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1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
2Die Parteien streiten um einen Schmerzensgeldanspruch wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
3Die Klägerin ist eine enge Freundin der – von dem Beklagten inzwischen getrennt lebenden – Ehefrau des Beklagten. Sie pflegte mit der Ehefrau des Beklagten eine WhatsApp-Kommunikation. Der Beklagte hat sich am 14.03.2020 des Chatverlaufs, welcher in der Zeit vom 13.02.2020 bis zum 10.03.2020 zwischen der Klägerin und der Ehefrau des Beklagten geführt wurde, bemächtigt. Wegen des Inhalts des Chatverlaufs wird auf dessen in der Klageschrift wiedergegebenen Auszug (Bl. 2 ff. der Akte) Bezug genommen. Der Beklagte hat den Inhalt des Chatverlaufs jedenfalls zwei Personen, nämlich L und C, zur Kenntnis gegeben.
4Mit der Begründung, dass die Weitergabe des Chatsverlaufs in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin eingegriffen habe, forderte die Klägerin den Beklagten mit vorgerichtlichem Anwaltsschreiben vom 29.04.2020 auf, an sie ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.200 Euro zu zahlen. Der Beklagte kam dieser Aufforderung nicht nach.
5Die Klägerin behauptet, dass der Beklagte den Chatverlauf nicht nur zwei Personen, sondern der gesamten Familie der Ehefrau des Beklagten, Freunden und entfernten Verwandten gezeigt habe. Jedenfalls sei der Chatverlauf zwölf Personen (vgl. Auflistung Bl. 7 der Akte) gezeigt worden. Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Beklagte damit in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin eingegriffen habe. Da es sich um eine Kommunikation zwischen zwei engen Freundinnen, welche teilweise auch zweideutig ausgelegt werden könne, gehandelt habe, liege ein Eingriff in die Intimsphäre vor. Dies rechtfertige die Beanspruchung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 3.200 Euro.
6Ohne zuvor einen Einigungsversuch vor einer anerkannten Gütestelle zu unternehmen, erhob die Klägerin mit dem am 15.05.2020 bei Gericht eingegangenen und dem Beklagten am 17.07.2020 zugestellten Schriftsatz Klage gegen den Beklagten und beantragt,
71. den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von zumindest 3.200,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
82. den Beklagten zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
9Der Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Die Beklagte behauptet, selbst den beiden Personen, denen er den Chatverlauf gezeigt habe, diesen nicht ausgehändigt oder sonst dauerhaft zur Verfügung gestellt zu haben. Er habe im Rahmen eines Gespräches vielmehr lediglich kurz auf den Chatverlauf verwiesen und dabei direkt auf die entsprechenden von seiner Ehefrau stammenden Passagen verwiesen. Die von der Klägerin herrührenden Passagen hätten die beiden Personen mithin nicht, allenfalls lediglich flüchtig, zur Kenntnis genommen. Der Kläger ist der Ansicht, dass darin kein wesentlicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin zu sehen sei. Allenfalls sei deren Sozialsphäre betroffen. Ein diesbezüglicher Eingriff sei jedoch gerechtfertigt, weil der Beklagte berechtigte Interessen wahrgenommen habe. Die Zahlung eines Schmerzensgeldes sei auch bereits deshalb nicht erforderlich, weil der Beklagte sich bereits im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs in einem einstweiligen Verfügungsverfahren dazu verpflichtet habe, den Chatverlauf nicht mehr dritten Personen zugänglich zu machen. Jedenfalls sei die Höhe des geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs deutlich übersetzt.
12Das Gericht hat die Klägerin mit Verfügung vom 09.10.2020 (Bl. 71 der Akte) darauf hingewiesen, dass die erhobene Klage mangels zuvor durchgeführten Einigungsversuchs vor einer anerkannten Gütestelle unzulässig sein dürfte.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
14Entscheidungsgründe:
15I.
16Die Klage ist unzulässig.
17Die Klägerin sieht sich durch die Weitergabe des Chatverlaufs an außenstehende Dritte in ihrer Intimsphäre verletzt. Ihrer Ansicht nach sei es dem Beklagten dabei darum gegangen, sie gegenüber diesen Dritten „zu diskreditieren“ (so bspw. auf Seite 4 der Replik, Bl. 65 der Akte). Die Klägerin sieht mithin ihre „persönliche Ehre“ verletzt. Darauf stützt sie den in diesem Verfahren geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist mithin eine Streitigkeit über Ansprüche wegen der Verletzung der persönlichen Ehre im Sinne des § 15a Abs. 1 Nr. 3 EGZPO i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW. Diese ist auch nicht in Presse oder Rundfunk, sondern im persönlichen Umfeld des Beklagten begangen worden.
18Nach dem eindeutigen Wortlaut der vorbenannten Normen ist die Erhebung der Klage in einem solchen Fall erst zulässig, nachdem von einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Einen solchen vorgerichtlichen Einigungsversuch hat es nicht gegeben, weshalb die trotzdem erhobene Klage unzulässig ist.
19Entgegen der Ansicht der Klägerin ist das Erfordernis eines vorherigen Einigungsversuchs vor einer Gütestelle in die persönliche Ehre betreffenden Verfahren, in welchen lediglich ein Zahlungsanspruch geltend gemacht wird, auch nicht durch eine zwischenzeitliche Änderung des § 53 JustG NRW weggefallen. Zwar hat – worauf die Klägerin hinweist – der BGH in diversen Entscheidungen zum Nachbarschaftsrecht die Ansicht vertreten, der Landesgesetzgeber habe „Geldforderungen schlechthin, auch bei einer nachbarrechtlichen Grundlage, schlichtungsfrei stellen“ wollen (vgl. BGH, Urteil vom 19.02.2016 – V ZR 96/15 –, juris-Rn.12 und BGH, Urteil vom 27.01.2017 – V ZR 120/16 –, juris-Rn. 10). Unabhängig von der – wohl zu bejahenden – Frage, ob das Verständnis zum Nachbarrecht auch auf das Ehrverletzungsrecht übertragbar wäre, ist diese Ansicht jedoch abzulehnen. Im Einzelnen:
20Eine solche Auslegung lässt sich bereits mit dem Wortlaut des § 53 JustG NRW nicht mehr vereinbaren. Eine jede Auslegung hat zunächst vom Wortlaut der Erklärung auszugehen, wobei allerdings der tatsächliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften (vgl. BeckOK BGB/Wendtland, 57. Ed. 1.2.2021, BGB § 133 Rn. 23). Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG ist in Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre ein Schlichtungsverfahren durchzuführen. Ob diese Ansprüche Geldforderungen oder anderweitige Forderungen betreffen, wird in der vorbenannten Norm nicht unterschieden. Wenn der Gesetzgeber Geldforderungen hätte vom Anwendungsbereich ausnehmen wollen, hätte er dies ohne weiteres tun können. Er hat es aber nicht getan. Es steht nicht im Belieben der Rechtsprechung, trotzdem eine entsprechende Ausnahme für Geldforderungen anzunehmen, obwohl dies vom Wortlaut der Norm nicht gedeckt ist. Der BGH führt in der letztgenannten der beiden zitierten Entscheidungen selbst aus, dass eine solche Einschränkung „im Wortlaut der Vorschrift keinen ausdrücklichen Niederschlag“ finde.
21Nach Ansicht des BGH solle sich eine entsprechende Einschränkung jedoch aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergeben. Unabhängig davon, dass auch eine historische Auslegung mit dem Wortlaut der Norm vereinbar sein muss, überzeugt auch dies nicht. Zwar ist richtig, dass der Landesgesetzgeber die durch § 15a Abs. 1 Nr. 1 EGZPO eröffnete Möglichkeit, auch bei „allgemeinen“ vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einer bestimmten Wertgrenze ein Schlichtungsverfahren vorzuschreiben, nicht weiter in Anspruch nehmen wollte. In der Begründung des Gesetzesentwufs (vgl. LT-Drucks. 14/4975, Seite 8) wird insofern ausgeführt, dass sich das vorgeschriebene Schlichtungsverfahren insoweit nicht bewährt habe. Vielfach werde von der Möglichkeit der „Flucht ins Mahnverfahren“ Gebrauch gemacht, da ein Schlichtungsverfahren nach der Vorgabe des § 15a Abs. 2 Nr. 5 EGZPO nicht vorgeschrieben werden konnte, wenn der Anspruch vor Durchführung des streitigen Verfahrens in einem Mahnverfahren geltend gemacht worden war. Die obligatorische Streitbeilegung für „vermögensrechtliche Streitigkeiten“ sollte deshalb nicht weiterverfolgt werden. Ob dies lediglich für die „allgemeinen“ vermögensrechtlichen Streitigkeiten im Sinne des § 15a Abs. 1 Nr. 1 EGZPO (was bereits deshalb naheliegt, weil nur in dieser Norm ausdrücklich ebenfalls von "vermögensrechtlichen Streitigkeiten" die Rede ist) oder auch für Geldforderungen im Zusammenhang mit den weiteren in § 15a Abs. 1 EGZPO genannten Rechtsgebieten (Nachbarrecht, Ehrschutzrecht, AGG) gelten sollte, ist in der Begründung des Gesetzesentwurfs nicht ausdrücklich ausgeführt. Dass nur die erstgenannte Alternative gemeint gewesen sein kann, ergibt eine systematische Auslegung. So wird in der Gesetzesbegründung explizit ausgeführt, dass sich die obligatorische außergerichtliche Streitschlichtung im Bereich des Nachbarrechts und der Ehrschutzverfahren durchaus bewährt habe und fortgeführt werden sollte (vgl. LT-Drucks. 14/4975, Seite 7). Der in Bezug genommene Abschlussbericht der zuständigen Bund-Länder-Arbeitsgruppe formuliert noch deutlicher, dass „die in § 15a Abs. 1 Nr. 2 und 3 enthaltenen Sachgebiete […] unverändert fortgelten“ sollten, und weiter: „Reformbedarf besteht insoweit nicht“ (vgl. LT-Drucks. 14/4975, Seite 6). Auch in Bezug auf die zivilrechtlichen Streitigkeiten nach dem AGG (welche nach § 15 AGG nahezu ausschließlich aus Geldforderungen bestehen dürften) wird in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass sich dieser Bereich ebenso wie die Ehrschutz- und Nachbarrechtsstreitigkeiten für eine Streitschlichtung eigne (vgl. LT-Drucks. 14/4975, Seite 8). Insgesamt ist mithin nichts dafür ersichtlich, dass der Landesgesetzgeber Geldforderungen aus der Schlichtungsvorgabe in für überaus wichtig gehaltenen Bereichen des Ehrschutzes, des Nachbarrechts und des Gleichbehandlungsrechts herausnehmen wollte. Im Gegenteil: Dadurch, dass der Landesgesetzgeber die Vorschrift des § 53 Abs. 2 Nr. 5 JustG, nach welcher ein Schlichtungsverfahren bei Durchführung eines Mahnverfahrens entbehrlich ist, auch nach der Änderung aufrechterhalten hat, hat er mehr als deutlich zu erkennen gegeben, dass es – selbstverständlich – auch zukünftig noch Verfahren geben wird, in denen dem Grunde nach ein Schlichtungsverfahren vorgeschrieben, jedoch bei Vorschaltung eines Mahnverfahrens entbehrlich ist. Ansonsten hätte der Landesgesetzgeber die vorgenannte Norm mangels Anwendungsbereichs auch gleich mitstreichen können. Es muss mithin denklogisch auch weiterhin Fälle geben, in welchen Geldforderungen geltend gemacht werden (in einem Mahnverfahren kann gemäß § 688 Abs. 1 ZPO nur ein Anspruch, der „die Zahlung einer bestimmten Geldsumme in Euro zum Gegenstand hat“, geltend gemacht werden) und die dem Grunde nach in den Anwendungsbereich der Vorgabe eines Schlichtungsverfahrens fallen. Da die „allgemeinen“ vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einer bestimmten Wertgrenze (§ 15a Abs. 1 Nr. 1 EGZPO) nach der landesrechtlichen Regelung gerade nicht mehr im vorbenannten Anwendungsbereich des § 53 Abs. 1 JustG sind, müssen diese Geldforderungen denklogisch aus den verbliebenen Bereichen des Ehrschutzes, des Nachbarschaftsrechts und des Gleichbehandlungsrechts stammen. Allein deshalb ist auszuschließen, dass der Landesgesetzgeber Geldforderungen aus den vorgenannten „Spezialbereichen“ aus dem Anwendungsbereich der zwingenden außergerichtlichen Streitbeilegung herausnehmen wollte.
22II.
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
24III.
25Die Regelung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
26IV.
27Der Streitwert des Verfahrens wird festgesetzt auf 3.200 Euro.
28Rechtsbehelfsbelehrung:
29A) Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
301. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
312. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
32Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Paderborn, Am Bogen 2-4, 33098 Paderborn, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
33Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Paderborn zu begründen.
34Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Paderborn durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
35Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
36B) Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht Delbrück statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht Delbrück, Lohmannstr. 28, 33129 Delbrück, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.
37Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.