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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 35.047,32 €, sowie Zinsen in Höhe 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 31.07.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A6 Avant 3.0 TDI, Fahrzeug-Ident.-Nr. …
Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des vorgenannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.590,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 31.07.2020 für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 10 % und die Beklagte zu 90 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
2Der Kläger nimmt die Beklagte wegen behaupteter deliktischer Produktmanipulation auf Zahlung von Schadensersatz und Deliktszinsen in Anspruch, Zug-um-Zug gegen Herausgabe des im Tenor näher bezeichneten Fahrzeugs.
3Der Kläger erwarb am 13.08.2018 bei der Autohaus K den Audi A6 Avant 3.0 TDI der FIN …, erstzugelassen am 16.06.2015, mit einer Laufleistung von 64.462 km. Der Kaufpreis für den Pkw betrug 39.990,00 €. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage KGR1 (blauer Anlagenband) Bezug genommen.
4In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein 3,0-Liter-Dieselmotor eingebaut, der ausweislich der gegebenen Genehmigungen der Abgasnorm EURO 6 genügt. Es verfügt über mehrere Technologien zur Reduktion des Stickoxidausstoßes, insbesondere über ein Abgasrückführungssystem und über einen SCR-Katalysator, der mit Ad-Blue betrieben wird. In welchem Umfang die Abgasrückführung zum Einsatz kommt, ist unter anderem davon abhängig, welcher Außentemperaturbereich gegeben ist. Zudem wird der erst ab einer bestimmten Betriebstemperatur funktionierende SCR-Katalysator unter bestimmten Bedingungen aufgeheizt, um einen effiziente NOx-Reduktion zu erreichen.
5Zum Nachweis, dass ein Kraftfahrzeug bei seinem Betrieb die europaweit einheitlich festgesetzten Abgasgrenzwerte einhält, muss – gerichtsbekannt – das Fahrzeug über eine Typgenehmigung gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verfügen. Die zur Erteilung dieser Typgenehmigung durchgeführte Prüfung der Abgasgrenzwerte erfolgt in einem europaweit festgelegten einheitlichen Testverfahren, dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ), auf einem Prüfstand. Die vorgenannte EG-Verordnung legt in Art. 5 Abs. 2 fest, dass sog. "Abschalteinrichtungen" unzulässig sind, wenn nicht eine der drei dort normierten Ausnahmekonstellationen vorliegt, nämlich, dass die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, dass die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist, oder dass die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind. In Art. 3 Nr. 10 der Verordnung wird als "Abschalteinrichtung" definiert ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
6In einem Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes (KBA), der sich auf Fahrzeuge mit Motoren, wie dem im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten bezog, heißt es u.a.:
7„Das KBA untersuchte unter anderem die von Audi entwickelten und von verschiedenen Marken des VW-Konzerns verbauten Dieselmotoren mit 3,0 l Hubraum. Betrachtet werden vorliegen die Fahrzeuge Audi A6 und A7 jeweils 3.0 l Diesel Euro 6. Eigene technische Prüfungen wurden durch das KBA nicht durchgeführt.
8[…]
9Insgesamt verwendet Audi vier verschiedene Strategien im Emissionskontrollsystem der benannten Fahrzeuge, die im Folgenden in den Strategien A – C dargestellt werden.
10Strategien A und B
11Die von Audi verwendeten Strategien A und B werden nahezu ausschließlich unter den Bedingungen der Prüfung Typ 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 genutzt. Der Nutzung einer Aufheizstrategie (Strategie A) bei der Prüfung Typ 1 geht die Nutzung einer Strategie „alternatives Aufheizen“ (Strategie B) während der Vorkonditionierung des Fahrzeugs zum Zwecke der Prüfung Typ 1 voraus. Beim Einsatz beider Strategien wird die Überschreitung des NOx-Grenzwertes von 80 mg/km bei der Prüfung Typ 1 sicher vermieden.
12Bei der Strategie A wird zum Starten der Aufheizstrategie eine Vielzahl von Initialisierungsparametern verwendet, die über eine UND-Verknüpfung miteinander verknüpft sind. D. h. alle Bedingungen müssen gleichzeitig vorliegen, dann wird die Abwehrstrategie genutzt. Die zu den Parametern gehörenden Werte (Schaltbedingungen) sind so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im Neuen Europäischen Fahrzeugzyklus (NEFZ) und den dort definierten Prüfbedingungen wirkt. Schon kleinere Abweichungen in Fahrprofil und Umgebungsbedingungen führen zur Abschaltung der Aufheizstrategie.
13Der auf den Prüfzyklus Typ 1 abstellenden Strategie als eine Strategie B vorgelagert. Strategie B ist durch einen Softwarealgorithmus gekennzeichnet, der die Vorkonditionierung des Fahrzeugs zur Durchführung der Prüfung Typ 1 erkennen kann. Mit dieser Vorkonditionierungserkennung wird ein höherer NH3-Füllstand im SCR erreicht.
14Die Parameter und die dazugehörigen Werte (Schaltbedingungen) sind so bedatet, dass sie die Vorkonditionierung des Fahrzeugs mit drei außerstädtischen Fahrzyklen des NEFZ sowie das damit einhergehende Lastprofil erkennen.
15[….]
16Die Wirkung des Emissionskontrollsystems wird durch die Verwendung einer mit einer Prüfzykluserkennung einhergehenden Arbeitsstrategie (Strategie A) außerhalb der Prüfbedingungen der VO (EWG) Nr. 715/2007 in Verbindung mit der VO (EU) 692/2008 im unzulässigen Umfang verringert. Da Gründe gemäß Art. 5 Abs. 2 S. 2, a) - c) der VO (EG) Nr. 715/2007 hierfür nicht erkannt werden, wird die Strategie A als unzulässige Abschalteinrichtung Sinne von Art. 5 Absatz 2 Satz 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 betrachtet. [….]“
17Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den genannten Bescheid Bezug genommen (vgl. Anlage KGR6 zum Schriftsatz vom 21.09.2020, blauer Anlagenband).
18Das KBA, das einen Rückruf u.a. des streitgegenständlichen Fahrzeugs veranlasste, gab in der Folge mit Bescheid vom 26.11.2018 ein Software-Update frei, das die vorgenannte Abschalt-Software entfernen soll (vgl. Anlage B3, roter Anlagenband). Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug wurde dieses Software-Update – Rückruf-Code 23X6 – zwischenzeitlich durchgeführt.
19Der Kläger begehrte mit anwaltlichem Schreiben seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 08.06.2020 unter Setzung einer Frist von 14 Tagen im Wesentlichen die Rückzahlung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen die zugleich angebotene Herausgabe des Fahrzeugs und Abzug einer Nutzungsentschädigung (Anlage zur Klageschrift, Bl. 24 ff d.A.).
20Das streitgegenständliche Fahrzeug wies am Tag der mündlichen Verhandlung eine Gesamtfahrleistung von 93.574 km auf.
21Der Kläger behauptet, dass der 3,0-Liter-Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs, herstellerintern als EA 897evo bezeichnet, im ursprünglich gegebenen Zustand durch eine Abschalteinrichtung manipuliert gewesen sei. Tatsächlich überschritten die NOx-Werte im normalen Fahrbetrieb überwiegend die Grenzwerte um ein Vielfaches. Auf einem Prüfstand hingegen sei die Motorsteuerung automatisch so geschaltet worden, dass die gesetzlichen Grenzwerte eingehalten würden. Dies werde durch die im Bescheid des KBA dargestellten Abschalteinrichtungen – als Strategien A – C bezeichnet – erreicht. Auch wenn das KBA nur die (Aufheiz-)Strategie A als unzulässige Abschalteinrichtung gewertet und sich bei der Strategie B (die Vorkonditionierung des Fahrzeugs vor dem NEFZ werde erkannt; es werde ein höherer NH3-Füllstand im SCR erreicht) und der Strategie C (unter normalen Nutzungsbedingungen kein erneuter Einstieg in die Aufheizstrategie) einer abschließenden Bewertung der Zulässigkeit mit Rücksicht auf eine freiwillige Entfernung durch die Beklagte enthalten habe, sei jeweils eine unzulässige Abschalteinrichtung gegeben.
22Die Beklagte habe als Hersteller des Fahrzeugs die Käufer durch die Verwendung der manipulierten Software arglistig getäuscht. Durch die Manipulation der Motorsteuerung sei er über die tatsächlichen Schadstoffemissionen arglistig getäuscht worden. So habe die Beklagte gewusst, dass der Einbau der streitgegenständlichen Software zu einem zulassungsrechtlich illegalen Zustand führe, dadurch der Wert des Fahrzeugs erheblich gemindert werde und er letztlich ein Fahrzeug erhalte, dessen Ist-Beschaffenheit erheblich von der Soll-Beschaffenheit abweiche. Das der Beklagten, die – über ihre Organe und Mitarbeiter – die Manipulationen an der Motorsoftware vorgenommen/veranlasst habe, sei sittenwidrig; die Gegebenheiten dem Vorstand der Beklagten bekannt gewesen. Insofern behauptet er, dass nach den ihm zugänglichen Medienveröffentlichungen die Entscheidung zum Einbringen der Software bei einem zentralen Bauteil wie dem Motor dem Vorstand der Beklagten schlechterdings nicht verborgen geblieben sein könne. Insbesondere der frühere Vorstandsvorsitzende T wie auch der Vorstand N hätten entsprechende Kenntnis gehabt. Weitergehende Einblicke in die Organisationsstruktur der Beklagten habe er nicht, so dass ihm ein über dies hinausgehender Vortrag nicht möglich sei.
23Die Beklagte sei daher im Rahmen ihrer Schadensersatzpflicht verpflichtet, das streitgegenständliche Fahrzeug gegen Zahlung des Kaufpreises zurückzunehmen. Er sei nämlich so zu stellen, wie er ohne Täuschung über die nicht gesetzeskonforme Motorsoftware gestanden hätte. In Kenntnis des Sachverhalts und der damit verbundenen Risiken hätte er den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht abgeschlossen, sodass die Beklagte die wirtschaftlichen Folgen des Kaufs durch Rücknahme und Kaufpreiserstattung ungeschehen machen müsse.
24Der Kläger hat mit der Klageschrift vom 30.06.2020 als Antrag zu 1) zunächst angekündigt, zu beantragen, die Beklagte – ausgehend von einer abzuziehenden Nutzungsentschädigung, welche sich nach einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km errechnet – zur Zahlung von 36.726,37 € zu verurteilen, Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs. In der mündlichen Verhandlung ist der Antrag zu 1) hinsichtlich der erstrebten Zahlung mit Rücksicht auf die bis zur Klageerhebung und seitdem angefallen Nutzungsentschädigung auf 35.052,98 € reduziert worden, weil zum einen die Laufleistung des Fahrzeugs sich erhöht hatte und die angenommene Gesamtlaufleistung nunmehr auf 300.000 km angesetzt worden ist. Im Übrigen ist die Klage wegen der mit dem ursprünglichen Antrag zu 2) geforderten Deliktszinsen in Höhe von 4 % auf den Kaufpreis vom 13.08.2018 bis zur Rechtshängigkeit zurückgenommen worden.
25Der Kläger stellt nunmehr folgende Anträge:
261) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 35.052,98 €, sowie Zinsen in Höhe 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A6 Avant 3.0 TDI, Fahrzeug-Ident.-Nr. …
272) Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus dem Antrag zu 1) in Annahmeverzug befindet.
283) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 1.590,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
29Die Beklagte beantragt,
30die Klage abzuweisen.
31Die Beklagte meint, dass eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung des Klägers nicht vorliege.
32Sie behauptet, dass schon kein Schaden gegeben sei. Das Fahrzeug sei sicher und in seiner Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt. Zudem verfüge das Fahrzeug über alle erforderlichen Genehmigungen und die Gefahr des Entzugs der Typengenehmigung bestehe nicht, da das Kraftfahrt-Bundesamt den von der Beklagten vorgelegten Zeit- und Maßnahmenplan zur Durchführung des Softwareupdates genehmigt und für verbindlich erklärt habe.
33Bei dem Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht zum Einsatz gekommen. Die Emissionsgrenzwerte der Abgasnormen müssten im normalen Fahrbetrieb nicht erreicht werden; im maßgeblichen NEFZ sei dies stets der Fall gewesen.
34Die vom KBA beanstandete Aufheizstrategie komme nur in den ersten Betriebsminuten nach dem Kaltstart zum Tragen und betreffe die effiziente Reduzierung der Stickoxidemissionen mithilfe des SCR-Katalysators, mithin berühre die vorzunehmende Aktualisierung den durchschnittlichen Fahrer eines Dieselfahrzeugs nicht. Die Strategie habe mit der in den Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 verbauten Umschaltlogik, die dauerhaft zwischen dem Betrieb auf dem Prüfstand und dem Betrieb auf der Straße unterscheidet, nichts zu tun. Mit dem Software-Update werde der Anwendungsbereich einer bereits im Fahrzeug vorhandenen Funktion ausgeweitet und keine neue Funktion geschaffen.
35Sie ist der Ansicht, dass die Klage unbegründet sei. Der Kläger habe eine sittenwidrige Handlung der Beklagten nicht dargelegt; insbesondere sei der bloße Verweis auf die Beanstandung durch das KBA nicht ausreichend. Weder seien ihm falsche Tatsachen vorgespiegelt worden, noch sei er über die tatsächlichen Schadstoffemissionen getäuscht worden. Auch liege keine Täuschung über das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vor.
36Jedenfalls eine sittenwidrige Handlung aus, da es an einer besonderen Verwerflichkeit mangele. Im Rahmen der Beurteilung der Sittenwidrigkeit der Handlung käme es vor allem auf die Vorstellungen und Handlungen der Teilnehmer des Fahrzeugmarktes an. Hier sei jedoch allgemein bekannt, dass die für den Erhalt der Typengenehmigung gemessenen Emissionswerte von den Werten im Realbetrieb abweichen würden. Den Käufern komme es demnach im Wesentlichen auf die Existenz und Bestandskraft der Typengenehmigung an.
37Ihr Vorstand habe außerdem von den streitgegenständlichen Vorgängen keine Kenntnis gehabt. Folglich habe auch kein Schädigungsvorsatz bestanden.
38Im Übrigen habe der Kläger bei Erwerb des Fahrzeugs gewusst oder hätte zumindest wissen können, dass sein Fahrzeug von dem fraglichen Rückruf des KBA betroffen war. Auch wenn sie nicht am Kauf des Fahrzeugs durch den Kläger beteiligt war, habe sie doch ihre Händler über die internen Kommunikationswege darüber informiert, dass es Beanstandungen u.a. an Fahrzeugen wie dem streitgegenständlichen („Fahrzeuge mit V6-/V8-TDI Motoren“) gegeben habe und dies Interessenten mitzuteilen sei. Sie habe zu diesem Zweck den Händlern auch ein Informationsschreiben zur Verfügung gestellt (vgl. Anlagen B8 und B9, roter Anlagenband).
39Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen
40Die Klage ist der Beklagten am 30.07.2020 zugestellt worden. Die Kammer hat den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird verwiesen auf das Sitzungsprotokoll vom 28.10.2020.
41Entscheidungsgründe
42Die zulässige Klage ist ganz überwiegend begründet.
43I.
44Der Kläger hat gegen die Beklagte aus dem Gesichtspunkt einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB einen Anspruch auf Erstattung des für den streitgegenständlichen Pkw gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs, wobei er sich die seit dem Erwerb aus dem Fahrzeug gezogenen Nutzungen im Wege des Vorteilsausgleichs schadensmindernd anrechnen lassen muss.
451.
46Die Klägerin hat durch ein Verhalten der Beklagten, nämlich durch das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Pkws mit einem, wie die Beklagte bzw. ihre maßgeblichen Organe wussten, technisch mangelbehafteten Motor, einen Schaden erlitten.
47Ein Schaden im Sinne des § 826 BGB ist nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung. Der gemäß § 826 BGB ersatzfähige Schaden wird von der Rechtsprechung seit jeher weit verstanden und beschränkt sich gerade nicht auf die Verletzung bestimmter Rechte oder Rechtsgüter. Erfasst wird ganz allgemein jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage. In Parallele zur Betrugsdogmatik hat auch der Schadensbegriff des § 826 BGB einen subjektiven Einschlag. Nach dem subjektbezogenen Schadensbegriff stellt auch der Abschluss eines Geschäfts, welches nicht den Zielen des Geschädigten entspricht, einen Schaden im Rahmen des § 826 BGB dar, ohne dass es darauf ankäme, ob die erhaltene Leistung wirtschaftlich betrachtet hinter der Gegenleistung zurückbleibt. Es sind gerade auch solche Fälle erfasst, die im Strafrecht unter dem Stichwort des Eingehungsbetrugs gewürdigt werden. Das Vermögen wird nicht nur als ökonomischer Wert geschützt, sondern zugleich auch die auf das Vermögen bezogene Dispositionsfreiheit des jeweiligen Rechtssubjekts (vgl. BGH, Urteil v. 19.07.2004, Az. II ZR 402/02, juris Rz. 41; OLG Koblenz, Urteil v. 12.06.2019, Az. 5 U 1318/18, juris Rz. 84; LG Siegen, Urteil vom 11. Februar 2020 – 5 O 136/19, Rn. 20, juris; MünchKomm/Wagner, 7. Auflage 2017, BGB, § 826, Rn. 42).
48a)
49Der Kläger hat mit dem von der Beklagten hergestellten und in Verkehr gebrachten Pkw ein Fahrzeug erworben, welches in einem bedeutsamen Gesichtspunkt anders beschaffen war, als er dies erwarten durfte. Ein vernünftiger Durchschnittskäufer darf nämlich davon ausgehen, dass ein von ihm erworbener Pkw entweder zu Recht zugelassen oder zulassungsfähig ist. Hierzu gehört, dass die für das Fahrzeug erforderliche Typgenehmigung nicht durch Täuschung erwirkt wurde. Das gilt auch dann, wenn der Käufer sich bis zum Bekanntwerden einer solchen Täuschung keine konkreten Vorstellungen von den technischen Einrichtungen und den rechtlichen Voraussetzungen für die Typgenehmigung gemacht hat (so auch OLG Köln, Beschluss v. 20.12.2017, Az. 18 U 112/17, juris Rz. 36, 38). Bei der in das streitgegenständliche Fahrzeug implementierten Motorsteuerungssoftware handelt es sich nach der zutreffenden und von der Kammer geteilten Beurteilung des KBA um eine gemäß Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung.
50Die von der Beklagten in das streitgegenständliche Fahrzeug implementierte Motorsteuerungssoftware beinhaltete nämlich eine Aufheizstrategie, die im Wesentlichen nur beim Durchlaufen des Prüfstandsverfahrens des NEFZ anspringt, im realen Verkehr hingegen nicht aktiviert wird, und die das Stickoxidemissionsverhalten des Fahrzeugs auf dem Prüfstand gegenüber dem Emissionsverhalten im normalen Fahrbetrieb verbessert. Darauf, wie diese Verbesserung des Emissionsverhaltens im Einzelnen technisch erreicht wird, kommt es für die Beurteilung nicht an; entscheidend für die Einstufung als unzulässige Abschalteinrichtung ist nur der Umstand, dass die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems im normalen Fahrbetrieb im Vergleich zum Prüfstandsverhalten verringert wird ohne dass eine der in Art. 5 Abs. 2 der EG-Verordnung Nr. 715/2007 enumerativ aufgezählten Ausnahmen vorliegt. Die Kammer legt ihrer Entscheidungsfindung die Beurteilung dieser – als solchen unstreitigen – Aufheizstrategie durch das KBA als unzulässige Abschalteinrichtung als zutreffend zugrunde, ohne sich insoweit zur Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens gehalten zu sehen.
51Das Vorhandensein der nach alledem vom KBA zu Recht als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuften Aufheizstrategie in dem streitgegenständlichen Pkw begründet eine technische Mangelhaftigkeit des von der Klägerin erworbenen Fahrzeugs mit potentieller Gefahr seiner Stilllegung, was als Schaden im Sinne des § 826 BGB vollkommen ausreicht. Zudem entsprechen die unter Umweltschutzgesichtspunkten bedeutsamen Schadstoffimmissionen des Fahrzeugs nicht jenen, die die Klägerin aufgrund der gesetzlichen Grenzwerte und des erfolgreichen Durchlaufens des NEFZ-Prüfstandsverfahrens erwarten durfte. Zwar ist es allgemein bekannt, dass die auf dem Prüfstand ermittelten Abgaswerte im realen Straßenverkehrsbetrieb regelmäßig nicht erreicht werden. Allerdings dürfen die Käufer von Kraftfahrzeugen berechtigterweise erwarten, dass diese übliche Abweichung nicht durch den Einsatz einer Manipulationssoftware noch vergrößert wird (so auch LG Siegen, Urteil vom 11. Februar 2020 – 5 O 136/19 –, Rn. 28, juris). Die schädigende Handlung bei der Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in eine Motorsteuerung liegt gerade darin, dass dadurch Fahrzeuge in einem Zustand in den Verkehr gebracht werden, in welchem durch die eingebaute unzulässige Abschalteinrichtung dem Prüfstandsverfahren die Aussagekraft in Bezug auf den realen Fahrbetrieb des Fahrzeugs genommen wird und damit die ohnehin durch die Beschränkung auf die Prüfstandswerte nur eingeschränkte staatliche Kontrolle der Abgasgrenzwerte ihre Wirksamkeit vollends verliert.
52b)
53Dieses Ergebnis ist auch nicht unter Schutzzweckgesichtspunkten zu korrigieren. Die im Rahmen des § 826 BGB verletzte Verhaltensnorm, in deren Schutzzweckzusammenhang der Schaden fallen muss, um zurechenbar zu sein, ist hier nicht nur die öffentlich-rechtliche Vorschrift des Art. 4 Abs. 1 VO (EG) 715/2007, die möglicherweise nicht dem Individualschutz dient, sondern die Anforderung an einen Fahrzeug- und Motorenhersteller, nur solche Fahrzeuge herzustellen und in Verkehr zu bringen, deren Betriebsgenehmigung er nicht durch Täuschung erwirkt hat und die nicht aufgrund einer solchen Täuschung technisch und rechtlich mängelbehaftet und von der Gefahr einer Stilllegung bedroht sind. Bereits der Erwerb eines solchen Fahrzeugs stellt für den Kunden einen Schaden dar, der der Beklagten vollumfänglich zuzurechnen ist.
54c)
55Auch die Durchführung des von der Beklagten entwickelten Software-Updates ändert nichts an der im Rahmen des § 826 BGB allein maßgeblichen rechtlichen Bewertung, dass dem Kläger zunächst durch das Verhalten der Beklagten ein Schaden entstanden ist. Der Gedanke einer nachträglichen Nachbesserung zur Abwendung von Schadensersatzansprüchen des Geschädigten ist dem Deliktsrecht fremd (so auch OLG Koblenz, Urteil v. 12.06.2019, Az. 5 U 1318/18, juris Rz. 100).
562)
57Der Schaden wurde durch die Beklagte kausal verursacht. Die schädigende Handlung liegt in dem Inverkehrbringen des gesetzeswidrigen Motors, welcher in der Folge in das streitgegenständliche Fahrzeug eingebaut wurde. Dies ist für den entstandenen Schaden ohne weiteres zurechenbar kausal geworden ist. Auch wenn hier als Anknüpfungspunkt der Kausalitätsprüfung nicht das Inverkehrbringen gewählt wird, sondern die Täuschung der Beklagten über ein ordnungsgemäßes Vorgehen nach der VO (EG) 715/2007 nebst Durchführungsverordnung, ist die Kausalität zu bejahen. Denn es kann schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung festgestellt werden, dass die Umweltverträglichkeit und insbesondere die Gesetzmäßigkeit eines Fahrzeugs bzw. eines Motors für die Kaufentscheidung von Bedeutung sind. Dies genügt zur Feststellung eines Ursachenzusammenhangs (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 1995 - V ZR 34/94 -, Rn. 17, juris).
58Dass der Kläger bei Erwerb des Fahrzeugs um die Beschaffenheit des Fahrzeugs wusste, weil er seitens der Verkäuferin entsprechend informiert worden war, ist nicht festzustellen. Die Beklagte behauptet zwar, dass sie ihre Händler zu einer entsprechenden Information angehalten habe; dass dies so war und sie auch dem Kläger zugekommen ist, hat dieser indes bestritten. Beweis dafür, dass der Kläger entsprechend informiert wurde und so der Kausal- bzw. Zurechnungszusammenhang zwischen dem Handeln der Beklagten (Inverkehrbringen) und dem Erwerb des Klägers unterbrochen wurde, ist nicht angetreten, was zu Lasten der Beklagten geht.
593)
60Diese Schadenszufügung geschah auch in sittenwidriger Weise. Unter einer gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltensweise versteht man eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., Rz. 4 zu § 826 BGB). Das setzt eine besondere "Verwerflichkeit des Verhaltens" voraus, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann.
61Die Sittenwidrigkeit folgt im vorliegenden Fall daraus, dass die Beklagte unter Nutzung einer – wie ausgeführt – gesetzeswidrigen Optimierung der Motorsteuerungssoftware die Unkenntnis der Käufer hierüber zur Gewinnerzielung ausnutzte und Käufern diesen Softwareeinsatz nicht offenbarte.
62a)
63Bei Würdigung der Gesamtumstände war das ursprüngliche (bis zur Beanstandung durch das KBA gegebene) Vorgehen der Beklagten, nämlich das Verschweigen des Einsatzes der gesetzwidrigen, auf Entdeckung des NEFZ abgestellten Software auch unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen Anstandsmaßstabs jedenfalls als sittenwidrig zu bewerten, da ein derartiges Verhalten mit den Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung unvereinbar ist und von einem redlichen und rechtstreuen Verbraucher auch nicht erwartet werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 09.07.1953, Az.: IV ZR 242/52). Gerade das heimliche Vorgehen der Beklagten unter Ausnutzung eines eigenen Informations- und Wissensvorsprungs gegenüber dem nichtsahnenden Verbraucher – wie vorliegend der Kläger auch und gerade in Bezug auf seine Person im Rahmen seiner Anhörung bestätigt hat – lässt das Verhalten der Beklagten als rechtlich sittenwidrig erscheinen. Die Manipulation konnte von einem Verbraucher als technischen Laien nicht erkannt werden, sodass die Beklagte von vornherein einkalkulierte, dass die Manipulation nicht entdeckt wird. Dieses erscheint insbesondere vor dem Hintergrund besonders verwerflich, da die Entscheidung zum Kauf eines Kraftfahrzeugs, zumindest für den durchschnittlichen Verbraucher, mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden ist, der bei lebensnaher Betrachtung auf einer wohl überlegten und abwägenden Entscheidung fußt. Es verstößt auch gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, wenn ein Hersteller eine Software einsetzt, die die Einhaltung der gesetzlichen Umweltstandards „vorspielt“, um damit ein dem gesellschaftlichen Zeitgeist der Umweltfreundlichkeit und Umweltverträglichkeit entsprechendes Fahrzeug zu vermarkten. Die objektive Sittenwidrigkeit der schädigenden Handlung rührt auch daher, dass die Beklagte gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen und durch den zigtausendfachen Vertrieb der betroffenen Fahrzeuge nicht nur eine Schädigung der Umwelt unmittelbar, sondern auch der Gesundheit anderer Menschen in Kauf genommen hat. Ferner wurden die Kunden über die Eigenschaften der von ihnen gekauften Fahrzeuge getäuscht.
64Seitens der Beklagten sind nicht einfach nur die Vorgaben bezüglich des zulässigen Abgasausstoßes außer Acht gelassen und massenhafte, erhebliche Umweltverschmutzung herbeigeführt worden, sondern mit der Abschaltvorrichtung zugleich ein System zur planmäßigen Verschleierung dieses Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden und den Verbrauchern geschaffen worden, um ihr einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen oder sie wettbewerbsfähig zu halten, weil sie entweder nicht über eine Technik verfügte, um die gesetzlichen Abgasvorschriften einzuhalten, oder weil sie aus Gewinnstreben den Einbau der ansonsten notwendigen Vorrichtungen unterließ. Die daraus zu entnehmende Gesinnung, aus Unfähigkeit oder Gewinnstreben massenhaft die Käufer der so produzierten Autos bei ihrer Kaufentscheidung zu täuschen, die Wettbewerber zu benachteiligen und die Umwelt so zu schädigen, dass Gesundheitsgefahren drohen, weil die Schadstoffwerte (NOx) erhöht werden, lässt das Verhalten insgesamt als sittenwidrig erscheinen (LG Krefeld, Urteil vom 11. März 2020 – 2 O 509/18 –, Rn. 27 - 28, juris).
65b)
66Der Umstand, dass die Beklagte nach ihrer Behauptung ihren Händlern gegenüber Rückrufe des KBA angesprochen und eine Information der Kunden gefordert hat, lässt den Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht entfallen.
67Die Kammer hat insoweit bedacht, dass im Falle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung das gesetzliche Schuldverhältnis erst mit Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten begründet wird, weil der haftungsbegründende Tatbestand des § 826 BGB die Zufügung eines Schadens zwingend voraussetzt. Deshalb kann im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber nicht mehr als sittenwidrig zu werten sein. Eine solche Verhaltensänderung kann somit bereits der Bewertung seines Gesamtverhaltens als sittenwidrig – gerade in Bezug auf den geltend gemachten, erst später eingetretenen Schaden und gerade im Verhältnis zu dem erst später Geschädigten – entgegenstehen.
68Die Kammer hat auch bedacht, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 –, Rn. 28, juris) und des Oberlandesgerichts Hamm (OLG Hamm, Urteil vom 02. September 2020 – 30 U 192/19 –, Rn. 62 - 65, juris) zu Klagen von Käufern eines Fahrzeugs mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 gegen die Volkswagen AG der Ad-hoc-Mitteilung und der gleichlautenden Pressemitteilung derselben vom 22.09.2015 und der umfangreichen darauf folgenden Berichterstattung und öffentlichen Diskussion eine erhebliche Bedeutung zukommt. Denn diese Offenlegung eines Fehlverhaltens stelle eine – wenn auch gezwungene – Verhaltensänderung der Beklagten dar, mit der wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründet habe, derart relativiert werde, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber den nach September 2015 erwerbenden Kunden (in den entschiedenen Fällen jeweils im Jahr 2016) im Hinblick auf den Schaden, der bei ihnen durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags entstanden sei, nicht mehr gerechtfertigt sei.
69So verhält es sich aber vorliegend nicht. Die Beklagte – ihr Vorbringen als richtig unterstellt – hat nicht den Gang in die Öffentlichkeit gewählt und ein Fehlverhalten in Bezug auf Fahrzeuge wie das streitgegenständliche eingestanden. Sie hat lediglich im „vertriebsinternen“ Bereich die Möglichkeit einer Information potentieller Interessenten geschaffen; ob diese umgesetzt wird oder nicht, lag schon nicht in ihrer Hand. Zudem ist auch der Inhalt des für die Kunden vorgesehenen Schreibens auch nicht so gestaltet, dass klar und unmissverständlich der Leser weiß, ob „sein“ Fahrzeug von einer Beanstandung durch das KBA betroffen ist oder aber lediglich eine freiwillige Maßnahme durchgeführt wird (vgl. Anlage B9). Eine wesentliche Verhaltensänderung die ein Entfallen des Vorwurfs der Sittenwidrigkeit nach sich zieht, geht damit nicht einher.
704)
71Die schädigende Handlung ist der Beklagten auch zuzurechnen.
72Zwar setzt die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB i. V. m. § 31 BGB voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter i. S. d. § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat (vgl. BGH, Urteil v. 28.06.2016, Az. VI ZR 536/15, juris Rz. 13). Dabei zählen allerdings zu den verfassungsmäßig berufenen Vertretern einer Gesellschaft im Sinne des § 31 BGB nicht nur die satzungs- oder gesetzmäßigen Organe einer juristischen Person, wie etwa Vorstandsvorsitzende und Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft, sondern alle Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Personen zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind und die die juristische Person insoweit repräsentieren. Es ist weder erforderlich, dass die Tätigkeit des verfassungsmäßig berufenen Vertreters satzungs- oder gesetzmäßig vorgesehen ist, noch muss er rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht für das Unternehmen besitzen. Zu dem Personenkreis, deren Handeln sich die Beklagte entsprechend § 31 BGB zurechnen lassen muss, gehören deshalb auch leitende Angestellte (so auch OLG Koblenz, Urteil v. 12.06.2019, Az. 5 U 1318/18, juris Rz. 66; Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Auflage, Rz. 6 zu § 31 BGB).
73Davon ist aber für die hier zu treffende Entscheidung auszugehen. Denn die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast zu der Frage, wie die Entscheidungsstrukturen bei der Entwicklung und Zulassung einer Motorserie wie der im klägerischen Fahrzeuge verbauten, welches ihrer Organe Kenntnis von der Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware hatte und das Inverkehrbringen entsprechend ausgerüsteter Motoren veranlasst hat, nicht nachgekommen. Der Gegner der darlegungspflichtigen Partei darf sich nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken, wenn die darlegungspflichtige Partei – hier der Kläger – außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner - die Beklagte - sie hat und ihr nähere Angaben zumutbar sind. Dies ist hier der Fall.
74Der Kläger hat ausreichend dargelegt, warum davon auszugehen ist, dass die bei der Beklagten tätigen Führungspersonen Kenntnis von der Entwicklung und dem Einbau der streitgegenständlichen Motorsoftware gehabt haben mussten. Allerdings hat der Kläger keinerlei Einblick in die internen Entscheidungsvorgänge bei der Beklagten und ist auf Veröffentlichungen der Medien und auf Rückschlüsse und Vermutungen angewiesen. Hingegen hat die Beklagte jede Möglichkeit, die in ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Abschalteinrichtung abgelaufenen Vorgänge und Entscheidungsprozesse darzulegen, um es so der Klägerin zu ermöglichen, ihrerseits die ihr obliegende weitergehende Darlegung und den erforderlichen Beweisantritt vornehmen zu können. Wenn die Beklagte aber nicht darlegt, welche Erkenntnisse im Hinblick auf die interne Verantwortlichkeit die Ermittlungen ergeben haben, kann die Klägerseite keinen weiteren Vortrag im Hinblick auf die Kenntnisse der entscheidenden Personen vorbringen. Die Nichterfüllung der sekundären Darlegungslast der Beklagten hat zur Folge, dass der klägerische Vortrag gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden zu behandeln ist (vgl. LG Münster, Urteil vom 28. Januar 2020 – 14 O 163/19 –, Rn. 39 - 40, juris).
755)
76Die Beklagte hat auch sämtliche vorbeschriebenen Merkmale der Schadenszufügung im Sinne des § 826 BGB in ihrer Person vorsätzlich verwirklicht. Erforderlich hierfür ist im Rahmen von § 826 BGB die Kenntnis von dem Eintritt eines Schadens, der Kausalität des eigenen Verhaltens und der die Sittenwidrigkeit des Verhaltens begründenden Umstände.
77Die Beklagte handelte mit Schädigungsvorsatz im Sinne des § 826 BGB. Insoweit muss der Schädiger nicht im Einzelnen wissen, wer der durch sein Verhalten Geschädigte sein wird. Er muss nur die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden anderer auswirken könnte, und die Art des möglichen Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen haben (BGH, Urteil v. 19. Juli 2004, Az. II ZR 402/02, juris Rz. 47; OLG Koblenz, Urteil v. 12.06.2019, Az. 5 U 1318/18, juris Rz. 61). Für die beteiligten Organe der Beklagten im Sinne des § 31 BGB war aufgrund ihrer Kenntnis – s.o. – von der Implementation der Software offensichtlich, dass die Kunden der Beklagten künftig Fahrzeuge erwerben würden, welche ihren berechtigten Erwartungen an den gesetzeskonformen Erwerb der Typgenehmigung und die technische Mangelfreiheit nicht entsprachen, was sich zudem nachteilig auf den Vermögenswert der Fahrzeuge auswirken würde.
78Auch dass Bewusstsein der die Sittenwidrigkeit begründenden objektiven Umstände ist beim Vorstand der Beklagten – wie dargelegt – vorliegend aufgrund ihres unwirksamen Bestreitens zugrunde zu legen.
796)
80Dem Kläger ist auch ein Schaden entstanden.
81Im Rahmen des § 826 BGB richtet sich die Rechtsfolge des Schadenersatzanspruchs auf den Ersatz des sog. „negativen Interesses“. Der Geschädigte hat einen Anspruch, so gestellt zu werden, wie er ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses stünde (vgl. Staudinger/Oechsler, Neubearbeitung 2014, BGB, § 826 Rn. 153). Seinem Interesse kann durch Rückabwicklung des Vertrages oder durch Ersatz des durch die Täuschung verursachten wirtschaftlichen Mehraufwandes Rechnung getragen werden. (vgl. Staudinger a.a.O.). Der Kläger ist daher so zu stellen, als wenn er den schädigenden Vertrag nicht abgeschlossen hätte und hat folglich einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gegenüber der Beklagten.
82Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Beklagte im vorliegenden Fall Dritte und damit nicht Vertragspartnerin des Klägers war. Grundsätzlich ist der Schadensersatz gem. § 826 BGB, der auf die Befreiung einer durch Täuschung eingegangen vertraglichen Verbindlichkeit abzielt, in Art und Umfang nur gegen den direkten Vertragspartner möglich (vgl. MünchKomm/Wagner, 7. Auflage 2017, § 826 Rn. 53). Ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages kann aber auch gegenüber Dritten bestehen (vgl. OLG München, Urt. v. 20.08.1999, Az.: 14 U 860/98). Das Oberlandesgericht München hat entschieden, dass der Käufer eines Gebrauchtwagens, den er von einem Kfz-Händler gekauft hat, und der einen schweren Vorschaden aufweist, von dem privaten Verkäufer, der den Vorschaden beim Verkauf arglistig verschwiegen hatte, Schadensersatz in der Weise verlangen kann, dass er so gestellt wird, als hätte er das Fahrzeug nicht von dem Kfz-Händler gekauft. Die Argumentation des Oberlandesgerichts München greift auch im vorliegenden Fall. Ohne das Verschweigen der Beklagten hinsichtlich des Einsatzes der sog. Prüfstandsentdeckungssoftware hätte der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben. Damit kann der Kläger von der Beklagten aufgrund der von dieser ihm gegenüber bedingt vorsätzlich vorgenommenen Schädigung gemäß § 826 BGB Ersatz des ihm daraus entstandenen Schadens verlangen. Sein „negatives Interesse“ geht dabei nicht nur auf den möglicherweise eingetretenen Wertverlust, er kann vielmehr von der Beklagten auch die Herstellung des Zustandes verlangen, der ohne den Kauf des Fahrzeugs bestehen würden.
83Die Beklagte muss danach die wirtschaftlichen Folgen des Kaufs dadurch ungeschehen machen, dass sie den Kaufpreis von 39.900,00 € gegen Herausgabe des PKW erstattet.
84Dieser Anspruch folgt aus § 249 BGB in Verbindung mit den Grundsätzen des allgemeinen Schadensrechts. Danach ist der zu ersetzende Schaden nach der Differenzmethode unter Anwendung der allgemeinen Grundsätze der Schadenszurechnung und der Vorteilsausgleichung zu berechnen. Wenn der zu leistende Schadensersatz in der Rückabwicklung eines gegenseitigen Vertrages besteht, gehört zu den in die in die Differenzrechnung einzustellenden Vorteilen auch der Wert der von dem Geschädigten vor der Rückgabe der mangelhaften Gegenleistung gezogenen Nutzungen - es sei denn, deren Anrechnung würde den Geschädigten unzumutbar belasten oder den Schädiger unbillig begünstigen (vgl. BGH, Urteil v. 12.03.2009, Az. VII ZR 26/06, juris Rz. 15, m. w. N.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor, weshalb die gezogenen Nutzungen entgegen der Auffassung der Klägerin schadensmindernd zu berücksichtigen sind: Die aus dem Fahrzeug gezogenen Nutzungen waren objektiv werthaltig, von der Klägerin gewollt und kamen ihr auch tatsächlich zugute. Sie durfte das Fahrzeug auch rechtlich nutzen, da es zu einer Stilllegungsverfügung durch die zuständige Straßenverkehrsbehörde zu keinem Zeitpunkt gekommen ist, und hat es auch tatsächlich genutzt. Der anzurechnende Nutzungsvorteil berechnet sich nach der Formel „gefahrene Kilometer x Bruttokaufpreis / vorauss. Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs.
85Die voraussichtliche Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen 3,0 Liter-TDI-Fahrzeugs schätzt die Kammer gemäß § 287 ZPO auf 300.000 km (so auch OLG Köln, Beschluss v. 03.01.2019, Az. 18 O 70/18, juris Rz. 52; OLG Koblenz, Urteil v. 12.06.2019, juris Rz. 111). Unter Berücksichtigung der zur Zeit des Kaufs bereits gegebenen Laufleistung ergibt sich folgende Berechnung:
86(93.574 km – 64.462 km) x 39.990 € = 4.942,68 €
87(300.000 km – 64.462 km)
88Der Schadensersatzanspruch der Klägerin beläuft sich damit auf insgesamt 35.047,32 € (39.990 € - 4.942,68 €).
897)
90Die zuerkannten Zinsen folgen aus §§ 291, 288 BGB.
91II.
92Die Feststellungsklage gemäß dem jetzigen Klageantrag zu 2) ist zulässig und begründet.
93Das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse besteht, weil die Feststellung der erleichterten Vollstreckung des geltend gemachten Leistungsanspruchs dient und hierzu erforderlich ist (vgl. BGH, NJW 2002, 1262). Er ist auch begründet, denn die Beklagte befindet sich spätestens mit dem Stellen ihres Klageabweisungsantrags in der mündlichen Verhandlung in Annahmeverzug hinsichtlich der Rücknahme des streitgegenständlichen Pkws. Dadurch hat die Beklagte unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Kaufpreisrückerstattung auch unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung ablehnt.
94III.
95Da der Kläger mit ihrer Hauptforderung obsiegt, kann sie auch die Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten von der Beklagten verlangen. Diese sind bei einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung stets Teil des nach §§ 826, 249 ff. BGB geschuldeten Schadenersatzes. Ausgehend von einem berechtigten Forderungswert von bis zu 40.000,00 € zum Zeitpunkt der außergerichtlichen Tätigkeit ergibt dies – dem Ansatz des Klägers folgend – zu erstattende Kosten in Höhe von 1.590,91 € (1,3-fache Geschäftsgebühr nebst Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG zzgl. 19% MwSt.).
96IV.
97Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Kammer hat hier auch berücksichtigt die Rücknahme der nicht unerheblichen Nebenforderung auf Deliktszinsen (mehr als 3.500,00 €).
98Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
99V.
100Der Streitwert wird festgesetzt auf bis zu 40.000,00 €.