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Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 28.12.2022 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 14.12.2022 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beschwerdeführer.
Die Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 361.000 € festgesetzt.
Gründe
2I.
3Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.
4Dies folgt aus den im Ergebnis zutreffenden Gründen des Nichtabhilfebeschlusses des Amtsgerichts Münster vom 20.01.2023 auf die vollumfänglich Bezug genommen wird.
5Das erkennende Gericht führt ergänzend noch das Folgende aus:
6Die internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts Münster ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 Unterrabs. 1 S. 1 VO (EU) 2015/848 (EU-InsVO).
7Hiernach ist das Gericht örtlich zuständig, in welchem Mitgliedsstaat der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (COMI) hat.
8Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners wird in Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 als der Ort definiert, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist. Damit soll den Interessen der Gläubiger als Hauptverfahrensbeteiligte eines Insolvenzverfahrens Rechnung getragen werden, da diese mit dem Insolvenzverfahren in dem Mitgliedstaat konfrontiert werden sollen, in dem sie mit dem Schuldner agiert haben (BeckOK InsR/Mock, 31. Ed. 15.4.2023, EuInsVO 2017 Art. 3 Rn. 4 m.w.N.).
9Der für die Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen maßgebliche Zeitpunkt ist grundsätzlich die Insolvenzantragsstellung (EuGH Slg. I-209 = NZI 2022, 539 – Galapagos BidCo. Sarl; MMS/Mankowski Rn. 28 ff.; BGH BeckRS 2022, 40936 Rn. 22).
10Maßgeblicher Zeitpunkt ist demnach der 27.10.2022. An diesem Tag hat das Finanzamt M den Insolvenzantrag per besonderen Behördenpostfach an das Amtsgericht übermittelt und damit gestellt. (vgl. Bl. 1 d. A. des Amtsgerichts Münster zum Az.: 80 IN 41/22).
11Zum Zeitpunkt der Antragsstellung lag der COMI des Beschwerdeführers im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Münster.
12In diesem Zeitpunkt hatte der Schuldner seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort nicht aus dem Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Münster verlegt, jedenfalls da dies für Dritte nicht feststellbar war.
13Am gewöhnlichen Aufenthalt ist generell vor allem das Zentrum rechtsgeschäftlicher Aktivität einer Person zu vermuten. Von seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort aus führt man seine Korrespondenz und entfaltet seine Aktivitäten; dies ist auch für die Gläubiger erkennbar. Nebenwohnsitze und schlichte Aufenthaltsorte scheiden jedenfalls aus. Dass jemand sich aus dem Einwohner- oder Gemeinderegister austragen lässt, heißt noch nicht zwingend, dass er sein COMI nicht mehr dort hätte (vgl. Mankowski/Müller/Schmidt/Mankowski, 1. Aufl. 2016, EuInsVO 2017 Art. 3 Rn. 120 m.w.N.). Auch beim COMI einer Privatperson kommt es entscheidend auf die Erkennbarkeit für die Gläubiger an. (MüKoInsO/Thole, 4. Aufl. 2021, VO (EU) 2015/848 Art. 3 Rn. 55).
14Schriftverkehr, welchen der Schuldner privat oder beruflich ausschließlich unter einer anderen Adresse im Briefkopf als derjenigen des angeblichen gewöhnlichen Aufenthalts geführt hat schadet der Annahme eines solchen. (FG Mecklenburg-Vorpommern ZIP 2015, 2239, 2241.)
15Unter Zugrundelegung der dargestellten Anforderungen hat das Amtsgericht Münster sich zu Recht für international zuständig erachtet, da es den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Schuldners in Deutschland verortet hat.
16Der Erwerb eines PKWs und die Anmietung einer Wohnung im Ausland bedeutet für sich genommen keine Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts.
17Auch der Erhalt einer Sozialversicherungsnummer in Irland, die eine dortige Arbeitsstelle erfordert, führt auch unter Berücksichtigung der Anmietung der Wohnung nicht zu der Annahme des gewöhnlichen Aufenthalts in Irland. Gewöhnlicher Aufenthalt und Arbeitsort können auseinanderfallen. Auch der Wohnsitz ist nicht identisch mit dem gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. MüKoInsO/Thole, 4. Aufl. 2021, VO (EU) 2015/848 Art. 3 Rn. 54). Insbesondere, dass der Schuldner in seinem Arbeitsvertrag noch eine deutsche E-Mail-Adresse mit Bezug auf eine in Deutschland ansässige Gesellschaft verwendet spricht gegen die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts. Eine absolute Loslösung von der wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners in Deutschland wird daraus gerade nicht deutlich.
18Das Zentrum seiner für den Gläubiger feststellbare rechtsgeschäftlichen Tätigkeit war zum Zeitpunkt der Antragsstellung Deutschland.
19Der Schuldner hat, wie das Amtsgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss zutreffend ausführt, an einer Vielzahl rechtsgeschäftliche Handlungen in Deutschland teilgenommen, obwohl nach seinem Verständnis sein gewöhnlicher Aufenthalt bereits seit November 2021 in Irland gewesen sein soll. Wie auch der Schuldner selbst vorträgt, ist er regelmäßig nach Deutschland gereist, um seine geschäftlichen Angelegenheiten abzuwickeln. Diese stellen zur Überzeugung des Gerichts den Schwerpunkt seiner rechtsgeschäftlichen Aktivität dar. Insbesondere wenn man die Vielzahl der geschäftlichen Handlungen in Deutschland betrachtet und diese im Gegensatz dazu ins Verhältnis zu der vorgetragenen Arbeit in Irland setzt. Hierbei soll der Schuldner fünf Tage in der Woche für 1.500 € tätig geworden sein. Ebenfalls sieht das Arbeitsverhältnis die Pflicht Überstunden zu Leisten vor. Dieser umfassenden Tätigkeit kann der Schuldner bereits gar nicht schwerpunktmäßig nachgekommen sein, wenn er sich in einer solchen, wie vom Amtsgericht dargestellten, Weise in Deutschland rechtsgeschäftlich tätig war.
20Entscheidend gegen die Annahme des gewöhnlichen Aufenthalts in Irland spricht jedoch zur Überzeugung des Gerichts die fehlende Erkennbarkeit für die Gläubiger.
21Im Zeitpunkt der Antragsstellung am 27.10.2022 war für die Gläubiger ein gewöhnlicher Aufenthalt in Irland gerade nicht erkennbar.
22Der Schuldner hat gegenüber dem Gläubiger und Antragsteller weiterhin Adresse in D verwendet.
23Dem Antragsteller ist die Adresse des Schuldners in Irland erst mit Schreiben vom 20.12.2022 mitgeteilt worden. Zu diesem Zeitpunkt war der Insolvenzantrag aber bereits gestellt.
24Der Schuldner hat gegenüber dem Gläubiger auch bei einer persönlichen Besprechung mit Vertretern des Gläubigers am 07.07.2022 nicht auf seine neue Adresse in Irland hingewiesen.
25Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kommt es für die Erkennbarkeit auch nicht auf irgendwelche Dritte, wie die Familie oder einen neuen Arbeitgeber an.
26Die Erkennbarkeit für Dritte ist, wie gezeigt, vom Gedanken des Gläubigerschutzes getragen, sodass mit Dritten allein die Gläubiger gemeint sein können.
27Bei der Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes ist weiter auch Erwägungsgrund Nr. 28 zur VO (EU) 2015/848 zu berücksichtigen.
28Demnach ist bei der Beantwortung der Frage, ob der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners für Dritte feststellbar ist, insbesondere zu berücksichtigen, welchen Ort die Gläubiger als denjenigen wahrnehmen, an dem der Schuldner der Verwaltung seiner Interessen nachgeht. Hierfür kann es erforderlich sein, die Gläubiger im Fall einer Verlegung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen zeitnah über den neuen Ort zu unterrichten, an dem der Schuldner seine Tätigkeiten ausübt, z.B. durch Hervorhebung der Adressänderung in der Geschäftskorrespondenz, oder indem der neue Ort in einer anderen geeigneten Weise veröffentlicht wird.
29Fehlt es an einer Information der Gläubiger und handelt es sich insoweit um einen „heimlichen“ Wechsel, so ist u.U. die Annahme gerechtfertigt, dass der COMI gar nicht verlagert worden ist, weil der neue Ort für die Gläubiger nicht feststellbar ist. Es gibt dann gar keinen neuen COMI-Ort (vgl. MüKoInsO/Thole, 4. Aufl. 2021, VO (EU) 2015/848 Art. 3 Rn. 67).
30Den Anforderungen des Erwägungsgrundes 28 ist der Schuldner wie gezeigt nicht nachgekommen. Im Schriftverkehr mit dem Antragsteller hat der Gläubiger bis Dezember 2022 eine Adresse in D verwendet. Auch bei allen in dieser Zeit vorgenommenen geschäftlichen Handlungen, wie beispielsweise Notarterminen hat der Schuldner allein diese Adresse in Deutschland verwendet und nicht auf die – in seinen Augen – erfolgte Verlegung seines gewöhnlichen Aufenthalts nach Irland hingewiesen.
31Es handelt sich zur Überzeugung des Gerichts um einen gegenüber dem Gläubiger „heimlichen“ Wechsel.
32Aus den weiteren Umständen des Sachverhalts, die das Amtsgericht in seiner Nichtabhilfeentscheidung zutreffend darstellt, ergibt sich – wie gezeigt, dass eine Verlagerung des COMI nicht vorgenommen worden ist.
33Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der vom Schuldner angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, da dort – genau wie vorliegend – der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen in Deutschland verortet worden ist.
34II.
35Die Kostenentscheidung folgt aus § 4 InsO i.V.m. § 97 ZPO.