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Die Angeklagte wird wegen Misshandlung Schutzbefohlener in 3 Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Paderborn vom 13.10.2021, Az. 72 Cs – 23 Js 86/21 – 394/21, zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt.
Die Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens sowie ihre notwendigen Auslagen und die notwendigen Auslagen der Nebenklage.
Angewendete Vorschriften: §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 5, 225 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 und 2, 13 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 S. 2, 55 Abs. 1 S. 1 StGB.
G r ü n d e
2I.
31. Person der Angeklagten, Werdegang, persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse
4Die zur Zeit der Hauptverhandlung 34-jährige Angeklagte wurde in ... geboren. Sie wuchs mit drei weiteren Geschwistern bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater, der sie im Alter von zwei Jahren adoptierte, in ... in geregelten und nach eigenen Angaben gewaltfreien Verhältnissen auf. Ihr leiblicher Vater, zu dem sie nahezu keinen Kontakt hatte, ist bereits verstorben. Ihr jetzt 65-jähriger Stiefvater war lange Zeit als Kranführer bei der Firma ... in ... beschäftigt, bis er diese Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. Ihre 58-jährige Mutter war als Zahntechnikerin beschäftigt, erlitt aber vor Jahren einen Schlaganfall und ist mittlerweile pflegebedürftig. Ihre zwischen 32 und 36 Jahre alten Geschwister üben als Bürokauffrau, Gas- und Wasserinstallateur sowie Maler- und Lackierer geregelte Berufe aus.
5Die Angeklagte besuchte regulär die Grundschule und später zunächst für gut ein Jahr die Realschule im ... Stadtteil ..., bevor sie leistungsbedingt auf die Hauptschule wechselte. Die Hauptschule schloss sie mit Fachoberschulreife ab und begann anschließend eine Ausbildung beim Arbeitsamt in ... zur Fachangestellten für Arbeitsförderung. Nach erfolgreichem Abschluss der Berufsausbildung wurde sie übernommen und arbeitete einige Jahre in ihrem erlernten Beruf als Angestellte beim Arbeitsamt, zuletzt – nach einem erfolgten Wechsel der Behörde – bei der Arbeitsagentur in .... Während dieser Zeit zog sie nach ... zu ihrem damaligen Lebensgefährten, den sie 2009 heiratete, sich aber bereits im Jahr 2010 wieder von ihm scheiden ließ. Im Jahr 2012 gab die Angeklagte ihre berufliche Tätigkeit bei der Arbeitsagentur ... auf, weil sie sich nach eigenen Angaben mit den dortigen Arbeitsverhältnissen und vor allem dem dortigen schwierigen, teils übergriffigen Klientel nicht mehr arrangieren konnte. Im selben Jahr wurde die Angeklagte erstmals von ihrem damaligen Lebensgefährten, Herrn ..., mit dem sei etwa ein halbes Jahr zusammen war, schwanger und brachte am 14.01.2013 ihre erste Tochter namens ... (im Folgenden „...“) zur Welt.
6Noch im Jahr 2012 – während ihrer Schwangerschaft – lernte die Angeklagte indessen einen neuen Partner, Herrn ..., kennen und begann mit ihm eine neue Beziehung. Aus der Beziehung mit Herrn ..., den sie am 09.12.2013 heiratete, ging die am 03.05.2014 geborene zweite Tochter der Angeklagten namens ... (im Folgenden: „...“) hervor. Auch die Partnerschaft mit Herrn ... endete bereits im Oktober 2014 wieder, nach Angaben der Angeklagten, weil dieser Drogen konsumiert und unter psychischen Problemen gelitten habe; die Scheidung erfolgte allerdings erst im Jahr 2016. Ende 2014 lernte die Angeklagte den Zeugen ... kennen, kam mit ihm zusammen und zog zu ihm nach .... Aus dieser Beziehung mit dem Zeugen ... ging die am 02.12.2017 geborene dritte Tochter der Angeklagten namens ... (im Folgenden: „...“) hervor. Die Beziehung zerbrach Ende 2019. Die Angeklagte zog im Januar 2020 aus dem Haus des Zeugen ... aus und in eine eigene Wohnung in ....
7Kurze Zeit nach Beendigung ihrer Tätigkeit bei der Arbeitsagentur in ... begann die Angeklagte damit, über die Internetplattform „facebook“ selbst gestrickte Kinderbekleidungsstücke zu präsentieren und zu verkaufen. Aus dieser Tätigkeit bezog sie eigenen Angaben zufolge zuletzt monatliche Einnahmen im „dreistelligen“ Bereich. Diese Tätigkeit beendete sie nach eigenen Angaben im Oktober 2018, nachdem ... infolge des unter II.) näher dargestellten Tatgeschehens vom Jugendamt in Obhut genommen wurde. Im Zeitraum 2015 bis 2019 übte die Angeklagte nebenberuflich zudem Bürotätigkeiten im Unternehmen ihres damaligen Lebensgefährten ... aus, der seinerzeit einen Malerfachbetrieb unterhielt. Nach der Trennung vom Zeugen ... nahm die Angeklagte ab Februar 2020 wieder Tätigkeiten im öffentlichen Dienst wahr, zunächst bei der Stadt ... und später bei der Stadt .... Seit Anfang 2023 ist sie beim Jobcenter der Stadt ... angestellt. Sie bezieht aus dieser Tätigkeit ein monatliches Nettoeinkommen von 2.200,00 Euro. Nach eigenen Angaben werden gegen sie Unterhaltsansprüche seitens des Kreises ... wegen der mittlerweile fremduntergebrachten Kinder geltend gemacht. Sie befindet sich eigenen Angaben zufolge seit November 2020 in einem Privatinsolvenzverfahren. Alkohol oder Betäubungsmittel konsumierte die Angeklagte weder aktuell, noch in den vergangenen Jahren.
82. Familiengerichtliche Verfahrensgeschichte
9Mit Schreiben vom 06.09.2016 – mithin nach der unter II.) beschriebenen Tat zu 1.) zu Lasten von ... im November 2015 – meldete die Kinderklinik ...... dem Kreisjugendamt ... den Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung in Bezug auf die Kinder ... und ... aufgrund eines für möglich gehaltenen sog. Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms der Angeklagten. Auslöser waren ausweislich der Gefährdungsmitteilung unter anderem widersprüchliche Angaben zur Krankenvorgeschichte der Kinder sowie eine auffällige Manipulationshandlung der Angeklagten. Das Kreisjugendamt ... nahm eine Überprüfung und Risikoeinschätzung vor, sah seinerzeit allerdings von weiteren behördlichen und familiengerichtlichen Schritten ab, weil es noch keinen ausreichenden Anhalt für eine Gefährdungslage der Kinder erkannte.
10Anfang Oktober 2018 meldete die Kinderklinik ...... dem Kreisjugendamt ... erneut den Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung aufgrund eines dort als bestätigt angesehenen Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms bei der Angeklagten. Hintergrund war – wie unter II. näher dargelegt werden wird – eine stationäre Aufnahme von ... in der dortigen Klinik am 02.10.2018 aufgrund einer vital bedrohlichen Gewichtsabnahme trotz vorhandener perkutan endoskopischer Gastrostomie (im Folgenden: „PEG-Sonde“), d.h. eines künstlichen Zugangs von außen durch die Bauchdecke in den Magen des Kindes. Mit Beschluss vom 05.10.2018 entzog das Amtsgericht – Familiengericht – Paderborn, Az. 91 F 147/18, auf Betreiben des Jugendamtes des Kreises ... der Angeklagten und ihrem seinerzeitigen Lebensgefährten, dem Zeugen ..., im Wege einer einstweiligen Anordnung die Gesundheitsfürsorge und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind ... und ordnete Ergänzungspflegschaft durch das Kreisjugendamt ... an. ... wurde nach Beendigung der stationären Behandlung Ende Oktober 2018 zunächst in einer Pflegefamilie untergebracht.
11Im familiengerichtlichen Hauptsacheverfahren vereinbarten die Beteiligten im Anhörungstermin am 22.05.2019 vor dem Familiengericht Paderborn, Az. 91 F 166/18, ein engmaschiges „Schutzkonzept“ mit dem Ziel, die Rückkehr von ... in den elterlichen Haushalt zu ermöglichen. Dieses Konzept sah unter anderem die wöchentliche Vorstellung von ... beim Kinderarzt, die Anbindung der gesamten Familie an die sozialpädagogische Familienhilfe, die Sicherstellung einer Fremdbetreuung von ... durch eine Tagesmutter mit anschließendem Kindergartenbesuch sowie die Teilnahme der Angeklagten an therapeutischen Beratungen vor. Mit Beschluss vom 22.05.2019, Az. 91 F 166/18, entzog das Amtsgericht – Familiengericht – Paderborn entsprechend der getroffenen Vereinbarung im Schutzkonzept der Angeklagten und dem Zeugen ... das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht der Gesundheitsfürsorge für das Kind ... sowie der insoweit allein sorgeberechtigten Angeklagten das Recht der Gesundheitsfürsorge für die Kinder ... und ... ... und ordnete jeweils Ergänzungspflegschaft durch das Kreisjugendamt ... an. Auf die gleichwohl eingelegte Beschwerde der Kindeseltern wurde der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Paderborn durch Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 28.11.2019, Az. 6 UF 117/19, insoweit teilweise abgeändert, als dass den Kindeseltern lediglich das Recht der Gesundheitsfürsorge für ... sowie der Angeklagten das Recht der Gesundheitsfürsorge für die Kinder ... und ... entzogen wurde. Zugleich vereinbarten die Beteiligten im Senatstermin vom 28.11.2019 ein aktualisiertes „Schutzkonzept“. Dieses Konzept sah vor, dass alle drei Kinder einmal monatlich dem Kinderarzt ...aus ... vorgestellt werden, ... bis zur Aufnahme in den Kindergarten weiterhin von der Tagesmutter betreut wird und die Kindeseltern sich mit Kontrollen durch Mitarbeiter der Sozialpsychiatrischen Initiative („SPI“) im Rhythmus von 2 Wochen einverstanden erklären.
12Faktisch lebten ..., ... und ... nach Vereinbarung des Schutzkonzeptes am 22.05.2019 nach Maßgabe des Konzepts unter verstärkter Aufsicht des Kreisjugendamtes ... weiterhin im Haushalt der Angeklagten und ihres damaligen Lebensgefährten ... in .... Nachdem die Beziehung zum Zeugen ... Ende 2019 zerbrochen war, zog die Angeklagte mit den Kindern in eine eigene Wohnung um. Im Januar 2021 erfolgte für einen Zeitraum von mehreren Wochen eine vorübergehende Inobhutnahme und Fremdunterbringung von .... Hintergrund dieser Maßnahme war, dass die ärztlichen Behandler des Klinikums ... sich wegen des auch dort geschöpften Verdachts eines Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms bei der Angeklagten zur gebotenen Rückverlagerung eines medizinisch nicht indizierten künstlichen Darmausgangs bei ... (dazu unter II. 2.) nur im Falle einer Trennung des Kindes von der Angeklagten bereit erklärt hatten, um etwaige Manipulationen der Kindesmutter im Rahmen der Rückverlagerungsprozedur und der Nachsorge ausschließen zu können. Nach erfolgreich absolvierter Rückverlagerung des künstlichen Darmausgangs kehrte ... im Frühjahr 2021 in den Haushalt der Angeklagten zurück.
13Mit Beschlüssen vom 02.09.2021 entzog das Amtsgericht – Familiengericht – Paderborn der Angeklagten sodann im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig u.a. das Aufenthaltsbestimmungsrecht für alle Kinder und übertrug es bezogen auf ... und ... auf das Kreisjugendamt ... sowie bezogen auf ... auf den Kindesvater ... .... Hintergrund der Anordnung waren neben den bereits beschriebenen Verdachtsmomenten im Hinblick auf das Vorliegen eines Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms zwischenzeitlich festgestellte Erziehungsdefizite der Angeklagten. Die Kinder wurden in Vollzug der Beschlüsse aus dem Haushalt der Angeklagten herausgenommen. ... lebt seitdem bei ihrem Vater ... .... ... und ... sind seitdem in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Die gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Paderborn vom 02.09.2021 gerichteten Beschwerden der Angeklagten wies das Oberlandesgericht Hamm mit Beschluss vom 16.12.2021, Az. 6 UF 164/21, zurück. Während des hiesigen Strafverfahrens entzog das Amtsgericht – Familiengericht – Paderborn mit Beschluss vom 16.12.2022 der Angeklagten in der Hauptsache die elterliche Sorge für ihre Kinder ... und ... vollständig. Der Beschluss ist nicht rechtskräftig. Über den Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge für ... auf den Kindesvater ... ... war bei Urteilsverkündung der Kammer noch nicht entschieden.
143. Strafrechtliche Vorbelastung
15Die Angeklagte ist strafrechtlich bereits in Erscheinung getreten. Ihr Bundeszentralregisterauszug enthält eine Eintragung:
16Mit Strafbefehl vom 13.10.2021, Az. 72 Cs – 23 Js 86/21 – 394/21, rechtskräftig seit dem 03.11.2021, setzte das Amtsgericht Paderborn wegen Betruges, begangen 15.01.2020, eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 20,00 Euro gegen sie fest. Die Geldstrafe ist noch nicht vollständig vollstreckt.
17Dem Strafbefehl liegen folgende Feststellungen zugrunde:
18„Sie stellten mit Eingang vom 15.01.2020 bei der Barmer Pflegekasse einen Antrag auf Verhinderungspflege für den Zeitraum 02.01.2020 bis 12.01.2020 für Ihre am 02.12.2017 geborene Tochter ..., da Sie sich aufgrund einer beruflichen Weiterbildung nicht um die Pflege kümmern könnten. Als Pflegekraft gaben Sie – ohne deren Wissen – Ihre Freundin ...aus ... an, die am 28.01.2020 aufgrund des bewilligten Antrags von der Barmer Pflegekasse einen Betrag in Höhe von 2.418,00 € auf ihr Konto bei der Volksbank ..., IBAN: ... überwiesen erhielt. Dieses Geld übergab die ...Ihnen sodann in zwei Teilbeträgen am 31.01.2020 sowie am 08.02.2020. Wie Ihnen bewusst war, hatten Sie keinen Anspruch auf die Versicherungsleistung, da Ihre Tochter in dem Zeitraum nicht durch die ...betreut wurde, sondern bei ihrer Tagesmutter ...in ... war.“
19II.
201. Vorgeschehen
21Die Angeklagte leidet seit unbekannter Zeit an dem sog. „Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom“, einer artifiziellen Störung, die spätestens im Jahr 2014 kurze Zeit nach der Geburt ihrer zweiten Tochter ... nach außen in Erscheinung trat. Diese Erkrankung zeichnet sich dadurch aus, dass die Angeklagte in Bezug auf ihre Kinder Krankheitssymptome gegenüber ihrem sozialen Umfeld, insbesondere gegenüber den eingeschalteten Ärzten, bewusst fingiert oder deutlich aggraviert, hierdurch bewusst medizinisch nicht indizierte Eingriffe bei ihren Kindern veranlasst, um sich auf diese Weise in ihrer Rolle als besorgte und hochkompetente Mutter inszenieren zu können und Wertschätzung von Dritten zu erfahren. Dabei investierte die Angeklagte erhebliche Zeit mit Recherchen im Internet, bei der sie sich über typische Symptome, Krankheitsbilder und Verläufe von Erkrankungen bei Säuglingen und Kleinstkindern informierte, um einerseits den behandelnden Ärzten „auf Augenhöhe“ begegnen zu können, anderseits um herauszufinden, wie sie auf ihre Töchter einwirken musste, um Krankheitsbilder zu behaupten oder hervorzurufen, die wiederum die Ärzte zu möglichst erheblichen medizinischen Eingriffen an ihren Kindern veranlassen würden.
22Um ihr übergeordnetes Ziel – die Inszenierung ihrer Person und die Generierung von Wertschätzung – zu erreichen, nahm sie die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und des körperlichen Wohlbefindens ihrer Kinder ... und ... durch die von ihr durch Falschangaben veranlassten Behandlungen und Eingriffe der von ihr manipulierten Ärzte bewusst in Kauf (Taten 1. und 2.) bzw. veranlasste ebenjene Beeinträchtigungen aber auch bewusst unmittelbar durch ihr eigenes Verhalten (Tat zu 3.).
232. Tat zum Nachteil von ...
24a) Vortatgeschehen
25Die seinerzeit 25-jährige Angeklagte brachte am 03.05.2014 im ... Krankenhaus ... in der 28. Schwangerschaftswoche ihre zweite Tochter ... ... per Sectio zur Welt. Aufgrund der Frühgeburtlichkeit bestanden initial nach der Geburt bei ansonsten stabilem Allgemeinzustand typische Atmungsprobleme im Sinne einer respiratorischen Insuffizienz bei ..., die eine entsprechende Beatmungsversorgung bereits im Kreissaal und anschließend auf der Intensivstation erforderlich machten. ... wurde aufgrund einer nachgeburtlichen respiratorischen Erschöpfung bis zum 06.05.2014 – also für 3 Tage – intubiert. Im Anschluss an die Extubation erfolgte bis zum 21.05.2014 – also für gut 2 Wochen – eine Atemunterstützung mittels sog. „CPAP-Atemhilfe“, bei der dem Säugling über eine Atemmaske durch einen künstlichen Überdruck das Einatmen erleichtert wird. Die Urin- und Stuhlausscheidungen waren unauffällig und kamen nach der Geburt spontan in Gang. Am 02.06.2014 konnte ... in stabilem Allgemeinzustand auf die reguläre Neugeborenen-Station der Klinik verlegt werden und am 04.06.2014 aufgrund des Wunsches der Kindeseltern nach einer heimatnahen Unterbringung in die neonatologische Abteilung der Kinderklinik ..., wo das Kind vom 04.06.2014 bis zum 26.06.2014 stationär weiterbehandelt wurde. ... konnte am 26.06.2014 in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden. Eine Stuhlgangsproblematik wurde bei ... nicht festgestellt.
26In der Zeit nach der Entlassung aus der Klinik Ende Juni 2014 bis zum Umzug der Angeklagten von ... nach ... Ende 2014 hatte die Angeklagte mit ... 3 weitere mehrtägige stationäre Krankenhausaufenthalte im ... ..., im ... Krankenhaus ... sowie dem ... .... Die Angeklagte beklagte bei der Vorstellung des Kindes anamnestisch neben anderen Symptomen wie Erbrechen, vermehrtes Spucken sowie Zyanosen, bewusst wahrheitswidrig regelmäßig eine angeblich seit der Geburt bestehende Obstipationsproblematik. Die Angeklagte behauptete hierbei wahrheitswidrig, dass ... Stuhlgang ausschließlich nach Manipulation des Anus mittels Fieberthermometer oder Kümmelzäpfchen absetzen könne. Aufgrund dieser anamnestischen Falschangaben der Angeklagten wurden während der stationären Krankenhausaufenthalte zahlreiche diagnostische Maßnahmen bei ... durchgeführt. Organische Ursache für die von der Angeklagten geschilderten Symptome konnten bei keinem der zahlreichen Krankenhausaufenthalte festgestellt werden. Insbesondere konnte die von der Angeklagten angegebene Stuhlgangsproblematik nicht nachvollzogen werden. Im Gegenteil stellte das Klinikpersonal während der Krankenhausaufenthalte vielfach ausdrücklich fest, dass ... manipulationsfrei gute Portionen Stuhl absetzen könne, was in den betreffenden Arzt- und Behandlungsberichten über die stationären Aufenthalte entsprechend dokumentiert wurde.
27Nachdem die Angeklagte Ende 2014 mit ihren Kindern ... und ... zu ihrem neuen Lebensgefährten, dem Zeugen ..., nach ... gezogen und in diesem Zusammenhang in die hausärztliche Versorgung der Zeugin ... gewechselt war, gab die Angeklagte auch gegenüber der neuen Hausärztin fortlaufend unzutreffender Weise anhaltende und seit der Geburt bestehende Stuhlgangs- und Verstopfungsprobleme bei ... an. Diese empfahl daraufhin die Durchführung weitergehender Diagnostik im ... Krankenhaus ... und stellte eine entsprechende Einweisung aus. Während der dortigen stationären Behandlung vom 13.04.2015 bis zum 17.04.2015, in der die beklagten Stuhlgangsprobleme erneut nicht beobachtet werden konnten, erfolgte vor dem Hintergrund der seitens der Angeklagten geschilderten Obstipationsproblematik unter anderem eine Rektumbiopsie. Hierbei konnte die seltene Darmtransportstörung „Morbus Hirschsprung“ ebenso ausgeschlossen werden, wie sog. „Dysgangliosen“ – also fehlerhafte Ausbildungen des Nervengeflechts in der Darmwand – oder sonstige Darmerkrankungen, die die seitens der Angeklagten berichteten Stuhlgangprobleme hätten erklären können, was der Angeklagten auch entsprechend mitgeteilt wurde.
28Nachdem die Angeklagte auch in der Folgezeit – trotz der unauffälligen Befunde im ... Krankenhaus ... – weiterhin tatsächlich nicht bestehende Verstopfungsprobleme gegenüber ihrer Hausärztin ... beklagte, stellte diese eine erneute stationäre Krankenhauseinweisung zur weiteren Abklärung aus. Aufgrund dieser Einweisung wurde die Angeklagte mit ... im August 2015 im ... in ... vorstellig. Es erfolgte vor dem Hintergrund der seitens der Angeklagten auch hier behaupteten Obstipationsproblematik eine erneute operative Rektumbiopsie bei ..., bei der die Darmerkrankung „Morbus Hirschsprung“ ebenso wie andere Darmerkrankungen erneut ausgeschlossen werden konnten. Auch während dieses stationären Aufenthalts war eine Stuhlentleerung – hier unter Einsatz des Abführmittels Movicol – spontan und ohne mechanische Manipulation möglich. Am 16.08.2015 wurde ... in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen mit der Empfehlung der häuslichen Anwendung von Movicol im Bedarfsfalle.
29b) Tatgeschehen (Tat 1.)
30Mit dem fortbestehenden Ziel – im Einzelfall zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststehende – erhebliche medizinische Eingriffe und Behandlungen bei ... zu veranlassen, beklagte die Angeklagte auch kurze Zeit nach Beendigung der stationären Behandlung in ... weiterhin bewusst wahrheitswidrig gegenüber der Hausärztin ..., dass die – tatsächlich nicht existente – Verstopfungsproblematik fortbestehe und auch unter Verwendung des Abführmittels Movicol – wie vom ... empfohlen – nicht in den Griff zu bekommen sei. Hierdurch veranlasste sie die Hausärztin ... zur Ausstellung einer erneuten Einweisung in eine stationäre Krankenhausbehandlung im ... Krankenhaus ..., wo ... in der Zeit vom 02.11.2015 bis zum 09.11.2015 in der Abteilung für Kinderchirurgie aufgenommen wurde. Gegenüber der Funktionsoberärztin, der Zeugin ..., wiederholte die Angeklagte ihre bewusst wahrheitswidrigen Angaben zu einer – tatsächlich nicht existenten – fortbestehenden Verstopfungsproblematik. Insbesondere wiederholte sie bewusst wahrheitswidrig ihre Behauptung, dass das verordnete Abführmittel Movicol nicht wirke und dass ... – nach Absetzen des angeblich unwirksamen Abführmittels – zwei bis dreimal in der Woche harten, teils blutigen Stuhl absetze, was sehr schmerzhaft für das Kind sei.
31Wie von der Angeklagten beabsichtigt, diagnostizierte der Chefarzt der Kinderchirurgie des ... Krankenhauses ..., der Zeuge ..., aufgrund dieser Falschangaben der Angeklagten bei ... eine „unklare Darmtransportstörung“ und empfahl die vorübergehende Anlage eines künstlichen Darmausgangs, um auf diesem Wege eine Beruhigung und eine Regeneration des Anus und des Darms sowie weitere Diagnostik zum Zwecke der Aufklärung der angenommenen unklaren Darmtransportstörung zu ermöglichen. Nach dem vom Zeugen ... entwickelten und der Angeklagten eröffneten Behandlungsplan sollte im Anschluss die Funktion des infolge des künstlichen Darmausgangs ausgeschalteten Darmabschnitts anhand einer Reisschleimbeprobung überprüft und ggfls. – beim Fehlen eines feststellbaren pathologischen Befundes – eine zeitnahe Rückverlegung des künstlichen Darmausgangs erfolgen. Die Angeklagte, der bewusst war, dass diese ärztliche Diagnose und die damit einhergehende Empfehlung dieses schwerwiegenden medizinischen Eingriffs – wie von ihr bezweckt – ausschließlich auf ihren unzutreffenden Symptomschilderungen beruhte, willigte für ... nach Aufklärung über die Operationsrisiken in die seitens des Zeugen ... für indiziert gehaltene Operation ein. Der Angeklagten war hierbei klar, dass sie ... – unter Instrumentalisierung der auf ihre Angaben vertrauenden Ärzte – eine erhebliche potentiell lebensgefährliche Körperverletzung durch die Operation zufügen würde mit anhaltenden körperlichen Beeinträchtigungen gerade auch in der Folgezeit. Diese Folge nahm die Angeklagte indessen bewusst in Kauf, um sich in der Folgezeit öffentlich, insbesondere in den sozialen Medien sowie auch gegenüber ihrem sonstigen Umfeld und dem medizinischen Personal im Rahmen der Nachversorgung als Mutter eines schwerbeeinträchtigten Kindes gerieren und inszenieren zu können.
32In dem irrtümlichen Glauben an die Richtigkeit der seitens der Angeklagten behaupteten Symptomschilderungen und vor dem Hintergrund der von der Angeklagten als sorgeberechtigte Mutter abgegebenen Einwilligung in den operativen Eingriff legte der Zeuge ... am 03.11.2015, unterstützt von der Zeugin ..., der zu dieser Zeit eineinhalbjährigen ... in Vollnarkose einen künstlichen Darmausgang. Hierzu eröffnete der Zeuge ... zunächst die Bauchwand des Kleinkindes mittels eines halbkreisförmigen Schnitts, zog eine Dickdarmschlinge durch die Bauchwand nach außen, eröffnete diese zum Teil mit einem weiteren chirurgischen Schnitt und befestigte die so bearbeitete Darmschlinge anschließend durch Vernähen an der Bauchwand des Kindes. Auf diesem Wege stellte er zwei Ausgänge (ein sog. „doppelläufiges Stoma“) her, mit einem zuführenden Ausgang (auch „Schenkel“ genannt), der den Stuhl in einen Auffangbeutel (sog. Stomabeutel) nach außen ableitete und einem abführenden und zum Anus des Kindes reichenden Ausgang, der fortan keinerlei Funktionen mehr übernahm und vorerst „ruhte“. Die mehrstündige Operation, die generell dazu geeignet war, eine Lebensgefahr für das Kleinkind herbeizuführen, verlief komplikationslos. Der postoperative Verlauf gestaltete sind unauffällig. ... konnte am 09.11.2015 mit reizlosen Wundverhältnissen und mit regelmäßig fördernden künstlichem Darmausgang in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden.
33c) Nachtatgeschehen
34Nachdem es der Angeklagten gelungen war, durch manipulatives Verhalten und unzutreffende Symptomschilderungen gegenüber den ärztlichen Behandlern die Anlage eines künstlichen Darmausgangs bei ... zu erreichen, konzentrierten sich ihre Bemühungen in der Folgezeit darauf, den scheinbar krankhaften Zustand ... dauerhaft aufrecht zu erhalten. Um zu verhindern, dass es zu einer zeitnahen Rückverlegung des von ihr veranlassten und medizinisch nicht gebotenen künstlichen Darmausgangs kam, sah die Angeklagte deshalb bewusst davon ab, ... entsprechend des von den Behandlern im ... Krankenhaus ... vorgesehenen und oben dargestellten Nachbehandlungsplans dort erneut vorzustellen. Zugleich profitierte sie davon, dass auch seitens des ... Krankenhauses ... nach Ausbleiben der Angeklagten zu den vereinbarten Nachbehandlungsterminen keine aktive Nachverfolgung des Behandlungsplans erfolgte. Dementsprechend missachtete die Angeklagten auch im Anschluss an eine stationäre Behandlung im Kinderkrankenaus ... im Februar 2016 bewusst den dort erteilten fachärztlich Rat zur zeitnahen Rückverlagerung des künstlichen Darmausgangs und wurde entgegen der dortigen Absprache weder in dieser, noch in einer anderen Klinik, noch bei ihrer Hausärztin ... vorstellig, um die Rückverlegung des künstlichen Darmausgangs zu planen oder sich auch nur dahingehend weiter beraten zu lassen.
35Im Gegenteil nutzte sie die von ihr geschaffene Lage eines vermeintlich krankhaften Zustandes bei ... dazu, um sich öffentlich als scheinbar fürsorgliche Mutter eines schwer erkrankten Kindes zu inszenieren, u.a. in dem sie anlässlich eines stationären Krankenhausaufenthalts mit ihren Kindern ... und ... im Sommer 2016 gegenüber anderen Eltern fälschlicherweise behauptete, dass ... über einen künstlichen Darmausgang verfüge, weil sie an der seltenen Darmerkrankung Morbus Hirschsprung leide.
36Zur tatsächlichen Rückverlagerung des medizinisch nicht erforderlichen künstlichen Darmausgangs kam es erst im Januar 2021 – mithin über 5 Jahre nach Anlage desselben – auf Betreiben des mittlerweile die Gesundheitsfürsorge innehabenden Kreisjugendamtes .... Vorangegangen war eine stationäre Diagnostik im Klinikum ... in der Zeit vom 10.11.2020 bis 27.11.2020, in der nochmals eingehend organische Ursachen für eine möglicherweise bestehende Darmerkrankung untersucht, letztlich sicher ausgeschlossen und deswegen eine zeitnahe Rückverlagerung des künstlichen Darmausgangs empfohlen wurde. Wegen des auch dort geschöpften Verdachts einer bestehenden artifiziellen Störung bei der Angeklagten, die seinerzeit noch mit ihren Kindern unter verstärkter staatlicher Aufsicht im Rahmen des vom Oberlandesgericht Hamm entwickelten „Schutzkonzepts“ zusammenleben durfte, erklärte man sich dort indessen mit der Rückverlegung nur für den Fall der Trennung ... von der Angeklagten bereit. Nachdem diese Voraussetzungen familiengerichtlich umgesetzt worden waren, kam es am 21.01.2021 im Klinikum ... zur operativen Rückverlagerungen des künstlichen Darmausgangs. Der postoperative Verlauf zeigte sich komplikationslos. ... setzte fortan regelmäßig und schmerzfrei Stuhl in die Toilette ab. Obstipationsproblematiken oder sonstige Verdauungsstörungen traten zu keiner Zeit auf. ... konnte am 28.01.2021 in gutem Allgemeinzustand aus der Klinik ... in die Obhut des Kreisjugendamtes entlassen werden. Auch in der Folgezeit bis zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung im hiesigen Verfahren sind Stuhlgangsprobleme bei ... nie festgestellt worden. Die Kammer vermochte auch nicht festzustellen, dass ... – über die verheilten Operationsnarben hinaus – tatbedingt Folgeschäden körperlicher oder seelischer Art erlitten hat.
373. Taten zum Nachteil von ...
38a) Vortatgeschehen
39Am 02.12.2017 gebar die damals 29-jährige Angeklagte im ... Krankenhaus ... in der 27. Schwangerschaftswoche ihre dritte Tochter ... mit einem Gewicht von 950 Gramm per eiliger Sectio wegen vorzeitiger Plazentaablösung nach unklarer Blutung. Aufgrund der Frühgeburtlichkeit des Kindes trat nach der Geburt initial ein erwartbarer Pneumothorax auf, der jeweils mit Drainagen versorgt wurde und eine anschließende Atmungsversorgung erforderlich machte. Das frühgeborene Kind wurde für die Dauer von 7 Tagen intubiert. Anschließend erfolgte eine Atemunterstützung mittels CPAP für insgesamt 28 Tage sowie für weitere 16 Tage mittels „high flow“, wobei ab dem 28.12.2017 kein Sauerstoffbedarf bei ... mehr bestand. Es entwickelte sich eine milde bronchopulmonale Dysplasie. ... wurde am 12.02.2018 mit einem Gewicht von 2.440 Gramm im nicht sondierten Zustand bei gutem Trink- und Atmungsverhalten mit adäquater Gewichtzunahme nach Hause entlassen.
40Trotz dieser objektiv günstigen gesundheitlichen Entwicklung ihres frühgeborenen Kindes veröffentlichte die Angeklagte in Befriedigung ihres Selbstdarstellungsbedürfnisses bereits Anfang März 2018 über ihre öffentlich für jedermann über das Internet einsehbare facebook-Seite einen 7-seitigen Artikel mit dem Titel „Unser Äffchen ist ein Frühchen“. In diesem Artikel berichtete die Angeklagte eingehend in dramatischer Art und Weise über die erlebte Geburt, den gesundheitlichen Verlauf und die aktuelle gesundheitliche Verfassung von .... Der Artikel endete mit dem seitens der Angeklagten erfundenen Hinweis, dass aufgrund einer bei ... bestehenden Gedeihstörung, d.h. einer verzögerten Größen- und Gewichtszunahme, eine PEG-Sonde im Raum stehe. Tatsächlich lagen für dieses Störungsbild – wie die Angeklagte wusste – keinerlei Anhaltspunkte vor. Ihr Ziel war wiederum die öffentliche Darstellung von bewusst unzutreffenden Krankheitsbildern bei ..., um sich so gegenüber ihrem sozialen Umfeld einschließlich den etwa 5.000 Follower ihrer facebook-Seite als aufopferungsvoll pflegende Mutter zu inszenieren und Aufmerksamkeit sowie Bewunderung für ihre vermeintliche Fürsorge zu bekommen.
41Zugleich war die Angeklagte entschlossen, auch ihre Tochter ... mit tatsächlich nicht bestehenden oder erheblich dramatisierten Krankheitssymptomen bei Ärzten vorzustellen, um damit die behandelnden Ärzte – in dem irrigen Glauben an die Richtigkeit ihrer Behauptungen – zu gravierenden, im Einzelnen noch nicht feststehenden medizinischen Eingriffen und Behandlungen ihres Säuglings zu veranlassen.
42In der Zeit vom 07.03.2018 bis zum 09.03.2018 – entweder kurze Zeit vor oder kurze Zeit nach Veröffentlichung des beschriebenen Artikels – stellte die Angeklagte ... erneut im ... Krankenhaus ... vor und gab anamnestisch eine seit 3 Tagen bestehende Trinkschwäche mit einhergehendem Gewichtsverlust an. Aufgrund dieser Angaben der Angeklagten wurde bei ... eine Nasensonde gelegt, um ein „Aufsondieren“ für den Fall einer zu geringen Trinkleistung des Kindes zu ermöglichen. Organische Ursachen für die behauptete Trinkschwäche, wie etwa eine Herzinsuffizienz, konnten während des stationären Aufenthalts ausgeschlossen werden.
43In der Zeit vom 17.04.2018 bis 19.04.2018 wurde ... abermals im ... Krankenhaus ... stationär aufgenommen. Anamnestisch gab die Angeklagte nunmehr Phasen längerer Atempausen sowie Blauverfärbungen an Händen und Füßen (sog. „Zyanosen“) an. Nach Durchführung umfangreicher diagnostischer Maßnahmen einschließlich Polygraphie und Sauerstoffsättigungsmonitoring konnten weder die behaupteten Atempausen noch auffällige Zyanoseanfälle festgestellt werden. Sämtliche Untersuchungen waren unauffällig. ... wurde am 19.04.2018 in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen.
44In der Zeit vom 09.05.2018 bis zum 25.05.2018 stellte die Angeklagte ... im ... Krankenhaus ... vor. Die Angeklagte beklagte in der Anamnese in Bezug auf Atmung und Ernährung ähnliche Symptomatiken, wie bei den vorherigen Klinikaufenthalten, insbesondere vermehrte häusliche Atmungsprobleme, eine schnelle Erschöpfung und ein Nachlassen des Trinkverhaltens. Klinisch wurde eine beginnende respiratorische Erschöpfung vermutet und deswegen ab dem 15.05.2018 eine high-flow-Therapie – hierbei handelt es sich um eine milde Atemunterstützung – durchgeführt. ... wurde am 25.05.2018 in gutem Allgemeinzustand und – wegen der seitens der Angeklagten behaupteten häuslichen Atmungsprobleme – unter Verordnung eines häuslichen High-Flow-Therapiegeräts sowie Verordnung ambulanter häuslicher Pflege von 250 Stunden pro Monat – nach Hause entlassen.
45Aufgrund der Verordnung erhielt die Angeklagte ab Juni 2018 Unterstützung durch den mobilen Pflegedienst „...“, der in der Zeit zwischen 22:00 Uhr abends bis 06:00 Uhr morgens eingesetzt war und die Überwachung der durch „High-Flow“ unterstützten Atmung bei ... übernahm.
46In der Folgezeit verstärkte die Angeklagte unterdessen ihre Bemühungen, weitere medizinische Eingriffe bei ... zu veranlassen und beklagte gegenüber ... Haus- und Kinderarzt ... neben Ernährungs- auch Atmungsprobleme, obgleich seitens des Pflegediensts ein problematisches nächtliches Atmungsverhalten nicht beobachtet werden konnte. In diesem Zusammenhang drängte sie den Hausarzt ... dazu, eine Krankenhauseinweisung auszustellen, um die Anlage einer PEG-Sonde sowie möglichst auch eines Tracheostomas – also die Durchführung eines chirurgischen Luftröhrenschnitts mit anschließender Anlage einer Trachealkanüle zur vorübergehenden oder dauerhaften Herstellung einer künstlichen Beatmung – zu erreichen.
47Um ihrem Drängen Nachdruck zu verleihen und insbesondere die PEG-Sondenlegung zu erreichen, die sie bereits Anfang März 2018 – unzutreffend – als in Aussicht stehend in ihrem bei facebook veröffentlichten Bericht behauptet hatte, rief die Angeklagte am 23.07.2018 in der Praxis des Zeugen ... an und erklärte bewusst wahrheitswidrig, dass die Behandler im ... Krankenhaus in ... die Anlage einer PEG-Sonde bei ... empfehlen würden. In dem Glauben an die Richtigkeit dieser Angabe stellte ... – der selbst eine solche Sonde zwar nicht für erforderlich hielt, sich der angeblichen Empfehlung der Kollegen aber auch nicht in den Weg stellen wollte, zumal er davon ausging, dass dort die Indikation jeweils eigenständig geprüft werden würde – am 08.08.2018 eine entsprechende Krankenhauseinweisung ohne vorherige persönliche Untersuchung von ... aus. Die Einweisung sah – entsprechend dem geäußerten Wunsch der Angeklagten, dem sich der Zeuge ... nicht verschließen wollte – neben der Fragestellung einer PEG-Anlage auch die Fragestellung nach einer Bronchoskopie – also einer Lungenspiegelung – vor, um die Indikation nach einem Tracheostoma abzuklären. Nach Erhalt der Einweisung bemühte sich die Angeklagte zunächst im ... Krankenhaus ... vergeblich um einen entsprechenden Termin unter Berufung auf den unzutreffenden Hinweis, ... habe von sich aus die Anlage einer PEG-Sonde bei ... empfohlen.
48b) Tatgeschehen
49aa) Veranlassung der operativen PEG-Anlage (Tat 2.)
50Am 15.08.2018 stellte die Angeklagte ... schließlich auf Grundlage der ausgestellten Einweisung im ... Krankenhaus ... vor. In der Anamnese gab die Angeklagte gegenüber der Aufnahmeärztin, der Zeugin ..., wahrheitswidrig an, dass es bei ... beim Trinken zum Verschlucken und Aspirationen – also dem Eintritt von Flüssigkeiten in die Lunge – komme und sie dauerhaft nicht hinreichend mit Kalorien versorgt werden könne. Wie von der Angeklagten bezweckt stellten die Zeugin ... und ..., denen neben den anamnestischen Angaben der Angeklagten und der Einweisung des Hausarztes lediglich der Bericht aus dem ... Krankenhaus ... aus Mai 2018 vorlag, aufgrund dieser Angaben die Indikation zur Legung einer PEG-Sonde. Die Angeklagte, der bewusst war, dass die Empfehlung zur PEG-Anlage allein auf ihren unzutreffenden Symptomschilderungen beruhte, willigte für ... nach Aufklärung über die Operationsrisiken in den Eingriff ein. Dabei war der Angeklagten klar, dass die PEG-Anlage einen operativen Eingriff unter Vollnarkose erforderte, der generell mit Lebensgefahr für den Säugling verbunden war. Diese Umstände nahm sie indessen bewusst in Kauf, weil es ihr auch hier darauf ankam, sich in der Folgezeit als fürsorgliche Mutter eines angeblich schwer erkrankten PEG-sondierten Kindes inszenieren zu können.
51In dem Glauben an die Richtigkeit der von der Angeklagten gemachten Symptomschilderungen in ihren anamnestischen Angaben und vor dem Hintergrund der durch die Angeklagte erteilten Einwilligung in den medizinischen Eingriff, führten die ärztlichen Behandler – ... und die Zeugin ... – am 16.08.2018 bei der seinerzeit gut 8 Monate alten ... die Anlage einer PEG-Sonde durch. In dem etwa 20 Minuten andauernden operativen Eingriff führten sie zunächst einen Schlauch durch den Hals bis in den Magen des vollnarkotisierten Kindes ein. Danach durchstachen sie die Magenwand und die Bauchdecke, führten die PEG-Sonde oral ein, zogen sie an die Stelle der durchstochenen Magenwand und Bauchdecke und befestigten diese dort. Die Operation, die generell und allgemein zur Herbeiführung einer Lebensgefahr für ... geeignet war, verlief komplikationslos. Die PEG-Sonde konnte bereits am Abend mit Nahrung befahren werden.
52Die ebenfalls am 16.08.2018 durchgeführte Lungenspiegelung bei ... ergab eine normale Anatomie der Trachea ohne pathologischen Befund. Eine medizinische Indikation zur Anlage eines Tracheostomas bestand nicht, was der Angeklagten durch die Zeugin ... anschließend explizit mitgeteilt wurde. ... konnte am 18.08.2018 in stabilem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden mit der Empfehlung an die Angeklagte, ihrer Tochter täglich Sondennahrung in einer Menge von 8 x 80 ml „Infantrini“ – hierbei handelt es sich um spezielle Sondennahrung für Säuglinge – zuzuführen.
53bb) Gezielte Nahrungsvorenthaltung im Zeitraum 18.08.2018 bis 05.10.2018 (Tat 3.)
54Nachdem die Angeklagte anlässlich des stationären Aufenthalts im ... Krankenhaus ... erkannt hatte, dass der aktuelle gesundheitliche Zustand von ... die Anlage des von ihr angestrebten Tracheostomas aus medizinischen Gründen nicht hergab, entschloss sie sich nunmehr dazu, ... gezielt die vorgesehene Sonden-nahrung teilweise vorzuenthalten, um den damit einhergehenden Gewichtsverlust als Vorwand für weitere, medizinisch nicht indizierte Maßnahmen benutzen zu können, insbesondere der Durchsetzung ebenjenes im ... Krankenhaus ... abgelehnten Tracheostomas. Der Angeklagten war hierbei bewusst, dass ihr auf Gewichtsreduktion abzielendes wiederkehrende Unterlassen zu andauernden körperlichen Schmerzen bei ... führen würde und allgemein geeignet war, eine Lebensgefahr für den Säugling hervorzurufen. Diese Umstände nahm die Angeklagte aber wiederum bewusst in Kauf, um mit der Anlage des von ihr angestrebten Tracheostomas eine angeblich schwere Erkrankung ... noch deutlicher nach außen zum Ausdruck bringen zu können, mit einhergehender Inszenierung ihrer Person als fürsorgliche Mutter dieses vermeintlich schwererkrankten Kindes.
55Ihrem Tatplan entsprechend führte die Angeklagte ... in den folgenden Wochen bewusst deutlich geringere Nahrungsmengen als die täglich empfohlenen insgesamt 640 ml Infantrini zu, wobei die Kammer keine konkreteren Feststellungen zur genauen Menge der von ihr verabreichten Sondennahrung zu treffen vermochte. Fest steht, dass infolge der seitens der Angeklagten herbeigeführten Unterernährung ... Gewicht binnen 2 Wochen – genau: vom 15.08.2018 bis zur Vorstellung ... im ... Krankenhaus ... am 29.08.2018 zur Frühgeborenen-Risikonachsorge – tatplangemäß bereits von 6.030g auf 5.700g und damit unterhalb der 3. Perzentile abfiel.
56Am 11.09.2018 und am 19.09.2018 wurde die Angeklagte mit ... beim Hausarzt ... zur Abnahme von Blut und zur Gabe einer Schutzimpfung vorstellig. Hierbei beklagte sie die eingetretene Gewichtsabnahme bei ... auf zuletzt 5.565g am 19.09.2018. Entgegen ihrer Erwartung riet der Zeuge ... der Angeklagten aufgrund des passablen allgemeinen Zustands ... und der von ihm als in jedem Fall als ausreichend eingeschätzten Sondierungsmengen nach Plan an, die Entwicklung abzuwarten und stellte eine erneute Krankenhauseinweisung lediglich für den Fall einer weiteren Zustandsverschlechterung in Aussicht. Die Angeklagte, die hierdurch erkannt hatte, dass der von ihr herbeigeführte Gewichtsverlust bei ... noch nicht ausreichte, um den von ihr gewünschten medizinischen Eingriff umzusetzen, setzte vor diesem Hintergrund ihr Unterlassen in Bezug auf die ärztliche verschriebenen Nahrungsgaben unvermindert fort.
57Spätestens ab der zweiten Septemberhälfte 2018 intensivierte die Angeklagte unterdessen ihre Bemühungen, bei ... die Anlage des medizinisch nicht indizierten Tracheostomas durchzusetzen, indem sie in verschiedenen Kliniken Termine zur Durchführung ebenjenes Eingriffs vereinbarte oder zu vereinbaren versuchte. Zu diesem Zweck wandte sie sich zunächst an die Zeugin ..., die als Kinderkrankenpflegerin nebenberuflich für den Pflegedienst ... arbeitete und zeitweise im Rahmen von Nachtschichten ab Juni 2018 für die nächtliche Überwachung von ... eingesetzt wurde. Die Angeklagte bat die Zeugin ..., von der sie wusste, dass diese hauptberuflich im ... in ... beschäftigt war, darum, für sie und ... in der dortigen Klinik einen Termin zur Anlage eines Tracheostomas zu vereinbaren und hierbei „ein gutes Wort“ für sie einzulegen, um die dortigen Ärzte zur Durchführung des Eingriffs zu veranlassen. In diesem Zusammenhang legte die Angeklagte der Zeugin ... einen von ihr – der Angeklagten – an die Klinik adressierten Brief vor, in dem sie – die Angeklagte – wegen der angeblich weiten Anreise von ihrem damaligen Wohnsitz in ... nach ... um die Erteilung einer Zusage zur Anlage eines Tracheostomas ohne vorherige Untersuchung von ... bat. Die Zeugin ..., die bereits bei vorherigen Arbeitseinsätzen bei ... in Gesprächen mit der Angeklagten auf Nachfrage die Notwendigkeit der Durchführung eines solch schwerwiegenden Eingriffs eindeutig wegen der guten Atmungsleistung ... verneint hatte, nahm dieses Ansinnen mit Verwunderung zur Kenntnis und lehnte ihre Unterstützung ausdrücklich ab, worauf die Angeklagte verärgert reagierte.
58Zugleich ließ die Angeklagte in diesem Zeitraum über ihren facebook-account die Öffentlichkeit und ihre Follower – unter denen sich u.a. auch Eltern schwerstbehinderter Kinder befanden – an der Gewichtsabnahme und der angeblichen Atmungsproblematik ... durch entsprechende Berichterstattung über den gesundheitlichen Verlauf ihres Kindes teilhaben, wobei sie sich darin gefiel und es ihr maßgeblich darauf ankam, sich als fürsorgliche und auf das Wohl ihres Kindes fokussierte besorgte Mutter zu gerieren, um so die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und Wertschätzung ihrer Person zu erfahren. In diesem Zusammenhang forderte sie ihre Follower auch aktiv dazu auf, ihr in Bezug auf das von ihr gewünschte Tracheostoma entsprechende Tipps zu geben und ihr bei dem Auffinden einer für diesen Eingriff geeigneten Klinik zu helfen.
59Nachdem der Angeklagten seitens einer Followerin die Kinderklinik in ... empfohlen worden war, vereinbarte sie dort – ohne Einbindung ihres Hausarztes ... – einen Termin zur Anlage eines Tracheostomas. Zu dem gleichen Zweck vereinbarte die Angeklagte vorsorglich – für den Fall einer abschlägigen Operationsempfehlung –einen weiteren stationären Aufnahmetermin im ... ..., der ihr seitens der Klinik kurzfristig bereits für den 04.10.2018 zugesagt wurde.
60Am 28.09.2018 nahm die Angeklagte sodann telefonisch Kontakt zur Praxis des Zeugen ... auf und forderte dort die Ausstellung der erforderlichen Krankenhauseinweisung zum Zwecke der Anlage eines Tracheostomas im ... ... an, was der Zeuge ... indessen mangels medizinischer Indikation verweigerte. Nachdem der Angeklagten seitens des ... ... am 01.10.2018 mitgeteilt worden war, dass der von ihr vereinbarte Termin nach Rücksprache mit dem Hausarzt abgesagt wurde, entzog sie dem Zeugen ... mit Fax vom selben Tage die ihm erteilte Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht und untersagte ihm, anderen Ärzten Auskünfte über den gesundheitlichen Zustand von ... zu erteilen. Zugleich stellte sie ... noch an diesem Tage bei einem anderen niedergelassenen Kinderarzt, den Zeugen ...aus ..., zur Untersuchung vor, wobei sie von einer Pflegekraft des ..., der Zeugin ..., begleitet wurde, die aufgrund des mittlerweile eingetretenen und von der Angeklagten durch gezielte Unterernährung herbeigeführten reduzierten Allgemeinzustandes von ... auf ärztliche Vorstellung drängte. In Vorbereitung dieses Termins schnitt die Angeklagte aus den ... betreffenden Arzt- und Behandlungsberichten, die sie zu diesem Termin mitzunehmen gedachte, die Adressatenfelder – die ... als Hausarzt auswiesen – aus und fertigte hiervon entsprechende Kopien an, um eine Kontaktaufnahme und einen Informationsaustausch zwischen dem Zeugen ...und dem Zeugen ... zu verhindern. Der Zeuge ..., der die seitens der Angeklagten kopierten Arztbriefe lediglich überflog und die Manipulation nicht zur Kenntnis genommen hatte, diagnostizierte bei ... am 01.10.2018 eine ernste Unterernährung – einen dystrophen Zustand – und stellte eine Einweisung zur stationären Aufnahme in die Kinderklinik ... aus.
61Am Mittag des Folgetages, dem 02.10.2018, stellte die Angeklagte die seinerzeit 10 Monate alte ..., die sich – wie von der Angeklagten gezielt herbeigeführt – zu dieser Zeit in einem dystrophen Zustand befand, in der Kinderklinik ......, ebenfalls unter Vorlage der von ihr manipulierten Unterlagen, stationär vor. ... war zu dieser Zeit in einer derart unterernährten Verfassung, dass bereits ein einfacher Alltagsinfekt oder eine sonstige leichte körperliche Erkrankung oder Komplikation zu dem Eintritt einer konkreten Lebensgefahr geführt hätte. Zudem hatte sie infolge des nunmehr fast über 7 Wochen anhaltenden partiellen Entzugs der erforderlichen und vorgesehenen Nahrungsgaben – wie von der Angeklagten erkannt und zur Realisierung ihrer eigenen, oben dargestellten egoistischen Zwecke bewusst in Kauf genommen – entsprechend lang andauernde körperlichen Leiden, vor allem in Form von Hungerschmerzen erfahren.
62Anamnestisch berichtete die Angeklagte bei Aufnahme in die Klinik – insoweit zutreffend, aber ohne Offenlegung der Verursachung durch sie selbst – dass ... in den letzten 7 Wochen von 6.380g auf nunmehr 5.200g abgenommen habe, ohne Durchfälle, Erbrechen oder Infekte gehabt zu haben. Zudem gab sie – insoweit bewusst unzutreffend und mit dem Ziel, dem von ihr auch hier angebrachten dringenden Wunsch nach der Anlage eines Tracheostomas Nachdruck zu verleihen – an, dass ... beim Trinken aspiriere, im Mai 2018 eine Aspirationspneumonie erlitten habe und aufgrund ihrer langen Schlafphasen von 20 Stunden am Tag oral nicht gefüttert werden könne. Die von der Angeklagten anamnestisch angegebenen häuslichen Nahrungsmengen (8x 80 ml Infantrini und 25 ml MCT-Öl pro Tag) wurden zunächst im Krankenhaussetting beibehalten, wobei die Angeklagte – die mit ... zusammen in einem Einzelzimmer stationär aufgenommen wurde – ausdrücklich wünschte, die Nahrungsgaben über die PEG-Sonde selbst vorzunehmen, was ihr auch gestattet wurde. Trotz der vital bedrohlichen Lage ... setzte die Angeklagte ihr Unterlassen in Bezug auf die Nahrungsgabe auch im Krankenhaussetting fort, unterließ also auch hier bewusst die vereinbarungsmäßig zuzuführende Nahrung zumindest teilweise, was ihr aufgrund der fehlenden ständigen Beaufsichtigung seitens des Klinikpersonals während der vorgesehenen Nahrungsgaben auch unschwer möglich war.
63Aus diesem Grund kam es – wie von der Angeklagten bezweckt – in der Zeit vom 02.10.2018 bis zum Vormittag des 05.10.2018 zu keiner relevanten Gewichtszunahme bei ... trotz planmäßig vorgesehener hochkalorischer Nahrung von insgesamt 843 Kilokalorien pro Tag, die bereits etwa 220 Kilokalorien über der leitliniengemäßen Nahrungsmenge für Säuglinge in dieser Gewichtsklasse lag und die in jedem Falle eine rasche Gewichtszunahme hätte herbeiführen müssen. Gegen späten Vormittag des 05.10.2018 nahm die Klinik, initiiert durch das dortige Kinderschutzteam unter Leitung des Zeugen ..., nach Einschaltung des Jugendamts und Erwirkung einer einstweiligen Anordnung über das Familiengericht Paderborn eine sog. „diagnostische Trennung“ der Angeklagten von ... vor, da die fehlende Gewichtszunahme medizinisch nicht erklärbar war und sich deshalb der bereits bestehende Manipulationsverdacht gegenüber der Angeklagten erhärtet hatte. Ab Mittag des 05.10.2018 übernahm das Klinikpersonal die Ernährung von ... über die PEG-Sonde, während die Angeklagte die Klinik verlassen musste. ... befand sich zu diesem Zeitpunkt – wie von der Angeklagten bewusst veranlasst – in einem unverändert stark unterernährten und reduzierten Allgemeinzustand, der für den Säugling jedenfalls allgemein lebensgefährlich war.
64Bei nahezu gleicher planmäßiger Nahrungsmenge kam es fortan zu einer kontinuierlichen täglichen Gewichtszunahme bei .... In der Zeit vom 05.10.2018 bis zum 12.10.2018 steigerte sich ihr Gewicht von 5.220g auf 6.020g, wobei die tägliche Gesamtkalorienzufuhr bereits ab dem 07.10.2018 sogar verringert wurde, zuletzt auf nur noch 700 Kilokalorien pro Tag. Ab dem 12.10.2018 konnte ... als Beikost mit Brei vom Löffel gefüttert werden. Zu keiner Zeit konnten die von der Angeklagten angegebenen Schluckstörungen festgestellt werden, erst recht keine Aspiration von Nahrung.
65Bereits am 05.10.2018, unmittelbar nach Durchführung der diagnostischen Trennung, wurde zudem auch die High-Flow-Atemunterstützung bei ... beendet. ... zeigte fortan eine normale Spontanatmung. Das kardiorespiratorische Monitoring blieb in der Folgezeit durchgehend unauffällig ohne Anzeichen von Entsättigungen im Wachzustand oder im Schlaf. ... zeigte keinerlei klinische Anzeichen einer angestrengten Atmung, sondern vielmehr einen altersentsprechenden normalen respiratorischen Zustand. Die von der Angeklagten behauptete Schläfrigkeit von um die 20 Stunden pro Tag war nicht feststellbar. ... zeigte altersentsprechende Schlaf- und Wachphasen. Sie konnte am 29.10.2018 in gutem Allgemeinzustand und ohne jegliche gesundheitliche Beeinträchtigung in die für sie installierte Bereitschaftspflegefamilie entlassen werden.
66c) Nachtatgeschehen
67Auch in der Folgezeit zeigte sich bei ... in gesundheitlicher Hinsicht ein völlig unauffälliger Verlauf. Insbesondere traten keinerlei – von der Angeklagten zuvor stets beklagte – atmungsspezifischen oder ernährungsbezogenen Problematiken auf. Vor diesem Hintergrund konnte die nicht mehr benötigte PEG-Sonde am 04.06.2019 im ... Krankenhaus ... entfernt werden. Die Operation verlief komplikationslos. ... konnte im guten Allgemeinzustand am 05.06.2019 nach Hause entlassen werden. Zur Zeit der Hauptverhandlung befand sich ... in einem körperlich und psychisch einwandfreien Zustand. Die Kammer vermochte nicht festzustellen, dass – mit Ausnahme verheilter Operationsnarben – infolge der durch die Angeklagte begangenen Taten bei ... Folgeschäden körperlicher oder psychischer Art eingetreten sind.
684.
69Die Angeklagte litt bei Begehung der dargestellten Taten zu Lasten von ... und ... unter einer artifiziellen Störung im Sinne eines sog. Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms. Gleichwohl waren die Einsichtsfähigkeit und die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten bei Begehung der Taten weder erheblich eingeschränkt, erst recht nicht aufgehoben.
70III.
71Die vorgenannten Feststellungen ergeben sich zur Überzeugung der Kammer aus der Einlassung der Angeklagten, soweit ihr die Kammer zu folgen vermochte, sowie der weiteren durchgeführten Beweisaufnahme, für deren Umfang und Förmlichkeiten auf das Hauptverhandlungsprotokoll Bezug genommen wird.
721. Feststellungen zur Person, zum Werdegang und den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, zur familiengerichtlichen Verfahrensgeschichte und zur strafrechtlichen Vorbelastung
73Die Feststellungen zu ihrer Person, ihrem Werdegang und ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen (Ziffer I. 1) beruhen auf den insoweit glaubhaften Angaben der Angeklagten in der Hauptverhandlung, die ihre Biographie – entsprechend der aktenkundigen Befunde sowie im Wesentlichen im Einklang mit ihren seinerzeitigen Angaben gegenüber der psychiatrischen Sachverständigen – wie festgestellt angegeben hat.
74Die Feststellungen zur familiengerichtlichen Verfahrensgeschichte (Ziffer I 2.) ergeben sich neben den Angaben der Angeklagten selbst aus den Bekundungen der Zeuginnen ...und ....
75Die Zeugin ..., angestellte Psychologin in der Kinderklinik ...... und Mitglied des dortigen Kinderschutzteams, vermochte nähere Angaben dazu zu machen, wie es zur Einleitung der familiengerichtlichen Schritte gekommen ist. Sie hat bekundet, dass sie seinerzeit in Abstimmung mit den übrigen Mitgliedern des Kinderschutzteams die Gefährdungsmitteilungen an das Kreisjugendamt ... verfasst habe. Bereits im Jahr 2016 habe es im Zusammenhang mit stationären Behandlungen von ... und ... den Verdacht auf das Vorliegen eines Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms bei der Angeklagten gegeben, da die Kindesmutter vielfältige widersprüchliche Angaben zur Krankenvorgeschichte der Kinder gemacht habe. Besonders augenfällig sei damals gewesen, dass die Angeklagte während eines stationären Aufenthalts wegen einer beklagten Verstopfungsproblematik bei ... gegenüber einer Krankenschwester die Nachfrage zum stattgefundenen Stuhlgang verneint habe, obwohl man im Mülleimer des Einzelzimmers zeitgleich eine volle Stuhlwindel aufgefunden habe. Diese und andere unerklärliche Unstimmigkeiten habe man nach Beratung im Kinderschutzteam zum Anlass genommen, eine entsprechende Gefährdungsmitteilung gegenüber dem Kreisjugendamt ... zu machen. Anfang Oktober 2018 habe sie in Abstimmung mit den weiteren Mitgliedern des Kinderschutzteams eine zweite Gefährdungsmitteilung an das Kreisjugendamt ... verfasst. Damals sei ... in lebensbedrohlich unterernährtem Zustand trotz vorhandener PEG-Sonde stationär aufgenommen worden. Der Gewichtsverlust sei medizinisch überhaupt nicht erklärbar gewesen. Man habe daraufhin die von der Angeklagten vorgelegten Behandlungsberichte eingehend überprüft und zahlreiche Unstimmigkeiten zwischen den anamnestischen Angaben der Angeklagten und den ärztlichen Befunden festgestellt. Eine weitergehende Recherche habe darüber hinaus ergeben, dass die Angeklagte offenkundig Aufmerksamkeit über die Follower ihrer facebook-Seite gesucht habe. In zahlreichen Posts habe sie tiefe Einblicke in die gesundheitliche Entwicklung ihrer Tochter ... gegeben und hierbei auch eine Vielzahl von unzutreffenden oder aggravierenden Angaben gemacht. Man habe einige dieser Eintragungen sichern können, bevor die Angeklagte den Status ihrer facebook-Seite nach Konfrontation mit den Vorwürfen am 06.10.2018 auf „nicht-öffentlich“ geändert habe.
76Nachdem man über die Gefährdungsmitteilung und die familiengerichtliche Intervention eine sog. „diagnostische Trennung“ von Angeklagter und ... habe herbeiführen können, seien sämtliche seitens der Angeklagten beklagten Beschwerdebilder innerhalb kürzester Zeit verschwunden. Dies habe man innerhalb des Kinderschutzteams übereinstimmend als Bestätigung des Verdachts auf das Vorliegen eines Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms bei der Angeklagten gewertet.
77Die Zeugin ..., die seit 2020 als Ergänzungspflegerin des Kreisjugendamtes ... für die Kinder der Angeklagten eingesetzt ist, hat anhand der behördlichen Akten die familienbehördlichen und familiengerichtlichen Ereignisse, so wie festgestellt, und in Übereinstimmung mit den Angaben der Angeklagten bestätigen und ergänzen können.
78Die Feststellungen zur strafrechtlichen Vorbelastung (Ziffer I. 3.) ergeben sich aus der Verlesung des Bundeszentralregisterauszuges vom 10.01.2023 sowie der Verlesung des Strafbefehls des Amtsgerichts Paderborn vom 13.10.2021.
792. Generelle Einlassung der Angeklagten
80Die Angeklagte hat die Tatvorwürfe aus der Anklageschrift in Gänze bestritten und erklärt, dass sie damals zwar „bestimmt nicht alles richtig gemacht“ habe. Sie habe aber „keinesfalls in Kauf genommen, dass eines ihrer Kinder verletzt oder getötet“ werde. Sie hat demgegenüber unter anderem eingeräumt, eine öffentlich einsehbare facebook-Seite betrieben zu haben, auf der sie selbstgenähte Kinderkleidung vermarktet habe. Ihre Seite, die über etwa 5.000 Follower verfügt habe, habe sie aber auch dazu genutzt, um die interessierten Leserinnen und Leser über den Gesundheitszustand ihrer Kinder zu unterrichten. Insoweit hat sie auch die Urheberschaft der jeweiligen Einträge eingeräumt.
813. Feststellungen betreffend den Tatvorwurf zu Lasten von ...
82a) Einlassung der Angeklagten
83Die Angeklagte hat die dargestellte Krankenhaushistorie von ... – nach chronologischem Vorhalt seitens der Kammer – vollumfassend bestätigt und auch die von ihr in den betreffenden Behandlungsberichten dokumentierten anamnestischen Angaben gegenüber dem Klinikpersonal sowie den Ärzten jedenfalls im Wesentlichen bestätigt. Die Angeklagte hat sich indessen dahin eingelassen, dass die von ihr jeweils geschilderten gesundheitlichen Probleme bei ... stets tatsächlich bestanden hätten und nicht etwa von ihr fingiert worden seien. Warum die gesundheitlichen Probleme von ... immer nur zu Hause und nicht bei den stationären Krankenhausaufenthalten aufgetreten seien, könne sie sich auch nicht erklären. Jedenfalls während der stationären Krankenhausaufenthalte mit ... in ... im August 2014 seien aber entgegen der dortigen Behandlungsberichte tatsächlich Stuhlgangsprobleme festgestellt worden. Warum dies nicht dokumentiert worden sei, wisse sie aber auch nicht.
84Im Einzelnen hat die Angeklagte erklärt, dass ... am 03.05.2014 im ... Krankenhaus ... als „Frühchen“ in der 28. Schwangerschaftswoche per Sectio zur Welt gekommen sei. Am 04.06.2014 habe aufgrund ihres Wunsches eine heimatnahe Verlegung in das ...... stattgefunden, bevor sie am 26.06.2014 mit ... nach Hause entlassen worden sei. Zu Hause hätten sich bei ... sofort Verstopfungsprobleme ergeben. Nach etwa 6 Wochen häuslichem Aufenthalt habe sie sich mit ... in der Zeit vom 09.08.2014 bis zum 11.08.2014 und vom 19.08.2014 bis zum 21.08.2014 erneut in stationärer Behandlung des ... ... befunden. Hintergrund sei gewesen, dass ... seit der Entlassung aus der Klinik im häuslichen Bereich neben vermehrten Spucken und Erbrechen durchgehend Probleme beim Stuhlgang gehabt habe. Stuhlgang sei immer nur mit Hilfe von Kümmelzäpfchen oder Stimulation mit Fieberthermometer möglich gewesen, was sie in der Klinik entsprechend mitgeteilt habe. Während dieser Aufenthalte in ... sei es tatsächlich so gewesen, dass die Krankenschwestern Stuhlgang bei ... nur durch Manipulation mit einem Fieberthermometer im Anus hätten hervorrufen können. Warum dies in den entsprechenden Krankenhausberichten nicht dokumentiert sei, könne sie sich nicht erklären.
85Vom 23.08.2014 bis zum 01.09.2014 habe sie sich mit ... wegen schwallartigem Erbrechen über mehrere Tage im ... Krankenhaus ... befunden. Vom 08.09.2014 bis zum 12.09.2014 habe sie sich mit ... in stationärer Behandlung im ... ... wegen der Verstopfungsprobleme und dem ständigen Erbrechen sowie zur Durchführung einer erforderlichen Leistenoperation befunden. Es sei richtig, dass sie auch hier mitgeteilt habe, dass ... Stuhlgang nur auf Reiz mit einem Fieberthermometer oder durch Kümmelzäpfchen absetze.
86Nach dem Umzug Ende 2014 zu ihrem neuen Lebensgefährten ... nach ... sei sie mit ... in die hausärztliche Versorgung der Kinderärztin ... nach ... gewechselt. Auch dort habe sie die fortbestehenden Verstopfungsprobleme bei ... beklagt. ... habe deshalb eine Einweisung zur weitergehenden Diagnostik ins Evangelische Krankenhaus ... ausgestellt. Im Zeitraum vom 13.04.2015 bis zum 17.04.2015 habe sie sich mit ... in stationärer Behandlung des ... Krankenhauses ... befunden, wo unter anderem eine Darmspiegelung durchgeführt worden sei. Es sei zutreffend, dass ihr als Ergebnis der Untersuchung mitgeteilt worden sei, dass die seltene Darmerkrankung „Morbus Hirschsprung“ bei ... habe ausgeschlossen werden können und auch sonst keine Erkrankungen festgestellt worden seien, die eine Verstopfung hätten erklären können. Es sei aber tatsächlich so gewesen, dass zu Hause die Verstopfungsprobleme fortlaufend bestanden hätten, was sie der Kinderärztin ... gegenüber auch weiterhin beklagt habe. Diese habe daraufhin eine weitere Einweisung zur Krankenhausbehandlung ausgestellt. In der Zeit vom 11.08.2015 bis 16.08.2015 sei sie mit ... in stationärer Behandlung des Klinikums ... in ... gewesen, wo sie die fortbestehenden Verstopfungsprobleme mitgeteilt habe. Dort sei eine weitere Dickdarmspiegelung vorgenommen und die Darmerkrankung Morbus Hirschsprung nochmals ausgeschlossen worden. Eine Ursache für die Verstopfung bei ... habe man auch dort nicht finden können. Auch habe das ihr verschriebene Abführmittel Movicol bei ... nicht gewirkt. Aufgrund der weiterhin bestehenden chronischen und schmerzhaften Verstopfung habe ... sie nochmals in das Evangelische Krankenhaus ... eingewiesen. Dort sei dann mit ihrer Einwilligung während des stationären Aufenthalts vom 02.11.2015 bis 09.11.2015 der künstliche Darmausgang bei ... gelegt worden.
87In der Zeit vom 08.02.2016 bis 16.02.2016 sei in der Kinderklinik ... ein operativer Eingriff bei ... wegen eines Bauchwandbruchs erfolgt. Es sei richtig, dass ihr dort angeraten worden sei, den künstlichen Darmausgang mangels medizinischer Notwendigkeit zurücklegen zu lassen. Sie habe ... zu dieser Zeit aber keine weitere Operation zumuten und sich zudem mit ihrer Kinderärztin ... erst einmal beraten wollen. Es sei richtig, dass in der Folgezeit zunächst nichts in dieser Hinsicht unternommen worden sei. Ab Oktober 2018 sei aber darauf hinzuweisen, dass sie über eine mögliche Rückverlegung nicht mehr selbst habe entscheiden können, da ihr ab dieser Zeit die Gesundheitsfürsorge für ... entzogen und auf das Jugendamt übertragen worden sei.
88b) Einlassungskonforme Feststellungen der Kammer
89Die Kammer folgt der Einlassung der Angeklagten, soweit sie – in Übereinstimmung mit den vorliegenden Behandlungsberichten – die Krankenhaushistorie ... sowie die von ihr seinerzeit in den Kliniken und gegenüber der Kinder- und Hausärztin ... jeweils gemachten anamnestischen Angaben bestätigt hat, insbesondere zu einer angeblichen Verstopfungsproblematik bei .... Ihre Einlassung wird insoweit auch bestätigt durch die nachfolgend noch wiedergegebenen Angaben der Zeugen ..., ..., ... und ....
90c) Abweichende Feststellungen der Kammer
91Soweit die Kammer von der Einlassung abweichende Feststellungen getroffen hat, so beruhen diese auf dem Ergebnis der umfangreich durchgeführten Beweisaufnahme.
92aa) Bewusst wahrheitswidrige Behauptung einer Verstopfungsproblematik (Vortatgeschehen und Tatgeschehen)
93Die Feststellungen der Kammer zu den bewusst wahrheitswidrigen Behauptungen der Angeklagten hinsichtlich einer tatsächlich nicht bestehenden Verstopfungsproblematik bei ... beruhen darauf, dass in sämtlichen der zahlreichen stationären Krankenhausaufenthalte eine Verstopfung des Kindes durch das Klinikpersonal objektiv nie festgestellt werden konnte (hierzu nachfolgend unter 1) und sämtliche in Betracht kommenden medizinischen bzw. organischen Ursachen für eine angebliche Verstopfungsproblematik diagnostisch ausgeschlossen wurden (hierzu unter 2). Zudem haben sich bestimmte Behauptungen der Angeklagten in Bezug auf die angebliche Stuhlgangsproblematik im Rahmen der Beweisaufnahme als offenkundig unzutreffend und zum Teil auch als rechtsmedizinisch widerlegt herausgestellt (hierzu unter 3). Schließlich haben sich auch nach Rückverlagerung des nicht erforderlichen künstlichen Darmausgangs und Trennung des Kindes von der Angeklagten keinerlei Verstopfungsprobleme im Nachgang bei ... gezeigt (hierzu unter 4). Darüber hinaus war festzustellen, dass der Angeklagten derartige wahrheitswidrige Angaben zu angeblichen Krankheitssymptomen ihrer Tochter auch ohne weiteres deshalb zuzutrauen sind, weil die Angeklagte auch bei ihrem Kind ... mit Manipulationshandlungen in Bezug auf eine auch bei ihr behaupteten Verstopfungsproblematik während eines Krankenhausaufenthaltes aufgefallen ist (hierzu unter 5.).
94(1) Verstopfung bei ... objektiv nie festgestellt
95Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass eine Verstopfungsproblematik bei ... während der zahlreichen Krankenhausaufenthalte – insbesondere bis zur Anlage des künstlichen Darmausgangs – sowie seitens der Hausärztin ... objektiv nie verifiziert werden konnte. Weder die ärztlichen Berichte über die entsprechenden Aufenthalte, noch die hierzu vernommenen Zeugen vermochten eine derartige gesundheitliche Problematik zu bestätigen. Im Gegenteil lässt sich den ärztlichen Berichten und den Zeugenaussagen ein unproblematischer Stuhlgang ... entnehmen, ob mit oder ohne Verabreichung des Abführmittels Movicol.
96(a) Arztberichte über die stationären Krankenhausaufenthalte
97Die Arztberichte über die stationären Krankenhausaufenthalte ... enthalten – bis auf die anamnestischen Behauptungen der Angeklagten hierzu – keinen Hinweis auf eine tatsächlich vorhandene bzw. festgestellte Verstopfungsproblematik.
98- Verlegungsbrief des ... Krankenhauses ... vom 03.06.2014
99Der Verlegungsbrief des ... Krankenhauses ... – der Geburtsklinik ... – vom 03.06.2014 über den Aufenthalt vom 03.05.2014 bis 02.06.2014 sieht auf Seite 4 unter der Passage „Nahrung“ Folgendes vor:
100„Die Urin- und Stuhlausscheidung kamen spontan in Gang“.
101- Endgültiger Arztbericht des ...... vom 18.08.2014
102Der endgültige Arztbericht des ...... vom 18.08.2014 über einen stationären Aufenthalt vom 09.08.2014 bis zum 11.08.2014 enthält auf Seite 3 unter der Passage „Therapie und Verlauf“ Folgendes:
103„Am 11.08.2014 konnten wir ... ... in gutem Allgemeinzustand mit gutem Trinkverhalten und hier unauffälligem Stuhlgang nach Hause und in ihre ambulante Weiterbetreuung entlassen.“
104- Endgültiger Arztbericht des ...... vom 04.09.2014
105Der endgültige Arztbericht des ...... vom 04.09.2014 über einen stationären Aufenthalt vom 19.08.2014 bis zum 21.08.2014 enthält auf Seite 3 unter der Passage „Therapie und Verlauf“ Folgendes:
106„Die Ernährung hier erfolgte mit Aptamil AR 100 ml x 6. Diese konnte ... ... gut vertragen und zeigte darunter eine Gewichtszunahme. Sie setzte regelmäßig einen gut geformten Stuhl ab, einmalig mit kleinem Blutstreifen. In der Stuhlkultur konnten keine pathogenen Keime nachgewiesen werden“
107- Verlegungsbrief des ... Krankenhauses ... vom 12.09.2014
108Der Verlegungsbrief des ... Krankenhauses ... – Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie – vom 12.09.2014 über den stationären Aufenthalt vom 21.08.2014 bis 23.08.2014 enthält auf Seite 2 unter der Passage „Verlauf und Beurteilung“ Folgendes:
109„Das Kind setzte spontan gute Portionen weichen-festen Stuhls ab.“
110- Bericht des ... Krankenhauses ... vom 19.05.2015
111Der Bericht des ... Krankenhauses ... – Klinik für Kinder- und Jugendmedizin – vom 19.06.2015 über den Aufenthalt vom 13.04.2015 bis 16.04.2015 enthält auf Seite 2 unter der Passage „Therapie und Verlauf“ u.a. Folgendes:
112„Die stat. Aufnahme von ... erfolgte bei chronischer Obstipation sowie Blutauflagerungen im Stuhl. Eine Analfissur wurde mit Bepanthen behandelt. Weiterhin erfolgte die therapeutische Gabe von Movicol Junior, 2-malige Gabe eines Mikroklyst. Während des stationären Aufenthalts setzt die Patientin spontan Stuhl ab.“
113- Bericht des ... Krankenhauses ... vom 17.04.2015
114Der Bericht des ... Krankenhauses ... – Abteilung für Kinderchirurgie und Kinderurologie – vom 17.04.2015 über den Aufenthalt vom 16.04.2015 bis 17.04.2015 enthält auf Seite 1 unter der Passage „Prozeduren“:
115„Entnahme Rektum-PE am 16.04.2015“
116Die Passage „Therapie und Verlauf“ enthält u.a. Folgendes:
117„Wir haben am 16.04.2015 in gut vertragener Allgemeinanästhesie die o.g. Therapie durchgeführt. Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos. ... konnte in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden. Wir bitten um Fortführung der Movicol-Therapie mit 1-3 Bt. Movicol-Jnr./d, je nach Stuhlkonsistenz.“
118Unter der Passage „Histologie“ findet sich Folgendes:
119„Es finden sich keine Hinweise auf eine Innervationsstörung im Sinne eines Morbus Hirschsprung oder einer anderen Dysgangliose des submuklösen Plexus.“
120- Entlassungsbericht des Klinikums ... in ... vom 15.09.2015
121Der Entlassungsbericht des Klinikums ... vom 15.09.2015 über einen stationären Aufenthalt vom 11.08.2015 bis 16.08.2015 enthält unter der Passage „Verlauf“ Folgendes:
122„Die Stuhlentleerung war im Verlauf unter Movicol Therapie spontan ohne Manipulation möglich.“
123(b) Einlassung der Angeklagten zu – angeblich nicht dokumentierten – Stuhlgangsproblemen während des Aufenthalts in ... widerlegt
124Soweit die Angeklagte behauptet hat, dass jedenfalls während der stationären Krankenhausaufenthalte in ... im August 2014 entgegen den Angaben in den beiden oben zitierten Arztbriefen Verstopfungsprobleme bei ... festgestellt worden seien und seitens der Krankenschwestern Stuhlgang bei ... nur durch Manipulation mit einem Fieberthermometer im Anus habe provoziert werden können, so ist diese Einlassung widerlegt.
125Die Zeugin ... hat bekundet, dass sie seinerzeit im ...... als Kinderkrankenschwester tätig gewesen sei. ... sei im August 2014 zweimal stationär im Krankenhaus in ... behandelt worden wegen Unruhe, vermehrtem Spucken und angeblichen Problemen beim Stuhlgang. Anhand der Akten bzw. der Behandlungsdokumentation habe sie überprüfen können, dass ... während der stationären Aufenthalte regelmäßig manipulationsfrei normalen Stuhlgang gehabt habe. Auf Vorhalt der Einlassung der Angeklagten hat die Zeugin bekundet, dass sie ausschließen könne, dass sie oder ihre Kolleginnen mittels eines Fieberthermometers Manipulationen am Anus des Kindes vorgenommen hätten, um Stuhlgang zu provozieren. Eine solche Praxis gebe es dort nicht. Man habe andere Methoden und Techniken, wie etwa Bauchmassagen, um den Stuhlgang zu fördern, sofern man nicht Abführmittel nutze. Im Übrigen seien Unterstützungshandlungen bei ..., wie dargestellt, gar nicht nötig gewesen, da das Kind ausweislich der Dokumentation regelmäßig normalen Stuhl abgegeben habe. In jedem Fall wären aber Unterstützungshandlungen beim Absetzen von Stuhl, wenn sie vorgenommen worden wären, dokumentiert worden. Dies gelte erst recht, wenn der stationäre Krankenhausaufenthalt auch zum Zwecke der Abklärung einer Verstopfungsproblematik stattgefunden habe, weil derartige Manipulationen dann von besonderer medizinischer Relevanz gewesen wären.
126Die Kammer folgt den vollumfassend glaubhaften Angaben der glaubwürdigen Zeugin .... Die Zeugin, die keinerlei Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, vermochte anhand der von ihr überprüften Dokumentation die damaligen Geschehnisse plausibel zu schildern. Die Vornahme von nicht dokumentierten Manipulationshandlungen zur Förderung des Stuhlgangs bei ... hat sie sicher ausschließen können. Vor diesem Hintergrund ist die entsprechende Einlassung der Angeklagten widerlegt. Auch während der Klinikaufenthalte von ... im ...... hat es zu keiner Zeit Stuhlgangsprobleme bei ... gegeben.
127(c) Keine objektive Feststellung einer Verstopfung durch die Hausärztin ...
128Eine Verstopfung oder chronische Obstipation ist auch nicht von der damaligen Hausärztin ... objektiv festgestellt worden.
129Die glaubwürdige Zeugin ..., niedergelassene Kinderärztin in ..., hat in Übereinstimmung mit ihrer aktenkundigen Behandlungsdokumentation glaubhaft bekundet, dass die Angeklagte ... im Jahr 2015 – nach ihrem Umzug nach ... – bei ihr immer wieder mit angeblichen Verstopfungsproblemen vorgestellt habe. Sie selbst habe diese nicht objektiv beim Kind feststellen können, aber selbstverständlich auf die Angaben der Angeklagten vertraut und deshalb Einweisungen zur weitergehenden Diagnostik ausgestellt. Soweit in den Einweisungen diagnostisch eine Obstipation – also eine Verstopfung – erwähnt sei, beruhe diese Diagnose – so die Zeugin – nicht auf einer objektiven Befunderhebung ihrerseits, sondern allein auf den ihr gegenüber gemachten Angaben seitens der Angeklagten. Im Nachhinein sei ihr dann natürlich auch aufgefallen, dass trotz der umfassenden Untersuchungen in verschiedenen Kliniken nie eine Verifizierung der Verstopfung stattgefunden oder eine Ursache für die angebliche Verstopfung habe gefunden werden können. Sie habe sich als niedergelassene Kinderärztin aber auf die Angaben der Angeklagten verlassen und diese ernst nehmen müssen, weshalb sie der Angeklagten und ... durch Ausstellung entsprechender Einweisungen weitergehende Diagnostik ermöglicht habe.
130(d) Auswertung des rechtsmedizinischen Sachverständigen ...
131Der rechtsmedizinische Sachverständige ...hat im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Sachverständigengutachtens zusammenfassend bestätigt, dass keiner der von ihm ausgewerteten und von der Kammer im Wege des Selbstleseverfahrens eingeführten Behandlungsberichte die objektive Feststellung bzw. Verfizifierung einer Verstopfungsproblematik bei ... im Krankenhaussetting enthalte. Die angebliche Verstopfungssymptomatik habe also zu keiner Zeit medizinisch objektiviert werden können. Im Gegenteil sei ausweislich der ihm vorliegenden zahlreichen stationären Behandlungsberichte bei allen, teilweise länger andauernden Krankenhausaufenthalten der Stuhlgang ... als gut, normal oder unauffällig beschrieben worden, ob mit oder ohne Gabe von Abführmitteln. Die angebliche Verstopfungssymptomatik sei ausweislich der Behandlungsberichte also allein durch die Angeklagte eingebracht worden, die trotz des als unauffällig beschriebenen Stuhlgangs bei ... während der Krankenhausaufenthalte bei nachfolgenden stationären Aufenthalten – ausweislich der in den Berichten vermerkten anamnestischen Angaben – gleichwohl immer wieder von chronischer Verstopfung berichtet habe.
132(2) Medizinisch-organische Ursachen für eine Verstopfung ausgeschlossen
133Die Beweisaufnahme hat zudem ergeben, dass sämtliche medizinische bzw. organische Ursachen für eine vermeintliche Verstopfungsproblematik bei ... ausgeschlossen werden konnten.
134Der rechtsmedizinische Sachverständige ...vermochte – bestätigt durch den sachverständigen Zeugen ..., der die spätere Rückverlagerung des künstlichen Darmausgangs begleitet hat – hierzu auszuführen, dass man ... aufgrund der durch die Angeklagte immer wieder beklagten Verstopfungssymptome einer umfangreichen und erschöpfenden Diagnostik unterzogen habe, ohne dass eine medizinische Ursache gefunden worden sei. Insbesondere hätten bei ... vor Anlage des künstlichen Darmausgangs zweimal – einmal in ... und einmal in ... – operative Rektumbiopsien stattgefunden mit entsprechenden Probeentnahmen aus dem Darm. Die Proben hätten keinen Hinweis auf eine bestehende Darmerkrankung ergeben. Auch weitergehende Diagnostik habe keinen Hinweis auf eine tatsächlich bestehende Darmtransportstörung oder eine sonstige Störung der Darmfunktion ergeben. Die beklagte Verstopfungsproblematik sei letztlich medizinisch nicht nachvollziehbar und könne medizinisch-wissenschaftlich sicher ausgeschlossen werden.
135(3) Weitere unzutreffende Angaben der Angeklagten in Bezug auf eine angebliche Stuhlgangsproblematik bei ...
136Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht weiter fest, dass die Angeklagte in Bezug auf die von ihr behauptete Stuhlgangsproblematik bei ... verschiedentlich weitere unzutreffende Begleitangaben gemacht hat, indem sie fälschlicherweise behauptet hat, dass ... seit der Geburt noch nie manipulationsfrei Stuhl abgesetzt habe und dass die Verstopfung auch mittels des Abführmittels Movicol nicht in den Griff zu bekommen sei.
137Die Zeugin Kücüc hat bekundet, dass sie – seinerzeitig als Assistenzärztin im ... in ... tätig – Mitte August 2015 in Vorbereitung der zweiten Rektumbiopsie bei ... die anamnestischen Angaben der Angeklagten entgegengenommen habe. Im Rahmen der Anamnese habe die Angeklagte ihr unter anderem mitgeteilt, dass ... seit der Geburt noch nie eigenständig und manipulationsfrei Stuhl abgesetzt habe. Der Stuhl sei stets hart gewesen und habe stets nur durch Manipulation ihrerseits entfernt werden können. Diese Angaben der Angeklagten habe sie sich entsprechend notiert und im Entlassungsbericht auch wiedergegeben.
138Die Zeugin Kücüc hat weiter bekundet, dass die Angeklagte sich nach der Entlassung aus der stationären Behandlung des Klinikums ... erneut gemeldet habe und behauptet habe, dass es trotz der Verabreichung des Abführmittels Movicol bei ... wieder zu Verstopfungen gekommen sei. Diese Behauptung hat die Angeklagte auch gegenüber der Hausärztin und den ärztlichen Behandlern im ... Krankenhaus ... aufgestellt. Die Zeuginnen ... und ... haben insoweit ebenfalls bestätigt, dass die Angeklagte auch ihnen gegenüber erklärt habe, dass verabreichte Abführmittel bei ... angeblich nicht wirkten.
139Beide Angaben der Angeklagten sind erwiesen unwahr. Sie widersprechen zunächst den zahlreichen stationären Behandlungsberichten, aus denen sich – wie bereits dargestellt – stets ergab, dass ... spontanen und normalen Stuhlgang entweder bereits ohne jegliche spezifische Behandlung oder aber – so die Berichte aus ... und ... – jedenfalls unter Gabe des Abführmittels Movicol absetzen konnte. Die Angabe, ... habe seit der Geburt nie manipulationsfrei Stuhl abgesetzt, ist zudem – wie bereits beschrieben – unter anderem durch die glaubhaften Angaben der Zeugin ... widerlegt, die bestätigen konnte, dass ... während ihrer Krankenhausaufenthalte im August 2014 in ... ohne jegliche medikamentöse oder mechanische Intervention spontanen normalen Stuhlgang gehabt hat.
140Der Sachverständige ...hat überdies – in Übereinstimmung mit dem sachverständigen Zeugen ... – ergänzend ausgeführt, dass medizinisch nicht plausibel erklärbar sei, dass – nach Angaben der Angeklagten – Verstopfungssymptome nur im häuslichen Bereich aufgetreten seien, während vielfacher mehrtägiger Krankenhausbehandlungen aber nie beobachtet werden konnten. Medizinisch sicher auszuschließen sei darüber hinaus, dass ein im Krankenhaussetting als wirksam beschriebenes Abführmittel – wie es für ... mit Movicol in den Berichten des ... Krankenhauses ... vom 19.05.2015 und des Klinikums ... in ... vom 15.09.2015 dokumentiert sei – plötzlich im häuslichen Bereich nicht mehr wirke.
141(4) Gesundheitliche Entwicklung von ... nach Rückverlagerung des künstlichen Darmausgangs und Trennung von der Angeklagten
142Die Beweisaufnahme hat ferner ergeben, dass sich nicht nur im Vorfeld der Anlage des künstlichen Darmausgangs, sondern auch nach erfolgter Rückverlagerung des künstlichen Darmausgangs und Trennung der Angeklagten von ... keinerlei Verstopfungsproblematiken bei ihr gezeigt haben, was darauf hindeutet, dass es diese Problematiken auch zuvor – entgegen der immer wiederkehrenden Behauptungen der Angeklagten – zu keiner Zeit gegeben hat.
143Der sachverständige Zeuge ... – Oberarzt der Allgemeinpädiatrie des Klinikums ..., Leiter der dortigen Kinderschutzgruppe und gerichtbekanntermaßen ausgewiesener Experte auf dem Gebiet des medizinischen Kinderschutzes – hat bekundet, dass ... in der Zeit vom 10.11.2020 bis zum 27.11.2020 erstmalig stationär im Klinikum ... aufgenommen worden sei zum Zwecke der Prüfung der Rückverlagerung des künstlichen Darmausgangs. ... sei seinerzeit auf Veranlassung des Jugendamtes aufgenommen worden. Es habe sich um eine ungewöhnliche Konstellation gehandelt, da eine Vielzahl von Behandlungsberichten vorgelegen habe, aus denen sich trotz wiederkehrender Behauptung einer bestehenden Obstipation seitens der Kindesmutter nie ein objektiver Beleg oder eine Ursache für eine derartige Erkrankung ergeben habe. Man habe während des gut zweiwöchigen Aufenthalts nochmals eine umfassende Untersuchung der Darmpassage durchgeführt. Man habe etwa erneut Biopsien, u.a. zum Ausschluss der Darmerkrankung Morbus Hirschsprung sowie eine Kernspinuntersuchung des Beckens durchgeführt. Die Untersuchungen hätten erneut keinerlei Hinweise auf eine irgendwie geartete Darmerkrankung oder eine Störung der Darmpassage ergeben. Nach Durchführung dieser Diagnostik habe man unter stationären Bedingungen in Abwesenheit der Kindesmutter die Funktionsfähigkeit des infolge der Anlage des künstlichen Darmausgangs abgeschalteten Teils des Darms mittels einer Reisschleimprobe überprüft und hierdurch die problemlose Passage sichergestellt. Nachdem sämtliche Untersuchungen und auch die Überprüfung der Vorbefunde ergeben habe, dass der künstliche Darmausgang medizinisch nicht zu begründen sei, habe man die Rückverlegung desselben angeraten. Aufgrund des medizinisch außergewöhnlichen und auffälligen Verlaufs mit seitens der Kindesmutter geäußerten wiederkehrenden unklaren Beschwerden in Bezug auf den Stuhlgang ohne medizinisches Korrelat und vielfältigen hiermit zusammenhängenden Klinikaufenthalten sei auch im Klinikum ... – im Rahmen der dort von ihm geleiteten Kinderschutzgruppe – der dringende Verdacht auf das Vorliegen eines Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms bei der Angeklagten geschöpft worden. Im Rahmen der Kinderschutzgruppe sei man überein gekommen, dass eine Rückverlagerung des künstlichen Darmausgangs aus Gründen des Kindeswohls nur dann verantwortet werden könne, wenn eine anschließende, nach der Rückverlagerung drohenden Manipulation seitens der Angeklagten auszuschließen sei und vor diesem Hintergrund dem Jugendamt angeraten, die Unterbringung von ... in einer Pflegefamilie zu veranlassen.
144Nachdem dies seitens des Jugendamtes familiengerichtlich umgesetzt worden sei, habe es einen zweiten stationären Aufenthalt von ... im Klinikum ... in der Zeit vom 19.01.2021 bis 28.01.2021 gegeben. Am 21.01.2021 sei der künstliche Darmausgang operativ rückverlegt worden. Der operative Eingriff sei komplikationslos und der postoperative Verlauf problemlos verlaufen. Die Wunden seien reizlos verheilt. ... habe nach der Operation fortan regelmäßig problemlos und schmerzfrei Stuhl in die Toilette abgesetzt. Die zu dieser Zeit gut sechseinhalbjährige ... sei nach der Operation regelrecht „aufgeblüht“, habe von der Wiederherstellung ihrer anatomischen Verhältnisse, der von ihr erkannten Normalisierung ihres Alltags und der damit einhergehenden Zukunftsperspektive, etwa in Bezug auf die anstehende Einschulung, erkennbar profitiert. In Abwesenheit der Angeklagten und ohne die von ihr – der Angeklagten – wiederholt ins Feld geführten angeblichen Stuhlgangsprobleme habe sich bei ... ein völlig unproblematischer stationärer Verlauf ergeben, was im Rahmen des gesamten Kinderschutzteams als Bestätigung des Verdachts eines Münchhausen-Stellvertreter Syndroms bei der Angeklagten gewertet worden sei.
145Der Zeuge ..., der derzeitige Kinderarzt von ..., hat im Rahmen seiner Vernehmung bestätigt, dass bei ... auch nach der Rückverlagerung des künstlichen Darmausgangs sowie im gesamten nachfolgenden Zeitraum bis heute keinerlei Verstopfungs- oder sonstige Stuhlgangsproblematiken bekannt geworden seien.
146Vor dem Hintergrund der Angaben dieser Zeugen, an deren Richtigkeit die Kammer keinen Zweifel hegt, spricht auch die gesamte gesundheitliche Entwicklung ... nach Rückverlagerung des künstlichen Darmausgangs dafür, dass die von der Angeklagten behauptete Stuhlgangsproblematik bei ... zu keiner Zeit bestand.
147(5) Manipulationshandlung bei ...
148Fest steht schließlich auch, dass die Angeklagte bereits bei ihrer ältesten Tochter ... im Zusammenhang mit einer bei ihr angeblich ebenfalls bestehenden Verstopfungsproblematik während eines Krankenhausaufenthalts im Sommer 2016 in der Kinderklinik ... mit einer Manipulationshandlung aufgefallen ist. Vor diesem Hintergrund sind der Angeklagten bewusst unzutreffende Angaben gegenüber dem klinischen und ärztlichen Personal zu Krankheitssymptomen ihrer Kinder ohne weiteres zuzutrauen.
149Die Zeugin ..., die vorab bekundet hat, sich aufgrund des erhebliche Zeitablaufs die Krankenakte samt der von ihr gefertigten Einträge vor ihrer Vernehmung durchgelesen zu haben, hat glaubhaft erklärt, dass sie im Sommer 2016 als Kinderkrankenschwester in der Kinderklinik ... tätig gewesen und in diesem Zusammenhang auch mit der Tochter ... der Angeklagten befasst gewesen sei. ... sei damals wegen einer von der Angeklagten berichteten massiven Obstipationsproblematik stationär behandelt worden. ... habe deshalb Einläufe und das Abführmittel Movicol verabreicht bekommen, um anschließend den Stuhlgang überprüfen zu können. ... habe hiernach regelmäßig breiigen Stuhl absetzen können. Auffällig sei gewesen, dass die Angeklagte im Verlauf des stationären Aufenthalts ihr – der Zeugin – gegenüber eines Morgens auf ihre Nachfrage hin erklärt habe, dass ... keinen Stuhl entleert habe, obwohl sie – die Zeugin ... – in dem Einzelzimmer im Mülleimer eine volle Stuhlwindel habe vorfinden können. Wie die Angeklagte hierauf reagiert habe, wisse sie nicht mehr genau. Sie wisse aber, dass es noch einen weiteren Vorfall gegeben habe, bei dem die Angeklagte erst auf ihre explizite Nachfrage hin eine volle Stuhlwinde vorgezeigt habe. Dieses Verhalten sei merkwürdig gewesen, da ... gerade wegen angeblicher Verstopfungsprobleme dort behandelt worden sei.
150Die Zeugin ..., Mitglied des Kinderschutzteams der Klinik, hat ebenjene Angaben der Zeugin bestätigt. Ebenjener, von der Zeugin ... dokumentierte Vorfall Anfang Juli 2016 sei – neben weiteren aufgefallenen Unstimmigkeiten – ein maßgeblicher Grund dafür gewesen, dass man sich nach Beratung im Kinderschutzteam dazu entschlossen habe, im September 2016 eine erste Gefährdungsmitteilung an das Kreisjugendamt ... zu übermitteln.
151Vor dem Hintergrund der Bekundungen der glaubwürdigen Zeuginnen, an deren Richtigkeit kein Zweifel besteht und die in Übereinstimmung mit der aktenkundigen Behandlungsdokumentation stehen, ist erwiesen, dass die Angeklagte – die auf Vorhalt der Kammer ebenjenen Vorfall in Abrede gestellt hat – auch bei ihrer Tochter ... bereits Manipulationsversuche im Krankenhaussetting vorgenommen hat.
152(6) Gesamtschau
153Bei Vornahme der erforderlichen Gesamtschau ist die Kammer aufgrund der vorgenannten Umstände davon überzeugt, dass ... tatsächlich nie unter Verstopfungsproblemen litt und die Angeklagte diese vielmehr bewusst wahrheitswidrig lediglich behauptet und vorgeschoben hat. Die Überzeugungsbildung beruht maßgeblich auf den dargestellten Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen ...und des sachverständigen Zeugen ..., nach deren übereinstimmenden Stellungnahmen eine Verstopfungsproblematik bei ... vor Anlage des anus praeters angesichts der erhobenen Vorbefunde zu ihrem problemlosem Stuhlgang medizinisch zweifelsfrei ausgeschlossen ist. Insoweit steht auch fest, dass die anderslautenden Angaben der Angeklagten, die regelmäßig Obstipationsprobleme angegeben hat, bewusst falsch waren, zumal sich derartige Falschangaben der Angeklagten zu angeblichen Krankheitssymptomen ihrer Tochter auch im Zusammenhang mit anderen angeblichen Erkrankungen wiederfinden.
154Diese Überzeugungsbildung der Kammer wird auch nicht durch die Aussage der von der Angeklagten benannten und von der Kammer in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugin ... relativiert. Die Zeugin ..., die insbesondere bis zum Wegzug der Angeklagten aus ... Ende 2014 freundschaftlichen Kontakt zur angeklagten pflegte, vermochte zwar zu bestätigen, dass ... damals viel geschrien habe, was die Angeklagte – für sie plausibel – mit Stuhlgangsproblemen erklärt habe. Dass sie – die Zeugin – über die Erklärung der Angeklagten hinaus auch selbst die von der Angeklagten berichtete Verstopfung bei ... konkret gesehen habe, vermochte sie indessen nicht zu bekunden. Auch insoweit beruht die angebliche Stuhlgangsproblematik bei ... letztlich allein auf den – nie verifizierten Angaben – der Angeklagten.
155bb) Feststellungen zur inneren Tatseite und zur Motivlage
156Die Feststellung der Kammer, dass es der Angeklagten gerade um die Herbeiführung und Aufrechterhaltung eines krankhaften Zustandes bei ... sowie den damit einhergehenden Gewinn an Aufmerksamkeit für sich selbst ging, beruht darauf, dass sie gezielt eine zeitnah angeratene Rückverlagerung des künstlichen Darmausgangs verhinderte (hierzu nachfolgend unter 1) und sich öffentlich mit einer tatsächlich nicht bestehenden Erkrankung ... brüstete bzw. darstellte (hierzu nachfolgend unter 2). Hinzu tritt, dass die Angeklagte auch über die angeblichen Verstopfungsprobleme hinaus deutliche Aggravationstendenzen in Bezug auf die gesundheitliche Situation ... zeigte, was ihre Motivationslage untermauert (hierzu nachfolgend unter 3).
157(1) Vereitelung einer zeitnahen Rückverlagerung – zugleich Feststellungen zum Nachtatgeschehen
158Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht fest, dass die Angeklagte eine zeitnahe Rückverlagerung des von ihr veranlassten künstlichen Darmausgangs vereitelt hat, da sie ohne verständlichen Grund die von den ärztlichen Behandlern im ... Krankenhaus ... vorgeschlagene Nachbehandlungsprozedur missachtete, eine im Klinikum ... empfohlene Rückverlagerung ebenfalls ausgeschlagen und sich auch in der Folgezeit mit ... weder dort noch in einer anderen Klinik oder bei der Hausärztin ... zur Planung einer Rückverlegung des künstlichen Darmausgangs vorgestellt hat.
159Der Zeuge ... hat bekundet, dass es bei seiner Empfehlung ausdrücklich nur um die vorübergehende Anlage eines künstlichen Darmausgangs gegangen sei, nicht um eine dauerhafte Lösung. Es habe auf diesem Wege eine Beruhigung und eine Regeneration des Anus sowie eine Linderung der von der Kindesmutter beklagten Schmerzen des Kindes erreicht werden sollen, um sodann weitere Diagnostik zum Zwecke der Aufklärung der angenommenen unklaren Darmtransportstörung durchzuführen. Insbesondere habe nach seinem – der Angeklagten gegenüber mitgeteilten – Behandlungsplan nach etwa 2 Monaten die Funktion des infolge des künstlichen Darmausgangs ausgeschaltete Darmabschnitts anhand einer Reisschleim-Beprobung überprüft und ggfls. – beim Fehlen eines feststellbaren pathologischen Befundes – eine zeitnahe Rückverlegung des künstlichen Darmausgangs erfolgen sollen. Die Angeklagte habe sich aber in der Folge – entgegen dem Behandlungsplan – nicht mehr bei ihm vorgestellt. Er räume ein, dass es auch ein Fehler gewesen sei, dass er bzw. seine Abteilung in diesem Falle nicht bei der Angeklagten nachgehakt bzw. telefonisch versucht hätte, zur Angeklagten Kontakt aufzunehmen. Als er zufällig im Jahr 2019 mitbekommen habe, dass ... – die sich aus anderen Gründen in der Klinik aufgehalten habe – immer noch über den künstlichen Darmausgang verfügt habe, sei er durchaus verwundert gewesen, habe dies aber gleichwohl auch nicht weiter hinterfragt oder die Initiative ergriffen.
160Die Angeklagte hat sich zur Missachtung dieses Behandlungsplans des ... Krankenhauses ... nicht geäußert. Auf den Vorhalt der Missachtung eines ausdrücklichen ärztlichen Rats im Entlassungsbericht des Kinderkrankenhauses ... vom 16.02.2016 zur Rückverlegung des künstlichen Darmausgangs mangels medizinischer Notwendigkeit hat die Angeklagte in der Hauptverhandlung erklärt, sie habe ... in dieser Situation – nach der erfolgten Operation in ... – nicht zumuten wollen, sich erneut einer Operation zu unterziehen und sich erst noch mit ihrer Kinderärztin ... beraten wollen.
161Diese von der Angeklagten vorgebrachte Erklärung ist ersichtlich vorgeschoben. Sie ist bereits als solche kaum nachzuvollziehen, da gerade das Vorhandensein und erst recht das Fortbestehen eines künstlichen Darmausgang selbst deutlich belastender erscheint, als eine einmalig notwendige Rückverlagerungsoperation zur Normalisierung der anatomischen Verhältnisse des Kindes. Zum anderen ist diese Erklärung widerlegt durch das anschließende Verhalten der Angeklagten, die in der Folgezeit auch über Jahre hinweg von sich aus keinerlei Bemühungen entfaltet hat, die ärztlicherseits angeratene Rückverlagerung in die Wege zu leiten oder sich auch nur – wie sich aus den glaubhaften Angaben der Zeugen ... ergibt – dahingehend weitergehend beraten zu lassen.
162Die Zeugin ... hat insoweit ergänzend bekundet, dass sie seinerzeit von der stationären Behandlung ... in der Kinderklinik ... nichts gewusst habe. Die dortige Behandlung sei ohne ihre Einbindung von der Angeklagten offenbar selbst veranlasst worden. Sie habe auch keine Einweisung ausgestellt. Sie habe aber mit etwas zeitlichem Verzug einen Behandlungsbericht von dort übersandt erhalten. Trotz der dort erteilten Empfehlung der Rückverlagerung des künstlichen Darmausgangs habe die Angeklagte keine Anstalten gemacht, der Empfehlung nachzukommen. Sie habe den Eindruck gewonnen, dass die Angeklagte eine Rückverlegung seinerzeit nicht gewollt habe. Sie sei von ihr jedenfalls zu keiner Zeit um Rat in Hinblick auf eine Rückverlagerung gebeten worden. Vielmehr habe die Angeklagte bei ihr zu dieser Zeit im Hinblick auf den künstlichen Darmausgang im Wesentlichen nur noch Versorgungsmaterial für den anus praeter „bestellt“, bevor sie im September 2017 ... das letzte Mal im Rahmen der U7-Untersuchung zu Gesicht bekommen habe.
163(2) Öffentliche Darstellung
164Es steht weiter fest, dass die Angeklagte aus der öffentlichen Darstellung der angeblichen Erkrankung ... einen persönlichen Gewinn zog. Denn durch die überbordende Darstellung der angeblichen Erkrankung erzielte die Angeklagte einen Gewinn an Aufmerksamkeit ihrer Person als Mutter eines angeblich erheblich erkrankten Kindes. Dass gerade dieser Krankheitsgewinn maßgebliche Triebfeder und Motiv ihres Handelns war, ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus ihrer Darstellung in den sozialen Medien sowie ergänzend daraus, dass sie sich während eines Krankenhausaufenthaltes im Sommer 2016 vor Dritten damit brüstete, dass ... an der seltenen Darmerkrankung „Morbus Hirschsprung“ leide, obwohl sie zu dieser Zeit wusste, dass diese Erkrankung bei ... bereits mehrfach ausgeschlossen worden war.
165Der Zeuge ..., der als Lebensgefährte mit der Angeklagten und den Kindern in der Zeit von 2015 bis Ende 2019 in ... zusammenlebte, hat bekundet, dass die Angeklagte über ihre facebook-Seite, über die sie auch ihre Kinderbekleidung präsentiert und angeboten habe, den Gesundheitszustand aller Kinder breit thematisiert und mit ihren Followern diskutiert habe. Dies gelte auch für ... angebliche Verstopfungsproblematik bis hin zur Anlage des künstlichen Darmausgangs. Er habe den Eindruck gewonnen, dass sie über eine Art „Mitleidsnummer“ Aufmerksamkeit habe auf sich ziehen wollen. Sie habe die angeblichen gesundheitlichen Probleme ... in Bezug auf die Verstopfung aber insbesondere auch die angeblichen gesundheitlichen Probleme von ... zum Anlass genommen, bei ihren Followern um Rat und in Betracht kommende Ärzte zur Behandlung der gesundheitlichen Problematiken zu fragen. Diese auffällige Außendarstellung habe auch dazu geführt, dass er von Bekannten unter Vorlage entsprechender Auszüge aus von ihr – der Angeklagten – bei facebook veröffentlichen Artikeln über den gesundheitlichen Zustand ihrer Kinder darauf angesprochen worden sei, ob er – der Zeuge – derartige Veröffentlichungen gutheiße. Er könne jedenfalls bestätigen, dass die Angeklagte nahezu täglich Stunden damit verbracht habe, Recherchen im Internet über Erkrankungen durchzuführen und sich über den gesundheitlichen Zustand ihrer Kinder öffentlich über facebook auszutauschen.
166Dass die Bemühen der Angeklagten um einen Gewinn an Aufmerksamkeit durch die von ihr behaupteten Erkrankungen ihrer Kinder auch tatsächlich fruchteten, ergibt sich ergänzend aus den Angaben der Zeugin ..., einer Freundin der Angeklagten. Diese hat im Rahmen der Vernehmung bekundet, dass sie die Angeklagte und ihre Kinder seinerzeit regelmäßig gesehen habe und von der Angeklagten in Bezug auf die gesundheitliche Situation der Kinder auf dem Laufenden gehalten worden sei. Von dem harten Schicksal der Angeklagten mit gleich mehreren schwer erkrankten Kindern sei sie immer „tief berührt“ gewesen.
167Die Zeugin ... hat überdies bekundet, dass sie Mitte 2016 in der Kinderklinik ... als Erzieherin tätig gewesen sei. In der Klinik sei es den Eltern dort erkrankter Kinder möglich, die Kinder – ähnlich einer Kita-Gruppe – stundenweise zur Betreuung bei ihr abzugeben. Die Angeklagte sei seinerzeit mit ihren beiden Kindern ... und ... stationär aufgenommen gewesen und habe sich mit diesen zeitweise auch im Spielzimmer aufgehalten. Die Angeklagte habe einen sehr offenen und mitteilsamen Eindruck auf sie gemacht und sich im regen Austausch mit anderen Müttern, insbesondere über die Erkrankungen der Kinder befunden. Bei der Angeklagten sei die Besonderheit gewesen, dass sie augenscheinlich gleich zwei kranke Kleinkinder gehabt habe. Die Angeklagte habe viel über ihren Alltag erzählt und über die vielen Krankenhausaufenthalte mit ihren Kindern. Auf die Frage einer Mutter nach der Ursache des bei ... vorhandenen künstlichen Darmausgangs habe die Angeklagte behauptet, dass bei ... eine Erkrankung namens „Morbus Hirschsprung“ diagnostiziert worden sei. Diese Aussage sei ihr – der Zeugin – deshalb besonders in Erinnerung geblieben, da sie von dieser Erkrankung seinerzeit – obwohl sie in ihrer Funktion als Erzieherin in einer Kinderklinik mit vielfältige Erkrankungsbildern bereits konfrontiert gewesen sei – noch nie gehört habe. Dieser Krankheitsbegriff habe sie später aus Interesse „gegoogelt“. Aus diesem Grund können sie sich an den Vorfall noch gut erinnern und sei sich sicher, dass die Angeklagte ebenjene Erklärung abgegeben habe.
168Die Kammer folgt den Angaben dieser Zeugen. Es besteht keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass die glaubwürdige Zeugin ..., die die damaligen Ereignisse aufgrund der von ihr dargelegten Besonderheit – dem einprägsamen und für sie damals erst noch unbekannten Krankheitsbegriff „Morbus Hirschsprung“ – noch gut in Erinnerung hatte und die keinerlei erkennbares Interesse am Ausgang des Strafverfahrens hat, unzutreffende Angaben gemacht haben könnte. Auch die Aussage des Zeugen ... ist glaubhaft. Der Zeuge vermochte die damaligen Ereignisse, soweit sie Gegenstand seiner Wahrnehmung waren, detailliert zu schildern. Die Kammer verkennt nicht, dass das Verhältnis zwischen dem Zeugen und der Angeklagten nach Zerrüttung ihrer Beziehung und der sich anschließenden familiengerichtlichen Verfahren belastet ist. Gleichwohl hat er keinerlei übertriebene Belastungstendenzen gezeigt. Insbesondere hat er nicht behauptet, seinerzeit etwaige Manipulationshandlungen der Angeklagten mitbekommen zu haben, obwohl die Behauptung derartiger oder sonstiger belastender Umstände für ihn ohne weiteres möglich gewesen wäre. Vielmehr hat er eingeräumt aufgrund seiner zeitraubenden selbständigen Tätigkeit die Erziehung und gesundheitlichen Belange der Kinder der Angeklagten vollumfassend überlassen, auf die Richtigkeit ihrer Angaben vertraut und seinerzeit auch keinen Verdacht geschöpft zu haben. Soweit er das Bestreben der Angeklagten um öffentliche Darstellung der Krankheitsgeschichte der Kinder insgesamt bestätigt und hierzu nähere Ausführungen gemacht hat, stimmen seine Angaben mit den aktenkundigen facebook-Auszügen in Bezug auf die Tochter ... überein sowie mit den gleichlautenden – noch darzustellenden Angaben – der Zeuginnen ... und ....
169(3) Aggravationstendenzen
170Schließlich steht fest, dass die Angeklagte auch über die angebliche Stuhlgangsproblematik hinaus weitere bewusst unzutreffende und stets aggravierende Angaben während eines stationären Krankenhausaufenthalts vom 05.07.2016 bis 08.07.2016 in Bezug auf die gesundheitliche Situation ... gemacht hat. Auch diese Aggravationen untermauern das Bestreben der Angeklagten nach Selbstinszenierung ihrer Person – hier gegenüber dem Klinikpersonal – auf Kosten ihrer Kinder.
171Die Zeugin ..., die seinerzeit als Aufnahmeärztin der Kinderklinik ... am 05.07.2016 das Aufnahmegespräch mit der Angeklagten führte, hat erklärt, dass ... wegen einer globalen Entwicklungsverzögerung vorgestellt worden sei. Die Angeklagte habe mitgeteilt, dass ... „per Notsectio bei vorzeitiger Plazentaablösung und intrauteriner Wachstumsretardierung“ zur Welt gekommen sei, seit Geburt unter Obstipationsproblemen leide und im Alter von etwa eineinhalb Jahren wegen eines Darmverschlusses einen künstlichen Darmausgang gelegt bekommen habe. Darüber hinaus habe sie mitgeteilt, dass ... in der Vergangenheit nach Vollnarkosen Atemprobleme mit Intensivpflichtigkeit gezeigt habe.
172Die Zeugin ..., die seinerzeit am 06.07.2018 als Anästhesistin das Aufklärungsgespräch mit der Angeklagten im Hinblick auf eine anstehende MRT-Untersuchung bei ... geführt hat, vermochte zu bekunden, dass die Angeklagte ihr gegenüber u.a. angegeben habe, das ... nach der Geburt eine Nachbeatmung von 4 Wochen mittels Tubus und 6 Wochen mittels CPAP erhalten habe.
173Die Angeklagte hat auf Nachfrage der Kammer eingeräumt, dass derartige Angaben - bis auf die Atmungsprobleme nach Vollnarkosen – nicht den tatsächlichen Verhältnissen bei ... entsprechen würden. Sie hat aber bestritten, ebenjene Angaben tatsächlich gegenüber den Zeuginnen gemacht zu haben. Insbesondere habe sie richtigerweise zur Beatmung nach der Geburt erklärt, dass ... 3 Tage intubiert gewesen sei und 16 Tage CPAP-Unterstützung erhalten habe. Warum sich andere Angaben aus der Dokumentation ergeben würden, könne sie nicht erklären. Richtig sei, dass sie Atemprobleme nach Vollnarkosen mit Intensivpflichtigkeit angegeben habe. Dies sei aber auch zutreffend gewesen, da ... nach Anlage des künstlichen Darmausgangs tatsächlich nach der Vollnarkose aufgrund von Atemproblemen intensivpflichtig habe beatmet werden müssen.
174Diese Einlassung der Angeklagten ist widerlegt. Die Kammer hat keinen Zweifel daran, dass die Angeklagte die dargestellten Äußerungen gegenüber den beiden Zeuginnen ... und ... getätigt hat, zumal diese keinerlei Interesse am Ausgang des Verfahrens haben und in Übereinstimmung mit ihren aktenkundigen Dokumentationen ebenjene Äußerungen der Angeklagten rekapitulieren konnten. Soweit die Angeklagte behauptet hat, dass ... tatsächlich nach der Anlage des künstlichen Darmausgangs Atemprobleme mit Intensivpflichtigkeit gezeigt habe, ist ihre Einlassung ebenfalls widerlegt. Der Zeuge ... hat im Rahmen seiner Vernehmung glaubhaft angegeben, dass der operative und postoperative Verlauf bei ... komplikationslos gewesen sei. Auf Nachfrage der Kammer hat er in Übereinstimmung mit dem damaligen Behandlungsbericht klargestellt, dass es nach dem Eingriff in Vollnarkose auch keine Atmungsinsuffizienz mit Intensivpflichtigkeit gegeben habe.
175Die von den Zeuginnen ... und ... referierten anamnestischen Angaben der Angeklagten sind erwiesen falsch, da ... ausweislich der im Selbstleseverfahren eingeführten Befundberichte weder durch Notsectio bei vorzeitiger Plazentaablösung zur Welt kam, noch ein Darmverschluss bei ... festgestellt wurde, der auch nicht Grund für die Anlage des künstlichen Darmausgangs war. ... musste auch nicht derart lange nach der Geburt beatmet werden und zeigte – wie dargestellt – auch keine Ateminsuffizienz nach Vollnarkosen mit Intensivpflichtigkeit. Aufgrund der Vielzahl unzutreffender Angaben kann die Kammer auch ausschließen, dass es zu einer versehentlichen Falschangabe gekommen sein könnte. Gerade die Vielzahl der Falschangaben und die ausschließlich aggavierende Tendenz der Falschangaben belegt, dass es der Angeklagten darauf ankam, durch bewusste Falschangaben ... in einem deutlich schlechterem Gesundheitszustand zu präsentieren, als es der Realität entsprach, um auf diesem Weg einen Aufmerksamkeitsgewinn gegenüber dem ärztlichen Personal zu generieren.
176(4) Gesamtschau
177Bei Vornahme der gebotenen Gesamtschau ergibt sich zur Überzeugung der Kammer die dargestellte Motivlage. Bereits die überbordende öffentliche Darstellung der vorgeblichen Krankheitsgeschichten ihrer Kinder verdeutlicht ihren ausgeprägten Hang nach öffentlicher Darstellung ihrer Person. Der Umstand, dass die Angeklagte im Sommer 2016 – also zu einem Zeitpunkt, in dem das Vorliegen der seltenen Darmerkrankung Morbus Hirschsprung bereits zweimal, wie sie wusste, sicher ausgeschlossen war – wider besseres Wissen das Vorliegen ebenjener Erkrankung bei ... gegenüber anderen Eltern behauptete, belegt, dass es ihr maßgeblich um die Inszenierung und Anerkennung ihrer Person als Mutter eines mit einer angeblich seltenen und schweren Darmerkrankung belasteten Kindes ging, dem sie Vorrang vor der Wahrheit und den Kindeswohlbelangen einzuräumen bereit war. Zugleich widerlegt ein solches Verhalten die Einlassung der Angeklagten, wonach es ihr bei der öffentlichen Darstellung der Erkrankungen ihrer Kinder auf ihrer facebook-Seite allein darum gegangen sei, ihre Follower weiter an sich zu binden.
178cc) Feststellungen zum Tatgeschehen - zur Diagnosestellung und zur operativen Anlage des künstlichen Darmausgangs
179Die getroffenen Feststellungen zur Diagnosestellung im Vorfeld der Anlage des künstlichen Darmausgangs und zur Durchführung der Operation beruhen auf den Angaben der Zeugen ... und ....
180Die Zeugin ..., Allgemein- und Kinderchirurgin im ... Krankenhaus ..., hat erklärt, dass die Angeklagte mit ... bereits im April 2015 im ... Krankenhaus ... wegen angeblich anhaltender Verstopfung vorstellig geworden sei. Organische Ursachen seien im Rahmen der durchgeführten Diagnostik nicht festgestellt worden. Es sei dann eine operative Rektumbiopsie durchgeführt worden. Diese habe keine Hinweise auf das Vorliegen der Darmerkrankung Morbus Hirschsprung oder anderen Dysgangliosen – also nicht ausreichender oder falsch verteilter Nerven im Darm – ergeben. Der Angeklagten seien die unauffälligen Ergebnisse mitgeteilt worden. ... sei ohne weitere Behandlung allein mit der Empfehlung der Gabe des Abführmittels Movicol von 1-3 Beuteln pro Tag im Bedarfsfalle nach Hause entlassen worden. Anfang November 2015 sei die Angeklagte erneut mit ... vorstellig geworden. Im Rahmen der Anamnese habe die Angeklagte angegeben, dass die Verstopfungsprobleme bei ... nicht in den Griff zu bekommen seien, obwohl sie mittlerweile 9 Beutel Movicol täglich verabreiche. ... setze 2 bis 3mal in der Woche jeweils harten Stuhl ab, was sehr schmerzhaft für das Kind sei. Vor dem Hintergrund dieser Angaben sei durch den Chefarzt ... als ultima ratio die Indikation zur Anlage eines künstlichen Darmausgangs gestellt worden. Die Angeklagte habe nach Aufklärung über die Operationsrisiken für ... in den Eingriff eingewilligt. Die Operation sei durch sie und ... am 03.11.2015 durchgeführt worden.
181Der Zeuge ... hat ebenjene Angaben bestätigt. Zur Diagnosestellung der von ihm erteilten Empfehlung der Anlage des künstlichen Darmausgangs hat er ergänzend erklärt, dass ausschlaggebend für ihn gewesen sei, dass die Angeklagte, auf deren Angaben er sich verlassen habe, anamnestisch von fortwährend schmerzhafter Verstopfung bei ... berichtet habe, die auch durch Gabe von Abführmitteln nicht in den Griff zu bekommen sei. Auf diese Angaben der Angeklagten habe er vertraut. Auf dieser Grundlage habe er eine unklare Darmtransportstörung diagnostiziert und als ultima ratio die vorübergehende Anlage des künstlichen Darmausgangs empfohlen. Ziel sei es gewesen, Darm und Anus Regenerationsmöglichkeit zu geben, sodann weitere Diagnostik zu betreiben und den Ausgang auch zeitnah wieder zurückzuverlegen. Richtig sei, dass ein objektiver Befund für eine Verstopfung nicht vorgelegen und er sich insoweit allein auf die Angaben der Angeklagten verlassen habe. In Kenntnis der zahlreichen stationären Krankenhausberichte und Vorbefunde, die ihm zur Zeit der Diagnosestellung und der Operationsempfehlung ganz überwiegend nicht vorgelegen hätten, mit durchweg unauffälligen Angaben zum Stuhlgang hätte er weder diese Diagnose gestellt und erst recht nicht die Anlage des künstlichen Darmausgangs empfohlen und vorgenommen.
182Zum operativen Eingriff selbst hat der Zeuge ausgeführt, dass er im Rahmen einer in Vollnarkose durchgeführten Operation ... einen künstlicher Darmausgang (ein sog. „doppelläufiger Descendostoma“) gelegt habe. Hierzu habe er zunächst die Bauchwand mittels eines halbkreiförmigen Schnitts eröffnet, eine Dickdarmschlinge durch die Bauchwand nach außen gezogen, diese teilweise aufgeschnitten und sodann an der Bauchwand vernäht. Auf diesem Wege habe er zwei Ausgänge hergestellt, nämlich einen zuführenden Ausgang, durch den der Stuhl in einen Auffangbeutel nach außen abgeleitet werde und einen abführenden und zum Anus des Kindes führenden – fortan funktionslosen – Ausgang. Die mehrstündige Operation und der postoperative Verlauf seien komplikationslos verlaufen. Die Angeklagte sei in die Benutzung des künstlichen Darmausgangs eingewiesen worden. ... habe am 09.11.2015 mit reizlosen Wundverhältnissen und regelmäßig förderndem Darmausgang in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden können.
183Die Kammer hatte keinen Zweifel an der Richtigkeit der Aussage des Zeugen .... Er ist glaubwürdig. Insbesondere hat er offen eingeräumt, sich fälschlicherweise allein auf Angaben der Angeklagten verlassen, anstatt durch weitere klinische Voruntersuchungen, stationäre Beobachtung des Kindes oder Abfrage weiterer Vorbefunde eine sicherere Beurteilungsgrundlage geschaffen zu haben. Weiterhin hat er ebenfalls offen eingeräumt, dass es hinsichtlich der ausgebliebenen Nachbehandlungsprozedur ein Fehler gewesen sei, bei der Angeklagten nicht nachgehakt zu haben. Seine Angaben zum Ablauf des operativen Eingriffs wurden bestätigt durch die Zeugin ... sowie die Angaben des rechtsmedizinischen Sachverständigen ...und des sachverständigen Zeugen ..., welcher letztlich die Rückverlagerungsoperation bei ... im Januar 2021 vorgenommen hat.
184dd) Feststellungen zu körperlichen Beeinträchtigungen und zur Lebensgefahr
185Die Feststellungen zu den infolge der Anlage des künstlichen Darmausgangs eingetretenen körperlichen Beeinträchtigungen und der damit einhergehenden Lebensgefahr beruhen auf den Angaben des Sachverständigen ....
186Der Sachverständige ...hat ausgeführt, dass es sich bei der Anlage eines künstlichen Darmausgangs um einen in Vollnarkose durchgeführten operativen Eingriff handele, bei dem die Bauchhöhle eröffnet werde. Eine derartige Operation berge – auch wenn es sich um eine chirurgische Standardprozedur handele – aufgrund der Eröffnung der Bauchhöhle stets das Risiko einer Infektion und einer eintretenden Bauchfellentzündung, die sich als sog. systemische Erkrankung auf den ganzen Körper auswirken und damit potenziell tödlich verlaufen könne. Im Speziellen berge die Anlage des künstlichen Darmausgangs – ebenso wie eine Dickdarmspiegelung, wie sie bei ... mehrfach vorgenommen worden sei – auch das Risiko einer Darmperforation mit möglichem Stuhlaustritt in den Bauchraum und anschließender möglicherweise tödlich verlaufender Sepsis. Der operative Eingriff sei letztlich generell geeignet, eine Lebensgefahr herbeizuführen.
1874. Feststellungen betreffend die Taten zu Lasten von ...
188a) Einlassung der Angeklagten
189Die Angeklagte hat auch die dargestellte Krankenhaushistorie von ... – nach chronologischem Vorhalt seitens der Kammer – sowie die von ihr in den Krankenhausberichten dokumentierten anamnestischen Angaben bestätigt. Sie hat sich dahin eingelassen, dass auch bei ... die von ihr im Rahmen der Krankenhausaufenthalte beklagten gesundheitlichen Probleme tatsächlich bestanden hätten und sie diese keinesfalls nur unzutreffend behauptet habe.
190Die Angeklagte hat weiter bestätigt, dass sie nach Entlassung aus dem ... Krankenhaus ..., der Geburtsklinik, in der Zeit vom 07.03.2018 bis 09.03.2018 wegen einer bei ... bestehenden Trinkschwäche erneut im ... Krankenhaus ... vorstellig geworden sei, wobei ... eine Nasensonde zum „Aufsondieren“ gelegt worden sei. In der Zeit vom 17.04.2018 bis 19.04.2018 habe sie sich mit ... erneut im ... Krankenhaus ... vorgestellt wegen Atmungsproblemen und Zyanosen. In der Zeit vom 09.05.2018 bis zum 25.05.2018 sei ... wegen Atmungsproblemen, schneller Erschöpfung und nachlassendem Trinkverhalten im ... Krankenhaus ... stationär behandelt worden. ... habe fortan eine High-Flow-Atemunterstützung erhalten. Aufgrund der anhaltenden Trinkschwäche und weil sich ... die Nasensonde oft selbst aus der Nase gezogen habe, sei durch ... eine Einweisung zur Anlage einer PEG-Sonde ausgestellt worden. Zudem habe ... wegen der bei ... bestehenden Atmungsprobleme die Anlage eines Tracheostomas, welches ihr damals noch unbekannt gewesen sei, erstmals angesprochen und in der Folgezeit fortlaufend für ... befürwortet, was sie und ihr Lebensgefährte ... zunächst aufgrund der damit einhergehenden Folgen für ihre Tochter strikt abgelehnt hätten. In der Zeit vom 15.08.2018 bis 18.08.2018 sei ... aufgrund der Einweisung im ... Krankenhaus ... behandelt worden. Am 16.08.2018 habe man dort die PEG-Sonde angelegt. Eine durchgeführte Bronchioskopie habe ergeben, dass ein Tracheostoma bei ... nicht nötig gewesen sei, was ihr seitens der Ärzte auch mitgeteilt worden sei. Ihr sei „ein Stein vom Herzen“ gefallen, als ihr von den ärztlichen Behandlern in ... mitgeteilt worden sei, dass ein solcher Eingriff nicht nötig sei. Sie habe schließlich um die Folgen eines solchen Eingriffs gewusst, etwa dass ... dann nicht hätte das Sprechen erlernen können und ein dauerhafter Pflegefall gewesen wäre. Es sei richtig, dass sie trotz dieser ärztlichen Einschätzung in der Folgezeit weitere Termine im ... ... für den 04.10.2018 und in einer Klinik in ... zum Zwecke der Anlage eines Tracheostomas vereinbart habe. Auf die Klinik in ... sei sie gekommen, nachdem sie einen Aufruf in ihrer facebook-Gruppe gestartet habe. Sie habe ihre Follower um Rat gefragt, wer einen Arzt bzw. eine Klinik kenne, der einen derartigen Eingriff – das Legen eines Tracheostomas – bei ... durchführen könne. Auf diesen Aufruf habe sich eine Followerin bei ihr gemeldet und die Kinderklinik in ... empfohlen. Es sei ihr – der Angeklagten – aber nicht definitiv darum gegangen, den Eingriff in jedem Fall durchführen zu lassen, sondern nur darum, die Erforderlichkeit eines Tracheostomas nochmal abklären zu lassen, zumal auch ... bis zuletzt hierauf gedrängt habe.
191Trotz Anlage der PEG-Sonde und entsprechender Nahrungsgabe hierüber sei es bei ... in der Folgezeit von August 2018 bis Anfang Oktober 2018 zu einer kontinuierlichen Gewichtsabnahme gekommen. In diesem Zeitraum von etwa 7 Wochen habe ... fast ein Kilogramm an Gewicht verloren. Sie könne sich das nur damit erklären, dass ihr Kinderarzt ... eine zu geringe Nahrungsdosis kalkuliert habe. Dieser habe sich trotz Gewichtsabnahme bei ... geweigert, die Nahrungszufuhr bzw. die Anzahl der Nahrungsgaben zu erhöhen. Nachdem ... auch noch dafür gesorgt habe, dass der von ihr im ... in ... vereinbarte Termin zur Anlage des Tracheostomas abgesagt worden sei, habe sie per Fax die Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht widerrufen und die Behandlung bei ihm abgebrochen. Sie – die Angeklagte – habe ... am 01.10.2018 in Begleitung der Zeugin ..., einer Mitarbeiterin des Pflegedienstes ..., dem niedergelassenen Kinderarzt ...in ... vorgestellt. Es sei richtig, dass sie in Vorbereitung dieses Termins gezielt die Adressfelder aus den Arzt- und Behandlungsberichten, die ... als Hausarzt ... ausgewiesen hätten, herausgeschnitten habe, da sie eine Kontaktaufnahme zu ... habe unterbinden wollen. Ziel sei es gewesen, dass ...sich „unbefangen“ ein Bild über den Gesundheitszustand von ... habe machen sollen. ...habe festgestellt, dass ... ernsthaft unterernährt gewesen sei und habe daraufhin eine Einweisung zur stationären Aufnahme in die Kinderklinik in ... ausgestellt. Am nächsten Tag habe sie sich dort mit ... vorgestellt und dort ebenfalls die von ihr manipulierten Unterlagen vorgelegt, worüber sie sich aber keine Gedanken gemacht habe. Bei der Aufnahme habe sie unter anderem angegeben, dass ... trotz PEG-Sondenernährung in den letzten 7 Wochen von 6.380g auf etwa 5.200g abgenommen habe ohne dass Durchfälle oder Erbrechen oder Infekte bestanden hätten.
192Sie sei zusammen mit ... in einem Zimmer stationär aufgenommen worden. Mit dem Krankenhauspersonal habe sie vereinbart, die Nahrungsgaben selbst zu verabreichen. Es sei richtig, dass es in der Zeit vom 02.10.2018 bis zu ihrer Trennung von ... am Mittag des 05.10.2018 nicht immer zur plangemäßen Verabreichung der erforderlichen Nahrungsgaben gekommen sei. Dies sei aber von ihr nicht verschuldet gewesen. Die Krankenschwestern hätten teilweise vergessen, sie nachts zu den vorgegebenen Zeiten aufzuwecken, worum sie gebeten habe. Keinesfalls habe sie ... bewusst Nahrung vorenthalten oder etwa Nahrungsgaben in Abwesenheit des Klinikpersonals weggeschüttet. Soweit ... nach der Trennung von ihr kontinuierlich an Gewicht zugenommen habe, sei das für sie nur damit zu erklären, dass die Nahrungsmengen seitens der Klinik massiv erhöht worden und zuvor zu niedrig dosiert gewesen seien.
193b) Einlassungskonforme Feststellungen der Kammer
194Die Kammer folgt der Einlassung der Angeklagten, insbesondere soweit sie – in Übereinstimmung mit den vorliegenden Behandlungsberichten – die Krankenhaushistorie ..., die von ihr seinerzeit in den Kliniken jeweils gemachten anamnestischen Angaben und schließlich den ab Mitte August 2018 eingetretenen kontinuierlichen Gewichtsverlust von ... bestätigt hat.
195c) Abweichende Feststellungen der Kammer betreffend PEG-Sondenlegung
196Soweit die Kammer von der Einlassung abweichende Feststellungen betreffend das Vorgeschehen und das Tatgeschehen in Bezug auf die PEG-Sondenlegung getroffen hat, beruhen diese auf dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme.
197aa) Bewusst wahrheitswidrige Behauptungen zu Nahrungsaufnahmeproblemen
198Die Kammer ist nach Durchführung der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die von der Angeklagten wiederholt vorgetragenen Probleme ... bei der Nahrungsaufnahme tatsächlich nicht bestanden und von ihr bewusst wahrheitswidrig gegenüber den ärztlichen Behandlern behauptet wurden.
199(1) Keine objektive Feststellung zu Nahrungsaufnahmeproblemen
200Fest steht, dass die von der Angeklagten beklagten Symptome zu Nahrungsaufnahmeproblemen während der stationären Krankenhausaufenthalte weder objektiv festgestellt wurden, noch organische Ursachen hierfür belegt werden konnten.
201Die glaubwürdige Zeugin ..., Oberärztin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des ... Krankenhauses ..., an deren Richtigkeit ihrer Behauptungen zu zweifeln kein Anlass bestand, vermochte zu bekunden, dass die am 02.12.2017 geborene ... von ihrer Geburt an bis zum 12.02.2018 im ... Krankenhaus ... stationär versorgt worden sei. Aufgrund ihrer Frühgeburtlichkeit hätten typische Atmungsprobleme bestanden und sich eine milde bronchopulmonale Dysplasie entwickelt. Es habe sich aber durchaus schnell eine erfreuliche Entwicklung bei ... eingestellt. ... habe am 12.02.2018 mit einem Gewicht von 2.440g bei guter Gewichtszunahme und gutem Trinkverhalten nach Hause entlassen werden können.
202In der Zeit vom 07.03.2018 bis zum 09.03.2018 sei ... erneut im ... Krankenhaus ... stationär behandelt worden. Die Angeklagte habe eine Trinkschwäche und eine Gewichtsabnahme in den letzten 3 Tagen von 330g beklagt, die nicht recht habe nachvollzogen werden können. Das Aufnahmegewicht von 3.080g habe im Vergleich zur Entlassung etwa 4 Wochen zuvor eine gute Gewichtszunahme belegt. Gleichwohl habe man ... umfassend untersucht. Es sei eine Blutuntersuchung erfolgt zum Ausschluss einer Infektion. Ferner seien Ultraschalluntersuchungen von Herz und Kopf gemacht worden. Organische Ursachen für die behauptete Trinkschwäche seien nicht gefunden worden. Aufgrund der Angaben der Angeklagten zur Trinkschwäche sei letztlich aber eine Nasensonde gelegt worden, um eine Aufsondierung im Falle einer zu geringen Trinkleistung des Kindes zu ermöglichen.
203(2) Auswertung des rechtsmedizinischen Sachverständigen ...
204Der rechtsmedizinische Sachverständige ...hat bestätigt, dass auch die von ihm vorgenommene Auswertung der stationären Behandlungsberichte, die die Kammer im Selbstleseverfahren eingeführt hat, keinerlei Hinweise auf eine pathologische Nahrungsaufnahmeproblematik ergeben habe. ... habe ausweislich der Berichte bis zur PEG-Sondenlegung eine adäquate Gewichtszunahme gezeigt. Insbesondere sei während der Klinikaufenthalte jeweils eine Gewichtszunahme erfolgt. Für die von der Angeklagten beklagte Gewichtsabnahme hätten im ... Krankenhaus ... keine organischen Ursachen festgestellt werden können. Insbesondere eine Aspirationsproblematik sei bei ... in den Krankenhausberichten nie beschrieben worden. Eine solche tauche erstmals als anamnestische Angabe der Angeklagten im Behandlungsbericht des ... Krankenhauses ... unmittelbar vor Anlage der PEG-Sonde auf.
205(3) Gesundheitliche Entwicklung nach der diagnostischen Trennung
206Die Beweisaufnahme hat ferner ergeben, dass sämtliche von der Angeklagten beklagten Nahrungsaufnahmeprobleme nach Durchführung der diagnostischen Trennung der Angeklagten von ... am 05.10.2018 – also keine 2 Monate nach Anlage der PEG-Sonde – in der Kinderklinik ... sicher ausgeschlossen werden konnten. Auch in der Folgezeit sind Nahrungsaufnahmeprobleme bei ... nicht aufgetreten.
207Der sachverständige Zeuge ..., Oberarzt in der Kinderklinik ...... und zugleich als Neonatologe auch Mitglied des dortigen Kinderschutzteams, hat bekundet, dass nach Durchführung der diagnostischen Trennung zunächst zwar leichte Irritationen des Saugreflexes bei ... festgestellt worden seien, was aber bei längerer Zeit nicht oral ernährte Kinder – wie ... – vollkommen erwartbar gewesen sei. Im Übrigen hätten sich bei der nach der diagnostischen Trennung erfolgten oralen Nahrungsgabe keinerlei Schluckstörungen gezeigt. Es sei weder zu einem Verschlucken bei der Nahrungsaufnahme noch zu Hustenanfällen oder sonstigen aspirationsverdächtigen Ereignissen gekommen. Im Gegenteil habe ... nach kurzer Zeit großes Interesse am Essen vom Löffel gezeigt sowie allgemein großes Interesse am Essen bei guter motorischer Umsetzung im Rahmen der ersten Fütterungsversuche mit Brei. Im Verlauf habe ... regelmäßig orale Beikost erhalten. ... habe mit gutem Appetit täglich gegen Mittag Gemüse-Kartoffel-Fischbrei essen können. Die orale Beikost sei kontinuierlich gesteigert worden. Auch die Flüssigkeitszufuhr sei nach und nach nicht mehr über die PEG-Sonde, sondern oral vorgenommen worden. Gegen Ende des stationären Aufenthalts habe ... bis zu 20ml aus dem Schnabelbecher trinken können. Dieser den anamnestischen Angaben der Angeklagten diametral entgegenstehende Verlauf, der keinen Hinweis auf eine vormals bestehende Nahrungsaufnahmeproblematik ergeben habe, sei derart außergewöhnlich gewesen, dass man in der Klinik am 12.10.2018 und 14.10.2018 Videoaufnahmen von ... beim Essen angefertigt habe. Diese Aufnahmen – von denen sich die Kammer durch Inaugenscheinnahme ein eigenes Bild machen konnte – zeigten, wie ... mit Freunde und gutem Appetit Nahrung vom Löffel oral zu sich nehme, ohne jegliche Anzeichen von Schluck- oder Aspirationsproblemen.
208Der Zeuge ...hat überdies bestätigen können, dass ... auch in der Folgezeit einen völlig unproblematischen gesundheitlichen Verlauf gezeigt habe. Nahrungsaufnahmeprobleme seien nicht bekannt geworden. Aus diesem Grunde sei es im Juni 2019 auch zur Rückverlegung der nicht benötigten PEG-Sonde gekommen. Die Rückverlagerung der PEG-Sonde sei komplikationslos verlaufen. Auch nach der Rückverlegung habe sich retrospektiv keine Notwendigkeit der PEG-Sonde herausgestellt.
209(4) Gesamtschau
210In der Gesamtschau der aufgezeigten Umstände ergibt sich, dass die angeblichen Probleme bei der Nahrungsaufnahme seitens der Angeklagten nie bestanden haben, sondern von ihr nur vorgespiegelt wurden. Insbesondere die völlig unproblematischen orale Nahrungsaufnahme von ... unmittelbar im Anschluss an die durchgeführte diagnostische Trennung ... von der Angeklagten lässt aus Sicht der Kammer den gesicherten Schluss zu, dass tatsächlich zu keiner Zeit Nahrungsaufnahmeprobleme bei ... bestanden und die anderslautenden Behauptungen der Angeklagten bewusst unzutreffend waren.
211bb) Feststellungen zur inneren Tatseite und zur Motivlage
212Für die Kammer steht fest, dass es der Angeklagten auch bei ... darauf ankam, durch unzutreffende Angaben medizinisch nicht gebotene Eingriffe, hier die Anlage einer PEG-Sonde, durchführen zu lassen, um sich als Mutter eines schwerkranken Kindes gerieren und inszenieren zu können. Diese Überzeugung der Kammer beruht darauf, dass die Angeklagte die gesundheitliche Entwicklung ihres Kindes auf ihrer öffentlichen facebook-Seite dramatisierend darstellte und hierbei insbesondere öffentlich unzutreffend die mögliche Anlage einer PEG-Sonde zu einer Zeit ankündigte, als diese noch nicht in Rede stand (1) und schließlich darauf, dass sie in unzutreffender Weise ärztliche Empfehlungen zur Anlage der PEG-Sonde behauptetet hat (2).
213(1) Dramatisierende öffentliche Darstellung der gesundheitlichen Entwicklung ...
214Die Angeklagte hat von Geburt an die gesundheitliche Entwicklung von ... im Einzelnen öffentlich über ihre facebook-Seite dargestellt und hierbei vielfach unzutreffende oder zumindest deutlich dramatisierende Angaben gemacht, was ihren Drang nach Selbstdarstellung ihrer Person als Mutter des betroffenen Kindes belegt.
215Dieser Drang nach öffentlicher Darstellung wird zunächst bestätigt durch die Zeuginnen ... und .... Die Zeuginnen haben übereinstimmend in Einklang mit dem Zeugen ... bekundet, dass die Angeklagte in ungewöhnlichen Ausmaße die gesundheitliche Entwicklung von ... auf ihrer facebook-Seite öffentlich präsentiert habe. Die Zeugin ..., die seinerzeit engen Kontakt zur Angeklagten unterhielt, hat ergänzend anführen können, dass die Angeklagte – wie sie selbst mitbekommen habe – seinerzeit „nahezu alles, was mit ... passierte“ öffentlich bei facebook veröffentlicht habe. Sie – die Zeugin – habe das nicht recht nachvollziehen können, gerade soweit es um die gesundheitliche Entwicklung des eigenen Kindes gegangen sei. Sie habe den Eindruck gehabt, dass die Angeklagte hierdurch Aufmerksamkeit auf sich habe ziehen wollen, was ihr durchaus auch gelungen sei, weil ihre follower auf ihre Berichte entsprechend reagiert hätten.
216Die Angaben der Zeugen werden wiederum bestätigt durch die – nachfolgend dargestellten – dramatisierenden facebook-posts der Angeklagten.
217(a) Facebook-Post vom 29.01.2018
218Am 29.01.2018 veröffentlichte die Angeklagte auf ihrer facebook-Seite einen Beitrag mit u.a. folgenden Inhalt:
219„8 Wochen ist unser kleines Äffchen nun schon alt. Sie erfüllt unser Leben so sehr. Trotz dass dieses kleine Menschenkind noch nicht bei uns zu Hause ist, können wir an nichts anderes denken und über nichts anderes mehr reden!
220Wir haben so viele Diagnosen bekommen… und doch macht sie sich toll.
221Zum einen hat sie eine schwere Bronchopulmonale Dysplasie, das ist eine schwere chronische Lungenkrankheit. Ihr linker Lungenflügel ist sehr krank. Dazu kommt noch, dass der Augenarzt festgestellt hat dass sie eine Netzhautablösung hat. Ob und in wie weit das schlimm ist, wissen wir noch nicht. Wahrscheinlich muss sie gelasert werden. Leider hat sie dazu noch eine Hirnblutung und einen Keim mitgenommen. Ihr seht, die letzten 8 Wochen waren schlimm. Und es hat noch kein Ende.“
222Die Angaben zur bronchopulmonalen Dysplasie, zur angeblichen Netzhautablösung und zur Hirnblutung waren allesamt – wie die Angeklagte wusste – in hohem Maße übertrieben. Tatsächlich bestand bei ... damals lediglich eine milde bronchopulmonale Dysplasie, eine allenfalls leichte Netzhauterkrankung sowie lediglich der Verdacht auf eine nicht behandlungsbedürftige – bereits in Resorption befindliche – alte Blutung im Schädel.
223Die Zeugin ... hat – wie bereits dargestellt und in Übereinstimmung mit dem Entlassungsbericht aus der Geburtsklinik – erklärt, dass sich bei ... aufgrund ihrer Frühgeburtlichkeit ein durchaus erwartbarer Pneumothorax sowie nachfolgend eine milde bronchopulmonale Dysplasie entwickelt habe. Wie bei Frühgeborenen üblich, seien auch bei ... während des stationären Aufenthalts zahlreiche medizinische Standardprozeduren durchgeführt worden, um bestimmte Erkrankungen auszuschließen. Bei einer durchgeführten Sonographie des Schädels im Januar 2018 seien keine auffälligen oder besorgniserregenden Befunde erhoben worden. Es habe sich jedoch der Verdacht auf eine alte Blutung in Resorption ergeben. Diese habe sich seinerzeit aber zum einen schon nicht mehr richtig nachweisen lassen, weshalb nur ein entsprechender Verdacht bestanden habe; erst recht sei dieser Befund nicht besorgniserregend gewesen oder habe Anlass zu medizinischen Interventionen geboten. Insbesondere zum Ausschluss einer bei Frühgeborenen häufig anzutreffenden Gefäßerkrankung der Netzhaut – einer sog. Frühgeborenen-Retinopathie – habe es auch mehrere augenärztliche Untersuchungen gegeben. Nachdem im Januar 2018 noch leichte Veränderungen der Netzhaut festgestellt worden seien, habe sich bei der Untersuchung am 06.02.2018 bei ... eine vollständig vaskularisierte Netzhaut gezeigt. Insoweit seien die Untersuchungsergebnisse völlig unauffällig gewesen. Diese vorgenannten unkritischen Untersuchungsergebnisse seien der Angeklagten selbstverständlich auch jeweils umgehend mitgeteilt worden.
224Der Sachverständige ...hat ergänzend ausgeführt, dass die Augenuntersuchungen im Januar 2018 ausweislich des Entlassungsberichts des ... Krankenhauses ... allenfalls Hinweise auf eine leichtgradige Retinopathie ergeben hätten, keinesfalls aber Hinweise auf eine sofort und dringend behandlungsbedürftige Netzhautablösung als schwerste Form der Retinopathie.
225(b) Verlinkter Bericht Anfang März 2018
226Anfang März 2018 veröffentlichte die Angeklagte, verlinkt über ihre facebook-Seite, ein öffentlich abrufbares „pdf-Dokument“ mit einem 7-seitigen Bericht über die Geburt und die gesundheitliche Entwicklung ... unter dem Titel „Unser Äffchen ist ein Frühchen“, mit u.a. folgenden Inhalt:
227„(…)
228Von da an war ich Dauergast im Krankenhaus. Bis zu dem einen schlimmen Tag, den ich nie wieder in meinem Leben vergessen werde. Es sollte der Beginn eines Alptraums werden…
229Es war der 01.12.2017…Ich lag in meinem Krankenhausbett und hatte Besuch von meinen bezaubernden Töchtern und meinem Mann…Ich war sehr schlapp und schob es auf die Krankenhausluft, die einen ja eh immer so dösig macht. Nach einer Weile schickte ich die drei nach Hause, weil ich Bauchweh bekam…Ich wollte mich etwas ausruhen…Das habe ich auch getan…Ich blieb liegen bis um 23:50…Ich musste auf die Toilette…Und dann fing das Grauen an. Ich schaute an mir herab und sah einfach nur Blut…So viel Blut habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Ich drückte zitternd die Klingel und weinte laut. Ich wusste genau was jetzt auf uns zukommt…Hatte ich es doch schon bei ... durchgemacht…
230Die Schwester wurde kreidebleich…Auch sie wusste was los ist. Ich bekam unerträgliche Bauchkrämpfe…konnte nicht mehr laufen…Die Schwester brachte mich in den Kreissaal wo direkt die Ärztin kam. Sie untersuchte mich…Machte einen Ultraschall. Sie wurde still…schob mich vom Untersuchungszimmer zurück in den Kreissaal und flüsterte der Hebamme etwas zu. Ehe ich mich versehen konnte, zog sie mir meinen Slip aus und legte mir einen Katheder. Innerhalb weniger Sekunden hatte ich einen Venenkatheder mit 4 verschiedenen Tropf-Medikamenten dran. Da kam die Ärztin, setzte sich auf meinen Bettrand, hielt meine Hand und gab mir ein Telefon. Ich fragte: „Was soll das werden?“ Sie antwortete sehr leise: „Ich habe mit dem Chefarzt telefoniert. Bitte rufen Sie ihren Mann an. Der Chef kommt jetzt. Ihre Tochter muss zur Welt kommen. Es geht Ihnen und dem Baby sehr schlecht..“ Ich habe schnell ... angerufen und bat die Ärztin, dass ich noch schnell meine beste Freundin ... anrufen kann. Das durfte ich auch. Sie sollte kommen. Dann kam der Arzt….
231Ab diesem Zeitpunkt verlief alles wie in einem schlechten Horrorfilm… Ich weiß kaum noch was…Ich weiß nur noch, dass ein Mensch im weißen Kittel dort saß und mir die Risiken erklärte im Eilverfahren. Ich denke es war der Anästhesist. Ehe ich mich versehen konnte, rasten sie mit mir, mit kompletten Anziehsachen obenrum, den Flur entlang in den OP. Ich weiß nur noch dass der Arzt mich fragte, ob es bei der Sterilisation bleiben soll und wie die Maus heißen soll. Ich sagte „... – Unser Äffchen heißt ....“ – Dann hörte ich nur noch „Ein wunderschöner Name“…. Und ich lag in Vollnarkose……..
232Im Aufwachraum saß schon mein Mann am Bett…Ich schrie…Ich schrie um mein Leben…“Wo ist mein Kind. Wo ist .... Lebt sie? Ich will sie sehen.“
233... nahm mich fest in den Arm und sagte: „Es geht ihr soweit gut. Sie lebt“ Ein Tränenmeer der Erleichterung…Ich war so froh…Ich war auf einmal 3fach Mutter. Dort stand
234... – 02.12.2017 – 00:49 Uhr – 27.Schwangerschaftswoche – 36 cm – 950g – 26cm Kopfumfang.
235Er sagte mir, dass sie selber Atmen kann. Ich war so glücklich. Der Rest der Zeit zog an mir vorbei. ... und ... fuhren wieder. Ich wurde auf mein Zimmer um halb 6 geschoben und habe erst mal geschlafen.
236Um 9 Uhr kam ... wieder….Und der Alptraum ging weiter. Ich gab der Schwester Bescheid, dass wir einen Rollstuhl bräuchten. Wir möchten gerne zur Intensivstation. Sie sagte uns: „Bitte bleiben sie kurz hier. Der Kinderarzt möchte gleich mit ihnen sprechen.“
237Ich wusste, da stimmt etwas nicht…Ich weinte und weinte…und so sollte es nun auch sein. Er sagte uns, dass es sehr schlecht um ... steht. Sie konnte auf einmal nicht mehr selber atmen. Sie hat einen Tubus bekommen und ein Medikament, um die Lunge zu unterstützen. Dabei ist ihre Lunge geplatzt. Er bat uns drum, in Ruhe zur Intensivstation zu fahren und Abschied zu nehmen. Er fragte uns, ob wir sie taufen lassen wollen. Das bejahten wir. Und so kam ein sehr netter Pfarrer und wir nahmen Abschied während der Taufe. Die Taufe wurde im Inkubator gemacht. Den Umständen entsprechend war es eine sehr schöne Taufe. Wir weinten beide sehr viel. Und ich hatte sooooo Angst. Ich wollte nie wieder gehen – Man sagt ja manchmal, dass Menschen erst sterben wollen, wenn sie allein sind….Aber ich konnte aufgrund des Kaiserschnitts nicht lang sitzen…Wie sollte es weiter gehen? Wie sollen wir ohne sie leben? Wie sollen wir es den Mädels erklären? Viele Fragen und keine Antwort… Die ersten drei Tage stand es weiter schlecht um sie…Aber sie lebte noch. Und das sollte bitte so bleiben. Ihr ging es aber sehr schlecht…Sie hatte mittlerweile Drainagen in der Lunge….Und wir immer noch Angst.
238Die Tage vergingen und gegen die Prognose, wurden ihre Werte besser. Sie bekam Bluttransfusionen und wurde weiterhin beatmet…Aber sie lebte nach wie vor und das machte uns glücklich. Warum lebte sie noch? Ich glaube fest daran, dass ein Grund darin bestand, dass wir sie nicht aufgegeben haben. Wir haben jeden Tag daran geglaubt, dass sie kämpft und es schafft. Die Tage und Wochen auf der Intensiv vergingen schleppend…Sie machte immer einen Schritt vor – Zwei zurück….Nach 5 laaaaangen Wochen durften wir sie nun das erste Mal auf den Arm nehmen. Wir durften kuscheln. Und es war ein wundervolles Gefühl. Ich durfte sie riechen, sie spüren und sie einfach nur am Körper lieben.
239Leider hat sich ihre Lunge nicht erholt und sie lebt weiter mit nur einer funktionierenden Lungenseite. Ganze 6 Wochen wurde sie voll beatmet. Dann konnten sie den Sauerstoff tiefer drehen. Weitere 3 Wochen hat sie es dann mit ganz wenig Sauerstoff geschafft sodass sie es im Alter von 9 Wochen ohne probiert haben und bis heute schafft sie es. Sie benötigt noch Medikamente für die Lunge und vergisst ab und an das Atmen. Deswegen wird sie noch monitorüberwacht. Aber seit dem sie 11,5 Wochen alt ist, ist sie nun zu Hause. Heute ist sie knapp 14 Wochen alt. Und unser pures Glück. Jetzt kämpfen wir gerade mit einer Gedeihstörung. Ihr Körper nimmt die Kalorien nicht richtig auf….Eine PEG-Sonde steht im Raum.“
240Neben der dramatisch geschilderten Geburt, die das Bedürfnis der Angeklagten nach Selbstdarstellung dokumentiert, enthält der Bericht erneut unzutreffende und übertriebene Angaben zur gesundheitlichen Verfassung ...:
241Die Angaben sind deutlich übertrieben, soweit es die dort beschriebene Beatmungssituation nach der Geburt anbetrifft, da ... tatsächlich nur 7 Tage intubiert und damit allein während dieser Zeit „voll beatmet“ wurde.
242Die Zeugin ... hat – korrespondierend mit dem Inhalt des Entlassungsberichts aus der Geburtsklinik – bekundet, dass ... nach der Geburt lediglich 7 Tage voll beatmet gewesen sei und danach Atmungsunterstützung erhalten habe. Bereits ab dem 28.12.2017 – also keine 4 Wochen nach der Geburt – habe sie aber bereits keinen Sauerstoffbedarf mehr gehabt.
243Die Angaben sind auch unzutreffend, soweit die Angeklagte am Ende ihres Berichts seinerzeit bereits behauptet hat, dass eine PEG-Sonde bei ... im Raum stehe.
244Die Zeugin ... hat hierzu bekundet, dass es eine PEG-Empfehlung im ... Krankenhaus ... nicht gegeben habe und auch nicht in den Raum gestellt worden sei. Derartiges ergebe sich auch nicht aus den Behandlungsberichten. Eine PEG-Sonde werde lediglich bei schweren Ernährungsstörungen oder schwer behinderten Kindern angelegt, was bei ... nicht der Fall gewesen sei. Bei ... sei festzustellen gewesen, dass sie getrunken habe, wenn auch nach Angaben der Angeklagten nicht immer ausreichend. Sie habe sich gewundert, als sie später mitbekommen habe, dass ... eine PEG-Sonde erhalten habe und sich damals gefragt, ob sie etwas übersehen habe.
245Vor dem Hintergrund dieser glaubhaften Aussage der Zeugin ... steht fest, dass die Angeklagte den gesundheitlichen Zustand ... öffentlich deutlich aggraviert dargestellt hat und im Zeitraum Anfang bis Mitte März 2018 bereits eine PEG-Sondenlegung als im Raum stehend angekündigt hat, obwohl eine solche seinerzeit noch nicht thematisiert worden war.
246(c) Facebook-Post Mitte März 2018
247Mitte März 2018 veröffentlichte die Angeklagte auf ihrer facebook-Seite einen Beitrag mit u.a. folgenden Inhalt:
248„Seit Donnerstag hat das kleine Äffchen nun eine nasale Magensonde. Sie trinkt einfach sooooo schlecht…sie hat in den letzten 4 Tagen knapp 500g abgenommen. Die Blutergebnisse haben ergeben, dass sie eine Schilddrüsenunterfunktion hat und ihr Körper keine ausreichenden Kalorien speichert. Nun wird sie teils gefüttert, größtenteils sondiert“
249Die Angaben sind unzutreffend, da organische Ursachen für eine von der Angeklagten im häuslichen Umfeld lediglich behauptete Gewichtsabnahme – ausweislich der Angaben der Zeugin ... – während ihres Krankenhausaufenthaltes nicht festgestellt werden konnten und sich solche nach Angaben des Sachverständige ...auch nicht aus den sonstigen Behandlungsunterlagen ergeben.
250(d) Facebook-Post vom 17.04.2018
251Am 17.04.2018 veröffentlichte die Angeklagte auf ihrer facebook-Seite einen Beitrag mit u.a. folgenden Inhalt:
252„... ist ein zauberhaftes Äffchen…kann nicht einer die Uhr zurück drehen? Nur ein paar Wochen? Ach, momentan bin ich so traurig…wir sind wieder im Krankenhaus. Warum? Sie vergisst zwischendurch zu atmen und trinkt immer noch nicht richtig. Die Sonde ist immer noch unser Begleiter.“
253Die Angaben sind unzutreffend, da ausweislich der Angaben der Zeugin ... im Krankenhaussetting Atempausen oder Zyanosen ebenso wenig festgestellt wurden wie eine pathologische Nahrungsaufnahmeproblematik.
254(e) Angaben gegenüber der Zeugin ... zur Retinopathie am 15.08.2018
255Die Angeklagte hat während des stationären Aufenthalts im ... Krankenhaus ... am 15.08.2018 – dem Tag vor der Anlage der PEG-Sonde – gegenüber der Aufnahmeärztin, der Zeugin ..., unzutreffender Weise behauptet, dass ... eine Retinopathie 3. Grades erlitten habe.
256Die Zeugin ... hat hierzu bekundet, dass die Angeklagte ihr gegenüber im Anamnesegespräch am 15.08.2018, dem Vortag der PEG-Anlage, u.a. erklärt habe, dass ... an einer Retinopathie 3. Grades gelitten habe, die sich nunmehr auf den 2. Grad zurückgebildet habe. Entsprechendes habe sie sich vermerkt und in den Entlassungsbericht vom 24.08.2018 aufgenommen. Sie sei sich sicher, dass ebenjene Angaben von der Angeklagten stammen würden, da sie die anamnestischen Angaben ausschließlich von ihr erhalten habe und sie im Übrigen über keine Behandlungsberichte oder sonstige Unterlagen verfüge, aus denen sich diese Erkrankung oder eine Information über den Verlauf dieser Erkrankung ergebe.
257Diese anamnestische Angabe der Angeklagten – die auf Vorhalt der Kammer nicht zu erklären vermochte, ob sie ebenjene Angaben gemacht hat – ist ebenfalls unzutreffend. Der Sachverständige ...hat erklärt, dass eine Retinopathie oder sonstige Netzhauterkrankungen ... ausweislich der Behandlungsunterlagen bereits am 06.02.2018 in der Geburtsklinik ausgeschlossen worden seien und sich auch aus den folgenden Behandlungsberichten keine Hinweise hierauf ergeben würden. In dem betreffenden Bericht des ... Krankenhauses ... vom 10.04.2018 sei unter den augenärztlichen Befunden ausdrücklich als letzte Untersuchung ... am 06.02.2018 mit dem Ergebnis „beidseits vollständig vaskularisierte Netzhaut“ aufgeführt. Der gleiche Befund ergebe sich aus einem augenärztlichen Konsil vom 16.05.2018.
258Vor dem Hintergrund der Angaben der Zeugin ..., die bekundet hat, dass die Untersuchungsergebnisse der Angeklagten in der Geburtsklinik zeitnah mitgeteilt wurde, steht fest, dass der Angeklagten spätestens seit Februar 2018 bekannt war, dass eine Netzhauterkrankung bei ... im Sinne einer Retinopathie ausgeschlossen werden konnte, womit belegt ist, dass die Angeklagte im August 2018 um die Unrichtigkeit ihrer Angaben gegenüber der Zeugin ... wusste.
259(f) Facebook-Post vom 30.08.2018
260Am 30.08.2018 veröffentlichte die Angeklagte auf ihrer facebook-Seite einen Beitrag mit u.a. folgenden Inhalt:
261„Ich bin ausgelaugt… Min den Nerven am Ende… Jeden Tag eine neue Hiobsbotschaft…
262Vor 14 Tagen waren wir stationär. ... hat eine PEG Sonde bekommen… Die OP verlief leider nicht komplikationslos…Und jetzt? Sie nimmt ab. Keiner weiß warum. 350g in 10 Tagen…einfach weg…Und machen wir uns nichts vor – sie ist eh schon zu leicht…“
263Die öffentliche Behauptung der Angeklagten zu Komplikationen bei der PEG-Anlage ist unzutreffend. Die Zeugin ... hat – korrespondierend mit dem Behandlungsbericht – ausdrücklich erklärt, dass die Anlage der PEG-Sonde komplikationslos erfolgt sei und sich auch postoperativ keinerlei Komplikationen ergeben hätten. Die Angeklagte hat auf Nachfrage der Kammer in der Hauptverhandlung eingeräumt, dass es zu keinerlei Komplikationen gekommen sei. Warum sie gleichwohl hiervon berichtet hat, vermochte sie nicht zu erklären.
264(2) Unzutreffende Angaben zu PEG-Empfehlungen
265Fest steht zudem, dass die Angeklagte die Einweisung des Kinderarztes ... zur Anlage der PEG-Sonde auch durch Vorspiegelung einer angeblichen ärztlichen Empfehlung erschlichen hat.
266Der Zeuge ... hat bekundet, dass die Angeklagte am 23.07.2018 telefonisch in seiner Praxis die Ausstellung einer Einweisung zur Anlage einer PEG-Sonde angefordert habe mit der Behauptung, dass seitens des ... Krankenhauses ... die PEG-Anlage empfohlen worden sei. Die Angeklagte habe weiter erklärt, dass man dort den Eingriff aber nicht durchführen könne, weshalb eine Einweisung in das Evangelische Krankenhaus ... erfolgen müsse. Der Zeuge ... hat eingeräumt, dass er am 08.08.2018 die Einweisung entsprechend dem Wunsch der Angeklagten ausgestellt habe, ohne ... selbst untersucht zu haben, was sicherlich nicht richtig gewesen sei, zumal er selbst zu keiner Zeit eine PEG-Anlage bei ... für erforderlich gehalten oder eine entsprechende Empfehlung ausgesprochen habe. Insbesondere eine langfristige Sondenernährung habe bei ... seinerzeit nicht im Raum gestanden. Er habe die Einweisung letztlich auf Drängen der Angeklagten in der Annahme ausgestellt, dass ihre Angaben zur PEG-Empfehlung zutreffend gewesen seien. Er habe sich der behaupteten Empfehlung der Kollegen, die die Indikation zur PEG-Anlage vor dem Eingriff auch schließlich selbst prüfen müssten, nicht in den Weg stellen wollen.
267Der Zeuge ..., hat im Rahmen seiner Vernehmung auf Nachfrage der Kammer und Vorhalt einer entsprechenden Notiz seiner Karteikarte erklärt, dass die Angeklagte seinerzeit mitgeteilt habe, dass ihr Kinderarzt – also ... – die Anlage einer PEG-Sonde bei ... empfohlen habe, da eine langfristige Sondenernährung erforderlich sei. Der Eingriff habe im ... Krankenhaus ... nicht durchgeführt werden können. Er habe die Angeklagte an das Klinikum ... verwiesen. Tatsächlich sei der Eingriff dann aber wohl, wie er später erfahren habe, in ... durchgeführt worden. Er selbst habe jedenfalls keine PEG-Empfehlung abgegeben und wisse auch nichts von einer Empfehlung sonstiger ärztlicher Kollegen aus dem ... Krankenhaus .... Die mit dem Inhalt der aktenkundigen „Karteikarte Chirurgie“ korrespondierenden Angaben des Zeugen ..., werden bestätigt durch die bereits dargestellten Angaben der Zeugin ..., die ebenfalls erklärt hat, dass seitens des ... Krankenhauses ... eine PEG-Empfehlung bei ... nie ausgesprochen worden sei.
268(3) Gesamtschau
269Die gezielt unzutreffende Behauptung gegenüber den benannten Ärzten zu angeblichen PEG-Empfehlungen verbunden mit ihrer bereits im März 2018 erfolgten unzutreffenden Behauptung einer im Raum stehenden PEG-Sonde trotz fehlender feststellbarer Nahrungsaufnahmeproblematik und bis dato passabler Gewichtszunahme lassen in der gebotenen Gesamtschau den gesicherten Schluss zu, dass es der Angeklagten um die unbedingte Durchsetzung ebenjenes Eingriffs abseits bestehender medizinsicher Indikationen ging. Die Kammer geht im Verbund mit der aufgezeigten fortlaufenden aggravierenden öffentlichen Darstellung des gesundheitlichen Zustandes ... davon aus, dass die Angeklagte sich durch die angestrebte PEG-Anlage einen Krankheitsgewinn dergestalt versprach, sich in der Folgezeit – wie auch tatsächlich geschehen – als Mutter eines PEG-sondierten Kindes öffentlich darstellen zu können. Dabei war der Angeklagten – bereits aufgrund der vor dem Eingriff erfolgten Aufklärung über die Operationsrisiken – bewusst, dass dieser von ihr angestrebte und veranlasste Eingriff zu einer erheblichen mit einer potentiellen Lebensgefahr verbundenen Körperverletzung führen würde, was sie aufgrund ihrer dargestellten Motivlage zumindest – um ihren Selbstdarstellungsdrang verwirklichen zu können – in Kauf nahm.
270cc) Feststellungen zum Tatgeschehen – Diagnose und Operationsindikation zur PEG-Anlage
271Die Feststellungen zum Tatgeschehen, insbesondere den hierbei im Vorfeld der Operation erneut seitens der Angeklagten gemachten bewusst unzutreffenden Angaben zum Gesundheitszustand ..., auf denen die Indikationsstellung und Durchführung der Operation beruhten, folgen aus den Angaben der Zeugin ....
272Die Zeugin ..., seinerzeit angestellte Assistenzärztin im ... Krankenhaus ..., hat mitgeteilt, dass ... dort in der Zeit vom 15.08.2018 bis 18.08.2018 stationär behandelt worden sei. Sie habe am Vortag der Operation die anamnestischen Angaben der Angeklagten entgegengenommen. ... sei als Patientin dort nicht bekannt gewesen. Es habe ein Behandlungsbericht aus ... vorgelegen sowie eine Einweisung seitens des Kinderarztes ... mit der Fragestellung nach einer PEG-Anlage, einer Bronchioskopie sowie eines Tracheostomas. Direkter persönlicher oder telefonischer Kontakt zu ... habe diesbezüglich nicht bestanden. Zur Indikationsstellung hat die Zeugin ausgeführt, dass die Angeklagte anamnestisch ihr gegenüber von Problemen bei der Nahrungsaufnahme bei ... berichtet habe mit Verschlucken, Aspirieren, unzureichender Gewichtszunahme sowie Atmungsproblemen. Für die Indikation der PEG-Sonde seien ebenjene Angaben der Angeklagten in der Anamnese entscheidend gewesen, die eine längere Sondenpflichtigkeit von ... hätten erwarten lassen. Im Falle einer anzunehmenden längeren Sondenpflichtigkeit sei die PEG-Sonde gegenüber einer Nasensonde vorzuziehen, da sie angenehmer für das Kind sei und eine sicherere und langfristigere Ernährung ermögliche. Obwohl ... seinerzeit mit 6.030g ein gutes Gewicht aufgewiesen habe und keinesfalls unterernährt gewesen sei, habe sie zusammen mit ihrem Kollegen aufgrund der anamnestischen Angaben der Angeklagten, auf deren Richtigkeit sie vertraut hätten, einhellig die Indikation zur PEG-Anlage gesehen. Die Angeklagte habe nach Aufklärung der Operationsrisiken für ... in den Eingriff eingewilligt.
273Zur operativen PEG-Anlage hat die Zeugin bekundet, dass in der etwa 20 Minuten andauernden Operation zunächst ein Schlauch durch den Hals bis in den Magen des vollnarkotisierten Kindes eingeführt worden sei. Danach seien Magenwand und Bauchdecke durchstochen, die PEG-Sonde von oral aus eingeführt, an die passende Stelle gezogen und dort befestigt worden sei. Die Operation sei komplikationslos verlaufen. Die PEG-Sonde habe bereits am Abend mit Nahrung befahren werden können.
274Die ebenfalls durchgeführte Bronchoskopie habe, so die Zeugin, ergeben, dass ein Tracheostoma nicht indiziert gewesen sei. Dies sei der Angeklagten auch explizit mitgeteilt worden. ... habe nach 3-tägiger Behandlung in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden können.
275dd) Feststellungen zu körperlichen Beeinträchtigungen und zur Lebensgefahr
276Die Feststellungen zu den körperlichen Beeinträchtigungen ... und zu der Frage der mit einer PEG-Anlage verbundenen Lebensgefahr beruhen auf den Angaben des Sachverständigen .... Der Sachverständige hat – korrespondierend mit den Angaben der Zeugin ... – ausgeführt, dass die Anlage der PEG-Sonde im Rahmen einer Operation in Vollnarkose erfolgt sei. Eine derartige Operation berge – auch wenn es sich um eine chirurgische Standardprozedur handele – aufgrund der Eröffnung der Bauchhöhle stets das Risiko einer Infektion und einer eintretenden Bauchfellentzündung, die sich als sog. systemische Erkrankung auf den ganzen Körper auswirken und damit potenziell tödlich verlaufen könne. Im Übrigen berge die Operation neben diesem allgemeinen Risiko selbstverständlich auch spezielle operationsbedingte Risiken, wie etwa das der Durchstechung der Magenwand, mit anschließendem Austreten von Magensäure in den Körper mit potenziell tödlichem Verlauf. Ein derartiger operativer Eingriff sei letztlich generell geeignet, eine Lebensgefahr herbeizuführen.
277d) Abweichende Feststellungen der Kammer betreffend die gezielte Unterernährung ... ab Mitte August 2018
278aa) Gezielte Vorenthaltung der vorgesehenen Nahrungsgaben
279Die Kammer ist überzeugt davon, dass die Angeklagte ... nach Anlage der PEG-Sonde gezielt die vorgesehene Sondennahrung teilweise vorenthalten hat, um eine Unterernährung bei ihr herbeizuführen.
280Die Überzeugung beruht vor allem darauf, dass medizinische Ursachen für den kontinuierlichen Gewichtsverlust im häuslichen Umfeld auszuschließen sind (1), die Angeklagte während des Krankenhausaufenthaltes Anfang Oktober 2018 in Bezug auf die Nahrungsgaben ein verdächtiges Verhalten zeigte (2) und nach Durchführung der diagnostischen Trennung der Angeklagten von ... bei nahezu gleichbleibender planmäßiger Nahrungsgabe eine sofortige unproblematische Gewichtszunahme und Genesung ... eingetreten ist (3).
281(1) Gewichtsverlust medizinisch nicht erklärbar
282Es steht fest, dass der in der Zeit von Mitte August 2018 bis zur Einweisung in die Kinderklinik ... Anfang Oktober 2018 innerhalb von etwa 7 Wochen eingetretene Gewichtsverlust bei ... im häuslichen Umfeld von 6.030g auf 5.200g, mithin von fast einem Kilogramm medizinisch nicht erklärbar ist.
283Der Sachverständige ...hat ausgeführt, dass über die bei ... gelegte PEG-Sonde eine zuverlässige Nahrungsgabe und Dosierung habe stattfinden können. Unter der Voraussetzung, dass die vorgegebenen, ausreichend dosierten Nahrungsgaben tatsächlich verabreicht worden seien, könne der bei ... eingetretene Gewichtsverlust medizinisch nicht erklärt werden. Im Falle einer PEG-Sondenernährung mit grundsätzlich ausreichender Kalorienmenge, wie hier, könne eine gleichwohl eintretende Gewichtsabnahme allenfalls dann plausibel erklärt werden, wenn eine über den betreffenden Zeitraum andauernde Infektion vorgelegen hätte mit Erbrechen oder Durchfall. Dies sei jedoch bei ... – ausweislich der Behandlungsberichte – nicht festgestellt und von der Angeklagten auch nicht berichtet worden. Auch sonstige organische Ursachen seien bei ... nicht festgestellt worden, die einen medizinischen Erklärungsansatz liefern könnten. Insoweit liege aus rechtsmedizinischer Sicht die Annahme nahe, dass die Nahrungsgaben im häuslichen Umfeld nicht bzw. nicht im vorgesehenen Umfang verabreicht worden seien. Eine medizinische Ursache für den eingetretenen erheblichen Gewichtsverlust sei jedenfalls auszuschließen.
284(2) Verdächtiges Verhalten der Angeklagten während des Krankenhausaufenthalts
285Trotz der bei ... bestehenden ernsten Unterernährung zeigte die Angeklagte während des stationären Krankenhausaufenthaltes in der Zeit vom 02.10.2018 bis zur diagnostischen Trennung am 05.10.2018 ein auffälliges Verhalten, indem sie mehrfach die vorgesehen und mit dem Klinikpersonal abgesprochenen Nahrungsgaben bei ... nicht zuverlässig abrief.
286Die Zeugin ... hat bekundet, dass sie während des stationären Aufenthalts der Angeklagten mit ... als Kinderkrankenschwester in der Kinderklinik ... tätig gewesen sei. Die Angeklagte habe mit ... ein Einzelzimmer gehabt mit Waschbecken. Es sei abgesprochen gewesen, dass ... alle 3 Stunden Flüssigmahlzeiten von 80ml – mithin innerhalb eines Tages 8 Mahlzeiten – über die PEG-Sonde verabreicht erhalten sollte. Der Angeklagten sei angeboten worden, dass die Nahrungsgaben durch die Krankenschwestern erfolgen könnten. Dies habe sie abgelehnt und ausdrücklich gewünscht, die Nahrungsgaben selbst durchzuführen, auch in der Nacht. In der Zeit vom 02.10.2018 bis zum Mittag des 05.10.2018 sei es aber zu auffälligen Unregelmäßigkeiten bei der Nahrungsgabe gekommen. Es sei mehrfach dazu gekommen, dass die Angeklagte – auch tagsüber – nach Ablauf von 3 Stunden entgegen der Absprache keine Nahrung bei den Krankenschwestern angefordert habe. Sie und ihre Kolleginnen hätten die Angeklagte nach Ablauf der 3 Stunden – teilweise auch nach Ablauf von mehr als 4 Stunden nach der letzten Nahrungsgabe – von sich aus auffordern müssen, ... nunmehr die vorgesehene Nahrung zuzuführen. Sie habe auch einmal mitbekommen, dass eine Nahrungsgabe seitens der Angeklagten nicht nur verspätet vorgenommen, sondern vollständig versäumt worden sei. Ob die seitens der Angeklagten abgerufenen Nahrungsbeutel ... tatsächlich in vollem Umfang verabreicht worden seien, könne sie letztlich nicht sagen, da die Nahrungsgaben nicht gezielt von ihnen im Zimmer überwacht worden seien. Ein Wegschütten der Nahrung, etwa in das im Zimmer befindliche Waschbecken, habe sie selbst jedenfalls nicht gesehen. Sie habe aber gehört, dass die Angeklagte während einer Nachtschicht bei einer Gelegenheit gegenüber einer Kollegin behauptet habe, die Nahrung bereits verabreicht zu haben, obwohl der Beutel nur wenige Minuten vorher in das Zimmer gestellt worden sei. Dies habe bei der Kollegin zu Irritationen geführt, da es ihr nicht möglich erschienen sei, dass die Nahrungsgabe über die Sonde innerhalb einer derart kurzen Zeit erfolgt sein könne.
287Die Zeugin ..., Stationsleiterin in der Kinderklinik, hat ebenjene Angaben der Zeugin ... bestätigt. Die Zeugin ... hat bekundet, dass sie am 02.10.2018 mit der Angeklagten und ... im Rahmen der Aufnahme auf der Station persönlichen Kontakt gehabt habe. Die Angeklagte habe explizit gewünscht, die Nahrung selbst zu verabreichen. Ihr sei als Stationsleiterin in der Folgezeit seitens der Kolleginnen mitgeteilt worden, dass es zu Unregelmäßigkeiten bei der Nahrungsgabe gekommen sei, was sich auch aus der Pflegedokumentation ... ergebe. Es habe sich – ausweislich der Dokumentation und der Berichte ihrer Kolleginnen – nicht um ein singuläres Ereignis gehandelt. Vielmehr sei es mehrfach dazu gekommen, dass die Angeklagte entgegen der Absprache die vorgesehenen Nahrungseinheiten für ... nicht, nicht rechtzeitig oder erst auf ausdrückliche Nachfrage abgerufen habe und zwar sowohl tagsüber als auch nachts. Es sei während der Zeit der Anwesenheit der Angeklagten bei ... bis zum 05.10.2018 nicht zu einer relevanten Gewichtszunahme gekommen. Diese habe sich dann aber nach der Trennung der Angeklagten von ... in der Folge sehr schnell eingestellt.
288Die Kammer hatte keinen Anlass, an den glaubhaften Angaben der in jeder Hinsicht glaubwürdigen Zeuginnen, die am Ausgang des Verfahrens keinerlei Interesse haben und sich anhand der teilweise vorgehaltenen Pflegedokumentationen noch gut erinnern konnten, zu zweifeln. Soweit die Angeklagte, die bestritten hat, Nahrungsgaben manipuliert oder etwa weggeschüttet zu haben, die übrigen dokumentierten Unregelmäßigkeiten bei der Nahrungsgabe während des stationären Aufenthalts in der Kinderklinik damit zu erklären versuchte, dass sie nachts von den Krankenschwestern entgegen der Absprache nicht immer geweckt worden sei, ist diese Einlassung unzulänglich und auch wenig plausibel. Denn selbst wenn es eine solche Absprache mit den Krankenschwestern im Spätdienst gegeben habe sollte, was die Kammer weder zu bestätigen noch zu widerlegen vermochte, erklärt dies nicht das von ihr auch tagsüber im Stationsalltag festgestellte verdächtige Verhalten, welches mit einer redlich handelnden und an der Gesundung ihres Kindes interessierten Mutter, wie sich die Angeklagte darzustellen versucht, nicht vereinbar ist. Angesichts der vital bedrohlichen Untergewichtigkeit, die Grund für die stationäre Aufnahme ... war und deshalb ersichtlich ein besonderes Augenmerk auf die zwingend zuverlässige Gabe der Nahrungseinheiten erforderte, liegt die Annahme, dass die – jedenfalls durchschnittlich intelligente – Angeklagte lediglich aus Unachtsamkeit oder Sorglosigkeit tagsüber die Nahrungsgaben lediglich vergessen oder verzögert abgerufen haben könnte nach Auffassung der Kammer sehr fern und wird auch von der Angeklagten selbst nicht geltend gemacht. Vielmehr deutet dieses – angesichts des zuletzt lebensbedrohlichen Zustands ihres Kindes – bemerkenswert verdächtige Verhalten der Angeklagte darauf hin, dass es der Angeklagten auch im Krankenhaussetting nicht um die Gesundung ihres Kindes, sondern in Fortsetzung ihres bereits im häuslichen Umfeld gezeigten Verhaltens vielmehr darum ging, ... in dem von ihr hervorgerufenen krankhaften Zustand zu halten, indem sie ihr bewusst Nahrungseinheiten in Abwesenheit des Pflegepersonals jedenfalls teilweise weiterhin vorenthielt.
289(3) Gesundheitliche Entwicklung ... nach Durchführung der diagnostischen Trennung
290Fest steht weiter, dass sämtliche von der Angeklagten bei ... beklagten gesundheitlichen Probleme nach Durchführung der diagnostischen Trennung ab dem 05.10.2018 verschwunden sind.
291Der sachverständige Zeuge ..., Oberarzt in der Kinderklinik ...... und zugleich als Neonatologe auch Mitglied des dortigen Kinderschutzteams, hat bekundet, dass ... in der Zeit vom 02.10.2018 bis zum 29.10.2018 in der Kinderklinik ... behandelt worden sei. ... sei mit einem Gewicht von 5.200g in stark unterernährtem, dystrophen Zustand vorgestellt worden. Es hätten sich große Widersprüche zwischen den anamnestischen Angaben der Angeklagten und dem klinischen Bild bei ... ergeben. Sehr ungewöhnlich sei etwa die Notwendigkeit einer Atemunterstützung bei einem ehemaligen Frühgeborenen, welches ohne Atemhilfe oder zusätzlichen Sauerstoff aus der Geburtsklinik entlassen worden sei. Besonders auffällig sei zudem die vollständige Ernährung über eine PEG-Sonde bei einem Kind, welches nach der Geburt ohne Teilsondierung der Nahrung aus der Geburtsklinik entlassen worden sei. Als äußerst ungewöhnlich habe sich dargestellt, dass die Angeklagte besonders stark auf invasive, teils operative Eingriffe bei ... hingewirkt habe bei nicht ersichtlicher Indikation, wie etwa der Anlage eines Tracheostomas.
292Zur Gewichtsentwicklung ... nach der diagnostischen Trennung hat der sachverständige Zeuge Folgendes ausgeführt:
293Nach der stationären Aufnahme von ... sei die von der Angeklagten im häuslichen Bereich angeblich verabreichte Nahrungsmenge und Nahrungszusammensetzung auch im Kliniksetting beibehalten worden. Die Angeklagte habe insoweit angegeben, ... täglich 8x80ml Infantrini Sondennahrung, zusätzlich angereichert mit 25ml MCT-Öl zu Hause verabreicht zu haben. Dies entspreche gut 843 Kilokalorien pro Tag und liege etwa 220 Kilokalorien – also deutlich – über der leitliniengemäßen Ernährungsempfehlung für derartige Säuglinge bzw. Kleinkinder. Nachdem trotz angeblicher Gabe dieser hochkalorischen Nahrung über die PEG-Sonde durch die Angeklagte auch während der ersten Tage des Klinikaufenthalts erstaunlicherweise und medizinisch unerklärlich eine Gewichtszunahme bei ... nicht eingetreten sei, habe man nach ausgiebiger Beratung im Kinderschutzteam am 04.10.2018 einhellig den hochgradigen Verdacht einer Manipulation seitens der Angeklagten bei Vorliegen eines Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms gesehen. Nach Einschaltung des Jugendamtes und des Familiengerichts sei am Folgetag, dem 05.10.2018 eine sog. „diagnostische Trennung“ der Angeklagten von ... vorgenommen worden. Die Angeklagte habe das Krankenhaus verlassen müssen. Die Versorgung sei fortan ausschließlich durch das Klinikpersonal erfolgt. Bei nahezu gleicher Nahrungsmenge und Zusammensetzung sei es bereits am ersten Tag nach der diagnostischen Trennung zu einer deutlichen Gewichtszunahme ... von über 100g gekommen. Ab dem 07.10.2018 habe man auf das hochkalorische Öl verzichtet und stattdessen die Infantrini-Menge auf 8x100ml erhöht, wodurch sich eine tägliche Kalorienmenge von 800 ergeben habe, die in den Folgetagen bis zum 11.10.2018 auf 700 Kilokalorien reduziert worden sei. Trotz der vorgenommenen Reduzierung der täglichen Kalorienmenge sei es zu einer deutlichen und erfreulichen Gewichtszunahme bei ... gekommen. Vom 05.10.2018 bis zum 11.10.2018 – also etwa innerhalb nur einer Woche – sei das Gewicht von ... von 5.220g auf 5.900g – also um 680g – gestiegen. Ab dem 12.10.2018 habe ... sodann unproblematisch oral Beikost mittels Löffel zu sich nehmen können, ohne dass es – wie bereits oben dargestellt – zu Problemen bei der Nahrungsaufnahme, etwa zu Verschlucken, Aspirationen oder vermehrtem Spucken gekommen sei. Bis zur Entlassung habe ... unter zuverlässiger Gabe der vorgesehenen Nahrungsmengen stetig zugenommen. Bei Entlassung von ... in die organisierte Bereitschaftspflegefamilie am 29.10.2018 habe das Gewicht von ... bei 6.640g gelegen. Die bei ... bei Aufnahme in die Klinik festgestellte starke Dystrophie sei medizinisch, somatisch ätiologisch nicht erklärbar. Etwaige Infektionen oder Erkrankungen, wie eine chronische Darmerkrankung, eine Zöliakie, eine Pankreasinsuffizienz oder eine chronische CMV-Infektion seien bei ... durch entsprechende Untersuchungen nochmals explizit ausgeschlossen worden. Auch aufgrund dieser Entwicklung habe man im Kinderschutzteam den bestehenden Manipulationsverdacht gegenüber der Kindesmutter als bestätigt angesehen, nachdem sämtliche alternative Ursachen für die vorangegangene Gewichtsabnahme ausgeschlossen worden seien.
294Zur respiratorischen Entwicklung vor und nach der diagnostischen Trennung hat der sachverständige Zeuge Folgendes ausgeführt:
295... habe bei stationärer Aufnahme über eine Atemunterstützung mittels high-flow verfügt. In den ersten drei Tagen des Klinikaufenthalts hätten sich keinerlei Hinweise auf eine respiratorische Problematik ergeben. Das Kind habe keinen Sauerstoffbedarf gehabt und es seien auch keine Sauerstoffsättigungsabfälle festzustellen gewesen. Für die von der Kindesmutter beklagten häuslichen Atmungsprobleme hätten sich im klinischen Umfeld keine Anhaltspunkte ergeben. Aufgrund des guten respiratorischen Zustandes sei nach der diagnostischen Trennung am 05.10.2018 ein Auslassversuch der Atemunterstützung unternommen worden. Es habe sich eine normale Spontanatmung des Kindes gezeigt. Das kardiorespiratorische Monitoring sei durchweg unauffällig gewesen. Es hätten sich keine Entsättigungen ergeben, weder im Wachzustand noch im Schlaf. Auch ein mitlaufender auswertbarer Monitor habe keinerlei auffällige Ereignisse in der Atmung gezeigt. Eine Auswertung des häuslichen Monitors sei demgegenüber leider nicht möglich gewesen, da die Angeklagte habe mitteilen lassen, dass dieser defekt sei. ... habe während des stationären Aufenthalts auch sonst keine klinischen Anzeichen einer angestrengten Atmung gezeigt, sondern vielmehr einen altersentsprechend normalen respiratorischen Zustand. Auch die diuretische Medikation sei in der Folge nach und nach abgesetzt worden, ohne dass sich klinische Besonderheiten gezeigt hätten. Eine durchgeführte Polysomnographie über 3 Tage sei ebenfalls unauffällig verlaufen.
296Zur sonstigen Entwicklung hat der sachverständige Zeuge ... erklärt, dass die von der Angeklagten beklagte Schläfrigkeit von 20 Stunden pro Tag ebenfalls zu keiner Zeit habe beobachtet werden können. ... habe altersentsprechende Schlaf- und Wachphasen aufgewiesen. Sie habe auch eine altersentsprechende Motorik gezeigt.
297Die Kammer hat keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Zeugen ..., der als Mitglied des Kinderschutzteams die damaligen Ereignisse intensiv verfolgt hat und die Ergebnisse der seinerzeitigen Beobachtungen vor und nach der diagnostischen Trennung sehr anschaulich und detailliert in Übereinstimmung mit dem damaligen Entlassungsbericht aus der Klinik zu schildern vermochte. Soweit er sich als sachverständiger Zeuge geäußert hat, bestehen keinerlei Zweifel an der Richtigkeit seiner Feststellungen, zumal sie uneingeschränkt mit ebenjenen Feststellungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen ...übereinstimmen.
298(4) Gesamtschau
299Bei Vornahme der gebotenen Gesamtschau besteht kein Zweifel daran, dass die Angeklagte durch Vorenthaltung der vorgesehenen Sondennahrung die Unterernährung ... im angegebenen Zeitraum bis hin zum Eintritt des stark dystrophen Zustands herbeigeführt hat. Medizinische Ursachen für die bei ... eingetretene Entwicklung sind nach dem oben Erörterten auszuschließen. Die Entwicklung ... nach Durchführung der diagnostischen Trennung mit adäquater Gewichtszunahme bei plangemäßer Ernährungsgabe kann letztlich plausibel nur damit erklärt werden, dass ... in der Zeit zuvor seitens der Angeklagten die vorgesehene Sondennahrung vorenthalten wurde. Alternativtäter kommen nicht in Betracht. Eine Tatbeteiligung des damaligen Lebensgefährten der Angeklagten und Vater von ..., des Zeugen ..., vermochte die Kammer sicher auszuschließen. Der Zeuge ist nach seiner Aussage tagsüber – wie die Angeklagte bestätigt hat – geschäftlich mit Arbeiten für seinen Malerbetrieb außer Haus gewesen und hat die pflegerischen, erzieherischen und gesundheitlichen Belange der Kinder der Angeklagten überlassen. Es war ausschließlich die Angeklagte, die sich um ... im häuslichen Umfeld gekümmert hat und damit jedenfalls tagsüber ohne weiteres die Gelegenheit hatte, die Nahrungsgaben entsprechend vorzuenthalten. Soweit Pflegekräfte des ... nachts die Sondenernährung teilweise auf Bitte der Angeklagten mitübernommen haben, so spricht dies nicht gegen ihre Täterschaft, da die Angeklagte jedenfalls tagsüber alleinigen Zugriff auf ihre Tochter hatte und die Nahrungsgaben oder das Ausbleiben der Ernährung insoweit über die PEG-Sonde nach ihrem Belieben steuern konnte.
300Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass die Angeklagte ... auch noch während des Klinikaufenthalts in der Zeit vom 02.10.2018 bis zum Mittag des 05.10.2018 die vorgesehene Sondennahrung jedenfalls teilweise vorenthielt. Hierfür spricht neben dem von den Krankenschwestern im Rahmen ihrer Vernehmung berichteten auffällig unzuverlässigen Verhalten der Angeklagten beim Abruf der vorgesehenen Sondennahrung insbesondere, dass unter der Voraussetzung, dass die Angeklagte ... die Nahrungsgaben absprachegemäß verabreicht hätte, es nach Angaben des Sachverständigen in jedem Fall zu einer raschen Gewichtszunahme – wie sie nach der diagnostischen Trennung tatsächlich zu verzeichnen war – hätten kommen müssen, was aber nicht der Fall gewesen ist. Vor diesem Hintergrund steht fest, dass die Angeklagte auch im Krankenhaussetting ihr bereits im häuslichen Umfeld gezeigtes Unterlassen der gebotenen Nahrungsgabe fortgesetzt hat.
301bb) Feststellungen zur inneren Tatseite und zur Motivlage
302Die Kammer ist davon überzeugt, dass es der Angeklagten auch bei der gezielten Unterernährung von ... darum ging, sich als Mutter eines schwer erkrankten Kindes gerieren und inszenieren zu können. Dabei geht die Kammer davon aus, dass die Angeklagte die von ihr herbeigeführte Unterernährung als Vorwand nutzen wollte, um die von ihr gewünschte Anlage des Tracheostomas durchsetzen zu können, um eine angeblich schwere Erkrankung ihres Kindes auch nach außen hin unübersehbar manifestieren zu können. Diese Überzeugung der Kammer ergibt sich zum einen aus dem ungewöhnlich starken Streben der Angeklagten nach ebenjenem medizinisch gravierenden Eingriff trotz Kenntnis der fehlenden medizinischen Indikation (1) und zum anderen daraus, dass sie mit dem herbeigeführten Gewichtsverlust ein Symptom hervorgerufen hat, das in Verbindung mit weiteren Falschangaben zu angeblich erlittenen Erkrankungen in der Vergangenheit zu der von ihr vorgebrachten Rechtfertigung dieses Eingriffs – dem angeblich erhöhten Kalorienverbrauch infolge der angestrengten Atmung – passte (2).
303(1) Dringender Wunsch nach medizinisch nicht indiziertem Eingriff – Anlage eines Tracheostomas
304Die Beweisaufnahme hat ein ungewöhnlich starkes Bestreben der Angeklagten ergeben, bei ... abseits bestehender medizinischer Indikation die Anlage eines Tracheostomas zu erwirken.
305(a) Drängen gegenüber dem Kinderarzt ...
306Bereits im Juli 2018 drängte die Angeklagte ... Kinderarzt ... zur Ausstellung einer Einweisung zur stationären Krankenhausbehandlung, in der neben der Anlage der PEG-Sonde auch die Erforderlichkeit eines Tracheostomas überprüft werden sollte.
307Dies ergibt sich aus den Angaben der Zeugen ..., der diesbezüglich bekundet hat, dass weder eine PEG-Sonde noch ein Tracheostoma von ihm vorgeschlagen oder auch nur angesprochen worden sei. Die Initiativen seien im Juli 2018 jeweils von der Angeklagten ausgegangen, die im Hinblick auf die PEG-Sonde zudem behauptet habe, dass man diese im ... Krankenhaus ... empfohlen habe. Nur auf das Drängen der Angeklagten hin und ohne ... nochmal zu untersuchen, habe er eine entsprechende Einweisung im August 2018 ausgestellt, was sicherlich ein Fehler gewesen sei.
308(b) Fortgesetztes Drängen auch nach Ablehnung medizinischer Indikation
309Auch nachdem der Angeklagten im ... Krankenhaus ... im Anschluss an die im Zeitraum vom 15.08.2018 bis 18.08.2018 durchgeführte stationäre Behandlung, in deren Rahmen auch eine Bronchoskopie stattgefunden hatte, mitgeteilt worden war, dass eine medizinische Indikation zur Anlage eines Tracheostomas bei ... nicht bestehe, setzte die die Angeklagte ihr Drängen nach Durchführung dieses schweren medizinischen Eingriffs gleichwohl mit Hochdruck fort. Denn in der Folgezeit unternahm sie zum einen den Versuch, Unterstützung zur Durchführung dieses Eingriffs seitens der Pflegekräfte des Teams ... zu erhalten. Obgleich alle von ihr eingebundenen Personen den Eingriff ablehnten, vereinbarte sie zum anderen zugleich – vorsorglich gleich in mehreren Kliniken, nämlich sowohl im Klinikum ..., als auch im ... Hospital ..., was insoweit von der Angeklagten auch eingeräumt wurde – Termine zum Zwecke der Anlage eines Tracheostomas.
310Die Zeugin ... hat hierzu bekundet, dass sie als Kinderkrankenschwester im Jahr 2018 nebenberuflich für den mobilen Pflegedienst „...“ tätig gewesen sei und hauptberuflich im ... in ... gearbeitet habe. Im Rahmen ihrer Nebentätigkeit beim „...“ habe sie ... mehrmals im Monat nachts beaufsichtigt. ... habe damals eine Atemunterstützung erhalten. Sie habe nachts meist durchgeschlafen, ohne dass es besondere Ereignisse gegeben habe. Irgendwann zu einer Zeit, als alles noch normal gewesen sei und ... auch noch an Gewicht zugenommen habe, sei sie von der Angeklagten gefragt worden, ob ... nicht ein Tracheostoma benötige. Sie – die Zeugin – habe einen derart schweren Eingriff abgelehnt und erklärt, dass ... Atmung viel zu unauffällig hierfür sei. Auf Nachfrage, warum sie einen solchen Zugang erwäge, habe die Angeklagte behauptet, dass ... zu viel Energie für die Atmung benötige. Etwa einen Monat später – etwa Mitte September 2018 – habe sie erneut eine Nachtschicht bei ... übernommen. Sie habe festgestellt, dass ... im Vergleich zu ihrem vorherigen Einsatz plötzlich stark an Gewicht verloren habe. Die Angeklagte, die gewusst habe, dass sie hauptberuflich im ... als Kinderkrankenschwester beschäftigt gewesen sei, habe sie erneut auf das Tracheostoma angesprochen und sie gebeten, für sie und ... „ein gutes Wort“ im ... einzulegen, um die Anlage eines Tracheostomas zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang habe die Angeklagte einen von ihr bereits verfassten und an das Klinikum gerichteten Brief vorgelegt. Inhaltlich habe sich aus dem Brief der Wunsch der Angeklagten ergeben, dass ... ein Tracheostoma erhalte. Besonders in Erinnerung geblieben sei ihr – der Zeugin – dass die Angeklagte in dem Brief wegen der angeblich weiten Anreise von ... nach ... um eine Zusage zur Anlage des Trachoestomas ohne vorherige Vorstellung von ... gebeten habe. Sie – die Zeugin – sei über dieses Verhalten der Angeklagten erstaunt gewesen und habe es abgelehnt, die Angeklagte bei der Terminvereinbarung zu unterstützen, da sie die Notwendigkeit der Anlage eines Tracheostomas bei ... weiterhin nicht gesehen habe. Die Angeklagte habe verärgert reagiert und weiterhin argumentiert, dass ... wegen ihrer Atemarbeit zu viele Kalorien verbrauche, deshalb immer weiter abnehme und dementsprechend ein Tracheostoma benötige. Bei einer späteren Nachtschicht bei ... habe die Angeklagte ihr dann erklärt, dass sie mittlerweile durch einen facebook-Aufruf in ihrer Gruppe einen Arzt gefunden habe, der bereit sei, bei ... ein Tracheostoma zu legen. Bevor sie dazu gekommen sei, mit der Pflegeleitung über den Zustand ... und das Bestreben der Angeklagten nach einem Tracheostoma zu sprechen, sei die Angeklagte mit ... bereits in der Kinderklinik ... aufgenommen worden, wo die Vorwürfe gegen die Angeklagte zu Tage getreten seien.
311Die Zeugin ..., ebenfalls als Kinderkrankenschwester seinerzeit beim ... beschäftigt hat bestätigen können, dass die Angeklagte auch sie – die im Zeitraum Juni 2018 bis September 2018 regelmäßig Nachtschichten bei ... gehalten habe – irgendwann im Laufe ihrer Dienste gefragt habe, ob ... nicht wegen des infolge der Atmung eintretenden Kalorienverbrauchs ein Tracheostoma benötige. Sie – die Zeugin – habe einen derart gravierenden Eingriff angesichts der unauffälligen Atmung für völlig übertrieben gehalten und der Angeklagten dies auch so mitgeteilt. Später habe die Angeklagte ihr dann mitgeteilt, dass sie beabsichtige im ... einen Termin zur Anlage eines Tracheostomas zu vereinbaren. Ihres Wissens nach habe die Angeklagte sogar in mehreren Kliniken wegen der Anlage eines Tracheostomas angefragt. Dieses Verhalten sei für sie sehr ungewöhnlich gewesen, da die Anlage eines Tracheostomas ihren Erfahrungen nach von Kindeseltern nur dann in Erwägung gezogen würde, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gebe, während die Angeklagte den Eingriff geradezu angestrebt habe.
312Vor dem Hintergrund dieser glaubhaften Angaben steht fest, dass die Angeklagte trotz Kenntnis fehlender ärztlicher Indikation nach dem stationären Aufenthalt im ... Krankenhaus ... gleichwohl mit außergewöhnlichem Nachdruck auf die Anlage eines Tracheostomas drängte.
313(c) Abbruch der Behandlung bei ... nach Weigerung der Ausstellung einer entsprechenden Krankenhauseinweisung
314Das immense Bestreben der Angeklagten nach Durchsetzung des Tracheostomas in Kenntnis der zuvor abgelehnten medizinischen Indikation ergibt sich auch aus ihrem Verhalten gegenüber dem Kinderarzt .... Nachdem ... seine Unterstützung zur Durchsetzung des medizinisch nicht erforderlichen Tracheostomas verweigert hatte, entzog die Angeklagte diesem die Behandlung, untersagte ihm anderen Ärzten Auskünfte über ... gesundheitliche Entwicklung zu erteilen und manipulierte die Behandlungsberichte, die ... als Hausarzt auswiesen, indem sie die Adressatenfelder ausschnitt und Kopien hiervon anfertigte, um auf diesem Wege eine Kontaktaufnahme zu ... zu unterbinden.
315Ebenjene Feststellungen der Kammer beruhen zunächst auf den Angaben des Zeugen .... Der Zeuge hat bekundet, dass die Angeklagte sich am 28.09.2018 telefonisch in seiner Praxis gemeldet und um die Ausstellung einer Einweisung zur Anlage eines Tracheostomas im ... ... gebeten habe. Dies habe er mangels Indikation abgelehnt. In Telefonaten mit dem Oberarzt ... aus der Klinik ... und dem Chefarzt des ... ..., die jeweils erklärt hätten, dass die Angeklagte sich dort zur Anlage eines Tracheostomas angemeldet habe, habe er klargestellt, dass er eine solche Maßnahme nicht für indiziert halte und die dortigen Termine auch nicht veranlasst habe. In Reaktion hierauf und auf die erfolgte Terminabsage seitens des ... ... habe die Angeklagte ihm mit Fax vom 01.10.2018 die Schweigepflichtentbindungserklärung entzogen, ihm untersagt künftig Auskünfte zu erteilen und die Behandlung beim ihm abgebrochen.
316Auch die Angeklagte hat ebenjene Umstände – die Entziehung der Schweigepflichtentbindungserklärung aufgrund der vom Zeugen veranlassten Terminabsage im ... ... – jedenfalls zuletzt nach konkretem Vorhalt und Verlesung des Inhalts des von ihr unterzeichneten Faxschreibens vom 01.10.2018 eingeräumt. Die Vornahme der beschriebenen Manipulationshandlung an den Behandlungsberichten hat die Angeklagte ebenfalls eingeräumt. Diesen Umständen lässt sich in der Gesamtschau – wie eingangs dargestellt – ein ungewöhnliches starkes Bestreben der Angeklagten nach der Anlage eines Tracheostomas abseits medizinischer Indikationen entnehmen, die bewusst – wie von ihr eingeräumt – beabsichtigte, eine Kontaktaufnahme der behandelnden Ärzte zum Hausarzt ... zu unterbinden.
317(d) Widerlegung sonstiger Einlassungen der Angeklagten in Bezug auf das Tracheostoma
318Die übrigen Einlassungen der Angeklagten in Bezug auf die Anlage des Tracheostomas sind widerlegt. Entgegen der Einlassung der Angeklagten hat ... weder die Idee zur Anlage des Tracheostomas erstmals vorgebracht und die Durchführung dieses Eingriffs angeraten, noch hat er – auch nach Ablehnung der Indikation im ... Krankenhaus ... – bis zuletzt auf Durchführung ebenjenen Eingriff gedrängt.
319Entgegen der Einlassung der Angeklagten steht fest, dass diese selbst die Anlage des Tracheostomas erstmals vorgebracht hat und der gewünschte Eingriff nicht auf einer Empfehlung des früheren Haus- und Kinderarzt ... beruht.
320Der Zeuge ... hat glaubhaft bekundet, dass von ihm die Anlage eines Tracheostomas nicht angesprochen und erst recht nicht empfohlen worden sei. Vielmehr habe die Angeklagte diesen Eingriff thematisiert und hierauf gedrängt, was auch Grund für die Ausstellung seiner Krankenhauseinweisung gewesen sei.
321Die Kammer folgt den insgesamt glaubhaften Angaben des glaubwürdigen Zeugen .... Der Zeuge hat anhand seiner Dokumentation detailliert Angaben zum Behandlungsablauf bei ... und den seitens der Angeklagten vorgebrachten Äußerungen machen können. Der Zeuge hat unumwunden eingeräumt, einen Fehler begangen zu haben, indem er auf Drängen der Angeklagten und ihren Angaben Glauben schenkend ohne weitergehende Untersuchung ... und ohne eine eigene Indikation hierfür gesehen zu haben, die Krankenhauseinweisung zur PEG-Anlage und zur Bronchoskopie zwecks Prüfung eines Tracheostomas ausgestellt zu haben. Seine Angaben werden gestützt durch die Bekundungen der Zeuginnen ... und .... Beide Zeuginnen haben jeweils bekundet, dass die Angeklagte das Thema eines Tracheostomas von sich aus vorgebracht habe, ohne dass sie je erwähnt habe, dass dem eine Empfehlung seitens des Kinderarztes zugrunde liege. Es hätte aber nahe gelegen eine derartige Empfehlung den Zeuginnen gegenüber mitzuteilen, zumal die Angeklagte versucht hat, die Zeuginnen von der Erforderlichkeit ebenjenes Eingriffs zu überzeugen und die Zeugin ... überdies zur Unterstützung ihres Vorhabens zu veranlassen versuchte. Auch der Zeuge ... hat bestätigt, dass die Angeklagte von sich aus die Erforderlichkeit des Tracheostomas thematisiert habe. Er wisse nichts davon, dass ... erstmals auf das Tracheostoma zu sprechen gekommen sei oder dieses auch nur empfohlen zu haben. Entsprechendes habe die Angeklagte ihm gegenüber nie erwähnt. Vielmehr habe die Angeklagte – seinen Erinnerungen zufolge – nach entsprechenden Recherchen im Internet zu Erkrankungen und Krankheitssymptomen irgendwann angefangen zu behaupten, dass ... ein Tracheostoma benötigen würde. Er sei wegen der gravierenden Folgen strikt gegen diesen Eingriff gewesen, während die Angeklagte diesen geradezu angestrebt habe, was für ihn nicht nachvollziehbar gewesen sei, da ... für ihn dann ein Pflegefall und ein schwerbehindertes Kind gewesen wäre, was er keinesfalls gewollt habe.
322Auch die Einlassung der Angeklagten, ... habe bis zuletzt – also noch nach Ablehnung der Indikation im ... Krankenhaus ... – auf die Anlage eines Tracheostomas gedrängt, ist erwiesen unwahr.
323Der Zeuge ... hat glaubhaft abgestritten, eine derartige Empfehlung abgegeben zu haben. Unabhängig davon, dass der Zeuge ... nach Ablehnung der Indikation für ein Tracheostoma im ... Krankenhaus ... gar keinen Anlass hatte, sich gleichwohl für einen derartigen Eingriff auszusprechen oder gar auf diesen Eingriff zu drängen, hat die Angeklagte in Übereinstimmung mit dem Inhalt des in der Hauptverhandlung verlesenen Faxschreibens vom 01.10.2018 selbst eingeräumt, dem Zeugen die Schweigepflichtentbindungserklärung entzogen zu haben, weil er den von ihr vereinbarten Termin zur Anlage des Tracheostomas in ... unmittelbar zuvor gerade vereitelt habe. Insoweit hat die Angeklagte ihre eigene Einlassung zuletzt selbst wiederlegt. Das gesamte aufgezeigte Verhalten der Angeklagten, insbesondere ihr intensives Bemühen in Bezug auf das Tracheostoma nach dem stationären Aufenthalt in ... Mitte August 2018 lässt sich gerade in Verbindung mit den weitergehenden – oben dargestellten – Angaben des Zeugen ... und auch nicht mit ihrer Einlassung vereinbaren, dass ihr „ein Stein vom Herzen gefallen“ sei, als sie in ... erfahren habe, dass ... ein Tracheostoma nicht benötigen würde.
324Zuletzt ist auch die Einlassung der Angeklagten, es sei ihr bei der Vereinbarung der weiteren Termine im ...... und in der Kinderklinik ... nur darum gegangen, die Erforderlichkeit eines Tracheostomas nochmals abklären zu lassen, aufgrund der glaubhaften Angaben der Zeugin ... widerlegt. Die glaubwürdige Zeugin hat bekundet, dass die Angeklagte ihr einen an das ... adressierten Brief mit der Bitte um Unterstützung vorgelegt habe, in dem sie um die Anlage eines Tracheostomas ohne vorherige Untersuchung von ... gebeten habe. Eine solches Ansinnen lässt sich mit der Einlassung der Angeklagten, es sei nur um die Überprüfung der Erforderlichkeit des Eingriffs gegangen, schlichtweg nicht in Einklang bringen und belegt, dass es der Angeklagten jenseits der medizinischen Notwendigkeiten – aus den beschriebenen, allein in ihrer Person liegenden Gründen – um die definitive Durchführung ebenjenes Eingriffs ging.
325(2) Symptomschaffung zur Durchsetzung des Tracheostomas
326Die Kammer geht zudem davon aus, dass die Angeklagte sich nach Ablehnung der Anlage des Tracheostomas im ... Krankenhaus ... dazu entschloss, durch Herbeiführung eines kontinuierlichen Gewichtsverlusts gezielt Krankheitssymptome bei ... hervorzurufen, um auf diesem Wege die angebliche Notwendigkeit der Anlage des von ihr angestrebten Tracheostomas zu untermauern. Denn zum einen trat der von der Angeklagten herbeigeführte Gewichtsverlust bei ... kurze Zeit nach Entlassung aus dem ... Krankenhaus ... ein (a). Zum anderen passt der von der Angeklagten herbeigeführte Gewichtsverlust zu der von ihr fortwährend zur Rechtfertigung der angeblichen Erforderlichkeit der Anlage des Tracheostomas herangezogenen Erklärung, dass ... durch die Atemarbeit zu viele Kalorien verbrauche (b). Im Übrigen hat die Angeklagte zuletzt weitere wahrheitswidrige Angaben in Bezug auf die gesundheitliche Entwicklung ... behauptet, die geeignet sind, die Anlage des Tracheostomas zu begründen (c).
327(a) Gewichtsverlust zeitlich passend
328Der Sachverständige ...hat ausgeführt, dass bei ... ausweislich der stationären Behandlungsberichte bis Mitte August 2018 eine Gewichtszunahme zu verzeichnen gewesen sei. Das Gewicht von ... habe bei Aufnahme im ... Krankenhaus ... am 15.08.2018 mit 6.030g zwischen der 10. und 25. Perzentile gelegen, was – so auch die Zeugin ... in ihrer Vernehmung – durchaus ein adäquates altersentsprechendes Gewicht belege. Nach Entlassung aus dem ... Krankenhaus ... sei es dann – wie weiter unten noch näher ausgeführt werden wird – innerhalb von etwa 7 Wochen bis zur stationären Aufnahme in die Kinderklinik ... am 02.10.2018 jedoch zu einem Gewichtsverlust gekommen. Diese Entwicklung belegt, dass ... Gewicht zunächst bis Mitte August 2018 einen zufriedenstellenden Verlauf nahm, bevor unmittelbar nach Entlassung aus dem stationären Aufenthalt aus dem ... Krankenhaus ... – in dessen Rahmen die Indikation zur Anlage des Tracheostmas verneint wurde – sodann über mehrere Wochen ein besorgniserregender Gewichtsverlust eintrat. Die negative Gewichtsentwicklung geht in zeitlicher Hinsicht also mit der Ablehnung des Tracheostomas im ... Krankenhaus ... einher.
329(b) Gewichtsverlust symptomatisch passend
330Fest steht, dass der von der Angeklagten bewusst herbeigeführte Gewichtsverlust symptomatisch zu der von ihr als Rechtfertigung für das Tracheostoma herangezogenen Erklärung passte.
331Die Zeuginnen ... und ..., an deren Richtigkeit ihrer Angaben zu zweifeln die Kammer keinen Anlass hatte, haben übereinstimmend bekundet, dass die Angeklagte die aus ihrer Sicht erforderliche Anlage des Tracheostomas stets damit begründet habe, dass ... durch die Atmung zu viele Kalorien verbrauche und deshalb Entlastung durch das Tracheostoma erhalten müsse. Die Zeugin ... hat näher ausführen können, dass die Angeklagte diese Erklärung gerade auch auf ihre Nachfrage zum mittlerweile eingetretenen Gewichtsverlust ... Mitte September 2018 vorgebracht und aus diesem Grund um ihre Unterstützung bei der Terminvereinbarung im ... zur Anlage des Tracheostomas gebeten habe.
332(c) Weitere anamnestische Falschangaben in der Kinderklinik ...
333Fest steht weiter, dass die Angeklagte auch im Rahmen der stationären Aufnahme in der Kinderklinik ... am 02.10.2018 an ihrem dringenden Wunsch zur Anlage des Tracheostomas festhielt, was sie dort im Rahmen der Anamnese auch ausdrücklich erklärte. Dabei machte die Angeklagte, die sich durch ihre fortlaufenden Internetrecherchen über Kindererkrankungen medizinisches Grundwissen angeeignet hatte, ergänzend weitere Falschangaben zur gesundheitlichen Entwicklung ..., die geeignet waren, die Erforderlichkeit eines solchen Eingriffs zu untermauern.
334Der Zeugen ... hat in Übereinstimmung mit dem Inhalt des Behandlungsberichts der Klinik vom 13.03.2019 bekundet, dass die Angeklagte bei Aufnahme in der Kinderklinik ... am 02.10.2018 den dringenden Wunsch nach der Anlage eines Traceostomas geäußert und beklagt habe, dass ihr Kinderarzt ... einen für den 04.10.2018 geplanten Termin im ...verhindert habe. Das Tracheostoma habe nach Angaben der Angeklagten erfolgen sollen, da bei ... wiederholt Aspirationspneumonien in der Vorgeschichte aufgetreten seien. Eine permanente High-flow-Versorgung reiche bei ... nicht aus. Das Trachoestoma sei nötig, da die Atemarbeit zu viele Kalorien verbrauche.
335Soweit die Angeklagte anamnestisch neben dem Kalorienverbrauch durch die Atemarbeit auch angebliche erlittene Aspirationspneumonien zur Rechtfertigung des Tracheostomas angeführt hat, so ist auch diese Behauptung unzutreffend.
336Der Sachverständige ...hat insoweit ausgeführt, dass in keinem der zahlreichen stationären Behandlungsberichte Aspirationspneumonien bei ... erwähnt worden seien, was in jedem Fall bei Feststellung einer solchen Erkrankung zu erwarten gewesen wäre. ... habe lediglich aufgrund ihrer Frühgeburtlichkeit eine unreife Lunge gehabt. Es habe sich bei ihr ein für Frühgeborene durchaus typisches Atemnotsyndrom entwickelt und in der Folge eine milde bronchopulmonale Dysplasie. Bei der in Rede stehenden Aspirationspneumonie handele es sich demgegenüber um eine grundlegend andere Erkrankung, nämlich um eine durch Einatmung von Nahrung oder Sekreten hervorgerufene Lungenentzündung, für deren Vorliegen bei ... ausweislich der Behandlungsunterlagen keinerlei Anhaltspunkte bestünden. Soweit es um die Indikation einer Tracheostoma-Anlage gehe, seien in der Vergangenheit erlittene Aspirationspneumonien durchaus von erheblicher Bedeutung, da sie auf Atmungs- bzw. Lungenprobleme hindeuteten, ohne deren Feststellung die Anlage eines Tracheostomas nicht in Betracht komme.
337(1) Gesamtschau
338In der gebotenen Gesamtschau ergibt sich zur Überzeugung der Kammer, die oben dargestellte Motivlage der Angeklagten.
339cc) Feststellungen zum Tatzeitraum und zu den eingetretenen körperlichen Beeinträchtigungen bei ...
340Die Feststellungen zum Tatzeitraum und zu den bei ... eingetretenen körperlichen Beeinträchtigungen beruhen auf den Angaben des Sachverständigen ....
341Zum Tatzeitraum hat der Sachverständige Folgendes ausgeführt:
342Allgemein gelte, dass je weniger Nahrung einem Menschen zugeführt werde, desto schneller trete ein Gewichtsverlust ein. Bei ... sei bis zur PEG-Anlage Mitte August 2018 ausweislich der Behandlungsberichte eine Gewichtszunahme zu verzeichnen gewesen. Am 15.08.2018 – einen Tag vor der PEG-Anlage im ... Krankenhaus ... – habe ... Gewicht bei 6.030g und damit zwischen der 10. und 25. Perzentile gelegen, was noch einem adäquaten altersentsprechenden Gewicht entspreche, jedenfalls aber keine Untergewichtigkeit belege. Betrachte man ... Gewichtsentwicklung in der Folgezeit von Mitte August 2018 bis zur stationären Aufnahme in der Kinderklinik ... am 02.10.2018, so spreche diese für einen kontinuierlichen Gewichtsverlust. Lege man entsprechend der Angaben aus den Behandlungsberichten sowie den Angaben der Zeugen zugrunde, dass das Gewicht von ... bis zum 29.08.2018 – dem Tag der Vorstellung ... im ... Krankenhaus ... zur Risikonachsorge – zunächst auf 5.700g, in der Zeit bis zum 11.09.2018 auf 5.590g und bis zum 19.09.2018 auf 5.565g – so jeweils die Angaben des Kinderarztes ... – verringert habe, bevor ... am 02.10.2018 mit einem Gewicht von 5.200g in der Kinderklink ... vorgestellt worden sei, so spreche dies für einen kontinuierlichen eingetretenen Gewichtsverlust. Dieser sei plausibel mit einem korrespondieren kontinuierlichen – jedenfalls partiellen – Nahrungsentzug in diesem Zeitraum erklärbar.
343Zu den bei ... infolge des Nahrungsentzuges eingetretenen körperlichen Beeinträchtigungen und dem Eintritt einer Lebensgefahr hat der Sachverständige Folgendes ausgeführt:
344Ähnlich wie bei Erwachsenen verfügten auch Kleinkinder oder Säuglinge über ein Hungergefühl. Im Falle nicht ausreichender Ernährungszufuhr durch die Betreuungsperson litten Säuglinge und Kleinkinder unter vergleichbaren Hungergefühlen bis hin zu körperlichen Schmerzen in Form von Hungerschmerzen. Es komme zudem infolge einer Unterernährung, je nach Ausmaß, zu einer entsprechenden Gewichtsabnahme, die mit körperlichen Leiden verbunden sei. Insbesondere die Immunabwehr werde im Falle einer Unterernährung zudem extrem geschwächt. Es bestehe aufgrund der geschwächten Immunabwehr des Körpers, je nach Ausprägungsgrad, ein erhöhtes Risiko einer Infektion oder Lungenentzündung. Bezogen auf ... sei festzustellen, dass diese sich bis zur stationären Aufnahme in der Kinderklinik ... am 02.10.2018 bezogen auf ihr Körpergewicht bereits unterhalb die 3. Perzentile befunden habe. Dies bedeute, dass 97 % der Kinder gleichen Alters und Geschlechts ein höheres Gewicht aufweisen würden, als es bei ... der Fall gewesen sei. Infolge des stagnierenden Gewichts vom 02.10.2018 bis zur Trennung von der Kindesmutter am 05.10.2018 sei ... sogar zuletzt unter die 1. Perzentile gefallen. ... habe sich ausweislich der Behandlungsberichte und der Angaben der Zeugen bei Aufnahme in einem stark untergewichtigen – also einen dystrophen Zustand – befunden. ... habe sich demnach in einem sehr ernsten, besorgniserregenden Zustand befunden, der eine stationäre Behandlung zwingend erforderlich gemacht habe. Wenngleich nicht sicher feststellbar sei, dass eine konkrete Lebensgefahr für sie bestanden habe, so müsse doch konstatiert werden, dass bereits eine leichte Komplikation, etwa bereits ein jederzeit möglicher leichter Infekt, aufgrund des körperlichen stark geschwächten Zustandes des Kindes zu dem Eintritt einer konkret lebensbedrohlichen Situation geführt hätte. Eine solche Situation habe letztlich aufgrund der ärztlichen Intervention und einer konsequenten Nahrungsgabe nach Trennung von der Mutter vermieden werden können. ... habe sich innerhalb weniger Wochen gut entwickelt. Offenbar habe der Zeitraum der Unterernährung in der Folgezeit kompensiert werden können. Es sei – ausweislich der Angaben des aktuellen Kinderarztes ...– nicht feststellbar, dass ... eine nachhaltig gestörte Entwicklung habe erleiden müssen. Auch psychische Beeinträchtigungen infolge der Unterernährungen seien letztlich bei ... nicht feststellbar.
345Den insgesamt gut begründeten und überzeugenden Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen ..., an dessen Sachkunde keine Zweifel bestehen, schließt sich die Kammer nach eigener Sachprüfung und Würdigung vollumfänglich an. Anhaltspunkte für eine andere Bewertung der Sachlage bestehen nicht. Soweit der Sachverständige sich zur Beantwortung neben den aktenkundigen Behandlungsberichten auch auf Angaben von Zeugen, wie etwa den ergänzenden Gewichtsangaben des ... oder die Angaben des ...gestützt hat, ist er auch von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen, die auch die Kammer ihren Feststellungen zugrunde gelegt hat.
3466. Feststellungen zur Schuldfähigkeit
347Die Feststellungen zu II. 1.) sowie die Feststellungen zur vollständigen strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Angeklagten zu II. 4.) stützt die Kammer auf das Gutachten der Sachverständigen ..., Fachärztin für Psychiatrie, welches sie in der Hauptverhandlung erstattet hat.
348a) Diagnose
349Die Sachverständige hat ausgeführt, dass bei der Angeklagten diagnostisch von einer artifiziellen Störung im Sinne eines sog. Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms (ICD-10: T.74.8 - auch „Münchhausen-by proxy-Syndrom“) auszugehen sei. Das Krankheitsbild zeichne sich dadurch aus, dass die betroffene Person körperliche oder psychische Krankheitssymptome bei einer anderen Person, für die der Täter die Sorge trage, absichtlich erzeuge, vortäusche oder übersteigert darstelle, mit dem Ziel, medizinische Behandlungen zu initiieren und/oder um selbst die Rolle einer scheinbar aufopferungsvoll pflegenden Person zu übernehmen.
350Eine allgemein anerkannte Erklärung für diese krankhaften Verhaltensweisen gebe es in der Fachliteratur nicht.
351Psychopathologische und damit diagnostische Merkmale dieser Erkrankungen seien letztlich (1.) das Vorliegen eines vorgetäuschten oder aktiv herbeigeführten Beschwerdebildes beim Opfer, (2.) die Vorstellung des Opfers zur medizinischen Untersuchung bei länger andauernder Versorgung, häufig einhergehend mit multiplen medizinischen Prozeduren, (3.) das Verleugnen des Wissens um die Ursachen des Beschwerdebildes und (4.) die Zurückbildung von Beschwerden nach Trennung des Opfers von dem Verursacher – zumeist der Mutter.
352Lege man die Angaben aus der Anklageschrift als zutreffend zugrunde sowie berücksichtige man die Erkenntnisse im Rahmen der durchgeführten Beweisaufnahme, so seien im vorliegenden Fall sämtliche diagnostischen Kriterien zur Feststellung dieses Erkrankungsbildes aus psychiatrischer Sicht zweifelsfrei erfüllt.
353Die Angeklagte habe eine Verstopfungsproblematik bei ... vorgespiegelt und auf diese Weise die Ärzte zu den medizinischen Eingriffen veranlasst. Bei ... habe die Angeklagte eine Atmungs- und Ernährungsproblematik vorgespiegelt und durch gezielte Unterernährung einen krankhaften Zustand auch selbst unmittelbar herbeigeführt. Zur Realisierung der erstrebten medizinischen Eingriffe habe die Angeklagte auch nicht davor zurückgeschreckt, Ärzte gegeneinander auszuspielen, Behandlungsberichte zu manipulieren und den Versuch zu unternehmen, Pflegepersonal für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. So habe sie gegenüber den Zeugen ... und ... jeweils unzutreffend behauptet, es gebe eine ärztliche Empfehlung des jeweils anderen zur Anlage der von ihr angestrebten PEG-Sonde. Dem Kinderarzt ...und den Behandlern der Kinderklinik ... habe sie manipulierte Behandlungsberichte vorgelegt, bei denen sie den Adressaten – den vorherigen Kinderarzt ... – unkenntlich gemacht habe, um eine Kontaktaufnahme und einen Informationsaustausch zu unterbinden. Die Zeugin ... habe sie zu veranlassen versucht, über ihre Kontakte im ... unter erleichterten Voraussetzungen die Anlage eines Tracheostomas durchzusetzen.
354Die Angeklagte habe sich bei den Krankenhausvorstellungen ihrer Kinder jeweils als besorgte Mutter geriert und die wahren Ursachen des von ihr vorgetragenen Beschwerdebildes verleugnet. Schließlich hätten sich sämtliche Beschwerdebilder nach Trennung der Angeklagten von ihren Kindern ... und ... jeweils zurückgebildet. Typisch sei zudem die Erzielung eines Krankheitsgewinns in Form sozialer Anerkennung, der sich bei der Angeklagten bereits aus der Darstellung der Krankheitshistorie von ... und ... gegenüber Dritten, insbesondere auch in den sozialen Medien eindrucksvoll ergebe. So habe die Angeklagte öffentlich über ihre facebook-Seite, aber auch persönlich gegenüber dem ärztlichen und nichtärztlichen Personal die gesundheitliche Situation ihrer Kinder vielfach unzutreffend oder jedenfalls deutlich aggraviert dargestellt. Dies betreffe bei ... etwa den dramatisierenden Bericht zur Geburt, die Angaben zur angeblichen Netzhautablösung bzw. einer drittgradigen Retinopathie und zu einer angeblichen Hirnblutung. Bei ... betreffe dies etwa die bewusst wahrheitswidrigen Behauptungen zu einer mehrwöchigen Intubation, zur Intensivpflichtigkeit nach Vollnarkosen und des angeblichen Bestehens der seltenen Darmerkrankung „Morbus Hirschsprung“, die sie gegenüber anderen Eltern behauptet habe. Typisch für diese Störung sei ferner, dass sich Betroffene – wie hier die Angeklagte – über das Internet umfassend über medizinische Krankheitsbilder unterrichteten, um Fachgesprächen mit Ärzten und dem Krankenhauspersonal gewachsen zu sein und den eigenen Forderungen nach möglichst erheblichen operativen Eingriffen kenntnisreich Nachdruck verleihen zu können.
355Soweit sich aus der Vorverurteilung der Angeklagten, bei der sie ... offenbar zur Begehung eines Betruges vorgeschoben habe, auch finanzielle Motive ableiten ließen, stünde dies der Diagnose nicht entgegen. Dies gelte jedenfalls solange dieser finanzielle Aspekt gegenüber dem Selbstinszenierungsmotiv im Rahmen eines Motivbündels nicht überwiege, wofür ihrer sachverständigen Einschätzung nach aber keine hinreichenden Anhaltspunkte bestünden. Der Einsatz ihrer Kinder zur Erlangung auch finanzieller oder – wie im Falle der zu Unrecht bezogenen Pflegeleistungen für ... seitens des ... – sonstiger Vorteile, belege insoweit allein eine bei der Angeklagten ergänzend hervorstechende dissoziale Persönlichkeitskomponente, die also solche aber weder die gestellte Diagnose eines Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms in Frage stelle, noch für sich gesehen von forensischer Relevanz sei.
356Zusammenfassend liege – so die Sachverständige – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei der Angeklagten eine sog. artifizielle Störung im Sinne eines Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms vor.
357Abgesehen hiervon würden sich aus der Aktenlage, dem Explorationsgespräch sowie den gewonnenen Erkenntnissen über die Angeklagte aus der Hauptverhandlung keine Hinweise für das Vorliegen einer sonstigen Erkrankung ergeben, die die Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB erfüllen könnte.
358b) Einordnung der Diagnose in die Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB
359Die Sachverständige hat ausgeführt, dass die bei der Angeklagten diagnostizierte artifizielle Störung grundsätzlich dem Eingangsmerkmal der „anderen seelischen Störung“ im Sinne der §§ 20, 21 StGB zuzuordnen sei.
360Nach dem psychopathologischen Referenzsystem werde für die Qualifizierung der Erkrankung als „schwer“ – wie es die §§ 20, 21 StGB voraussetzen würden – indessen gefordert, dass ein bestimmter Ausprägungsgrad der Störung erreicht werde. Insoweit sei erforderlich, dass die Erkrankung feststellbare Auswirkungen auf die Funktionsbereiche der Affektivität, des Antriebs, der Wahrnehmung, des Denk- und Urteilsvermögens sowie der Sozialbezüge der Angeklagten habe, die vergleichbar seien mit einer „krankhaften seelischen Störung“ von forensischer Relevanz. Eine krankhafte seelische Störung von forensischer Relevanz gehe etwa mit Affektstörungen wie einer ausgeprägten Reizbarkeit oder abruptem Stimmungswechsel, mit Wahrnehmungsstörungen wie Halluzinationen oder illusionären Verkennungen der Realität einher, mit Denkstörungen, wie Wahn- oder Antriebsstörungen, wie etwa einer raptusartigen Steigerung des Antriebs oder einer erheblichen Antriebsminderung.
361Derartige Auswirkungen der Erkrankungen seien bei der Angeklagten – generell und gerade auch tatzeitbezogen – nicht feststellbar. Insbesondere bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Störung das Leben der Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belastet oder eingeengt hebe, wie im Fall einer krankhaften seelischen Störung von forensischer Relevanz. Es sei nicht erkennbar, dass die der Angeklagten zur Last gelegten Taten in einem Zustand erhöhter Impulsivität oder starker affektiver Belastung begangen worden seien. Vielmehr ergebe sich das Bild geplanter und durchstrukturierter Taten, mit der Fähigkeit abzuwarten und Entdeckungsvorsorge zu betreiben.
362Auch Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagte die Taten unter einem unwiderstehlichen inneren Zwang begangen habe, lägen nicht vor, zumal sie die Falschbehauptungen gegenüber den Ärzten zur Herbeiführung der operativen Eingriffe bei ihren Kindern ebenso wie die Mangelernährung ... planmäßig systematisch und wiederholt über längere Zeiträume vorgenommen habe. Ebenso fehlten Anhaltspunkte dafür, dass es im Alltag der Angeklagten zu Einschränkungen ihres beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen sei. So habe die Angeklagte zunächst einen unauffälligen schulischen und beruflichen Werdegang absolviert, ehe sie im Tatzeitraum nebenbei im Malerbetrieb ihres damaligen Lebensgefährten, dem Zeugen ..., beschäftigt gewesen sei. Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung ihrer Leistungsfähigkeit oder Störung in der Gestaltung ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen habe weder die Angeklagte selbst berichtet, noch hätten der Zeuge ... oder die langjährige Freundin der Angeklagten, die Zeugin ..., hierzu irgendwelche Auffälligkeiten bekunden können.
363Die vorhandene psychiatrische Erkrankung der Angeklagten sei also zusammenfassend aus psychiatrischer Sicht bereits nicht als „schwere“ andere seelische Störung im Sinne des §§ 20, 21 StGB einzuordnen.
364Es fänden sich deshalb aus psychiatrischer Sicht auch keine Hinweise darauf, dass die Einsichtsfähigkeit und/oder die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten tatzeitbezogen erheblich beeinträchtigt oder aufgehoben gewesen sein könnte. Dabei beziehe sich die Einsichtsfähigkeit auf die Intaktheit der intellektuellen Funktionen und der Realitätswahrnehmung sowie deren Auswirkungen auf die Fähigkeit, das Unrecht der inkriminierten Tat einzusehen. Die Steuerungsfähigkeit beziehe sich auf die Fähigkeit, die Anreize zur Tat und die ihr entgegenstehenden Hemmungsvorstellungen gegeneinander abzuwägen und danach einen Willensentschluss zu normgemäßem Verhalten zu bilden.
365Die Angeklagte habe – ihre Täterschaft unterstellt – nach der Aktenlage und den Angaben der Zeugen in der Hauptverhandlung jeweils ein vorausschauendes, zielgerichtetes, konsequentes und mit Vorplanung verbundenes Verhalten gezeigt, sich Argumentationsketten gegenüber den Ärzten zurechtgelegt und deren Verhalten vorausschauend eingeschätzt. Dies habe sich etwa darin gezeigt, dass sie Ärzten angebliche Empfehlung von Kollegen, wie bei der PEG-Sonde, vorgespiegelt habe, mit dem offenkundigen Ziel den medizinischen Eingriff unter erleichterten Voraussetzungen durchzusetzen. Es handele sich um komplexe Handlungsabläufe in Etappen mit Entdeckungsvorsorge. Dies zeige sich etwa in der von der Angeklagten eingeräumten Manipulation der Arztbriefe durch Ausschneiden der Adressfelder und dem damit einhergehenden Versuch der Unterbindung des Informationsflusses zwischen den beteiligten Ärzten. Ebenjene Umstände würden belegen, dass die Angeklagte entsprechende Einsicht in das Unrecht ihrer Taten habe und nach dieser Einsicht auch handeln und Handlungsalternativen abwägen könne. Die Angeklagte wisse also um das Unrecht ihrer Taten und sei auch in der Lage, entsprechend dieser Einsicht zu handeln, habe im Rahmen der ihr möglichen Abwägungsentscheidungen der Tatbegehung aber um der Selbstdarstellung ihrer Person willen schlichtweg höheren Stellenwert eingeräumt, als der körperlichen Integrität ihrer Kinder.
366Diesen gut begründeten und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen, an deren Sachkunde keine Zweifel bestehen, schließt sich die Kammer nach eigener Sachprüfung vollumfänglich an. Anhaltspunkte für eine andere Bewertung der Sachlage bestehen nicht. Die Kammer hat besonders in den Blick genommen, dass die Sachverständige bei ihrer Diagnosefindung und Gutachtenerstattung von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen ist, nämlich ebenjenen, die auch die Kammer festgestellt und zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht hat. Auch die Kammer vermochte vor dem Hintergrund der sachverständigen Ausführungen keine Anhaltspunkte für eine tatzeitbezogene erheblich verminderte oder gar aufgehobene Schuldfähigkeit zu erkennen.
367IV.
3681.
369Nach den unter Ziffer II. getroffenen Feststellungen hat sich die Angeklagte wegen Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB in 3 Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB strafbar gemacht.
370Die unter II. 2b) (Veranlassung der Anlage eines künstlichen Darmausgangs bei ...) und II. 3b) aa) (Veranlassung der Anlage einer PEG-Sonde bei ...) beschriebenen Taten sind jeweils in der Form der mittelbaren Täterschaft gemäß § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB begangen worden. Der Angeklagten kam gegenüber den als Tatmittler eingesetzten und die operativen Eingriffe vornehmenden Ärzten, durch die die Körperverletzungen an ... bzw. ... letztlich vorgenommen worden sind, eine „Herrschaft kraft überlegenen Wissens“ zu. Denn die Angeklagte wusste, dass die von ihr behaupteten Krankheitssymptome – auf deren Richtigkeit die Ärzte, wie ihr ebenfalls bekannt war, vertrauten – tatsächlich nicht bestanden und diese bewusst unzutreffenden Symptomschilderungen für die Stellung der Operationsindikationen und Operationsdurchführung von ausschlaggebender Bedeutung waren. Dabei kam es ihr jeweils darauf an, durch die wahrheitswidrig angegebenen Symptome die behandelnden Ärzte zu den medizinischen Eingriffen an ihren beiden Kindern zu veranlassen.
371Die Angeklagte hat die Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB diesbezüglich in der Tathandlungsalternative der „rohen Misshandlung“ erfüllt. Eine rohe Misshandlung ist anzunehmen, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert. Eine gefühllose Gesinnung liegt nur vor, wenn der Täter bei der Misshandlung das notwendig als Hemmung wirkende Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt hätte. Dies trifft vorliegend auf die Angeklagte zu, die – wie festgestellt – die mit erheblichen Handlungsfolgen verbundenen Taten auf Kosten ihrer Kleinkinder zum Zwecke der Selbstinszenierung in ihrer Rolle als angeblich treusorgende Mutter begangen hat. Tateinheitlich mitverwirklicht hat die Angeklagte eine gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Die von der Angeklagten durch bewusst falsche Symptomschilderung veranlassten, tatsächlich – wie sie ebenfalls wusste – aber nicht gebotenen Operationen in Form der Anlage eines künstlichen Darmausgangs bei ... und in Form der Anlage einer PEG-Sonde bei ... waren nach den getroffenen Feststellungen – auch wenn sie von ärztlichen Fachleuten vorgenommen wurden – nach den Umständen des Einzelfalls generell dazu geeignet, das Leben von ... und ... zu gefährden.
372Bei der unter II. 3 b) bb) beschriebenen Tat zum Nachteil von ... (Unterlassen der gebotenen Nahrungsgabe) hat die Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen im Rahmen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Tathandlungsalternative des „Quälens“ durch Unterlassen (§ 13 Abs. 1 StGB) verwirklicht. Quälen ist das Verursachen länger dauernder und sich wiederholender erheblicher körperlicher oder seelischer Schmerzen oder Leiden. Dies trifft im vorliegenden Fall zu. Durch das systematische Unterlassen der Zuführung der gebotenen und ärztlich verordneten Nahrungsmengen über mehrere Wochen im Zeitraum von Mitte August 2018 bis Anfang Oktober 2018 – worin der Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Verhaltens zu sehen ist – hat die Angeklagte ... nach den getroffenen Feststellungen länger andauernde und sich wiederholende Schmerzen zugefügt. Dieses anhaltende Unterlassen schlug sich bei ... auch körperlich nieder, da diese im genannten Zeitraum kontinuierlich an Körpergewicht verlor, bevor sie am 02.10.2018 in einem dystrophen – also erheblich unterernährten – Zustand in der Kinderklinik vorgestellt wurde. Tateinheitlich hat die Angeklagte den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB durch Unterlassen verwirklicht. Ihr fortwährendes Unterlassen der erforderlichen Nahrungszufuhr über einen erheblichen Zeitraum war nach den Umständen des Einzelfalls generell geeignet, das Leben von ... zu gefährden und verbrachte sie sogar tatsächlich Anfang Oktober 2018 in einen Zustand einer abstrakten Lebensgefahr.
3732.
374Eine Strafbarkeit wegen Erfüllung des Qualifikationstatbestandes gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB kam hingegen nicht in Betracht, da die Kammer eine tatbedingte konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder eine erhebliche Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bei ... und ... jeweils nicht sicher festzustellen vermochte.
375V.
3761.
377Zur Bemessung der Einzelstrafe der Misshandlung Schutzbefohlener in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Lasten von ... (Tat II. 2 b): Veranlassung der Anlage eines künstlichen Darmausgangs) ist die Kammer vom Regelstrafrahmen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB ausgegangen, der Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren vorsieht. Ein minder schwerer Fall im Sinne des § 225 Abs. 4 StGB lag nicht vor. Ein minder schwerer Fall ist anzunehmen, wenn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit in einem solchen Maß vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle abweicht, dass die Anwendung des milderen Ausnahmestrafrahmens angemessen erscheint. Dies ist vorliegend angesichts des konkreten Tatbildes und bei einer Abwägung der nachfolgend dargelegten Strafzumessungsgesichtspunkte ersichtlich nicht der Fall.
378Bei der konkreten Strafzumessung hat die Kammer zu Gunsten der Angeklagten bewertet, dass sie bei Tatbegehung strafrechtlich noch unvorbelastet war. Ferner war zu berücksichtigen, dass die tatbedingt erfolgte Anlage des künstlichen Darmausgangs rückgängig gemacht werden konnte, ohne dass – mit Ausnahme einer Narbe an der Operationsstelle – körperlich oder seelische bleibende Schäden festzustellen waren. Zudem hat die Kammer berücksichtigt, dass die Tat vor über 7 Jahren begangen wurde und damit bereits sehr lange Zeit zurückliegt. Die Kammer hat überdies in den Blick genommen, dass die Angeklagte mit dem Entzug des Sorgerechts für ihre Kinder und der Trennung von ihnen neben der strafrechtlichen Sanktionierung auch weitere erhebliche Folgen zu tragen hat. Schließlich war zu berücksichtigen, dass der Angeklagten die Tatbegehung dadurch erleichtert worden ist, dass der Eingriff im ... Krankenhaus in ... allein aufgrund der Angaben der Angeklagten und ohne eigene klinische Abklärung der angegebenen Stuhlprobleme erfolgt ist.
379Zu Lasten der Angeklagten war hingegen zu bewerten, dass ... tatbedingt über einen erheblichen Zeitraum von mehr als 5 Jahren einen künstlichen Darmausgang hat tragen müssen, was in ihrer nahezu gesamten vorschulischen Zeit mit erheblichen Beeinträchtigungen im Alltagsleben verbunden war. Die Kammer hat gleichwohl bedacht, dass jedenfalls nach familiengerichtlicher Intervention und Entzug der Gesundheitsfürsorge im Oktober 2018 nur noch geringere Einflussmöglichkeiten der Angeklagten bestanden. Schließlich war ... im Tatzeitpunkt erst 1 ½ Jahre alt, mithin deutlich unterhalb der von § 225 Abs. 1 StGB geforderten Schutzaltersgrenze und damit in besonderem Maße wehrlos. Zudem war zu berücksichtigen, dass die Angeklagte tateinheitlich eine gefährliche Körperverletzung mitverwirklicht hat.
380Nach Abwägung aller für und gegen die Angeklagte sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte erachtet die Kammer zur Ahndung der Tat eine
381Einzelfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten
382für tat- und schuldangemessen.
3832.
384Auch zur Bemessung der Einzelstrafe der Misshandlung Schutzbefohlener in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Lasten von ... (II. 3. b aa) Veranlassung der PEG-Sondenlegung) ist die Kammer vom Regelstrafrahmen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB ausgegangen, der Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren vorsieht. Ein minder schwerer Fall gemäß § 224 Abs. 4 StGB lag auch hier angesichts des konkreten Tatbildes und bei einer Abwägung der nachfolgend dargelegten Strafzumessungsgesichtspunkte ersichtlich nicht vor.
385Bei der konkreten Strafzumessung hat die Kammer zu Gunsten der Angeklagten auch hier bewertet, dass sie bei Tatbegehung strafrechtlich noch unvorbelastet war, die Tat über 4 Jahre und damit längere Zeit zurückliegt und mit dem Entzug des Sorgerechts für ihre Kinder und der Trennung von ihnen neben der strafrechtlichen Sanktionierung auch weitere erhebliche Folgen zu tragen hat. Auch bei ... konnte die tatbedingt erfolgte Anlage der PEG-Sonde – mit Ausnahme einer Narbe an der Operationsstelle – ohne feststellbare körperliche und seelische Folgeschäden rückgängig gemacht werden.
386Zu Lasten der Angeklagten war hingegen zu bewerten, dass ... tatbedingt über einen Zeitraum von mehr als 9 Monaten eine PEG-Sonde hat tragen müssen und im Tatzeitpunkt mit nur gut 8 Monaten in einem Alter ganz deutlich unterhalb der Schutzgrenze des § 225 Abs. 1 StGB und damit ganz besonders wehrlos war. Schließlich war auch hier zu berücksichtigen, dass die Angeklagte tateinheitlich eine gefährliche Körperverletzung mitverwirklicht hat.
387Nach Abwägung aller für und gegen die Angeklagte sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte erachtet die Kammer zur Ahndung der Tat eine
388Einzelfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten
389für tat- und schuldangemessen.
3903.
391Schließlich ist die Kammer auch zur Bemessung der Einzelstrafe der Misshandlung Schutzbefohlener in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Lasten von ... (II 3 b) bb) Vorenthaltung der vorgesehenen Nahrungsgaben) vom Regelstrafrahmen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB ausgegangen, der Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren vorsieht. Ein minder schwerer Fall im Sinne des § 225 Abs. 4 StGB lag auch hier ersichtlich nicht vor. Die Kammer hat von der Strafmilderungsmöglichkeit bei einem Unterlassungsdelikt gemäß §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB keinen Gebrauch gemacht. Denn bei Vornahme der gebotenen wertenden Gesamtbetrachtung war der Unrechts- und Schuldgehalt des Unterlassens im vorliegenden Fall – dem Quälen ... durch Unterlassen der erforderlichen Nahrungszufuhr – nicht als geringer zu bewerten, als ebenjenes Verhalten durch ein aktives Handeln.
392Bei der konkreten Strafzumessung hat die Kammer zu Gunsten der Angeklagten neben den oben bereits erörterten Umständen – fehlende strafrechtliche Vorbelastung, längeres Zurückliegen der Tat und weitergehende Folgen durch die Trennung von ihren Kindern – auch hier bewertet, dass ... keinerlei feststellbare tatbedingte Folgeschäden erlitten und aufgrund ihres seinerzeit jungen Alters auch keine präsenten Erinnerungen mehr an das Tatgeschehen hat.
393Zu Lasten der Angeklagten war hingegen zu bewerten, dass sich die Tat über einen erheblichen Zeitraum von etwa 7 Wochen, der zeitlich über das für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des „Quälens“ Erforderliche hinausgeht, erstreckte. Auch hier war die sich aus dem besonders jungen Alter von zuletzt 10 Monaten in besonderem Maße ergebende Wehrlosigkeit des Säuglings wiederum erschwerend zu berücksichtigen. Schließlich war auch hier zu würdigen, dass die Angeklagte tateinheitlich eine gefährliche Körperverletzung mitverwirklicht hat.
394Nach Abwägung aller für und gegen die Angeklagte sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte erachtet die Kammer zur Ahndung der Tat eine
395Einzelfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten
396für tat- und schuldangemessen.
3974.
398Ferner war nach § 55 Abs. 1 S. 1 StGB die noch nicht erledigte Geldstrafe von 50 Tagessätzen aus dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Paderborn vom 13.10.2021, Az. 72 Cs – 23 Js 86/21 – 394/21, einzubeziehen, da die vorliegend abzuurteilenden Taten vor dieser Entscheidung begangen wurden.
3995.
400Unter Berücksichtigung und nochmaliger Abwägung aller für und gegen die Angeklagte sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte war gemäß § 54 Abs. 1 S. 2 StGB aus den Einzelstrafen eine Gesamtstrafe zu bilden, durch Erhöhung der verwirkten höchsten Einzelstrafe. Die Kammer hat es für geboten gehalten, die Einsatzstrafe lediglich moderat zu erhöhen, da die beiden zu Lasten von ... begangenen Taten einen engen zeitlichen und situativen Zusammenhang aufweisen.
401Die Kammer erachtet insgesamt eine
402Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten
403einerseits für tat- und schuldangemessen, andererseits für erforderlich und ausreichend, um der Angeklagten das Unrecht ihrer Taten vor Augen zu führen und sie von weiteren Straftaten abzuhalten.
404VI.
405Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf den §§ 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 S. 1 StPO.
406... ...