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Die Beschwerde des Betroffenen vom 19.08.2022 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lippstadt vom 15.08.2022 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Behandlung bereits vor Ablauf von vier Monaten zu beenden ist, wenn das Behandlungsziel erreicht ist oder die erwartete Besserung nicht eintritt oder unverzüglich, wenn schwerwiegende Nebenwirkungen einen Abbruch der Behandlung erforderlich machen.
Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit aus dem amtsgerichtlichen Beschluss vom 15.08.2022 wird aufgehoben.
Dieser Beschluss wird erst mit Rechtskraft wirksam.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Der Betroffene leidet unter einer chronifizierten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, am ehesten eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie, mit früher Manifestation.
4Er befindet sich seit dem 20.04.2012 in der Unterbringung in dem LWL-Zentrum für Forensische Psychiatrie M aufgrund des Urteils des Landgerichts Dortmund, das seit dem 05.06.2012 rechtskräftig ist (Az: 39 KLs-190 Js 150/09-20/12). Hinsichtlich der Feststellungen des Urteils im Einzelnen wird Bezug genommen auf Bl. 61-74 d. A. Die Unterbringung dauert fort.
5Bereits vor und nach der Aufnahme in der Unterbringungseinrichtung ist der Betroffene mediziert worden (600 mg Quetiapin (Seroquel), 300 mg Trevilor und 0,5 mg Tavor). Im Juli 2012 ereignete sich ein körperlicher Übergriff auf einen Mitpatienten. Nach dem Vorfall zeigte der Betroffene sich psychisch (trotz bestehender Medikation mit Neuroleptika und Benzodiazepinen) unter schwerster Anspannung, am ganzen Körper zitternd und schwitzend, bebend, dabei in sehr dezidierter Weise wiederholt Drohungen ausstoßend. Entsprechende Ankündigungen von Gewalt wiederholte er auch zu späteren Zeitpunkten, schwächte diese aber zusehend ab, forderte auch in höherem Maße eine einzeltherapeutische Anbindung und damit verbunden die Bearbeitung seiner selbst als solcher wahrgenommenen „Probleme“ ein. Die Verlegung in die Abteilung für Psycho- und
6Soziotherapie erfolgte am 18.12.2012. Die Medikation mit Seroquel wurde reduziert. Aggressive Impulse waren nach der Verlegung nicht mehr wahrzunehmen. Er zog sich aus einzeltherapeutischen Gesprächen vermehrt zurück und war schließlich nicht mehr bereit, diese Gespräche fortzusetzen. Seit Januar 2014 hatte der Betroffene die psychotherapeutischen Einzelgespräche mit dem zuständigen Mitarbeiter abgelehnt und lediglich den Kontakt zu den pflegerischen Mitarbeitern gesucht. Nach einer erneuten Verlegung im November 2015 meldete er unmittelbar psychotherapeutischen Gesprächsbedarf an und nutzte diesen zuverlässig und regelmäßig. Insgesamt gelang es, eine tragfähige therapeutische Beziehung zu dem Betroffenen aufzubauen. Er äußerte den Wunsch nach einem Doppelzimmer. Seit dem 25.07.2015 verfügte der Betroffene über Lockerungen in Form von begleiteten Ausgängen. Im September 2015 wurde das Neuroleptikum Seroquel vollständig abgesetzt. Anfang 2016 kam es erneut zu zwei Verlegungen innerhalb der Unterbringungseinrichtung. Dort zeigte der Betroffene erneut Rückzugstendenzen im Stationsalltag und verbrachte viel Zeit auf seinem Zimmer. Auch kam es gelegentlich zu Fehlzeiten in der Arbeitstherapie. Das Absetzen der Neuroleptika begünstigte eine Verschlechterung der Symptomatik. Er verschloss sich zunehmend. Im Juni 2016 nutzte er seinen begleiteten Ausgang, um der Bezugstherapeutin vom Tabakgeschäft aus ein Fax zu schicken, in welchem er ohne weitere Begründung die Zusammenarbeit mit ihr beendete. Die folgenden Gesprächstermine ließ er verstreichen, ohne sich bei der Bezugstherapeutin abzumelden. Die Ausgänge wurden vorübergehend ausgesetzt. Im August 2016 erfolgte eine erneute Verlegung, um einen neuen therapeutischen Versuch zu starten. Im Dezember 2016 wurde der Betroffene erneut verlegt. Die Sitzungen dort waren zunächst von feindseligen, misstrauischen Denkstrukturen geprägt. Eine diagnostische Neuorientierung wurde vorgenommen, da der Betroffene mit seiner Diagnose nicht einverstanden war und im Behandlungsverlauf verschiedene, sich teilweise widersprechende Diagnosen vergeben wurden. Er fühlte sich durch die neue Diagnose – rezidivierende depressive Störung mit synthemen psychotischen Symptomen i. S. einer wahnhaften Symptomatik – gut beschrieben. Danach sagte er allerdings erneut das nächste
7Gespräch zunächst aus gesundheitlichen Gründen ab und in einem weiteren Gespräch im neuen Jahr teilte er mit, dass er sich endgültig entschieden habe, keine Therapie mehr in Anspruch nehmen zu wollen. Im April 2017 kam es erneut zu einem
8Therapeutenwechsel, aber er lehnte das regelmäßige Angebot eines therapeutischen Gesprächs ab. Im Mai 2017 erfolgte eine Rückverlegung. Im Stationsalltag war eine deutliche Tendenz zur Selbstisolation zu erkennen. Ab September 2018 wurden dem Betroffenen 1:1-Ausgänge gewährt. Im Jahr 2019 kam es erneut zu einem Therapeutenwechsel. Der Betroffene erklärte der neuen zuständigen Therapeutin, dass er keine Gespräche führen wolle und keine Therapie brauche. Es wurde deutlich, dass der Betroffene störungsbedingt eine von Misstrauen geprägte Wahrnehmung zeigte, bei der er Aussagen bzw. Handlungen der Therapeutin schnell als feindlich oder abwertend interpretierte. Er vermied den Kontakt zu der Bezugstherapeutin und auch in den sporadisch stattfindenden pflegerischen Gesprächen erklärte er, kein Vertrauen zu haben und keine Therapie zu brauchen. Er äußerte mehrfach den Wunsch auf ein Einzelzimmer. Nachdem der Zimmernachbar verlegt worden war, bewohnte er das Zimmer zunächst für ein paar Wochen alleine. Nach der Ankündigung, dass das Zweibettzimmer nun wieder mit einem weiteren Patienten belegt werden solle, drohte er „auszurasten“. Nach einer Verlegung im Januar 2020 bewohnte er wieder ein Einzelzimmer. Weiterhin mied er Kontakte zum Behandlungsteam. Er nahm die Gespräche mit der Bezugspflege und der Bezugstherapeutin nicht wahr und lehnte sie ab, wenn er im Rahmen der Gesprächsangebote aufgesucht wurde. Auch reagierte er bei den 14-tägig stattfindenden Oberarztvisiten gereizt und schlug dem Behandlungsteam die Zimmertür vor der Nase zu. Während der 1:1-Ausänge zeigte er sich stets angepasst und absprachefähig im Kontakt. Bis heute ist er aber nicht bereit, wieder an den psychotherapeutischen Maßnahmen und Angeboten teilzunehmen. Durch eine erneute Verlegung wurde ihm die Möglichkeit gegeben, einen „Neuanfang“ zu starten. Im Jahr 2020 kam es insgesamt zu zwei Wechseln in der Bezugstherapie, was einen kontinuierlichen Beziehungsaufbau und eine therapeutische Auseinandersetzung erschwerte bei aber unverändert fortgeführter Ablehnung jeglichen therapeutischen Kontakts. Auch 2021 lehnte er weiterhin die therapeutischen Gespräche konsequent ab. Die Bezugstherapeutin versuchte durch Kurzkontakte auf der Station und durch aktives Aufsuchen im Einzelbettzimmer, einen Zugang zu finden. Ein Aufbau der therapeutischen Beziehung war nicht möglich. Als Auslöser der ablehnenden Haltung sieht das Gesamtbehandlungsteam neben den häufigen Therapeutenwechseln und den damit einhergehenden Kränkungsgefühlen die voranschreitende Chronizität der wahnhaft psychotischen Symptomatik, die durch das Ablehnen der indizierten neuroleptischen Medikation begünstigt wurde. Am 11.04.2021 kam es anlasslos zu einem fremdaggressivimpulsiven Verhalten gegenüber der ihn versorgenden, Essen verteilenden Mitarbeiterin des Pflege- und Erziehungsdienstes. Es erfolgte eine Absonderung.
9Auch in der Folge kam es wiederholt zu unangemessenem, verbal-übergriffigem Verhalten durch den Betroffenen, so z. B. am 19.01.2022.
10Nach zunehmender gesundheitlicher Dekompensation des Betroffenen beantragte die Beteiligte zu 3) unter dem 14.07.2022 (Bl. 34-60 d. A.) die vorherige richterliche Entscheidung (Erlaubnis) zu einer angedachten Zwangsbehandlungsmaßnahme des Betroffenen für vier Monate. So sei der Betroffene in der Gesamtschau des vergangenen Behandlungszeitraums für die Behandelnden nicht einschätzbar geblieben. Von 2012 bis 2015 habe der Betroffene noch in regelmäßigem und scheinbar therapiemotiviertem Kontakt zu den Behandlern gestanden. Seit 2016 sei eine Expansion von paranoiden, misstrauischen Tendenzen und erheblicher psychomotorischer Anspannung beschrieben worden. Im Hinblick auf die Dauermedikation während der gesamten Unterbringung sei festzustellen, dass der Betroffene von 2012 bis 2015 eine antipsychotische Medikation erhalten habe und diese schließlich seit September 2015 nicht mehr eingenommen habe. Die beschriebene Entwicklung deute auf eine Response auf antipsychotische Neuroleptika hin, welche es dem Betroffenen ermöglicht habe, sich auf eine therapeutische Behandlung einzulassen. Nach Absetzen sei wahrscheinlich die floride wahnhaft-psychotische Symptomatik zurückgekehrt. Es hätten keine Verbesserungen durch soziomilieutherapeutische Maßnahmen erzielt werden können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Antrag verwiesen.
11Das Amtsgericht hörte den Betroffenen zunächst am 15.07.2022 an und beschloss am selben Tag (Bl. 29-31) in Verbindung mit dem Beschluss vom 29.07.2022 (Bl. 86 f. d. A.) die Einholung eines fachärztlichen Sachverständigengutachtens durch die Fachärztin Frau U und die Bestellung des Beteiligten zu 2) zum Verfahrenspfleger für den Betroffenen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll (Bl. 28 d. A.) und die beiden Beschlüsse verwiesen.
12Nach Vorlage des Sachverständigengutachtens vom 08.08.2022 (Bl. 93-141 d. A.) der Sachverständigen U (u. a. Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie), auf das ebenfalls verwiesen wird, meldete sich der Verfahrensbevollmächtigte mit Schreiben vom 10.08.2022 (Bl. 143 d. A.) zur Akte und bat um Akteneinsicht. Ausweislich der Verfügung des Amtsgerichts vom 11.08.2022 (Bl. 143 d. A.) befand sich die Akte zu diesem Zeitpunkt noch bei der Sachverständigen, sodass Akteneinsicht zunächst nicht gewährt werden konnte.
13Unter dem 12.08.2022 terminierte der zuständige Amtsrichter eine Anhörung des Betroffenen auf den 15.08.2022, 14:00 Uhr. Insoweit wird auf Bl. 147 f. d. A. verwiesen. Ausweislich der Faxberichte (Bl. 150 und 152 d. A.) erreichte den Betroffenen die Ladung bzw. die Terminsnachricht den Verfahrensbevollmächtigten jeweils am 12.08.2022 um 15:21 Uhr. Dem Beteiligten zu 2) wurde neben der Ladung auch eine Ablichtung des Gutachtens übersandt.
14Der Betroffene erhielt das Gutachten dem Protokoll vom 15.08.2022 zufolge zu Beginn der Anhörung. Insoweit wird auf Bl. 154 d. A. verwiesen. Den Antrag hatte er gemäß des ersten Protokolls vom 15.07.2022 bereits an diesem Tag erhalten. Im Rahmen der Anhörung vom 15.08.2022 erklärte der Betroffene nach Erhalt des Gutachtens, dass ihm die Einzelheiten der beabsichtigten Medikation bekannt seien, er sich im Übrigen aber nicht äußern wolle und für ein weitergehendes Gespräch nicht zur Verfügung stehe.
15Nach dieser persönlichen Anhörung durch das Amtsgericht genehmigte dieses mit Beschluss vom 15.08.2022 (Bl. 155-159 d. A.) die zwangsweise Behandlung des
16Betroffenen bis zum 08.12.2022. Die Genehmigung erfolgt zur Behandlung mit Zypadhera bis zu 300 mg intramuskulär 14-tägig oder – bei Auftreten von Nebenwirkungen – Haldol bis zu 150 mg intramuskulär 14-tägig, jeweils einschließlich der notwendigen Begleituntersuchungen wie EKG-Ableitung oder Blutentnahme. Die Zwangsbehandlung ist ausschließlich von einem Arzt durchzuführen und zu dokumentieren. Die sofortige Wirksamkeit wurde angeordnet. Auf den Beschluss im Übrigen wird verwiesen.
17Mit Schreiben vom 16.08.2022 (Bl. 163 d. A.) hat der Verfahrensbevollmächtigte die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gerügt. Wegen der genauen Einzelheiten wird auf das Schreiben verwiesen.
18Der Beteiligte zu 2) nahm unter dem 17.08.2022 (Bl. 169 f. d. A.) Stellung. Auch auf dieses Schreiben wird verwiesen.
19An diesem Tag wurde dem Betroffenen auch der Beschluss vom 15.08.2022 zugestellt.
20Gegen den Beschluss vom 15.08.2022 hat der Verfahrensbevollmächtigte mit Schreiben vom 19.08.2022 (Bl. 176-178 d. A.) Beschwerde eingelegt und den Antrag gestellt, die „aufschiebende Wirkung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes wiederherzustellen“. Sein Begehren hat er mit Schreiben vom 21.08.2022 (Bl. 182 f.
21d. A.) nach erfolgter Akteneinsicht weiter begründet. Auf beide Schreiben wird Bezug genommen.
22Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 22.08.2022 (Bl. 186-188 d. A.) nicht abgeholfen und sie der Kammer zur Entscheidung vorgelegt. Wegen der Begründung wird auf den Beschluss verwiesen. Im Zuge dessen wurde dem Verfahrensbevollmächtigten das Sachverständigengutachten übermittelt.
23Die Beteiligten erhielten Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme im Beschwerdeverfahren bis 02.09.2022. Die Beteiligten zu 2) und 3) erhielten Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme im Rahmen des
24Aussetzungsverfahrens. Die Beteiligte zu 3) teilte unter dem 30.08.2022 (Bl. 251 f. d. A.) mit, dass die Beschwerde dort bekannt sei, und vor diesem Hintergrund bislang davon abgesehen habe, die gegenständliche Zwangsmedikation durchzuführen. Es werde das Hauptsacheverfahren abgewartet. Darauf hat die Kammer bei dem Verfahrensbevollmächtigten angefragt, ob er den Antrag auf einstweilige Aussetzung der Zwangsbehandlung zurückgenommen wird. Mit Schreiben vom 02.09.2022, bei der Kammer nach Dienstschluss eingegangen, und 03.09.2022 hat der Verfahrensbevollmächtigte erneut Stellung genommen und den Antrag auf einstweilige Aussetzung der Zwangsbehandlung nicht zurückgenommen. Wegen der weiteren Begründung wird auf die beiden Schreiben verwiesen.
25Die Beteiligte zu 3) hat unter dem 02.09.2022 (Bl. 256-259 d. A.) Stellung genommen. Auch auf das Schreiben wird verwiesen.
26II.
27Die gem. §§ 58, 59, 63, 64 FamFG zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Betroffenen über seinen Verfahrensbevollmächtigten ist in der Sache nicht begründet. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen für die Genehmigung einer Zwangsmedikation nebst leitlinienkonformer Begleitdiagnostik sind auch nach Ansicht der Kammer gegeben.
28Im vorliegenden Fall richten sich die Voraussetzungen der Genehmigung der ärztlichen Zwangsmaßnahme nach § 10 Abs. 1 bis 5 StrUG NRW, da der Betroffene gem. § 63 StGB untergebracht ist.
29Eine vorherige richterliche Entscheidung im Sinne des § 10 Abs. 5 S. 1 StrUG wurde unter dem 14.07.2022 beantragt. Ein externes Gutachten wurde entgegen der Ansicht der Beschwerde eingeholt und auch durch die Fachärztin U erstattet. Das Amtsgericht Lippstadt ist auch zuständig. Dies folgt nach der Gesetzesänderung zum 31.12.2021 aus § 10 Abs. 5 S. 2 StrUG in Verbindung mit §§ 121a, 121b StVollzG. Gem. § 121a Abs. 1 StVollzG ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Maßnahme vollzogen werden soll – hier damit das Amtsgericht Lippstadt. Gem. § 121b StVollzG richtet sich das Genehmigungsverfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, FamFG. Abs. 1 S. 3 bestimmt die Zuständigkeit der hiesigen Beschwerdekammer des Landgerichts Paderborn, als das dem Amtsgericht übergeordnete Landgericht.
30Auch in der Sache liegen die Voraussetzungen entgegen der Ansicht der Beschwerde vor. Gem. § 10 Abs. 1 S. 1 StrUG ist, wenn die untergebrachte Person infolge ihrer Anlasserkrankung nicht einsichtsfähig ist und die mit einer Behandlung verbundene Chance auf Besserung nicht erkennen oder nicht ergreifen kann, ausnahmsweise eine ihrem natürlichen Willen widersprechende ärztliche Zwangsmaßnahme zulässig. Nach S. 2 darf eine solche Zwangsmaßnahme ausschließlich mit dem Ziel vorgenommen werden, bei der untergebrachten Person die Einsichtsfähigkeit als tatsächliche Voraussetzungen zur Ausübung freier Selbstbestimmung zu schaffen oder wiederherzustellen.
31Zunächst hat die Kammer keine Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Auch die von der Beschwerde vorgebrachten Einwendungen ändern daran nichts.
32Der Betroffene, der eine medikamentöse Behandlung vehement ablehnt, leidet unter einer chronifizierten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, am ehesten an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie, mit früher Manifestation, die allerdings nicht zur richtigen Diagnose und damit verbunden nicht zu der erforderlichen medikamentösen Behandlung geführt hat, einhergehend mit schweren Folgeschäden in persönlicher, beruflicher und sozialer Hinsicht, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Persönlichkeitsdeformität i. S. eines schizophrenen Residuums geführt hat und mit Störungen der Affektivität, des Antriebs, der Kontakt- und Beziehungsfähigkeit, der Kritik- und Urteilsfähigkeit, der sozialen Kompetenz, des Realitätsbezuges, Störungen des inhaltlichen Denkens, fehlender Krankheits- und Behandlungseinsicht, innerer Anspannung, abweisendem, therapeutischen Angeboten gegenüber verweigerndem Verhalten und sehr ausgeprägtem Rückzugsverhalten sehr wahrscheinlich zur Reizabschirmung bei reduzierter Belastbarkeit, leichter Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit und Ängstlichkeit einhergeht. Diese Diagnose stellt die Sachverständige U. Die Kammer hat keine Veranlassung, an den umfangreichen und nachvollziehbaren sachverständigen Feststellungen zur Diagnose zu zweifeln und folgt diesen uneingeschränkt. Es liegt auch kein reines Gutachten nach Aktenlage vor. Auch handelt es sich entgegen der Beschwerde um ein Gutachten. Zwar brach die Sachverständige die Exploration aufgrund der Weigerung des Betroffenen ab. §§ 280 Abs. 2, 321 FamFG verlangen aber nicht, dass vor der Erstattung des Gutachtens ein verbaler Kontakt zwischen dem Betroffenen und dem Gutachter hergestellt werden konnte. Der Gutachter ist nicht gehindert, im Falle einer durch den Betroffenen verweigerten Kommunikation aus seinem Gesamtverhalten in Verbindung mit anderen Erkenntnissen Schlüsse auf ein bestimmtes Krankheitsbild zu ziehen (vgl. hierzu etwa BGH, Beschluss vom 27.04.2016 – XII ZB 611/15 –, Rn. 8, juris). Im vorliegenden Fall hat zwar keine körperliche Untersuchung stattgefunden, weil der Betroffene dies ablehnte. Die Sachverständige hatte den Betroffenen jedoch in seinem Zimmer mit zwei Mitarbeitern der Klinik aufgesucht. Auf das Klopfen an der Tür hat sich der Betroffene gemeldet und gemeint, er könne jetzt nicht. Er hatte sich zu diesem Zeitpunkt in der Nasszelle seines Zimmers aufgehalten. Die Gutachterin hat sodann einige Minuten vor der Tür gewartet. Beim erneuten Versuch, Kontakt aufzunehmen, hat der Betroffene deutlich gereizt aus der Nasszelle bei geschlossener Tür reagiert und mitgeteilt, er wolle sich nicht begutachten lassen. Die Gutachterin hat sodann versucht, den Betroffenen zu motivieren, die Tür für eine kurze Besprechung und für seine Aufklärung über den Grund des Besuches der Gutachterin zu öffnen, ohne Erfolg. Es lief Wasser. 50 Minuten später wurde der Betroffene noch einmal in seinem Zimmer aufgesucht. Das fließende Wasser war immer noch zu hören. Auf das Klopfen des Mitarbeiters an der Tür hat sich der Betroffene mit der Frage „Was ist denn?“ gemeldet. Auf den Hinweis, es gehe immer noch um die Begutachtung und die Gutachterin warte auf ihn, hat der Betroffene erneut mitgeteilt, er würde sich nicht begutachten lassen. Auch auf das Klopfen der Gutachterin mit der Bitte um ein kurzes Gespräch hat der Betroffene im gereizten Ton wiederholt, er lasse sich nicht begutachten. Der Gutachterin wurde berichtet, dass es sich um ein typisches Verhalten des Betroffenen handele. Damit hat sich die Sachverständige einen – wenngleich auf einen kurzen Augenblick beschränkten – persönlichen Eindruck von dem Betroffenen verschafft. Wenn die Sachverständige diesen persönlichen Eindruck im Zusammenhang mit den zur Verfügung stehenden Unterlagen sowie den Angaben der Mitarbeiter als eine ausreichende Grundlage angesehen hat, um sich ein eigenständiges Bild von dem Betroffenen zu machen, welches ihr eine gutachterliche Einschätzung ermöglichte, so ist das aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl.: BGH, Beschluss vom 27.04.2016 – XII ZB 611/15 –, Rn. 9, juris). Zudem reicht es aus, wenn der Betroffene mit Beginn der Exploration Kenntnis von der Beauftragung des Sachverständigen erlangt (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom
3302.09.2015 – XII ZB 226/15, Rn. 22-24).
34Der Betroffene ist im Sinne des § 10 Abs. 1 StrUG infolge seiner Anlasserkrankung nicht einsichtsfähig und kann die mit einer Behandlung verbundene Chance auf Besserung nicht erkennen oder nicht ergreifen. Dies folgt aus den Feststellungen der Sachverständigen U in ihrem Gutachten, denen die Kammer ebenfalls folgt. Die Sachverständige führt insoweit aus, dass der Betroffene aufgrund seiner psychischen Erkrankung und den damit verbundenen erheblichen Defiziten nicht in der Lage ist, sein Selbstbestimmungsrecht selbst auszuüben bzw. seinen freien Willen frei zu bestimmen. Der Betroffene befinde sich in einem die freie
35Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit und sei infolge seiner psychischen Erkrankung nicht ansatzweise einsichtsfähig und nicht in der Lage, die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu erkennen und interessengerecht zu handeln. Er sei krankheitsbedingt nicht einwilligungsfähig.
36Vorliegend soll die Zwangsbehandlung des Betroffenen nach der Antragsbegründung zudem ausschließlich das Ziel verfolgen, die Herstellung der Selbstbestimmung zu erreichen. Auch die Sachverständige führt aus, dass die Zwangsbehandlung unumgänglich ist, um den Betroffenen im Ergebnis in die Lage zu versetzen, von weiteren therapeutischen Angeboten überhaupt profitieren zu können und konstruktiv an der Gestaltung seiner Zukunft mitzuarbeiten und eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. Zudem sei die beantragte Zwangsmaßnahme ohne Alternative die einzige Option, um bei dem Betroffenen die Einsichtsfähigkeit als Voraussetzung zur Ausübung freier Selbstbestimmung wieder herzustellen. Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 StrUG sind damit gegeben.
37Dass die externe Sachverständige der Ansicht der Unterbringungseinrichtung folgt, führt entgegen der Ansicht der Beschwerde auch dazu, dass es sich nicht lediglich um einen „Meinungsstreit“ zwischen dem behandelnden Psychiater und dem
38Betroffenen handelt.
39Ausweislich der Angaben in der Antragsschrift liegt eine Patientenverfügung gem. § 1901a BGB nicht vor. Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich oder sonst im Verfahren vorgetragen worden, die auf die Existenz einer solchen hinweisen.
40Die weiteren Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 StrUG liegen ebenfalls zur Überzeugung der Kammer vor. Eine ärztliche Zwangsmaßnahme darf danach nur als letztes Mittel und nur durchgeführt werden, wenn
411. die vorgesehene Behandlung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, in Art, Umfang und Dauer erforderlich und für die Beteiligten zumutbar ist,
422. der für die untergebrachte Person zu erwartende Nutzen die mit der ärztlichen Zwangsmaßnahme einhergehenden Belastungen deutlich überwiegt und eine weniger eingreifende Behandlung aussichtslos ist,
433. die Behandlung nicht mit mehr als einem vernachlässigbaren Restrisiko irreversibler Gesundheitsschäden verbunden ist,
444. mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung von Druck durch eine überzeugungsfähige und -bereite Person unternommenen Versuche vorausgegangen sind, die Zustimmung der untergebrachten Person zu erreichen und
455. die untergebrachte Person durch eine Ärztin oder einen Arzt über das Ob und das Wie der vorgesehenen ärztlichen Zwangsmaßnahme entsprechend ihrer Verständnismöglichkeit aufgeklärt wurde.
46Die Sachverständige U führt in ihrem Sachverständigengutachten insoweit aus, dass für die Gabe der beantragten Medikation aufgrund der psychischen Verfassung des Betroffenen im Rahmen seiner psychischen Erkrankung eine dringende therapeutische Indikation besteht. Die Zwangsbehandlung sei unumgänglich, um einer weiteren Chronifizierung und zunehmender
47Residualsymptomatik und damit verbundenen weiteren Verlusten in persönlicher und sozialer Hinsicht mit den damit verbundenen Einschränkungen der Lebensqualität entgegenzuwirken, um die krankheitsbedingte Dysfunktionalität des Verhaltens mit erheblichen Absonderungs- bzw. Isolierungs- bzw. Rückzugstendenzen zu durchbrechen, um den Betroffenen in die Lage zu versetzen, von weiteren therapeutischen Angeboten überhaupt profitieren zu können. Die vorgesehene Behandlung hat nach den weiteren Ausführungen der Sachverständigen auch ausreichende Aussicht auf Erfolg und ist zumutbar. Die Sachverständige schildert, dass der Betroffene schon zu der Gruppe psychisch kranker Menschen gehöre, die von einer Behandlung mit Neuroleptika bzw. Antipsychotiker deutlich profitieren könnten. Er habe in der Vergangenheit (2012-2015) nachweislich von verordneten Psychopharmaka profitiert, auch wenn es utopisch wäre, eine vollständige Remission der Erkrankung zu erwarten. Bei dem Betroffenen sei es bereits aufgrund seiner verweigernden Haltung zu einer Chronifizierung der Erkrankung gekommen; nach Einschätzung der Sachverständigen werde ein längerer Zeitraum benötigt, um eine ausreichende Besserung und Stabilisierung in psychischer Hinsicht erzielen zu können. Der Betroffene habe die verordneten Medikamente in der Vergangenheit offensichtlich gut vertragen, jedenfalls seien keine Nebenwirkungen der ausführlichen Dokumentation der Klinik zu entnehmen. Er habe in der Vergangenheit in der Form von der Medikation profitiert, dass er kontaktfähiger, zugänglicher, einsichtiger und therapiefähiger gewesen sei. Die Sachverständige empfiehlt konkret eine Medikation mit der Gabe des Medikaments Olanzapinpamoat (Zypadhera) 300 mg intramuskulär 14-tägig oder bei dem Auftreten von Nebenwirkungen unter Olanzapinpamoat Medikationsumstellung auf Haldol 150 mg intramuskulär 14-tägig einschließlich der notwendigen Begleituntersuchungen wie EKG-Ableitung und Blutentnahme.
48Die Kammer folgt den umfangreichen Ausführungen der Sachverständigen auch insoweit.
49Keinen Bedenken begegnet darüber hinaus die beantragte und vom Amtsgericht genehmigte Dauer der Behandlung mit bis zu 4 Monaten, da die Erkrankung nach den fachärztlichen Feststellungen bereits chronifiziert ist und es daher eines längeren Zeitraums bedarf, bis sich eine ausreichend Krankheits- und Behandlungseinsicht eingestellt hat. Sie wahrt auch die Höchstfrist des § 10 Abs. 9 StrUG. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung zur Berechnung der Dauer der Unterbringung nach dem BGB beginnend ab dem Tag der Gutachtenerstattung war der Beschluss daher auf den 08.12.2022 zu befristen.
50Im Sinne der Ziffer 2 überwiegt der für den Betroffenen zu erwartende Nutzen zudem die mit der ärztlichen Zwangsmaßnahme einhergehenden Belastungen deutlich. Die Sachverständige führt aus, dass der zu erwartende Nutzen ausdrücklich überwiegt und in keinem Vergleich zu den möglichen Beeinträchtigungen durch die Medikation steht. Die fehlende Compliance hat in der Vergangenheit eine medikamentöse Behandlung verhindert und zu schwerer Chronifizierung der Erkrankung und zu erheblichen Verlusten in persönlicher, sozialer und beruflicher Hinsicht geführt. Eine Zwangsmedikation sei zum Wohle des Betroffenen notwendig, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden, weil der Betroffene verordnete Psychopharmaka entschieden ablehne, seine psychische Verfassung im Verlauf der letzten Jahre sich weiter verschlechtert habe einhergehend mit erheblichen Verlusten der Lebensqualität. Der Betroffene lebe in der selbstgewählten Isolierung in seinem Raum bis auf wenige kurze Kontakte zu den Mitarbeitenden der Klinik und seinen Mitpatienten. Dieser Zustand sei nicht hinnehmbar, zumal Schreckhaftigkeit und
51Ängstlichkeit darauf hinweisen würden, dass der Betroffene unter seiner aktuellen Befindlichkeit und der Organisation seines Lebens leide, ohne ansatzweise in der Lage zu sein, konstruktiv an seiner Lebens- und Zukunftsgestaltung mitzuarbeiten. Weniger eingreifende Maßnahmen stünden nicht zur Verfügung. Der Betroffene lehne sämtliche Angebote ab. Er sei krankheitsbedingt nicht in der Lage, sich mit seiner Erkrankung, mit der Notwendigkeit der medikamentösen Behandlung und mit den negativen Folgen beim Ausbleiben der Behandlung auseinanderzusetzen, sich mit den Behandlern adäquat über seine Erkrankung sowie seine Situation auszutauschen und konstruktiv bei der Planung seiner Zukunft mitzuwirken. Seine Verweigerung bei fehlender Krankheits- und Behandlungseinsicht, verordnete
52Medikation einzunehmen, habe in der Vergangenheit eine Optimierung der Medikation verhindert und zur Chronifizierung der Erkrankung geführt. Einer weiteren negativen Entwicklung könne nur durch die Sicherstellung der erforderlichen Medikation entgegengewirkt werden.
53Nach den fachärztlichen sachverständigen Feststellungen ist die Behandlung nicht mit mehr als einem vernachlässigbaren Restrisiko irreversibler Gesundheitsschäden verbunden. Denn der Betroffene werde im Verlauf der Maßnahme unter ärztlicher Überwachung bleiben. Dazu gehörten leitliniengerechte regelmäßige Blutabnahmen zur Überprüfung der Hämatologie, des Blutzuckers, der Blutfette, der Leber- und Nierenfunktion, des Prolaktinspiegels, aber auch der Pharmaka-Spiegel, um mögliche nachteilige Entwicklungen, eine mögliche Unter- oder Überdosierung rechtzeitig festzustellen und dem entgegenzuwirken. Ebenfalls seien EKGVerlaufskontrollen, pro Behandlungszyklus mindestens einmal, bei Bedarf bei beklagten Beschwerden auch mehrfach, erforderlich. Wenn diese Maßnahmen sichergestellt seien, sei die Behandlung, so die Sachverständige, nicht mehr als mit einem vernachlässigbaren Restrisiko irreversibler Gesundheitsschäden verbunden. Unabhängig davon wird durch die Regelung in § 10 Abs. 9 S. 2 StrUG sichergestellt, dass bei eintretenden Problemen ein sofortiger Abbruch erfolgt.
54Ausweislich der Darstellungen in der Antragsschrift – die mangels anderweitiger
55Anhaltspunkte nicht in Zweifel zu ziehen sind – wurde auch mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung von Druck wiederholt über einen längeren Zeitraum versucht, den Betroffenen von einer freiwilligen Einnahme der Medikamente zu überzeugen. Mitgeteilt werden Gespräche am 15.10.2021, 26.01.2022, 31.01.2022,
5628.02.2022 und 07.03.2022. Auch im Rahmen der Beschwerde hat der Verfahrensbevollmächtigte mitgeteilt, dass der Betroffene die Medikation nicht einnehmen werde. Angesichts der nachhaltigen Weigerung des Betroffenen erweisen sich diese Versuche als ausreichend im Sinne der Ziffer 4.
57Wie sich dem Antrag entnehmen lässt, ist der Betroffene auch im Sinne der Ziffer 5 hinreichend aufgeklärt worden.
58Die nach § 10 Abs. 4 und 6 StrUG erforderliche Durchführung und Dokumentation der Behandlung wird im Tenor des amtsgerichtlichen Beschlusses angeordnet. In dem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, dass im Rahmen der Behandlung die Vorgaben der Absätze 6 und 7 zu beachten sind.
59Aus den vorstehenden Ausführungen folgt die Zulässigkeit der beantragten und tenorierten leitliniengerechten Begleitdiagnostik, Abs. 8.
60Der Beteiligte zu 2) hat gegen den amtsgerichtlichen Beschluss keine Einwände erhoben.
61Die Kammer hat von einer erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG abgesehen, weil der Betroffene zuletzt zeitnah vom Amtsgericht angehört worden ist und dort sowie in den Eingaben durch seinen Verfahrensbevollmächtigten im Rahmen des Beschwerdeverfahrens seinen Standpunkt dargelegt hat und zu dem Sachverhalt Stellung nehmen konnte. Das Sachverständigengutachten der Fachärztin U war ihm bereits bekannt. Der
62Betroffene erhielt es entgegen den Ausführungen in der Beschwerde zu Beginn der Anhörung, wie sich dem Protokoll vom 15.08.2022 entnehmen lässt. Hierzu ist er zudem angehört worden; hat aber erklärt, sich nicht äußern zu wollen. Auch wenn es dem Betroffenen – wie die Beschwerde richtigerweise vorträgt – nicht möglich ist, ein 47 Seiten umfassendes Gutachten innerhalb kurzer Zeit zu lesen und zu fassen, ist zu beachten, dass der Betroffene es dennoch, ohne eine entsprechende Bitte, Zeit zum Lesen zu bekommen, abgelehnt hat, sich vor dem Amtsrichter weiter zu äußern. Vielmehr hat er gesagt, dass er weiß, worum es gehe. Von einer erneuten persönlichen Anhörung sind keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten. Neue entscheidungserhebliche Tatsachen oder rechtliche Gesichtspunkte, die noch nicht in einer vorherigen Anhörung vorgebracht wurden, und die eine Anhörung erfordert hätten, sind mit der Beschwerde im Übrigen nicht vorgebracht worden (vgl. Sternal in Keidel: Kommentar zum FamFG, 20. Auflage 2020, § 68 Rn. 59, 59 a). So steht der Entscheidung entgegen der Beschwerdebegründung nicht entgegen, dass der Betroffene vor der Entscheidung keine Akteneinsicht gehabt hat. Ihm waren die wesentlichen Aktenbestandteile – der Antrag, die Beschlüsse betreffend die Gutachteneinholung und das Gutachten an sich – bekannt, wie sich der Akte und insbesondere den beiden Protokollen entnehmen lässt. Eine weitergehende Akteneinsicht hat er nicht beantragt. Soweit die Beschwerde rügt, dass keine ordnungsgemäße Anhörung im Beisein seines gewählten Rechtsanwalts stattgefunden habe und die beiden Anhörungen „überfallartig“ stattgefunden hätten, kann die Kammer auch insoweit keinen Verfahrensfehler des Amtsgerichts feststellen. Nach § 34 FamFG ist der Betroffene persönlich anzuhören. Über die erforderliche Ladung des anzuhörenden Beteiligten trifft § 34 FamFG keine Regelung. Deshalb ist § 33 Abs. 2 FamFG entsprechend anzuwenden. Die dort vorgesehene Benachrichtigung des Bevollmächtigten ist auch hier angezeigt, weil dem Beteiligten dessen Hinzuziehung wegen des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) bzw. unter dem Gesichtspunkt eines fairen Verfahrens nicht verwehrt werden darf (Keidel/Meyer-Holz, 20. Aufl. 2020, FamFG § 34 Rn. 33). Vorliegend wurde der Verfahrensbevollmächtigte durch das Amtsgericht am Freitag, 12.08.2022 über den Anhörungstermin informiert, sodass das Amtsgericht dem Erfordernis des § 33 Abs. 2 FamFG nachgekommen ist. § 32 Abs.
632 FamFG regelt, dass zwischen der Ladung und dem Termin eine angemessene Frist liegen soll. Die Norm sieht im Hinblick auf die vom Gesetzgeber gewollte Flexibilität von Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit keine bestimmte Frist zwischen Ladung und Termin vor. Vielmehr ist im Einzelfall zu entscheiden, welche Ladungsfrist angemessen ist. Dies richtet sich insbesondere nach dem Verfahrensgegenstand und der Dringlichkeit des Termins. Die Frist muss gewährleisten, dass sich die Beteiligten in der konkreten Verfahrenslage bei Beachtung ihrer Mitwirkungspflicht (§ 27 Abs. 1 FamFG) auf den Termin einstellen und vorbereiten können. Das gebietet der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Dieser ist aber gegen das aus Sachgründen gegebene Erfordernis einer beschleunigten Entscheidung abzuwägen (Keidel/Meyer-Holz, 20. Aufl. 2020, FamFG § 32 Rn. 13). Die Kammer folgt dem Amtsgericht im Rahmen des Nichtabhilfebeschlusses uneingeschränkt, dass sowohl für den Betroffenen als auch für den Verfahrensbevollmächtigten eine ausreichend lange Frist bestand. Der Betroffene wurde über das Faxgerät der Klinik am Freitag, den 12.08.2022, nachmittags über den am folgenden Montag um 14 Uhr stattfindenden Termin unterrichtet. Er hatte daher ausreichend Zeit, sich auf den Termin vorzubereiten, zumal er in dem Anhörungstermin angegeben hat, über das Erscheinen und den Grund bereits informiert worden zu sein. Dass er weitergehende Zeit benötige, um sich auf den Anhörungstermin vorzubereiten oder das Gutachten zu lesen, hat er nicht geäußert. Vielmehr hat er mitgeteilt, sich nicht weiter äußern zu wollen. Die Kammer folgt dem amtsgerichtlichen Nichtabhilfebeschluss auch insoweit, als dass die Ladung für den Verfahrensbevollmächtigten ebenfalls innerhalb einer angemessenen Frist i. S. d. § 32 Abs. 2 FamFG erfolgt ist. Der Verfahrensbevollmächtigte ist gehalten, sein Büro entsprechend einzurichten, dass er auch auf eilige Faxe reagieren kann. Dass er sich am Montag aufgrund eines Urlaubs nicht in seinem Büro befunden hat, geht zu seinen Lasten. Hätte er die Ladung im Laufe des Anhörungstages – oder sogar schon am Freitagnachmittag – zur Kenntnis genommen, was durchaus möglich gewesen wäre, wenn er sein Büro entsprechend organisiert hätte, hätte er sich auf den Anhörungstermin einstellen oder ggf. Verlegung beantragen können. Insoweit gehen auch die Ausführungen aus dem Schreiben vom 03.09.2022 ins Leere. Das Amtsgericht war entgegen der Ansicht der Beschwerde auch nicht gehalten, einen Termin abzusprechen und vorher telefonisch mit dem Verfahrensbevollmächtigten in Kontakt zu treten. Soweit auch gerügt wird, dass die Anhörung vom 15.07.2022 „überfallartig“ gewesen sei, so kann dies dahinstehen, weil diese nicht die für den Beschluss erforderliche Anhörung dargestellt hat. Die Kammer kann auch entgegen der Beschwerde nicht erkennen, dass das Amtsgericht gegen das Zitiergebot verstoßen habe. Die Rechtsgrundlage – § 10 StrUG – ergibt sich aus dem Beschluss. Die Tatsache, dass das mit dem Schreiben der Klinik vom 02.09.2022 übersandte Gutachten des Dr. med. T nicht vor der Anhörung oder Entscheidung vorlag, was von der Beschwerde ebenfalls gerügt wird, kann ebenfalls dahinstehen. Denn es ist weder Grundlage des Beschlusses des Amtsgerichts noch der Kammer. Ausweislich der Verfügung zum
64Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts wurde das Gutachten der Frau U dem Verfahrensbevollmächtigten auch spätestens zu diesem Zeitpunkt übersandt.
65Dass der Nichtabhilfebeschluss die Beteiligten falsch bezeichnet, führt ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der Zwangsmedikation.
66Über den Antrag auf einstweilige Aussetzung der Zwangsmedikation war nicht mehr zu entscheiden, da die Klinik angegeben hat, die Zwangsmedikation nicht vor Beendigung des Beschwerdeverfahrens verabreichen zu wollen. Auf die Anfrage der Kammer, ob der Antrag zurückgenommen wird, hat der Verfahrensbevollmächtigte erst mit Schreiben vom 02.09.2022 reagiert und ausgeführt, dass der Antrag nicht zurückgenommen werde. Da das Hauptsacheverfahren nun entschieden wird und im Übrigen die sofortige Wirksamkeit aus dem amtsgerichtlichen Beschluss aufgehoben wurde und der hiesige Beschluss erst mit Rechtskraft wirksam wird (§ 324 FamFG), besteht kein Regelungsbedarf mehr.
67Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
68Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 FamFG i. V. m. § 25 Abs. 2 GNotKG; die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf § 36 GNotKG.
69Rechtsbehelfsbelehrung:
70Gegen diesen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft.
71Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach
72Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof Karlsruhe, Herrenstr. 45a, 76133 Karlsruhe in deutscher Sprache einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung (Datum des Beschlusses, Geschäftsnummer und Parteien) sowie die Erklärung enthalten, dass Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt wird.
73Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Rechtsbeschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung zu begründen. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:
741. die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des
75Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge),
762. in den Fällen, in denen die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist eine Darlegung, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert,
773. die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
78- die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
79- soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
80Die Parteien müssen sich vor dem Bundesgerichtshof durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Rechtsbeschwerdeschrift und die Begründung der Rechtsbeschwerde von einem solchen unterzeichnet sein. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der angefochtenen Entscheidung vorgelegt werden.