenzielles Abschiebungshindernis, hindern weitere Haft jedoch nicht. Im Übrigen kann ihnen regelmäßig, soweit die konkrete Vollzugsanstalt dies zu leisten vermag, mit entsprechenden Beschränkungen (z.B. Abnahme von Gürteln, Schnürsenkeln, etc.) und Lebendkontrollen begegnet werden (Kaniess, Abschiebungshaft, Kap. 2 Sicherungshaft (§62 Abs.3 AufenthG) Rn. 161, beck-online).
58So liegt der Fall hier. Nach den eingereichten Stellungnahmen, die durch die Äußerung des Betroffenen im Anhörungstermin vor der Kammer bestätigt werden ("Wenn ich gefragt werde, warum ich mich verletzt habe, muss ich sagen, dass ich viel Angst wegen der Abschiebung hatte."), ist die Suizidalität auf die bevorstehende Überstellung nach Litauen zurückzuführen. Ob sich hieraus ein Abschiebungshindernis ergibt, hat die Kammer - wie oben dargelegt - nicht zu entscheiden. Die UfA hat geeignete Maßnahmen getroffen, um einen Suizid des Betroffenen zu verhindern.
59Soweit der Betroffene mit den getroffenen Maßnahmen der UfA nicht einverstanden ist, steht es ihm frei, die dafür vorgesehenen Rechtsmittel einzulegen. Die weitere Haft wird indes nicht gehindert. Die durch den Haftrichter vorzunehmende Prüfung der europarechtskonformen Unterbringung ist auf im Zeitpunkt der Haftanordnung bestehende oder absehbare strukturelle Defizite beschränkt. Kommt es im Einzelfall während des Vollzugs der Sicherungshaft zu einem rechtswidrigen Grundrechtseingriff, berührt dies die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung indes nicht. Insoweit muss sich der Betroffene gegen die konkrete Einzelmaßnahme wenden (BGH, Beschluss vom 26. März 2024 – XIII ZB 85/22 –, Rn. 11, juris).
60Die UfA C ist der Kammer im Übrigen aus eigener Anschauung bekannt und gewährleistet einen europarechtskonformen Haftvollzug (vgl. LG Paderborn, Beschluss vom 10. Mai 2024 – 5 T 93/24 –, Rn. 59 - 81, juris; Beschluss vom 28. März 2024 – 5 T 63/24 –, Rn. 55 - 63, juris).
61Die Zustimmung der Staatsanwaltschaft ist nicht erforderlich.
62Das amtsgerichtliche Verfahren ist nicht zu beanstanden. Insbesondere ist der Betroffene persönlich angehört und ihm ist gemäß § 62d AufenthG ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt worden.
63Soweit das amtsgerichtliche Verfahren fehlerhaft war, sind diese Mängel im Beschwerdeverfahren geheilt worden.
64Verfahrensfehler bei der Durchführung der erstinstanzlichen Anhörung können mit Wirkung für die Zukunft durch eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen nach § 420 FamFG geheilt werden (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2016 – V ZB 23/15 –, Rn. 25, juris; BGH, Beschluss vom 22. Februar 2022 – XIII ZB 74/20 –, Rn. 18, juris).
65Das ist hier geschehen. Die Kammer hat den Betroffenen sowohl zu den ergänzend festgestellten Tatsachen und dem ergänzenden Vortrag der Behörde persönlich angehört als auch im Vorfeld der Anhörung die von ihm benannte Vertrauensperson schriftlich am Verfahren beteiligt und angehört. Auf eine Teilnahme an der persönlichen Anhörung des Betroffenen hat die Vertrauensperson mit Schreiben vom 09.12.2024 ausdrücklich verzichtet. Ein Anspruch auf Anwesenheit der Vertrauensperson besteht im Freiheitsentziehungsverfahren - anders, als in Betreuungs- und Unterbringungssachen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 GVG) - im Übrigen nicht. Die Vertrauensperson kann gemäß § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG am Freiheitsentziehungsverfahren im Interesse des Betroffenen beteiligt werden; wird sie beteiligt, so ist sie nach § 420 Abs. 3 FamFG anzuhören. Nach der in § 420 FamFG gewählten Formulierung ist diese Anhörung jedoch nicht in dem Sinn formgebunden, dass sie notwendig mündlich in einem Anhörungstermin erfolgen muss. Denn der Wortlaut der Vorschrift unterscheidet deutlich zwischen der persönlichen Anhörung des Betroffenen einerseits (Abs. 1 Satz 1) und der (schlichten) Anhörung der weiteren Beteiligten (Abs. 3) andererseits (Sternal/Göbel, 21. Aufl. 2023, FamFG § 420 Rn. 13, beck-online).
66Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81, 84 FamFG, die Wertfestsetzung auf § 36 Abs. 2 GNotKG.
67Rechtsbehelfsbelehrung:
68Gegen diesen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft.
69Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof Karlsruhe, Herrenstr. 45a, 76133 Karlsruhe in deutscher Sprache einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung (Datum des Beschlusses, Geschäftsnummer und Parteien) sowie die Erklärung enthalten, dass Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt wird.
70Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Rechtsbeschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung zu begründen. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:
711. die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge),
722. in den Fällen, in denen die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist eine Darlegung, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert,
733. die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
74- die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
75- soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
76Die Parteien müssen sich vor dem Bundesgerichtshof durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Rechtsbeschwerdeschrift und die Begründung der Rechtsbeschwerde von einem solchen unterzeichnet sein. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der angefochtenen Entscheidung vorgelegt werden.
77Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
78Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 wird hingewiesen.
79Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.