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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Der am 00.00.1981 geborene Kläger begehrt die „Reaktivierung“ eines infolge einer behaupteten Falschberatung gekündigten Lebensversicherungsvertrags aus dem Jahr 2000.
3Der – seinerzeit 19 Jahre alte – Kläger schloss mit der Beklagten – damals noch firmierend unter K. Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft – im Jahre 2000 unter der Versicherungs-Nr.: N01 (mittlerweile aufgrund EDV-Umstellung geändert zu N02) eine (erlebensfallorientierte) Kapitallebensversicherung zu folgenden Konditionen:
4 Versicherungsbeginn: 01.06.2000
5 Monatlicher Beitrag: 54,00 DM bzw. 27,61 €.
6 Beitragszahlungsdauer bis: 31.05.2039
7 Berufsunfähigkeit nicht abgedeckt
8 Todesfallleistung bei Tod vor dem 01.06.2039:
9 bis zum 31.05.2019: 15.164,00 DM
10 ab 01.06.2019: jährlich steigend um 1.498,00 DM
11 ab 01.06.2038: 45.132,00 DM bzw. 23.071,02 €.
12Als bezugsberechtigt im Erlebensfall setzte sich der Kläger persönlich ein; als bezugsberechtigt für die Todesfallleistung wurde der Vater des Klägers, Herr O2., eingesetzt.
13Darüber hinaus war diese Lebensversicherung mit einem Bausparvertrag „C.“ verbunden. Der Bausparvertrag war zinsgünstig und wurde durch Prämien vom Staat gefördert.
14Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Versicherungsschein vom 00.00.2000 sowie das Begleitschreiben vom 00.00.2000 Bezug genommen (Anl. K 2, Bl. 12 ff.d.A.).
15Unstreitig lief diese Versicherung bis in das Jahr 2018 bei ordnungsgemäßer Zahlung des Klägers ohne Beanstandungen, wobei der Vater des Klägers die Versicherungsbeiträge für diesen leistete.
16Ausweislich der dem Kläger jährlich von der Beklagten zur Verfügung gestellten Überschussmitteilung betrug die aktuelle Todesfallleistung 7.804,90 € zum 01.06.2018, die gesamte garantierte Erlebensfallleistung 23.128,01 € zum 31.05.2039 (Anl. B 3, Bl. 116 d.A.).
17Unstreitig fanden jedenfalls am 00.06.2018, 00.06.2018, 00.09.2018, 00.09.2018 sowie am 00.10.2018 Beratungsgespräche zwischen dem Kläger und seiner Familie und dem Vermittler der Beklagten, Herrn Y., statt. Inhaltlich ging es im Gespräch am 00.10.2018 ausweislich des Beratungsprotokolls um eine Änderung des Versicherungsvertrages (Anl. B 4, Bl. 122 ff. d.A.).
18Am 11.10.2018 beantragte der Kläger sodann den Abschluss einer fondsgebundenen Rentenversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu dem Tarif „FRH plus BU3“ über eine Laufzeit von 30 Jahren zu einem monatlichen Gesamtbeitrag in Höhe von 100,21 € zu der Versicherungsscheinnummer: N03. Die Versicherung begann am 01.11.2019 und sollte am 01.11.2048 enden. Als bezugsberechtigte Person im Erlebensfall setzte der Kläger sich persönlich ein und bestimmte seine Eltern als bezugsberechtigt im Todesfall. Die Beklagte policierte die Versicherung mit folgendem Inhalt (vgl. Anl. K 3, Bl. 34 ff. d.A.; Anl. B 11, Bl. 153 ff. d.A.):
19 Versicherungsbeginn: 01.11.2018
20 Vereinbarter Rentenbeginn: 01.11.2048
21 Garantie-Guthaben zum 01.11.2048 nach integriertem Garantieplan; davon abhängig die Höhe der monatlichen Rente
22 Rentengarantiezeit bis: 01.10.2072
23 BUZ bis: 31.10.2048
24 Beitragsbefreiung bei Berufsunfähigkeit
25 Monatlicher Beitrag: 100,21 €
26 Tarif FRH: 85,00 €
27 Tarif BU 3: 15,21 €
28Unstreitig kündigte der Kläger in diesem Zusammenhang die „alte“ Lebensversicherung aus dem Jahr 2000 zum 31.10.2018. Die Beklagte bestätigte die Kündigung unter dem 16.10.2018 zum 31.10.2018 (Anl. B 5, Bl. 128 f. d.A.).
29Die Beklagte bestätigte die Beendigung und Abwicklung der Versicherung unter dem 01.03.2019 (Anl. K 4, Bl. 63 d.A.) Den Rückkaufswert von 6.540,30 € zahlte die Beklagte auf das Konto der Mutter des Klägers aus (Anl. B 6, Bl. 130 d.A.).
30Mit Schreiben vom 12.03.2019 legte der Kläger Beschwerde beim Vorstand der Beklagten unter Hinweis auf vermeintliche Beratungsfehler des Vermittlers Y. ein und trat von der fondsgebundenen Rentenversicherung zurück (Anl. B 14, Bl. 188 ff. d.A.).
31Mit Schreiben vom 17.04.2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass für sie ein Beratungsfehler nicht ersichtlich sei. Sie stimmte der gewünschten Rückabwicklung des Vertrages nicht zu (Anl. B 15, Bl. 191 d.A.).
32Unter dem 29.07.2019 kündigte der Kläger sodann die fondsgebundene Rentenversicherung (Anl. B 16, Bl. 192 d.A.), woraufhin die Beklagte dem Kläger die Kündigung bestätigte.
33In der Folgezeit bat die Beklagte den Kläger mehrfach um Mitteilung einer Bankverbindung, zu welcher der Rückkaufswert der fondsgebundenen Rentenversicherung nach der wirksam erfolgten Kündigung ausgezahlt werden sollte (vgl. Anl. B 17, Bl. 198 ff. d.A.; Anl. B 19. Bl. 203 f. d.A.).
34Unter dem 05.09.2019 teilte die Beklagte dem Kläger den sich aus ihrer Sicht ergebenden Sachverhalt mit und hielt an ihrer Auffassung fest, dass keine Falschberatung vorgelegen habe.
35Nachdem der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 29.07.2021 (Anl. B 22, Bl. 208 ff. d.A.) unter Hinweis auf eine Falschberatung die Anfechtung seiner Willenserklärung betreffend die Kündigung der im Jahre 2000 abgeschlossenen Lebensversicherung und des im 2018 erfolgten Abschlusses des Rentenversicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung erklärt und die Beklagte unter dem 04.08.2021 Ansprüche zurückgewiesen hatte, verfolgt der Kläger sein Begehren nunmehr im Klagewege weiter.
36Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die „Reaktivierung“ bzw. „Wiederinkraftsetzung“ des im Jahre 2000 geschlossenen und im Jahre 2018 im Zuge der Beratungen gekündigten „alten“ Lebensversicherungsvertrages.
37Er trägt hierzu vor, dass der Kündigung ein Gespräch insbesondere am 00.10.2018 mit dem Vermittler der Beklagten, Herrn Y., vorangegangen sei und dieser ihm zur Kündigung der alten Versicherung und zum Abschluss der Rentenversicherung geraten habe. Der Kontakt zu Herrn Y. sei durch einen anderen Vermittler der Beklagten, Herrn Q., zustande gekommen, der ihn, den Kläger, in Baufinanzierungsfragen berate.
38Herr Y. habe die Kündigung der Altversicherung aus dem Jahre 2000 und den Abschluss einer fondsgebundenen Rentenversicherung empfohlen. Herr Y. habe hierzu erklärt, dass es sich bei der Rentenversicherung um ein zeitgemäßes Produkt zum Zwecke der Altersvorsorge handele, während die im Jahr 2000 abgeschlossene Lebensversicherung nicht mehr zeitgemäß sei. Die neue, durch den Versicherungsvermittler angebotene Versicherung sei „das bessere Produkt“.
39Herr Y. habe ihn, den Kläger, in diesem Zusammenhang aber nicht darauf hingewiesen, dass
40 es sich bei dem alten Lebensversicherungsvertrag um einen steuerprivilegierten, vor dem 1. Dezember 2004 abgeschlossenen Vertrag handele, bei dem die entsprechenden Auszahlungsleistungen steuerfrei seien, was bei der neu abgeschlossenen fondsgebundenen Rentenversicherung hingegen nicht der Fall sei;
41 die neu abgeschlossene fondsgebundene Rentenversicherung im Gegensatz zu der im Jahre 2000 abgeschlossenen kapitalbildenden Lebensversicherung keine Mindest-Todesfallleistung enthalte, worauf es ihm, dem Kläger, aber besonders angekommen sei, da er für seine Ehefrau und drei gemeinsame Kinder unterhalts- und versorgungspflichtig sei;
42 bzgl. der im Jahr 2000 abgeschlossenen kapitalbildenden Lebensversicherung ein Garantiezins in Höhe von 4 % vereinbart gewesen sei, wohingegen die fondsgebundene Rentenversicherung vergleichbares nicht enthalte.
43Der Kläger meint, dass der Vermittler hierdurch gegen seine Pflichten aus §§ 62 Abs. 1, 61 Abs. 1 VVG verstoßen habe. Die Beklagte sei daher gem. § 63 S. 1 VVG zum Schadensersatz verpflichtet, weil dieser die Verstöße des Herrn Y. gem. § 278 BGB zuzurechnen seien. § 61 VVG enthalte beratungsbezogene Pflichten des Vermittlers mit dem Ziel, im Interesse des Kunden eine sachgerechte Beratung zu erreichen. Letztlich geht es darum, den Kunden durch gezielte Informationen in die Lage zu versetzen, eine privatautonome Entscheidung auf hinreichender Informationsbasis treffen zu können.
44Detaillierte Informationen über das betreffende Produkt, das er, der Kläger, im Oktober 2018 aufgrund der Vermittlung durch Herrn Y. abgeschlossen habe, habe er vor Unterzeichnung des entsprechenden Vertrages aber zu keinem Zeitpunkt erhalten. Eine gesonderte schriftliche Verzichtserklärung gemäß § 60 Abs. 2 VVG habe er auch nicht abgegeben.
45Darüber hinaus hafte die Beklagte auch gem. § 6 Abs. 5 VVG i.V.m. § 6 Abs. 1, Abs. 2 VVG. Die Beklagte habe gegen Abs. 1 verstoßen, weil er nicht angemessen nach seinen Bedürfnissen und Wünschen gefragt worden sei. Es liege auch ein Verstoß gegen Abs. 2 vor, da ihm der Rat und die Gründe hierfür nicht klar und verständlich vor Vertragsabschluss in Textform übermittelt worden seien.
46Der Kläger meint ferner, dass in seinem vorgerichtlichen Schreiben vom 00.03.2019, in dem er deutlich gemacht habe, falsch beraten oder sogar getäuscht worden zu sein und von seinen Rechten Gebrauch machen zu wollen, konkludent „der Rückabwicklungswunsch bzw. eine Anfechtung wegen Täuschung zu sehen“ sei.
47Der Kläger beantragt,
481. festzustellen, dass die bei der Beklagten geführte Lebensversicherung vom 20.06.2000 (Versicherungs-Nr. N04; Versicherungsbeginn: 01.06.2000) zu den im Versicherungsschein genannten Bedingungen weiter fortbesteht;
492. die Beklagte zu verurteilen, ihn von den außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten der I. mbB in Höhe von 1.375,88 € freizustellen.
50Die Beklagte beantragt,
51die Klage abzuweisen.
52Die Beklagte trägt zum Inhalt und Ablauf der Gespräche wie folgt vor:
53Jedes Beratungsgespräch habe länger als 90 Minuten gedauert und sei auf Wunsch des Klägers und seiner Familie immer am frühen Abend mit offenem Ende abgehalten worden.
54Bei den ersten Gesprächen zwischen den Parteien sei es zunächst darum gegangen, den Kläger und seine Familie, seinen Bedarf sowie seine Lebensumstände kennen zu lernen, um weitere Maßnahmen zu erkennen. Während dieser dreimonatigen Beratungsphase hätten sehr viele Abgleich-Gespräche auch mit Herrn Q. stattgefunden, um die Gesamtsituation genau zu bewerten.
55Bei den Gesprächen sei deutlich geworden, dass der Kläger nicht „Alleinentscheider“ gewesen sei, sondern er finanzielle Entscheidungen immer in Absprache mit seinem Vater treffen werde. Daher sei der Vater des Klägers auch auf Wunsch des Mitarbeiters Y. bei den Gesprächen mit anwesend gewesen. In diesen Gesprächen habe der Vater des Klägers den Wunsch geäußert, weniger Beiträge zu bezahlen. Diesem Wunsch entsprechend habe der Mitarbeiter Y. die Situation des Klägers geprüft, die sich Mitte 2018 – unstreitig – wie folgt dargestellt habe:
56 Mitte des Jahres 2018 habe der Vater des Klägers ein Zwei-Familien-Haus bewohnt, wobei eine Wohneinheit fremdvermietet gewesen sei. Der Kläger selbst habe mit seiner Familie eine weitere eigengenutzte Immobilie (Einfamilienhaus) bewohnt und habe das Elternhaus übernehmen sollen.
57 Während der Gespräche seien die Parteien auf den Nutzen einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu sprechen gekommen. Aufgrund der dem Mitarbeiter Y. vorliegenden Informationen habe sich die Frage nach dem Nutzen der Berufsunfähigkeitsversicherung und der Höhe der Rente gestellt, sodass nach längeren Überlegungen die Entscheidung gereift sei, eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen.
58Während der Beratungsgespräche seien mit dem Kläger und seiner Familie verschiedene Modelle des Neuabschlusses besprochen worden, wobei über eine Index-Police und eine fondsgebundene Rentenversicherung (V.) gesprochen worden sei. Beide Modelle seien dem Kläger und seiner Familie exemplarisch durch den Mitarbeiter Y. erläutert und am Laptop simuliert worden.
59Im Beratungstermin vom 00.10.2018 sei dann der Antrag auf Abschluss einer neuen Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitszusatzversicherung in Form einer fondsgebundenen Rentenversicherung gestellt worden, den sie, die Beklagte, im Folgenden auch angenommen habe.
60Während der Beratungsgespräche sei auch über die alte Kapitallebensversicherung aus dem Jahre 2000 gesprochen worden. Auch insoweit sei über deren Funktionalität gesprochen worden. Als Resultat habe sich hierbei ergeben, dass Versicherungsleistungen Geld kosteten, hier insbesondere die versicherte Todesfallsumme. Unter der Prämisse, Geld einsparen zu wollen, habe der Kläger sich sodann zur Kündigung der Kapitallebensversicherung entschieden.
61Der Vater des Klägers habe sogar persönliche Verwendung für den Rückkaufswert gehabt. Da der von dem Mitarbeiter Y. hierzu unterbreitete Vorschlag, den Rückkaufswert in den Bausparvertrag mit einfließen zu lassen, um weitere finanzielle Vorteile genießen zu können, jedoch von Seiten des Klägers abgelehnt worden sei, sei der Rückkaufswert sodann wunschgemäß auf das Konto der Mutter des Klägers, Frau O3., ausgezahlt worden.
62Die Beklagte ist der Ansicht, dass ein Beratungsverschulden des Mitarbeiters Y. nicht gegeben sei.
63Die Kündigung der Lebensversicherung Nr. N04 und der Abschluss der neuen fondsgebundenen Rentenversicherung hätten vielmehr dem Wunsch und auch dem wohlverstandenen Interesse des Klägers entsprochen. Jeder Schritt sei ausführlich mit dem Kläger und seiner Familie besprochen worden.
64Hierfür maßgeblich sei der Wunsch des Vaters des Klägers, der sämtliche Entscheidungen getroffen habe, nach geringeren Beiträgen für Versicherungsleistungen gewesen. Herr Y. habe daraufhin geprüft, wie man einen zweckmäßigen Versicherungsschutz mit gleichzeitig reduzierten Beiträgen herstellen könne.
65Aufgrund der vorhandenen – zum Teil vermieteten – Immobilien und der in Aussicht stehenden Erbschaft des Klägers bzw. die Übernahme der Immobilien seines Vaters habe festgestanden, dass der Kläger künftig Einnahmen unabhängig von einer Berufstätigkeit erzielen werde. Der Versorgungsgedanke hinsichtlich etwaiger Hinterbliebener des Klägers habe bei diesem hingegen nicht im Vordergrund gestanden: Bereits in der gekündigten Lebensversicherung Nr. N04 sei als Bezugsberechtigter für den Todesfall Herr O2. mit einer Mindestversicherung von rund 15.000,00 DM vorgesehen gewesen. Da der Vater des Klägers auf die Lebensversicherungsleistung ersichtlich nicht angewiesen gewesen sei, habe es keinen Sinn ergeben, insoweit Versicherungsbeiträge aufzubringen.
66Demgegenüber sei es vielmehr zweckmäßig gewesen, die Chancen aus einer fondsgebundenen Lebensversicherung für den Erlebensfall des Klägers zu bevorzugen. Zudem habe der Kläger auch bzgl. der neu abgeschlossenen fondsgebundenen Rentenversicherung offensichtlich keinen Bedarf gesehen, seine Familie für den Todesfall abzusichern, da als Bezugsberechtigte für den Todesfall seine Eltern eingesetzt worden seien.
67Ein vom Kläger gewünschter Berufsunfähigkeitsschutz sei von der im Jahre 2000 geschlossenen Kapitallebensversicherung ebenfalls nicht umfasst gewesen.
68Unter Berücksichtigung dieser Umstände sei nicht ersichtlich, weshalb bei einem Gesamtvermögensvergleich die Chancen des Klägers, aufgrund der fondsgebundenen Rentenversicherung einen höheren Betrag im Erlebensfall zu erzielen, geringer zu bewerten seien als die von der Gegenseite gerügten Nachteile (fehlendes Steuerprivileg, keine Mindesttodesfallleistung sowie Garantiezins von 4 %).
69Die Klage sei zudem unschlüssig, soweit der Kläger den bereits ausgezahlten Rückkaufswert von 6.540,30 € übergehe, der – bei unterstelltem Bestehen eines Schadensersatzanspruchs – im Wege eines Gesamtvermögensvergleiches abzusetzen wäre.
70Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen.
71Entscheidungsgründe
72Die zulässige Klage ist unbegründet.
73I.
74Unabhängig davon, ob eine „Reaktivierung“ des beendeten und von der Beklagten bereits abgewickelten Lebensversicherungsvertrages und damit eine von dem Kläger begehrte Feststellung des Fortbestands überhaupt möglich ist, ist die Klage insoweit unschlüssig, als der von der Beklagten bereits ausgezahlte Rückkaufswert von 6.540,30 € nicht vom Kläger berücksichtigt und in Abzug gebracht worden ist.
75II.
76Dem Kläger steht kein Anspruch auf Feststellung des Fortbestands der von ihm gekündigten Kapitallebensversicherung zu.
77Denn die zum 31.10.2018 erklärte Kündigung vom 16.10.2018 war nach Auffassung der Kammer wirksam. Sie ist weder infolge einer Anfechtung gem. § 142 Abs. 1 BGB ex-tunc nichtig (1.) noch beruht sie auf einer der Beklagten zuzurechnenden und Schadensersatzansprüche mit der Rechtsfolge des § 249 BGB auslösenden Falschberatung durch den Vermittler Y. (2.).
78Im Einzelnen:
791.
80Der Kläger hat seine Kündigungserklärung weder mit seinem an den Vorstand gerichteten Beschwerdeschreiben vom 12.03.2019 noch mit anwaltlichem Schreiben vom 29.07.2021 wirksam angefochten.
81Unabhängig davon, ob in dem Schreiben des Klägers vom 12.03.2019 auch unter Berücksichtigung der Auslegungsmaßstäbe nach §§ 133, 157 BGB eine konkludente Anfechtungserklärung zu sehen ist, wäre eine auf § 119 BGB gestützte Anfechtung jedenfalls nicht fristgerecht erfolgt, da sie nicht i.S.v. § 121 Abs. 1 BGB ohne schuldhaftes Zögern erklärt wurde.
82Soweit der Kläger sich im anwaltlichen Schreiben vom 29.07.2021 auf eine arglistige Täuschung beruft, sind für die Kammer unter Berücksichtigung der von der Beklagten vorgetragenen – vom Kläger nicht bestrittenen und damit gem. § 138 Abs. 3 ZPO zugestandenen – Inhalte und Abläufe der zwischen den Parteien geführten Beratungsgespräche keine konkrete Anhaltspunkte für eine zur Anfechtung i.S.v. § 123 Abs. 1 BGB berechtigende arglistige Täuschung des Klägers durch den Vermittler Y. ersichtlich.
832.
84Dem Kläger steht ein Anspruch auch nicht unter Schadensersatzgesichtspunkten zu.
85a)
86Der Anspruch folgt nicht aus § 6 Abs. 5 VVG.
87aa)
88§ 6 Abs. 5 VVG sanktioniert Verletzungen der Beratungspflichten mit einem Schadensersatzanspruch, der ohne diese Spezialregelung allerdings auch aus §§ 280 Abs. 1 BGB, 241, 311 BGB besteht, sodass der Norm eher klarstellende Funktion zukommt.
89Nach § 6 Abs. 5 VVG ist der Versicherer dem Versicherungsnehmer zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet, wenn er eine Verpflichtung nach § 6 Abs. 1, 2 oder 4 schuldhaft verletzt. Dies gilt nicht, wenn der Versicherer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
90Nach § 6 Abs. 1 VVG hat der VR den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Nach § 6 Abs. 4 VVG besteht die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 auch nach Vertragsschluss während der Dauer des Versicherungsverhältnisses, soweit für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des Versicherungsnehmers erkennbar ist.
91Das Verschulden seines Versicherungsvertreters muss sich der Versicherer dabei nach § 278 Abs. 1 BGB zurechnen lassen (Filthuth, in: BeckOK VVG, § 6 Rn. 46).
92Hat der Versicherer eine vor Vertragsschlusses oder während des Vertrages bestehende Pflicht verletzt, muss er den Versicherungsnehmer so stellen, als habe es die Pflichtverletzung nicht gegeben (LG Saarbrücken BeckRS 2014, BeckRS 04681). Dies kann unterschiedliche Konsequenzen haben: Hat der Versicherer den Versicherungsinteressenten vor Vertragsschluss unrichtig beraten und wäre der Vertrag bei richtiger Beratung nicht abgeschlossen worden, muss der Versicherer den Versicherungsnehmer so stellen, als wäre der Vertrag nicht abgeschlossen worden (BGH, NJW 2012, 3647).
93Ein durch die Verletzung der Pflichten des Abs. 1 entstandener Schaden kann in der Form bestehen, dass der Versicherungsnehmer einen Vertrag geschlossen hat, der seinen Bedürfnissen weniger entspricht als andere vom Versicherer angebotene Produkte, oder der Vertrag zwar das relativ beste vom Versicherungsnehmer angebotene Produkt ist, aber dem Versicherungsnehmer nicht klar gemachte Deckungslücken oder sonstige Nachteile aufweist, die seinen Bedürfnissen zuwider laufen (BGH NJW 2018, 3389). Im Falle der Umdeckung kann der Schaden z.B. darin liegen, dass der Versicherungsnehmer einen bestehenden Versicherungsschutz aufgegeben hat, der durch den neu geschlossenen Vertrag nicht (vollständig) kompensiert wird (vgl. Rudy, in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz: VVG, 31. Auflage 2021, § 6 Rn. 60)
94bb)
95Gemessen an den vorstehenden Maßstäben ist der Beklagten nach Auffassung der Kammer letztlich aber keine zurechenbare schuldhafte Falschberatung vorzuwerfen, die den Kläger kausal zur Kündigung des „alten“ Lebensversicherungsvertrags aus dem Jahr 2000 zum 31.10.2018 veranlasst hat.
96Ein Beratungsanlass i.S.v. § 6 Abs. 1, Abs. 4 VVG dürfte vorliegend zwar unzweifelhaft anzunehmen sein, nachdem die Frage des Zwecks des Fortbestands sowie der Funktionalität der „alten“ Kapitallebensversicherung aus dem Jahre 2000 in den Gesprächen ausdrücklich im Zusammenhang mit dem Neuabschluss der fondsgebundenen Rentenversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitszusatzversicherung erörtert worden ist.
97Dass der Vermittler Herr Y. den Kläger auch nicht explizit auf die von diesem in der Klageschrift angeführten Gesichtspunkte hingewiesen und dies dokumentiert hat, nämlich dass
98 es sich bei dem alten Lebensversicherungsvertrag um einen steuerprivilegierten, vor dem 1. Dezember 2004 abgeschlossenen Vertrag handelt, bei dem die entsprechenden Auszahlungsleistungen steuerfrei sind, was bei der neu abgeschlossenen fondsgebundenen Rentenversicherung hingegen nicht der Fall ist,
99 die neu abgeschlossene fondsgebundene Rentenversicherung im Gegensatz zu der im Jahre 2000 abgeschlossenen kapitalbildenden Lebensversicherung keine Mindest-Todesfallleistung enthält,
100 bzgl. der im Jahr 2000 abgeschlossenen kapitalbildenden Lebensversicherung ein Garantiezins in Höhe von 4 % vereinbart gewesen ist, wohingegen die fondsgebundene Rentenversicherung vergleichbares nicht enthält,
101ist ebenfalls unstreitig; gegenteiliges wird jedenfalls von der Beklagten selbst nicht behauptet.
102Solche Hinweise und insbesondere die Hervorhebung der Unterschiede der Produkte sind bei einer derartigen anlass- und produktbezogenen Beratung aber erforderlich und dürften zwar im Grundsatz auch eine Beratungspflichtverletzung begründen.
103Die Kammer vermag aber nicht zu erkennen, dass der Kläger unter Berücksichtigung der insoweit unstreitigen Inhalte und Abläufe der zwischen den Parteien geführten Beratungsgespräche sowie der Gesamtumstände nicht angemessen nach seinen Bedürfnissen und Wünschen gefragt worden ist und eine etwaige Beratungspflichtverletzung der Beklagten überhaupt kausal für die Entscheidung des Klägers war, die alte kapitalbildende Lebensversicherung zu kündigen.
104Der Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn der Versicherungsnehmer bei korrekter Beratung einen bedarfsgerechten Vertrag geschlossen hätte, mit welchem er den nunmehr vermissten Deckungsschutz genossen hätte. Verlangt der Versicherungsnehmer die Aufhebung eines geschlossenen Vertrages, muss er nur behaupten, dass er den Vertrag bei korrekter Belehrung nicht geschlossen hätte. In solchen Konstellationen gilt eine nur an die objektive Pflichtverletzung anknüpfende Beweislastumkehr (vgl. Rudy, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 6 Rn. 67 f. m.w.N.).
105Der Beklagten gelingt hier indes nach Auffassung der Kammer der ihr obliegende Beweis, dass eine etwaige Falschberatung für die Entscheidung des Klägers, die bestehende Kapitallebensversicherung zu kündigen, nicht kausal war, sich der der Kläger mithin auch bei Aufklärung und Beratung hinsichtlich der von ihm aufgeführten Punkte und (vermeintlichen) Vorteile der „alten“ kapitalbildenden Lebensversicherung gegenüber der neu abgeschlossenen fondsgebundenen Rentenversicherung gleichwohl für eine Kündigung der Lebensversicherung entschieden hätte.
106Die insoweit unstreitigen Inhalte der zwischen den Parteien geführten Beratungsgespräche sowie auch die (finanzielle) Situation des Klägers im Jahre 2018 rechtfertigen danach letztlich die Annahme, dass die Kündigung des Altvertrags bei gleichzeitigem Abschluss der neuen fondsgebundenen Rentenversicherung bedarfsgerecht war und dem Wunsch und auch dem wohlverstandenen Interesse des Klägers bzw. dessen ebenfalls an den Gesprächen teilnehmenden Vaters entsprach.
107Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf die im Rahmen der fondsgebundenen Rentenversicherung nicht enthaltene Mindesttodesfallleistung abstellt und betont, dass es ihm hierauf im Hinblick auf den Unterhalt seiner Familie angekommen sei, so war dieser Gesichtspunkt angesichts der unstreitigen Gesprächsinhalte für seine Entscheidung nicht maßgeblich und ist nur vorgeschoben. Dass der – vom Kläger bei den Beratungsgesprächen unstreitig nicht geäußerte – Versorgungsgedanke etwaiger Hinterbliebener des Klägers im Falle eines Todes bei Kündigung der Lebensversicherung und Abschluss der Rentenversicherung ersichtlich nicht im Vordergrund stand, ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass nicht seine Ehefrau und Kinder, sondern vielmehr seine Eltern als Bezugsberechtigte im Todesfall bestimmt wurden.
108Unstreitig hatte zudem der Vater des Klägers, der die Versicherungsbeiträge zur Kapitallebensversicherung zuvor geleistet hatte, ausdrücklich den Wunsch geäußert, Beiträge einsparen zu wollen. Diese Umstände standen bei der Entscheidung zur Kündigung der Kapitallebensversicherung im Vordergrund, zumal die Eltern auf die Versicherungsleistung im Todesfall ihres Sohnes angesichts ihrer eigenen finanziellen Verhältnisse nicht angewiesen waren.
109Vor diesem Hintergrund erweist sich der der Kündigung und dem Neuabschluss zugrunde liegende Gedanke, die Chancen aus einer fondsgebundenen Rentenversicherung für den Erlebensfall des Klägers zu nutzen und die Lebensversicherung zu kündigen, weil ein Bedarf für einer Mindest-Todesfallleistung nicht besteht, als zweckmäßig. Dem im Vordergrund stehenden Wunsch des Klägers bzw. seines Vaters, Versicherungsprämien zu sparen, gleichzeitig aber dennoch einen neuen zweckmäßigen, auch Beitragsbefreiung bei Berufsfähigkeit und Rentenzahlung beinhaltenden Versicherungsschutz zu erhalten, ist mit der Kündigung des Kapitallebensversicherungsvertrages und gleichzeitigem Abschluss des Rentenversicherungsvertrages angemessen Rechnung getragen worden. Nach alledem waren die Chancen des Klägers, aufgrund der fondsgebundenen Rentenversicherung einen höheren Betrag im Erlebensfall zu erzielen und die hierfür erforderliche monatliche Beitragszahlung durch den Abschluss einer BUZ für den Fall der Berufsunfähigkeit abzusichern, im Sinne eines „Gesamtvermögensvergleiches“ höher zu gewichten als die von ihm angeführten Nachteile (steuerfreie Auszahlung + Garantiezins von 4 %).
110b)
111Soweit der Kläger in seiner Klageschrift auf § 63 S. 1 VVG abstellt, liegen die Voraussetzungen nicht vor.
112Nach dieser Vorschrift ist der Versicherungsvermittler zwar zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Versicherungsnehmer durch die Verletzung einer Pflicht nach § 60 VVG oder § 61 VVG entsteht. Haftungsgegner eines Anspruchs aus § 63 VVG ist aber der Versicherungsvermittler i.S.d. § 59 VVG (Gansel/Huth, in: BeckOK VVG, Marlow/Spuhl, § 63 Rn. 8). Versicherungsvermittler ist, wer kraft rechtsgeschäftlicher Geschäftsbesorgungsmacht für einen anderen Versicherungsschutz ganz oder teilweise beschafft, ohne selbst Versicherungsnehmer oder Versicherer zu sein. Der § 63 VVG regelt damit, dass Versicherungsvermittler dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzen müssen, der diesem durch die Verletzung ihres Pflichtenprogramms entstanden ist.
113Da es sich bei der vom Kläger in Anspruch genommenen Beklagten aber um den Versicherer selbst, nicht aber um einen Vermittler handelt, ist § 63 S. 1 VVG nicht einschlägig.
114Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen eines der Beklagten gem. § 278 BGB zuzurechnenden kausalen Beratungsfehlers des Versicherungsvermittlers nicht vor. Auf die vorstehenden Ausführungen wird insoweit Bezug genommen (s.o.).
115c)
116Soweit der Kläger im Schriftsatz vom 04.11.2022 (Bl. 248 ff. d.A.) vermeintliche Beratungspflichtverletzungen der Beklagten im Zusammenhang mit im Jahre 2018 vorgenommenen Änderungen bei einer ebenfalls bei dieser unterhaltenen, im Jahr 2007 geschlossenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung anführt, ist für die Kammer nicht ersichtlich, inwieweit dieser Vortrag im Zusammenhang mit der mit der Klage begehrten „Reaktivierung“ der gekündigten Kapitallebensversicherung steht.
117III.
118Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten von 1.375,88 €.
119IV.
120Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
121Der Streitwert wird auf 23.071,02 € festgesetzt.