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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage Versicherungsleistungen aus einer bei dem Beklagten bestehenden Betriebsschließungsversicherung in Zusammenhang mit der sog. ersten Welle der Corona-Pandemie.
3Der Kläger ist als gemeinnütziger Verein Träger verschiedener Angebote aus dem sozialen Bereich, zu denen Beratungsleistungen, niedrigschwellige Begegnungsangebote, ambulante Hilfen aber auch eine Förderschule für geistige Entwicklung, ein Frauenhaus, Kindertagesstätten, Wohngruppen für Eltern, Kinder & Jugendliche sowie Menschen mit Behinderung und die L.-Werkstatt für Menschen mit Behinderung zählen.
4Die L.-Werkstatt ist eine anerkannte Werkstatt für Menschen mit Behinderungen im Sinne von § 225 SGB IX. Als solche hat die L.-Werkstatt zur Aufgabe, denjenigen behinderten Menschen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können, eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung zu einem ihrer Leistung angemessenen Arbeitsentgelt aus dem Arbeitsergebnis anzubieten und zu ermöglichen, ihre Leistungs- und Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln (vgl. Anl. K 1, Bl. 33 ff. d.A.)
5Für die L.-Werkstatt für Menschen mit Behinderung unterhält der Kläger seit dem 01.01.2009 eine durch die H.-Versicherung vermittelte Betriebsschließungsversicherung bei dem Beklagten (vgl. Nachtrag Nr. 3 zum Versicherungsschein vom 17.03.2020, Anl. K 2, Bl. 115 ff. d. A.) Ausweislich des Versicherungsscheins besteht Versicherungsschutz für die L.-Werkstatt für Menschen mit Behinderung einschließlich der Hauptwerkstatt W-Straße # in D, sowie aller Zweigwerkstätten. Insgesamt sind sieben Risikoorte wie folgt versichert:
6(Abbildung entfernt)
7Bei fünf der sieben versicherten Risikoorte handelt es sich um Werkstätten.
8Es ist eine Haftzeit von 90 Tagen als vereinbart. Die Jahreshaftsumme für die L.-Werkstatt für Menschen mit Behinderung beträgt € 13.872.000,00.
9Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Nachtrag Nr. 3 zum Versicherungsschein vom 17.03.2020 Bezug genommen (Anl. K 2, Bl. 115 ff. d.A).
10Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) AVB-BS (im Folgenden: AVB-BS) (vgl. Anl. K 3, Bl. 61 ff. d. A.) sowie die – zwischen dem Beklagten und der H.-Versicherung geschlossene und mit Wirkung zum 01.01.2020 in Kraft getretene – Rahmenvereinbarung für die Betriebsschließungs-Versicherung (Infektionsgefahren) (im Folgenden: Rahmenvereinbarung) (vgl. Anl. K 4, Bl. 69 ff. d. A.) zugrunde.
11§ 1 Nr. 1 AVB-BS lautet auszugsweise wie folgt:
12§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren
131. Versicherungsumfang
14Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
15a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt;
16[…]
17In § 1 Nr. 2 AVB-BS sind unter Buchst. a) namentlich meldepflichtige Krankheiten und unter Buchst. b) meldepflichtige Krankheitserreger aufgelistet. Das Coronavirus SARS-COV-2 sowie die Krankheit COVID-19 sind dort nicht aufgeführt.
18Unter Ziff. 3.1 und Ziff. 3.2 der durch die Rahmenvereinbarung einbezogenen Besonderen Bedingungen zur Betriebsschließungs-Versicherung (Infektionsgefahren) (im Folgenden: Besondere Bedingungen) ist Folgendes geregelt:
193. Versicherte Gefahren und Schäden
203.1 In Ergänzung der vereinbarten Bedingungen leistet der Versicherer Entschädigung, wenn durch sonstige Krankheitserreger ein Versicherungsfall eintritt.
21Sämtliche Tatbestände des Infektionsschutzgesetzes und ggf. landesrechtlicher Vorschriften sind eingeschlossen.
22Die Liste der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger ist gem. AVB-BS erweitert.
23[…]
243.2 Der Versicherer leistet auch Entschädigung, wenn nur einzelne Teile oder Abteilungen des versicherten Betriebs von der Schließung betroffen sind. Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Mitarbeiter eines Betriebes – ausgenommen Auszubildende und Hilfskräfte/Hilfsarbeiter – werden einer Schließung oder Teilschließung gleichgesetzt.
25Eine Schließung oder Teilschließung im Altenheim bzw. in einer wohlfahrtspflegerischen Einrichtung liegt insbesondere vor, wenn die zuständige Behörde die Neuaufnahme von Patienten bzw. Bewohnern untersagt bzw. die Nichtneuaufnahme von Patienten bzw. Bewohnern vereinbart oder empfiehlt.
26COVID-19 als Krankheit und SARS-CoV-2 als Krankheitserreger sind – gerichtsbekannt – erst mit Wirkung zum 01.02.2020 durch die auf § 15 Abs. 1 und Abs. 2 IfSG als Ermächtigungsnorm gestützte „Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach dem § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 S. 1 des Infektionsschutzgesetzes auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretenen neuartigen Coronavirus des Bundesgesundheitsministeriums vom 30.01.2020 in die Liste der meldepflichtigen Krankheiten bzw. nachweispflichtigen Krankheitserreger als temporär meldepflichtige Krankheit bzw. meldepflichtiger Krankheitserreger aufgenommen worden. Erst mit Wirkung zum 23.05.2020 ist eine Aufnahme unter § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. t) IfSG sowie § 7 Abs. 1 Nr. 44a, Var. 2 IfSG erfolgt.
27Mit Schreiben vom 18.03.2020 zeigte der Kläger dem Beklagten über seine Versicherungsmaklerin die Schließung an (Anl. K 10, Bl. 49 d.A.).
28Der Beklagte lehnte eine Regulierung unter dem 17.07.2020 mit der Begründung ab, dass der Schadenfall nach den zugrundeliegenden Bedingungen nicht versichert sei, da ein konkreter Infektionsfall im Betrieb nicht vorgelegen habe. Er unterbreitete jedoch ein Kulanzangebot über 73.000,00 € (Anl. K 11, Bl. 50 d.A.), das der Kläger nicht annahm.
29Gegen die Regulierungsverweigerung wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage.
30Der Kläger behauptet hierzu, im Rahmen der „ersten Welle“ der Corona-Pandemie seien alle Standorte der L.-Werkstatt für Menschen mit Behinderung in C, D und E von Betriebsschließungen insofern betroffen gewesen, als der Betrieb der L.-Werkstätten durch behördliche Anordnungen in Form von Betretungsverboten geschlossen worden sei.
31Dies sei in den vom Kläger betriebenen Werkstätten in der Zeit vom 18.03.2020 bis 30.06.2020 – dieser Zeitraum sei als Schließungszeitraum zugrunde zu legen – wie folgt der Fall gewesen:
321. Hauptwerkstatt D + Zwei in D ansässige Zweigwerkstätten:
33Mit Inkrafttreten der auf §§ 16 Abs. 1 S. 1, 28 Abs. 1 S. 2 IfSG gestützten Allgemeinverfügung Nr. 3 der Stadt D vom 18.03.2020 sei – dies ist insoweit zwischen den Parteien unstreitig – unter Ziff. 1 ein Betretungsverbot für sämtliche tagesstrukturierenden Einrichtungen der Eingliederungshilfe (Werkstätten, Tagesstätten oder sonstige vergleichbare Angebote) sowie Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation ausgesprochen worden. (Anl. K 5, Bl. 83 ff. d.A.). Die Anordnung sei zunächst bis zum 19.04.2020 befristet gewesen.
34Der Anordnung sei er, der Kläger, selbstverständlich nachgekommen und habe ab dem 18.03.2020 sämtliche Nutzerinnen und Nutzer seiner Werkstätten – insgesamt ca. 800 Menschen mit Behinderungen, die dort als Mitarbeiter beschäftigt seien – von einem Betreten der Einrichtung ausgeschlossen.
35Die Produktion in den Werkstätten sei dadurch fast vollständig zum Erliegen gekommen. Lediglich durch die nicht zu den Nutzern zählenden Mitarbeiter der Werkstatt (z.B. Ausbilder, Betreuungspersonal) habe ein „Rumpfbetrieb“ aufrechterhalten werden können, der jedoch nicht annährend dazu geführt habe, dass der Ausschluss der annährend 800 Mitarbeiter habe kompensiert werden können.
362. Standorte in C
37Als Reaktion auf die Weisung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 17.03.2020 habe auch die Stadt C am 18.03.2020 eine Allgemeinverfügung erlassen, mit der ein Betretungsverbot für die Betriebsstätten der L.-Werkstatt an den Standorten in C angeordnet worden sei (Anl. K 7, Bl. 93 d.A.).
38Mit Ziff. 1 der Allgemeinverfügung vom 18.03.2020 sei ein Betretungsverbot für sämtliche tagesstrukturierenden Einrichtung der Eingliederungshilfe, u.a. Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, ausgesprochen worden. Die Allgemeinverfügung der Stadt C habe ebenfalls Wirkung zunächst bis zum 19.04.2020 entfaltet. Auch in C habe er, der Kläger, lediglich mit dem verbliebenen Personal (Ausbilder, Aufsichtspersonal) einen Rumpfbetrieb aufrechterhalten können.
393. Weitere Entwicklung:
40Die vorstehenden Allgemeinverfügungen der Städte D und C seien – insoweit ebenfalls unstreitig – durch die ebenfalls ein gleichlautendes Betretungsverbot unter § 4 enthaltene Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-COV-2 im Bereich der Betreuungsinfrastruktur (Coronabetreuungsverordnung – CoronaBetrVO) des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 16.04.2020 ersetzt enthalten, die am 20.04.2020 in Kraft getreten und bis zum 01.07.2020 Geltung beansprucht habe.
41Nach der Dritten Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit SARS-COV-2 im Bereich der Betreuungsinfrastruktur in der ab dem 07.05.2020 geltenden Fassung vom 06.05.2020, wurde das Betretungsverbot neu gefasst. Nach § 4a sei er, der Kläger, als Leistungserbringer berechtigt gewesen, die Werkstätten und andere tagesstrukturierende Angebote schrittweise ab dem 11.05.2020 wieder zu öffnen.
42Nachdem er, der Kläger, die danach geforderten Konzepte zur Umsetzung der umfangreichen Hygieneregeln erarbeitet und in Kraft gesetzt habe, sei zwar eine sukzessive Wiederaufnahme des Betriebs der Werkstätten erlaubt gewesen. Nach Aufhebung der angeordneten Betriebsschließung seien jedoch weiterhin erhebliche Umsatzeinbußen zu verzeichnen gewesen. Die weiterhin geltenden Einschränkungen durch die Hygieneregeln und der Teilausschluss der Nutzer der Werkstätten hätten dazu geführt, dass von einem Erreichen der wirtschaftlichen Betriebsleistung, die vor dem Schadenfall vorhanden gewesen sei, bis zum Ablauf des Juni 2020 nicht die Rede gewesen sein könne.
43Erst im Juli 2020 hätten die Werkstätten der L.-Werkstatt wieder im „Normalbetrieb“ gearbeitet und auch die Umsätze hätten auf dem Niveau des Vorjahres gelegen.
44Als Schließungszeitraum sei daher der Zeitraum vom 18.03.2020 bis zum 30.06.2020 zugrunde zu legen. Zu berücksichtigen sei dabei, dass Tage, an denen der Betrieb auch ohne die behördliche Anordnung geschlossen gewesen wäre, nicht als Schließungstage zählten (§ 2 Nr.3 a) AVB-BS). Da in den Zeitraum vom 18.03.2020 bis zum 30.06.2020 insgesamt 30 Tage auf Wochenenden und 5 Tage auf gesetzliche Feiertage (10.04., 13.04., 01.05., 21.05. und 01.06.) gefallen seien, an denen die Werkstätten geschlossen seien, würden in den Zeitraum insgesamt nur 70 Schließungstage fallen; die vertraglich vereinbarte Haftzeit von 90 Tagen sei daher nicht ausgeschöpft.
45Da die betriebswirtschaftliche Leistung, die vor der Betriebsschließung (Betretungsverbot) bestanden habe, nicht vor Ablauf der Haftzeit wieder erreicht sei, seien für die Werkstätten 70 Schließungstage für den Zeitraum vom 18.03.2020 bis zum 30.06.2020 anzusetzen. Ausgehend von diesem Schließungszeitraum errechne sich – so die Behauptung des Klägers – unter Berücksichtigung der Umsatzerlöse aus dem Zeitraum im Vorjahr 2019 eine Entschädigungsleistung für nach dem Versicherungsvertrag zu ersetzende entgangene Erlöse, Umsatzeinnahmen und fortlaufende Kosten in Höhe von insgesamt 327.939,00 €. Die Umsätze im Jahr 2020 hätten sich vor Anordnung des Betretungsverbots auf dem Niveau des Vorjahres bewegt. Es wäre daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen gewesen, dass die Werkstätten ohne die ab März 2020 geltenden Schließungen und Einschränkungen des Betriebs in dem Schließungszeitraum (mindestens) das Umsatzniveau des Vorjahres erreicht hätten.
46Der Klageforderung liegt folgende Berechnung eines „Umsatzrückgangs von 327.939,00 €“ zugrunde:
47
Auf die als Anlagen zur Akte gereichten Betriebswirtschaftlichen Auswertungen für das Jahr 2019 (Anl. K 8, Bl. 94 ff. d.A.) und 2020 (Anl. K 9, Bl. 105 ff. d.A.) wird Bezug genommen.
49Ersparte Aufwendungen seien – so der Kläger – von den entgangenen Umsatzerlösen nicht in Abzug zu bringen. Dies erkläre sich ohne weiteres dadurch, dass er, der Kläger, den Teilbetrieb der Werkstätten mit dem Rumpfpersonal aufrechterhalten habe, um überhaupt Umsätze erzielen zu können und den Schaden – auch für den Beklagten – klein zu halten. Sämtliche Kostenblöcke, bei denen bei einem Produktionsstopp Einsparungen hätten erzielt werden können, hätten somit unverändert weitergelaufen. Weder habe er, der Kläger, Einsparungen bei den Materialkosten gehabt noch seien im Vergleich zum Vorjahr signifikante, auf die Betriebsschließung zurückführbare Ersparnisse bei den Energiekosten, Mieten oder sonstigen variablen Kosten feststellbar gewesen.
50Auch bei den Personalkosten habe er keine Ersparnisse durch die Schließung der Werkstätten L.-Werkstatt erzielt. Dies sei darauf zurückzuführen, dass lediglich die Nutzer (Menschen mit Behinderung) von dem Betretungsverbot betroffen gewesen seien und das übrige Personal (Ausbilder, Aufsichtspersonal) entweder in den zuweisenden Wohneinrichtungen der in der L.-Werkstatt arbeitenden Menschen mit Behinderungen unterstützend tätig oder im Rahmen der Aufrechterhaltung des Rumpfbetriebs in der Produktion eingesetzt worden sei. Kurzarbeitergeld habe er, der Kläger, daher nicht in Anspruch nehmen können. Menschen mit Behinderung hätten zudem einen arbeitnehmerähnlichen Status gem. § 221 SGB IX, sodass insoweit ohnehin kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld bestanden hätte. Anrechenbare Soforthilfen habe er ebenfalls nicht erhalten.
51Eine Ersparnis sonstiger Sachkosten sei nicht möglich gewesen. Die Werkstätten als Gebäude seien insofern geöffnet gewesen, als dort die Notbetreuung habe stattfinden müssen. Gebäudeteile oder Räume hätten daher nicht leer standen, die komplette Infrastruktur, Gebäudekosten und Fixkosten seien weiterhin angefallen. Auch die Reinigung der Räume habe wie vor dem Betretungsverbot alle Räume umfasst. Eine Berechnung eingesparter Kosten bei Energie, Wasser, Reinigung sei daher in dem vorliegenden besonderen Fall von Werkstätten für Menschen mit Behinderung nicht möglich.
52Der ermittelte Gesamtschaden übersteige auch nicht die nach dem Versicherungsvertrag für den Haftzeitraum maximal zu beanspruchende Entschädigung, die auf ¼ des dokumentierten Gesamterlöses des Kalenderjahrs begrenzt sei, mithin auf 3.468.000,00 (1/4 von 13.872.000,00 €).
53Der Kläger ist der Ansicht, dass ein bedingungsgemäßer Versicherungsfall vorgelegen habe, da Betriebsschließungen wegen eines versicherten Krankheitserregers angeordnet worden seien. Denn sämtliche der vorgenannten behördlichen Schließungsanordnungen seien auf das IfSG gestützt gewesen und hätten der Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus SARS-COV-2 gedient. Die Allgemeinverfügungen der Städte D und C seien auf eine Aufsichtliche Weisung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 17.03.2020 (Anl. K 6, Bl. 86 f. d.A.) zurückgegangen, mit der ein Betretungsverbot u.a. für Werkstätten für Menschen mit Behinderungen angeordnet worden sei. Die Maßnahmen habe das Land Nordrhein-Westfalen ausweislich der Begründung der Weisung vor dem Hintergrund drastisch steigender Infektionszahlen im März 2020 und der dynamischen – exponentiellen – Entwicklung der SARS-COV-2-Infektionen ergriffen. Mit dieser auf § 28 Abs.1 S.2 IfSG gestützten Weisung habe das Ministerium als zuständige Behörde für landesweit anzuordnende Maßnahmen die Gemeinden als örtliche Ordnungsbehörden angewiesen, Betretungsverbote für die vorstehend genannten Einrichtungen zu erlassen, um kontaktreduzierende Maßnahmen zur Beeinflussung der Ausbreitungsdynamik zu ergreifen und Infektionsketten zu unterbrechen. Diese Maßnahme habe das Land NRW ergriffen, da in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe bzw. auf dem gemeinsamen Transport dorthin insbesondere Menschen in Kontakt treten würden, die durch Alter, Vorerkrankung oder Behinderung einem besonderen Risiko durch das Coronavirus ausgesetzt gewesen seien. Da bei den Nutzern dieser Einrichtungen eine disziplinierte Hygieneetikette zudem häufig nicht vorausgesetzt werden könne, habe das Land zu einer allgemeingültigen Anordnung in Form eines Betretungsverbots gegriffen, um die Kontakte der Nutzer der Einrichtung zu reduzieren und der Ausbreitung des Coronavirus entgegenzuwirken.
54Bedingungsgemäßer Versicherungsschutz bestehe – so der Kläger – jedenfalls nach Ziff. 3.1 der vereinbarten Besonderen Bedingungen Danach seien in Ergänzung zu § 1 Nr. 1 AVB-BS auch bisher unbekannte Krankheiten und Erreger erfasst. Dies sei unabhängig davon, ob der jeweilige Erreger bereits im IfSG genannt sei, da die Klausel auch „sonstige Erreger“ und „sämtliche Tatbestände des Infektionsschutzgesetztes“ erfasse.
55Die Verwirklichung einer intrinsischen Gefahr sei entgegen der Ansicht des Beklagten nicht erforderlich. Dagegen spreche – wie auch der BGH mit Urteil vom 26.01.2022 (Az.: IV ZR 144/21) bestätigt habe – bereits der eindeutige Wortlaut des § 1 Nr. 1 a) AVB-BS, wonach für den Versicherungsschutz einzig eine behördliche Anordnung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes genüge. Soweit die Rahmenvereinbarung unter Ziff. 7.4 der Besonderen Bedingungen den Beginn der Haftzeit von der Meldung bei der zuständigen Behörde abhängig mache, ziele diese Regelung schon dem Wortlaut nach nicht auf eine Einschränkung des Versicherungsfalls Betriebsschließung auf Fälle der Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden, sog. intrinsischen Infektionsgefahr ab. Daher werde der Versicherungsnehmer nicht erwarten, dass dadurch der im Hinblick auf den Versicherungsfall Betriebsschließung zugesagte Versicherungsschutz eingeschränkt werde und zusätzliche Voraussetzung für den Eintritt eines solchen das Auftreten der Krankheit oder des Krankheitserregers im Betrieb sei. Dieses Verständnis des Versicherungsnehmers werde auch dadurch gestützt, dass die Pflicht zur namentlichen Meldung (§ 9 IfSG) und zur nichtnamentlichen Meldung (§ 10 IfSG) selbst schon gar nicht an ein Auftreten von Krankheiten oder Krankheitserregern „im Betrieb“ anknüpfe. Zudem seien nur die in § 8 IfSG genannten Personen zur Meldung verpflichtet. Diese Ausgestaltung der Meldepflicht beruhe auf dem Gedanken, dass Ärzte das Vorliegen einer Erkrankung aufgrund ihrer Ausbildung sicherer bewerten und fehlerhafte Meldungen somit vermieden werden könnten. Die Meldepflicht knüpfe daher überhaupt nicht an ein Auftreten einer Krankheit oder Krankheitserreger im Betrieb der meldepflichtigen Personenkreise an. Die Meldepflicht werde vielmehr dadurch ausgelöst, dass der Meldepflichtige ausreichend gesicherte (Fach-) Kenntnis über den Verdacht einer Erkrankung, die Erkrankung oder den Tod in Bezug auf die im IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger habe. Liegen solche Erkenntnisse vor, habe eine Meldung an die zuständige Behörde unabhängig davon zu erfolgen, ob der meldepflichtige Umstand bei einer Person „im Betrieb“ oder außerhalb aufgetreten sei.
56Der Versicherungsfall sei auch nicht an einen Beginn der Haftzeit gebunden. Da er, der Kläger, schon gar nicht Adressat einer Meldepflicht und der Eintritt des Versicherungsfalls – hier das durch die Allgemeinverfügung angeordnete Betretungsverbot für alle Nutzerinnen und Nutzer – losgelöst von irgendwelchen Meldungen an die Gesundheitsbehörden eingetreten sei, könnten der Eintritt des Versicherungsfalls und der Beginn der Haftzeit – jedenfalls in den Fällen, in denen eine Meldung durch den Versicherungsnehmer nicht möglich sei – nicht Voraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalls sein. Ferner habe er – so die Behauptung des Klägers – sich im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Schließungen noch beim örtlichen Gesundheitsamt der Städte D und C danach erkundigt, ob eine auf seine Werkstattbetriebe gemünzte Schließungsanordnung ergehen würde. Er, der Kläger, habe die Auskunft erhalten, dass schon die Allgemeinverfügung verbindliche Anordnungen für ihn treffe und daher eine Untersagung durch das örtliche Gesundheitsamt überflüssig mache. Daraus ergebe sich – so der Kläger –, dass es einer vorangegangenen Meldung an die zuständige Behörde nicht bedurft habe.
57Der Kläger ist der Auffassung, vorliegend sei in dem Zeitraum vom 18.03.2020 bis zum 30.06.2020 eine versicherte bedingungsgemäße Betriebsschließung anzunehmen, da keine Betriebstätigkeit der Werkstätten infolge des Betretungsverbots für die Nutzerinnen und Nutzer möglich gewesen sei. Aus den Allgemeinverfügungen ergebe sich ohne weiteres, dass in den Werkstätten ein Betretungsverbot für alle Nutzerinnen und Nutzer mit dem Ziel ausgesprochen worden sei, dass diese sich erst gar nicht in den Werkstätten aufhalten und dort schon gar nicht ihrer Tätigkeit nachgehen. Die Anordnung des Betretungsverbots sei zum Zwecke der Isolation erfolgt und habe ein (faktisches) Tätigkeitsverbot für die Nutzerinnen und Nutzer nach sich gezogen.
58Die Produktion in den Werkstätten der L.-Werkstatt sei dadurch (nahezu) vollständig zum Erliegen gekommen, wodurch er, der Kläger, Einnahmeausfälle erlitten habe. Denn aufgrund des Betretungsverbotes seien nicht ausreichende behinderte Mitarbeitende anwesend gewesen, die das Auftragsvolumen wie vor dem Betretungsverbot hätten bewältigen können. Mit Hilfe der Betreuer seien bestehende Aufträge dann zwar noch so gut wie möglich abgearbeitet worden; es hätten aber keine neuen Aufträge mehr angenommen und während der Geltung des Betretungsverbots abgearbeitet werden können. Auch in der Wiederanlaufphase ab dem 11.05.2020 habe er, der Kläger, nicht ansatzweise das Auftragsvolumen wie im Normalbetrieb abarbeiten können.
59Dass eigene Mitarbeiter – als solches unstreitig – die Betriebe weiter betreten hätten und auf diese Weise Tätigkeiten ohne Außenkontakt hätten weitergeführt werden können, ändere aber am Vorliegen einer bedingungsgemäßen Betriebsschließung aufgrund des Betretungsverbots nichts. Vielmehr habe er, der Kläger, durch den Einsatz von Betreuungspersonal lediglich einen Rumpfbetrieb aufrechterhalten und in erster Linie durch Auslieferung von Lagerbestand Umsätze erzielt, die zwar buchhalterisch dem Schließungszeitraum zuzuordnen seien, tatsächlich aber nicht auf in diesem Zeitraum produzierte Waren entfallen würden.
60Eine von dem Beklagten angeführte Notbetreuung habe nur in äußert geringem Umfang stattgefunden. Während des Betreuungsverbotes habe es in der gesamten L.-Werkstatt, in der im Normalbetrieb 811 Menschen mit Behinderung beschäftigt seien, nur vereinzelte Beschäftigte gegeben, die im Rahmen der Notbetreuung von dem Betretungsverbot ausgenommen gewesen seien. In diesen Fällen sei ein Verbleib der Menschen mit Behinderungen im häuslichen Umfeld nicht möglich gewesen, sodass sie in den Räumlichkeiten der Werkstatt hätten betreut werden müssen:
61Auch in der Zeit nach der Aufhebung des Betretungsverbots habe ab dem 11.05.2020 nur eine schrittweise Öffnung stattgefunden; die Werkstätten seien weit von einer vollen Auslastung entfernt gewesen, was sich auch an der Anzahl der Nutzerinnen und Nutzer gezeigt habe, die in den Werkstätten hätten betreut werden können. Denn auch nach den ersten Lockerungen hätten nicht alle Mitarbeitenden gleichzeitig arbeiten können, da sonst bestimmte Hygienemaßnahmen (Maskenpflicht, Abstandsregeln, Handhygiene etc.) nicht hätten umgesetzt werden können:
63Die Berechnung der mit der Klage geltend gemachten Entschädigungsleistung sei entgegen der Ansicht des Beklagten auch plausibel, nachvollziehbar begründet und überzeugend.
65Bei den als Anlagen zur Gerichtsakte gereichten BWA handele es sich um Auswertungen aus seiner, des Klägers, EDV-gestützten Buchhaltung, die bei Bedarf durch einen Sachverständigen in Augenschein genommen und nachvollzogen werden könnten.
66Sowohl der Berechnungsansatz als auch die zugrunde gelegten Zahlen der Berechnung würden sich jeglicher Kritik entziehen, was der Beklagte nicht zuletzt dadurch bestätigt habe, dass er selbst keinerlei Alternativberechnung anstelle, sondern lediglich Allgemeinplätze in den Raum stelle, die jegliche Auseinandersetzung mit seinem detaillierten Vortrag vermissen lassen würden.
67Soweit der Beklagte auf die Vorlage testierter Jahresabschlüsse beharre, stelle sich die Frage, welche zusätzlichen für die Ermittlungen der Entschädigungsleistung maßgeblichen Angaben der Beklagte darin zu finden erhoffe. Zwar stelle er, der Kläger, als gemeinnütziger und somit nicht bilanzierungspflichtiger Verein freiwillig einen den Anforderungen des § 243 HGB entsprechenden Jahresabschluss auf (jedoch keinen separaten Jahresabschluss getrennt nach Werkstattbetrieben). Aus den vorgenannten Gründen sei dieser für die auf den Schließungszeitraum entfallende Entschädigungsleistung aber vollkommen nichtssagend. Der Jahresabschluss bereite die für die Berechnung der Entschädigungsleistung maßgeblichen Parameter (Umsatzerlöse und Aufwendungen) gar nicht so auf, dass er irgendwelche Rückschlüsse auf den von dem Schaden betroffenen Zeitraum zulassen würde.
68Der Kläger beantragt,
69den Beklagten zu verurteilen, an ihn 327.939,00 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % für die Zeit vom 18.03.2020 bis zur Rechtshängigkeit und in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zahlen.
70Der Beklagte beantragt,
71die Klage abzuweisen.
72Der Beklagte bestreitet – da es sich bei den zur Akte gereichten Unterlagen um selbst erstellte internen Liste handele – die Angaben des Klägers zum Betrieb, Umsatz, Kosten mit Nichtwissen. Die Berechnung der Klageforderung sei – so die Auffassung des Beklagten – unsubstantiiert. So mache der Kläger Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung geltend, wobei gleichzeitig Kosten, die bei einer Betriebsschließung gar nicht anfallen könnten, gleichwohl mit eingeklagt würden; dies stelle eine Art „Rosinentheorie“ dar.
73Der Beklagte ist der Ansicht, dass ein Versicherungsfall bereits mangels Haftzeitbeginns nicht gegeben sei. In jeder Betriebsunterbrechungsversicherung setze eine Entschädigung voraus, dass es sich um einen Versicherungsfall nach Beginn der Haftzeit handele. Die Entschädigungsleistung setze daher den Lauf der Haftzeit voraus. Ziff. 7.4 der Besonderen Bedingungen des Rahmenabkommens setze für den Beginn der Haftzeit allerdings die Meldung der Krankheit / des Erregers bei einer zuständigen Behörde voraus. Eine solche Meldung sei hier jedoch nie erfolgt, weil in den Werkstätten des Klägers eine meldepflichtige Krankheit nicht aufgetreten sei mit der Folge, dass die Haftzeit nicht begonnen habe. Generalpräventive Maßnahmen seien vom Versicherungsschutz aber nicht umfasst.
74Der Beklagte ist weiter der Auffassung, dass vorliegend – abweichend von dem dem Urteil des BGH vom 26.01.2022 zugrunde liegenden Sachverhalt – eine Sonderkonstellation gegeben sei, nach der das Vorliegen einer intrinsischen Gefahr erforderlich sei. Aus Ziff. 7.4 und Ziff. 1 der Besonderen Bedingungen des Rahmenabkommens ergebe sich nämlich, dass Gegenstand der Versicherung nur betriebsinterne Gefahren seien, da nach diesen Vorschriften eine Meldepflicht für Krankheiten und Krankheitserreger bestehe und die Anzahl der betroffenen Personen anzugeben seien.
75Vorliegend handele sich zudem um Betriebe für Menschen mit einer Behinderung. Insoweit habe es ferner keine öffentlich-rechtliche Anordnung einer vollständigen Betriebsschließung gegeben. Die Betriebe hätten in stark reduziertem Umfang weiterbetrieben werden dürfen und seien tatsächlich auch nicht geschlossen gewesen. Dies ergebe sich schon aus den vom Kläger selbst vorgelegten Zahlen. Denn nach den eigenen – von dem Beklagten mit Nichtwissen bestritten, hilfsweise insoweit aber zu Eigen gemachten – Angaben des Klägers seien im März 2020 im Vergleich zum Vorjahresmonat 79,04 %, im April 40,98 %, im Mai 76,86 % und im Juni 75,72 % an Umsatz erzielt worden. Zudem weigere sich der Kläger, Personalkosten in Abzug zu bringen, gerade weil die Betriebe nicht geschlossen worden seien und ein Rumpfbetrieb in der Produktion aufrechterhalten worden sei. Da nicht unerhebliche Umsätze erzielt worden seien, fehle es schon aus rechtlichen Gründen an dem Tatbestandsmerkmal einer bedingungsgemäßen Betriebsschließung.
76Vielmehr liege daher nur der Fall der – nicht versicherten – Betriebseinschränkung vor. In allen Allgemeinverfügungen und Corona-Schutzverordnungen werde zudem darauf hingewiesen, dass – vergleichbar mit einem Notbetrieb in Schulen und Kindertagesstätten – der Betrieb habe weiter aufrechterhalten werden dürfen. Es habe keine Untersagung gegeben, dass Menschen mit Behinderung in der Werkstatt nicht tätig werden dürfen. Dies habe nur für den Personenkreis gegolten, dem aufgrund von Vorerkrankungen durch behördliche Anordnungen das Betreten der Werkstatträumlichkeiten untersagt worden sei. Vielmehr sei es ja gerade zentrale Aufgabe auch der Werkstätten gewesen, für Werkstattbeschäftigte gerade auch während der Corona-Krise weiterhin die Unterstützung, Betreuung, Beschäftigung und Qualifizierung sicherzustellen und ihnen eine Tagesstruktur zu geben. Aus dem Grund seien die Betriebe eben nicht geschlossen gewesen. Aber auch bei Vorliegen von konkreten Vertretungsverboten hätten Menschen mit Behinderung, für die eine Betreuung und Tagesstruktur anders nicht möglich gewesen sei, weiterhin in die Werkstatt kommen und am Arbeitsleben mit gewissen Schutzauflagen teilnehmen dürfen.
77Der Beklagte erklärt sich zu den behaupteten Schließungen der von dem Kläger aufgeführten Betriebe mit Nichtwissen. Eine öffentlich-rechtlich angeordnete Betriebsschließung habe es nicht gegeben, denn nach eigenem Vortrag des Klägers sei weiterhin zumindest die Notbetreuung, deren vom Kläger angegebenen Umfang der Beklagte bestreitet, durchgeführt worden und das Betreten der Werkstätten durch die eigenen Mitarbeiter sei zulässig gewesen. Auf etwaige Anordnung gegenüber Dritten komme es ebenso wie auf betriebswirtschaftlichen Umsatzrückgänge aufgrund der allgemeinen Corona-Pandemie nicht an. Die Betreuung der Nutzer sei, wenn auch eingeschränkt, weiterhin möglich gewesen. Insoweit sei die Sach- und Rechtslage vergleichbar mit der von der Rechtsprechung bereits entschiedenen Konstellation von Kitas, in denen die meisten Gruppen geschlossen gewesen seien, jedoch eine Notbetreuung weiter erfolgt sei.
78Auch soweit ein abgrenzbarer Betriebsteil geschlossen werde, komme es – so der Beklagte – gerade auf dessen vollständige Schließung an. Im Hinblick auf die wesentlichen Betriebszwecke der Werkstätten sei bereits in tatsächlicher Hinsicht deshalb nicht von einer vollständigen Schließung auszugehen, da zu den Werkstätten auch Arbeiten außerhalb der Einrichtung (Betreuung für externe Praktika, Arbeiten außerhalb der Einrichtung für Garten- und Landschaftsbau usw.) gehören würden. Alle anderen Tätigkeiten außerhalb der eigentlichen Produktion seien weiterhin möglich gewesen. Die Produktion selbst sei unter Einhaltung von bestimmten Maßnahmen öffentlich-rechtlich weiter erlaubt, der Betrieb aufgrund der Durchführung als „Rumpfbetrieb“ auch nicht tatsächlich geschlossen gewesen.
79Es fehle in diesem Zusammenhang ferner an substantiiertem Vortrag des Klägers, zumal vorliegend alles in einer gemeinsamen betriebswirtschaftlichen Auswertung zusammengefasst werde und es mangels differenzierter Angaben zur Schadenshöhe an einer Abgrenzbarkeit fehle. Der Kläger müsste zunächst überhaupt zu einem abgrenzbaren Betriebsteil vortragen, d.h. zu dem konkreten Risikoort und dass es innerhalb dieses Risikoortes einen abgrenzbaren Teilbereich gegeben habe. Dies sei hier ersichtlich nicht der Fall. Offenbar gebe es hier keinen gesonderten Teilbereich sowie keine Differenzierung auch im Hinblick auf Personal etc. Das Argument des Klägers würde nur dann Sinn ergeben, wenn im Versicherungsschein nicht die einzelnen Betriebe als eigenständige Risikoorte aufgeführt worden wären. Dies sei hier aber gerade nicht der Fall. Versichert sei eben nun einmal ein einzelner Betrieb und nicht eine Gesamtfirma, die aus diversen einzelnen Betriebsteilen bestehe.
80Der Kläger trage zudem nicht substantiiert zu einem konkret eingetretenen tatsächlichen Schaden und ersparten Aufwendungen vor. Es handele vorliegend sich um eine normale Schadenversicherung. Für die Entschädigungsberechnung maßgeblich seien Ziff. 7 und 8 der Besonderen Bedingungen des Rahmenabkommens. Der Kläger müsse mithin – in einem ersten Schritt – sämtliche Interlagen einreichen, insbesondere die monatlichen betriebswirtschaftlichen Auswertungen sowie die testierten Jahresabschlüsse für die Jahre 2019 -2021 vorlegen und sich dann ersparte Kosten anrechnen. Der Kläger könne nicht einerseits auf einen Anspruch aufgrund 100 %-iger Schließung abstellen, andererseits die einsparbaren Kosten (Personalkosten, Wareneinsatz etc.) bei einer 100 %-igen Schließung als anzurechnenden Vorteil aber nicht berücksichtigen wollen. Angesichts des Umstands, dass der Kläger sich weigere, die testierten Jahresabschlüsse einzureichen, dränge sich zudem der Verdacht auf, dass der Geschäftsbericht Zahlen aufweise, die nicht mit denen in der Klageschrift übereinstimmen würden. Die Klage sei angesichts dieser Weigerungshaltung daher ohne Eintritt in die Beweisaufnahme abzuweisen.
81Der Kläger verkenne schließlich, dass eben nicht Einnahmeausfall als solcher versichert sei, sondern lediglich Einnahmeausfall abzüglich abgesparter Kosten, also der Gewinn. Eine konkrete Berechnungsmethodik sei auch der Replik nicht zu entnehmen; zu dem entgangenen Gewinn werde konkret überhaupt nicht vorgetragen und taugliche Unterlagen würden nicht eingereicht.
82Eine behördliche Anordnung einer Betriebsschließung habe es jedenfalls nach eigenem Vortrag des Klägers ab Mai 2020 nicht mehr gegeben. Ein angeblicher „Auslaufschaden“ beruhe nach diesem nur noch auf der Corona-Pandemie allgemein. Der Beklagte meint, derartige mittelbare Beeinträchtigungen seien nicht gedeckt. Ferner wäre, auch wenn die Corona-Verordnung mit dem angeordneten Betretungsverbot von Werkstätten nicht erlassen worden wäre, gleichwohl ein Einbruch des Umsatzes und Gewinns erfolgt, d.h. hier wäre auch insgesamt nur eine nicht vom Versicherungsschutz umfasste mittelbare Beeinträchtigung gegeben.
83Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
84Entscheidungsgründe
85Die Klage ist unbegründet.
86I.
87Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Zahlung von 327.939,00 € gem. §§ 1, 2 AVB-BS i.V.m. Ziff. 3.1, 3.2, 7, 8 der Besonderen Bedingungen zur Betriebsschließungs-Versicherung (Infektionsgefahren) i.V.m. dem Versicherungsvertrag zu.
88Zwar wurde durch den Abschluss der Rahmenvereinbarung eine Erweiterung des Versicherungsschutzes insofern erreicht, als auch – was in rechtlicher Hinsicht von dem Beklagten nicht beanstandet wird – eine Infektionsgefahr durch das SARS-Cov-2-Virus bzw. COVID-19 umfasst ist (1.). Bedingungsgemäßer Versicherungsschutz im Rahmen des durch die Besonderen Bedingungen erweiterten Versicherungsschutzes erfordert vorliegend aber ausnahmsweise die Verwirklichung einer sog. intrinsischen Gefahr, an der es im Fall des Klägers aber fehlt (2.). Darüber hinaus liegen weder die Voraussetzungen einer bedingungsgemäßen Betriebsschließung (3.) noch einer faktischen Betriebsschließung vor (4.). Schließlich fehlt es auch bereits an einer schlüssigen Darlegung des dem Kläger durch das für die Werkstätten angeordnete Betretungsverbot für Nutzerinnen und Nutzer entstandenen Schadens (5.).
89Im Einzelnen:
901.
91Allgemeine Versicherungsbedingungen sind grundsätzlich so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist dabei vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind.
92Werden Versicherungsverträge – wie hier – typischerweise mit und für einen bestimmten Personenkreis geschlossen, sind die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urt. vom 25.05.2011, Az.: IV ZR 117/09, VersR 2011, 918). Da vorliegend eine gewerbliche Betriebsschließungsversicherung streitgegenständlich ist, die der Kläger in seiner Eigenschaft als Unternehmer (§ 14 Abs. 1 BGB) für die von ihm als Träger betriebene L.-Werkstatt für Menschen mit Behinderung abgeschlossen hat, ist daher auf den Empfängerhorizont eines durchschnittlichen Unternehmers abzustellen, der geschäftserfahren und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen grundsätzlich vertraut ist.
93Gemessen an diesen Maßstäben ergibt sich vorliegend zwar auch für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer, dass weder das Coronavirus als Krankheitserreger noch COVID-19 als Krankheit in dem abschließenden Katalog der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger nach §1 Nr. 2 a) und b) AVB-BS erfasst ist (vgl. BGH, Urt. vom 26.01.2022, Az.: IV ZR 144/21, NJW 2022, 872).
94Eine sich an §§ 133, 157 BGB orientierende Auslegung der zwischen dem Beklagten und der H.-Versicherung geschlossenen und mit Wirkung zum 01.01.2020 in Kraft getretenen und Rahmenvereinbarung für die Betriebsschließungs-Versicherung (Infektionsgefahren) und den hierdurch ebenfalls in den Versicherungsvertrag einbezogenen Besonderen Bedingungen ergibt indes, dass der der Versicherungsschutz auf Infektionsgefahren durch das Coronavirus bzw. COVID-19 erweitert wurde.
95Denn nach Ziff. 3.1 der Besonderen Bedingungen ist in Ergänzung zu § 1 AVB-BS eine Entschädigungsleistung auch vorgesehen, wenn der Versicherungsfall durch „sonstige Krankheitserreger“ eintritt. Die abschließende Regelung in § 1 Nr. 2 AVB-BS ist damit für die Beurteilung des hiesigen Falls gerade nicht maßgeblich bzw. – so heißt es in den Bedingungen – die Liste der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger ist gem. AVB-BS erweitert.
96Ergänzend heißt es, dass sämtliche Tatbestände des Infektionsschutzgesetzes und ggf. landesrechtliche Vorschriften eingeschlossen sind. Anders als in § 2 a) und b) AVB-BS ist in Ziff. 3.1 der Besonderen Bedingungen gerade keine tabellarische Aufzählung der erfassten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger nach §§ 6, 7 IfSG enthalten, sondern es wird vielmehr auf sämtliche Tatbestände des IfSG und dabei insbesondere auch auf §§ 6, 7 IfSG verwiesen, ohne dass dabei eine konkrete Fassung des IfSG benannt würde, die maßgeblich sein soll. Dies ist als dynamische Verweisung anzusehen, denn der Versicherungsnehmer darf bei Vertragsschluss davon ausgehen, dass alle Krankheiten, die bei Eintritt des Versicherungsfalls gesetzlich normiert sind, vom Versicherungsschutz umfasst sind (vgl. Notthoff, in: Umfang des Versicherungsschutzes der Betriebsschließungsversicherung, r+s 2020, 551 m.w.N.; für eine dynamische Verweisung in einem vergleichbaren Fall OLG Celle, Urt. vom 02.09.2021, Az.: 8 U 120/21, BeckRS 2021, 27751; a.A. OLG Koblenz, Urt. vom 09.02.2022, Az.: 10 U 905/21; vgl. zu einer dynamischen Verweisung bei Bezugnahme auf das IfSG ohne Angabe einer konkreten Gesetzesfassung oder eines Zeitpunktes jedenfalls wegen Unklarheit gem. § 305c Abs. 2 BGB BGH, Urt. vom 18.01.2023, Az.: IV ZR 465/21, NJW 2023, 684).
97Soweit in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 f) IfSG die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) aufgeführt ist, wurde diese zwar erst durch Art. 1 Nr. 4 Buchst. a des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19. Mai 2020 (BGBl. I S. 1018) mit Wirkung vom 23. Mai 2020, also erst nach dem Eintritt des hier streitgegenständlichen Versicherungsfalls (ab dem 18.03.2020) in das Infektionsschutzgesetz eingefügt. Dasselbe gilt, soweit § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 44a IfSG (meldepflichtige Nachweise von Krankheitserregern) u.a. das Severe-Acute-RespiratorySyndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2) nennt. Dieser Krankheitserreger wurde durch Art. 1 Nr. 5 a) des genannten Gesetzes ebenfalls erst mit Wirkung vom 23. Mai 2020 in das Infektionsschutzgesetz eingefügt.
98Die Regelungen sind nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers aber dahingehend auszulegen sein, dass – da eine Aufnahme in das IfSG selbst vorliegend erst mit Wirkung zum 23.05.2020 unter § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. t) IfSG sowie § 7 Abs. 1 Nr. 44a, Var. 2 erfolgt ist – Versicherungsschutz im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls deshalb besteht, weil COVID-19 und SARS-CoV-2 bereits mit Wirkung zum 01.02.2020 per Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums vom 30.01.2020 in die Liste der meldepflichtigen Krankheiten bzw. nachweispflichtigen Krankheitserreger als temporär meldepflichtige Krankheit bzw. meldepflichtiger Krankheitserreger aufgenommen wurden. Die entsprechende Verordnungsermächtigung war in § 15 Abs. 1 IfSG in der seinerzeit geltenden Fassung vom 31. Oktober 2006 enthalten.
99Gemessen hieran ist im Zeitpunkt des Eintritts von Klägerseite angeführten Versicherungsfalls am 18.03.2020 das Coronavirus und COVID-19 vom Versicherungsschutz umfasst, weil Ziff. 3.1 im Absatz 2 auf sämtliche Tatbestände des Infektionsschutzgesetzes Bezug nimmt. Insoweit sind dann auch meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger, die nur über § 15 Abs. 1 IfSG i.V.m. der Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht Eingang in die §§ 6, 7 IfSG gefunden haben, erfasst. Eine namentliche Nennung bereits in den §§ 6, 7 IfSG ist nach dem Wortlaut der Ziff. 3.1 der Rahmenvereinbarung für die sonstigen Erreger gerade nicht gefordert.
100Die Regelungen in den Besonderen Bedingungen lassen sich insgesamt für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nur so verstehen, dass der Versicherungsschutz auch auf Erreger erweitert ist, die in Verordnungen genannt werden, die auf Grundlage des IfSG erlassen werden (so auch LG Köln, Urt. v. 30.06.2021, Az. 20 O 370/20).
1012.
102Das durch die Allgemeinverfügung der Stadt D vom 18.03.2020 (Anl. K 5, Bl. 83 ff. d.A.), die Allgemeinverfügung der Stadt C vom 13.03.2020 (Anl. K 7, Bl. 93 d.A.) sowie in den CoronaBetrVO für tagesstrukturierende Einrichtungen der Eingliederungshilfe wie die vom Kläger betriebenen L.-Werkstätten jeweils angeordnete Betretungsverbot aufgrund einer präventiven Generellen Gefahrenlage ist nicht vom Versicherungsschutz der vorliegend maßgeblichen Versicherungsbedingungen umfasst.
103Unter Berücksichtigung der maßgeblichen Auslegungsgrundsätze setzen die hier maßgeblichen Versicherungsbedingungen nach Auffassung der Kammer die Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden, sog. intrinsischen Infektionsgefahr voraus, an der es im Fall des Klägers allerdings fehl. Denn das Betretungsverbot bzgl. der Werkstätten wurde nicht wegen Auftretens des Corona-Virus oder von COVID-19 in dem versicherten Betrieb angeordnet.
104Dem Kläger ist zwar zuzugestehen, dass der BGH in seinem Urt. vom 26.01.2022 (Az.: IV ZR 144/21, NJW 2022, 872) für das der dortigen Entscheidung zugrunde liegenden Bedingungswerk entschieden hat, dass der Eintritt des Versicherungsfalls nach Auslegung der Versicherungsbedingungen nicht die Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden, sog. intrinsischen Infektionsgefahr voraussetzt. Der BGH führt in Bezug auf die dort maßgebliche Regelung in § 2 Nr. 1 a) ZBSV 08 an, dass der Wortlaut keinen Anhaltspunkt für eine Differenzierung zwischen aus dem Betrieb oder von außerhalb des Betriebs herrührenden Gefahren hergebe. Ob die in § 2 Nr. 1 b) – e) ZBSV 08 genannten versicherten Gefahren hingegen darauf hindeuteten, dass es sich bei diesen um solche aus dem Betrieb oder von seinen Mitarbeitern herrührende handeln muss, könne – so der BGH – offenbleiben, da ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer hieraus jedenfalls nicht (zwingend) mit der gebotenen Klarheit schließen müsse, dass das Erfordernis der Verwirklich einer intrinsischen Gefahr auch für § 2 Nr. 1 a) ZBSV 08 gelten müsse, der eine derartige Einschränkung nicht enthalte.
105Zu Recht weist der Beklagte, der maßgeblich auf die in Ziff. 7.4. der Besonderen Bedingungen geregelten Anknüpfung des Haftzeitbeginns an die Meldung der Krankheit/des Erregers abstellt, vorliegend aber darauf hin, dass es sich im hiesigen Fall des Klägers aber um eine von diesem Regelfall abweichende, anders gelagerte Sonderkonstellation handelt.
106Eine sich an den Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers orientierende Auslegung der für den Umfang des hiesigen Versicherungsschutzes neben den AVB-BS ebenfalls maßgeblichen, diese ergänzenden Besonderen Bedingungen ergibt nach Auffassung der Kammer mit der gebotenen Klarheit, dass Versicherungsschutz nur bei der Verwirklichung einer sog. intrinsischen Gefahr besteht.
107Das Landgericht Ravensburg führt in dem auf die mündliche Verhandlung vom 27.04.2023 ergangenem Urteil (Az.: 6 O 258/21), das der Kammer aus dem Parallelverfahren zum Az.: (Aktenzeichen entfernt) bekannt und dort von den hiesigen Prozessbevollmächtigten als Anlage vorgelegt worden ist, zu vergleichbaren Besonderen Bedingungen und dem sich hieraus – in Abweichung als alleinige Vertragsgrundlage heranzuziehenden Allgemeinen Bedingungen – abzuleitenden Verständnis in Bezug auf Erfordernis einer intrinsischen Gefahr wie folgt aus:
108„[…] Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Allgemeinen Bedingungen in einer Vielzahl von Regelungen an unterschiedlichen Stellen des Bedingungswerks das Vorliegen einer betriebsinternen Gefahr nahelegen, wenn gleich mit dem BGH davon auszugehen ist, dass aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers die Begrenzung auf intrinsische Gefahren aus dem Allgemeinen Bedingungswerk nicht hinreichend erkennbar hervorgeht.
109(2)
110Gleichwohl ist nach Auffassung der Kammer aufgrund der ergänzenden Regelungen in den Besonderen Bedingungen - die in den vom BGH entschiedenen Fällen nicht zugrunde lagen - die in den Allgemeinen Bedingungen angedeutete Begrenzung auf betriebsinterne Gefahren auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer in der gebotenen Deutlichkeit klar zu entnehmen.
111(a)
112Nach Ziffer 3.1 der BB ist unter der Überschrift „Versicherungsfall“ Voraussetzung für den Versicherungsschutz, dass der Versicherungsnehmer die nach (…) vorgeschriebene Meldung an die Behörde macht. Die Meldepflicht ist klar und eindeutig als Anspruchsvoraussetzung genannt. Die Meldepflicht setzt also voraus, dass eine zu meldende Gefahr im Betrieb besteht. In anderen Konstellationen ergibt eine solche Meldepflicht als zwingende Voraussetzung für das Vorliegen eines Versicherungsfalles keinen Sinn.
113Die Meldepflicht-Regelung harmoniert auch mit den Allgemeinen Bedingungen, da der Versicherungsfall dort einen „meldepflichtigen“ Krankheitserreger bzw. Krankheit voraussetzt.
114In den Besonderen Bedingungen bedarf es einer ausdrücklichen Regelung zur Meldepflicht, da hier die Erweiterung auf gefährliche Krankheitserreger erfolgt ist. Die Meldepflicht als zusätzliche Voraussetzung für den Eintritt eines Versicherungsfalles wäre nicht erforderlich, wenn nicht erkennbar nur innerbetriebliche Gefahren umfasst sein sollen.
115Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass in Ziffer 3.1 f) eine Meldung an die Behörde nicht genannt ist. In Ziffer 3.1 f) wird eine vorherige Meldung des Versicherungsnehmers an die Behörde lediglich nicht ausdrücklich aufgeführt. Der von der Klägerin angenommene Rückschluss, weil es hier keiner Meldung bedürfe, seien auch andere außerhalb des Betriebs bestehende Gefahrenlagen vom Versicherungsschutz umfasst, geht fehl. Auch die Argumentation der Klägerin, wonach eine systematische Trennung der ersten beiden Absätze in 3.1. ergebe, dass die Meldung gerade nicht in jedem Fall Voraussetzung für das Vorliegen eines Versicherungsfalls ist, überzeugt die Kammer nicht.
116Ausweislich der Formulierung im ersten Absatz der Ziffer 3.1 wird die vorgeschriebene Meldung an die Behörde als Grundvoraussetzung für den Versicherungsschutz aufgestellt. Im darauffolgenden zweiten Absatz werden nicht etwa alternativ andere Versicherungsfälle mit den hierfür geltenden Voraussetzungen aufgeführt, sondern einleitend mit „Versicherungsschutz besteht, wenn (…)“ aufgeführt, für welche Maßnahmen, der in (a) bis (f) genannten Varianten, der nach den in Absatz 1 genannten Voraussetzungen vorliegende Versicherungsschutz abdeckt. Absatz 1 und 2 müssen demnach kumulativ vorliegen. Für einen verständigen Versicherungsnehmer geht dies auch ausreichend klar hervor. Zunächst erfolgt eine sprachliche Unterscheidung aufgrund der unterschiedlichen Formulierungen beider Absätze. Die Argumentation der Klägerin würde zudem verlangen, dass jede der aufgeführten Variante in Absatz 2 die Meldepflicht erneut nennen müsste. In diesem Fall hätte auf Absatz 1 verzichtet werden können.
117Auch in Ziffer 3.1 e) wird nicht aufgeführt, dass in dieser Variante keine Meldung an die Behörde erfolgen muss. Die Regelung stellt lediglich klar, dass die Maßnahmen nach § 42 IfSG selbst keine Meldung an die Behörde voraussetzen, was bereits sprachlich dem Wortlaut des Nebensatzes „die nicht zwingend eine Meldung bei der Behörde vorsehen“ so zu entnehmen ist.
118(b)
119Der Versicherer verlangt schließlich den Nachweis der erfolgten Meldung und mithin den Nachweis über das Vorliegen der Voraussetzungen eines Versicherungsfalls in Ziffer 3.2 BB. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelung in Ziffer 3.2 BB gesondert von anderen Regelungen zur Obliegenheit im Schadensfall - etwa in Ziffer 10 BB aufgeführt ist. Sofern auch eine Betriebsschließung aufgrund außerhalb des Betriebs bestehender allgemeiner Gefahren vom Versicherungsschutz umfasst sein soll, ließe sich mit den Voraussetzungen in Ziffer 3.1 und 3.2 BB nicht erklären. Aus den beiden Regelungen in der Zusammenschau ist vielmehr zu entnehmen, dass in den Fällen, in denen die Behörde ohne Meldung Anordnungen trifft, weil der Versicherungsnehmer gegenüber der Behörde aufgrund fehlendem Anlass überhaupt keine Meldung machen kann, kein Versicherungsfall gegeben sein soll.
120(c)
121Eine weitere Voraussetzung für die Deckung ist der Beginn der Haftzeit nach Ziffer 8.2. Dieser ist wiederum an eine Meldung an die Behörde geknüpft. Zwar setzt eine der genannten Varianten (b) nicht voraus, dass tatsächlich eine Meldung an die Behörde erfolgt ist. Jedoch wird auf den Zeitpunkt abgestellt, ab dem eine Meldung hätte erfolgen müssen. Auch an dieser Stelle ist zu erkennen, dass ein Versicherungsschutz nur in den Fällen greifen soll, in denen eine Gefahrenquelle im Betrieb des Versicherungsnehmers besteht, über welche er die zuständige Behörde zu informieren hat oder eben gehabt hätte. Da die Meldepflicht bereits Grundvoraussetzung für das Vorliegen eines Versicherungsfalles ist, bildet die Anknüpfung des Beginns der Haftzeit an die Behördenmeldung auch keine Einschränkung. Andernfalls hätte dieser Umstand nur abgemildert berücksichtigt werden dürfen, da Grundgedanke der Rahmenvereinbarung die Erweiterung des Schutzumfangs war.
122(d)
123Die Regelung in Ziffer 4.2, dass eine Entschädigung auch für den Fall geleistet wird, dass nur einzelne Teile oder Abteilungen des versicherten Betriebs geschlossen werden, legt zwangsläufig zugrunde, dass nur dieser Teil von Krankheitserreger oder Krankheiten betroffen ist.
124Die unmittelbar nachfolgende Regelung zur Kohortenisolation von Patienten und Betreuten in Ziffer 4.3 erweitert den Schutzbereich für andere behördliche Anordnungen als eine Schließung oder ein Tätigkeitsverbot. Isoliert werden nur diejenigen, von denen eine Gefahr ausgeht, nicht diejenigen, die von einer allgemein bestehenden Gefahrenlage geschützt werden sollen. Mithin muss der Erreger oder die Krankheit, die zu einer Kohortenisolation führt, in den Räumlichkeiten vorhanden sein.
125Das in Ziffer 4.6 geregelte Tätigkeitsverbot für einzelne Mitarbeiter setzt nicht zwingend eine behördliche Anordnung voraus, sondern kann sich etwa auch aus dem IfSG ergeben. Auch hier wird vorausgesetzt, dass eine Infektionsgefahr von einzelnen Mitarbeitern ausgeht.
126(3)
127Etwas anderes ist auch nicht deshalb anzunehmen, weil der Sinn und Zweck einer Betriebsschließungsversicherung darin besteht - möglichst umfassend - gegen Ertragsausfälle infolge einer behördlich angeordneten Betriebsschließung zu versichern (vgl. BGH, Urteil vom 18.01.2023, a.a.O., juris, Rn. 30). In den Fällen, in denen die Rechtsprechung - insbesondere der BGH - das Vorliegen einer intrinsischen Infektionsgefahr als Voraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalls bei Betriebsschließungsversicherungen ablehnt (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 18.01.2023 – IV ZR 465/21 und vom 26.01.2022 – IV ZR 144/21), lagen andere Bedingungswerke zugrunde. Vorliegend geht aus den Besonderen Bedingungen ohne Mehrdeutigkeit oder fehlender Klarheit für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer hervor, dass ein umfassender nunmehr erweiternder Versicherungsschutz in den Fällen besteht, in denen im versicherten Betrieb eine Infektionsgefahr besteht.
128[Hervorhebungen durch die Kammer]
129Dieser auch nach hiesiger Auffassung in jeder Hinsicht überzeugenden Argumentation schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung in vollem Umfang an und macht sie sich zu Eigen.
130Die Ausführungen lassen sich ohne weiteres auf den hiesigen Rechtsstreit und auf die durch zwischen dem Beklagten und der Ecclesia Versicherungsdienst GmbH geschlossenen Rahmenvereinbarung für die Betriebsschließungs-Versicherung (Infektionsgefahren) in den hiesigen Versicherungsvertrag einbezogenen Besonderen Bedingung übertragen.
131Der Umstand, dass der BGH in seinem Urteil vom 26.01.2022 (Az.: IV ZR 144/21, NJW 2022, 872) das Vorliegen einer intrinsischen Gefahr zur Annahme eines bedingungsgemäßen Versicherungsschutzes bei einer Betriebsschließung für nicht erforderlich erachtet, ist lediglich Folge der sich aus den dortigen AVB für Betriebsschließung lediglich angedeuteten Begrenzung auf intrinsische Gefahren und der sich für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer insoweit ergebenden Unklarheit.
132Diese Unklarheit besteht hier indes bei Auslegung der ebenfalls zu berücksichtigenden Besonderen Bedingungen gerade nicht.
133Dass Versicherungsschutz nur bei Vorliegen einer aus dem konkreten Betrieb herrührenden intrinsische Gefahr gewährt wird, ergibt sich bereits ohne weiteres aus dem Erfordernis der unter Ziff. 1 der Besonderen Bedingungen unter der Überschrift „Gegenstand der Versicherung“ mehrfach angesprochenen erforderlichen Meldung an die zuständige Behörde. Es wird insbesondere dargelegt, in welchen Fällen – zusätzlich zu den in Ziff. 3 der Besonderen Bedingungen veranlassten behördlichen Maßnahmen – „auch“ Versicherungsschutz bestehen soll, nämlich wenn Betriebsunterbrechungsschäden bei Umsetzung eines mit der mit der Behörde abgestimmten Hygieneplans entstehen. Da ersichtlich eine Ausweitung des Versicherungsschutzes bezweckt ist, unter Ziff. 1 aber explizit an die Meldung der auftretenden Krankheit bzw. des Krankheitserregers angeknüpft wird und eine Meldung an die nach dem IfSG zuständige Behörde ohne eine aus dem Betrieb herrührende Gefahr keinen Sinn ergibt, ist hieraus – auch für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer mit der gebotenen Klarheit erkennbar - der Rückschluss zu ziehen, dass sämtliche behördliche Maßnahmen das Vorliegen einer – im hiesigen Fall des Klägers nicht gegebenen – intrinsischen Gefahr voraussetzen. Auch die weiteren unter Ziff. 1 angesprochenen Fälle, für die Versicherungsschutz gewährt wird, nämlich für entstehende Betriebsunterbrechungsschäden aufgrund einer fehlenden Zuweisung von Betreuten/Bewohner durch zuweisende Kostenträger oder einer fehlenden Zuweisung von Patienten durch zuweisende Kliniken und Ärzten aufgrund des Ausbrauchs einer meldepflichtigen Krankheit oder Infektion, setzen die Verwirklichung einer intrinsischen Gefahr voraus.
134Unter Ziff. 3.1 der Besonderen Bedingungen wird ferner explizit der Fall als vom Versicherungsschutz erfasst bezeichnet, dass Empfehlungen der nach dem IfSG bzw. der gemäß den auf der Grundlage des IfSG erlassenen landesrechtlichen Vorschriften zuständigen Behörden zu Entwesungen von Gebäuden bzw. zur Beseitigung von Schädlingen und Parasiten gegeben werden und hierdurch Betriebsunterbrechungsschäden und Mehrkosten entstehen. Diese Regelung lässt deutlich erkennen, dass Versicherungsschutz nur in den Fällen greifen soll, in denen eine Gefahrenquelle im Betrieb des Versicherungsnehmers besteht, über welche er die zuständige Behörde zu informieren hat.
135Den – vom LG Ravensburg in o.g. Entscheidung ebenfalls explizit angesprochenen – Regelungen unter Ziff. 3.3. der Besonderen Bedingungen zur empfohlenen, vereinbarten oder angeordneten Kohortenisolation von Patienten und Betreuten sowie unter Ziff. 3.2 zur Entschädigung bei Schließung nur einzelner Teile oder Abteilungen des versicherten Betriebes liegt bei verständiger Würdigung jeweils ebenfalls die Annahme zugrunde, dass Versicherungsschutz nur bei Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden Infektionsgefahr besteht.
136Auch der unter Ziff. 7.4 der Besonderen Bedingungen geregelte Beginn der Haftzeit knüpft an die Meldung der Krankheit/des Erregers oder des entsprechenden Verdachts gegenüber der zuständigen Behörde und der hierauf bezogenen behördlichen Maßnahme an. Da die Meldepflicht damit bereits Grundvoraussetzung für das Vorliegen eines Versicherungsfalles und ihrerseits nur dann anzunehmen ist, wenn eine der zuständigen Behörde zu meldende, aus dem Betrieb herrührende Infektionsgefahr besteht, bildet die Anknüpfung des Beginns der Haftzeit an die Behördenmeldung auch keine Einschränkung der durch die Rahmenvereinbarung einzig angedachten Haftungserweiterung des Beklagten für Fälle gefährlicher Krankheitserreger oder Krankheiten, die nicht im IfSG aufgeführt sind, sowie für sonstige behördliche Maßnahmen, die einen Betriebsunterbrechungsschäden und Mehrkosten nach sich ziehen.
137Insgesamt geht aus den vorliegenden Besonderen Bedingungen, die im Rahmen der Auslegung neben den Allgemeinen Bedingungen zu berücksichtigen sind, ohne Mehrdeutigkeit oder fehlende Klarheit für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich hervor, dass ein Versicherungsschutz nur in den Fällen besteht, in denen im versicherten Betrieb konkret eine Infektionsgefahr besteht.
138Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang das Urteil des OLG Köln vom 01.03.2022 (Az.: 9 U 162/21 – juris) zitiert, ist dem Kläger insofern zuzustimmen, als das OLG Köln die Verwirklichung einer intrinsischen Gefahr nicht als erforderlich ansieht. Den insoweit maßgeblichen Entscheidungsgründen ab Rn. 94 lässt sich jedoch entnehmen, dass das OLG sein gefundenes Auslegungsergebnis in Anknüpfung an die höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH lediglich – insoweit nachvollziehbar – mit den in den AVB-BS enthaltenen Regelungen begründet. Dass es im Rahmen der Auslegung auch die Vorschriften aus den Besonderen Bedingungen berücksichtigt hat, lässt sich dem Urteil hingegen nicht entnehmen.
139Soweit der Kläger in der Replik sowie dessen Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung weiter darauf abstellen, dass es einer intrinsischen Gefahr deshalb nicht bedürfe, weil nach der Rahmenvereinbarung und den Besonderen Bedingungen eine Besserstellung gegenüber den AVB-BS habe erreicht werden sollen und ein Verbot der Schlechterstellung (vgl. Ziff. 7 der Rahmenvereinbarung, Anl. K 4, Bl. 69 ff. d.A.) gelte, verfängt dies letztlich ebenfalls nicht. Denn dass die Beklagte bedingungsgemäßen Versicherungsschutz nur bei Verwirklichung einer betriebsinternen Gefahr gewähren will, ergibt – auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar – eine Auslegung der AVB-BS unter Berücksichtigung der Besonderen Bedingungen (s.o.). Im Lichte des so zu definierenden Versicherungsschutzes stellen sich die durch die zwischen dem Beklagten und der H.-Versicherung geschlossene Rahmenvereinbarung für die Betriebsschließungs-Versicherung einbezogenen Besonderen Bedingungen auch tatsächlich als eine Besserstellung gegenüber den Regelungen in den AVB-BS dar. Denn Versicherungsschutz soll auch z.B. bei sonstigen, in den AVB-BS nicht genannten Krankheiten und Krankheitserreger gewährt werden und Leistungen wegen Betriebsunterbrechungsschäden auch bei anderen als den in den AVB-BS genannten behördlichen Maßnahmen (Kohortenisolation, fehlende Zuweisung von Betreuten/Patienten/Bewohnern durch zuweisende Kostenträger oder Kliniken und Ärzte; Schäden nach Umsetzung eines abgestimmten Hygieneplans) erfolgen (s.o.).
140Würde man das nach Auslegung ausschließlich der AVB-BS sich lediglich aufgrund der Unklarheitenregelung ergebende Auslegungsergebnis in Bezug auf das Erfordernis einer intrinsischen Gefahr mit der in den Besonderen Bedingungen enthaltenen Erweiterung des Versicherungsschutzes kombinieren, ohne zugleich das in den Besonderen Bedingungen deutlich zum Ausdruck gekommene Erfordernis der Notwendigkeit einer intrinsischen Gefahr kombinieren, käme dies einem „unzulässigen Rosinenpicken“ gleich. Die Argumentation des Klägers, mit der Entscheidung des BGH vom Urt. vom 26.01.2022 (Az.: IV ZR 144/21, NJW 2022, 872) sei höchstrichterlich entschieden, dass es für das Vorliegen eines bedingungsgemäßen Versicherungsfalls keiner intrinsischen Gefahr bedürfe und damit Versicherungsschutz nach den AVB-BS anzunehmen sei, lässt unberücksichtigt, dass das Vertragswerk zeitlich vor der Entscheidung des BGH datiert (Stand 01/2020) und die Frage nach den notwendigen Voraussetzungen zur Annahme eines bedingungsgemäßen Versicherungsschutzes nur unter ergänzender Beachtung der Besonderen Bedingungen, über die der BGH gerade nicht zu entscheiden hatte, zu beantworten ist.
141Im Übrigen entspricht nur eine das Erfordernis einer intrinsischen Gefahr berücksichtigende Auslegung dem wohlverstandenen – und auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbaren – Interesse der Beklagten. Den widerstreitenden Interessen zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer - nämlich dem Interesse des Versicherungsnehmers an einem möglichst umfassenden Versicherungsschutz einerseits und dem berechtigten Interesse des Versicherers, das zu versichernde Risiko in einem für ihn erträglichen und kalkulierbaren Rahmen zu halten und einen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses beurteilbaren Vertragsinhalt zu vereinbaren – hat der Beklagte insofern angemessen Rechnung getragen, als er zwar unter Ziff. 3.1 der Besonderen Bedingungen zugunsten des Klägers als Versicherungsnehmer den Versicherungsschutzes über den abschließenden Katalog der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Nr. 2 AVB-BS auch auf „sonstige Krankheitserreger“, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unbekannt waren, erweitert hat, eine Einstandspflicht aber – wie sich aus einer Gesamtbetrachtung des vollständigen Bedingungswerkes eindeutig ergibt – im Gegenzug an das Erfordernis der Verwirklichung einer intrinsischen Gefahr geknüpft hat. Dass der Kläger als Versicherungsnehmer i.S.d. von ihm vertretenen Auslegung an einem umfassenden Versicherungsschutz und der Erstreckung auf die Pandemiefolgen interessiert ist, ist zwar richtig und für sich gesehen nachvollziehbar, vermag aber an dieser Auslegung nichts zu ändern. Denn dass die Beklagte Versicherungsschutz bei behördlich angeordneten Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Auftreten von im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages noch unbekannten Krankheiten und Krankheitserreger gewähren wollte, ohne die Einstandspflicht auf intrinsische Gefahren zu begrenzen, gibt eine Auslegung der vertraglichen Regelungen unter Berücksichtigung insbesondere der Besonderen Bedingungen verständigerweise nicht her. Auch einem durchschnittlichen und um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer wird vielmehr mit der erforderlichen Klarheit deutlich vor Augen geführt, dass eine Ausweitung auf künftige, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch gänzlich unbekannte Krankheiten und Krankheitserreger nur unter der gleichzeitigen Voraussetzung der Verwirklichung einer intrinsischen Gefahr gewollt war. Denn nur insoweit war dem Beklagten als Versicherer eine angemessene Kalkulation des Gefahrenpotentials bei Vertragsschluss und bei Bemessung von Versicherungsumfang und -prämien möglich. Die von dem Kläger befürwortete Auslegung liefe letztlich auf eine uferlose Haftung des Beklagten sowie darauf hinaus, das unternehmerische und allgemeine Lebensrisiko vollständig dem Versicherer aufzubürden.
1423.
143Nach § 1 Nr. 1 a) AVB-BS i.V.m. Ziff. 3.1 der Besonderen Bedingungen leistet der Beklagte Entschädigung, wenn die zuständige Behörde auf Grund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz IfSG) beim Auftreten sonstiger Krankheitserreger (s.o.) den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt.
144Die Werkstätten des Klägers waren aber nicht geschlossen.
145Ausweislich der vom Kläger vorgelegten Allgemeinverfügungen der Städte D und C sowie der CoronaBetrVO wurde – im Wesentlichen inhaltlich übereinstimmend – angeordnet, dass die Träger tagesstrukturierender Einrichtungen der Eingliederungshilfe (u.a. auch Werkstätten, insbesondere für Menschen mit Behinderungen) den Zutritt für Nutzerinnen und Nutzer ab dem 19.03.2020 zu versagen haben. Ausgenommen von dem Betretungsverbot sind hingegen Nutzerinnen und Nutzer, die im eigenen häuslichen Umfeld untergebracht sind und deren Betreuungs- oder Pflegeperson eine unverzichtbare Schlüsselperson ist. Die Pflege und / oder Betreuung soll erfolgen, sofern eine private Betreuung insbesondere durch Familienangehörige oder die Ermöglichung flexibler Arbeitszeiten und Arbeitsgestaltung (bspw. Homeoffice) nicht gewährleistet werden kann. Weiter ausgenommen sind diejenigen Nutzerinnen und Nutzer, deren pflegerische oder soziale Betreuung für den Zeitraum, in dem sie sich normalerweise in einer WfbM (Werkstatt für behinderte Menschen) aufhalten, nicht sichergestellt ist. Die Träger der WfbM werden nach den Allgemeinverfügungen und der CoronaBetrVO ebenfalls angehalten, für die betroffenen Personen eine Betreuung im notwendigen Umfang sicherzustellen.
146Danach wird lediglich ein Betretungsverbot für die Nutzerinnen und Nutzer, nicht aber eine Schließung der Werkstätten angeordnet. Entgegen der Auffassung des Klägers ist in dem angeordneten Betretungsverbot weder eine Betriebsschließung noch eine Schließung eines Teils des Betriebes / Abteilung i.S.v. Ziff. 3.2 der Besonderen Bedingungen angeordnet worden.
147Im Einzelnen:
148a)
149Zunächst ist festzuhalten, dass die Regelungen in den AVB-BS und Rahmenvereinbarungen nach ihrer Auslegung behördliche Schließungsanordnungen unabhängig von ihrer Rechtsform erfassen. Aus dem Wortlaut von § 1 Nr. 1 a) AVB-BS ergibt sich nur, dass die „zuständige Behörde“ tätig geworden sein muss. Eine Unterscheidung zwischen verschiedenen öffentlich-rechtlichen Handlungsformen kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer weder dem Wortlaut der Klausel noch ihrem Sinn und Zweck entnehmen (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 18.01.2023, IV ZR 465/21, NJW 2023, 684). Entgegen der Auffassung des Beklagten ist es für den vorliegenden Fall daher unschädlich, dass zunächst hinsichtlich einiger der von dem Kläger aufgeführten Betriebe (nur) Allgemeinverfügungen ergangen sind.
150b)
151Auf die Rechtmäßigkeit der behördlichen Maßnahme kommt es für die Leistungspflicht des Versicherers nicht an (vgl. nur BGH, a.a.O., NJW 2023, 684, Rn. 22).
152c)
153Der Kammer ist aus diversen Parallelverfahren bekannt, dass mit Allgemeinverfügungen und der CoronaSchVO u.a. der Betrieb von Restaurants und Cafés untersagt wurde. Vorliegend wurde aber keine Schließung der klägerischen Werkstätten, sondern „nur“ ein dahingehendes Betretungsverbot bestimmter Nutzerinnen und Nutzer angeordnet.
154Bereits mit der Formulierung ist somit begrifflich zum Ausdruck gebracht worden, dass verschiedene, nebeneinander stehende behördliche Maßnahmen in Betracht kommen.
155Unter einer Betriebsschließung ist grundsätzlich die vollständige Einstellung des Betriebes zu verstehen. „Geschlossen“ bedeutet „zu“. Bereits der zur Bezeichnung der streitgegenständlichen Versicherung verwendete Begriff der „Betriebsschließungsversicherung“ legt nahe, dass es sich nicht um eine Betriebseinschränkungsversicherung handelt (vgl. OLG Hamburg, Urt. vom 16.07.2021, Az.: 9 U 25/21, BeckRS 2021, 21090).
156Bei einem – zudem nur auf bestimmte Personen beschränkten – Betretungsverbot tritt hingegen schon nach dem Wortlaut kein Betriebsstillstand ein, weil weiterhin die teilweise Aufrechterhaltung des Betriebes möglich ist. Überzeugend führt insoweit der OGH Österreich mit Urt. vom 26.05.2021 (Az.: 7 Ob 88/21y, BeckRS 2021, 16589) – wenngleich zu anderen, durchaus aber vergleichbaren Vorschriften - wie folgt aus:
157„Ein nach §§ 1 und 2 COVID-19-Maßnahmengesetz angeordnetes Betretungsverbot ist aber schon begrifflich etwas anderes als eine (nach den Versicherungsbedingungen erforderliche) Betriebsschließung nach dem EpiG. Eine Schließung des Betriebs nach den Bedingungen F 472 muss zu einem gänzlichen Betriebsstillstand führen, während bei einem Betretungsverbot dem Wortlaut nach grundsätzlich kein solcher Betriebsstillstand eintritt, weil weiterhin die teilweise Aufrechterhaltung des Betriebs möglich ist (zB durch Online-Bestellungen; Abholungen; Zustellungen, Beherbergung von Geschäftsreisenden). Schon ausgehend vom Wortlaut besteht daher ein erheblicher Unterschied zwischen einem Betretungsverbot und einer Betriebsschließung. Darauf, ob sich ein Betretungsverbot für einzelne Betriebe von Versicherungsnehmern faktisch wie eine Betriebsschließung auswirkt, kommt es bei der Auslegung der vereinbarten Bedingungslage (vereinbartes Risiko) hingegen nicht an.“
158[Hervorhebungen durch die Kammer]
159Da hier lediglich ein behördlich angeordnetes Betretungsverbot vorliegt, kommt die Annahme einer bedingungsgemäßen vollständigen Betriebsschließung schon aus diesem Grund nach den o.g. Gründen nicht in Betracht.
160d)
161Unstreitig gab zudem kein behördlich angeordnetes Betretungsverbot für die eigenen Angestellten und die in den Einrichtungen im Wege der Notbetreuung gleichwohl zu betreuenden Personen. Es ist „lediglich“ der Zugang zu den Werkstätten für die behinderten Nutzerinnen und Nutzer behördlich untersagt worden, wobei zugleich das Vorhalten einer Notbetreuung verlangt wurde.
162Die vorliegende Situation ist nach Auffassung der Kammer mit der nicht als Betriebsschließung anzusehenden Notbetreuung in einer Kita durchaus vergleichbar. Das OLG München führt mit Beschluss vom 20.07.2021 (Az.: 25 U 5794/20, BeckRS 2021, 19490) hierzu wie folgt aus:
163„Das ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut, der bei der Schließung auf die behördliche Anordnung abstellt. Trifft eine Behörde Anordnungen, die nicht schlechthin die Schließung eines Betriebs verlangen, sondern ihn lediglich Einschränkungen unterwerfen, wäre es ungenau und unzutreffend zu sagen, die Behörde habe den Betrieb geschlossen […] Vor allem aber verlangen Sinnzusammenhang und Zweck des Bedingungswerks, dass bloße Betriebseinschränkungen, mögen sie auch von Gewicht sein, nicht als „teilweise Betriebsschließung“ einer echten Schließung gleichgestellt werden.
164[…]
165Die Kindertagesstätte der Klägerin war nicht vollständig geschlossen, sondern während des gesamten fraglichen Zeitraums im Rahmen der unstreitig durchgeführten Notbetreuung weiter geöffnet. Von Personal der Klägerin wurden Kinder in Gruppen betreut. Auch die Küche wurde weiterhin betrieben.
166bb) Es kann dahinstehen, ob und unter welchen näheren Voraussetzungen eine auf behördliche Anordnungen gegen den Betrieb zurückzuführende „faktische Betriebsschließung“ einer behördlich angeordneten, vollständigen Schließung des Betriebs gleichkommen kann. Eine solche Gleichstellung ist jedenfalls unter den Umständen des Streitfalls nicht geboten, weil nach den Feststellungen des Landgerichts der Betrieb weiterhin geöffnet blieb und noch nennenswerte Einnahmen erbrachte. In einem solchen Fall kann es dem beklagten Versicherer nach Treu und Glauben nicht verwehrt sein, sich auf die fehlende Betriebsschließung zu berufen.
167[…]
168Die Notbetreuung stellt in erster Linie einen quantitativen Unterschied zum Normalbetrieb einer Kindertagesstätte dar, ein „Weniger“ an Betrieb, aber nicht etwas gänzlich anderes. Am selben Ort wie im Normalbetrieb wird unter Einsatz derselben Mittel demselben Leistungsinteresse der Nutzer nachgekommen, wenn auch möglicherweise in geringerem Umfang, was etwa Räumlichkeiten, Personal und Anzahl betreuter Kinder betrifft.“
169[Hervorhebungen durch die Kammer]
170So liegt es auch hier.
171Eine Schließung der Werkstätten ist weder behördlich angeordnet noch von dem Kläger selbst vollzogen worden. Vielmehr hat der Kläger seinem eigenem Vortrag zufolge die Produktion in den Werkstätten – wenn auch im geringeren Umfang („Rumpfbetrieb“) – mit den im Rahmen der Notbetreuung zu betreuenden Nutzerinnen und Nutzern unter Einhaltung von bestimmten Maßnahmen sowie insbesondere mit den eigens zur Aufrechterhaltung des Rumpfbetriebes eingesetzten Betreuungspersonals aufrechterhalten.
172Es hat keine öffentlich-rechtliche Anordnung einer vollständigen Betriebsschließung gegeben. Die Betriebe des Klägers durften in stark reduziertem Umfang weiterbetrieben werden und sind auch tatsächlich nicht geschlossen gewesen, zumal der Kläger selber vorträgt, dass eine in Abzug zu bringende Ersparnis von Aufwendungen im Hinblick auf Personal- und sonstige Sachkosten deshalb nicht in Betracht komme, weil die Gebäudeteile und Räumlichkeiten nicht leergestanden hätten, sondern weiterhin mit der Folge genutzt worden seien, dass die komplette Infrastruktur, Gebäude- und Fixkosten einschließlich Materialkosten weiterhin angefallen seien.
173Die Werkstätten als solche – soweit sie bzw. die hierüber erfolgte Produktion überhaupt als abgrenzbare Abteilung oder Teil des Betriebes i.S.v. Ziff. 3.2 der Besonderen Bedingungen anzusehen sind – waren also in tatsächlicher Hinsicht gar nicht (vollständig) geschlossen; ihr Betrieb wurde nur in veränderter Form und geringerem Umfang aufrechterhalten.
174Das angeordnete grundsätzliche Betretungsverbot der Werkstätten für die Nutzerinnen und Nutzer ist daher allenfalls als eine nicht vom Versicherungsschutz umfasste Betriebseinschränkung zu qualifizieren. Dass bei Kindertageseinrichtungen (s.o.) anders als bei Werkstätten keine Produktionserlöse erzielt werden, vermag an der rechtlichen Beurteilung nichts zu ändern. Denn darauf, ob sich ein Betretungsverbot für einzelne Betriebe von Versicherungsnehmern faktisch wie eine Betriebsschließung auswirkt, kommt es bei der Auslegung der vereinbarten Bedingungslage zum versicherten Risiko gerade nicht an.
175e)
176Das vom Kläger zitierte und zu den hiesigen Versicherungsbedingungen ergangene Urteil des OLG Köln vom 01.03.2022, (Az.: 9 U 162/21 – juris) stellt für den dort streitgegenständlichen Versicherungsfall, der in der Einstellung des Unterrichtsbetriebes auch der Klägerin – die dortige Klägerin bot Aus- und Fortbildungen von Mitarbeitenden verschiedener Einrichtungen des Gesundheitswesens an und betrieb ein überregionales Tagungshaus inkl. Gastronomie und Übernachtungsmöglichkeiten für die Teilnehmer – zu sehen war, entscheidend darauf ab, dass dieser jedenfalls als Teil vollständig nicht mehr erfolgt sei, was für eine Teilschließung nach der dortigen Ziff. 3.2 der Besonderen Bedingungen als ausreichend erachtet wurde.
177Dieser Sachverhalt ist mit der Aufrechterhaltung der Produktion der Werkstätten jedenfalls im Rahmen einer Notbetreuung indes nicht vergleichbar.
178Soweit nach Ziff. 3.2 der Besonderen Bedingungen eine Schließung auch nur einzelner Teile oder Abteilungen des versicherten Betriebes als vom Versicherungsschutz erfasst wird, liegt eine solche ausnahmsweise versicherte (vollständige) Teilschließung hier ebenfalls nicht vor.
179Denn schon nach dem eigenen Vortrag des Klägers wurde die Produktion im Rahmen der Notbetreuung von Nutzerinnen und Nutzern, deren pflegerische oder soziale Betreuung für den Zeitraum, in dem sie sich normalerweise in einer WfbM aufhalten, nicht sichergestellt oder deren private häusliche Betreuung/Pflege durch eine Schlüsselperson nicht gewährleistet ist, sowie mit dem nicht anderweitig zu beschäftigenden Betreuungspersonal – wenn auch in geringem Umfang – aufrechterhalten. Eine vollständige tatsächliche Schließung der Werkstätten als Teil oder Abteilung der Einrichtungen ist damit nicht gegeben (s.o.).
180Dass die vollständige Schließung der Werkstätten (als Teil oder Abteilung des Betriebes) behördlich angeordnet gewesen wäre, ergibt sich auch nicht in Ansehung des § 4 Abs. 4 der CoronaBetrVO. Daraus ergibt sich auch keine vorgeschriebene Unterbringung der Personen in Wohneinrichtungen, vielmehr „soll“ lediglich insoweit mit Anbietern von Wohneinrichtungen zusammengearbeitet werden.
1814.
182Dahinstehen kann schließlich auch die Frage, ob ein Anspruch auf bedingungsgemäße Versicherungsleistungen unter dem Gesichtspunkt einer sog. „faktischen Betriebsschließung“ gegeben sein kann.
183Wollte man die Rechtsfigur einer „faktische Betriebsschließung“ überhaupt ausreichen lassen, stellt sich dann die Frage, ob und wann eine Betriebseinschränkung wegen ihrer Auswirkungen einer angeordneten Betriebsschließung gleichgesetzt werden könnte. Für die darin enthaltene Frage der wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Versicherten wäre es erheblich, in welchem Umfang und zu welchem Anteil der Versicherte seine auf den versicherten Betrieb zurückzuführenden Einkünfte durch die Betriebseinschränkung verliert (vgl. OLG München, Beschl. vom 20.07.2021, Az.: 25 U 5794/20, BeckRS 2021, 19490).
184Nach Auffassung der Kammer ist eine solche faktische Schließung der klägerischen Werkstätten aber nicht anzunehmen.
185Das OLG Karlsruhe führt zur Frage einer faktischen Betriebsschließung in einem Urteil vom 30.06.2021 (Az.: 12 U 4/21 - juris) zwar aus, dass der Umstand, dass weiterhin in geringem Umfang eine geschäftliche Tätigkeit möglich gewesen sei, die Annahme eines bedingungsgemäßen Versicherungsfalles nicht grundsätzlich ausschließe. Entscheidend sei vielmehr, ob sich die behördliche Anordnung im konkreten Fall auch faktisch wie eine Betriebsschließung ausgewirkt habe, was auch z.B. bei einer begrenzten Beherbergung von Geschäftsleuten in einem Hotel oder dem Außer-Haus-Verkauf von Speisen durch ein Restaurant im Einzelfall noch angenommen werden könne.
186In einem weiteren Urteil vom 05.10.2021 (Az.: 12 U 107/21 – juris) hat das OLG Karlsruhe die Voraussetzungen einer faktischen Betriebsschließung bei einem im 2. Lockdown eingeführten Außer-Haus-Verkauf einer Gaststätte dahingehend konkretisiert, dass eine faktische Betriebsschließung anzunehmen sei, wenn die ausgeübte Tätigkeit zuvor nur eine ganz untergeordnete Bedeutung hatte und damit auch nur ein derartig geringfügiger Umsatz erzielt worden sei, dass die Fortführung des Betriebs mit einem Außer-Haus-Verkauf nach Inkrafttreten der Corona-Verordnung nicht mehr als teilweise Aufrechterhaltung des Betriebes gewertet werden könne.
187Aufgrund des bereits angesprochenen bedingungsgemäßen Wortlauts, der von Schließung spricht (s.o.), kann eine faktische Schließung allenfalls nur dann vorliegen, wenn der Betrieb in gänzlich unerheblichen Umfang fortgesetzt wird (vgl. LG München I, Urt. vom 17.09.2020, Az.: 12 O 7208/20). Wann ein solcher Umfang vorliegt, ist unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Belange der Beteiligten und des Grundsatzes von Treu und Glauben von Fall zu Fall entscheiden (vgl. LG Mannheim, Urt. vom 29.04.2020, Az.: 11 O 66/20- juris). In der Literatur sind hierzu Umsatzeinbrüche von 90 % bis 95 % vorgeschlagen worden (vgl. Fortmann, Anmerkung zu LG Mannheim, Urteil vom 29.04.2020 – 11 O 66/20, r+s 2020, 338 (342)); ähnlich wohl auch Armbrüster in: Prölss/Martin FBUB Anh. (BSV) Rn. 3). In bisher bekannten Entscheidungen, in denen die Gerichte eine faktische Betriebsschließung bejaht haben, lagen die erzielten Umsätze bei maximal bei 5 % des regulären (Vorjahres-) Gesamtumsatzes, sodass jeweils ein wirtschaftlich erheblicher Umsatzeinbruch aufgrund der angeordneten Schließung angenommen wurde:
188 OLG Karlsruhe, Urt. vom 30.06.2021 (Az.: 12 U 4/21): 2,8 % des beherbergungsbezogenen Umsatzes
189 OLG Karlsruhe, Urt. vom 05.10.2021 (Az.: 12 U 107/12): 1,3 % des Umsatzes
190 LG München I, Urt. vom 22.10.2020 (Az.: 12 O 5868/20): 1,96 Promille des Umsatzes
191 LG München I, Urt. vom 20.04.2021 (Az.: 12 O 15984/20): 0,44 % des Umsatzes
192 LG Hannover, Urt. vom 01.02.2021 (Az.: 19 O 163/20): 5 % des Umsatzes
193Gemessen an diesem Maßstab lag im Falle des Klägers keine faktische Betriebsschließung vor, weil er den ihm möglichen Produktionsbetrieb in den Werkstätten mit den im Rahmen der Notbetreuung tätigen Nutzerinnen und Nutzer sowie den zur Aufrechterhaltung eines „Rumpfbetriebes“ abgestellten Betreuungspersonal jedenfalls in einem nicht unerheblichen Umfang weitergeführt hat, was der Wertung als faktische Betriebsschließung entgegensteht.
194Ein derartig deutlicher Einbruch – vergleichbar mit den Umsatzeinbrüchen in den o.g. Entscheidungen – war bei dem Kläger ausweislich der von ihm in diesem Zusammenhang selbst genannten Umsatzzahlen aber gerade nicht festzustellen:
195
Nach den eigenen – von dem Beklagten mit Nichtwissen bestritten, hilfsweise aber zu Eigen gemachten – Angaben des Klägers sind im März 2020 im Vergleich zum Vorjahresmonat 79,04 %, im April 2020 40,98 %, im Mai 2020 76,86 % und im Juni 2020 75,72 % an Umsatz erzielt worden.
197Dieses der Berechnung der Klageforderung zugrunde liegende Zahlenwerk rechtfertigt es nach Auffassung der Kammer aber nicht, hier eine – für einen bedingungsgemäßen Versicherungsschutz aber erforderliche – vollständige Betriebsschließung anzunehmen. Es liegt allenfalls eine nicht vom Versicherungsschutz umfasste, gleichwohl spürbare Betriebsbeschränkung vor.
198Dabei kann letztlich dahinstehen, ob – wie der Kläger behauptet – ein wirtschaftlicher Schaden durch einen Produktionsausfall entstanden sei und der Umstand, dass dennoch Umsätze im Produktionsbereich generiert worden seien, allein darauf zurückzuführen sei, dass eingelagerte Eigenprodukte der L.-Werkstatt aus dem Lagerbestand veräußert worden und lediglich buchhalterisch dem Schließungszeitraum zuzuordnen seien.
199Die Kammer vermag hierbei nicht in Abrede zu stellen, dass die Aufrechterhaltung der Produktion in den Werkstätten mit einem „Rumpfbetrieb“ womöglich wirtschaftlich nachteilig gewesen sein mag.
200In welcher Höhe ein Schaden durch den Produktionsausfall in den Werkstätten entstanden ist – allein dieser könnte ja auch nur allenfalls ersatzfähig sein –, ist gleichwohl bereits nicht schlüssig darlegt und lässt sich ohne jeden näheren Vortrag auch nicht den als Anl. K 8 und K 9 zur Akte gereichten betriebswirtschaftlichen Auswertungen aus den Jahren 2019 und 2020 entnehmen.
201Vielmehr werden in den selbst erstellten BWA – und hierauf stellt der für den Schaden darlegungs- und beweisbelastete Kläger bei der Berechnung seiner Klageforderung maßgeblich ab – sämtliche Einnahmen („Umsatzerlöse Eigenprodukte“, „Umsatzerlöse Lohnarbeiten“, „Umsatzerlöse Gestell. Klienten“) aller sieben versicherten Risikoorte ohne jegliche Differenzierung dargestellt.
202Es ist nicht erkennbar, dass tatsächlich nur ein isolierter „Produktionserlös- bzw. -ausfallschaden“ als Versicherungsfall für die Werkstätten als versicherte Risikoorte geltend gemacht wird; die Ausführungen deuten vielmehr – hierauf weist auch der Beklagte zu Recht hin – auf die Geltendmachung eines coronabedingten Gesamtschadens des Gesamtbetriebs hin. Ein substantiierter Vortrag zu den allein durch einen punktuellen Produktionsausfall in den Werkstätten – als allenfalls abgrenzbare Teile des Betriebes – entstandenen Schäden, der womöglich Rückschlüsse auf das Vorliegen einer faktischen Betriebsschließung erlauben würde, erfolgt hingegen gerade nicht.
203Die Kammer sah sich auch nicht veranlasst, dem Kläger von Amts wegen eine weitere Frist zur Stellungnahme i.S.v. § 139 Abs. 5 ZPO einzuräumen und ihm Gelegenheit zu geben, seinen Vortrag zu substantiieren. Zwar darf das Gericht seine Entscheidung auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat oder den es anders beurteilt als beide Parteien, nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Die gerichtliche Hinweispflicht dient der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und besteht grundsätzlich auch gegenüber der anwaltlich vertretenen Partei.
204Zum einen war diesbzgl. Vorbringen des Klägers letztlich nicht entscheidungserheblich, da der Klage auch aus anderen Gründen keine Erfolgsaussichten beizumessen waren (s.o.).
205Zum anderen hat bereits der Prozessbevollmächtigte der Beklagten in der Klageerwiderung vom 07.07.2022 (Bl. 157 ff. d.A.) sowie insbesondere im Schriftsatz vom 10.08.2023 (Bl. 331) aber ausdrücklich auf die fehlende Differenzierung bei den Angaben zur Schadenshöhe und fehlende Angaben zu den – nicht ersatzfähigen – Produktionsausfällen hingewiesen, daher bedurfte es keines weiteren gerichtlichen Hinweises i.S.v. § 139 Abs. 1 ZPO mehr. Ein weiterer Hinweis wäre in diesem Fall auf eine reine Wiederholung und damit auf eine pure Förmelei hinausgelaufen, da der vorherige „anwaltliche“ Hinweis in der bezeichneten Weise klar, verständlich und präzise war und von einer – zudem anwaltlich vertretenen – Partei erwartet werden kann, dass er sich mit dem Vorbringen der Gegenpartei und der von dieser erhobenen Einwänden auseinandersetzt und hierauf in geeigneter Form reagiert (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 22. 7. 2005, Az.: 6 U 132/04, OLG-NL 2005, 206). Dies ist hier nicht erfolgt.
2065.
207Dahinstehen kann nach den vorstehenden rechtlichen Erwägungen ebenfalls, ob die Klage auch deshalb abzuweisen war, weil der Kläger den ihm entstandenen Schaden auf der Grundlage der maßgeblichen Vorschriften der Ziff. 7, 8 der Besonderen Bedingungen bereits nicht substantiiert dargelegt hat, die von ihm selbst erstellten und als Anl. K 8 und K 9 zur Akte gereichten BWA ohne weitere Belege und Nachweise nicht geeignet seien, einen Schaden zu begründen (so auch LG Darmstadt, Urt. vp, 06.07.2023, Az.: 28 O 179/22, Anl. BLD 1, Bl. 346 ff. d.A.; LG Bonn, Urt. vom 16.02.2021, Az.: 10 O 173/20, BeckRS 2021, 15632), und er zudem – so der Beklagte – verpflichtet gewesen wäre, in diesem Zusammenhang die testierten Jahresabschlüsse für das Jahr 2020 sowie die Jahre 2019 und 2021 als Vergleichszeiträume vorzulegen.
208Zweifel an einer schlüssigen Darlegung der Höhe des dem Kläger infolge des angeordneten Betretungsverbots entstandenen Schadens bestehen für die Kammer ferner insofern, als es an schlüssigem Vortrag zur Kausalität fehl.
209Erforderlich ist eine konkrete Schadensberechnung, bezogen auf den Gewinn, der in der Haftzeit hypothetisch hätte erwirtschaftet werden können. Nach Ziff. 8.1 der Besonderen Bedingungen ersetzt der Beklagte Schäden durch Betriebsunterbrechung/ Betriebsschließung, also insbesondere die durch Belegungsausfall oder Belegungsstörung oder Störung der Erzielung sonstiger Einnahmen entgangenen Erlöse, Umsatzeinnahmen und fortlaufenden Kosten abzüglich ersparter Aufwendungen und sonstiger nicht versicherter Kosten bezogen auf den vom Schaden betroffenen Zeitraum, d.h. bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Schließung wieder aufgehoben wird, höchstens bis zum Ablauf der vereinbarten Haftzeit (vgl. Ziff. 7.1, 7.2). Maßgeblich für den ersatzfähigen Schaden ist daher ein Vergleich der tatsächlichen betrieblichen Entwicklung im Haftzeitraum mit der Situation, die in demselben Zeitraum ohne die behördliche Schließung bestanden hätte. Risiken – wie etwa eine bedingt durch die Corona-Pandemie eingebrochene Nachfrage sowie ein coronabedingter Umsatzausfall –, die sich (auch) realisiert hätten, wenn der Betrieb nicht durch die in den Versicherungsbedingungen aufgeführten behördlichen Eingriffe gestört gewesen wäre, müssen daher bei der anzustellenden hypothetischen Geschäftsentwicklung mitberücksichtigt werden (vgl. OLG Köln, Entscheidung vom 31.03.2022, 9 U 150/21, von Beklagtem zitiert auf S. 7 des Schriftsatzes vom 10.08.2023, Bl. 337).
210Soweit der Kläger auf S. 27 im Schriftsatz vom 09.09.2022 (Bl. 232 d.A.) die Ansicht vertritt, zur Kausalität müsse deshalb nicht vorgetragen werden, weil es sich bei der Betriebsschließungsversicherung um ein anderes Produkt (Versicherungsprodukt „sui generis“) als die Betriebsunterbrechungsversicherung handele und daher erhebliche Unterschiede bestünden, ist dies aufgrund der vorstehenden nachvollziehbaren Ausführungen des OLG Köln nicht haltbar. Die Ansicht des Klägers, für die Ermittlung des eingetretenen Schadens käme es ausschließlich auf die Umsätze der vergleichbaren Monate des Vorjahres an und pandemiebedingte Umsatzeinbußen seien nicht zu berücksichtigen, ist mit dem konkreten Wortlaut der Entschädigungsregelung in Ziffer 8.1 der Besonderen Bedingungen nicht zu vereinbaren.
211Vielmehr bedarf es – hier nicht erfolgten – Vortrags dazu, wie sich die wirtschaftliche Situation bzw. Umsatz und Gewinn entwickelt hätten, wenn die Corona-Verordnung und die Allgemeinverfügung nicht erlassen worden wären. Nach Aufhebung der Betretungsverbote erfolgte wirtschaftliche Einbußen dürften nämlich allenfalls Folge der Corona-Pandemie als solcher sein, die jedoch als mittelbare Beeinträchtigung nicht vom Versicherungsschutz umfasst sind.
212II.
213Mangels Hauptforderung besteht auch weder ein Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 4 Prozent vom 18.03.2020 bis zur Rechtshängigkeit noch ein Anspruch auf Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen gem. §§ 291, 288 BGB.
214III.
215Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
216Der Streitwert wird auf 327.939,00 € festgesetzt.