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Einer Aussetzung im Hinblick auf die EuGH-Vorlage des BGH vom 25. Juli 2024 (Az.I ZR 90/23) bedarf es nicht, da das Sportwetten Angebot der Beklagten demmateriellen Glücksspielrecht widersprach, daher auch in einemunionsrechtskonformen Konzessionsverfahren nicht erlaubnisfähig gewesen wärenund die zivilrechtlichen Folgen einer unionsrechtlichen Klärung nicht bedürfen (BGH,EuGH-Vorlage vom 25. Juli 2024 – I ZR 90/23 – Rn. 38, juris). Dies gilt sowohl fürbereicherungsrechtliche als auch für deliktische Ansprüche.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.635,01 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.01.2024 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Der Antrag auf Aussetzung des Rechtsstreits analog § 148 ZPO bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsverfahrens des Europäischen Gerichtshofs Az. C-440/23 wird zurückgewiesen.
Tatbestand
2Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückzahlung entstandener Spielverluste aus Online-Sportwetten in Anspruch.
3Die Beklagte betrieb jedenfalls im Zeitraum von April 2014 bis September 2020 die Internetseite „K." für Online-Sportwetten. Die Internetseite ist in Deutschland abrufbar und der Inhalt in deutscher Sprache formuliert. Die Beklagte hat ihren Sitz in Gibraltar und verfügt auch über eine Lizenz dieses Landes. Eine Lizenz für die Tätigkeit im Gebiet des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen hatte sie nicht. Einen Antrag auf Erteilung einer deutsch (bundesweiten) Konzession stellt die Beklagte 2012. Das Konzessionsverfahren betraf das Angebot von Sportwetten und wurde vom Hessischen Ministerium des Innern und für Sport geführt. Das Ministerium teilte mit Schreiben vom 2. September 2014 mit, dass die Beklagte alle Voraussetzungen einer Konzessionserteilung erfülle. Infolge verwaltungsgerichtlicher Rechtsbehelfe von nicht berücksichtigten Wettbewerbern der Beklagten erfolgte eine Konzessionsvergabe an die Beklagte gleichwohl nicht. Die Vergabe einer wirksamen Konzession für die bundesweite Veranstaltung von Sportwetten erfolgte letztlich erst im Rahmen eines neuen Vergabeverfahrens ab Oktober 2020.
4Der Kläger nutzte das Online-Angebot der Beklagten, nachdem er sich auf der Website der Beklagten unter Angabe des Wohnsitzes – der im Bezirk des Landgerichts Münster liegt – registriert hatte.
5Im Zeitraum von April 2014 bis September 2020 erlitt der Kläger in Form von an die Beklagte geleisteter Zahlungen einen Verlust in Höhe von insgesamt 6.635,01 EUR. Wegen der Einzelheiten wird die Auflistung der Verluste in der Anlage K2 Bezug genommen.
6Der Kläger ist der Ansicht, das Landgericht Münster sei international und örtlich zuständig und deutsches Recht komme zur Anwendung, da er das Online-Angebot der Beklagten als Verbraucher wahrgenommen habe.
7Der Kläger macht die Unzulässigkeit der Sportwetten sowie die Unwirksamkeit der Wettverträge geltend. Das Sportwetten Angebot der Beklagten sei nicht erlaubt und auch nicht erlaubnisfähig gewesen, weil es den Anforderungen von § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV 2012 (monatlicher Höchsteinsatz je Spieler) und § 4 Abs. 5 Nr. 5 GlüStV 2012 (Trennung zwischen Sportwetten und anderen Glücksspielen) nicht genügt habe. Außerdem habe die Beklagte eine sogenannte Cash-Out-Funktion angeboten, die unzulässig sei. Daher könnten die geleisteten Zahlungen gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückgefordert werden, ohne dass dem § 762 Abs. 1 BGB oder § 817 S. 2 BGB entgegenstünden, denn er habe keine Kenntnis von der Illegalität der angebotenen Glücksspiele gehabt. Des Weiteren bestünden auch deliktische Schadensersatzansprüche.
8Es könne kein Zweifel an der Aktivlegitimation bestehen. Der vorgelegte Prozesskostenfinanzierungsvertrag (Anlage K21) enthalte keine Abtretung.
9Der Kläger beantragt,
10die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.635,01 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Außerdem beantragt die Beklagte,
14den Rechtsstreit bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsverfahrens des Europäischen Gerichtshofs Az. C-440/23 gemäß § 148 ZPO analog auszusetzen.
15Die Beklagte meint, das Fehlen einer Sportwetten-Lizenz bis Oktober 2020 könne der Beklagten zivilrechtlich nicht entgegengehalten werden. Denn das Konzessionsverfahren von 2012 beim Hessischen Ministerium des Innern und für Sport sei wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot europarechtswidrig. Dies folgt aus der Entscheidung „Ince“ des EuGH (EuGH, Urt. v. 4. Februar 2016, Az. C-336/14 – „Ince“). Eine fehlende Lizenz könne daher keine zivilrechtlichen Folgen, insbesondere keine Nichtigkeit von Sportwettverträgen gemäß § 134 BGB oder die Annahme einer Schutzgesetzverletzung i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB nach sich ziehen. Ein Verstoß gegen die Limit-Regeln des § 4 Abs. 5 Nr. 2 Satz 1 GlüStV 2012 könne nicht als Anknüpfungspunkt für zivilrechtliche Ansprüche dienen. Der GlüStV 2012 habe in § 4 Abs. 5 Nr. 2 Satz 2 eine Abweichung vom monatlichen Einsatzlimit von 1.000 Euro nach oben vorgesehen. Das Verlinkungsverbot (§ 4 Abs. 5 Nr. 5 GlüStV 2012) und das Verbot des Anbietens von Live- und Ereigniswetten (§ 21 Abs. 4 S. 2; Abs. 3 GlüStV 2012) führten ebenfalls nicht zu einer Nichtigkeit der Verträge. Mit der Neufassung des GlüStV, dem GlüStV 2021, seien diese Verbote aufgehoben worden. Die Annahme einer Nichtigkeit würde daher im Widerspruch zur aktuellen Rechtslage stehen. Außerdem liege nicht der für die Annahme einer Nichtigkeit nach § 134 BGB erforderliche beidseitige Verstoß gegen ein Verbotsgesetz vor. Im Übrigen liege aufgrund der aktiven Duldungsentscheidung der Glücksspielbehörden schon kein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 GlüStV vor.
16Bereicherungsrechtliche Ansprüche seien jedenfalls nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen. Es liege ein Rückforderungsausschluss nach § 817 S. 2 BGB vor, da sich der Kläger der öffentlichen Diskussion zur umstrittenen Legalität von Online-Glücksspielen leichtfertig verschlossen habe.
17Deliktische Ansprüche seien nicht gegeben, weil § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 und § 284 StGB keine Schutzgesetze seien und hinsichtlich der freiwillig geleisteten Spieleinsätze kein Schaden entstanden sei. Es sei denkbar, dass die Spielverluste auch bei wirksamen Vertrag eingetreten wären, sodass eine etwaige Unwirksamkeit nicht kausal für den Schadenseintritt sei.
18Überdies stünde sowohl bereicherungsrechtlichen als auch deliktischen Ansprüche ein Verstoß gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB entgegen. Eine erfolgreiche Klage würde es dem Kläger ermöglichen, risikolos spielen zu können und damit die Zufallsabhängigkeit des Glücksspiels auszuhebeln.
19Im Hinblick auf die Prozessfinanzierung fehle es außerdem an der Aktivlegitimation des Klägers.
20Hilfsweise erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung. Auf die Kenntnis des Klägers von der Illegalität des Online-Glücksspiels komme es nicht an. Denn das Bestehen des gesetzlichen Verbots, also die vermeintliche Illegalität des Online-Glücksspiels, sei nicht Gegenstand der maßgeblichen Kenntnis gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1 BGB. Daher seien Ansprüche, die sich auf den Zeitraum 2014 - 2019 beziehen, verjährt.
21Das Gericht hat im Rahmen des mündlichen Verhandlungstermins den Kläger persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Sachaufklärung wird auf das Verhandlungsprotokoll verwiesen.
22Die Klage wurde am 09.01.2024 zugestellt.
23Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze samt Anlagen verwiesen (§ 313 Abs. 2 S. 2 ZPO).
24Entscheidungsgründe
25Die Klage ist zulässig und begründet.
26A.
27Das Landgericht Münster ist international zuständig und deutsches Recht ist anwendbar.
28Wenn ein Verbraucher mit Wohnsitz in Deutschland Wetteinsätze zurückverlangt, die er beim (verbotenen) Online-Glücksspiel eines im europäischen Ausland ansässigen gewerblichen Anbieters verloren hat, dann sind für die Klage gem. Art. 18 Abs. 1 EuGVVO die deutschen Gerichte international zuständig, und in dem Prozess ist gem. Art. 6 Abs. 1 Rom I deutsches Recht anzuwenden (OLG Hamm, Urteil vom 21. März 2023 – 21 U 116/21).
29Als Verbraucher ist in diesem Zusammenhang jede natürliche Person anzusehen, die Verträge zur Deckung ihres privaten Eigenbedarfs schließt, sofern diese nicht ihrer gegenwärtigen oder zukünftigen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Verbraucher ist daher auch die Person, die einen Vertrag über die Teilnahme am Online-Poker-Spiel mit dem Ziel abschließt, daraus erhebliche Gewinne zu erwirtschaften.
30Der Kläger ist Verbraucher, da er das Glücksspiel Angebot der Beklagten nur zu privaten Zwecken nutzte. Eine unternehmerische oder gewerbliche Tätigkeit ist nicht konkret vorgetragen oder aus den Umständen erkennbar.
31Auch richtet die Beklagte ihre Tätigkeit auf Deutschland aus. So waren ihre Glücksspielangebote gerade auch in deutscher Sprache verfügbar. Wird den Verbrauchern auf der Website die Verwendung einer anderen Sprache als derjenigen ermöglicht, die in dem Mitgliedstaat des Gewerbetreibenden üblicherweise verwendet wird, so kann dies einen Anhaltspunkt bilden, der die Annahme erlaubt, dass die Tätigkeit des Gewerbetreibenden auf andere Mitgliedstaaten ausgerichtet ist. Gem. Art. 6 Abs. 1 lit b) Rom I unterliegt ein Verbrauchervertrag dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auf diesen Staat ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.
32Gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. e) Rom-I-VO ist das Vertragsstatut auch maßgebend für die Folgen der Nichtigkeit eines Vertrags, und zwar unabhängig davon, ob das Rückabwicklungsverhältnis nach dem Vertragsstatut dem Vertragsrecht oder dem Bereicherungsrecht zugewiesen wird (OLG Karlsruhe, Urteil vom 6. April 2023 – 14 U 256/21).
33Die verfolgten deliktischen Ansprüche unterfallen ebenfalls dem o.g. Verbrauchergerichtsstand, weil dieser auch nichtvertragliche Anspruchsgrundlagen erfasst, soweit sich die Klage allgemein auf einen Vertrag bezieht und eine so enge Verbindung zu diesem Vertrag aufweist, dass sie von ihm nicht getrennt werden kann (BGH, EuGH-Vorlage vom 25. Juli 2024 – I ZR 90/23 – Rn. 7, juris m.w.N.). Im Streitfall besteht für den Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 die für die Bejahung des Verbrauchergerichtsstands geforderte enge Verbindung zu dem mit der Beklagten abgeschlossenen Vertrag. Der Kläger verlangt nämlich als Verbraucher von seinem Vertragspartner den diesem vereinbarungsgemäß als Spieleinsatz überlassenen Geldbetrag ersetzt, weil jener den Spielvertrag auf Grund eines gegen ihn gerichteten gesetzlichen Verbots nicht habe abschließen dürfen.
34B.
35Der Kläger ist trotz der Einschaltung eines Prozessfinanzierers prozessführungsbefugt.
36Zwar haben der Kläger und der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung erklärt, es habe eine Sicherungsabtretung an einen Prozessfinanzierer gegeben. Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung wurde von Klägerseite unter Vorlage der Prozesskostenfinanzierungsvereinbarung (Anlage K21) – aus der sich eine Abtretung tatsächlich nicht ergibt – aber klargestellt, dass eine Abtretung nicht erfolgt ist.
37Dem Kläger ist trotz der Einschaltung eines Prozessfinanzierers ein eigenes rechtliches und wirtschaftliches Interesse an der Rückforderung der rechtsgrundlos geleisteten Spieleinsätze zuzugestehen (BGH, EuGH-Vorlage vom 25. Juli 2024 – I ZR 90/23 – Rn. 55, juris; OLG Hamm, Urteil vom 9. Januar 2024 – 21 U 45/23 – Rn. 75, juris). Insofern besteht keine systematische Vergleichbarkeit zu einer auf § 10 UWG gestützten Klage, die nicht durch eine natürliche Person, sondern nur von den in § 8 Abs. 3 Nr. 2 - 4 UWG genannten Verbänden, Einrichtungen und Kammern erhoben werden kann (OLG Hamm, Urteil vom 9. Januar 2024 – 21 U 45/23 – Rn. 75, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19. Dezember 2023 – 19 U 44/23 – Rn. 54, juris).
38C.
39Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erstattung der im Jahr 2020 eingetretenen Wettverluste nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB in Höhe von 6.440,01 EUR zu.
40Wer durch die Leistung eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB zur Herausgabe verpflichtet. Nach § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Die Beklagte hat die Beträge, die der Kläger als Spieleinsätze an sie gezahlt hat, durch dessen Leistung erlangt. Die zwischen den Parteien geschlossenen Verträge stellen hierfür keinen rechtlichen Grund dar. Die Beklagte hat durch das öffentliche Angebot von Sportwetten gegen die Regelungen in § 4 Abs. 1, 4 und 5, § 4a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2012 verstoßen, die ein gesetzliches Verbot im Sinn des § 134 BGB darstellen. Aus diesem Verstoß folgt im Streitfall die Nichtigkeit der Sportwetten Verträge.
41I.
42Die Leistung des Klägers erfolgte ohne Rechtsgrund, denn die mit der Beklagten geschlossenen Verträge sind nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig.
43Das Anbieten von Online Sportwetten ohne Erlaubnis der zuständigen Landesbehörde war nach § 4 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GlüStV 2012 verboten.
441.
45§ 4 Abs. 1, 4 und 5, § 4a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2012 sind unionsrechtskonform und stellen ein gesetzliches Verbot im Sinn des § 134 BGB dar (BGH, Beschluss vom 22. März 2024 – I ZR 88/23 – Rn. 12-22, juris m.w.N.).
46Die Beklagte hat gegen § 4 Abs. 1, 4 und 5, § 4a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2012 verstoßen, indem sie öffentlich im Internet Sportwetten angeboten hat, ohne im für den Streitfall relevanten Zeitraum über die in Deutschland gültige und erforderliche Erlaubnis zu verfügen.
47Dass die Beklagte über eine Glücksspielerlaubnis nach gibraltarischem Recht verfügte führt nicht zu einer Erlaubnis, Online-Sportwetten in Deutschland anzubieten. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bleibt jeder Mitgliedstaat berechtigt, die Möglichkeit, den Verbrauchern in seinem Hoheitsgebiet Glücksspiele anzubieten, für alle daran interessierten Veranstalter vom Besitz einer von seinen zuständigen Behörden erteilten Erlaubnis abhängig zu machen, ohne dass der Umstand, dass ein bestimmter Veranstalter bereits über eine in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Erlaubnis verfügt, dem entgegenstehen kann (EuGH, Urteil vom 8. September 2010 – C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07 –Rn. 113, juris; BGH, EuGH-Vorlage vom 25. Juli 2024 – I ZR 90/23 – Rn. 59, juris)
48Durch den Umlaufbeschluss vom 08.09.2020 sind die unerlaubten Glücksspiele - insbesondere solche, die vor diesem Zeitpunkt getätigt worden sind - nicht im Wege eines Verwaltungsakts legalisiert worden (BGH, Beschluss vom 22. März 2024 – I ZR 88/23 –, Rn. 25, juris). Die Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder haben sich lediglich auf ein koordiniertes Vorgehen in der Glücksspielaufsicht verständigt, ohne verbindlich vorzugeben, dass gegen bestimmte unerlaubte Glücksspielangebote nicht mehr vorgegangen werden soll (BGH, Urteil vom 22. Juli 2021 – I ZR 194/20 – Rn. 54).
49Der Nichtigkeit gemäß § 134 BGB steht nicht entgegen, dass sich die Verbotsnorm des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 nur an die Beklagte, nicht jedoch an den Kläger richtete. Betrifft das gesetzliche Verbot nur einen Vertragspartner, so hat ein Verstoß dagegen zwar im Regelfall nicht die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts zur Folge; etwas anderes gilt aber, wenn es mit dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes nicht vereinbar wäre, die durch das Rechtsgeschäft getroffene rechtliche Regelung hinzunehmen und bestehen zu lassen, und hieraus die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gefolgert werden muss. Dementsprechend wird hier die Nichtigkeitsfolge vom Gesetzeszweck gefordert, denn es liefe dem Sinn und Zweck, insbesondere der Bekämpfung der Spielsucht und dem Spieler- und Jugendschutz, aber auch dem Ziel, das Glücksspielangebot in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken, zuwider, geschlossene Verträge über Online-Glücksspiele trotz des Verbots als wirksam anzusehen (BGH, Beschluss vom 22. März 2024 – I ZR 88/23 – Rn. 27-36, juris; OLG Hamm, Urteil vom 21. März 2023 – 21 U 116/21 – Rn 30, juris).
50Die Nichtigkeitsfolge widerspricht nicht der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 22. März 2024 – I ZR 88/23 – Rn. 37, juris). Danach führt der Verstoß eines Zahlungsdienstleisters gegen das Verbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 GlüStV 2012, an Zahlungen im Zusammenhang mit unerlaubtem Glücksspiel mitzuwirken, indem er den vom Spieler autorisierten Zahlungsvorgang ausführt, nicht zur Nichtigkeit der Autorisierung der Kreditkartenzahlung (BGH, Beschluss vom 13. September 2022 – XI ZR 515/21 – Rn. 12, juris). Die Nichtigkeit der Glücksspielverträge hat der XI. Zivilsenat offengelassen (zur Nichtigkeit des Valutaverhältnisses vgl. 13. September 2022 – XI ZR 515/21 – Rn. 21, juris).
512.
52Unter Berücksichtigung der Maßstäbe, die der BGH in seiner EuGH-Vorlage vom 25. Juli 2024 (Az. I ZR 90/23) aufgestellt hat, verbleibt es bei der Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB, ohne dass es insoweit einer unionsrechtlichen Klärung bedarf (BGH,– Rn. 38, juris).
53Im Streitfall ist nicht die von der EuGH-Vorlage umfasste Frage maßgebend, ob die Sportwetten Verträge bereits wegen der fehlenden Erlaubnis (formelle Rechtswidrigkeit) gemäß § 134 BGB nichtig sind.
54Das Sportwetten Angebot der Beklagten wäre auch in einem unionsrechtskonformen Konzessionsverfahren nicht ohne Weiteres erlaubnisfähig gewesen, weil die angebotenen Sportwetten dem materiellen Glücksspielrecht widersprachen. Das Unionsrecht gebietet es nicht, materiell nicht erlaubnisfähige Sportwetten Angebote zivilrechtlich als wirksam zu behandeln (BGH, EuGH-Vorlage vom 25. Juli 2024 – I ZR 90/23 – Rn. 39, juris). Die Beklagte kann aus einer Unvereinbarkeit des Konzessionserteilungsverfahrens mit dem Unionsrecht keine Rechte herleiten, die sie auch in einem unionsrechtskonformen Konzessionserteilungsverfahren nicht hätte erlangen können (BGH, Beschluss vom 22. März 2024 – I ZR 88/23 – Rn. 55, juris).
55a.
56Ein Verstoß gegen das materielle Glückspielrecht liegt hier in der Nichteinhaltung der Höchsteinsatzregelung des § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV 2012.
57Die Kammer folgt der Auffassung des BGH, dass die von einem Sportwetten Anbieter über das Internet geschlossenen Verträge – unabhängig von der Ausgestaltung des Konzessionserteilungsverfahrens – nichtig sind, wenn dieser entgegen § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV 2012 den Höchsteinsatz für diesen Spieler nicht auf einen Betrag von 1.000 € pro Monat begrenzt hat (BGH, EuGH-Vorlage vom 25. Juli 2024 – I ZR 90/23 – Rn. 40, juris; BGH, Beschluss vom 22. März 2024 – I ZR 88/23 – Rn. 49-55, juris).
58Aus der Aufstellung über die Spielverluste des Klägers (Anlage K2) ergibt sich, dass der Kläger in mehreren Monaten (Januar 2020, Februar 2020, März 2020) einen monatlichen Höchsteinsatz von 1.000 EUR um ein Mehrfaches überstieg.
59Die Beklagte kann sich im Verhältnis zum Kläger nicht darauf berufen, dass in einer Konzession ein abweichender Höchsteinsatz festgesetzt werden könnte (vgl. § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV 2012) (BGH, Beschluss vom 22. März 2024 – I ZR 88/23 – Rn. 51, juris; BGH, EuGH-Vorlage vom 25. Juli 2024 – I ZR 90/23 –, Rn. 43, juris). Sie verfügt über keine Konzession, in der die zuständige Behörde eine solche in ihrem Ermessen stehende Entscheidung getroffen hätte. Sie konnte auch nicht auf die Erteilung einer solchen Erlaubnis vertrauen und könnte sich deshalb im Verhältnis zum Kläger auf einen von der zuständigen Behörde geschaffenen Vertrauenstatbestand nicht mit Erfolg berufen.
60Es ist dabei unerheblich, ob sich der Verstoß der Beklagten gegen § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV 2012 konkret auf die mit dem Kläger geschlossenen Sportwetten Verträge ausgewirkt hat, also jeder einzelne Wettvertrag unter Verstoß gegen den monatlichen Höchsteinsatz von 1.000 EUR je Spieler zustande gekommen ist (BGH, Beschluss vom 22. März 2024 – I ZR 88/23 – Rn. 54, juris; BGH, EuGH-Vorlage vom 25. Juli 2024 – I ZR 90/23 –, Rn. 42, juris).
61Ein Anbieter, der die genannten Anforderungen nicht eingehalten hat, kann sich darüber hinaus nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es für die Konzessionserteilung nicht auf das tatsächlich vorhandene, sondern das in der eingereichten Bewerbung dargestellte Angebot ankomme (BGH, EuGH-Vorlage vom 25. Juli 2024 – I ZR 90/23 – Rn. 44, juris).
62Der Verstoß des Sportwetten Angebots der Beklagten gegen das gesetzliche Verbot des § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV 2012 erfordert die Nichtigkeit der mit dem Kläger geschlossenen Sportwetten Verträge (BGH, Beschluss vom 22. März 2024 – I ZR 88/23 – Rn. 52, juris).
63b.
64Entsprechendes gilt für weitere spielerschützende Regelungen des materiellen Glücksspielrechts wie die vollständige Trennung der Wetten von anderen Glücksspielen (§ 4 Abs. 5 Nr. 5 GlüStV 2012) und den Ausschluss von sogenannten Ereigniswetten auf einzelne Vorgänge während des laufenden Sportereignisses (§ 21 Abs. 4 Satz 3 Teilsatz 2 GlüStV 2012) (BGH, EuGH-Vorlage vom 25. Juli 2024 – I ZR 90/23 –Rn. 46, juris; BGH, Beschluss vom 22. März 2024 – I ZR 88/23 – Rn. 56, juris).
65Die Verstöße gegen das Trennungsgebot des § 4 Abs. 5 Nr. 5 GlüStV 2012 und das Verbot von Live Wetten (§ 21 Abs. 4 Satz 3 Teilsatz 2 GlüStV 2012) sind durch die vom Kläger vorgelegte Anlage K17 belegt. Dem Screenshot der von der Beklagten betriebenen Internetseite mit Stand Januar 2020 kann entnommen werden, dass ohne jegliche Trennung sowohl Sportwetten als auch Live-Wetten und auch Online-Casinospiele angeboten wurden.
66Die Beklagte kann dem nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass diese Verbote mit der Reform des Glückspielstaatsvertrages aufgehoben wurden. Für den Fall einer nachträglichen Aufhebung eines Verbotsgesetzes ist anerkannt, dass die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts, das zuvor unter Verstoß gegen ein aufgehobenes Gesetz abgeschlossen wurde, hiervon grundsätzlich unberührt bleibt (OLG Karlsruhe, Urteil vom 6. April 2023 – 14 U 256/21 – Rn 55).
67II.
68Der klägerischen Forderung steht ein Kondiktionsausschluss gem. § 817 S. 2 BGB nicht entgegen, denn dessen tatbestandliche Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
69Die Rückforderung einer rechtsgrundlosen Leistung ist ausgeschlossen, wenn der Leistende gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen hat.
701.
71Die Vorschrift ist grundsätzlich hier anwendbar, denn sie ist nicht in ihrem Anwendungsbereich über den Wortlaut hinaus ausnahmsweise im Wege der teleologischen Reduktion beschränkt (OLG Hamm, Urteil vom 21. März 2023 – 21 U 116/21 – Rn 34 m.w.N.).
722.
73Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 817 S. 2 BGB nicht erfüllt.
74Im Rahmen der persönlichen Anhörung haben sich keine dafür Anhaltspunkte ergeben, dass der Kläger bei Leistung der Spieleinsätze eine Kenntnis von der Illegalität des durch die Beklagte angebotenen Glücksspiels gehabt hat oder sich dieser Einsicht derart leichtfertig verschloss, dass sein Verhalten als bewusst außerhalb der Rechtsordnung zu würdigen wäre. Der Kläger hat nachvollziehbar und für die Kammer glaubhaft dargelegt, dass die Frage, ob das Glücksspiel erlaubt oder verboten war, für ihn kein Thema gewesen sei. Für ihn habe K. den Anschein eines seriösen deutschen Unternehmens gemacht. K. sei omnipräsent und deutschsprachig gewesen und es habe Werbung von deutschen Fußballstars gegeben. Daher habe es für ihn gar keinen Grund gegeben, an der Legalität zu zweifeln.
75Auch die Medienberichterstattung über eine mögliche Illegalität des Online Glücksspiels führt zu keiner anderen Bewertung. Denn selbst bei einer umfangreichen Medienberichterstattung kann nicht ohne weiteres von einer grob fahrlässigen Unkenntnis ausgegangen werden (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – VI ZR 1118/20 Rn. 18).
76III.
77Der Höhe nach beläuft sich der Anspruch auf die von dem Kläger eingezahlten Beträge abzüglich der erhaltenen Ausschüttungen (§ 818 Abs. 1, Abs. 2 BGB).
78Entreicherung gem. § 818 Abs. 3 BGB kann nicht angenommen werden. Die Beklagte trifft die verschärfte Haftung nach § 819 Abs. 2 BGB, da sie durch die Annahme der Leistung gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen hat (OLG Hamm, Urteil vom 21. März 2023 – 21 U 116/21 – Rn 56).
79IV.
80§ 762 BGB steht der Rückforderung nicht entgegen, denn diese Vorschrift greift nur ein, wenn ein wirksamer Vertrag vorliegt. Dagegen ist die Norm im Fall der Nichtigkeit des geschlossenen Vertrags gem. § 134 BGB nicht anwendbar (OLG Hamm, Urteil vom 21. März 2023 – 21 U 116/21 – Rn 57).
81D.
82Der Anspruch des Klägers auf Erstattung der in den Jahren 2014 bis 2019 eingetretenen Wettverluste in Höhe von 195 EUR ergibt sich entweder ebenfalls aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB oder aus §§ 852, 818 Abs. 1, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 4 Abs. 1, 4 und 5 GlüStV 2012.
83I.
84Hinsichtlich des bereicherungsrechtlichen Anspruchs dem Grunde nach gilt das unter C. ausgeführte entsprechend.
85Bezüglich der Durchsetzbarkeit des Anspruchs neigt die Kammer der Auffassung zu, dass die Beklagte sich nicht mit Erfolg auf die Einrede der Verjährung (§ 214 Abs. 1 BGB) berufen kann.
86Gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB setzt der Beginn der Verjährung unter anderem voraus, dass der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.
871.
88Hinsichtlich der für Verjährungsbeginn maßgeblichen Kenntnis dürfte nicht auf den Zeitpunkt der Einzahlung der Beträge durch den Kläger abzustellen sein.
89Nach der Rechtsprechung des BGH setzt der Verjährungsbeginn aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit grundsätzlich allein die Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände voraus (BGH, Urt. v. 01.06.2011 – VIII ZR 91/10 - Rn 23). Nicht erforderlich ist in der Regel, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht, im Falle eines Bereicherungsanspruchs also die Unwirksamkeit des Vertrags und das Fehlen des Rechtsgrundes kennt (BGH, Urteil vom 29.01.2008 - XI ZR 160/07 - Rn 26). Ausnahmsweise kann die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn aber hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag (BGH, Urteil vom 28.10.2014 – XI ZR 348/13 - Rn 35 ff). In diesem Fall tritt der Verjährungsbeginn erst dann ein, wenn eine zutreffende Einschätzung der Rechtslage möglich ist, also zB zum Zeitpunkt der ersten anwaltlichen Beratung über die rechtliche Bedeutung der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw. bei ungeklärter Rechtslage im Zeitpunkt der Klärung der Rechtslage (Grothe in: MüKo/BGB, 9. Aufl. 2021, § 199 BGB Rn. 29).
90Unter Anwendung dieser Grundsätze dürfte die Beklagten nicht mit Erfolg geltend machen können, dass für den Verjährungsbeginn auf den Zeitpunkt der Einzahlung der Beträge durch den Kläger in den Jahren 2014 bis 2019 abzustellen ist. Für das Vorliegen einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage in diesem Zeitraum dürfte zum einen sprechen, dass es noch keine gefestigte Rechtsprechung zur Rückforderung von Glücksspielverlusten gab. Zum anderen hat die Beklagte in ihren Schriftsätzen dargestellt, dass in Rechtsprechung und Literatur bis heute die – auch von der Beklagten geltend gemachte – Auffassung vertreten wird, dass kein Rückforderungsanspruch des Klägers bestehe. Angesichts dessen dürfte die Beklagte nicht mit Erfolg geltend machen können, dass die Rechtslage für den Kläger bereits in den Jahren 2014 bis 2019 klar gewesen ist.
91Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger die Illegalität des Online Glücksspiels bereits in den Jahren 2014 bis 2019 bekannt gewesen ist, konnten nicht festgestellt werden. Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung hat der Kläger glaubhaft angegeben, aus dem Internet oder aus der Presse von einem möglichen Verbot der Sportwetten keine Kenntnis genommen zu haben. Erstmalig sei er im Rahmen der Suchtberatung auf die Problematik aufmerksam gemacht worden.
922.
93Es dürfte auch keine grobe Fahrlässigkeit des Klägers vorliegen.
94Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urteil vom 10.11.2009 – VI ZR 247/08 – Rn 13).
95Vor dem Hintergrund der bestehenden unsicheren und zweifelhaften Rechtslage kann dies nicht angenommen werden. Ohnehin kann dem Kläger nicht der Vorwurf der unterbliebenen Kenntnisnahme einer Medienberichterstattung über die mögliche Illegalität der Online Glücksspiele gemacht werden, da niemand von Rechts wegen gehalten ist, im Verjährungsinteresse etwaiger Schuldner generell die Medien zu verfolgen (BGH, Urteil vom 29.07.2021 – VI ZR 1118/20 – Rn. 18).
96II.
97Bei unterstellter Verjährung eines Bereicherungsanspruchs sowie eines deliktischen Anspruchs steht dem Kläger ein Anspruch auf Restschadensersatz in Höhe von 195 EUR aus §§ 852, 818 Abs. 1, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 4 Abs. 1, 4 und 5, § 4a Abs. 1, § 10a Abs. 2 und 3 GlüStV 2012 zu.
98§ 852 BGB regelt den Herausgabeanspruch des durch eine unerlaubte Handlung Erlangten nach Eintritt der Verjährung.
99Dem Kläger steht ein auf Erstattung von Wettverlusten gerichteter deliktsrechtlicher Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB wegen Verletzung des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt nach § 4 Abs. 1, 4 und 5, § 4a Abs. 1, § 10a Abs. 2 und 3 GlüStV 2012 gegen die Beklagte zu. Auch nach Eintritt der Verjährung kann der Anspruch auf Erstattung von Wettverlusten aus § 852 BGB hergeleitet werden (OLG Hamm, Urteil vom 9. Januar 2024 – 21 U 45/23; OLG Stuttgart, Urteil vom 12. April 2024 – 5 U 149/23).
1001.
101§ 4 Abs. 1, 4 und 5, § 4a Abs. 1, § 10a Abs. 2 und 3 GlüStV 2012 sind spieler- und vermögenschützende Schutzgesetzte im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB (BGH, EuGH-Vorlage vom 25. Juli 2024 – I ZR 90/23 – Rn. 61-64, juris).
1022.
103Wie bereits unter C. dargestellt wurde, hat die Beklagte mit ihrem Sportwetten Angebot gegen die im Glücksspielstaatsvertrag 2012 statuierten Verbote des materiellen Glücksspielrechts verstoßen.
104Dies erfolgte auch schuldhaft. Enthält das Schutzgesetz selbst keine Regelung über die Schuldform, die zu seiner Verletzung erfüllt sein muss, ist nach § 823 Abs. 2 S. 2 BGB grundsätzlich einfache Fahrlässigkeit erforderlich, aber auch ausreichend (OLG Stuttgart, Urteil vom 12. April 2024 – 5 U 149/23 – Rn 157, juris m.w.N.). Die Beklagte hat durch ihre Organe (§ 31 BGB) zumindest fahrlässig gehandelt, indem sie im Internet ein Sportwetten Angebot betrieb, ohne über die erforderliche Erlaubnis der deutschen Behörden zu verfügen, und ihr musste dabei bekannt sein, dass ihr eine solche Erlaubnis wegen der – unter C. I. 2. dargestellten – Verstöße gegen das materielle Glücksspielrecht eine solche ohnehin nicht zu erlangen war.
1053.
106Der Eintritt eines durch die Schutzgesetzverletzung adäquat kausal verursachten Schadens in Form des Verlusts in Höhe von 195 EUR steht fest.
107Hätte die Beklagte das geltende Verbot beachtet und ihr Glücksspielangebot dem Kläger nicht in Nordrhein-Westfalen zugänglich gemacht, hätte dieser die unstreitigen Zahlungen nicht als Spieleinsätze geleistet und erbringen können.
108Von § 823 Abs. 2 BGB erfasst sind auch reine Vermögensschäden, wie sie der Kläger geltend macht und der eingetretene Vermögensschaden beruht auch auf der Schutzgesetzverletzung (OLG Hamm, Urteil vom 9. Januar 2024 – 21 U 45/23 – Rn 90-97, juris).
109Die vom OLG Oldenburg vertretene Ansicht, einem Anspruch auf Erstattung von Spielverlusten nach § 852 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 stünde entgegen, dass die Verbotsnorm des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 zwar vor einer Spiel- bzw. Wettsucht schütze, nicht aber das Vermögen des Spielers schütze (OLG Oldenburg, Urteil vom 30. November 2023 – 1 U 14/23 – Rn. 73, juris) ist durch die Entscheidung des BGH vom 25. Juli 2024 (Az. I ZR 90/23) überholt, da der BGH klargestellt hat, dass der mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2012 bezweckte Schutz sich nicht lediglich auf den gesundheitlichen Aspekt einer Spielsucht(gefährdung) bezieht, sondern auch auf den damit untrennbar verknüpften wirtschaftlichen Aspekt (Rn. 63, juris).
110Soweit die Beklagte die Ansicht vertritt, der Kläger habe deshalb keinen Schaden erlitten, weil er die Spieleinsätze freiwillig getätigt und dafür im Gegenzug Gewinnchancen erhalten habe, verfängt dieser Einwand nicht (OLG Hamm, Urteil vom 9. Januar 2024 – 21 U 45/23 – Rn 92, juris). Dem verlorenen Spieleinsatz stand gerade kein ausgleichender Vermögenswert in Form einer Gewinnchance gegenüber. Aufgrund der Nichtigkeit des Spielvertrags war die Gewinnchance vielmehr wegen der fehlenden Einklagbarkeit wertlos. Einer rein faktischen Gewinnchance kommt jedenfalls bei wertender Betrachtung nach dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes kein kompensierender Vermögenswert zu.
1114.
112Der Schadensersatzanspruch des Klägers ist nicht gemäß § 254 Abs. 1 BGB wegen eines Mitverschuldens gemindert.
113Der Vorwurf des "Mitverschuldens" beruht nicht auf der Verletzung anderen gegenüber bestehender Rechtspflichten bzw. auf der Missachtung von gesetzlichen Verhaltensvorschriften, sondern auf einem Verstoß gegen das Gebot der Wahrnehmung eigener Interessen. Dem Kläger ist aber schon kein Verstoß gegen seine eigenen berechtigten Belange vorzuwerfen.
114Zudem ist eine Anwendung von § 254 Abs. 1 BGB mit dem Normzweck des Schutzgesetzes, der insbesondere auch in den schon durch § 4 Abs. 5 GlüStV 2012 bestimmten Anforderungen an ein im Einzelfall erlaubnisfähiges Online-Glücksspiel zum Ausdruck kommt, unvereinbar (OLG Hamm, Urteil vom 9. Januar 2024 – 21 U 45/23; OLG Stuttgart, Urteil vom 12. April 2024 – 5 U 149/23; OLG Köln, Urteil vom 31.10.2022, 19 U 51/22).
1155.
116Der Rückzahlungsanspruch des Klägers ist auch nicht gemäß § 242 BGB als treuwidrig ausgeschlossen.
117Ein Vertrauenstatbestand zugunsten der Beklagten kann schon aufgrund ihres eigenen gesetzeswidrigen Handelns nicht angenommen werden, sodass ihre Interessen nicht vorrangig schutzwürdig im Sinne von § 242 BGB sind (OLG Hamm, Urteil vom 9. Januar 2024 – 21 U 45/23).
1186.
119Der Höhe nach beläuft sich der Anspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB auf die von dem Kläger eingezahlten Beträge abzüglich der erhaltenen Ausschüttungen (§ 818 Abs. 1, Abs. 2 BGB).
120E.
121Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen ab dem 10.01.2024.
122Anspruchsgrundlage sind die §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Zinsbeginn ist entsprechend § 187 Abs. 1 BGB der Folgetag der Rechtshängigkeit. Rechtshängigkeit trat nach §§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO durch Zustellung der Klageschrift am 09.01.2024 ein.
123F.
124Eine Aussetzung des Verfahrens entsprechend § 148 ZPO ist nicht veranlasst.
125Die Vorlagefragen in dem Vorabentscheidungsersuchen des Civil Court Malta (Rechtssache C-440/23) betreffen die Vereinbarkeit der Regelungen im Glücksspielstaatsvertrag 2012 zu Online-Casino-Glücksspielen und (Zweit-)Lotterien mit dem Unionsrecht, nicht aber die Regelungen im Glücksspielstaatsvertrag 2012 zu Sportwetten (BGH, Beschluss vom 22. März 2024 – I ZR 88/23 – Rn. 58, juris).
126Einer Aussetzung im Hinblick auf die EuGH-Vorlage des BGH vom 25. Juli 2024 (Az. I ZR 90/23) bedarf es nicht, da das Sportwetten Angebot der Beklagten dem materiellen Glücksspielrecht widersprach, daher auch in einem unionsrechtskonformen Konzessionsverfahren nicht erlaubnisfähig gewesen wären und die zivilrechtlichen Folgen einer unionsrechtlichen Klärung nicht bedürfen (BGH, EuGH-Vorlage vom 25. Juli 2024 – I ZR 90/23 – Rn. 38, juris). Dies gilt sowohl für bereicherungsrechtliche als auch für deliktische Ansprüche. Denn auch hinsichtlich des deliktischen Anspruchs kommt es auf die zweite Vorlagefrage nicht an, da die Beklagte ihrer deliktischen Haftung eine Unvereinbarkeit des Konzessionserteilungsverfahrens mit dem Unionsrecht nicht entgegenhalten kann, weil ihr auch in einem unionsrechtskonformen Konzessionserteilungsverfahren wegen der Verstöße gegen das materielle Glücksspielrecht eine Erlaubnis nicht zugestanden hätte.
127G.
128Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und S. 2 ZPO
129H.
130Der Streitwert wird auf 6.635,01 EUR festgesetzt.