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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag i.H.v. 2.500,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.02.2021 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 174,75 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.02.2021 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 37 % und die Beklagte zu 63 %. Die Kosten der Streithelferin trägt die Klägerin zu 37 %. Im Übrigen trägt die Streithelferin ihre Kosten selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils gegen sie zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte bzw. die Streithelferin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand:
2Die Klägerin macht gegen die Beklagte als Unfallversicherungsträgerin Schmerzensgeldansprüche sowie die Feststellung der zukünftigen Schadensersatzpflicht aufgrund einer behaupteten fehlerhaften ärztlichen Behandlung im Jahr 2020 geltend.
3Die Klägerin ist Fleischereifachverkäuferin in einem Metzgereigeschäft in Q. Am Morgen des 18.04.2020 rutschte sie bei der Arbeit beim Aufspießen von Schaschlik ab und stach sich den Spieß in den Mittelfinger, wobei die Spitze des Holzspießes abbrach.
4Darauf wurde die Klägerin unmittelbar am Morgen des 18.04.2020 im T in T vorstellig, wo sie sich in die Behandlung des Durchgangsarztes Dr. med. G sowie – nach dem Durchgangsarztbericht –von Frau W begab. Die Klägerin gab bei der Behandlung an, dass noch Reste des Spießes im Finger verblieben seien. Es erfolgte eine Röntgenuntersuchung zur weitergehenden Befundung. Sodann wurde ausweislich des Durchgangsarztberichtes der linke Mittelfinger nach Desinfektion bei gleichzeitigem Anlegen einer Leitungsanästhesie mittels Z-Plastik zur Fremdkörperentfernung eröffnet. Nach der Untersuchung der betroffenen Stelle erfolgte eine Spülung und die Wunde wurde genäht. Letztlich wurde ein steriler Wundverband angelegt. Der Durchgangsarzt stellte keinen Verbleib eines Reststückes des Spießes in der Wunde fest und stellte die Diagnose „Fragliche Fremdkörpereinspießung D3 links“. Die Klägerin wurde mit der Empfehlung, sich am 20.04.2020 wieder vorzustellen, entlassen. Zu den Einzelheiten wird auf den Durchgangsarztbericht, Anlage zur Klageerwiderung vom 11.03.2021, verwiesen.
5Die Klägerin wurde jedoch bereits wieder am 19.04.2020 vorstellig und äußerte Beschwerden. Der angelegte Druckverband wurde gelockert. Es erfolgte ein Verbandswechsel sowie ein Schmerzmedikation mit Tilidin.
6Bei einer weiteren Vorstellung am 20.04.2020 war die Wunde nach entsprechendem Eintrag reizlos. Die Fadenentfernung wurde für den 01.05.2020 vereinbart.
7Am 01.05.2020 wurden sodann die Fäden gezogen. Im weiteren Verlauf des Tages stellte sich die Klägerin aufgrund von Beschwerden erneut vor, wobei die Wunde abermals geöffnet wurde und ein 0,5 cm langer, in der Wunde befindlicher Holzsplitter entfernt wurde. Die Wunde wurde erneut gespült und vernäht. Diese Fäden wurden am 15.05.2020 gezogen.
8In einer Stellungnahme vom 20.05.2020 gab der Durchgangsarzt Dr. G an, bei der Klägerin sei eine Wundverlängerung durchgeführt worden. Zu den Einzelheiten wird auf die Stellungnahme, Anlage zur Klageerwiderung vom 11.03.2021, Bl. 58 f. d.A., verwiesen.
9Die Klägerin war in der Zeit vom 18.04.2020 bis zum 16.05.2020 sowie vom 08.06.2020 bis zum 16.06.2020 arbeitsunfähig krank.
10Mit anwaltlichem Schreiben vom 20.08.2020 wurde die Beklagte aufgefordert, den Schaden zu regulieren. Mit weiterem Schreiben vom 30.10.2020 wurde der Beklagten zur Regulierung eine Nachfrist bis zum 15.11.2020 gesetzt.
11Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte als Unfallversicherungsträgerin für etwaige ärztliche Behandlungsfehler im Bereich der Erstversorgung durch den Durchgangsarzt haftet.
12Hierzu behauptet die Klägerin, dass es unvertretbar sei, dass der Holzsplitter nicht schon bei der Untersuchung am 18.04.2020 ermittelt und entfernt worden sei. Die Durchführung eines „Z-Schnitts“ sei überflüssig gewesen. Außerdem sei der „Z-Schnitt" an falscher Stelle gesetzt worden. Wäre dieser richtig gesetzt worden, dann wäre der Splitter zu finden gewesen.
13Sie habe nach der Behandlung unter anhaltenden Beschwerden gelitten, welche bis zum 16.06.2020 nicht abgeklungen wären. Aufgrund des Z-Schnittes sei es außerdem zu einer Wundinfektion gekommen, weshalb die Klägerin bis zum 16.06.2020 arbeitsunfähig gewesen sei. Bei ordnungsgemäßer Behandlung am 18.04.2020 wäre die Klägerin innerhalb von 12 bis 15 Tagen arbeitsfähig und beschwerdefrei gewesen. Aufgrund der Infektion sei auch zunächst die Indikation einer Operation gestellt worden. Es sei jedoch zu einer Ausheilung gekommen, sodass die Operation nicht mehr erforderlich gewesen sei.
14Die Klägerin behauptet weiter, dass infolge der fehlerhaften Behandlung sich eine erhebliche Vernarbung im Bereich des Fingergelenks gebildet habe und der Finger bis heute nicht mehr voll beweglich sei. Durch den „Z-Schnitt“ sei es zu einer überflüssigen Vernarbung gekommen. Bei sachgerechter Behandlung wäre nur eine Narbe entstanden. Durch die Narbe sei der Finger krumm und das Fingergelenk nur noch zu 80 % beweglich. Infolge dessen stünde der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.500,00 € zu. Aufgrund der Bewegungseinschränkungen des Fingers seien künftig Folgeschäden zu erwarten.
15Die Klägerin beantragt,
161. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin zum Ausgleich der Folgen fehlerhafter Arztbehandlung im T am 18.04.2020 und danach ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen über den Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen, dessen Bezifferung in das Ermessen des Gerichts gestellt wird,
172. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der ihr als Folge fehlerhafter Behandlung am 18.04.2020 im T in Q, Träger T, Q, zukünftig noch entsteht, soweit er nicht durch gesetzlichen Forderungsübergang auf Dritte übergeht,
183. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 213,21 € nebst 5 % Zinsen über den Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
19Die Beklagte und die Streithelferin beantragen,
20die Klage abzuweisen,
21Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei im hiesigen Rechtsstreit nicht passivlegitimiert. Darüber hinaus wären Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte aufgrund von Ansprüchen der Klägerin gegen den behandelnden Arzt und das T-Krankenhaus subsidiär.
22Die Beklagte behauptet, dass bei der Klägerin sämtliche zur durchgangsärztlichen Erstversorgung gehörenden Maßnahmen lege artis erfolgt seien. Die Entlassung in die weitere besondere Heilbehandlung sei behandlungsfehlerfrei erfolgt. Es seien keine diagnostischen oder therapeutischen Versäumnisse zu erkennen.
23Die Schäden der Klägerin seien letztlich nur auf die Art der Schädigung als solche, jedoch nicht auf eine möglicherweise versteckt gebliebene Verletzung zurückzuführen. Insoweit seien die Schäden nicht kausal auf einen möglicherweise vorliegenden Fehler des Durchgangsarztes zurückzuführen. Sofern dennoch die Haftung dem Grunde nach bestünde, sei lediglich ein Schmerzensgeld von 100-200 € gerechtfertigt.
24Die Kammer hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Dr. G sowie Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. S, welches dieser unter dem 25.07.2021 erstattet und in der mündlichen Verhandlung vom 06.12.2021 mündlich erläutert hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 25.07.2021 sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 06.12.2021 Bezug genommen.
25Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 09.02.2021 der T-Krankenhaus GmbH, T in T den Streit verkündet mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beizutreten. Die Streitverkündung ist der Streitverkündeten am 19.02.2021 zugestellt worden, worauf diese dem Rechtstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten ist.
26Die Klage ist der Beklagten am 19.02.2021 zugestellt worden.
27Entscheidungsgründe:
28Die zulässige Klage ist im aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang begründet.
29I.
30Der Klägerin steht der mit dem Antrag zu 1) geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch aus § 839 BGB, Art. 34 GG i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB in Höhe von 2.500,00 € zu, weil die durchgangsärztliche Behandlung der Klägerin am 18.04.2020 behandlungsfehlerhaft war.
311.
32Für die Tätigkeit des Durchgangsarztes ist zunächst anerkannt, dass dieser bei der - gemäß § 34 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit § 27 Abs. 1 des nach § 34 Abs. 3 SGB VII geschlossenen Vertrages Ärzte/Unfallversicherungsträger - zu treffenden Entscheidung, ob die allgemeine oder die besondere Heilbehandlung erforderlich ist, eine der Berufsgenossenschaft obliegende Aufgabe erfüllt. Deshalb ist diese Entscheidung als Ausübung eines öffentlichen Amtes zu betrachten. Ist seine Entscheidung über die Art der Heilbehandlung fehlerhaft und wird der Verletzte dadurch geschädigt, haftet für Schäden nicht der Durchgangsarzt persönlich, sondern die Berufsgenossenschaft nach Art. 34 Satz 1 GG i.V.m. § 839 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2020 – VI ZR 281/19 –, Rn. 13, juris).
33Gleiches gilt für die - in § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII gesondert neben der ärztlichen und zahnärztlichen Behandlung aufgeführte - Erstversorgung durch den Durchgangsarzt (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2020 – VI ZR 281/19 –, Rn. 14, juris). Der Durchgangsarzt wird regelmäßig in engem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit der Entscheidung über das "Ob" und "Wie" der Heilbehandlung und der diese vorbereitenden Maßnahmen auch als Erstversorger tätig. Die bei dieser Tätigkeit unterlaufenden Behandlungsfehler sind der Berufsgenossenschaft zuzurechnen. Denn diese Tätigkeiten gehen ineinander über, können nicht sinnvoll auseinander gehalten werden und stellen auch aus Sicht des Geschädigten einen einheitlichen Lebensvorgang dar, der nicht in haftungsrechtlich unterschiedliche Tätigkeitsbereiche aufgespaltet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 2016 – VI ZR 208/15 –, BGHZ 213, 120-131, Rn. 24, 26).
34Die Erstversorgung umfasst dabei regelmäßig die ärztlichen Leistungen, die den Rahmen des sofort Notwendigen nicht überschreiten (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 2016 – VI ZR 208/15 –, BGHZ 213, 120-131, Rn. 25).
35Die von der Klägerin beanstandete Behandlung am 18.04.2020 stellt eine solche Erstversorgung dar. Die erfolgte Versorgung der Wunde umfasst ausschließlich die akut zu veranlassende Behandlung und stand dabei insbesondere in dem erforderlichen engen Zusammenhang über das „Ob“ und „Wie“ der Heilbehandlung. Dabei musste sich diese Versorgung aus Sicht der Klägerin als einheitlicher Lebensvorgang darstellen, weil die offene Wunde unmittelbar versorgt werden musste.
36Insbesondere ist die von der Klägerin beanstandete Wundversorgung am 18.04.2020 unter Durchführung einer Z-Plastik ausweislich des Durchgangsarztberichtes vom 20.04.2020 (dort unter Nr. 8) ausdrücklich als Erstversorgung vermerkt.
37Dem steht auch nicht der von der Beklagten erhobene Einwand der Subsidiarität gem. § 839 Abs. 1 S. 2 BGB entgegen. Sofern sie meint, dass - selbst bei Unterstellung der erfolgten Behandlung am 18.04.2020 als hoheitliche Tätigkeit - die Subsidiaritätsklausel greifen würde, da der Klägerin Ansprüche gegen das T-Krankenhaus, mit welchem ein Behandlungsvertrag zustande gekommen sei, sowie gegen den behandelnden Arzt zustünden, ist dies nicht zutreffend. Insofern nimmt die Beklagte einen unzulässigen Zirkelschluss vor. Erfolgte die beanstandete Behandlung mit den obigen Ausführungen hoheitlich im Rahmen der durchgangsärztlichen Erstversorgung, kann gerade nicht ein anderweitiger Direktanspruch bestehen.
382.
39Die Kammer sieht in der Behandlung der Klägerin am 18.04.2020 nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme basierend auf dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S sowie seinen mündlichen Erläuterungen einen durchgangsärztlichen Behandlungsfehler und damit eine Amtspflichtsverletzung im Sinne des § 839 BGB.
40Die ärztlichen Pflichten sind auf eine Behandlung und Versorgung des Patienten gerichtet, in der Regel mit dem Ziel der Wiederherstellung seiner körperlichen und gesundheitlichen Integrität, die den Regeln der ärztlichen Kunst, d.h. mindestens den im Zeitpunkt der Behandlung geltenden medizinischen Standard des jeweiligen Fachgebiets entspricht. Standard ist, was auf dem betreffenden Fachgebiet dem gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht und in der medizinischen Praxis zur Behandlung der jeweiligen gesundheitlichen Störungen anerkannt ist. Der Arzt muss dabei unter Einsatz der von ihm nach diesem Standard zu fordernden sowie seiner speziellen und darüber hinausgehenden persönlichen medizinischen Kenntnisse und Fähigkeiten im konkreten Fall, das heißt unter Berücksichtigung der konkreten Umstände der Behandlung, vertretbar über die diagnostische und therapeutisch zu treffenden Maßnahmen entscheiden und diese sorgfältig durchführen, insbesondere diejenigen Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften, aufmerksamen Arzt nach dem Standard seines Fachgebiets in dieser Situation erwartet werden dürfen (Weidenkaff, in: Palandt, BGB, 79. Auflage 2020, § 630a Rn. 9,10; BGH, Urteil vom 24.02.2015 – VI ZR 106/13, NJW 2015, 1601 ff.; BGH, BGH Urteil vom 15.04.2014 - VI ZR 382/12, NJW-RR 2014, 1053 ff.).
41Ein ärztlicher Behandlungsfehler liegt damit dann vor, wenn der Behandelnde von dem geschuldeten Pflichtenprogramm der medizinischen Behandlung oder von dem Behandlungsmaßstab abweicht. Die Beweislast für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers trägt nach allgemeinen Grundsätzen die Klägerin.
42a)
43Auf der Grundlage der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S geht die Kammer davon aus, dass die Klägerin fehlerhaft nicht unter Blutsperre, an der falschen Stellen und mit einer nicht indizierte Z-Plastik behandelt worden ist.
44Zwar hat der Sachverständige zunächst festgestellt, dass die am 18.04.2020 getroffene Diagnose „Fragliche Fremdkörpereinspießung D3 links“ als solche nicht unvertretbar gewesen ist, dass jedoch bei ordnungsgemäßer Behandlung am 18.04.2020 der Fremdkörper in Form des Holzsplitters mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bei der Klägerin erkannt worden wäre.
45Dazu hat er im Weiteren ausgeführt, dass grundsätzlich bei einer sorgfältigen Wundexploration bis zu 78 % der Fremdkörper dargestellt werden könnten.
46Bei der Klägerin hätte demnach die Wahrscheinlichkeit der Erkennung eines Fremdkörpers erhöht werden können, wenn die Wundrevision in Blutleere beziehungsweise mittels einer Blutsperre erfolgt wäre, ein adäquater Zugang erfolgt wäre und eine optische Vergrößerung etwa mittels einer Lupenbrille gewählt worden wäre. Zu der Frage der Durchführung einer Blutsperre könne er, der Sachverständige zudem erklären, dass es üblich sei die Durchführung einer entsprechenden Blutsperre auch zu dokumentieren, was hier nicht erfolgt sei. Insbesondere sei zudem erforderlich, Patienten nach einem Fremdkörpergefühl zu fragen und eine punktuelle Druckschmerzempfindlichkeit vor der Gabe einer Anästhesie zu überprüfen.
47Zwar sei der Holzsplitter vermutlich bei der Anfertigung von Röntgenbildern sowie bei einer Sonographie nicht feststellbar gewesen, aber mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sei er bei Anlegen einer Blutsperre sowie Durchführen eines adäquaten Zugangs und gerade nicht der vorgenommenen Z-Plastik erkennbar gewesen. Insbesondere aus der Dimension des Fremdkörpers ergebe sich, dass in diesem Fall dessen Erkennen wahrscheinlicher wäre, als dass dieser nicht erkannt worden wäre.
48Da das Anlegen einer Blutsperre bei der Klägerin nicht dokumentiert worden ist, ist jedenfalls gemäß § 630 h Abs. 3 BGB auf das Fehlen einer entsprechenden Blutsperre zu schließen.
49Soweit die Beklagte insofern zum Beweis dafür, dass bei der Klägerin eine Blutsperre angelegt worden ist, den Zeugen Dr. G benannt hat, war dessen Aussage unergiebig, da dieser die Behandlung nicht selber durchgeführt hat und deshalb nicht aus eigenem Erleben berichten konnte, ob bei der Klägerin eine Blutsperre angelegt worden ist. Jedenfalls hat auch der Zeuge insoweit bekundet, dass bei Durchführung einer entsprechenden Blutsperre – anders als hier erfolgt – diese auch in den Unterlagen hätte vermerkt werden müssen.
50Weiter hat der Sachverständige Prof. Dr. S sodann überzeugend erklärt, dass die Vornahme einer Z-Plastik im vorliegenden Fall nicht indiziert gewesen sei. Die Z-Plastik werde bei der Korrektur von kontrakten Narben und auch als Hilfsschnittführung verwendet. Im letzteren Fall werde sie etwa eingesetzt, wenn am Finger eine Schnittwunde die Beugefurche senkrecht überquere.
51Soweit die Beklagte insofern zuletzt die Durchführung einer Z-Plastik angezweifelt hat, ist – wie auch von dem Sachverständigen Prof. Dr. S angeführt – festzuhalten, dass die entsprechende Schnittführung mittels Z-Plastik im Durchgangsarztbericht vermerkt worden ist.
52Zudem hat der Sachverständige Prof. Dr. S überzeugend erklärt, dass er insofern jedenfalls aus den bei der Akte befindlichen Bildern der Wundversorgung habe feststellen können, dass die dort erkennbare Schnittführung nicht indiziert gewesen sei. Bei der Verletzung der Klägerin wäre – so der Sachverständige weiter – eine Inzision in der Mitt-Seiten-Linie auf der Speichenseite (Radialseite) des linken Mittelfingers zielführend gewesen. Bei einem solchen Verlängerungsschnitt sei eine Präperation sowohl zur Streck- als auch zur Beugeseite des Fingers möglich, um so den Holzsplitter besser finden zu können.
53Dieser erforderliche Verlängerungsschnitt sei nicht durchgeführt worden. Weiter sei zudem an der falschen Stelle operiert worden, da der Holzsplitter, der letztlich aus der Wunde entfernt worden sei, in einem anderen Bereich gesessen habe.
54Hinsichtlich der Durchführung der Z-Plastik hat der Sachverständige Prof. Dr. S dagegen keine eindeutigen Feststellungen treffen können. Insofern gehe aus der Fotodokumentation nicht eindeutig hervor, ob die Durchführung korrekt erfolgt sei. Er, der Sachverständige, habe daran aber zumindest Zweifel.
55b)
56Zuletzt hat der Sachverständige Prof. Dr. S festgehalten, dass hinsichtlich des Vorwurfs der Wundinfektion eines solche jedenfalls nicht objektiviert worden sei durch einen Keimnachweis. Allerdings sei der Klägerin ein Antibiotikum über einen längeren Zeitraum verabreicht worden, was sich nur durch eine Infektion erklären lasse, weil die Antibiotikagabe therapeutisch gewesen sei. Eine prophylaktische Antibiotikagabe wäre dagegen – so der Sachverständige weiter – nur einmalig erfolgt.
57Die Kammer folgt insoweit den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. An der Sachkunde des Sachverständigen bestehen keine Zweifel. Dieser hat seine Ausführungen nach sorgfältiger Auswertung aller Befunde und unter Zugrundelegung zutreffender Anknüpfungstatsachen verständlich, nachvollziehbar, widerspruchsfrei, alle vorgetragenen Argumente der Parteien gewissenhaft abwägend und in jeder Hinsicht überzeugend begründet. Anhaltspunkte für eine Parteilichkeit des Sachverständigen sind nicht erkennbar.
582.
59Zudem ist dieser festgestellte Behandlungsfehler auch kausal auf die bei der Klägerin eingetretenen Schädigungen zurückzuführen.
60Grundsätzlich hat die Klägerin die Kausalität zwischen den festgestellten Behandlungsfehlern und den eingetretenen Schäden zu beweisen.
61Zu einer Beweislastumkehr kann es jedoch kommen, wenn den behandelnden Ärzten ein grober Behandlungsfehler unterlaufen ist und der Fehler generell geeignet ist, den eingetretenen Gesundheitsschaden zu verursachen (vgl. BGH, NJW 2011, 2508 f.).
62Generell ist ein Behandlungsfehler dann als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und dadurch einen Fehler begangen hat, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, B252). Die Feststellung grob fehlerhaften Verhaltens ist stets dann gerechtfertigt, wenn Verstöße gegen elementare medizinische Behandlungsstandards oder elementare medizinische Erkenntnisse vorliegen (Geiß/Greiner, aaO).
63Insoweit hat der Sachverständige Prof. Dr. S zunächst überzeugend ausgeführt, dass zumindest ein grober Behandlungsfehler nicht vorlege. Holzsplitter seien oft in Weichteilen verborgen und nicht immer tastbar. Deshalb sei das Übersehen eines Holzsplitters kein Fehler, der objektiv nicht mehr verständlich erscheine.
64Mit den weiteren überzeugenden Ausführungen des Sachverständige Prof. Dr. S ist der Klägerin jedoch zur Überzeugung der Kammer der Nachweis gelungen, dass die fehlerhafte Wundversorgung vom 18.04.2020 in Form der Durchführung einer ungeeigneten Schnittführung bei ihr zu einer Schädigung geführt hat.
65Insoweit hat der Sachverständige festgestellt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass es bei der Klägerin wegen des verbliebenen Holzsplitters und des falsch gewählten Zugangs zu einer sehr viel ausgeprägteren Vernarbung als ansonsten üblich im Bereich des Mittelgelenks des linken Mittelfingers gekommen sei. Dies habe auch zu einer Bewegungseinschränkung des Mittelfingers geführt sowie im Ergebnis zu einer Funktionsstörung der gesamten linken Hand.
66Genauso sei auch plausibel, dass die Klägerin bis zum 16.06.2020 unter anhaltenden Schmerzen gelitten habe. Es sei zudem plausibel, dass auch im weiteren Verlauf Schmerzen bestanden hätten, auch wenn es sich dabei definitionsgemäß um eine subjektiv unangenehme Sinnesempfindung gehandelt hätte.
67Außerdem sei die Klägerin bei einer behandlungsfehlerfreien Behandlung bereits nach 12 bis 14 Tagen wieder arbeitsfähig gewesen. Insofern sei am 18.04.2020 initial zunächst eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 03.05.2020 bescheinigt worden.
68Nicht zurechenbar ist demgegenüber, dass die Klägerin sich am 01.05.2020 einer zweiten Wunderöffnung unterziehen musste, in deren Rahmen der Holzsplitter entdeckt worden ist. Dazu hat der Sachverständige ausgeführt, dass auch bei einer Behandlung lege artis ein Splitter nicht zwingend immer entdeckt werden müsse. Daran anknüpfend kann auch die sich daran anschließende Wundheilungsstörung nicht sicher zugerechnet werden.
693.
70In der Rechtsfolge hält die Kammer ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.500,00 € für angemessen (§ 287 ZPO).
71Dem Schmerzensgeld kommt eine Doppelfunktion zu. Es soll zum einen Ausgleich für Schäden nicht vermögensrechtlicher Art sein und zum anderen eine Genugtuung für das darstellen, was der Schädiger dem Geschädigten angetan hat (MünchKomm-BGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, § 253 Rn. 10 und 11). Das Ausmaß des Schmerzensgeldes muss in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Verletzung unter Berücksichtigung aller für die Höhe maßgeblichen Umstände stehen. Zu den Bemessungsgrundlagen zählen demnach Dauer, Art und Schwere der Beeinträchtigung des Wohlbefindens, insbesondere durch bleibende körperliche Entstellungen und die Fragwürdigkeit einer Heilung (Spindler in BeckOK-BGB, 49. Ed. 01.02.2019, § 253 Rn. 27; BGH, Urteil vom 12. Mai 1998 – VI ZR 182/97, juris Rn. 13). Den Rahmen für die Bemessung der Schmerzensgeldhöhe bildet dabei die Vergleichsrechtsprechung (Heinrichs in Palandt-BGB, 77. Aufl. 2018, § 253 Rn. 15).
72Die Kammer hat der Bemessung des Schmerzensgeldes dabei die nachfolgenden Erwägungen zugrunde gelegt:
73Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S ist es bei der Klägerin zu einer über das übliche Maß bei derartigen Verletzungen hinausgehenden Narbenbildung gekommen, zu einer Bewegungseinschränkung in Form einer Beuge- und Streckhemmung, zu einer eingeschränkten Fingerbelastbarkeit, zu einer Kraftminderung des Mittelfingers sowie Sensibilitätsstörungen und im Ergebnis zu einer Funktionsstörung der gesamten linken Hand.
74Insofern hat die Klägerin im Termin ebenfalls bekundet, an dem Finger bestehe weiterhin eine dicke Beule. Zudem sei im Hinblick auf die Beweglichkeit des Fingers es so gewesen, dass sie den Finger zunächst gar nicht habe bewegen können. Als dann der Verband entfernt gewesen sei, habe sie den Finger nicht richtig einsetzen können und insbesondere nicht zupacken können. Auch heute sei der Finger noch wetterfühlig, was auch zu Schmerzen führe (vgl. zudem zur Schmerzensgeldbemessung in ähnlichen Fällen nur: OLG Oldenburg, Urteil vom 18.1.1994 - 5 U 99/93, OLG Düsseldorf Urteil vom 28.5.2001 - 1 U 173/00).
754.
76Der von der Klägerin hierauf begehrte Zinsanspruch ergibt sich als Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen (§§ 288 Abs. 1, 291 BGB) ab dem auf die Rechtshängigkeit folgenden Tag, dem 20.02.2021 (§ 187 Abs. 1 BGB analog).
77II.
78Der mit dem Antrag zu 2) gestellte Feststellungsantrag der Klägerin ist dagegen unbegründet, weil sich insofern aus den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S ergibt, dass der Eintritt weiterer Schäden nicht nur sehr unwahrscheinlich, sondern vielmehr nicht mehr möglich ist.
79Dazu hat der Sachverständige Prof. Dr. S ausgeführt, dass künftig keine weiteren zusätzlichen Beeinträchtigungen oder Schäden zu erwarten seien. Insoweit sei hinsichtlich der Behandlungsfolgen aus der Behandlung vom 18.04.2020 bei der Klägerin ein Endzustand beschrieben. Mit weiteren Schäden sei nicht zu rechnen.
80III.
81Der Klägerin steht zudem gegen die Beklagte hinsichtlich des mit dem Antrag zu 3) begehrten Ersatzes vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten ein Anspruch in Höhe von 174,75 € aus § 839 BGB, Art. 34 GG i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB zu, weil die Beauftragung des Rechtsanwalts zur Rechtsverfolgung erforderlich und zweckmäßig war.
82Ausgehend von einem berechtigten Gegenstandswert im Beauftragungsjahr 2020 in Höhe von 2.500,00 € (einfache Geschäftsgebühr = 201 €) und unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Beauftragung bestehenden Absenkung der Mehrwertsteuer auf 16% errechnet sich daher der Betrag von 174,75 € wie nachfolgend dargelegt:
83Position |
Betrag |
0,65 Geschäftgebühr (Nr. 2300 VV RVG) |
130,65 € |
Telekommunikationspauschale |
20,00 € |
Zwischensumme |
150,65 € |
16 % Mehrwertsteuer |
24,10 € |
Gesamtsumme |
174,75 € |
IV.
85Die Nebenentscheidungen beruhen hinsichtlich der Kosten auf §§ 92 Abs. 1 S. 1, 101 ZPO und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S.1 und 2 ZPO.
86V.
87Der Streitwert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.
88Rechtsbehelfsbelehrung:
89Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
901. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
912. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist.
92Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Oberlandesgericht Hamm, Heßlerstr. 53, 59065 Hamm, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils (Datum des Urteils, Geschäftsnummer und Parteien) gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
93Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht Hamm zu begründen.
94Die Parteien müssen sich vor dem Oberlandesgericht Hamm durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
95Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.