Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen Pkw.
3Die Beklagte ist eine Tochtergesellschaft des P Elektroautoherstellers U, Inc., dessen Produkte sie als Direktvermarkterin vertreibt. Die Beklagte verkauft und vertreibt ihre Fahrzeuge in Deutschland über 36 physische sog. „U Stores“ sowie diverse Auslieferungszentren. In diesen „U Stores“ können (potenzielle) Kunden die Fahrzeuge der Beklagten ansehen und sich bei Mitarbeitern der Beklagten über die Fahrzeuge informieren. Zwischen den Parteien ist streitig, ob darüber hinaus auch Probefahrten und Kaufvertragsabschlüsse in diesen „U Stores“ möglich sind.
4Der Kläger erwarb unter dem 27.12.2021 unter Nutzung des Onlineshops der Beklagten unter der „…“ ein Elektroauto des Modells „U Y“ zum Preis von 43.970,00 € brutto von der Beklagten zu privaten Zwecken.
5Die Beklagte informierte den Kläger über das ihm zustehende fernabsatzrechtliche Widerrufsrecht. Dazu führte sie in den Vertragsunterlagen, Seite 5 von 6 (Anlage K1, Bl. 16 d. A.), unter der Überschrift „Regionalspezifische Vorgaben“ wie folgt aus:
6Widerrufsbelehrung
7Widerrufsrecht
8Wenn Sie ein Verbraucher sind und diesen Vertrag ausschließlich unter der Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (wie z.B. über das Internet, per Telefon, E-Mail o.ä.) geschlossen haben, haben Sie das Recht, binnen vierzehn Tagen ohne Angabe von Gründen diesen Vertrag nach den nachstehenden Regelungen zu widerrufen.
9Die Widerrufsfrist beträgt vierzehn Tage ab dem Tag, an dem Sie oder ein von Ihnen benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, die Waren in Besitz genommen haben bzw. hat.
10Um Ihr Widerrufsrecht auszuüben, müssen Sie uns (U GmbH, C, ….) mittels einer eindeutigen Erklärung (z.B. ein mit der Post versandter Brief, Telefax oder E-Mail) über Ihren Entschluss, diesen Vertrag zu widerrufen, informieren. Sie können dafür das beigefügte Muster-Widerrufsformular verwenden, das jedoch nicht vorgeschrieben ist.
11Zur Wahrung der Widerrufsfrist reicht es aus, dass Sie die Mitteilung über die Ausübung des Widerrufsrechts vor Ablauf der Widerrufsfrist absenden.
12Folgen des Widerrufs
13Wenn Sie diesen Vertrag widerrufen, haben wir Ihnen alle Zahlungen, die wir von Ihnen erhalten haben, einschließlich der Lieferkosten (mit Ausnahme der zusätzlichen Kosten, die sich daraus ergeben, dass Sie eine andere Art der Lieferung als die von uns angebotene, günstigste Standardlieferung gewählt haben), unverzüglich und spätestens binnen vierzehn Tagen ab dem Tag zurückzuzahlen, an dem die Mitteilung über Ihren Widerruf dieses Vertrags bei uns eingegangen ist. Für diese Rückzahlung verwenden wir dasselbe Zahlungsmittel, das Sie bei der ursprünglichen Transaktion eingesetzt haben, es sei denn, mit Ihnen wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart; in keinem Fall werden Ihnen wegen dieser Rückzahlung Entgelte berechnet. Wir können die Rückzahlung verweigern, bis wir die Waren wieder zurückerhalten haben oder bis Sie den Nachweis erbracht haben, dass Sie die Waren zurückgesandt haben, je nachdem, welches der frühere Zeitpunkt ist.
14Sie haben die Waren unverzüglich und in jedem Fall spätestens binnen vierzehn Tagen ab dem Tag, an dem Sie uns über den Widerruf dieses Vertrags unterrichten, an U GmbH, C oder an Ihr örtliches U Delivery Center zurückzusenden oder zu übergeben. Die Frist ist gewahrt, wenn Sie die Waren vor Ablauf der Frist von vierzehn Tagen absenden.
15Sie tragen die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren.
16Sie müssen für einen etwaigen Wertverlust der Waren nur aufkommen, wenn dieser Wertverlust auf einen zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren nicht notwendigen Umgang mit ihnen zurückzuführen ist.
17Die Beklagte unterließ es bei der vorstehenden Belehrung, eine Telefonnummer anzugeben.
18Dem Kläger wurde das Fahrzeug am 16.12.2022 übergeben. Er entschied sich am 16.06.2023 zum Widerruf seiner Vertragserklärung und ließ diese am gleichen Tag von einem Dienstleister als Bote per E-Mail und per Einschreiben an die Beklagte übermitteln.
19In der Folgezeit forderte der Kläger die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 06.07.2023 zur Rückzahlung des Kaufpreises auf.
20Der Kläger meint, der streitgegenständliche Kaufvertrag sei wirksam widerrufen und daher rückabzuwickeln.
21Der Kläger behauptet dazu insbesondere, die Beklagte habe zur Widerrufsinformation das Muster aus Anlage 1 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB verwendet und die Angabe der Telefonnummer entgegen der Ausfüllhinweise unterlassen. Die Beklagte verwende jedoch in ständiger Praxis eine auf ihrer Internetseite prominent an zahlreichen Stellen hervorgehobene Telefonnummer zur Kommunikation mit ihren Kunden.
22Der Kläger behauptet weiter, das Fahrzeug nach dem Widerruf unter Einschaltung eines Boten an die Beklagte versandt zu haben. Er habe den Boten damit beauftragt, das Fahrzeug an ein Auslieferungszentrum der Beklagten zu überbringen, wie von der Beklagten in ihrer Widerrufsbelehrung gefordert. Dort sei es jedoch nicht angenommen, sondern die Rücknahme verweigert worden.
23Der Kläger meint, die Beklagte befinde sich mit ihrer Pflicht zur Rückzahlung des vollständigen Kaufpreises spätestens 14 Tage seit Zugang der Widerrufserklärung in Verzug.
24Aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB i. V. m. dem Rückgewährschuldverhältnis folge ferner der Erstattungsanspruch wegen der Kosten zur zweckmäßigen vorgerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.877,11 €. Diese seien erforderlich gewesen, weil der Kläger damit habe rechnen dürfen, dass die Beklagte sich nach Erläuterung der Rechtslage rechtskonform verhalten würde.
25Der Kläger beantragt,
261. die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag von 43.970,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 43.970,00 € seit dem 01.07.23 zu zahlen,
272. an ihn einen Betrag von 1.877,11 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
28Die Beklagte beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Die Beklagte meint, ein Widerrufsrecht stehe dem Kläger schon deshalb nicht zu, da er ein individualisiertes Produkt erworben habe.
31Der Widerruf des Klägers sei jedenfalls verfristet. Der Kläger habe den Widerruf nicht innerhalb der vierzehntägigen Widerrufsfrist erklärt, sondern erst sieben Monate nach Übergabe des Fahrzeugs. Gründe, die einen späteren Widerruf ermöglichen würden, lägen hier nicht vor, weil die Beklagte den Kläger bei Vertragsschluss eine individuelle Widerrufsbelehrung übermittelt habe, in der sie den Kläger korrekt und umfassend über die Bedingungen des Widerrufsrechts, die Fristen und das Verfahren gemäß § 356 Abs. 3 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB informiert habe. Die Muster-Widerrufsbelehrung habe sie gerade nicht verwendet. Sie habe lediglich über die Verwendung des Muster-Widerrufsformulars informiert. Insoweit gälten auch die Ausfüllhinweise nicht. Die Nichtangabe einer Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung sei daher unschädlich und führe nicht zu einer Verlängerung der Widerrufsfrist, zumal die Beklagte eine Vielzahl von Kommunikationsmöglichkeiten anbiete, eine hohe Präsenz bei ihren Kunden zeige und tatsächlich der größte Teil der Korrespondenz auf elektronischem Wege stattfinde, so auch beim Kläger.
32Die Beklagte behauptet, der Kläger habe die Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs nie ernsthaft versucht und wolle es weiter nutzen. Zugleich wolle er staatliche Fördermittel einbehalten, hinsichtlich derer die Einhaltung einer sechsmonatigen Bindungsfrist erforderlich gewesen sei. Ein behaupteter Bote habe jedenfalls einen Rückgabeversuch nicht durchgeführt.
33Die Beklagte erklärt hilfsweise die Aufrechnung mit einem Betrag von 13.270,00 €. Hierzu meint sie, der Kläger sei nach § 357a Abs. 1 BGB verpflichtet, Wertersatz für alle Handlungen zu leisten, die auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen sind, die zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise des Fahrzeugs nicht notwendig war. Der maßgebliche Händlereinkaufspreis, auf dessen Grundlage der Wertverlust zu berechnen sei, betrage EUR 30.700,00, der Verlustfaktor 20%.
34Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien verwiesen.
35Die Kammer hat mit Beschluss vom 09.11.2023 nach Zustimmung beider Parteien das schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet und eine den Schluss der mündlichen Verhandlung ersetzende Schriftsatzfrist bis zum 20.12.2023 gesetzt.
36Entscheidungsgründe:
37Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
381.
39Die Klage ist im Urkundenprozess statthaft. Zum Beweis der entscheidungserheblichen Tatsachen genügte die Vorlage entsprechender Dokumente. Demgemäß kam es auch zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO. Dieses Urteil ergeht indes nach § 597 Abs. 1 ZPO.
40Das Landgericht Paderborn ist auch örtlich zuständig. Dies ergibt sich aus § 29 ZPO, nachdem die Beklagte selbst den Verbleib des streitgegenständlichen Fahrzeugs beim Kläger – sei es auch streitig – vorträgt (vgl. BeckOGK-BGB/Beurskens, § 269 Rn. 54).
412.
42Die Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
43Dem Kläger steht ein Anspruch auf Rückgewähr der Kaufpreiszahlung aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere nicht aufgrund seines Widerrufs vom 16.06.2023, zu.
44a)
45Dem Grunde nach stünde dem Kläger wohl ein Widerrufsrecht zu, nachdem die bloße Wahl von Ausstattungsmerkmalen eines Neuwagens noch keine Individualisierung des Gegenstandes im Sinne des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ist (vgl. BeckOGK-BGB/Busch, § 312g Rn. 17).
46Ein Rückgewähranspruch aus § 357 Abs. 1 i. V. m. § 355 Abs. 3 BGB scheitert jedoch an einem Ablauf der für den Widerruf gesetzlich vorgesehenen 14-tägigen Frist.
47Die Kammer hat diesbezüglich die von der Beklagten zitierten und insoweit auch dem Kläger zumindest bekannt gewordenen Entscheidungen des LG Münster (Urt. v. 14.09.2023, Az. 02 O 101/23), des LG Berlin (Urt. v. 13.10.2023 Az. 38 O 111/23; Urt. v. 30.11.2023, Az. 28 O 89/23) und des LG Weiden/Oberpfalz (Urt. v. 24.10.2023, Az. 23 O 296/23) ausgewertet. Wie bereits mit prozessleitender Verfügung vom 25.10.2023 (Bl. 128 d. A.) mitgeteilt, schließt sich die Kammer der übereinstimmenden Rechtsauffassung dieser Gerichte vollumfänglich an und bestätigt damit die rechtliche Einschätzung der Beklagten.
48In Anbetracht des Umstandes, dass es sich bei dem vorliegenden Rechtsstreit erkennbar um ein Element einer Masse gleichgelagerter Verfahren handelt, wie auch die beiderseitigen Prozessbevollmächtigten wiederholt in ihren Schriftsätzen andeuten, wird sich die Kammer insoweit auf die Wiedergabe der nötigsten, gleichwohl zutreffenden Ausführungen der vorzitierten Entscheidungen beschränken, deren inhaltliche Aussagekraft einer neuerlichen, vermeintlich individuellen literarischen Verpackung nicht bedarf.
49Nach § 357 Abs. 1 BGB sind die empfangenen Leistungen spätestens 14 Tage nach Erklärung eines wirksamen Widerrufs eines im Wege des Fernabsatzes geschlossenen Vertrages zurückzugewähren. Der Kläger hat den im Wege des Fernabsatzes (§ 312c BGB) geschlossenen Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht wirksam nach §§ 312g Abs. 1, 355 BGB widerrufen, weil die 14-tägige Widerrufsfrist (§ 355 Abs. 2 Satz 1 BGB) zum Zeitpunkt der Erklärung des Widerrufs bereits abgelaufen war. Gemäß §§ 355 Abs. 2, 356 Abs. 2 Nr. 1 a) BGB beträgt die Widerrufsfrist 14 Tage und beginnt mit der Übergabe der Ware an den Verbraucher. Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde dem Kläger am 16.12.2022 übergeben, sodass die Widerrufsfrist am 30.12.2022 endete. Der Kläger hat den Widerruf jedoch erst am 16.06.2023 erklärt.
50Entgegen der Ansicht des Klägers greift nicht deshalb die verlängerte Widerrufsfrist gem. §§ 356 Abs. 3 S. 2, 355 Abs. 2 S. 2, 356 Abs. 2 Nr. 1a BGB von 12 Monaten und 14 Tagen, weil die übermittelte Widerrufsbelehrung keine Telefonnummer der Beklagten enthalten hat.
51Gem. § 356 Abs. 3 S.1 BGB beginnt die Widerrufsfrist nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anforderungen des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 oder des Art. 246b § 2 Abs. 1 EGBGB unterrichtet hat. Nach S. 2 erlischt das Widerrufsrecht spätestens 12 Monate und 14 Tage nach dem in Absatz 2 oder § 355 Absatz 2 Satz 2 genannten Zeitpunkt.
52Nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 EGBGB ist der Unternehmer, wenn dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach § 312g Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zusteht, verpflichtet, den Verbraucher zu informieren über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Abs. 1 BGB sowie das Muster-Widerrufsformular in der Anlage. Nach S. 2 kann der Unternehmer diese Informationspflichten dadurch erfüllen, dass er das in der Anlage 1 vorgesehene Muster für die Widerrufsbelehrung zutreffend ausgefüllt in Textform übermittelt.
53Die Angabe einer Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung ist folglich nach dem Wortlaut der einschlägigen Normen für den Beginn der Widerrufsfrist bereits nicht notwendig. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob, wo und in welchem Zusammenhang die Beklagte tatsächlich Telefonnummern angibt oder verwendet.
54§ 356 Abs. 3 BGB stellt für den Beginn der Widerrufsfrist bei Fernabsatzverträgen (§ 312c BGB) auf Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB ab. Ein Verweis auf Art. 246a § 1 Abs. 1 insbesondere auf Nr. 2 der alten Fassung und Nr. 3 der neuen Fassung, wonach der Unternehmer dem Verbraucher die Telefonnummer zur Verfügung stellen muss, erfolgt gerade nicht. Jedenfalls für die Frage des Fristbeginns nach § 356 Abs. 3 BGB sind in der Widerrufsbelehrung daher nur die Angaben erforderlich, die in Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB genannt werden, und gerade nicht die Angaben aus Art. 246a § 1 Abs. 1 EGBGB.
55Eine für den Fristbeginn allein maßgebliche vollständige Informationserteilung erfordert bei Fernabsatzverträgen somit nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB (lediglich) eine ausreichende Information des Verbrauchers über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts sowie über das Muster-Widerrufsformular nach Anlage 2 (und nicht über die Muster-Widerrufsbelehrung nach Anlage 1). Die Verletzung weiterer, auf den Vertragsgegenstand bezogener Informationspflichten, die nicht in Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB genannt werden, haben bei Fernabsatzverträgen dahingegen keinen Einfluss auf den Beginn der Widerrufsfrist (Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 356 Rn. 7).
56Für diese Sichtweise spricht neben dem Wortlaut auch die Systematik des § 356 Abs. 3 BGB. Denn für Finanzdienstleistungen wird ausdrücklich auf Art. 246b § 2 Abs. 1 EGBGB verwiesen, der durch einen Verweis auf § 1 (des Art. 246b) auch die Informationspflichten einbezieht, was Art. 246a § 1 Abs. 2 EGBGB a. F. gerade nicht vorsieht. Der Gesetzgeber hat für den Fernabsatzvertrag bewusst die Informationspflichten aus Art. 246a § 1 Abs. 1 EGBGB und damit insbesondere die Angabe einer Telefonnummer aus dem Verweis in § 356 Abs. 3 BGB herausgenommen und fordert folglich die Erteilung der Informationspflichten nicht für den Beginn der Widerrufsfrist. Bei Fernabsatzverträgen genügt im Gegensatz zu Verträgen über Finanzdienstleistungen die Information nach § 246a § 1 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB (Grüneberg/Grüneberg, 82. Aufl., § 356, Rn. 7). Den Gesetzgebungsmaterialien ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber nicht grundsätzlich von einem telefonischen Widerruf ausging, weil neben dem Widerruf unter Verwendung des Widerrufsformulars lediglich die Möglichkeiten des Widerrufs per Post, E-Mail oder Telefax in Erwägung gezogen wurden (BT-Drs. 17/12637, Seite 60). Die insoweit relevanten Informationspflichten waren auch nach dem Willen des Gesetzgebers in Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB geregelt (BT-Drs. 17/12637, Seite 61).
57Auch folgt allein aus der Verpflichtung der Information über „das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts“ nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB nicht das zwingende Erfordernis der Angabe der Telefonnummer. Über die Form des Widerrufs ist nach der Norm gerade nicht aufzuklären, sodass auch nicht über einen telefonischen Widerruf mitsamt Telefonnummer zu informieren ist. Durch die Nichtangabe der Telefonnummer entsteht im Übrigen auch nicht der Eindruck, dass ein telefonischer Widerruf nicht möglich wäre, da im Weiteren nur beispielhaft verschiedene Kommunikationsformen dargestellt werden und ohnehin für den Widerruf kein Formzwang besteht.
58Auch aus dem Verweis auf das Muster-Widerrufsformular gemäß Anlage 2 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB folgt, dass der Unternehmer seinen Namen und seine Anschrift angeben muss, die Angabe der Telefonnummer aber gerade nicht zwingend ist: ("[hier ist der Name, die Anschrift und die E-Mail-Adresse des Unternehmers durch den Unternehmer einzufügen]").
59Darüber hinaus übermittelte die Beklagte dem Kläger bei Vertragsschluss am 27.12.2021 eine individuelle Widerrufsbelehrung in Textform und verwendete nicht die in Anlage 1 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB abgedruckte Muster-Widerrufsbelehrung, die unter [2] der Gestaltungshinweise vorsieht „Fügen Sie Ihren Namen, Ihre Anschrift, Ihre Telefonnummer und Ihre E-Mail-Adresse ein.“
60In dieser individuellen Widerrufsbelehrung hat die Beklagte den Kläger entsprechend ihrer Verpflichtung aus Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Abs. 1 BGB sowie über das Muster-Widerrufsformular nach Anlage 2 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB (nicht identisch mit der Muster-Widerrufsbelehrung nach Anlage 1 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB) informiert. Die Benutzung des Belehrungsmusters in Anlage 1 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2 EGBGB ist nicht obligatorisch wie sich bereits aus dem Wortlaut („kann“) des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB ergibt, sodass es der Beklagten freistand, eine eigene Widerrufsbelehrung zu formulieren.
61Auch sei darauf hingewiesen, dass die Muster-Widerrufsbelehrung keinen Mindeststandard regelt, der an alle individuellen Widerrufsbelehrungen anzulegen ist. Die Bedeutung der Muster-Widerrufsbelehrung liegt vielmehr in der Privilegierung des Unternehmers durch die Gesetzlichkeitsfiktion, vgl. Art. 6 Abs. 4 S. 2 der Verbraucherrechterichtlinie. Der Muster-Widerrufsbelehrung kommt keine eigene normative Wirkung zu und sie verändert nicht die Vorgaben der Verbraucherrechterichtlinie an die Widerrufsbelehrung (Art. 6 Abs. 1 lit. h Verbraucherrechterichtlinie). Einzige Auswirkung ist, dass der Unternehmer, der die Muster-Widerrufsbelehrung nicht verwendet, gerade nicht in den Genuss der genannten Fiktion kommt, auf die sich die Beklagte vorliegend auch gar nicht beruft.
62Auch die Anforderungen der Verbraucherrechterichtlinie sind erfüllt. Entgegen der Ansicht des Klägers verlangt Art. 6 Abs. 1 lit. c) der sog. "Verbraucherrechterichtlinie" (Richtlinie (EU) 2011/83 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates) gerade nicht die Angabe einer Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung. Die Verbraucherrechterichtlinie gibt auf europäischer Ebene in Art. 6 Abs. 1 lit. c) lediglich vor, dass dem Verbraucher vorvertraglich die Kontaktdaten des Unternehmers und gegebenenfalls eine Telefonnummer mitzuteilen sind. Diese Informationspflicht steht jedoch nicht im Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 1 lit. h) der Verbraucherrechterichtlinie, der die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung regelt. Nach dieser Vorschrift hat der Unternehmer den Verbraucher – wie im nationalen Recht auch – im Falle des Bestehens eines Widerrufsrechts lediglich über "die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts gemäß Artikel 11 Absatz 1 sowie das Muster-Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B" zu informieren. Eine Information über die Form des Widerrufs und somit eine Verpflichtung zur Angabe einer Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung ist auch in Art. 6 Abs. 1 lit. h) der Verbraucherrechterichtlinie nicht vorgesehen. Auch aus Art. 11 Abs. 1 S. 2 b) der Richtlinie ergibt sich nichts anderes. Darin ist lediglich geregelt, dass der Verbraucher zum Zweck der Information des Unternehmers über seinen Entschluss, den Vertrag zu widerrufen, entweder das Muster-Widerrufsformular des Anhangs I Teil B verwenden oder eine entsprechende Erklärung in beliebiger anderer Form abgeben kann, aus der sein Entschluss zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgeht.
63Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich auch aus der sog. EIS-Entscheidung des EuGH (Urteil vom 14.05.2020, C-266/19, GRUR 2020, 753) und des BGH (Urteil vom 24.09.2020, I ZR 169/17, GRUR 2021, 84) nicht, dass die Angabe einer Telefonnummer für den Beginn der Widerrufsfrist im vorliegenden Fall notwendig ist. Diese Urteile ergingen in einem Rechtsstreit zwischen zwei Wettbewerbern und behandeln vor allem wettbewerbsrechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit der allgemeinen Informationspflicht und dem Musterschutz bei der Verwendung der Muster-Widerrufsbelehrung. Die gesetzlichen Zielrichtungen und Schutzzwecke unterscheiden sich insoweit erheblich. Eine Aussage darüber, welche zivilrechtliche Rechtsfolgen die Nichtangabe einer Telefonnummer in einer individuellen Widerrufsbelehrung hat, insbesondere ob hiervon der Beginn der Widerrufsfrist nach § 356 Abs. 3 BGB abhängig ist, haben der EuGH und BGH gerade nicht getroffen.
64Die Kammer konnte nach dem Vorstehenden auf Ausführungen zu der streitigen Frage der tatsächlichen Fahrzeugrückgabe ebenso verzichten wie auf eine Positionierung zur Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit des klägerischen Gebarens.
65b)
66Weitergehende Anspruchsgrundlagen für das Rückzahlungsverlangen des Klägers sind nicht ersichtlich. Sein Vorbringen stützt sich ausschließlich auf Ausführungen zum Widerruf. Es ist nicht veranlasst, die entsprechende Erklärung auszulegen oder Voraussetzungen etwa eines Gewährleistungsrechts zu prüfen, nachdem hierzu nichts vorgetragen ist.
67c)
68Der Kläger war infolge des Unterliegens in der Hauptsache auch mit dem Antrag auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten abzuweisen.
693.
70Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
71Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO.
72Die Kammer hat außerdem beschlossen: Der Streitwert wird auf 43.970,00 € festgesetzt.