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Der Angeklagte ist des Mordes schuldig.
Er wird zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Nebenkläger.
Angewendete Vorschriften: § 211 Abs. 1 und 2 StGB
Gründe:
2I.
3Der zum Zeitpunkt der Tat 21 Jahre alte Angeklagte wurde als zweites Kind seiner Mutter in M in Q geboren. Zu seinem leiblichen, in Q lebenden Vater besteht kein Kontakt. Neben seinem älteren Bruder V1. hat der Angeklagte einen im Mai 20## in Deutschland geborenen jüngeren Bruder, der aus einer weiteren Beziehung der Mutter stammt. Zu seinem Bruder V1., der inzwischen mit seiner Lebensgefährtin N. in T lebt, pflegt der Angeklagte ein gutes Verhältnis.
4Ende des Jahres 200# reisten der Angeklagte und sein Bruder V1. mit ihrer Mutter nach Deutschland, um gemeinsam mit dem Vater V2., der deutsche Wurzeln hat, in O zu leben. Bereits einen Monat nach ihrer Ankunft in O flüchteten sie jedoch vor dem suchtkranken und gewaltbereiten Vater V2. in ein Frauenhaus nach B. In B bezogen sie schließlich auch eine eigene Wohnung und der Angeklagte besuchte dort den Kindergarten.
5Im Jahr 200# richtete das Jugendamt der Stadt B eine sozialpädagogische Familienhilfe ein, wobei sich in der Folgezeit bis Anfang des Jahres 200# abzeichnete, dass die alkoholabhängige Mutter des Angeklagten mit der Kindeserziehung und Organisation des eigenen Lebens überfordert war, so dass die Unterbringung des Angeklagten und seines Bruders V1. im Rahmen von Jugendhilfemaßnahmen erforderlich wurde. Nach einem Suizidversuch des neuen Partners der Mutter im Haushalt der Familie im Jahr 200# nahm das Jugendamt die Kinder in Obhut. Der Angeklagte und V1. lebten für kurze Zeit bei der leiblichen Oma V2. in O und wurden sodann in verschiedenen Gruppen im Caritas Kinderheim in H untergebracht.
6In H besuchte der Angeklagte die 1. Klasse einer Grundschule. Während des Besuchs der 2. Klasse kam er nach teilweisem Entzug des Sorgerechts durch das Familiengericht im Jahre 20## zu einer Pflegefamilie, der Familie C. nach E in Niedersachsen. Der Angeklagte war dort das jüngste Kind von insgesamt vier Kindern. Sein Bruder V1. kam zeitgleich in eine Jugendhilfeeinrichtung in R, deren Leiter Herr P. war.
7Der Angeklagte zeigte bereits früh eine geringe Frustrationstoleranz, ansonsten funktionierte das Zusammenleben mit der Familie C. zunächst gut. Er fühlte sich wohl und baute sich ein neues soziales Umfeld auf. Aufgrund einer neuen Arbeitsstelle des Pflegevaters zog die Familie C. mit dem Angeklagten zu dessen Wechsel auf die weiterführende Schule nach U in Schleswig-Holstein. Dort besuchte der Angeklagte als Inklusionsschüler eine Gemeinschaftsschule. Das Zusammenleben mit dem Angeklagten wurde ab diesem Zeitpunkt zunehmend schwierig. Er kam mit dieser neuen Lebenssituation, aufgrund derer er nunmehr erneut gezwungen war, sich ein neues soziales Umfeld aufzubauen, nicht zurecht. Er zeigte sowohl im familiären als auch im schulischen Bereich zunehmend aggressives und grenzüberschreitendes Verhalten, einhergehend mit massiven Gewalttätigkeiten gegenüber anderen Mitschülern, dem Schwänzen der Schule und ständigem Lügen. Da er so für die Familie C. nicht mehr tragbar war, kam er im Jahre 20## auf Anraten des Jugendamtes zunächst übergangsweise in einem Jugendhilfehaus in F unter und wurde schließlich in der Wohngruppe in H untergebracht, wo er intensivpädagogisch betreut wurde. Den Kontakt zu seiner Pflegefamilie brach der Angeklagte aus Wut auf diese, der er die Schuld an seiner anderweitigen Unterbringung gab, in den folgenden Jahren ab. In der Wohngruppe lebte er für ca. 3 Jahre. In dieser Zeit kam es durch den Angeklagten – in noch strafunmündigen Alter – zu diversen Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, Hausfriedensbrüchen und Schwarzfahrten.
8Nach dem anfänglichen Besuch der Hauptschule in H wechselte der Angeklagte im Jahre 20## wegen seiner massiven Verhaltensauffälligkeiten auf die Schule in J, eine Förderschule für Soziale und Emotionale Entwicklung. Wegen des Verdachts der Vergewaltigung eines 13-jährigen Jungen, begangen am 01.09.20##, für die der Angeklagte am 11.09.20## rechtskräftig durch Entscheidung des Amtsgerichts B verurteilt wurde, erfolgte ein Schulausschluss und eine zweiwöchige geschlossene Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 15.09.20## bis zum 29.09.20##. Dort diagnostizierte man bei dem Angeklagten eine kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen sowie eine sonstige hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (ADHS). Nach der Unterbringung kehrte er in den mütterlichen Haushalt nach B zurück. Auch in diesem Zeitraum beging der Angeklagte eine Vielzahl von nicht vollständig zur Verurteilung gelangten Straftaten wie (Einbruchs-) Diebstählen, Beleidigungen, Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und Körperverletzungen. Eine Beschulung fand unregelmäßig durch einen Hauslehrer statt.
9Einen Schulabschluss oder eine abgeschlossene Berufsausbildung erlangte der Angeklagte in der Folgezeit nicht. Nach dem Urteil in der vorbenannten Sache und der Inhaftierung am ##.##.2018 befand er sich bis zum ##.##.2021 in Haft in der Justizvollzugsanstalt U. Eine während der Haftverbüßung begonnene Ausbildung zum Bäcker beendete er ohne Absolvierung der Abschlussprüfung aufgrund seiner vorzeitigen Haftentlassung.
10Am ##.##.2020 erließ die Ausländerbehörde des Kreises Ä eine Ausweisungsverfügung gegen den Angeklagten, der hiergegen Klage beim Verwaltungsgericht Münster erhob. Durch Entscheidung vom ##.##.2021 ordnete das Verwaltungsgericht Münster daraufhin die aufschiebende Wirkung der Klage an. Das Verfahren ist weiterhin anhängig.
11Nach Teilverbüßung der Freiheitsstrafe in der JVA U bis zum ##.##.2021 wurde die Reststrafe aus dem oben genannten Verfahren bis zum ##.##.2024 zur Bewährung ausgesetzt. Dem Angeklagten wurde u.a. aufgegeben, seinen Wohnsitz in einer betreuten Wohneinrichtung in D zu nehmen, was er zunächst auch tat.
12In der Folgezeit absolvierte er zunächst ein Monatspraktikum, welches er jedoch einen Tag früher aufgrund einer Kündigung infolge des Zuspätkommens beendete. Anschließend arbeitete er bei der Firma S. in E bis ca. ##.2022. Das dortige Arbeitsverhältnis kündigte der Angeklagte, da er jeweils unterschiedlich eingesetzt wurde, was ihm nicht gefiel. Im selben Zeitraum entwickelten sich auch zunehmend Probleme in der Wohngruppe, da der Angeklagte unter Verdacht stand, Einbruchsdiebstähle und Körperverletzungen begangen sowie mit Drogen gehandelt zu haben. Anschließend arbeitete er ca. bis ##.2022 bei dem Lebensmittelmarkt in D. Das dortige Arbeitsverhältnis wurde gekündigt, weil der Angeklagte Geld aus der Kasse genommen hatte. Bei der Räumung des Spinds des Angeklagten am ##.##.22 fand man ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 20 cm.
13Am ##.##.2022 verließ der Angeklagte trotz der Wohnsitzauflage im Bewährungsbeschluss die betreute Wohneinrichtung in D. Er hielt sich nunmehr bei Freunden, seiner Lebensgefährtin G. und seiner Mutter auf. Zum ##.##.2023 mietete er ein Ein-Zimmer-Apartment in R an, das er bis zu seiner Inhaftierung bewohnte.
14Von Ende ##.2022 bis Ende ##.2023 arbeitete der Angeklagte bei einem Subunternehmen der Firma M. in R, bei dem er für den Verkauf von Festnetzverträgen für die Firma M. zuständig war. Sein Gehalt war provisionsabhängig. Das Arbeitsverhältnis wurde wegen Unstimmigkeiten hinsichtlich des Gehalts von Seiten des Angeklagten beendet. Ab dem ##.##.2023 war er bei der Firma W. in A beschäftigt.
15Seit ##.2021 führt der Angeklagte eine Beziehung zu der in D lebenden Zeugin G.. Nach dem Wegzug des Angeklagten aus D sahen sie sich überwiegend am Wochenende.
16Im Jugendalter begann der Angeklagte mit dem Konsum von auch hochprozentigem Alkohol, wobei er regelmäßig auch bis zur Volltrunkenheit trank. Auch nach seiner Haftentlassung trank er in D durchaus Alkohol, wenngleich er dort überwiegend am Wochenende trank. Zuletzt, so etwa seit der Aufnahme seiner Berufstätigkeit im ##.2022, konsumierte er nur noch an den Wochenenden Alkohol im sozialadäquaten Rahmen, ohne in den Zustand einer Volltrunkenheit oder eines Vollrausches zu geraten. Unter der Woche trank er grundsätzlich, auch aufgrund seiner Berufstätigkeit, nicht. In der Jugend konsumierte der Angeklagte Cannabis. Auch nach seiner Haftentlassung im Jahre 2021 rauchte er gelegentlich nochmal Cannabis, unterließ dies aber letztlich wegen seiner Berufstätigkeit, weil er es nicht mehr gut vertrug und auch seine Lebensgefährtin einen solchen Konsum ablehnte.
17Der Angeklagte wurde mit einem Klumpfuß geboren, der einige Monate nach der Geburt in Q operiert wurde. Beeinträchtigungen hat er dadurch nicht.
18Strafrechtlich ist der Angeklagte ausweislich des Bundeszentralregisterauszuges vom ##.##.2023 bislang wie folgt in Erscheinung getreten:
19Durch Entscheidung vom ##.##.2016 sah die Staatsanwaltschaft Münster wegen des Erschleichens von Leistungen von der Verfolgung ab gemäß § 45 Abs. 1 JGG.
20Am ##.##.2017, rechtskräftig seit dem ##.##.2018, verurteilte das Amtsgericht B den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Vergewaltigung und vorsätzlicher Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren.
21Wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Marihuana) sah die Staatsanwaltschaft Münster durch Entscheidung vom ##.##.2017 von der Verfolgung ab gemäß § 45 Abs. 1 JGG.
22Zuletzt verurteilte das Amtsgericht B den Angeklagten am ##.##.2018, rechtskräftig seit dem ##.##.2018, wegen Diebstahls in zwei Fällen, unter Einbeziehung der Entscheidung vom ##.##.2017, zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren und 4 Monaten. Am ##.##.2021 setzte das Amtsgerichts U die Vollstreckung eines Restes der Jugendstrafe bis zum ##.##.2024 zur Bewährung aus.
23Seit dem ##.##.2023 befindet sich der Angeklagte in diesem Verfahren aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Münster vom ##.##.2023 in Untersuchungshaft.
24II.
251. Vortatgeschehen
26Wegen des Aufenthaltes seiner Freundin G. in C am Wochenende vom ##.##.2023 bis zum ##.##.2023 verbrachte der Angeklagte das Wochenende nicht wie üblicherweise mit ihr, sondern verabredete sich für den Nachmittag des ##.##.2023, einem Samstag, mit seinem Bruder V1.. Dass sich die Zeugin G. in C aufhielt, beschäftigte und ärgerte den eifersüchtigen Angeklagten an diesem Wochenende.
27Mit seinem Bruder traf sich der Angeklagte gegen 15:00 Uhr in R. Sie fuhren nach R und besuchten gemeinsam unangekündigt von ca. 15:30 Uhr bis 17:00 Uhr den dort lebenden Zeugen P., den mittlerweile im Ruhestand befindlichen Leiter der Jugendhilfeeinrichtung, in der V1. von 200##bis 20## gelebt hatte. Es handelte sich um einen für den Zeugen V1. angenehmen Besucht mit freundlicher Unterhaltung, wobei die Brüder insbesondere über den Verlauf ihrer letzten Lebensjahre berichteten. Im Rahmen des Gespräches äußerte der Angeklagte zwar auch seine Besorgnis, wegen seines ungeklärten Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet – insbesondere vor dem Hintergrund seiner bereits mehrjährigen verbüßten Haftstrafe – abgeschoben werden zu können. Letztlich zeigte er sich jedoch optimistisch, weiter in Deutschland leben zu können.
28Anschließend trafen sich der Angeklagte und V1. mit K., einem ebenfalls in R lebenden alten Freund V2.. Nach einem kurzen Supermarktbesuch an der Q-Straße ###, wo sie möglicherweise alkoholische Getränke erwarben, begaben sie sich zum nahegelegenen Schrebergarten K.s, wo sie möglicherweise auch gemeinsam Alkohol konsumierten. Gegen 19:30 Uhr begaben sich der Angeklagte, sein Bruder V1. und K. zur Bushaltestelle, um mit dem Bus nach R zu fahren. Sie beabsichtigten eine Kirmes in R, zu besuchen. An der Bushaltestelle gesellte sich AL., ein weiterer Freund von V1. und K., zu ihnen. Nach ihrer Ankunft am Hauptbahnhof in R begaben sie sich gegen 20:51 Uhr zunächst in die unmittelbar am (Bus-) Bahnhof gelegene Wohnung des Angeklagten.
29Sie machten sich zurecht und verließen gegen 21:07 Uhr die Wohnung, um sich fußläufig zur Kirmes zu begeben. Der Angeklagte, der weiße Turnschuhe und einen hellgrauen Jogginganzug mit Kapuze trug, führte dabei in einer seiner Taschen ein Messer – vermutlich ein Schälmesser – mit einer Klingenlänge von mindestens 8 cm mit sich. Ein Messer hatte er häufiger bei sich, um dieses, sollte er in eine Auseinandersetzung geraten, einsetzen zu können.
30Der Angeklagte, V1., K. und AL. begaben sich über die S-Straße, der M-Straße und die A-Straße zur Kirmes, wo sie spätestens um 21:44 Uhr am nördlichen Ende des Veranstaltungsgeländes eintrafen. Auf dem Weg hielten sie bei dem Lebensmittelmarkt auf der M-Straße, wo der Angeklagte ein – möglicherweise alkoholisches – Dosengetränk erwarb. Kurz nach der Ankunft auf dem Kirmesgelände trafen sie auf AR., einem ehemaligen Freund und Nachbarn der Brüder. Sie grüßten und unterhielten sich kurz bevor sie wieder getrennte Wege gingen.
31Gegen 21:57 Uhr hielten sich der Angeklagte und seine Begleiter vor dem sich auf dem Parkplatz „Name entfernt“ befindlichen Fahrgeschäft „Name entfernt“ auf. Das Fahrgeschäft, dessen Fläche von vorne nach hinten ansteigt, besteht aus mehreren sich auf einer beweglichen Kreisplattform drehenden Gondeln für jeweils zwei Personen. Der Fahrbereich ist für die Fahrgäste und Schaulustige über ein niedriges Zwischenpodest, bestehend aus Metallplatten, zu erreichen. Die Flächen waren wegen des Regens am Nachmittag und Abend teilweise noch nass und deshalb rutschig. Die Kirmes war gut besucht.
32Während sich K. und AL. für eine Fahrt mit dem „Name entfernt“ anstellten, warteten der Angeklagte und sein Bruder unmittelbar vor dem Fahrgeschäft bzw. auf dem Zwischenpodest des Fahrgeschäftes in der Nähe des auf das Fahrgeschäft blickend linken, mit einer Videoüberwachungskamera ausgestatteten Kassenhäuschens. Um 22:04 Uhr telefonierte der Angeklagte noch für etwa 2 Minuten mit der Zeugin N., die sich nach dem Verbleib V1.s erkundigte, wobei der Angeklagte ihr bewusst wahrheitswidrig mitteilte, dass V1. sich schon auf dem Heimweg befinde.
33In der Nähe des Fahrgeschäftes befand sich auch bereits der dem Angeklagten gänzlich fremde, auch nicht vom Sehen bekannte Geschädigte dieses Verfahrens, der 31 Jahre alt gewordene AW.. Dieser hatte sich mit seiner Verlobten AE., deren achtjährigem Sohn, sowie den weiteren Freunden AF., AP., AU., AG. sowie AB1. und AB2. zwischen 21:30 Uhr und 21:45 Uhr ebenfalls zur Kirmes begeben. Er hatte um 21:58 Uhr Fahrkarten am Kassenhäuschen bei dem Mitarbeiter AH. für das Fahrgeschäft „Name entfernt“ erworben. Auch umgekehrt war der Angeklagte weder AW. noch einer anderen Person aus dessen Gruppe bekannt.
34Die Gruppe um AW. hatte sich ihrerseits am Abend bei den Nachbarn AB. in R getroffen, wobei im Laufe des Abends aus Geselligkeit auch gemeinsam Alkohol, u.a. Bier von den Männern und Sekt von den Frauen sowie Bacardi Rum und Wodka, getrunken worden war. Der 180 cm große und 75 kg schwere AW. war angetrunken und, wie auch die restlichen Personen aus der Gruppe, in guter Stimmung. Ferner stand er unter dem Einfluss von Amphetaminen, ohne dass dies jedoch einen relevanten Einfluss auf seine Bewusstseinslage oder seine Handlungsfähigkeit gehabt hätte.
352. Tatgeschehen
36Vor dem Fahrgeschäft kam es zu einer zufälligen Begegnung zwischen AW. und dem Angeklagten, weil AW. den Angeklagten auf dem gut besuchten Kirmesgelände versehentlich angerempelt hatte. Trotz einer sofortigen Entschuldigung AW.s reagierte der Angeklagte darauf unmittelbar gereizt und verbal aggressiv. Es entwickelte sich ein kurzer verbaler Disput zwischen dem Angeklagten und dessen Bruder auf der einen Seite sowie AW. und AB2. auf der anderen Seite, wobei sich AW. und auch seine Begleiter streitschlichtend und deeskalierend verhielten und deutlich zum Ausdruck brachten, dass sie keinen Ärger, sondern lediglich einen schönen Abend verbringen wollen. AW wandte sich daher auch unmittelbar vom Angeklagten und dessen Bruder ab und äußerte in Richtung seiner Freundin AB2.: „Lass gut sein. Das ist nicht mein Niveau. Aus dem Alter bin ich raus.“ AB2. äußerte gegenüber dem Angeklagten, dass er mal runterkommen solle, da sie da seien, um Spaß zu haben.
37Der Angeklagte, sich aufgrund der Situation mit seiner Freundin ohnehin in einer dysphorischen Stimmung befindend, wollte die Situation jedoch nicht auf sich beruhen lassen, suchte eine weitere Konfrontation mit AW. und beabsichtigte daher diesem nachzugehen, was sein Bruder durch das Festhalten des Angeklagten von hinten verhinderte. Möglicherweise deshalb, möglicherweise, weil es infolge des regnerischen Wetters auf der metallischen Plattform nass und somit rutschig war, möglicherweise auch aufgrund beider Umstände – jedenfalls aber ohne eine Beteiligung AW.s, was dem Angeklagten bewusst war – kam der Angeklagte zu Fall, was ihn noch aggressiver machte. AW., der den Sturz mitbekam und die Ursache in dem Umgang zwischen den Brüdern vermutete, äußerte daraufhin in Richtung seiner Lebensgefährtin AE., ob diese mitbekommen habe, wie „der mit seinem Kollegen“ umgehe. AE., die sich für die für sie unbedeutende Situation nicht weiter interessierte, wandte sich anschließend ab, um weiter auf einen freien Platz in einer Gondel zu warten.
38Der Angeklagte seinerseits stand nach dem Sturz sofort wieder auf und stellte die Verschmutzung seiner hellgrauen Jogginghose am Bein fest. Dies führte, obwohl er wusste, dass der Sturz nicht von AW. verursacht wurde, zu einer weiteren Steigerung seiner Wut auf AW.. Er ging deshalb zielgerichtet auf AW. zu und äußerte: „Ey, warte mal“, woraufhin AW., weiter deeskalierend, etwas äußerte wie „Lass mal, nicht jetzt“ oder „Lass gut sein“ und sich erneut wegdrehte. Der Angeklagte, auf dem Zwischenpodest stehend, versuchte dennoch weiter auf AW. zuzugehen, wurde dabei aber erneut von seinem Bruder zurückgehalten. Im Rahmen dieses Geschehens äußerte er an AW. gerichtet, dass er schon sehen werde, was passiere und dass er auf ihn warte. AW. ging daraufhin langsam, mit leicht vom Körper abgespreizten und nach unten gerichteten Armen, zwei Schritte in Richtung des Angeklagten zum Rand der oberen Plattform und blieb stehen, ohne körperlich zu werden. Seine Hände waren geöffnet und die Innenseiten zeigten nach vorne. Währenddessen äußerte er möglicherweise in Richtung des Angeklagten so etwas wie „Komm doch her“. Der Angeklagte riss sich daraufhin von seinem Bruder los, packte AW. am Kragen und schubste diesen, woraufhin AW., weiter auf der oberen Plattform stehend, den Angeklagten einmal zurückschubste.
39In seiner Wut auf AW. zog der Angeklagte, der sich durch AW.s Verhalten weiter provoziert fühlte, sodann um 22:07 Uhr ohne weiteres Zuwarten das bis dahin von ihm verborgen gehaltene Messer aus der Bauchtasche seines Kapuzenpullis und stach es AW., der sich zu diesem Zeitpunkt keines ernsthaften Angriffs auf seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben versah, gezielt und mit Wucht in die linke Brustkorbhälfte. Dabei hielt der Angeklagte AW. gleichzeitig mit der linken Hand an der von ihm getragenen geöffneten Jacke fest.
40Bei der Ausführung des Stiches erkannte der Angeklagte aufgrund der lebenswichtigen Organe und Blutgefäße, die sich in diesem Bereich des Körpers befinden, dessen tödliches Potential. Er nahm es in Kauf, AW. mit dem Stich tödliche Verletzungen zuzufügen, was ihm vor dem Hintergrund seiner aufgestauten Aggressionen gleichgültig war. Dabei war ihm bewusst, dass diese Tat im Vergleich zu den Auslösern für seine Aggressionen in völligem Missverhältnis stand.
41Das Messer durchstach die von AW. getragene Kleidung – einen weißen Kapuzenpulli und ein graues T-Shirt – und den Zwischenrippenraum zwischen der zweiten und dritten Rippe mit einem Defekt der zweiten Rippe, eröffnete unter anderem den Herzbeutel und die rechte Herzkammer mit Defekt der Pulmonalklappe und führte schnell zu einer massiven Blutung.
42AW. fasste sich nach dem Stich unmittelbar an die Brust, setzte dem sich entfernenden Angeklagten und seinem Bruder 3-4 Meter nach, äußerte „Er hat mich gestochen“ und kollabierte ca. 20 Sekunden nach der erlittenen Stichverletzung wenige Meter vom Fahrgeschäft entfernt. Infolge des ungebremsten Sturzes erlitt er eine Riss-Quetschwunde an der linken äußeren Stirnregion sowie Hautabschürfungen an der Nase und der linken Stirnregion. Er verblutete trotz schneller notfallmedizinischer Intervention noch am Tatort an seiner Stichverletzung.
43Mit dem unerwartet schnell ausgeführten Stich mit dem erst unmittelbar davor herausgezogenen Messer nutzte der etwa 170 cm große und zur Tatzeit 65 kg schwere Angeklagte bewusst aus, dass AW. sich zu dieser Zeit keines ernsthaften Angriffs versah, was der Angeklagte auch schon aufgrund der offenen Haltung mit der AW. langsam auf ihn zugegangen war, erkannt hatte.
44Der Angeklagte war alkoholisiert. Seine Einsichtsfähigkeit war zur Tatzeit nicht beeinträchtigt. Er war zur Tatzeit auch in seiner Steuerungsfähigkeit nicht erheblich eingeschränkt.
453. Nachtatgeschehen
46Der Angeklagte entfernte sich nach dem ausgeführten Stich sogleich von AW., steckte das Messer wieder in seine Bauchtasche, sah sich noch einmal zu AW. um und flüchtete – die für ihn nach dem Stich bedrohlich werdende Situation sofort erkennend – schnell laufend mit seinem Bruder vom Tatort. Spätestens um 22:33 Uhr trafen sie und der Zeuge K., der sich dem Angeklagten und dessen Bruder zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt wieder angeschlossen hatte, an der Wohnanschrift des Angeklagten ein. Die Brüder verabschiedeten sich von dem Zeugen K. und gingen in das Wohngebäude.
47Mittels einer Nachricht via Snapchat um 22:35 Uhr teilte der Angeklagte der Zeugin G. mit, dass er wieder in der Wohnung sei und bat sie um 22:44 Uhr Chips der Marke Cheetos aus C mitzubringen. Im weiteren Verlauf schrieb der Angeklagte seiner Lebensgefährtin zwischen 22:46 Uhr und 23:01 Uhr diverse, überwiegend anzügliche Nachrichten, u.a. „Mein Schwanz in deiner fotze“, „Zeug mal fotze…“, „Du bist eine geile Sau…“, „Ich werde dich BEHINDERT ficken…“, wobei er eifersüchtig reagierte als die Zeugin G. dies ablehnte, indem er ihr unter anderem schrieb: „Hast einen anderen oder was“, „Dann hau ich dich kaputt“.
48Sein Bruder V1. begab sich noch in der Nacht wieder nach T. Nach Mitternacht gab der Angeklagte über sein Mobiltelefon unter anderem Suchbegriffe wie „R kirmes 2023 polizei ##.###.2023“ auf einer Suchplattform ein, wobei er spätestens um 01:59 Uhr über das Presseportal der Polizei und die dortige Meldung davon erfuhr, dass AW. verstorben war. Um 02:44 Uhr kontaktierte er den Zeugen AA. und bat ihn darum, ihn am nächsten Tag zu seinem Bruder nach T zu fahren, was der Zeuge AA. ihm zusagte.
49Am nächsten Tag um 14:20 Uhr verließ der mit mehreren Taschen bepackte Angeklagte sein Wohngebäude. Anschließend brachte ihn der Zeuge AA. mit dem Fahrzeug der Mutter des Angeklagten nach T. Auf der Fahrt berichtete der Angeklagte dem Zeugen AA. davon, dass er es, womit das Tatgeschehen gemeint war, nicht gewollte habe. Die Situation sei eskaliert.
50III.
51Die Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit die Kammer dieser zu folgen vermochte, sowie auf dem Ergebnis der Beweisaufnahme, deren Art und Umfang sich im Einzelnen aus der Sitzungsniederschrift ergeben.
52A. Feststellungen zur Person
531. Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung nicht zu seiner Person eingelassen. Die Feststellungen der Kammer beruhen daher weitgehend auf den Bekundungen der insofern als Zeugin vernommenen Sachverständigen BZ. darüber, was der Angeklagte ihr dazu in dem Explorationsgespräch am ##. September 2023 mitgeteilt hat. Die Sachverständige hat ausgeführt, dass der Angeklagte ihr gegenüber umfangreiche Angaben zu seiner Kindheit, seinem Umzug nach Deutschland, seiner Familie und Pflegefamilie, seinem schulischen und beruflichen Werdegang sowie seinen früheren Straffälligkeiten – wie festgestellt – gemacht habe. Von den ihr gegenüber gemachten Äußerungen hat BZ. überzeugend im Rahmen ihrer Gutachtenerstattung in der Hauptverhandlung berichtet. Lediglich eine Suchtanamnese habe nach Rücksprache mit den Verteidigern des Angeklagten nicht stattgefunden.
54Ergänzend beruhen die Feststellungen zu dem persönlichen Werdegang des Angeklagten auf den Angaben der Zeugen G., C., AA., N. und AJ., soweit diese über Kenntnisse verfügten. Die Zeugin C. hat insoweit insbesondere über die Zeit des Aufenthaltes des Angeklagten in ihrer Familie und über die Gründe berichtet, weshalb der Angeklagte wieder aus der Familie herausgenommen werden musste. Die Zeugin G. hat übereinstimmend mit den Angaben des Angeklagten gegenüber der Sachverständigen BZ. über seine persönliche Situation ab dem Zeitpunkt ihres Kennenlernens im Sommer 2021 berichtet.
55Die weiteren Feststellungen beruhen auf dem Vermerk des KHK BI. über die Wohnorthistorie des Angeklagten vom ##.03.2023, der Ausweisungsverfügung des Landrates des Kreis Ä vom ##.11.2020 und dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom ##.##.2021.
56Hinsichtlich der Vorstrafen des Angeklagten beruhen die Feststellungen zudem auf dem verlesenen Bundeszentralregisterauszug vom 23.08.2023 sowie den Feststellungen aus den Urteilen des Amtsgerichts B vom ##.##.2017 (Aktenzeichen entfernt), des Landgerichts R vom ##.##.2018 (Aktenzeichen entfernt) und des Amtsgerichts B vom ##.##.2018 (Aktenzeichen entfernt).
572. Die Feststellungen zum Alkohol- und Drogenkonsum des Angeklagten in der Vergangenheit und im Tatzeitraum beruhen auf den Angaben der Zeugen G., AA., N. und AJ.. Der Zeuge AA., bei dem es sich um einen Jugendfreund des Angeklagten aus B handelt, hat davon berichtet, dass sie in den Jahren vor der Inhaftierung des Angeklagten im Jahre 2018 durchaus häufiger zusammen Alkohol konsumiert hätten, wobei es dabei immer darum gegangen sei, möglichst schnell betrunken zu werden, weshalb sie überwiegend hochprozentigen Alkohol getrunken hätten. In dieser Zeit hätten sie auch Cannabis zusammen geraucht. Nach der Haftentlassung habe er den Angeklagten gelegentlich an Wochenenden aus seiner Wohngruppe in D abgeholt, wobei der Angeklagte 1-2 Mal zuvor auch Alkohol getrunken habe. Gemeinsam hätten sie nach der Haftentlassung keinen Alkohol mehr konsumiert. Sie hätten zwar noch einmal zusammen Cannabis geraucht. Dies habe der Angeklagte aber nicht gut vertragen, weshalb er es nicht mehr oft geraucht habe. Die Angaben des Zeugen AA. hat die Kammer als glaubhaft erachtet. Hinsichtlich des Konsums nach der Haftentlassung stehen sie insbesondere im Einklang mit den Angaben der Zeugin G., die angab, dass der Angeklagte nur selten und wenn am Wochenende Alkohol konsumiert habe, wobei sie ihn auch dann nie betrunken, sondern allenfalls angetrunken erlebt habe. Cannabis habe er in ihrer Anwesenheit nicht konsumiert, da sie strikt dagegen gewesen sei. Die Zeugin N., die den Angeklagten seit Weihnachten 2021 kennt, hat ebenfalls davon berichtet, dass der Angeklagte, soweit sie wisse, jedenfalls seit der Beziehung zu der Zeugin G. nicht viel Alkohol konsumiert habe. Zuletzt habe sie mit dem Angeklagten an dessen Geburtstag zwei Wochen vor der Tat Alkohol konsumiert. Dass sie ihn betrunken erlebt habe, sei schon länger her. Die Bewährungshelferin AJ., die den Angeklagten ab Oktober 2022 betreut hat, hat davon berichtet, dass der Angeklagte ihr gegenüber zwar davon berichtet habe, nach seiner Haftentlassung im Sommer 2021 auch noch Alkohol und Cannabis in einem erheblicheren Umfang konsumiert zu haben, den Konsum von Cannabis aber mit der Aufnahme seiner Beschäftigung gänzlich eingestellt und Alkohol auch nur noch in geringen Mengen an Wochenenden konsumiert zu haben.
58B. Feststellungen zur Sache
591. Zur Sache hat sich der Angeklagte am ersten Verhandlungstag über eine Verteidigererklärung, die er sich ausdrücklich zu eigen gemacht hat, eingelassen. Danach sei er über den Tod des AW. und speziell über sein eigenes Verhalten entsetzt, wobei er den Tod zu keinem Zeitpunkt gewollt habe. An das Tatgeschehen habe er nur noch unsichere und lückenhafte Erinnerungen, wobei er versuchen werde, dieses so zu schildern, wie er es noch erinnere. Auf Anraten seiner Rechtsanwälte werde er auch möglichst detaillierte Angaben zu seinem Alkoholkonsum machen. Da seine Freundin an dem Tag in C gewesen sei, sei er mit seinem Bruder zusammen gewesen. Es sei zunächst ein Besuch bei Herrn P., dem früheren Heimleiter seines Bruders, geplant gewesen und anschließend habe man den Nachmittag mit Chillen und Trinken verbringen wollen. Nach dem Besuch bei Herrn P. seien sie – ausweislich des Ergebnisses der Auswertung seines Handys – etwa gegen 16:30 Uhr bis 17:00 Uhr zum W-Platz in R gegangen, wo er sich 2 Dosen Whiskey der Marke Jack Daniels (je 330 ml; 10 % Alkohol) gekauft und später konsumiert habe. Zu Hause habe er sich schon zwei Flachmänner mit Wodka Gorbatschow (je 100 ml; 37,5 % Alkohol) in seine Taschen eingepackt und im Laufe des Nachmittags und Abends zu sich genommen. Noch am W-Platz habe sein Bruder K. angerufen, der aus Geselligkeitsgründen auch zu ihnen gestoßen sei. K. habe vorgeschlagen, in seinen nahegelegenen Schrebergarten zu gehen, wo er noch eine Flasche Whiskey Jack Daniels gehabt habe. Dies hätten sie gemacht und dort Musik gehört und gleichmäßig zu dritt die Flasche Whiskey (0,7 l Jack Daniels; 40 % Alkohol) geteilt. Sie hätten sich dann dazu entschlossen in die Stadt zu fahren. An der Bushaltestelle habe sich noch AL. zu ihnen gesellt. Wer ihn gerufen habe und wieso er zu ihnen gestoßen sei, wisse er nicht mehr. Sie seien zu viert mit dem Bus zum Bahnhof gefahren. Von da seien sie in seine Wohnung gegangen, die in der Nähe des Bahnhofs liege. Die Flachmänner habe er nach seiner Erinnerung zu diesem Zeitpunkt schon konsumiert gehabt. Er habe sich mit der Ankunft in R schon ganz schön angetrunken und benommen gefühlt. In seiner Wohnung habe man beschlossen zur Kirmes zu gehen. Er habe sich nur ungern angeschlossen, weil er sich schon angetrunken gefühlt habe. Wie sie zur Kirmes gekommen seien, erinnere er nicht mehr. Das nächste Bild, das er noch im Gedächtnis habe, sei eine Rangelei auf dem Fahrgeschäft mit mehreren Personen gewesen, unter anderem mit AW.. Er habe dunkel in Erinnerung, dass sie sich geschubst hätten und er möglicherweise im Geschubse mit AW. oder aber alkoholbedingt hingefallen sei. Er wisse noch, dass es zu einem weiteren Gerangel gekommen sei, wobei AW. ihn provokativ sinngemäß aufgefordert habe herzukommen. Dies sei, meine er, die Situation in dem Video, wo er auch mit den ausgebreiteten Armen vor ihm gestanden habe. Er habe sich durch diese Äußerung unheimlich herausgefordert gefühlt und habe dann nach seiner Erinnerung reflexartig ohne zu überlegen zugestochen. Dabei habe er zu keinem Zeitpunkt im Kopf gehabt, AW. zu töten oder schwer zu verletzen. Es sei ein impulsartiger Reflex gewesen. Er könne sich rückblickend das Ganze nicht erklären, warum man da zusteche. Er finde es rückblickend unheimlich schlimm und wolle gar nicht mehr sagen. Er könne es nur auf seinen erheblichen Alkoholkonsum zurückführen und dass er nicht mehr Herr seiner Sinne und der Situation gewesen sei. Auf der Flucht habe er sich zweimal übergeben. Erst bei der Videoansicht habe er gesehen, dass er sich noch eine Getränkedose besorgt habe, die ihm vor dem Gerangel alkoholbedingt aus der Hand gefallen sei. Er bereue das Ganze jeden Tag zutiefst.
60Nachfragen hat der Angeklagte nicht zugelassen und hat die dennoch gestellten Fragen auch in den nächsten Verhandlungstagen nicht beantwortet. Am fünften Verhandlungstag hat er sich weiter dahingehend eingelassen, dass es sich bei der Tatwaffe um ein rotes Schälmesser mit einer maximalen Klingenlänge von 5 cm gehandelt habe. Weitere (Nach-) Fragen hat er nicht beantwortet.
612. Die Einlassung des Angeklagten ist, soweit sie den hiesigen Feststellungen widerspricht, in weiten Teilen bereits unglaubhaft, im Übrigen aber auch durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt.
62Der Einlassung des Angeklagten ist dabei von vornherein nur ein geringer Beweiswert zugekommen, weil sie in Form einer Verteidigererklärung ohne Möglichkeit der Überprüfung durch kritische Nachfragen vorgebracht worden ist und ihrem Inhalt nach nur eine Teileinlassung dargestellt hat, aus der nachteilige Schlüsse gezogen werden durften. Insoweit gilt zwar, dass im Strafverfahren niemand gegen sich selbst auszusagen braucht, also ein Schweigerecht besteht, was nicht zu seinem Nachteil gewertet werden darf. Dies gilt jedoch nicht im Falle des wie hier vorliegenden Teilschweigens, welches dann einen negativen Bestandteil der Einlassung bildet, die in ihrer Gesamtheit der freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegt. Ein solches verwertbares Teilschweigen liegt vor, wenn der Angeklagte entweder auf sachbezogene Fragen von Verfahrensbeteiligten schweigt oder aber Angaben in seiner Einlassung unterlässt, zu denen er sich nach Lage der Dinge im Sinne einer zusammenhängenden Äußerung zum Tatvorwurf gedrängt sehen muss.
63In Anlegung dieser Maßstäbe hat ein berücksichtigungsfähiges partielles Schweigen des Angeklagten vorgelegen, der unter anderem nicht die an ihn gerichteten Fragen beantworten wollte, warum er überhaupt ein Messer mit sich geführt hat und was nach der Tat mit dem Messer geschehen ist. Auch zu weiteren wesentlichen Aspekten des Tatgeschehens, zu denen eine Darlegung naheliegend gewesen wäre, hat sich die Verteidigererklärung nicht verhalten. So ist beispielsweise auch keine Stellung dazu bezogen worden, inwieweit der Bruder des Angeklagten in das Geschehen involviert oder wie allgemein die Stimmung an dem Tag gewesen ist. Auch hinsichtlich des Vortatgeschehens hat der Angeklagte nur unvollständige Angaben gemacht, indem er sich auf eine für die Kammer nicht glaubhafte Erinnerungslücke berufen hat.
643. Soweit der Angeklagte sich insofern zu relevanten Umständen nicht geäußert hat oder diese im Widerspruch zu den Feststellungen standen, folgen die diesbezüglich getroffenen Feststellungen aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Im Einzelnen:
65a. Vortatgeschehen
66aa. Die Feststellungen hinsichtlich des Verbringens des Wochenendes der Zeugin G. in C und die Verärgerung des Angeklagten darüber aufgrund seiner Eifersucht beruhen auf den Angaben der Zeugin G., die Entsprechendes im Rahmen ihrer Vernehmung vor der Kammer berichtet hat. Sie hat geschildert, dass der Angeklagte es schon nicht gut gefunden habe, dass sie am Wochenende und somit für den Zeitraum, in welchem sie sich zu der Zeit hätten sehen können, nach C gefahren sei. Insbesondere habe er aber aufgrund seiner Eifersucht nicht gewollt, dass sie abends feiern gehe. Sie habe ihn deshalb auch angelogen und gesagt, dass sie nicht feiern gehen werde, was der Angeklagte ihr aber nicht geglaubt habe. Bestätigt werden die Angaben durch den zwischen dem Angeklagten und der Zeugin G. am ##. und ##.##.2023 geführten und insoweit verlesenen Chatverkehr. So schrieb der Angeklagte der Zeugin G. am ##.##.2023 um 21:38 Uhr und 21:39 Uhr: „Für was sag ich die was tu machen sollst wenn du eh machst was du willst“, „Verarsch mich nicht“, „Was schickst du keine fucking Videos“. Um 23:16 Uhr schrieb die Zeugin G.: „Ja sind ganze Zeit Hotel jetzt“. Aus den Nachrichten ergibt sich die leichte Reizbarkeit des Angeklagten und seine offensichtliche Verärgerung über das Verhalten der Zeugin G.. Die bestehende Eifersucht und eine grundsätzlich bestehende geringe Frustrationstoleranz spiegeln sich zudem auch in den Nachrichten aus der Nacht vom ##. auf den ##.##.2023, niedergeschrieben im Auswertebericht des KHK BI. betreffend das Mobiltelefon des Angeklagten, wider. In diesem Rahmen reagierte der Angeklagte auf die Verweigerung der Zeugin G., ihm Nacktbilder von sich zu schicken, zunächst mit der provokanten Frage, ob sie einen anderen habe, um ihr sodann unmittelbar in einer weiteren Nachricht damit zu drohen, sie dann kaputtzuhauen.
67bb. Die Feststellungen der Kammer zum Treffen des Angeklagten mit seinem Bruder und dem anschließenden gemeinsamen Besuch des Zeugen P. in R stehen fest aufgrund der Einlassung des Angeklagten, welche insoweit durch das weitere Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt wurde. Die Feststellungen in zeitlicher Hinsicht beruhen dabei auf dem im Rahmen des Selbstleseverfahrens eingeführten Auswerteberichts des KHK BI. betreffend das Mobiltelefon des Angeklagten. Daraus ergibt sich, dass aufgrund ausgewerteter Geokoordinaten, empfangener und gesendeter Chatnachrichten, empfangener und ausgehender Anrufe und den jeweiligen Verbindungen und Trennungen seines Mobiltelefons mit unterschiedlichen WLAN-Netzwerken ein Bewegungsprofil vom ##.##.2023 bis zum ##.##.2023 um 15:23 Uhr entsprechend der dazu getroffenen Feststellungen erstellt wurde. Insoweit ergab sich daraus auch, dass der Angeklagte sich mit seinem Bruder verabredet hatte, da er dies am Morgen des ##.##.2023 der Zeugin G. in einer Nachricht entsprechend mitgeteilt hatte. Die Feststellungen zu den Gesprächsinhalten, der Stimmung und dem Verhalten des Angeklagten und seines Bruders beim Besuch des Zeugen P. beruhen auf den Angaben des Zeugen P., der dies entsprechend den getroffenen Feststellungen geschildert hat. Die Angaben waren glaubhaft.
68cc. Die weiteren Feststellungen zum Aufenthalt in R bis zum Wiedereintreffen in der Wohnung des Angeklagten gegen 20:51 Uhr beruhen ebenfalls auf dem sich aus dem Auswertebericht ergebenen Bewegungsprofil des Mobiltelefons des Angeklagten und, soweit die Einlassung des Angeklagten und die Angaben der Zeugen K. und AL. sich mit diesem oder anderen Beweismitteln deckten, auch auf diesen.
69Den Aussagen der Zeugen K. und AL. hat die Kammer insoweit nur eingeschränkt folgen können, da beide jedenfalls hinsichtlich jeweils eines Punktes nachweisbar falsche Angaben gemacht haben und ihre Aussagen in Teilen auch abgesprochen gewirkt haben.
70K. hat insoweit nachweislich unwahr angegeben, dass es, nachdem AL. und er gemeinsam mit dem Fahrgeschäft „Name entfernt“ gefahren seien, einen riesigen Tumult gegeben habe, woraufhin sie dem Tumult ausgewichen, zum Bus gelaufen und schließlich wieder nach R gefahren seien. Sie hätten zwar nach dem Angeklagten und V1. Ausschau gehalten, diese aber nicht gesehen. In der Folgezeit habe er zum Angeklagten keinerlei Kontakt mehr gehabt und auch mit V1. habe er erst ein bis zwei Wochen später telefoniert. Diese Angaben sind nachweislich falsch gewesen. Tatsächlich hat es noch am Tatabend nach der Tat ein Wiedertreffen jedenfalls zwischen K., dem Angeklagten und V1. gegeben. Denn ausweislich der in Augenschein genommenen Lichtbilder der Videoaufzeichnung aus dem Eingangsbereich des Wohnhauses des Angeklagten hat sich K. nach dem Wiedereintreffen an der Wohnanschrift des Angeklagten gegen halb elf durch eine Umarmung von diesem und dessen Bruder verabschiedet, bevor diese dann zusammen das Wohnhaus betreten haben. Spätestens dort müssen sie daher noch einmal aufeinandergetroffen sein, wobei zur Überzeugung der Kammer auch feststeht, dass dort dann jedenfalls ein kurzer Austausch über das unmittelbar zuvor Geschehene stattgefunden hat.
71Auch AL. hat im Rahmen seiner Vernehmung – ähnlich wie K. – zunächst angegeben, von dem gesamten Tatgeschehen nichts mitbekommen zu haben und auch über eine mögliche Beteiligung des Angeklagten an der Tat nichts sagen zu können, da er diesen nach der gemeinsamen Fahrt mit K. mit dem Fahrgeschäft „Name entfernt“ nicht mehr gesehen habe. Erst nach entsprechender Inaugenscheinnahme eines Lichtbildes, welches ihn unmittelbar nach der Fahrt telefonierend und erschreckend in Richtung des Tatgeschehens guckend zeigt, hat AL. dann auf entsprechenden Vorhalt erklärt, dass er eine Schlägerei gesehen und auch mitbekommen habe, wie V1. weggerannt sei und ihm jemand gefolgt sei. Ferner habe er jemanden gesehen, der geblutet habe, weshalb er abgehauen sei.
72An diesen falschen bzw. zunächst falschen Angaben der Zeugen K. und AL., die zur Überzeugung der Kammer nicht versehentlich erfolgt sein können, wurde offensichtlich, dass die Zeugen keine Erkenntnisse über eine etwaige Beteiligung des Angeklagten und dessen Bruder an dem Tatgeschehen mitteilen wollten.
73Ferner fanden sich in den Aussagen von K. und AL. gewisse Entlastungstendenzen hinsichtlich des Alkoholkonsums des Angeklagten am Tattag, was ebenfalls zu Zweifeln an der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben geführt hat. Insofern wird bereits hier – wie unten noch näher begründetet wird – darauf hingewiesen, dass zur Überzeugung der Kammer feststeht, dass der vom Angeklagten behauptete Alkoholkonsum so nicht stattgefunden hat, da solch ein erheblicher Konsum mit seinem am Tattag gezeigten Leistungsbild nicht in Einklang zu bringen ist, wenngleich von einem gewissen Alkoholkonsum und einer alkoholbedingten Enthemmung des Angeklagten durchaus ausgegangen wird. Für nicht glaubhaft hat die Kammer insoweit auch die Angabe von K. erachtet, zum Zeitpunkt seiner eigenen Vernehmung durch die Kammer am ##.10.2023 nicht von der Einlassung des Angeklagten gewusst zu haben, wonach er sich das gesamte Geschehen nur mit seinem erhöhten Alkoholkonsum erklären könne. Darüber war nämlich, wie unter anderem die Zeugin AB2. bekundet hat, jedenfalls regional mehrfach berichtet worden. K. wusste zu diesem Zeitpunkt auch schon davon, dass er höchstwahrscheinlich als Zeuge geladen werden und vernommen werden würde. Auch AL., der nach eigenen Angaben von K. angesprochen wurde, ob er seine Personalien zur Ladung an V1. weitergeben könne, hat insoweit angegeben, dass er zwar nicht mehr genau wisse, ob K. ihm gesagt habe, dass es auch um einen etwaigen Alkoholkonsum des Angeklagten gehen könne, es aber möglich sei. Soweit K. und AL. in der Folge detaillierte Angaben über den vom Angeklagten erfolgten Alkoholkonsum und etwaigen alkoholbedingten Beeinträchtigungen des Angeklagten gemacht haben, wertet die Kammer dies als Versuch, die Version des Angeklagten – auch mit unwahren Angaben – jedenfalls zu unterstützen.
74Hinsichtlich des Aufenthaltes und des grundsätzlichen Besuchs des Lebensmittelmarktes, dem Besuch des Schrebergartens des Zeugen K. und der Busfahrt von R zum Hauptbahnhof nach R mit dem anschließenden Aufsuchen der Wohnung des Angeklagten stimmen die Angaben von K. und AL. sowie die Einlassung des Angeklagten im Wesentlichen überein mit dem Ergebnis der Auswertung des Mobiltelefons des Angeklagten.
75Insoweit hat die Auswertung zunächst ergeben, dass sich das Mobiltelefon des Angeklagten von 17:01 Uhr bis 17:07 Uhr mit dem freien WLAN-Netzwerk des Lebensmittelmarktes in R verbunden hat. Von einem Besuch des Supermarktes war folglich auszugehen. Soweit K. das Geschehen aber so geschildert hat, dass er mit dem Angeklagten und dessen Bruder in dem Markt gewesen sei, wobei sich der Angeklagte zuerst eine 0,33 l Dose Jim Beam gekauft habe, diese während eines Spazierganges getrunken habe, die leere Dose wieder abgegeben und der Angeklagte sich dann eine weitere 0,33 l Dose Bombay gekauft habe, wobei er diesbezüglich nicht sagen könne, ob der Angeklagte diese auch vollständig ausgetrunken habe, vermochte die Kammer diesen Angaben aufgrund der obigen Ausführungen nicht zu folgen. Seine Schilderungen waren insoweit auch nicht mit dem Auswertebericht vereinbar, wonach sich das Mobiltelefon des Angeklagten nur einmal mit dem freien WLAN-Netzwerk des Marktes verbunden hat. Möglich erscheint zwar, dass bei einem zweiten Besuch lediglich keine Verbindung mit dem freien WLAN-Netzwerk erfolgt ist, jedoch hat auch der Angeklagte den von K. geschilderten Sachverhalt im Rahmen seiner Verteidigererklärung so nicht vorgetragen und zudem angegeben, zwei Dosen Jack Daniels getrunken zu haben.
76Der gemeinsame Aufenthalt im Schrebergarten des Zeugen K. ist hingegen wieder vereinbar mit dem Auswertebericht des Mobiltelefons des Angeklagten, das sich im Zeitraum von 18 Uhr bis 19:24 Uhr mehrfach in R mit einem WLAN-Netzwerk „IPhone“ – höchstwahrscheinlich das des Zeugen K. – verbunden hat, wobei sich der Angeklagte ausweislich der Geokoordinaten auch bis 20:20 Uhr in R aufgehalten hat.
77Soweit der Angeklagte sich dann weiter dahingehend erklärt hat, bei dem Zeugen K. mit diesem und seinem Bruder eine Flasche Jack Daniels konsumiert zu haben, vermochte die Kammer zwar nicht auszuschließen, dass überhaupt ein Alkoholkonsum stattgefunden hat. Dass es sich dabei um eine gesamte Flasche Jack Daniel‘s gehandelt hat, hat die Kammer – trotz der damit übereinstimmenden Angaben von K. – jedoch nicht feststellen können. Es wird insofern erneut auf die vorherigen Ausführungen hinsichtlich der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen K. verwiesen. Insoweit hat sich auch ein weiterer Widerspruch zu den Angaben des Angeklagten und K. auf der einen Seite und AL. auf der anderen Seite ergeben. So hat AL. auf die Frage der Kammer zu einem etwaigen Alkoholkonsum des Angeklagten, seines Bruders und K.s beim Aufeinandertreffen angegeben, eine leere Flasche Jack Daniel‘s in der Hand des Zeugen K. gesehen zu haben, die dieser dann weggeschmissen habe. Auf spätere weitere Nachfrage hat er angegeben, dass er die Flasche am Hintertor des Schrebergartens in der Hand seines Freundes K. gesehen habe. Insofern hat seine Angabe jedoch den Angaben des Angeklagten und auch des Zeugen K. widersprochen, die übereinstimmend angegeben haben, dass AL. erst an der Bushaltestelle zu ihnen gestoßen sei, wobei K. ihn, nach eigenen Angaben, sogar erst auf dem Weg zur Bushaltestelle angerufen haben will.
78Die Fahrt mit dem Bus zurück in die Innenstadt nach R war mit dem Bewegungsprofil des Mobiltelefons des Angeklagten hingegen wieder in Einklang zu bringen. Durch die sich aus dem Auswertebericht ergebende Verbindung und Trennung des Mobiltelefons des Angeklagten mit seinem Heimnetzwerk konnte auch die erneute Ankunft und das gemeinsame Verlassen der Wohnung in zeitlicher Hinsicht festgestellt werden.
79dd. Die Feststellungen zu der vom Angeklagten spätestens zum Zeitpunkt des Verlassens der Wohnung getragenen Kleidung beruhen unter anderem auf der in Augenschein genommenen Aufzeichnung der Überwachungskamera am Fahrgeschäft, den Lichtbildern aus dem Eingangsbereich des Wohnhauses des Angeklagten von diesem in der Nacht und der Angabe von K., der die Kleidung ebenfalls entsprechend beschrieben hat.
80ee. Die Feststellung, dass der Angeklagte spätestens ab dem Verlassen der Wohnung – wie auch sonst häufiger – ein Messer mit sich geführt hat, um dieses für den Fall einer Auseinandersetzung einsetzen zu können, beruht auf den folgenden Erwägungen:
81Zunächst war für die Kammer schon kein Grund erkennbar und wurde im Übrigen auch von niemandem im Rahmen der Hauptverhandlung geäußert, warum der Angeklagte nur an diesem Tag ausnahmsweise und einmalig ein Messer bei sich geführt haben könnte, wie dies schon durch das Vorhandensein des Messers bei ihm zur Tatzeit belegt wird. Es gab nämlich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er sich erst im weiteren Verlauf des Abends noch zufällig mit dem Messer bewaffnet haben könnte.
82Im Übrigen hat die Zeugin G. auf entsprechende Nachfrage der Kammer berichtet, dass sie während des Kennenlernens des Angeklagten erfahren und gewusst habe, dass dieser häufig ein Klappmesser bei sich gehabt habe. Dies habe er gemacht, um sich verteidigen zu können, wenn er von anderen angegriffen werde. Eine konkrete Situation, in der dies notwendig gewesen wäre, habe er ihr dabei nie benannt.
83Soweit sie einschränkend angegeben hat, dass der Angeklagte dies mit dem Beginn der Beziehung oder spätestens ein halbes Jahr danach eingestellt habe, da sie es nicht gewollt habe, folgt die Kammer diesen Ausführungen der Zeugin G. nicht. Insoweit hat sie schon selber die Einschränkung vorgenommen, dass sie ein weiteres Mitführen eines Messers jedenfalls nicht mitbekommen habe. Es erscheint somit bereits möglich, dass die Zeugin G. das Einstecken und das Mitführen eines Messers durch den Angeklagten schlicht nicht mitbekommen hat, wobei auch zu berücksichtigen war, dass sie und der Angeklagte in den letzten Monaten überwiegend eine Wochenendbeziehung führten und der Angeklagte somit auch häufiger alleine unterwegs gewesen sein wird. Möglich erscheint es jedoch auch, dass sie dies zum Schutz des Angeklagten nicht äußern wollte. Denn am ##.##.2023 und somit 2 Tage nach der Tat hat der Angeklagte – ausweislich der Auswertung seines Mobiltelefons – der Zeugin G. auf ihre Nachricht, dass sie nicht wisse, was sie von ihm halten solle, geschrieben, dass sie jetzt wisse, dass er nicht nur rede. Dazu hat er dann weiter ausgeführt, dass sie ihn immer ausgelacht und gefragt habe, warum er ein Messer mitnehme. Der Inhalt dieses Nachrichtenaustauschs spricht zur Überzeugung der Kammer dafür, dass das Mitführen eines Messers durch den Angeklagten auch zuletzt in der Beziehung noch ein Thema gewesen ist, wobei es dafür keine andere nachvollziehbare Erklärung gibt, als den Umstand, dass der Angeklagte dies tat. Die von dem Angeklagten in dem Nachrichtenaustausch aufgegriffene Reaktion seiner Freundin, ihn deswegen ausgelacht und gefragt zu haben, warum er das tue, spricht dabei dafür, dass er das Messer auch mitgeführt hat, obwohl die Zeugin G. dies nicht wollte und ihn dafür möglicherweise sogar ausgelacht hat. Als gänzlich fernliegend erscheint es der Kammer insofern, dass der Angeklagte sich in dieser Weise zwei Tage nach der Tat auf eine Kommunikation mit seiner Partnerin bezogen haben könnte, die bereits 1 Jahr bis 1,5 Jahre zurückgelegen hat, zumal dies auch der gewählte Wortlaut „hast mich immer ausgelacht“ fern legt. Im Übrigen hat auch die Zeugin N. davon berichtet, im Jahre 2022 ein großes Küchenmesser bei den Sachen des Angeklagten gesehen zu haben, als sie alle bei der Mutter des Angeklagten und V1. zu Besuch gewesen seien. Zudem hat sich auch aus dem verlesenen Report der Polizeistation E vom 31.05.2022, wonach im Spind des Angeklagten bei seiner ehemaligen Arbeitsstätte beim Markt in D ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 20cm aufgefunden wurde, ergeben, dass es dem Angeklagten nicht fremd war, ein Messer bei sich zu haben.
84Einen anderen Grund für das Messermitführen durch den Angeklagten als denjenigen, für den Fall einer etwaigen Auseinandersetzung bewaffnet zu sein, sieht die Kammer bei lebensnaher Betrachtung nicht. Dafür spricht zudem auch wieder die bereits zitierte Nachrichtenkommunikation des Angeklagten mit seiner Freundin bezogen auf die Tat und das Messermitführen. Indem er ausführt, dass sie jetzt – also nach der Tat unter Einsatz eines Messers – wisse, dass er nicht nur rede, bekräftigt er nochmals seine Handlungsbereitschaft in entsprechenden Situationen und zwar – nach dem Kontext eindeutig – auch unter Einsatz eines mitgeführten Messers.
85Der Angeklagte hat sich, wie bereits ausgeführt, zu den Fragen des Messermitführens und dem Grund hierfür insgesamt nicht eingelassen.
86ff. Die Feststellungen hinsichtlich des zurückgelegten Weges zur Kirmes bis zum Eintreffen am nördlichen Ende des Platzes gegen 21:44 Uhr beruhen ebenfalls auf der Auswertung des Mobiltelefons des Angeklagten. Im Wesentlichen ist dies auch von K. und AL. entsprechend geschildert worden. AL. hat insofern auch davon berichtet, dass sie auf dem Weg zur Kirmes noch einen kurzen Zwischenstopp beim Lebensmittelmarkt an der M-Straße in R gemacht hätten, wo der Angeklagte eine 0,33 l fassende Dose Wodka Energy von der Marke Effect erworben habe. Insoweit hat die Kammer es zwar als Möglichkeit in Betracht gezogen, dass ein entsprechender Erwerb von einem alkoholischen Getränk stattgefunden hat, sicher feststellbar war dies aufgrund der obigen Ausführungen jedoch nicht. Für einen generellen Halt bei dem Supermarkt spricht insofern aber, dass der Angeklagte und seine Begleiter für den Fußweg zur Kirmes um die 40 Minuten benötigt haben, wenngleich der Fußweg auch in deutlich kürzerer Zeit hätte zurückgelegt werden können. Dafür, dass grundsätzlich ein Dosengetränk erworben wurde, spricht im Übrigen auch das in Augenschein genommene Überwachungsvideo des Fahrgeschäfts „Name entfernt“, auf dem der Angeklagte – dort angekommen – zeitweise mit einer Dose in der Hand zu sehen ist. Eine nähere Bestimmung der Art des Getränkes war mithilfe des Videos jedoch nicht möglich.
87Soweit AL., insofern als einziger Zeuge, angegeben hat, dass der Angeklagte auf dem Weg von der Wohnung bis zur Kirmes nicht mehr gerade habe laufen können, getaumelt sei und nicht mehr wirklich gesprochen habe, vermochte die Kammer auch diesen Angaben aufgrund der vorherigen Ausführungen nicht zu folgen. Solche Angaben hat im Übrigen auch K. nicht gemacht. Dieser hat zwar angegeben, selber alkoholisiert gewesen zu sein und auch einen gewissen Alkoholkonsum beim Angeklagten bemerkt zu haben. Ansonsten sei ein normales Gespräch mit dem Angeklagten aber möglich gewesen, der auf dem Weg auch nicht geschwankt oder getorkelt sei. Insoweit sind zwar auch die Angaben von K. nur wenig belastbar. Wie bereits ausgeführt sind derartige Ausfallerscheinungen jedoch auch nicht mit dem übrigen Leistungsbild, welches der Angeklagte gezeigt hat und was nachfolgend noch ausgeführt werden wird, vereinbar. Denn insoweit hat auch keiner, insbesondere keiner der unbeteiligten Zeugen, die also weder den Angeklagten noch AW. zuvor gekannt haben, über koordinatorische und motorische Beeinträchtigungen des Angeklagten berichtet, wenngleich zwischen dem Verlassen der Wohnung und der Tatbegehung gerade einmal eine Stunde vergangen ist. Insoweit hat auch der Zeuge AR., der dem Angeklagten und dessen Begleiter noch vor dem Tatgeschehen begegnet ist und mit ihnen gesprochen hat, zu etwaigen Ausfallerscheinungen nichts gesagt. Soweit er pauschal angegeben hat, dass der Angeklagte auf ihn alkoholisiert gewirkt habe, waren seine Angaben wenig belastbar. So hat er auf Nachfrage nicht angeben können, woran er dies festgemacht habe. Er hat lediglich angegeben, dass die Augen und das Gesicht des Angeklagten so ausgesehen hätten, als hätte er Alkohol getrunken, wobei er auf Nachfrage auch angegeben hat, den Angeklagten und dessen Bruder in den letzten 3-4 Jahren nicht gesehen zu haben. Jedenfalls als er sie später habe gemeinsam wegrennen sehen, habe er keinerlei Koordinationsprobleme beim Angeklagten wahrgenommen. Der Angeklagte sei trotz der vielen Menschen ohne diese anzurempeln gut durchgekommen.
88gg. Die Feststellung zum Zeitpunkt des Aufenthaltes des Angeklagten und seiner Begleiter in der näheren Umgebung des Fahrgeschäftes „Name entfernt“ beruht zum einen auf dem Auswertebericht zum Mobiltelefon des Angeklagten, wonach sich das Mobiltelefon ab etwa 22:00 Uhr im Bereich des Fahrgeschäftes befunden hat, sowie auf dem in Augenschein genommenen Überwachungsvideo in Verbindung mit dem im Rahmen des Selbstleseverfahrens eingeführten Bericht zur forensischen Datensicherung des RBr BT. vom ##.##.2023, wonach ein Vergleich zwischen der Systemzeit der Videoüberwachungsanlage und der Echtzeit eine Abweichung von -26 Minuten zur gesetzlichen Zeit ergeben hat. Danach hielten sich der Angeklagte und seine Begleiter jedenfalls ab 21:57 Uhr im Nahbereich des Fahrgeschäftes auf, wie zudem auch auf den gefertigten Screenshots, Bl. 81-87 der Akte, auf die wegen der weiteren Einzelheiten gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug genommen wird, zu erkennen ist.
89hh. Die Feststellungen zu den örtlichen Begebenheiten beruhen auf den in Augenschein genommenen Lichtbildern auf Bl. 1-28 der Lichtbildmappe Tatort, auf die wegen der weiteren Einzelheiten gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen wird, und dem Tatortbefundbericht des KHK BE. vom ##.##.2023. Dass die Plattform des Fahrgeschäftes aufgrund des regnerischen Wetters noch feucht und in der Folge rutschig gewesen ist, beruht auf den Angaben der Zeugen AE., AB2., BN., BM., BF. und BR., die dies entsprechend geschildert haben. Dass K. und AL. sich für eine Fahrt mit dem Fahrgeschäft entschieden hatten, während der Angeklagte und sein Bruder auf dem Vorplatz warteten, folgt aus deren Angaben sowie aus dem in Augenschein genommenen Überwachungsvideo und den davon entsprechend gefertigten und in Augenschein genommenen Screenshots, auf denen unter anderem zu sehen ist, wie K. und AL. die Karten am Kassenhäuschen erworben haben und sich in der Folge auch nicht mehr nah bei dem Angeklagten und dessen Bruder aufgehalten haben. Die Feststellungen zum Telefonat zwischen dem Angeklagten und der Zeugin N. beruhen hinsichtlich der zeitlichen Komponente auf dem auszugsweise verlesenen IUK-Ermittlungsvermerk des KOK BO. vom ##.##.2023 und hinsichtlich des Inhaltes auf den Angaben der Zeugin N..
90ii. Die Feststellungen hinsichtlich des Tagesablaufes von AW. einschließlich des Eintreffens auf dem Kirmesgelände, des bis dahin stattgefundenen Alkoholkonsums und des Vorhabens, mit dem Fahrgeschäft „Name entfernt“ zu fahren, beruhen auf den übereinstimmenden Angaben der Zeugen AE., AF., AP., AU., AG. sowie AB1. und AB2.. Diese haben auch bestätigt, dass der Angeklagte und sein Bruder ihnen nicht bekannt waren. Soweit sie während ihrer Vernehmungen in der Hauptverhandlung von dem Angeklagten und dessen Bruder gesprochen haben, haben sie jeweils angegeben, davon, dass es sich um Brüder handelte, erst im Laufe des Ermittlungsverfahrens erfahren zu haben. Auch der Zeitpunkt des Erwerbs der Fahrkarten durch AW. hat sich aus dem in Augenschein genommenen Überwachungsvideo in Verbindung mit dem im Rahmen des Selbstleseverfahrens eingeführten Bericht zur forensischen Datensicherung des RBr BT. vom ##.##.2023 ergeben. Auch soweit nachfolgend noch Uhrzeiten hinsichtlich des Tatgeschehens benannt wurden, beruhen die diesbezüglichen Feststellungen auf den beiden vorgenannten Beweismitteln. Hinsichtlich des von AW. konsumierten Alkohols haben die ihn an dem Tag begleitenden Personen zwar keine vollständigen und detaillierten Angaben machen können, sie haben jedoch übereinstimmend bestätigt, dass ein Alkoholkonsum im festgestellten Rahmen stattgefunden hat, wobei sie übereinstimmend angaben, dass AW. zwar angetrunken und gut gelaunt gewesen sei, er auf sie jedoch nicht erheblich alkoholisiert gewirkt habe. Zu einem etwaigen Drogenkonsum konnte keiner der vernommenen Zeugen Angaben machen. Lediglich der Zeuge AP. hatte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegenüber der Zeugin KOK`in BW., wie diese berichtet hat, nachdem der Zeuge AP. daran in der Hauptverhandlung keinerlei Erinnerung mehr hatte, von einem gelegentlichen Kokain- und MDMA-Konsum von AW. berichtet. Die konkreten Feststellungen hinsichtlich des am Tattag vorgelegenen Alkoholisierungsgrades bei AW. beruhen auf dem rechtsmedizinischen Gutachten zur forensisch-toxikologischen Untersuchung auf Alkohol des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Münster vom ##.##.2023, wonach sowohl im Oberschenkelvenenblut als auch im Urin Ethanol (Alkohol) vorhanden war, wobei sich aus dem Oberschenkelvenenblut ein Mittelwert von 0,95 Promille und aus dem Urin von 1,25 Promille ergeben hat. Ausweislich des rechtsmedizinischen Gutachtens zur forensisch-toxikologischen Untersuchung des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums vom ##.07.2023 fanden sich im Blut von AW. zudem Cocain und Amphetamin, wobei der Cocainkonsum bereits mehrere Tage zurückgelegen hat. Die festgestellte Amphetaminkonzentration von 210 ng/ml, die im mittleren Bereich der Konzentrationen gelegen hat, die erfahrungsgemäß bei Amphetaminkonsumenten beobachtet werden, bestätigt insofern, dass AW. unter dem Einfluss von Amphetamin gestanden hat. Dies hat jedoch ausweislich des Gutachtens keinen relevanten Einfluss auf seine Bewusstseinslage oder Handlungsfähigkeit gehabt.
91b. Tatgeschehen
92Die Feststellungen zum Tatgeschehen beruhen auf einer Gesamtwürdigung der Einlassung des Angeklagten, der Aussagen der Zeugen, die das Tatgeschehen jedenfalls in Teilen beobachtet haben, u.a. den Zeugen AE., AB2., AU., AG., AX., BR., AK., BM., BF. und BN. sowie dem in Augenschein genommenen tonlosen Überwachungsvideo, sofern tatrelevante Geschehnisse davon aufgezeichnet wurden.
93aa. Die Zeugen BF. und BM., die gemeinsam mit weiteren Freunden auf der Kirmes waren, weder AW. noch den Angeklagten zuvor kannten und sich nur zufällig in der Nähe des Geschehens aufhielten, haben zunächst übereinstimmend davon berichtet, dass der erste Kontakt zwischen dem Angeklagten und AW. durch das in den Feststellungen näher beschriebene versehentliche Anrempeln durch AW. entstanden sei, worauf der Angeklagte trotz der unmittelbar erfolgten Entschuldigung sehr „gestresst“ reagiert habe. Alle weiteren vernommenen Zeugen konnten hingegen keinen Auslöser für den Konflikt benennen, was insofern jedoch nachvollziehbar war, als dass es sich um ein sich dynamisch entwickelndes Geschehen gehandelt hat, wobei das versehentliche Anrempeln anderer Personen auf einer gut besuchten Kirmes keine Besonderheit darstellt und nicht zwangsläufig wahrgenommen werden muss, es sei dann, man beobachtet dies – wie die Zeugen BM. und BF. – zufällig. Für die Kammer bestand insofern kein Grund an den Angaben der Zeugen BM. und BF. zu zweifeln, da insofern auch kein Grund ersichtlich war, warum sie sich dies hätten ausdenken sollen. Dass es sich dabei um eine verfälschte Erinnerung gehandelt hat, schließt die Kammer ebenfalls aus, da der Zeuge BM. die Situation zusätzlich unter Wiedergabe der Reaktion von AW., nämlich der Äußerung einer Entschuldigung und dass er keinen Stress wolle, in einen Kontext bringen konnte. Die generell herrschende Stimmung – aggressiv auf Seiten des Angeklagten und deeskalierend auf Seiten AW.s – haben die Zeugen BM. und BF. in Übereinstimmung mit den weiteren Zeugen geschildert, sodass auch hier kein Grund bestand, an deren Angaben zu zweifeln.
94bb. Der Zeuge BF. hat weiter davon berichtet, dass sich in der Folge eine verbale Auseinandersetzung auch unter Beteiligung einer Freundin von AW. entwickelt habe. Dies bestätigten entsprechend auch die Zeuginnen AE., AU. und AB2. AE. hat zunächst davon berichtet, dass sie mitbekommen habe, dass es sich getummelt habe, wobei AW. auch in einem Gespräch mit dem Angeklagten und dessen Begleiter gewesen sei. Dabei habe es sich ihrer Meinung nach noch nicht einmal um eine Streiterei gehandelt. Dabei habe es auch gewisse Konflikte zwischen dem Angeklagten und seinem Begleiter sowie einen Sturz gegeben, woraufhin AW. sie noch gefragt habe, ob sie gesehen habe, wie der mit seinem Kollegen umgehe. Aus ihrer Sicht habe sich das Geschehen danach aber erledigt gehabt. Auch AW. habe nicht besonders betroffen oder bewegt gewirkt. Es seien fremde Menschen für sie gewesen. Es habe dann aber nicht mehr lange gedauert bis AW. sich erneut zu ihr umgedreht und geäußert habe, dass er mit einem Messer in die Brust gestochen worden sei. Die Zeugin AB2. hat angegeben, dass sie mitbekommen habe, wie der Angeklagte irgendwann Stress gemacht habe, weshalb sie sich eingeschaltet und gesagt habe, dass der Angeklagte mal runterkommen solle, da sie alle nur da seien, um Spaß zu haben, wobei sich AW. in dieser Situation schon wieder weggedreht habe und schon zuvor zu ihr gesagt habe, dass sie es gut sein lassen solle, da es nicht sein Niveau und er aus dem Alter heraus sei. Auch die Zeugin AU. hat davon berichtet, dass es eine Diskussion gegeben habe, wobei AW. und AB2. involviert gewesen seien, AW. aber zu keiner Zeit aggressiv oder sauer gewirkt habe. Auch AB2. habe einen Streit vermeiden wollen.
95cc. Dass es in der Folge zu einem Sturz des Angeklagten gekommen ist, der – wie der Angeklagte erkannte – nicht von AW. verursacht worden war, und dass der Angeklagte daraufhin nochmals deutlich aggressiver wurde und von seinem Bruder zurückgehalten wurde, ist ebenfalls von mehreren Zeugen, u.a. den Zeugen BM., BF., BN., AB2., AU., AG., BR. und AK. berichtet worden. Insoweit hat zunächst AB2. ausgesagt, dass der Angeklagte nach dem kurzen Gespräch mit ihr und nach der Äußerung von AW.in ihre Richtung, dass er aus dem Alter raus sei, dennoch weiter auf AW. habe losgehen wollen, weshalb er von seinem Bruder von hinten festgehalten worden und in der Folge auf dem rutschigen Untergrund ausgerutscht sei. Nach dem Aufstehen habe er auf seine Hose geschaut, habe versucht die festgestellte Verschmutzung wegzuwischen und sei dann auf AW. losgegangen. Der Zeuge BM. hat insoweit angegeben, dass der Angeklagte infolge der rutschigen Platte und des Zurückhaltens seines Bruders gestürzt sei. Geschubst worden sei er nicht. Dabei sei der Angeklagte nach dem Sturz noch aggressiver gewesen, weil seine Kleidung verschmutzt gewesen sei. Auch der Zeuge BF. hat angegeben, dass der Angeklagte nach seinem Eindruck auf der nassen Plattform – ohne eine Beteiligung von AW. – ausgerutscht sei. Die Zeugin BN. hat ebenfalls davon berichtet, dass es auf der Plattform sehr rutschig gewesen sei, weshalb entweder der Angeklagte oder sein Begleiter auf der Plattform zu Fall gekommen sei. Auch die Zeugin AU. hat von dem Sturz des Angeklagten berichtet, wenngleich es für sie – anders als von den anderen Zeugen geschildert – den Eindruck gemacht habe, als sei der Angeklagte von seinem Begleiter – nicht hingegen von AW. – geschubst worden. Insofern hat sie jedoch auf weitere Nachfrage auch eingeräumt, dass sie das gesamte Geschehen um den Sturz nicht gesehen habe, sondern eigentlich nur den Sturz selber, weshalb sie tatsächlich keine Angaben zu dem Grund des Sturzes machen konnte. Auch die Zeugin AG. hat von einem Sturz des Angeklagten infolge eines Gerangels mit seinem Begleiter und somit ohne eine Beteiligung von AW. berichtet. Der Zeuge BR., dem der Angeklagte und AW. zuvor ebenfalls nicht bekannt waren, hat ebenfalls von dem Sturz des Angeklagten berichtet. Sein Gefühl sei dabei gewesen, dass dessen Begleiter und der rutschige Boden dafür verantwortlich gewesen seien, der Angeklagte aber AW. die Schuld an dem Sturz gegeben habe. Der Angeklagte sei dabei infolge des Sturzes und seiner dreckigen Hose völlig in Rage geraten und habe sich nicht – auch nicht von seinem Bruder – beruhigen lassen. Dabei habe der Angeklagte den Fokus eindeutig auf AW. gelegt, dem er die Schuld darangegeben habe. In der Folge habe der Angeklagte AW. auch gedroht, dass er schon sehen werde, was passiere und dass er auf ihn, AW., warte. Auch der Zeuge AK., der weder den Angeklagten noch AW. zuvor gekannt hat und zufällig gemeinsam mit seinem Cousin BR. Zeuge des Geschehens geworden ist und mit ihm in unmittelbarer Tatortnähe gestanden hat, hat von dem Sturz berichtet, wobei er angegeben hat, dass er keine Ursache dafür habe ausmachen können und letztlich einen glatten Boden als Ursache vermutet habe. Er hat in der Folge weiter detailliert und nachvollziehbar davon berichtet, dass er unmittelbar Spannungen zwischen dem Angeklagten auf der einen Seite und der Gruppe um AW. herum auf der anderen Seite wahrgenommen habe, weshalb er sich mit seinem Cousin, wie auch dieser im Rahmen seiner Vernehmung berichtet hat, als Barriere dazwischen gestellt habe in der Hoffnung, dass der Angeklagte es vergessen würde. Er sei jedoch aufgestanden und sodann zielgerichtet auf die Gruppe um AW. losgegangen und habe zu diesem noch etwas gesagt, wobei er sich auf Vorhalt der polizeilichen Vernehmung daran erinnerte, dass der Angeklagte AW. aufgefordert hatte zu warten – was im Übrigen auch der Zeuge BR. entsprechend geschildert hat –, wobei AW. dies mit den Worten „Lass mal, nicht jetzt“ oder „Lass gut sein“ abgelehnt habe. Es sei für ihn dabei klar erkennbar gewesen, dass AW. und die Gruppe um ihn herum damit nichts hätte zu tun haben wollen, weshalb sie sich letztlich auch umgedreht hätten und in Richtung des Fahrgeschäftes gegangen seien. Er habe AW. dabei sowohl hinsichtlich seiner Körpersprache als auch verbal deeskalierend wahrgenommen. Der Angeklagte sei hingegen aggressiv gewesen, wobei dessen Begleiter noch versucht habe ihn zu besänftigen. Weitere Angaben hat der Zeuge AK. nicht machen können, da er sich sodann in eine Gondel des Fahrgeschäfts begab, anders als sein Cousin BR., der im Bereich des Kassenhäuschens verblieb.
96Die Kammer hatte keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben der vorgenannten Zeugen. Bei dem Tatgeschehen hat es sich um ein mehraktiges, dynamisches Geschehen im Rahmen einer größeren Menschenansammlung gehandelt, im Rahmen dessen jeweils auch die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugen zu bewerten war. Insoweit steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die vorgenannten Zeugen jeweils nur ihren Wahrnehmungen entsprechende Angaben gemacht haben. Sofern die Zeugen bestimmte Wahrnehmungen anders als andere nicht gemacht haben oder teilweise auch andere Wahrnehmungen gemacht haben, lässt dies nicht auf eine fehlende Glaubhaftigkeit schließen oder darauf, dass das Geschilderte nicht stattgefunden hat, sondern vielmehr den konkreten Umständen geschuldet ist. Insbesondere aber in der Gesamtschau – unabhängig davon, ob sie im Lager AW.s gestanden haben oder ihnen sowohl der Angeklagte als auch AW. zuvor unbekannt waren – haben sämtliche zum Tatgeschehen vernommene Zeugen ein übereinstimmendes Bild davon geschildert. Insoweit hat die Kammer dabei insbesondere den Aussagen der Zeugen BM., BF., BR. und AK. eine große Bedeutung zukommen lassen. Diese sind lediglich zufällig Zeugen des Geschehens geworden und haben dieses als gänzlich Außenstehende, ohne den Angeklagten oder AW. zu kennen, beobachtet. Die Zeugen BR. und AK. standen dabei in unmittelbarer Nähe zu dem Geschehen, was bereits dadurch deutlich wird, dass sich beide zeitweise zwischen den Angeklagten und AW. gestellt hatten, um die Situation dadurch zu beruhigen. Beide haben insofern auch übereinstimmend davon berichtet, dass sie AW. zu diesem Zeitpunkt sogar noch gefragt hätten, ob er den Angeklagten kenne, was dieser verneint habe. Zum Zeitpunkt des vom Angeklagten ausgeführten Stiches befand sich der Zeuge BR. ausweislich des in Augenschein genommenen Überwachungsvideos in unmittelbarer Nähe – etwa 1 Meter entfernt, wie auch er schätzte – des Angeklagten und AW.s, ohne dass eine etwaige Sichtbehinderung, beispielsweise durch andere Personen bestanden hat. Aufgrund der unmittelbaren Nähe zu dem Geschehen hat die Kammer auch keine Zweifel daran, dass die von den Zeugen BR. und AK. vernommene Kommunikation zwischen dem Angeklagten und AW. so stattgefunden hat, wie sie diese jeweils wahrgenommen und geschildert haben.
97Keiner der Zeugen hat demnach bekundet, dass AW. den Angeklagten geschubst habe oder der Angeklagte sich im Zeitpunkt seines Sturzes in einem Geschubse mit AW. befand. Die von dem Angeklagten in seiner Einlassung als möglich benannte Sturzursache, nämlich „im Geschubse mit AW.“, schließt die Kammer deshalb aus. Auch dass der Angeklagte irrtümlich gemeint haben könnte, durch oder unter Beteiligung AW.s zu Fall gekommen zu sein, scheidet mangels darauf deutender Anhaltspunkte vor dem Hintergrund aus, dass kein Zeuge diese Möglichkeit nach seiner Wahrnehmung des Geschehens auch nur in Betracht gezogen hat.
98dd. Dass AW. den Angeklagten nach dessen Provokation möglicherweise aufgefordert hat herzukommen, beruht auf der Einlassung des Angeklagten, die so nicht zu widerlegen war, da sie insbesondere auch mit der Körperhaltung von AW. zu diesem Zeitpunkt in Einklang zu bringen wäre und eine grundsätzlich auch nachvollziehbare Reaktion darstellt. Ferner hat auch die Zeugin AU. davon berichtet, dass AW. eine entsprechende Äußerung in Richtung des Angeklagten getätigt habe, wenngleich sie dies nicht mehr in den genauen zeitlichen Kontext bringen konnte.
99ee. Die weiteren Feststellungen hinsichtlich des langsamen Zugehens AW.s auf den Angeklagten in der festgestellten Art und Weise, des Losreißens sowie des Schubsens seitens des Angeklagten und des Zurückschubsens durch AW., des Ziehens des zuvor verborgen gehaltenen Messers, des ausgeführten Stiches, des anschließenden an die Brust fassen von AW. und dessen Nachsetzen nebst des kurze Zeit später erfolgten Sturzes sowie das unmittelbare Nachtatverhalten des Angeklagten (Entfernung von AW., Innehalten, Wegstecken des Messers, erneutes Umdrehen) beruhen auf der Inaugenscheinnahme des Überwachungsvideos, auf dem die Geschehensabläufe entsprechend den getroffenen Feststellungen zu erkennen gewesen sind. Das Tatgeschehen hat sich dabei fast unmittelbar neben dem – auf das Fahrgeschäft blickend – linken Tickethäuschen abgespielt, wobei während des Tatgeschehens, anders als teilweise zuvor, keine weiteren Personen die Sicht auf den Angeklagten und AW. verdeckt haben. Von AW. werden dabei, da er auf der obersten Plattform gestanden hat, bis zu dem Zeitpunkt, in dem er sich in Folge des erlittenen Stiches nach vorne gebeugt hat, nur seine Beine und Teile seines Oberkörpers bis ca. zu den Ellenbogen vom Kameraausschnitt erfasst, wobei er anhand seiner getragenen Kleidung, hinsichtlich derer die entsprechenden Lichtbilder in Augenschein genommen wurden, eindeutig identifiziert werden konnte. Auch der Angeklagte ist vor der Tat überwiegend ohne Abbildung seines Kopfes zu erkennen, aber anhand seiner auffällig hellen Kleidung, dem hellgrauen Jogginganzug, eindeutig identifizierbar. Bei Ausführung des Stiches selber ist der Angeklagte vollständig und somit einschließlich seines Gesichtes von der Kamera erfasst worden. Dabei hat insbesondere auch der Zeuge BR. berichtet, dass der Stich völlig überraschend erfolgt sei und der Angeklagte dafür auch eine gewisse Distanz habe überwinden müssen, wobei er erst realisiert habe, dass es sich um einen Stich und nicht um einen Schlag gehandelt habe, als er das Blut und sodann das Messer – ein blutverschmiertes „Apfelmesser“ – in der Hand des Angeklagten gesehen habe. Auch die Zeugin AU., die sich zum Zeitpunkt des Stiches in der Nähe befand, hat insoweit angegeben, dass der Angeklagte nach dem gegenseitigen Schubsen plötzlich blitzschnell ein Messer, mit dem man Äpfel schneide, aus der Bauchtasche seiner Kleidung gezogen und zugestochen habe.
100c. Nachtatgeschehen
101aa. Die weiteren Feststellungen zur Flucht des Angeklagten und dessen Bruders beruhen neben der Inaugenscheinnahme des Überwachungsvideos zunächst auf den Angaben des Zeugen AX., der angegeben hat, gesehen zu haben, wie der Angeklagte und sein Bruder unmittelbar nachdem es „Ärger, Stress, eine Schubserei“ mit AW. gegeben habe, weggerannt seien. Insoweit sei er sicher, dass es sich um den Angeklagten und dessen Bruder gehandelt habe, da es die einzigen beiden Personen gewesen seien, die weggerannt seien. Da es voll gewesen sei, seien sie in Form von einem Slalom an anderen Menschen vorbeigelaufen. Auch der Zeuge AR. hat in seiner Vernehmung davon berichtet, dass er den Angeklagten und dessen Bruder habe wegrennen sehen, wobei motorische Beeinträchtigungen nicht von ihm geschildert wurden. Gleiches haben auch die Zeugen BR. und BM. berichtet. Der Zeuge BR. hat angegeben, dass lediglich zwei Personen, nämlich der Angeklagte und sein Bruder, weggerannt seien. Dass es sich um eine schnelle Flucht des Angeklagten gehandelt hat, steht zur Überzeugung der Kammer zudem fest aufgrund des Ergebnisses des Auswerteberichts von dessen Mobiltelefon. Danach hat sich das Mobiltelefon des Angeklagten bereits 1 Minute nach der Tat um 22:09:27 Uhr ca. 180 Meter vom Tatort entfernt im Einmündungsbereich Platz/A-Straße befunden, was angesichts des Umstandes, dass die Kirmes gut besucht war und somit auch viele Hindernisse umlaufen werden mussten, ebenfalls dafür spricht, dass der Angeklagte und sein Bruder sich schnell laufend/rennend vom Tatort entfernt haben. Auch, dass sich das Mobiltelefon des Angeklagten bereits um 22:33:49 Uhr mit dem heimischen WLAN-Netzwerk wieder verbunden hat, spricht für eine zügige und zielstrebige Flucht des Angeklagten und gegen etwaige Koordinationsprobleme und ein zweimaliges Erbrechen auf dem Rückweg.
102bb. Die Feststellungen zu den ausgetauschten Chatnachrichten mit der Zeugin G. und den in der Nacht getätigten Google-Recherchen beruhen ebenfalls auf dem vorgenannten Auswertebericht des Mobiltelefons des Angeklagten. Den generellen Austausch von Chatnachrichten, auch mit sexuellen Inhalten, an dem Abend hat im Übrigen auch die Zeugin G. bestätigt.
103cc. Die Feststellungen zum Verlassen der Wohnung am nächsten Tag beruhen auf den in Augenschein genommenen Lichtbildern, dem Auswertebericht des Mobiltelefons des Angeklagten, wonach sich sein Mobiltelefon um 14:11 Uhr von seinem heimischen WLAN-Netzwerk getrennt hat und auf den Angaben des Zeugen AA., der die Fahrt nach T mit den Gesprächsinhalten entsprechend den getroffenen Feststellungen geschildert hat. Dieser hat insofern auch bestätigt, dass der Angeklagte ihn bereits in der Nacht darum gebeten hatte, ihn am nächsten Tag zu fahren. Die genaue Uhrzeit des Anrufes steht dabei fest aufgrund des auszugsweise verlesenen Vermerks zu den IUK-Ermittlungen des KOK BO. vom ##.##.2023.
104d. Todesursache
105Die Feststellungen zur Todesursache beruhen auf den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen BV., der den Leichnam AW.s am ##.##.2023 obduziert und die festgestellten Verletzungen sowie die Todesursache anschaulich und überzeugend beschrieben hat. Er hat insoweit ausgeführt, dass es sich bei der Hauptverletzung um eine 4,5 cm links der vorderen Körpermittellinie befindliche, schräg von oben rechts nach unten links gestellte und folglich nahezu quer zur Körperlängsachse verlaufende 21 mm lange und 10 mm klaffende, glattrandige Zusammenhangsdurchtrennung der Haut infolge eines Stiches zwischen der zweiten und dritten Rippe gehandelt habe. Der linke Wundwinkel mit einer eckigen Konfiguration habe dabei einen 1 x 2 mm großen Hautzipfel aufgewiesen, was typisch sei für Situationen, in denen das Messer anders eindringe als es herausgezogen werde, beispielsweise durch eine leichte Rotation des Messers oder leichte Bewegungen der beteiligten Personen. Ferner habe die Haut an der Stirn linksaußenseitig, oberhalb der linken Augenbraue und übergehend in die Augenbraue eine teils fetzig, teils glattrandig konfigurierte, 5 cm lange und bis 1,2 cm weit klaffende Zusammenhangsdurchtrennung mit Gewebsbrückenbildungen in der Wundtiefe aufgewiesen. Von der Nasenwurzel verlaufend auf den rechten Nasenflügel habe sich eine teils unterbrochene, insgesamt 2 cm lange und bis 3 mm breite, rot-bräunlich vertrocknete Oberhautabschürfung befunden. Am Herzen habe der Stich zu einer 22 mm langen, klaffenden Zusammenhangsdurchtrennung geführt, wobei der Defekt durch den oberen Anteil der Herzkammerscheidewand in die rechte Herzkammer unter Anschnitt der Pulmonalklappe gegangen sei. Der Stich habe ferner zu einem Defekt der zweiten Rippe geführt. Todesursächlich sei insoweit der Herzstich gewesen, der mit einem hochgradigen Blutverlust einhergegangen sei. Soweit AW. eine Herzoperation längere Zeit vor seinem Tod gehabt und eine anlagebedingte bikuspide Aortenklappe aufgewiesen habe, habe dies keinerlei Auswirkungen auf den Todeseintritt gehabt. Die Verletzungen an der Stirn und dem Nasenrücken seien typisch für ein agonales Sturzgeschehen, wie es vorliegend stattgefunden habe. Der Stich habe zu einer Sauerstoffunterversorgung im Gehirn und somit zu einer Bewusstlosigkeit geführt, in dessen Folge AW. ungebremst zu Boden gestürzt sei. Soweit weitere Verletzungen, beispielsweise eine Hautunterfärbung an der Beugeseite des linken Unterarmes und oberflächliche Hautdefektbildungen und Hautverfärbungen an verschiedenen Fingern vorhanden gewesen seien, seien diese unspezifisch. Die Kammer hat ferner die von dem Sachverständigen bei der Obduktion gefertigten Lichtbilder in Augenschein genommen, die die vom Sachverständigen beschriebenen Verletzungen zeigen. Wegen der Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf die Lichtbilder auf Bl. 1087-1098 der Akte Bezug genommen.
106e. Tatwaffe
107aa. Unter anderem auf den Angaben des Sachverständigen BV. beruhen auch die Feststellungen der Kammer zur Mindestklingenlänge des vom Angeklagten bei der Tat verwendeten Messers. Der Einlassung des Angeklagten insoweit, es habe sich um ein rotes Schälmesser mit einer maximalen Klingenlänge von 5 cm gehandelt, kam aufgrund der obigen Ausführungen nur ein geringer Beweiswert zu. Seine Einlassung war insofern offenkundig unvollständig. Er hat weder Angaben zur Herkunft und dem Verbleib des Messers nach der Tat oder zum Grund des Mitführens gemacht. Auch ist nicht bekannt, woraus der Angeklagte die sichere Kenntnis gehabt haben möchte, dass das Messer eine maximale Klingenlänge von 5 cm gehabt haben soll. Eine Marke hat er nicht benannt. Auch hat er beispielsweise nicht behauptet, die Klingenlänge mal nachgemessen zu haben. Bloße Schätzungen von Längeneinheiten unterliegen einer hohen Fehleranfälligkeit. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass der weit überwiegende Teil von handelsüblichen Schälmessern eine Klingenlänge von über 5 cm aufweist. Der Sachverständige BV. hat insoweit ebenfalls ausgeführt, dass er die Stichtiefe zwar nicht genau bestimmen könne und auch die Klingenlänge nicht genau bestimmbar sei, da das durchstoßene Gewebe komprimierbar gewesen sei und es sich bei dem Herzen zudem um einen ständig in Bewegung befindlichen Muskel und ein Hohlorgan handele, dessen Ausdehnungszustand im Zeitpunkt des Stiches nicht bekannt gewesen sei. Aus einer Vielzahl an rechtsmedizinischen Untersuchungen und aufgrund der körperlichen Anatomie des Geschädigten sei für eine Verletzung, wie er sie erlitten habe, jedoch eine Klingenlänge von 8 cm bis 10 cm erforderlich. Ob die Klinge vorliegend einseitig oder zweiseitig geschliffen gewesen sei, könne nicht gesagt werden. Hinsichtlich der Klingenbreite müsse von einer maximalen Breite von 21 mm ausgegangen werden, wobei die Klinge tatsächlich aufgrund der Breite des Rippenzwischenraums und der mit einem Stich einhergehenden Schnittkomponente eher schmaler gewesen sein dürfte. In der Gesamtbetrachtung steht für die Kammer daher fest, dass die Klingenlänge mindestens 8 cm betragen hat.
108bb. Der Stich wurde vom Angeklagten auch wuchtig, also kraftvoll ausgeführt. Der Sachverständige hat insoweit ausgeführt, dass – trotz der Unkenntnis über die konkrete Beschaffenheit der Klinge – davon ausgegangen werden müsse, dass der Stich mit einer gewissen Wucht geführt worden sei, da selbst bei einem spitzen Messer ein nicht unerheblicher Kraftaufwand erforderlich sei, um die Kleidung und die Haut, die den größten Widerstand bilden, zu durchstechen. Damit in Einklang steht auch das in Augenschein genommene Tatvideo, auf welchem zu erkennen war, dass der Angeklagte schnell und kraftvoll mit einer Ausholbewegung zugestochen hat.
109f. Schuldfähigkeit
110Zu der Überzeugung, dass die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, weder aufgehoben noch erheblich vermindert war, ist die Kammer aufgrund der überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen BZ. gelangt, deren Sachkunde außer Zweifel steht. Die Kammer schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Überzeugungsbildung an.
111aa. So hat die Sachverständige zunächst ausgeführt, dass sich hinsichtlich der Persönlichkeit und des Verhaltens des Angeklagten keine forensisch relevanten Störungsbilder aufzeigen ließen. Weder liege eine schwere Persönlichkeitsstörung vor, noch sei von einer schizophrenen Psychose, einer schweren depressiven Verstimmung, hirnorganischen Beeinträchtigungen oder einer Intelligenzminderung auszugehen.
112Bei einer retrospektiven Betrachtung des Lebenslaufes des Angeklagten zeige sich aufgrund der massiven Verhaltensauffälligkeiten zwar eine in der Kindheit einsetzende Störung des Sozialverhaltens mit einer Fortsetzung über die Jugend, die im Erwachsenenalter grundsätzlich auch in eine dissoziale Persönlichkeitsstörung übergehen könne. Dies sei bei dem Angeklagten jedoch nicht der Fall gewesen. Bei ihm sei vielmehr eine gewisse Abschwächung und Abmilderung der vormals ausgeprägten Auffälligkeiten festzustellen, wenngleich dissoziale Attitüden weiter persistierten. Diese unterlägen jedoch jederzeit seiner Kontrolle und Steuerung. Daher müsse man beim Angeklagten von einer dissozialen Akzentuierung sprechen und nicht von einer dissozialen Persönlichkeitsstörung aufgrund letztlich bei ihm nicht anzutreffender tief verwurzelter und anhaltender starrer Verhaltensmuster. Selbst bei der Stellung der Diagnose einer dissozialen Persönlichkeitsstörung erreiche diese aber zweifelsfrei nicht einen solchen Ausprägungsgrad, als dass sie unter eine schwere andere seelische Störung zu subsumieren sei. Insoweit habe die Exploration gezeigt, dass der Angeklagte zu Perspektivwechseln in der Lage sei mit einer auch kritischen Betrachtung und Reflektion seiner Verhaltens- und Denkmuster, was bei schweren Persönlichkeitsstörungen nicht anzutreffen sei. Eine solche Störungsproblematik führe zu einer gänzlichen Durchdringung des gesamten Denkens, Handelns und Fühlens, hier – soweit sie vorläge – ins Dissoziale. Damit sei auch das in der Zeit nach seiner Entlassung aus der Wohngruppe in D in relativ geordnete Bahnen gelangte Leben nicht vereinbar. So war er danach über einen längeren Zeitraum beim selben Arbeitgeber beschäftigt gewesen, verfügte über eine eigene Wohnung und befand sich bis zu seiner Inhaftierung in einem weiteren Arbeitsverhältnis. Zur Tatzeit befand er sich zudem seit etwa 1 ¼ Jahren in einer partnerschaftlichen Beziehung mit der Zeugin G..
113bb. Auch eine schwere andere seelische Störung in Form einer Alkohol- oder Drogenabhängigkeit liege beim Angeklagten nicht vor. In der Gesamtbetrachtung sei von einem sicherlich zu früheren Zeitpunkten stattgehabten Cannabinoidkonsum auszugehen mit einem Alkoholkonsum mit Gleichaltrigen in dem in diesen Kreisen üblichen Rahmen. Unter Berücksichtigung des weiteren Verlaufes in einer retrospektiven Betrachtung könne jedoch auch bereits bezüglich dieser Zeit nicht von einem Abhängigkeitssyndrom gesprochen werden. Auch ein noch vermehrter Alkoholkonsum in der Wohngruppe in dem in den Kreisen üblichen Rahmen sei in der Folge nicht mit Beeinträchtigungen einhergegangen, was der Verlauf seit seinem Weggang aus der Wohngruppe mit einer recht kontinuierlichen Arbeitstätigkeit eindeutig zeige. Unter Betrachtung des letzten Zeitraumes könne insofern nicht einmal die Diagnose eines Missbrauches oder eines schädlichen Gebrauches von Alkohol oder anderen Drogen gestellt werden. Weder habe sich eine psychische noch eine physische Schädigung der Gesundheit gezeigt.
114cc. Auch das Eingangsmerkmal einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung sei nicht erfüllt, da der Angeklagte und AW. sich zuvor nicht bekannt gewesen seien und zum Zeitpunkt des Tatvorwurfes erstmalig aufeinandergetroffen seien. Es fehle insoweit eine Vorgeschichte, die den Angeklagten in seinem Persönlichkeitsgefüge deutlich hätte erschüttern können.
115dd. Einzig weiter in Betracht zu ziehen war daher eine aufgehobene oder erhebliche Einschränkung der Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer akuten Alkoholintoxikation. Auch dies war jedoch letztlich zu verneinen.
116Bei dem vom Angeklagten behaupteten Alkoholkonsum handelt es sich zur Überzeugung der auch insoweit sachverständig durch BZ. beratenen Kammer um eine reine Schutzbehauptung. Zur Beurteilung einer möglichen akuten Alkoholintoxikation des Angeklagten zur Tatzeit und zur Prüfung der Plausibilität seiner Einlassung hatte die Kammer zunächst die beim Angeklagten zur Tatzeit bestehende Alkoholisierung – unter Zugrundelegung seiner Angaben – zu bestimmen. Dies hatte, da eine Blutprobe des Angeklagten aufgrund seiner Flucht nicht entnommen werden konnte, durch eine Berechnung der Blutalkoholkonzentration nach den Trinkmengen unter Verwendung der sog. Widmark-Formel zu erfolgen.
117Danach war zunächst die Menge des reinen Alkohols in Gramm zu berechnen. Hierfür muss die zugeführte Flüssigkeitsmenge in Milliliter mit dem jeweiligen Alkoholgehalt des Getränks (Vol.-%) multipliziert werden. Der Angeklagte hat im Rahmen seiner Verteidigererklärung angegeben, 2 x 330 ml Jack Daniel‘s Whiskey mit einem Alkoholgehalt von 10 Vol.-% getrunken zu haben. Dies ergibt 66 ml (660 ml x 10 %). Die Umrechnung von Milliliter in Gramm erfolgt sodann durch Multiplizieren der Flüssigkeitsmenge mit dem spezifischen Gewicht von Alkohol (0,8), sodass sich 52,8 g reinen Alkohols ergeben. Entsprechend war vorliegend die Berechnung durchzuführen für den angegebenen konsumierten Whiskey aus der Flasche mit 233 ml (= 1/3 von 700 ml) mit einem Alkoholgehalt von 40 Vol.-%, woraus sich weitere 93,2 ml und 74,56 g Alkohol ergeben. Aus den angegebenen 2 Flachmännern zu je 100 ml mit 37,5 % Alkohol errechneten sich weitere 60 g Alkohol (200 ml x 37,5 % x 0,8). Bis zur Tat hätte der Angeklagte nach seiner Einlassung somit insgesamt 187,36 g reinen Alkohol zu sich genommen. Im zweiten Schritt war die Menge des Alkohols in Gramm durch das reduzierte Körpergewicht des Angeklagten zu teilen, weil der Alkohol weder in die Knochen noch ins Körperfett eindringt. Das Körpergewicht des Angeklagten zur Tatzeit betrug 65 kg, wie die Sachverständige im Rahmen der Gutachtenerstattung mitgeteilt hat. Geht man vorliegend mangels Besonderheiten von dem für Männer geltenden Durchschnittsfaktor 0,7 aus, so betrug sein reduziertes Körpergewicht 45,5 kg (65 x 0,7). Ohne den Abbau des Alkohols zu berücksichtigen, käme man vorliegend somit auf eine theoretische Blutalkoholkonzentration (BAK) von 4,12 ‰ für die Tat (187,36 / 45,5). Im dritten Schritt war das sog. Resorptionsdefizit abzuziehen, welches dem Umstand Rechnung trägt, dass nicht die gesamte getrunkene Alkoholmenge vom Körper aufgenommen wird. Das Resorptionsdefizit beträgt zwischen 10 und 30 %. Vorliegend war zunächst - da es um die Prüfung der Schuldfähigkeit ging - nach dem Zweifelssatz zu Gunsten des Angeklagten lediglich ein Resorptionsdefizit von 10 % abzuziehen. Daraus ergäbe sich ein Wert von 3,71 ‰ (4,12 x 0,9). Um auch den Zeitablauf zwischen Trinkbeginn (hier: gegen 17 Uhr) und Tatzeit (hier: 22:07 Uhr) zu berücksichtigen, war bei der Prüfung der Schuldfähigkeit zu Gunsten des Angeklagten von einem minimalen Abbauwert von lediglich 0,1 ‰ pro Stunde auszugehen. Zwischen Trinkbeginn und Tat waren 5 Stunden vergangen, so dass von 3,71 ‰ ein Wert von 0,5 ‰ abzuziehen war. Daraus ergäbe sich für die Tat ein BAK-Wert von 3,21 ‰. Da der so errechnete BAK-Wert sehr hoch ist und nicht mit dem gezeigten Leistungsverhalten des Angeklagten vor, während und nach der Tat vereinbar ist, hat die Kammer zudem eine Kontrollrechnung durchgeführt mit anderen medizinisch möglichen Resorptions- und Abbauwerten (30 % und 0,2 ‰ pro Stunde) unter Berücksichtigung eines einmaligen Sicherheitszuschlages von 0,2 ‰. Danach ergäbe sich vorliegend ein BAK-Kontrollwert von 1,68 ‰ zum Tatzeitpunkt (4,12 x 0,7 = 2,88; 2,88 - (5 x 0,2) = 1,88; 1,88 - 0,2 = 1,68). Auch dieser Promillewert ist mit dem gezeigten Leistungsverhalten des Angeklagten am Tattag jedoch nicht zu vereinbaren.
118Insoweit hat auch die Sachverständige BZ. ausgeführt, dass auszuschließen sei, dass die vorbenannten Promillegrenzen beim Angeklagten zur Tatzeit angesichts des gezeigten Leistungsbildes und unter Berücksichtigung seiner in diesem Zeitraum nicht mehr sehr ausgeprägten Trinkgewohnheiten vorgelegen hätten. Insoweit lasse ein alleinig anhand von Trinkmengenangaben ermittelter Alkoholpromillewert für sich genommen ohnehin wegen erheblicher Ungenauigkeiten valide Rückschlüsse nicht zu. Zu bewerten seien vielmehr das Vorliegen körperlich neurologischer Symptome, kognitiver Symptome, affektiver Symptome und/oder Verhaltensauffälligkeiten, jeweils unter Berücksichtigung weiterer Parameter, nämlich der Grundpersönlichkeit, dem Zustand und der Befindlichkeit der Person zu dem Zeitpunkt des Tatvorwurfes, den situativen Gegebenheiten, etwaigen vorhandenen Erkrankungen mit Einfluss auf eine Alkoholwirkung, der Trinkdauer und -geschwindigkeit und dem sonstigen Alkoholkonsumverhalten gerade auch hinsichtlich einer etwaigen Alkoholgewöhnung.
119Bei der Betrachtung des Verhaltens des Angeklagten ab dem Eintreffen auf der Kirmes bis zu dem Zeitpunkt des Wegrennens vom Tatgeschehen spreche, so die Sachverständige, nichts für das Vorliegen von ausgeprägten motorisch koordinativen Beeinträchtigungen, wie sie bei einer Promillezahl, wie sie sich aus den Trinkmengenangaben des Angeklagten ergebe, zu erwarten gewesen wären. Soweit sich aus der Videoaufzeichnung ergebe, dass dem Angeklagten eine Dose aus der Hand gefallen sei, sei dies nicht auf eine alkoholbedingte Beeinträchtigung zurückzuführen. Insoweit seien dann erwartbare Gleichgewichtsstörungen oder andere motorisch koordinative Beeinträchtigungen nicht zu erkennen gewesen. Vielmehr habe der Angeklagte – so auf der Videoaufnahme zu sehen – die Dose nach dem Fallenlassen rasch und sicher wieder aufgehoben. Auch das von der Kamera aufgezeichnete Tatgeschehen im engeren Sinne lasse erkennen, dass der Angeklagte standsicher gewesen sei und die Ausholbewegung zielgerichtet erscheine, was ebenfalls gegen koordinative Beeinträchtigungen spreche. Auch das Verhalten unmittelbar nach dem Zustechen – kurzes Verharren in der Nähe, Umschauen zum Geschehen, Wegstecken des Messers, rennendes Entfernen vom Tatort – lasse keine Ausfallerscheinungen erkennen, sondern zeige vielmehr ein reaktionsschnelles, die Situation rasch erfassendes Handeln mit einem augenblicklichen Erfassen der Situation.
120Auch auf der kognitiven Symptomebene hätten sich keine Hinweise auf etwaige Einschränkungen der Bewusstseinslage, eines verminderten Auffassungsvermögens oder des Denkablaufes ergeben. Das Verhalten des Angeklagten während der Tat im engeren Sinne und danach spreche vielmehr dafür, dass er bewusstseinsklar, orientiert und die Situation rasch erfassend gewesen sei, obgleich es sich um eine eher spontan entstandene situative Konstellation gehandelt habe, mit einer, wie bereits ausgeführt, raschen und umsichtigen Reaktion unmittelbar nach der Tat.
121Hinsichtlich der Ebenen der Affektivität und Verhaltensauffälligkeiten müsse zunächst berücksichtigt werden, dass der Angeklagte ohnehin eine gewisse Neigung zu aggressiven Reaktionen im Falle von Provokationen oder Kränkungen bei einer gewissen leichten Erregbarkeit und Reizbarkeit – folglich gewisse Aggressionsbereitschaft – habe. Auch zeige das häufigere Mitführen eines Messers eine gewisse Bereitschaft zu einem Einsatz eines solches Messers, wovon – wie oben ausgeführt – auch die Kammer ausgeht. Auch am Tattag sei der Angeklagte von einigen Zeugen als aggressiv wahrgenommen worden, was sich auch in dem Video widergespiegelt habe. Insoweit sei von einer Tangierung der affektiven Symptomebene sowie von Verhaltensauffälligkeiten im Kontext eines alkoholisierten Zustandes des Angeklagten auszugehen mit einer gereizten hochaggressiven Verstimmung einhergehend mit einer möglicherweise erhöhten Streit- oder Kampfbereitschaft unter Berücksichtigung einer von ihm wahrgenommenen gewissen Provokation durch AW.. Diese massive Gereiztheit und Aggressivität des Angeklagten habe jedoch bei Betrachtung des Gesamtbildes unter Berücksichtigung der vorherigen Ausführungen nicht einen solchen Ausprägungsgrad erreicht, als dass es zur erheblichen Einschränkung der Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit geführt habe.
122Diesen nachvollziehbaren und gut begründeten Ausführungen der Sachverständigen hat sich die Kammer nach eigener kritische Prüfung vollumfänglich angeschlossen. Insoweit teilt die Kammer auch die weitere Einschätzung der Sachverständigen, wonach aufgrund der vorherigen Ausführungen der vom Angeklagten in seiner Einlassung beschriebene Zustand vor und während der Tat, inklusive behaupteter Erinnerungslücken und nicht „Herr seine Sinne“ gewesen zu sein, nicht nachvollziehbar und somit als bloße Schutzbehauptung zu bewerten sei. Insoweit konnte auch seine Einlassung, sein Sturz sei entweder Folge eines Schubsers – insofern schon oben ausgeführt – oder aber alkoholbedingt gewesen, widerlegt werden. Auch das unmittelbar vor der Tat mit der Zeugin N. geführte Telefonat spricht gegen eine erhebliche Alkoholisierung des Angeklagten und somit gegen den von ihm behaupteten Alkoholkonsum. Unabhängig davon, dass die Zeugin N. angegeben hat, dass der Angeklagte schon alkoholisiert auf sie gewirkt habe, war er jedenfalls in der Lage das Telefonat anzunehmen, mit der Zeugin N. normal zu telefonieren und ihr gegenüber bewusst wahrheitswidrig zu behaupten, dass V1. schon auf dem Heimweg sei. Insoweit hat die Zeugin N. auf Nachfrage auch bestätigt, dass eine normale Kommunikation mit dem Angeklagte möglich gewesen sei. Im Übrigen hat mit Ausnahme der Bekannten des Angeklagten – die Zeugen AL., K., AR. und N. – niemand von alkoholbedingten Ausfallerscheinungen berichtet. Der Zeuge AK., der in unmittelbarer Nähe zum Angeklagten gestanden hat, hat im Rahmen der Hauptverhandlung zwar angegeben, dass er das Gefühl gehabt habe, dass der Angeklagte alkoholbedingt gefährlich gewesen sei. Er habe aber dennoch nicht den Eindruck gehabt, dass er „super betrunken“ gewesen sei. Soweit er Gespräche mitbekommen habe, sei der Angeklagte klar verständlich gewesen. Auch soweit er mitbekommen habe, dass der Angeklagte mit seinem Begleiter Sätze gewechselt habe, habe er nicht das Gefühl gehabt, dass sie sich nicht mehr hätten verständigen können. Der Zeuge BR. hat ebenfalls angegeben, dass er zwar das Gefühl gehabt habe, dass bei dem Angeklagten etwas nicht in Ordnung sei, er aber nicht den Eindruck gehabt habe, dass der Angeklagte alkoholisiert gewesen sei. Er habe nah an ihm drangestanden, aber keine Alkoholfahne wahrgenommen. Auch bei der konkreten Tatausführung habe der Angeklagte auf ihn geradlinig und konzentriert gewirkt. Allenfalls könne er sich den Einfluss einer chemischen Droge – was von dem Angeklagten selbst aber nicht behauptet wurde und wofür es auch ansonsten keine Anhaltspunkte gegeben hat – vorstellen. Gegen die erhebliche Alkoholisierung sprach im Übrigen auch, wie auch die Sachverständige ausgeführt hat, der mit der Zeugin G. ohne wesentliche Rechtschreib- oder Tippfehler geführte Chatverkehr und die Recherchen im zeitlichen Zusammenhang mit der kurz zuvor liegenden Tat, aus denen sich ferner, so die Sachverständige, auch keine erhebliche affektive Affizierung oder gar eine Erschütterung ergebe.
123Insoweit war von einer voll erhaltenen Schuldfähigkeit des Angeklagten auszugehen, wobei die Kammer dennoch von einem gewissen Alkoholkonsum zu Gunsten des Angeklagten ausgegangen ist, der zu einer gewissen Enthemmung beim Angeklagten unterhalb der Schwelle zur erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit geführt hat.
124g. Vorsatz
125Dafür, dass der Angeklagte bei Ausführung der Tat – bei der ihm der Einsatz des Messers sowohl als gefährliches Werkzeug als auch die generelle Lebensgefährlichkeit seines Tuns durch den Einsatz bewusst waren – die Möglichkeit einer zum Tode führenden Verletzung bei einem ausgeführten Stich in den linken Brustkorb als mögliche Folge seines Handelns erkannte und diese zumindest billigend in Kauf nahm, spricht bereits die hohe Gefährlichkeit der Tathandlung an sich. Mit dem gezielten Stich auf den Brustkorb eines Menschen wählte der Angeklagte bewusst – seine diesbezügliche Zielgerichtetheit ergibt sich dabei zwanglos daraus, dass der Stich in einem recht statischen Geschehen erfolgte und der Angeklagte AW. mit der linken Hand festhielt – eine Körperregion, in der sich lebenswichtige Organe wie Lunge und Herz sowie große Blutgefäße befinden. Wegen des nicht nur unerheblichen Kraftaufwands, mit dem er das Messer führte, ist diese Gefährlichkeit auch zum Tragen gekommen. Dieser Umstand war, da er allgemein bekannt ist, auch dem Angeklagten bewusst. Er unterlag insoweit auch keiner derartig erheblichen Einschränkung in seiner Wahrnehmungsfähigkeit, als dass sich vorliegend feststellen ließe, dass sich der Angeklagte dessen nicht bewusst war.
126Die Erkenntnis, dass durch einen solchen mit Wucht geführten Stich lebensgefährliche Verletzungen hervorgerufen werden können, war dem Angeklagten insbesondere nicht durch eine alkoholbedingte affektive Erregung verstellt. Wie bereits ausgeführt, war die Kammer hinsichtlich der Auswirkungen eines etwaigen Alkoholkonsums sachverständig beraten und hat sich den Ausführungen der Sachverständigen BZ. nach eigener umfassender Würdigung auch angeschlossen. Insoweit lag zwar eine gewisse Tangierung der affektiven Ebene infolge der Alkoholisierung vor, ohne dass sich jedoch unter Berücksichtigung des Gesamtgeschehens, insbesondere unter Betrachtung des unmittelbaren Vor- und Nachtatgeschehens, feststellen ließe, dass der Angeklagte in seiner Wahrnehmungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen wäre. Insoweit war zunächst zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bereits häufiger ein Messer bei sich geführt hatte und es auch am Tattag mitnahm, um es – wie festgestellt und oben begründet – in einer Auseinandersetzung einsetzen zu können. Er hatte demnach die generelle Möglichkeit des Einsatzes in einer Konfliktsituation bereits in sein Bewusstsein aufgenommen. Die Tat war auch nicht spontane Folge einer unmittelbar zuvor erlebten Provokation oder einer Situation, die der Angeklagte als angsteinflößend oder unbeherrschbar gefährlich eingeschätzt haben könnte. Wie ausgeführt, war der Stich vielmehr das Ergebnis einer selbst vom Angeklagten herbeigeführten und stets beherrschten Situation, in der die Aggressionen stets von ihm ausgingen und AW. sich deeskalierend bzw. angemessen abwehrend verhalten hat.
127Als vorsatzkritische Umstände hat die Kammer dennoch auch berücksichtigt, dass der Angeklagte den Entschluss zur Tat erst kurz zuvor gefasst hatte und dass aus einer an Maßstäben der Vernunft orientierten Sichtweise die Begehung eines Tötungsdelikts zum Nachteil eines Fremden auf einer Kirmes unter Beobachtung vieler Menschen unwahrscheinlich anmutet. Allerdings war auch insofern wiederum die evidente Lebensgefährlichkeit seines Handelns zu sehen. Es erscheint zudem fernliegend, dass der Angeklagte sich vor dem Stich überhaupt gedanklich mit den Konsequenzen in einem etwaigen gegen ihn angestrengten Strafverfahren befasst hätte.
128Umstände, die ein Vertrauen des Angeklagten darauf, dass AW. durch den Angriff nicht tödlich verletzt werde, begründen konnten, sind folglich auch in der Gesamtbetrachtung des gesamten Geschehens nicht ersichtlich.
129h. Arg- und Wehrlosigkeit; Ausnutzungsbewusstsein
130Die Feststellungen dazu, dass AW. bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte ihm den Stich mit Tötungsvorsatz versetzte, nicht mit einem erheblichen Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben rechnete, deswegen wehrlos war und der Angeklagte dies bewusst ausnutzte, beruht auf den folgenden Erkenntnissen und Erwägungen:
131AW. kannte den Angeklagten zuvor nicht und auch aus dem vorangegangenen Kontakt mit diesem am Tatabend hatte sich keine Veranlassung zu solchem Argwohn ergeben. Insoweit hatte es lediglich einen Anrempler gegeben, für den sich AW. unmittelbar entschuldigt hatte. Für den Sturz des Angeklagten hatte er keine Ursache gesetzt, weshalb er auch deswegen nicht mit einem Angriff seitens des Angeklagten rechnen musste.
132AW. hatte seine Arglosigkeit auch nicht dadurch verloren, dass der Angeklagte ihm gegenüber zuvor schon aggressiv aufgetreten war und von seinem Bruder zurückgehalten werden musste. Dagegen spricht bereits das äußere Tatgeschehen. Denn trotz dieser Umstände ging AW. aufgrund der Äußerung des Angeklagten langsam auf diesen zu, wobei er nicht etwa – wie es bei Argwohn zu erwarten gewesen wäre – eine Abwehrhaltung einnahm, sondern vielmehr seine Arme nach unten ausgerichtet seitlich seines Körpers führte und die Handflächen geöffnet waren. Angesichts dessen ergibt sich auch aus seiner möglichen Äußerung wie „Komm doch her“ nicht, dass er sich auf eine ernsthafte körperliche Auseinandersetzung mit dem Angeklagten einstellte. Allenfalls hatte er mit einer weiteren verbalen Auseinandersetzung oder, wie dann auch tatsächlich geschehen, mit einem Schubser gerechnet, worauf er ebenfalls mit einem Schubser reagierte. Mit einem ernstlichen Angriff rechnete er dabei auch deshalb nicht, da er offensichtlich älter und dem Angeklagten aufgrund seiner Größe körperlich überlegen war, wie sich hinsichtlich der Größen und Körpergewichte aus den Ausführungen des Obduzenten BV. einerseits und aus dem Gutachten der BD. und des BS. über die am ##.##.2023 erfolgte rechtsmedizinische körperliche Untersuchung des Angeklagten anderseits ergibt. Wie sich aus der Situation und seinem Verhalten – wie festgestellt – insgesamt ergibt, stufte AW. das Gebaren des Angeklagten als jugendtypisches Verhalten ohne eine ernsthafte Gefahr ein, was sich unter anderem auch in der Äußerung AW.s gegenüber der Zeugin AB2. widerspiegelte, dass er aus dem Alter raus sei.
133Dies erkannte aufgrund der Eindeutigkeit und trotz seiner Alkoholisierung auch der Angeklagte. Daraus, dass er das Messer bis zu dessen tatsächlichem Einsatz – unmittelbar nachdem AW. ihn zurückgeschubst hatte – verdeckt hielt und im Weiteren nach dessen Hervorziehen sofort zustach, ist zur Überzeugung der Kammer ersichtlich, dass er AW. auch keine Möglichkeit zur Entwicklung von Argwohn und Verteidigungsfähigkeit – etwa durch Bemerken des Messers in seiner Hand – im Hinblick auf einen ernsthaften Übergriff mehr geben wollte. Vielmehr wollte er es für seine Messerattacke ausnutzen, dass AW. trotz seines aggressiven Verhaltens weiterhin – wie von AW. deutlich gezeigt – lediglich auf eine verbale Auseinandersetzung oder auf ganz geringfügige körperliche Übergriffe, wie einen Schubser eingestellt war. Indem er AW. sodann bei dem schnell ausgeführten Stich an seiner Kleidung festhielt, gab er ihm auch in dieser Situation, in der AW. die Ernsthaftigkeit seiner Gefahrenlage erkannt haben mag, keine Möglichkeit mehr, überhaupt noch auf den Einsatz des Messers zu reagieren.
134i. Motiv
135Die Feststellungen der Kammer zum Motiv des Angeklagten beruhen auf den Angaben der oben genannten Zeugen, die übereinstimmend von der aggressiven Grundstimmung des Angeklagten berichtet haben, wobei sich dies letztlich durch die zufällige Begegnung mit AW. und das Hereinsteigern des Angeklagten, der sich – letztlich völlig unbegründet – durch das Verhalten von AW. provoziert gefühlte, zugespitzt hat.
136Dass die Anlässe für die Steigerung seiner Aggressivität dabei sämtlich von geringer Bedeutung waren und seine in die Tat mündende Reaktion darauf völlig unangemessen war, erkannte trotz seiner zunehmenden Erregung und gewissen Alkoholisierung – wie ausgeführt – auch der Angeklagte. Dies ergibt sich schon aus der Augenfälligkeit des krassen Missverhältnisses, das sich jedem – und demnach auch dem Angeklagten – sogleich aufdrängt.
137Dass der Angeklagte sich auch bereits vor dem Aufeinandertreffen zumindest in einer leicht dysphorischen Stimmung aufgrund des Aufenthaltes seiner Freundin G. in C und seiner Eifersucht deswegen befunden hat, beruht auf den Angaben G.s sowie auf der Auswertung des zwischen ihnen geführten Chats. Es wird insofern auf die obigen Ausführungen verwiesen. Auch insofern war dem Angeklagten klar, dass der ihm bis dahin völlig unbekannte AW. mit dieser Situation und seiner sich daraus ergebenden Stimmungslage überhaupt nichts zu tun hatte, weil auch dies auf der Hand lag.
138Eine ganz allgemeine Frustration sein Leben betreffend, möglicherweise auch aufgrund der ihm drohenden Abschiebung, vermochte die Kammer hingegen nicht festzustellen. Insoweit hat auch der Zeuge P. berichtet, dass der Angeklagte sich dort noch durchaus optimistisch gezeigt hatte, in Deutschland bleiben zu können. Ferner hatte er zum ##.##.2023 auch eine neue Beschäftigung aufgenommen.
139IV.
140Nach den getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte des Mordes schuldig gemacht, § 211 Abs. 1 und 2 StGB. Er führte mit bedingtem Tötungsvorsatz den Tod eines Menschen herbei und handelte dabei heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen.
1411. Heimtücke ist gegeben, wenn der Täter die Tat unter bewusster Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers begeht. Maßgeblicher Bezugspunkt der Arglosigkeit in zeitlicher Hinsicht ist die Lage des Opfers bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs, hier des Stichs mit dem Messer. Indem der Angeklagte dem Geschädigten plötzlich mit dem bislang verdeckt geführten Messer einen Messerstich zufügte, als sich der Geschädigte keines Angriffs versah, nutzte er einen Zustand aus, in welchem dem Geschädigten die natürliche Abwehrfähigkeit und -bereitschaft fehlte. Diese Umstände hatte der Angeklagte auch erkannt und bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt.
142An der Arglosigkeit fehlt es hier auch nicht deshalb, weil es zwischen dem Angeklagten und AW. unmittelbar vor der Tat zu einem verbalen Disput und jeweils einem Schubser gekommen war, im Rahmen dessen AW. möglicherweise noch unmittelbar vor der Tat „komm doch her“ gegenüber dem Angeklagten geäußert hatte. Denn die Arg- und Wehrlosigkeit kann auch dann noch gegeben sein, wenn der eigentlichen Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgegangen ist, das Tatopfer zur Tatzeit aber tatsächlich nicht oder nicht mehr mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben rechnet. Wie ausgeführt, zog AW. es hier nicht in Betracht, dass ihm ein gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteter erheblicher Angriff oder gar ein lebensbedrohlicher Angriff durch den Angeklagten drohte. Der Angeklagte war ihm völlig unbekannt. Für AW. ging es um eine Banalität. Das Messer hielt der Angeklagte zudem verdeckt. Zwar mag für AW. infolge des mehrfachen Zurückhaltens durch den Bruder die Verärgerung des Angeklagten erkennbar gewesen sein. Damit, dass dieser in solch maßlose Wut geraten würde, dass er ihn ernsthaft körperlich angreifen oder sogar mit einem Messer auf ihn einstechen würde, musste und konnte AW., wie bereits ausgeführt, jedoch nicht rechnen. Der Angriff war für ihn völlig überraschend, wie auch seine Reaktion darauf deutlich gezeigt hat. Zu wirksamen Verteidigungshandlungen war ihm angesichts des vom Angeklagten bewusst erst ganz kurz zuvor aus der Verdeckung gezogenen Messers keine Zeit mehr verblieben.
1432. Der Angeklagte handelte auch aus niedrigen Beweggründen. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung sind Tötungsbeweggründe niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verwerflich, geradezu verachtenswert sind. Ob dies der Fall ist, ergibt sich aus einer Gesamtwürdigung, in welche die Umstände der Tat, ihre Vorgeschichte, die Lebensverhältnisse des Täters sowie dessen Persönlichkeit und seine Beziehung zum Opfer einzustellen sind. Zusätzlich wird verlangt, dass der Täter die Modalitäten, die den Impuls zum Handeln als besonders verwerflich erscheinen lassen, erfasst und in ihrer Bedeutung für die Bewertung der Tat erkannt haben muss.
144Aus einer Gesamtwürdigung der Tatumstände, der Nichtigkeit des Tatanlasses, also dem krassen Missverhältnis zwischen den im Konflikt stehenden Rechtsgütern und Interessen sowie von Anlass und Tat ergibt sich vorliegend die Annahme der niedrigen Beweggründe des Angeklagten.
145Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH können insoweit auch Gefühlsregungen wie Zorn oder Wut, denen jedermann je nach Anlass mehr oder weniger stark erliegen kann, niedrige Beweggründe sein, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, also nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind.
146Hierbei war im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass die Wut und der Zorn des Angeklagten und die daraus folgende Tötung in einem eklatanten Missverhältnis zum Tatanlass standen. Denn für sie gab es keinen nachvollziehbaren Grund. Wie ausgeführt, gab es zwischen dem Angeklagten und AW. keine Vorbeziehung, sie kannten sich vielmehr gar nicht. Für den versehentlichen Anrempler hatte sich AW. unmittelbar entschuldigt und sich damit dem Angeklagten gegenüber direkt bei der ersten Kontaktaufnahme respektvoll gezeigt. Auch wenn AW. den Angeklagten zuletzt aufgefordert haben mag herzukommen und dies letzter Auslöser des Messereinsatzes war, so verhielt er sich während des gesamten weiteren Geschehens vor der Tat deeskalierend. Er hat letztlich keinerlei Ursache für die Streitentstehung gesetzt und den Streit – anders als der Angeklagte, der mutwillig eine Auseinandersetzung herbeiführte – auch nicht vorangetrieben, sondern sich durch seine Äußerungen, seine Körperhaltungen und auch örtlich immer wieder distanziert. Auch mit dem Sturz des Angeklagten und der hierdurch bewirkten Verschmutzung seiner Jogginghose hatte AW., vom Angeklagten erkannt, – wie ausgeführt – nichts zu tun. Er sah sich lediglich dem Heraufbeschwören eines Konfliktes durch den aggressiv gestimmten Angeklagten ausgesetzt und reagierte auf dessen Provokationen durch das Zurückschubsen und seine Äußerungen jedenfalls nicht unangemessen. Danach erweist sich die Messerattacke auf AW. in Ansehung der einzelfallspezifischen Gegebenheiten nach normativen Deutungsmustern auch nicht ansatzweise als begreiflich oder menschlich verständlich, so dass die hier zugrunde liegenden Tötungsmotive als niedrig zu klassifizieren sind.
147Der Angeklagte erfasste auch die Aspekte und Umstände, die den Antrieb zum Handeln als besonders verwerflich erscheinen lassen, und erkannte sie in ihrer Bedeutung für die Bewertung der Tat. Auch wenn er aufgrund seiner zunehmenden Wut erregt und in gewissem Umfang – wie ausgeführt – alkoholisiert war, war er trotzdem in der Lage, diesen Antrieb zu beherrschen und willensmäßig zu steuern. Gründe hieran zu zweifeln, haben sich insbesondere auch nicht aus den Ausführungen der Sachverständigen BZ. ergeben.
148V.
149Gegen den Angeklagten war für seine Tat gemäß § 211 Abs. 1 StGB eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen.
150Eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB im Sinne der sog. Rechtsfolgenlösung kam vorliegend nicht in Betracht, zumal der Angeklagte nicht nur heimtückisch, sondern auch aus niedrigen Beweggründen handelte.
151Darüber hinaus sind aber auch bei Hinwegdenken des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe bei der vorzunehmenden Gesamtschau der von dem Angeklagten begangenen Tat und seiner Persönlichkeit keine außergewöhnlich mildernden Gesichtspunkte zu erkennen, die die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen lassen.
152VI.
153Die besondere Schwere der Schuld nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB hat die Kammer bei dem Angeklagten nicht festgestellt. Eine solche Feststellung verlangt Umstände von Gewicht, die über die normalerweise schon mit der Begehung eines Mordes verwirklichte Schuld hinausreichen. Bei einer zusammenfassenden Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit hat die Kammer jedoch keine dafür genügenden Umstände festgestellt, auch wenn die Verwirklichung zweier Mordmerkmale ein nicht nur unerhebliches Gewicht entfaltet. Allerdings hat die Kammer auch berücksichtigt, dass es sich bei der Tat des Angeklagten um eine Spontantat handelte, der Angeklagte nicht absichtlich tötete und die Tat auf einer vergleichsweise unreifen Einstellung des zur Tatzeit erst 21-jährigen Angeklagten beruht, von der zu erwarten ist, dass sie sich im Laufe des Vollzugs der lebenslangen Freiheitsstrafe abschwächt und der Angeklagte an Reife gewinnt.
154VII.
155Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465, 472 StPO.