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Der Angeklagte ist des Mordes schuldig.
Er wird zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Nebenklägerinnen.
Angewendete Vorschriften:
§ 211 Abs. 1 und 2 StGB
G r ü n d e :
2I.
3Der ##-jährige Angeklagte ist das älteste von vier Kindern seiner Eltern. Seine Mutter ist im Jahr 1937 geboren und starb 200#. Sie hatte keine Berufsausbildung absolviert, gab aber Nachhilfeunterricht. Sie lebte zuletzt in einer Pflegeeinrichtung. Ihre Todesursache ist unklar.
4Der Vater des Angeklagten ist 82 Jahre alt und neu verheiratet. Er ist gelernter ....(Angaben zum Beruf entfernt). Der Vater des Angeklagten stammt aus ärmlichen Verhältnissen einer Bauernfamilie, die Mutter aus bürgerlichen Verhältnissen mit einer eigenen Gärtnerei. Die Eltern lernten sich kennen, als der Vater 18 Jahre alt war. Wegen der Mutter zog der Vater des Angeklagten mit nach Z ins Elternhaus der Mutter.
5Der Bruder A2 des Angeklagten wurde 196# geboren und arbeitet als ... (Angaben zum Beruf entfernt). Seine Schwester A3 wurde 196# geboren, ist gelernte ...(Angaben zum Beruf entfernt). Als letztes Kind seiner Eltern wurde sein Bruder A4 197# geboren, der ... (Angaben zum Beruf entfernt) ist.
6Zehn bis zwölf Jahre lebte die Familie im Elternhaus der Mutter in Z, wo sie eine große Wohnung bewohnten. Dort lebte auch der Bruder der Mutter mit dessen Familie sowie die Großmutter mütterlicherseits. Danach zog der Angeklagte mit seiner Familie in ein eigenes Haus, das die Eltern selbst gebaut hatten.
7Die Eltern des Angeklagten waren nach seinem Erleben sehr verliebt, tanzten und sangen gemeinsam. Seine Mutter empfand der Angeklagte als lebenslustig und impulsiv. Nach seinen Worten hat er seine Mutter in seiner Kindheit „heiß geliebt“, mit ihr gebacken, gesungen und gescherzt. Jedoch sei sie auch wechselhafter Stimmung gewesen und habe von Tag zu Tag anders reagiert. Als die Mutter mit auf einen Schulausflug wollte, der nur für Kinder gedacht war, empfand der Angeklagte dies als peinlich. Auch war für ihn befremdlich, als seine Mutter einmal äußerte, dass am nächsten Morgen Jesus komme und ihr einen weißen Porsche bringe, und die Mutter am nächsten Morgen tatsächlich vor dem Haus darauf zu warten schien. Hinzu kam, dass sie sich an Zusagen oft nicht erinnerte und solche gemacht zu haben vor dem Vater des Angeklagten in Abrede stellte. Der Angeklagte zog sich daraufhin von ihr zurück.
8Erst nach dem Tod der Mutter erfuhr er, dass diese in seiner Kindheit bzw. Jugend viermal in einer psychiatrischen Anstalt mit der Diagnose Schizophrenie behandelt worden war. Er selbst hatte bei ihr keine Symptome wahrgenommen. Ihre Klinikaufenthalte wurden so in die Sommerferien gelegt, dass er sich zu diesen Zeiten auf dem Bauernhof der Großeltern väterlicherseits aufhielt, so dass er ihre klinikbedingte Abwesenheit nicht bemerkte. Ansonsten sind keine psychischen Erkrankungen oder Alkohol- und Drogenprobleme in Familie des Angeklagten bekannt.
9Seinen Vater nahm der Angeklagten als sehr rationalen, vernunftbetonten und technikaffinen Menschen wahr, vor dem er großen Respekt hatte. Der Vater habe – so der Angeklagte – immer versucht, den Grund für das Verhalten der Mutter herauszufinden, wenn diese impulsiv handelte. Im Haus gab es eine große Werkstatt, in der der Angeklagte viel Zeit mit seinem Vater verbrachte. Durch diese handwerklichen Tätigkeiten, bei denen er auch Möbel selbst baute, beherrschte er bereits mit 8 Jahren einfache Trigonometrie.
10Der Angeklagte besuchte den Kindergarten und wurde regulär eingeschult. Das Abitur legte er 197# mit einem 3er-Schnitt ab. Schule hatte für ihn keine große Bedeutung, weil er die Schule als langweilig empfand, aber Interesse an Mathematik und Schachspielen, worin er seinen Mathematiklehrer geschlagen habe. Dieser Lehrer war ein väterlicher Typ, zu dem der Angeklagte eine enge Beziehung hatte. Der Fokus des Angeklagten lag auf Sport, wobei ihm Langstreckenlauf leicht gefallen sei. Daneben spielte er auch Fußball, Handball und Tischtennis. Bei Bundesjugendspielen habe er bei den Siegerehrungnen immer „ganz oben“ gestanden.
11Noch während des Besuchs des Gymnasiums zog der Angeklagte zuhause aus, weil er das Zusammenleben mit seiner Mutter nicht mehr ausgehalten hat. Sein Vater zeigte dafür Verständnis, konnte ihn aber finanziell nicht unterstützen. Daher finanzierte der Angeklagte seinen Lebensunterhalt über Kfz-Reparaturen. Teilweise lebte er bei Freunden, die er immer hatte, und zu denen er teils bis heute Kontakte pflegt. Der Angeklagte kaufte u. a. alte Renault R4, ersetzte die Bodenplatten, schweißte sie neu, brachte die Fahrzeuge durch den TÜV und verkaufte sie mit einem deutlichen Gewinn.
12Nach dem Abitur studierte der Angeklagte in W Physik, weil er – wie er sich ausdrückte – die Welt verstehen wollte. Er empfand Physik und Mathematik als sehr belastbares Fundament. Er selbst sieht heute in seiner Erfahrung mit seiner Mutter einen möglichen Grund für seine Studienfachwahl, weil er sich bei ihr nie auf etwas habe verlassen können.
13Während des Studiums brachte sich der Angeklagte in die Fachschaft ein. Er studierte acht Semester in W. Prüfungen legte er nach seinen Angaben mit „sehr gut“ ab. 19## ging der Angeklagte als Diplomand in die USA, dort nach X. 19##, als er schon in den USA war, trennten sich seine Eltern. Der Angeklagte blieb bis 19## in X, wo er für seine Tätigkeit sehr gut bezahlt wurde. Er erwarb in den USA den Master of Science und Ph.D., den er in Deutschland in den akademischen Grad Dr. rer. nat. überführen ließ. Er arbeitete in den USA als wissenschaftlicher Mitarbeiter.
14Der Angeklagte empfindet seine Zeit in X als sehr prägend. Dort habe er wichtige väterliche Mentoren gefunden. Er habe dort nie Konflikte mit Kollegen oder Vorgesetzten gehabt. Auch wenn jemand seinen Vortrag als „bullshit“ kommentiert habe, sei er stets ruhig geblieben und habe später ein sehr positives Feedback erhalten.
15Im April 19## erlebte der Angeklagte eine erste gewaltsame Konfliktsituation in X. Zuvor hatte sein WG-Mitbewohner, ein Jurastudent, mit ihm mögliche Gefahrensituationen durchgesprochen und ihm erläutert, wie man sich zu verhalten habe. Als der Angeklagte abends unterwegs war, wurde er auf Geld angesprochen. Eine Person stand mit einem Messer vor ihm, möglicherweise standen noch zwei weitere Personen dabei. Der Angeklagte händigte 30-40 Dollar aus, blieb ruhig und äußerte sich in dem Sinne, dass er nicht die Polizei rufen würde. Dieser Vorfall sei ihm „unter die Haut“ gegangen. Er zog deshalb um und führte anschließend oft ein Taschenmesser mit sich, dass er aber nie zu Verteidigungszwecken einsetzen musste.
1619## kehrte er für wenige Monate nach Deutschland zurück, wo er mehrere Stellenangebote erhielt. Jedoch kehrte er noch 19## in die USA zurück, ging nach V und trat dort eine Postdoktoranden-Stelle an der Uni an. In der Folgezeit arbeitete er in unterschiedlichen Laboren. Seine Arbeit wurde sehr gut vergütet.
17Während seiner Zeit in V kam es zu zwei weiteren bedrohlichen Situationen. Im Herbst 19## wurde dem Angeklagten in V nachts sein Pkw abgenommen. Ein maskierter Mann und drei weitere Männer hatten ihn dazu aufgefordert. Der Angeklagte blieb wieder ruhig und händigte den Schlüssel aus. Erst später sah er eine Pistole in der Hosentasche einer der Männer. Er selbst hatte kein Messer dabei. Anschließend führte er aber wieder ein Messer bei sich.
18Einige Wochen später geriet er wieder in eine bedrohliche Situation in V. Kurz bevor er sein Zuhause erreichte, forderten ihn zwei Männer in einem sehr bedrohlichen Tonfall auf, seine Uhr und sein Geld abzugeben. Der Angeklagte, der keine Uhr trug, händigte sein Geld aus. Einer der Männer hatte in seiner Tasche entweder eine Pistole oder mit Fingern eine Pistole geformt. Auch in dieser Situation blieb der Angeklagte ruhig und erklärte auf Grund der bedrohlichen Situation, dass er die Polizei nicht benachrichtigen werde.
19Auf Grund dieser Situationen und trotz vieler Stellenangebote in den USA kehrte der Angeklagte nach Europa zurück. 19## zog er nach Frankreich. In Y wurde er Forschungsleiter eines Instituts. Aus Y kehrte der Angeklagte zurück nach Deutschland, obwohl ihm dort die Verbeamtung angeboten worden war und er dort über sehr gute Beziehungen verfügte. Aber das Angebot war für den Angeklagten finanziell wenig attraktiv. Über eine Zwischenstation in P zog der Angeklagte 19## nach W und gründete die Firma A5. Mit dieser Firma spezialisierte sich der Angeklagte zunächst auf Umweltgutachten für amerikanische Streitkräfte in Deutschland. Später, ab dem Jahr 20##, widmete sich der Angeklagte mit seiner Firma der Software-Entwicklung für Behinderteneinrichtungen.
20Im Jahr 20## begann der Angeklagte mit dem Bau seines dreistöckigen Wohn- und Geschäftshauses in W unter der postalischen Anschrift B-Straße ##, in das 20## seine Firma einzog. Neben seiner Firma befinden sich eine Arztpraxis und Mietwohnungen in dem Haus. Der Angeklagte bewohnte bis zu seiner Inhaftierung mit der Zeugin A6 die nach Südwesten gelegene Penthousewohnung in dem Haus.
21Nach seinen Angaben hatte der Angeklagte lediglich einmal einen Konflikt bei der Arbeit in seiner Firma. Einmal hat er eine Freundschaft zu einer Frau abgebrochen, weil diese Drogen nahm. Der Angeklagte bezeichnet sich selber als einen „verkopften“ Menschen. Er sei „kein Affektmensch“. Er versuche die Welt zu verstehen. Der Angeklagte spricht mehrere Sprachen. Er gibt an, dass er nie zuvor mit jemandem eine körperliche Auseinandersetzung gehabt habe, selbst in bedrohlichen Situationen nicht.
22Erste Freundinnen hatte der Angeklagte zur Schulzeit, wobei die Beziehungen zunächst nur kurz andauernd waren. Während seines Studium in W entwickelte sich eine Beziehung mit einer aus W stammenden Frau namens C, die Sozialpädagogin und 6 Jahre älter als der Angeklagte ist. Zunächst war der Angeklagte mit ihr fünf bis sechs Jahre zusammen. Gemeinsam mit einem Kommilitonen und mit C mietete der Angeklagte ein Haus in W. Der Angeklagte und C trennten sich wegen der langen USA-Aufenthalte des Angeklagten. C wurde in den 1990er Jahren Geschäftsführerin einer Behinderteneinrichtung.
23In den USA unterhielt der Angeklagte auch Beziehungen, die von kurzer Dauer waren. Nach seiner Rückkehr aus den USA kam der Angeklagte 19## wieder mit C zusammen und zog auch mit ihr zusammen. Der Angeklagte äußerte sich über C wie folgt: „Es ist eine Liebe fürs Leben, ich liebe sie immer noch.“ „Das beruht auch auf Gegenseitigkeit.“ Sie wisse viel über ihn und seine Familie und wie wichtig es für ihn sei, Vertrauen zu fassen. „Wir lieben uns, aber wir können nicht gut miteinander leben. Wir empfinden den Alltag als nicht hinreichend konstruktiv.“ Er habe sich sehr stark „auf ihre Themen eingelassen“, sei „zu stark in Beschlag genommen“ worden. Es habe viele Gespräche mit C gegeben, bis es schließlich ca. im Jahr 20## zur einvernehmlichen Trennung kam.
24Im Jahr 20## zog der Angeklagte mit der Zeugin A6 zusammen, die er schon sehr lange kannte und mit der er nunmehr eine partnerschaftliche Beziehung aufgenommen hatte. 20## heirateten der Angeklagte und die Zeugin A6, die langjährig (Berufsbezeichnung entfernt) war. Auf Grund vieler gemeinsamer Hobbys empfand der Angeklagte das Zusammenleben mit der Zeugin A6 als sehr einfach und bezeichnete den Alltag mit ihr als unkompliziert. Zusammen trieben sie Sport und tanzten auch gemeinsam, wobei erst seine musikalisch interessierte Frau ihm das Tanzen wie das Musikhören nahe gebracht habe. So wurde zuhause täglich getanzt und (bis zum Beginn der Coronapandemie) auch mindestens einmal wöchentlich bei Veranstaltungen. Über das Tanzen lernten die Eheleute A viele andere Paare kennen, mit denen sie auch gemeinsam essen gingen.
25Den Jahreswechsel 20##/20## verbrachten die Eheleute auf den Kanaren, wo sie an einem viertägigen Tango-Festival teilnahmen.
26Der Angeklagte steht weiterhin im Kontakt zu seiner früheren Partnerin C, was die Zeugin A6 nicht gerne sieht, die von seinen andauernden Liebesgefühlen für C weiß. Hierzu erklärte der Angeklagte: „Ich bin ein abgrundtief ehrlicher Mensch.“ Zärtlichkeiten tausche er mit C nicht mehr aus. Der Angeklagte äußerte, er habe das Glück, zwei Menschen gefunden zu haben, die er „abgrundtief“ liebe.
27Der Angeklagte hat zu keiner Zeit in seinem Leben ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Er ist Nichtraucher und trinkt nur in geringem Maße Alkohol, nämlich ein- bis zweimal in der Woche eine Flasche Bier am Abend. Er hat als junger Mann zweimal Cannabis konsumiert, andere illegale Drogen hingegen zu keinem Zeitpunkt. Auch Medikamente nimmt er nicht regelmäßige. Der Angeklagt litt in der Zeit vor der Tat unter Schlafstörungen, weswegen er in der Vergangenheit zeitweilig ein Schlafmedikament genommen hatte.
28Der strafrechtlich nicht vorgeahndete Angeklagte ist in diesem Verfahren am Abend des Tattages, polizeilich festgenommen worden und befindet sich seit dem ##.##.2020 in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts (Az.) vom selben Tage.
29II.
301. Tatvorgeschehen
31a. Die Zeit von spätestens Mitte März bis in den Mai 20## war für den Angeklagten sehr arbeitsam. Seine Schlafprobleme zeigten sich in dieser Zeit besonders deutlich.
32An dem Wochenende von Samstag, ##.##. auf Sonntag, ##.##.20## wollten der Angeklagte und seine Ehefrau sich entspannen, ein Wochenende ohne Arbeit verbringen und früh abends zu Bett gehen. Dies sollte das erste arbeitsfreie Wochenende seit Beginn der sog. Coronapandemie für die Eheleute A werden.
33Am ##.##.20## verabredeten sich der Angeklagte und die Zeugin A6 mit Freunden in J. Sie fuhren der Bewegung wegen bei schönem Wetter mit den Fahrrädern dorthin. Unter Beachtung von Coronaregeln wie Abstandhalten etc. trank man gemeinsam Kaffee auf der Terrasse der Freunde. Im Laufe des Nachmittags brachen die Eheleute A wieder auf und fuhren zurück in ihre Penthouse-Wohnung. Dort bereiteten sie gemeinsam das Abendessen zu, ein bewusst leichtes Essen, um beste Voraussetzungen für einen erholsamen Schlaf zu bieten. Der Angeklagte schnitt hierzu das Gemüse und die Zwiebeln für den Salat. Hierzu verwendete er das spätere Tatwerkzeug, ein von ihm üblicherweise verwendetes Küchenmesser mit schwarzem Griff, einer Klingenlänge von 14,5 cm und einer Klingenbreite von 3 cm. Nach dem gemeinsamen Abendessen wuschen die Eheleute A die verwendeten Küchengeräte ab oder räumten sie in die Geschirrspülmaschine. Das vom Angeklagten verwendete Messer wurde nach dem Abtrocknen auf den Teil der Arbeitsplatte der Küche gelegt, der eine Art Tresen zum Wohnbereich der Penthousewohnung bildet.
34Danach legte sich der Angeklagte auf das Sofa oder setzte sich in den Sessel, um zu lesen. Die Zeugin A6 ging noch einmal auf die Dachterrasse und schaute ab 20:00 Uhr im Wohnzimmer die Tagesschau. Zu 20:15 Uhr kam der Angeklagte hinzu und die Eheleute begannen, einen Action-Film zu sehen. Da seiner Frau der Film nicht gefiel, wechselten sie nach einiger Zeit und schauten den Film „Wenn Liebe so einfach wäre“ mit Meryl Streep.
35Während des Films ging der Angeklagte zur offenstehenden nach Süden ausgerichteten Terrassentür, um diese zu schließen. An der Tür hörte er den Geschädigten draußen laut sprechen, ohne dass er dies zuordnen konnte.
36In der grundsätzlich eher ruhigen Gegend in W kam es nur hin und wieder zu nächtlichem Lärm durch Jugendliche, die sich auf dem Schulhof der nördlich gegenüber dem Haus des Angeklagten gelegenen Schule trafen. Die Schule war auch deshalb Ursache von Lärm, weil ihre Kinder bringende Eltern auf den Parkplätzen vor der nach Westen gelegenen Hausseite hielten, parkten, Türen schlugen und wieder abfuhren. Die sechs Parkplätze gehören zum Haus und sind mit den Praxisräumlichkeiten im Haus an Ärzte vermietet, weswegen das Parken durch Unbefugte für den Angeklagten als Vermieter ein weiteres Ärgernis bedeutete. In mehreren Fällen hatte der geräuschempfindliche Angeklagte selbst wegen der Lärm- und Parkbelästigungen die verursachenden Personen deswegen angesprochen, die sich sodann stets in dem von ihm gewünschten Sinne verhalten hatten. Er hatte aber aus Anlass des Verhaltens von Jugendlichen auf dem Schulhof der Schule auch schon mal die Polizei gerufen.
37Der Angeklagte betrat die Dachterrasse und begab sich zum westlichen Ende der die Penthousewohnung umgebenden Terrasse, um von dort auf die zum Haus gehörenden Parkplätze vor der westlichen Hausseite zu gucken, von wo er die Stimme hörte. Er sah dort den Geschädigten dieses Verfahrens, den 33 Jahre alt gewordenen B, der telefonierend auf der einzelnen Natursteinstufe saß, welche von der Parkplatzfläche, auf welcher zu dieser Zeit kein Pkw geparkt war, zu einem kurzen Weg auf dem Grundstück des Angeklagten zur nördlich gelegenen Hauseingangstür führt. Der Geschädigte, den er als jungen kräftigen Mann wahrnahm, war für ihn ein gänzlich fremder Mensch, den er auch nicht vom Sehen kannte.
38b. Auch umgekehrt war der Angeklagte dem Geschädigten nicht bekannt, obgleich beide in direkter Nachbarschaft zueinander wohnten.
39B lebte seit 201# mit seiner Lebensgefährtin, der Zeugin T, und den gemeinsamen zwei kleinen Töchtern, in einer gemieteten Wohnung im Haus H-Str. # des Zeugen K in W, dessen nordwestliche Seite zur B-Straße in Sichtweite zum Haus des Angeklagten liegt. B arbeitete in den letzten Jahren in wechselnden Stellen, meist als (Berufsbezeichnung entfernt), teilweise bei seinem Stiefvater, der ein entsprechendes Gewerbe hat. Wegen Fahrens eines Pkws unter dem Einfluss von Cannabis war ihm im Jahr 2018 vom Straßenverkehrsamt die Fahrerlaubnis entzogen worden, die er bis zu seinem Tod auch nicht wiedererlangte. Der nicht vorbestrafte Geschädigte konsumierte in einem nicht feststellbaren Ausmaß und einer nicht feststellbaren Regelmäßigkeit Cannabis und möglicherweise auch andere Betäubungsmittel. Er trieb zumindest bis zum Beginn der Corona-Pandemie regelmäßig Sport im Fitnessstudio. Diesbezüglich tauschte er sich mit seinen mittrainierenden Freunden auch über Präparate aus, die sie als Testosteron bezeichneten. Ob und gegebenenfalls wie häufig der Geschädigte Testosteronpräpate nahm, konnte nicht festgestellt werden. Sein Körperbau war bei einer Körpergröße von 186 cm und einem Gewicht von 83 kg zuletzt vor seinem Tod nicht übermäßig muskulös bzw. athletisch.
40B hatte am Tattag gegen 20.00 Uhr bekleidet mit einem weißen kurzärmeligen T-Shirt, einer beigen Shorts, einer Baseballkappe und weißen Sneakern die in Sichtweite zum Tatort liegende Wohnung H-Str. # verlassen, um sich – wie er es nannte – „Döschen“ an der Tankstelle oder einem Supermarkt zu holen. Damit meinte er Mischgetränke mit Whiskey, Rum, Wodka und Cola in Dosen, wovon er bereits zuhause zwei getrunken hatte. Mit noch mindestens fünf weiteren Dosen Jack Daniels – Cola, Bacardi – Cola und Gorbatschow – Lemon zu je 0,33 l und 10 %vol. hatte er sich zu dem Parkplatz vor dem Haus des Angeklagten begeben, wo er, als der Angeklagte ihn ansprach, bereits seit geraumer Zeit telefonierte, dabei aus den Dosen trank und Zigaretten rauchte. Als ihn um 20.41 Uhr seine Partnerin, die Zeugin T, anrief und sich nach seinem Verbleib erkundigte, saß B bereits vor dem Haus des Angeklagten. Er telefonierte mit seiner in der Eifel lebenden Schwester D1 und deren Kindern per Whatsapp-Videotelefonie und führte sodann ab 21.20 Uhr mit dem Lebenspartner seiner Schwester, dem Zeugen D2, ein Telefonat ebenfalls per Whatsapp-Videotelefonie. In den Gesprächen, in den der Geschädigte auch lachte und mit lauter Stimme sprach, ging es u. a. um künftige Treffen der Familien und Reisen, z. B. nach Holland, die man nach dem Ende der Coronabeschränkungen unternehmen könne.
41Den Angeklagten störte die Anwesenheit des B auf seinem Grundstück und er befürchtete, dass von diesem eine andauernde Geräuschbelästigung ausgehen könne, die seine spätere Nachtruhe gefährden könnte.
42Er sprach den Geschädigten an und wies ihn darauf hin, dass er sehr laut sei und er hier auf einem Privatgrundstück sitze und ob er das Gespräch woanders führen könne. Der Geschädigte antwortete sinngemäß: „Ja, mache ich“, woraufhin der Angeklagte sich bedankte, sich wieder in die Wohnung begab, die Tür schloss und weiter mit seiner Frau den Film schaute, der in der Zwischenzeit weitergelaufen war. Er erwähnte kurz, dass jemand vor dem Haus telefonierte.
43Er erwartete, dass der Geschädigte sich nun entfernen werde.
44Kurz vor dem Ende des bis 22.05 Uhr laufenden Films verließ der Angeklagte das Wohnzimmer und ging ins Bad, um sich für die Nacht fertig zu machen.
45In dem zur Straße gelegenen Bad hörte er, dass der Geschädigten sich noch immer vor dem Haus auf seinem Grundstück befand und telefonierte.
46Darüber ärgerte er sich, weil er nach Wochen anstrengender Arbeit mit nur eingeschränkter Erholung am Wochenende seine gut vorbereitete Nachtruhe nun ernsthaft gefährdet sah und auch deshalb, weil der Geschädigte sich nicht an seine Zusage hielt und hierdurch seine Bitte und Aufforderung einfach missachtete.
47Der Angeklagte ging in das Wohnzimmer zurück und berichtete seiner Frau davon, dass der Geschädigte vor dem Haus immer noch telefonierte. Die Eheleute sprachen nun darüber, was zu tun sei, wobei sich im Einzelnen nicht klären ließ, was zwischen dem verärgerten Angeklagten und seiner nun ebenfalls aufgebrachten Frau besprochen wurde.
48Fest steht, dass die Zeugin A6 nach einiger Zeit die Wohnung verließ, um den Geschädigten zum Verlassen des Grundstücks aufzufordern. Ob die Eheleute A entschieden hatten, gemeinsam runterzugehen, ließ sich wiederum nicht feststellen. Tatsächlich verließ jedoch gemeinsam mit seiner Frau oder direkt nach ihr auch der Angeklagte die Wohnung, um nach unten zu dem Geschädigten zu gehen. Er nahm sich das auf der Küchentheke liegende Messer, um sich für die Begegnung zu bewaffnen, und zog sich Gartenhandschuhe und Turnschuhe an. Mit dem Messer wollte er zumindest drohen können, sollte der Geschädigte, den der Angeklagte – wie ausgeführt – als jungen kräftigen Mann wahrgenommen hatte, sich weiterhin weigerlich zeigen oder es sonst „zu Stress“ mit diesem kommen. Dass er zu diesem Zeitpunkt bereits vorhatte, B mit dem Messer anzugreifen, konnte nicht festgestellt werden.
49Der im Übrigen mit einem kurzärmeligen schwarzen T-Shirt und einer Jogginghose bekleidete Angeklagte ging durch das Treppenhaus runter. Das Messer hielt er die ganze Zeit bis zu dessen Einsatz mit dem Griff in der rechten Hand, während die Klinge verdeckt an der Innenseite seines Unterarms anlag. Er trug das Messer so, damit es von dem Geschädigten nicht sogleich gesehen werden konnte.
50Unten angekommen, trat die Zeugin A6 aus dem Haus heraus und lief die wenigen Meter über den kleinen Weg an der nördlichen Hausseite entlang zu der Stufe, wo B weiter saß, ihr den Rücken zuwendend. Von hinten sprach sie ihn mit den sinngemäßen Worten an: „Sie sind zu laut. Sie sitzen unter unserem Schlafzimmerfenster. Wir können nicht schlafen“. Spätestens als B nicht sofort Anstalten machte, sich zu entfernen, fügte sie hinzu „Wenn Sie nicht gehen, rufe ich die Polizei.“
51Der Geschädigte, der zu dieser Zeit weiterhin mit dem Zeugen D2 videotelefonierte, drehte sich im Sitzen um und sagte zu der Zeugin A6 sinngemäß: Ja, ja. Du kannst ruhig die Polizei rufen. Bis die da sind, bin ich eh weg.“ Er hatte zu dieser Zeit drei der gekauften Getränkedosen getrunken und war bei einer Blutalkoholkonzentration von etwa 1,9 o/oo nicht unerheblich alkoholisiert, ließ sich aber gleichwohl nicht aus der Ruhe bringen, sondern sprach weder besonders laut noch in aggressivem oder bedrohlichen Ton. Er ging auch nicht weg, sondern wandte sich wieder seinem Handy zu, das er in einer Hand vor sich hielt, um sein Gespräch mit dem Zeugen D2 fortzuführen. Dieser hatte den vorangegangenen Wortwechsel zwischen der Zeugin A6 und B über das Telefon gehört und sagte sinngemäß: „Die soll sich mal beruhigen. Was regt die sich auf.“
52Auch der Angeklagte, der sich allenfalls einige Schritte hinter seiner Frau befand, hatte den Wortwechsel gehört und insbesondere die Reaktion des Geschädigten mitbekommen. Er war nun hochgradig verärgert über das aus seiner Sicht unverschämte Verhalten des Geschädigten und entschloss sich, die Angelegenheit nun selbst zu regeln.
532. Tatgeschehen
54Er näherte er sich ebenfalls von hinten – es war nun bereits nach 22.35 Uhr – dem Geschädigten, der weiter auf der Stufe saß, wieder abgewandt mit Blickrichtung zu den Parkplätzen. B hatte den Angeklagten bislang noch gar nicht wahrgenommen. Nur sehr kurze Zeit, nachdem die Zeugin A6 das Gespräch mit B beendet hatte – der Geschädigte hatte das Gespräch mit seinem Schwager noch gar nicht wieder aufgenommen und insbesondere nicht auf dessen vorzitierte Worte reagiert – erreichte der Angeklagte ihn.
55Der Angeklagte trat nah an den Geschädigten heran. Er sprach diesen energisch an und versetzte ihm in seiner Verärgerung praktisch zeitgleich, also ohne dass B zuvor etwas gesagt hatte, einen Schlag, der sich bewusst und gezielt gegen das Handy richtete und entweder dieses, die handyhaltende Hand oder den Arm des Geschädigten traf. Es ging ihm darum, ihm das Handy aus der Hand zu schlagen, um das Telefonat nun endlich zu beenden, das in den Augen des Angeklagten sowohl für die Anwesenheit des B als auch für die Ruhestörung verantwortlich war. In der Folge fiel das iPhone 11 des Geschädigten zu Boden und blieb auf dem Display liegen, so dass der Zeuge D2 nur noch ein schwarzes Bild sah, aber weiter zuhören konnte. Auch die Kappe des Geschädigten fiel jetzt oder kurz darauf zu Boden und blieb auf dem Bürgersteig vor den Parkplätzen liegen. Bei der Annäherung an B war der Angeklagte auf oder gegen Getränkedosen getreten, die der Geschädigte in Griffnähe bei sich stehen hatte.
56Der Geschädigte stand sofort auf und sagte in einem empörten, aber nicht aggressiven Ton sinngemäße Sätze wie: „Was soll das?“, „Geh weg“, „Warum machst Du das?“, „Ich bin über 30 und muss mir das nicht geben“ und „Ich kann ja mal die Polizei rufen“.
57Der Angeklagte geriet nun in noch größere Wut darüber, dass der Geschädigte der Aufforderung wegzugehen immer noch nicht nachkam, sich aus seiner Sicht widerspenstig zeigte und ihn, den Angeklagten, nun auf seinem Grundstück aufforderte wegzugehen. Vor allem aber gab ihm der Geschädigte durch die Beanspruchung der Hinzuziehung der Polizei jetzt auch noch zu verstehen, dass er – der Geschädigte – im Recht sei. Darüber geriet der Angeklagte in maßlosen Zorn, aus welchem er sich nunmehr entschloss, den Geschädigten für sein dreistes und diesem aus seiner Sicht ihm gegenüber nicht zustehendes Verhalten abzustrafen.
58Der Angeklagte erhob das Küchenmesser aus der bis dahin verdeckten Haltung und versetzte dem Geschädigten damit in schneller Abfolge zwei Stiche in die Brust, die rechts und links des Brustbeins trafen, und einen weiteren Stich in den Bauch.
59In welcher Reihenfolge die zwei Stiche in die Brust und in welcher Reihenfolge der Stich in den Bauch zu den beiden Bruststichen erfolgte, konnte nur insofern aufgeklärt werden, als dass der Bauchstich nicht zwischen den Bruststichen erfolgte. Auch konnte die konkrete Stichführung durch den Angeklagten und die genau Positionierung der beiden etwa gleich großen Männer nicht näher festgestellt werden, als dass sie sich wahrscheinlich etwas versetzt zueinander gegenüber standen.
60Bei den Stichen erkannte der Angeklagte deren tödliches Potential, nahm den Tod des B aber in seiner Wut und seinem Wunsch zu strafen in Kauf. Dabei erfasste der Angeklagte auch die Aspekte und Umstände des Geschehens, welche seinen Zorn und seinen Bestrafungswunsch als im völligen Missverhältnis zu dem auslösenden Verhalten des Geschädigten stehen ließen.
61Der Geschädigte hatte bis dahin das vom Angeklagten verdeckt getragene Messer nicht gesehen. Mit einem solchen Angriff oder überhaupt einem ernsthaften Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit hatte der Geschädigte bei dem ersten mit Tötungsvorsatz geführten Sicht nicht gerechnet und konnte den Messerstichen daher keinerlei Abwehrhandlung mehr entgegen setzen, was dem Angeklagten bewusst war und was er zur Tatbegehung ausnutzte.
62Der Geschädigte erlitt folgende Verletzungen: Eine Stichverletzung in der rechten Brusthälfte nahe dem Brustbein 3 cm oberhalb einer die Brustwarzen schneidenden Linie. Der Stichkanal mit einer Tiefe von etwa 3 cm verlief in steil absteigendem Winkel von rechts nach mittellinienwärts. Bei der Zufügung dieses Stichs, der das Oberhautfettgewebe durchschnitt, lag der rechte Oberarm des Geschädigten an dessen Oberkörper so an, dass dadurch dem Opfer praktisch zugleich, unmittelbar bevor das Messer in den Torso eindrang, am rechten Oberarm, eine 10,5 cm lange Schnittverletzung von vorn oben nach hinten unten verlaufend zugefügt. Eine weitere Stichverletzung in der Brust befand sich links im Kreuzungsbereich einer die Brustwarzen scheidenden Linie sowie der seitlichen Brustbeinlinie. Das Messer war hier ebenfalls in einem spitzen Winkel bei einem von rechts nach links führenden Stichkanal mindestens 6 cm in den Körper eingedrungen. Durch diesen mit erheblicher Wucht geführten Stich wurde die Brustwand vollständig durchsetzt, der knorpelige Anteil der 4. und 5. Rippe durchtrennt und die 6. Rippe an der kopfwärtigen Seite angeschnitten. Außerdem wurde das Herz Bs durchstochen. Die mittlere Vorder- und Rückwand der rechten Herzkammer und die Rückseite des Herzbeutels wurden perforiert. Eine weitere Stichverletzung fand sich im Unterbauch linksseitig. Bei einer Tiefe von etwa 3 cm waren durch diesen orthogonal eingedrungenen Stich die Bauchwand vollständig durchsetzt und zwei Darmschlingen durchschnitten worden.
63Der Geschädigte blickte an seinem Oberkörper herunter und sah, wie sich sein weißes T-Shirt aufgrund des austretenden Blutes schnell rot färbte.
64In einem überraschten und erschrockenen Tonfall rief der Geschädigte: „Was hast Du getan? Du hast mir den Bauch aufgeschlitzt“ und „Blut“ oder „Ich blute“. Er zog sein inzwischen schon massiv blutgetränktes T-Shirt aus und warf es zur Seite, um sich Klarheit über den Umfang seiner Verletzungen zu verschaffen.
65Auch der Angeklagte hatte das austretende Blut gesehen. Bezugnehmend auf den nur Sekunden zuvor erfolgten Ausspruch des Geschädigten, die Polizei holen zu können, sagte er in ruhigem Ton zu dem Geschädigten „jetzt hast du einen Grund, die Polizei zu rufen“ oder auch „jetzt kannst du die Polizei rufen“.
66Der Geschädigte erkannte, dass er dringend Hilfe benötigte und hob sein Handy vom Boden auf. Auf Grund des hohen Blutverlustes und der nachlassenden Kontrolle über seinen Körper taumelte er von der Parkfläche um die Pflanzfläche mit einer Werbestele der Arztpraxis herum und stürzte dort in das Beet. Er kam hier auf dem Rücken zum Liegen und ließ das Handy los, das neben seiner Hand auf Höhe seiner Hüfte liegen blieb. Bei dem Sturz zog sich der Geschädigte einige Kratzer auf seiner unbekleideten Haut und insbesondere auf dem Kopf oberhalb der Hutkrempenlinie zu.
67Der Angeklagte warf das Messer in das Pflanzbeet neben der Stufe, wo der Geschädigte gesessen hatte, um die Tatwaffe verschwinden zu lassen. Außerdem forderte er seine Frau auf, einen Notarzt zu rufen, worauf die Zeugin A6 in die Penthousewohnung lief und ihr Handy holte.
68Zum Zeitpunkt der Tat stand der Angeklagte weder unter dem Einfluss von Alkohol noch von anderen Drogen. Die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten waren zur Tatzeit weder aufgehoben noch erheblich herabgesetzt.
693. Tatnachgeschehen
70a. Der Zeuge D2 hatte nach den letzten über das Telefon vernommenen Worten seines Schwagers und des Angeklagten seine Partnerin D1 hinzu gerufen, die das Telefonat um 22.39 Uhr beendete und um 22.45 Uhr die polizeiliche Notrufnummer wählte, worauf sie das Telefon wieder an den Zeugen D2 reichte. Dieser, mit der Polizei in U verbunden, erklärte gleich zu Beginn des Gesprächs „Ich habe mit meinem zukünftigen Schwager gerade telefoniert. Der ist aus W. Und der hat gerade mit Nachbarn irgendwelche Probleme gehabt und hat geschrien: „Die haben mir den Bauch aufgeschnitten.“
71Auf Nachfragen erklärte der Zeuge D2 im weiteren Verlauf „Wir haben gerade Videotelefonie gemacht. Der hat wohl irgendwelche Probleme gehabt mit den Nachbarn. Und dann hab ich nur gehört wie, also hab nur mitbekommen, wie einer runtergekommen ist und hat ihm wohl ... Der hat nur noch geschrien: "Mir haben sie den Bauch aufgeschnitten!, oder so." Der Polizist fragte nach: „Ja und dann? Auf dem Video haben sie nichts gesehen?" Der Zeuge D2 antwortete: "Nein, ich hab nichts gesehen. Es ging nur einmal weg das Video. Das war dann schwarz. Und hab halt gesehen noch ... hab noch gehört, wie sie rum diskutiert haben. Und dann hat der Nachbar gesagt: "Ja dann ruf. … jetzt kannste die Polizei rufen!" Der Polizist äußerte: „Aha." Der Zeuge D2 erklärte weiter: „Und dann hat der nur gesagt: „Du Schwein hast mir den Bauch aufgeschnitten." Nach der Angabe weiterer Personalien und Anschriften endete das Telefonat.
72Um 22:41 Uhr verließ der Zeuge K, der vorher akustisch auf seinem etwa 35 m entfernten Balkon auf das Geschehen an den Parkplätzen vor dem Haus B-Straße ## aufmerksam geworden war, seine Wohnung im ersten Obergeschoss des Hauses H-Str. #. Er hatte zuletzt in seiner Wohnung die Worte seines Mieters B „Blut“ bzw. „ich blute“ und dessen Röcheln vernommen und wollte schauen, ob Hilfe benötigt wird. Unterwegs nach draußen rief er die Zeugin T an, um sie zu informieren, erreichte sie aber nicht. K lief zum Tatort, wo er den Geschädigten im Beet vor dem Haus des Angeklagten liegend vorfand. Die Eheleute A standen unbeteiligt wirkend daneben. K fragte den Angeklagten, was denn passiert sei, worauf dieser davon sprach, dass der Mann vielleicht gestürzt sein könne. Die Zeugin T, die ihrem Partner um 22.22 Uhr eine unbeantwortet gebliebene Nachricht mit dem Inhalt „wo bist du“ geschickt hatte, kam nun auch hinzugelaufen und kümmerte sich um ihren schwer verletzten Partner. Zu dieser Zeit setzte die Zeugin A6 ab 22:42 Uhr bereits einen Notruf an die Feuerwehr mit folgendem Gesprächsverlauf ab:
73Mitarbeiter der Einsatzleitstelle (im weiteren Gesprächsverlauf als FW bezeichnet): "Notruf Feuerwehr Rettungsdienst."
74Zeugin A6: "Ähhh ... Hier ist B-Straße ##. Hier ist ein Schwerverletzter bei uns auf dem ... äh ... Auf dem Gelände. Äh ... B-Straße ##. In W."
75FW: "Was ist denn da passiert?"
76A6: "Äh, was ist passiert? Ich kann's Ihnen nicht sagen."
77FW: "Wie ist der denn verletzt? Ist der angefahren worden?"
78A6: "Nein, nein. Der hat irgendwie ... Am Bauch ist der rot. Und blutet überall. Sie müssten schnell kommen bitte!"
79FW: "Hat er ... Ich schick' sofort, aber sagen sie mir gleichzeitig was los ist. Ist der irgendwie angeschossen worden? Oder ... angestochen?"
80A6: "Nein, deswegen ... lch kann's Ihnen nicht sagen“
81Der Zeuge K äußerte im Hintergrund etwas sinngemäß mit „blutet“ oder „verblutet“.
82A6: "Er blutet. Der ... der ... der ... der Bauch blutet."
83Nach einigen weiteren unwesentlichen Gesprächsinhalten setzte sich das Gespräch wie folgt fort:
84FW: "Und der liegt jetzt bei ihnen im Vorgarten? Und sie wissen überhaupt nicht, was da Sache ist?"
85A6: "Ja, der liegt im Vorgarten, genau."
86Nach einigen weiteren unwesentlichen Gesprächsinhalten setzt sich das Gespräch ferner wie folgt fort:
87FW: "Bleiben Sie ruhig. Das macht man ja auch nicht jeden Tag."
88A6: "Ne, sowas hat man nicht jeden Tag. Wir wissen nicht genau, was da passiert ist."
89FW: "Und sie haben den ... Sind nach Hause gekommen und haben den da einfach ... haben den da einfach liegen sehen?"
90A6: "Ähh ... Wir hatten ihn angesprochen, weil er hier auf unserem Gelände war. (stockt)
91Mehr kann ich ihnen im Moment nicht sagen."
92Kurz danach endete das Telefonat der Zeugin A6 mit der Feuerwehr. Die Zeugin A6 äußerte sich auf die Fragen der Feuerwehr bewusst so vage und ausweichend zu den Hintergründen, weil sie ihren Ehemann im Hinblick auf nachfolgende Ermittlungen nicht belasten wollte.
93b. Auf Grund des Notrufs der Zeugin A6 erhielten um 22:46 Uhr drei Streifenwagenbesatzungen den Einsatzauftrag, zum Tatort zu fahren, wo eine verletzte Person blutüberströmt im Vorgarten aufgefunden worden sei, ohne dass die Hintergründe bekannt seien. Auch ein Rettungswagen wurde zum Tatort entsandt, der vor den ersten Beamten vor Ort eintraf. Die Rettungssanitäter kümmerten sich nach dem Eintreffen um den Geschädigten und verbrachten diesen mit Hilfe des Zeugen K und des Angeklagten auf eine Trage in den Rettungswagen. Als der Geschädigte sich dort schon befand, trafen um 22:53 Uhr die ersten Polizeikräfte vor Ort ein.
94Die Polizisten und Zeugen POKin E und PK F traten an die Anwesenden heran und fragten, was passiert sei, um sich einen Überblick über die Geschehnisse zu verschaffen. Der Zeuge K setzte dazu an, seine Wahrnehmungen zu schildern, als ihn sogleich der Angeklagte mit den sinngemäßen Worten unterbrach „Sie waren nicht dabei. Lassen Sie mich das mal schildern.“
95Anschließend führte der Angeklagte den Polizisten gegenüber aus, dass der Geschädigte laut vor dem Haus telefoniert habe. Da man beabsichtigt habe, zu Bett zu gehen, sei seine Frau runter zu dem Mann gegangen. Sie habe den Mann gebeten, ruhig zu sein und die Örtlichkeit zu verlassen. Da ihr Ansprechen aber nicht dazu geführt habe, dass der Mann gegangen sei, sei er hinzugekommen. Er habe den Mann um Ruhe bitten wollen, sei aber über eine Getränkedose des Mannes gestolpert und fast auf den auf dem Boden sitzenden Mann gestürzt. Darüber habe sich der Mann sehr aufgeregt, sei aufgestanden und habe wild in die Richtung des Angeklagten gestikuliert. Er – der Angeklagte – habe die Hände schützend vor den Kopf gehalten. Dann sei der Mann rückwärts gestürzt und habe sich wohl den Kopf angestoßen, ohne dass er – der Angeklagte – dazu beigetragen habe.
96Auf die Befragung der Polizisten, warum der Angeklagte Gartenhandschuhe trage, antwortete er, dass er „Gartenarbeit“ gemacht habe.
97Auf die Aufforderung der Beamten, sich auszuweisen, lief der Angeklagte hoch in die Wohnung, um seinen Ausweis zu holen. Der hierbei unbeaufsichtigte Angeklagte kehrte mit dem Ausweis zurück und wies sich gegenüber den Polizisten aus.
98Im Rahmen der weiteren Befragungen vor Ort schilderte er den Beamten zum Sturz des Geschädigten weiter, dass er den Geschädigten zu Boden gestoßen habe und sodann, dass er auf den Geschädigten gestürzt sei und dieser plötzlich im Brustbereich geblutet habe.
99Dabei wirkte der unverletzte Angeklagte auf die Beamten sehr ruhig und sehr gefasst. Er machte diese falschen Angaben, um das eigentliche Geschehen zu vertuschen, um möglichst einer Strafverfolgung zu entgehen.
100Durch ein Mitglied der Rettungswagenbesatzung erhielten die Beamten in der Zwischenzeit die Information, dass der Geschädigte Stichverletzungen erlitten habe. Daraufhin belehrte der Zeuge F den Angeklagten als Beschuldigten wegen eines versuchten Tötungsdelikts. Auf die Nachfrage, ob er die Belehrung verstanden habe, erlitt der Angeklagte einen Schwächeanfall und sackte zusammen. Von den Beamten in die stabile Seitenlage verbracht, kam er schnell wieder zu sich. Es wurde für ihn ein zweiter Rettungswagen angefordert. Nach nur kurzer Untersuchung durch die Rettungssanitäter, die keinen weiteren Behandlungsbedarf ergab, wurde der Angeklagte erneut als Beschuldigter belehrt und bejahte nunmehr die Frage, ob er die Belehrung verstanden habe. Auf die konkrete Nachfrage des Zeugen F, ob ein Messer „im Spiel gewesen sei“, gab der Angeklagte an, dass er kein Messer bei dem Geschädigten gesehen habe. Wahrheitswidrig gab er weiter an, dass er selbst kein Messer mitgeführt oder benutzt habe, obwohl ihm bewusst war, dass das zur Tat genutzte Messer in seiner direkten Nähe in dem Beet lag, in das er es geworfen hatte.
101Dort wurde das Messer unter Bodendeckern liegend bei der Tatortaufnahme erst spät in der Nacht am ##.##.20## gegen 2.00 Uhr von der Zeugin PK´in O gefunden.
102Die Zeugin A6 hatte die Angaben ihres Mannes im Wesentlichen bestätigt und war nach dessen Abtransport zum Polizeipräsidium nicht mehr zu Angaben bereit.
103c. Der Geschädigte verstarb am ##.##.20## um 00.57 Uhr nach einer Notoperation im Klinikum W auf Grund einer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns infolge des Herzdurchstichs und des damit einhergehenden massiven Blutverlustes.
104Der Angeklagte räumte bei seiner am Morgen des ##.05.20 erfolgenden Audiovisuellen Vernehmung gegenüber dem Zeugen KOK S erstmals ein, ein Messer gehabt zu haben. In der Nacht zuvor war ihm im Gewahrsam der Tod Bs von den Zeugen KHK R und KOK S mitgeteilt worden.
105Das Messer – so der Angeklagte in der polizeilichen Vernehmung - habe er aus „panischer Angst“ um seine Frau „aus irgendeinem Grund“ mitgenommen. Erst nach mehrfacher Nachfrage hierzu gab er an, dass er die laute und für ihn „total bedrohlich“ wirkende Stimme des Mannes gehört habe, als er, während seine Frau nach unten gegangen sei, um die Situation mit dem Mann zu klären, auf der Terrasse gewesen sei, wo er einen Stein an der Brunnenanlage gerichtet habe. Zuvor habe er den Mann mit den Worten, sein Telefonat sei sehr laut, er sitze hier auf einem Privatgrundstück, zum Weggehen aufgefordert gehabt, worauf dieser höflich geantwortet habe, dass er das mache.
106Der Angeklagte hat auf Nachfrage bei der Polizei vorgemacht, wie er das Messer verdeckt mit dem großen Gartenhandschuh gehalten habe, so dass es seine Frau, die ihm am Hauseingang unverletzt begegnet sei, nicht habe sehen können. Sie habe ihm gesagt, dass der Mann sehr beleidigend geworden sei und sich weigere zu gehen. Er sei dann auf den mit dem Rücken zu ihm sitzenden Mann zugegangen, dessen beleuchtetes Handy er gesehen habe. Dann sei er über Getränkedosen gestolpert, worauf der Mann aufgesprungen sei, sich umgedreht habe und irgendwas davon gesagt habe, dass er 30 Jahre alt ist. Dann habe der eher schwankende, torkelnde Mann mehrfach zum Schlag ausgeholt bzw. habe zugeschlagen. Er habe soviel Schwung dabei gehabt, dass er gestürzt bzw. auf ihn gestürzt sei, wieder aufgestanden sei und erneut auf ihn los sei. Er habe einen Schmerz am Hals gespürt, könne aber nicht sagen, ob er dort oder sonst wo getroffen worden sei. Er habe dann gesehen, dass das Hemd des Mannes blutete, sei völlig geschockt gewesen und habe erstmal gar nicht daran gedacht, dass das von dem Messer kommt. Der Mann habe gerufen: „Du hast mich gestochen“. Damit nichts Schlimmeres passiert, habe er das Messer dann weggeworfen.
107Daran, zugestochen zu haben, erinnere er sich nicht. Auch das Eindringen des Messers habe er überhaupt nicht gemerkt. Er habe ihn nur von sich fernhalten wollen und sei zurückgewichen, erinnere sich aber an genaue Details nicht.
108Er erinnere aber – so auf Vorhalt des vernehmenden KOK S -, dass er zu dem Verletzten nicht gesagt habe „so, jetzt können sie die Polizei rufen“.
109Bei seiner richterlichen Vernehmung vom selben Tag durch Richterin hat der Angeklagte seine in der polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben im Wesentlichen bestätigt. Zum Messereinsatz hat er angegeben, dass er, als der Mann anfing, um sich zu schlagen, zurückgewichen sei und die Hände gehoben habe. Dabei habe er wohl das Messer in seine Richtung gehoben, um sich und seine Frau zu verteidigen. Er habe nur gewollt, dass der geht, damit wir schlafen können. Der Mann sei mehrfach auf ihn zugesprungen. Bei dem ersten Schlag, den er mit der rechten Hand ausgeführt habe, habe er soviel Schwung gehabt, dass er gestürzt sei. Er sei wieder aufgestanden und habe nochmals nach ihm und seiner Frau geschlagen. Zwei, dreimal. Er wisse nicht, ob er getroffen worden sei.
110Gegenüber der Sachverständigen G hat der Angeklagte bei der rechtsmedizinischen Untersuchung am nächsten Tag auf deren Wiedergabe seiner polizeilichen Angaben, Schläge erfahren zu haben, angegeben, sich an Schläge nicht erinnern zu können.
111III.
1121. Die Feststellungen zu der Person des Angeklagten und zu seinem Werdegang beruhen auf seiner Einlassung und – diese ergänzend und damit in Einklang stehend – auf seinen Angaben gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen L und der psychologischen Sachverständigen M, die insoweit als Zeugen vernommen worden sind und den Feststellungen Entsprechendes aus dem Explorationsgespräch wiedergegeben haben.
1132. Die Feststellungen zur Tatvorgeschichte beruhen bis zu der ersten Begegnung des Angeklagten mit B (vgl. oben zu II. 1. a.) ebenfalls auf der Einlassung des Angeklagten.
1143. Die weiteren Feststellungen zum Tatvor-, zum Tat- und zum Tatnachgeschehen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit ihr die Kammer zu folgen vermochte, sowie dem übrigen Ergebnis der Beweisaufnahme.
115a. Der Angeklagte hat sich wie folgt in der Hauptverhandlung eingelassen:
116Nach einem erholsamen Tag, den er – wie festgestellt - mit Freunden und seiner Frau verbracht habe, habe er am Abend mit seiner Frau ferngesehen.
117Er sei bei dem ersten Kontakt mit dem Geschädigten an das Terrassengeländer an der Südseite getreten. Die Stimme sei von der Westseite gekommen. Auf der Stufe am Parkplatz habe er den Mann gesehen. Er habe sich überlegt, ihn anzusprechen. Er sei dann an die Nordwestecke der Dachterrasse gegangen und relativ nahe an dem Geschädigten gewesen, praktisch über diesem, damit der Mann ihn gut habe hören können. Der Mann sei ihm völlig unbekannt gewesen. Auch den Namen „B“ habe er nicht gekannt, als er diesen später erfahren habe. Er habe den Geschädigten B als groß und kräftig wahrgenommen. Sein weißes T-Shirt habe über den Muskeln gespannt. Der Geschädigte habe „engagiert“ gesprochen. Er habe das Handy in der linken Hand gehalten und mit der rechten Hand gestikuliert. Möglicherweise habe der Geschädigte eine Mütze aufgehabt. Er habe noch das Gesicht des Geschädigten in Erinnerung, als dieser hoch sah.
118Der Geschädigte sei „sehr energetisch“ gewesen, nicht entspannt und locker. Er habe auch kein Lachen gehört. Vielmehr habe der Geschädigte bei seinem Telefonat geschimpft, ohne dass er einen konkreten Wortlaut wiedergeben könne. Er habe die Worte „nicht direkt verstehen“ können. Der Geschädigte sei ihm nicht besonders glücklich erschienen, was dieser auch artikuliert habe. Letztlich habe er aber auch nicht viel von dem Gespräch mitbekommen.
119Da er davon ausgegangen sei, dass der Geschädigte noch länger spreche, habe er sich entschlossen, ihn anzusprechen. Er selbst sei entspannt gewesen. Das Ansprechen sei für ihn unproblematisch, „folgerichtig“ gewesen.
120Es sei das erste Wochenende seit Corona gewesen, an dem seine Frau und er sich freigenommen hätten in dem Sinne, dass nicht gearbeitet werden sollte. Er habe davor seit längerer Zeit nur wenig und schlecht geschlafen, so dass er und seine Frau früh zu Bett gehen wollten. Die Umstände der Corona-Pandemie seien für seine Frau und ihn sehr stressig gewesen. Es sei geplant gewesen, um 22:30 bis 23:00 Uhr zu Bett zu gehen. Um gut schlafen zu können, habe man den Tag sehr bewusst gestaltet mit dem Besuch bei Freunden, dem Radfahren und einem abendlichen leichten Essen. Mit seiner Frau zusammen habe er versucht, sich an dem Wochenende zu erholen. Gleichwohl – so auf Nachfrage – sei er nicht „genervt“ gewesen, als er den Geschädigten vor dem Haus gehört habe. „Ich fand es eher lustig, nicht störend.“ Es sei eine „absurde Situation“ gewesen. Gerade am ersten Wochenende, wo er früh zu Bett habe gehen wollen, sitzt einer unter dem Schlafzimmerfenster und telefoniert. Er wohne dort seit 20## und so eine Situation habe es noch nicht gegeben. Es sei zwar durchaus mal vorgekommen, dass Jugendliche auf der Straße laut sind. Das finde in der Regel an der nördlich seinem Wohnhaus gegenüber liegenden Schule im Innenhof statt, so dass man einigermaßen Schallschutz habe.
121Es sei so in dem Zeitraum zwischen 20:45 Uhr bis 21:30 Uhr gewesen, dass er den Mann wahrgenommen habe, also zu einer Zeit, zu der klar war, dass es bis zum Zubettgehen noch dauern werde. Der Film, den man geschaut habe, sei bis 22:30 Uhr gegangen, so glaube er. Er gehe in der Regel nicht vor 23:00 Uhr ins Bett. Er habe geguckt, ob das mit dem Film passt.
122Bei der Ansprache des Geschädigten habe er dessen Handy gesehen und vermutet, dass dieser ein Videotelefonat führe. Er habe ihn freundlich mit den Worten „Guten Abend. Ist alles ok? Ist etwas laut“ angesprochen. Das sei „vielleicht eine Redewendung. Er hätte ja auch sagen können, „Nein, ist nicht alles ok.“ Darauf habe der Geschädigte nicht reagiert. Daher habe er ihn erneut angesprochen: „Wird etwas laut: Können sie sich vorstellen woanders oder leise zu telefonieren?“ Der Geschädigte habe daraufhin erwidert: „Ja, mache ich.“ Er sei aber nicht weggegangen. Ob er leiser wurde, könne er nicht sagen. Er sei zurück ins Wohnzimmer gegangen, wo man während des Fernsehens nichts von dem Mann gehört habe.
123Auf Nachfrage erklärte der Angeklagte, dass er und seine Frau den Film gewechselt hätten. Auf Befragung hat er angegeben, dass er nicht mehr wüsste, aber welcher Szene man den neuen Film gesehen habe. Es sei mitten in der Handlung gewesen. Wann dies in zeitlicher Hinsicht erfolgte, könne er nicht genauer angeben. Er vermutete, dass der Wechsel erst nach dem ersten Kontakt mit dem Geschädigten erfolgte. Es seien für seine Frau zu viele Actionszenen in dem zunächst geschauten Film gewesen. Es habe – so auf Nachfrage – deswegen aber keine Unstimmigkeiten gegeben. „Sie hatte ja Recht. Ich war auch glücklich. Waren dann deutlich bessere Schauspieler.“
124Vor dem Ende des Films sei er ins Badezimmer gegangen. Insofern sei er sich sicher, weil er den Film und dessen romantisches Ende bereits gekannt habe, der mitwirkende Schauspieler Steve Martin aber eine viel zu lange Nase für die romantische Szene habe. Um seiner Frau das Ende aber „nicht kaputt zu machen“, sei er ungefähr fünf Minuten davor ins Bad gegangen. Dort habe er wieder die Stimme des Geschädigten gehört. Dies sei für ihn überraschend gewesen, weil viel Zeit vergangen war. Es sei „immer absurder“ geworden. Auf Nachfrage erläuterte der Angeklagte, dass er mit absurd eine ungewöhnliche Situation meine. Es habe ihn aber nach wie vor nicht genervt. Er sei „irritiert“ gewesen. Er habe sich daher mit seiner Frau besprechen wollen.
125Als er zurück ins Wohnzimmer gekommen sei, sei der Film – so vermute er – noch gelaufen. Seine Frau habe gefragt „Was war denn?“. Daraufhin habe er ihr kurz berichtet, dass der Geschädigte immer noch vor dem Haus sitze. Danach sei für ihn alles geklärt gewesen. An Absprachen mit seiner Frau, was nun zu tun sei, könne er sich – so auf Nachfrage – nicht erinnern. Seine Frau sei nach seiner Wahrnehmung auch nicht verärgert gewesen. Sie habe dann gesagt, dass sie runter gehe und mal mit dem Mann spreche. Ob sie sofort rausgegangen sei, könne er nicht sagen. Zumindest sei sie aber zeitnah losgegangen.
126Er habe sich darum gekümmert, dass alles ausgemacht wird. Er habe die Lampen im Arbeitszimmer, in der Küche, der Außenbeleuchtung sowie den Brunnen auf der Dachterrasse ausgemacht, wobei er die Reihenfolge nicht benennen könne. Das Ein- und Ausschalten des Brunnens geschehe über eine Fernbedienung, die man erst seit kurzer Zeit gehabt habe. Die Fernbedienung für den Brunnen habe er aus dem Regal geholt und gesehen, dass ein Stein des Brunnens verrutscht und daher das Wasser nicht richtig gelaufen sei. Er habe seine Frau schon beim Abendessen gefragt gehabt, ob sie bei ihren Arbeiten auf der Terrasse auf den Brunnen geachtet habe, da dort schon mal was daneben geflossen sei. Um sich um den verrutschten Stein zu kümmern, habe er sich im Flur Schuhe und Gartenhandschuhe angezogen und sei auf die Dachterrasse gegangen. Die Joggingschuhe habe er angezogen, weil er an Neuropathie leide und es deshalb nicht spüre, wenn er auf die scharfkantigen Steine trete. Die Handschuhe habe er angezogen, weil er sich schon ein paar Mal die Finger zwischen den Steinen gequetscht habe und sein Geld mit seinen Fingern auf der Tastatur verdiene.
127Auf dem Weg zu den Steinen habe er die Stimme des Geschädigten anders als zuvor wahrgenommen. Sie sei nun aggressiv, laut und bedrohlich gewesen. Konkrete Worte habe er jedoch nicht hören können. Die Stimme seiner Frau habe er hingegen nicht gehört. Er habe Angst in der Situation empfunden. Er wisse nicht mehr genau, was er gedacht habe. Er habe so etwas gedacht wie: „Du hast sie da runter gelassen.“ oder „A6 ist da unten und da ist einer aggressiv und bedrohlich.“ Sein nächster Gedanke sei gewesen, dass er da runter müsse. Er habe das Bild des Mannes mit „groß, kräftig und aggressiv“ vor Augen gehabt. Er sei deshalb wieder in die Wohnung gegangen, habe dort von der Theke das Messer vom Zwiebelschneiden ergriffen. Er habe nicht nachgedacht. Es sei ein Reflex gewesen. Er habe sich nicht gefragt, warum er das Messer nehme. Intuitiv sei es zur Abschreckung gewesen. Weil da jemand war, dem weder seine Frau noch er selbst gewachsen gewesen wären. Es hätte ja sein können, dass der Mann was getrunken hat.
128Auf Aufforderung eines seiner Verteidiger erklärte der Angeklagte, dass er Vorerfahrungen mit Gewalt habe. Er habe sich mehrfach in bedrohlichen Situationen befunden. In seiner Zeit in den USA sei er zweimal ausgeraubt und einmal sei ihm sein Wagen weggenommen worden. Er sei richtig und das sei ihm auch bewusst gewesen – so auf Vorhalt – dass er in W gewesen sei, aber in dem Moment habe er „die nächtlichen Straßen von V vor Augen“ gehabt. Grund sei der Klang der Stimme des Mannes unten gewesen. In Deutschland und in W habe er Erfahrungen wie in den USA nicht gemacht.
129Er habe das Messer am Griff in seiner Hand gehalten, und zwar so, dass bei heruntergehaltenem Arm die Spitze der Klinge, die an seinem Unterarm innen angelegen habe, nach oben, also zu ihm, gezeigt habe. Das Messer habe nicht im Handschuh gesteckt, sei aber von diesem verdeckt gewesen. So habe er das Messer gegriffen, weil es so auf der Theke gelegen habe. Das Messer sei nur „Plan B“ gewesen. Er habe niemanden angreifen wollen. Plan B sei der Fall gewesen, „wenn alles aus dem Ruder läuft“. Er habe das Messer zur Abschreckung mitgenommen. Damit man nicht das wehrlose Opfer sei. Er habe in den USA bei seinen – wie oben festgestellten – Erlebnissen die Erfahrung gemacht, dass die Täter „Menschen der Straße sind, die instinktiv leben“. Deswegen habe er ja auch in den USA ein normales Taschenmesser dabeigehabt, wenn er rausgegangen sei. Einen „Plan C“ – so auf weitere Nachfrage – habe es nicht gegeben. „Das schien mir astronomisch unwahrscheinlich.“ Er habe ja vorher ein ganz normales Gespräch mit dem Geschädigten gehabt. Er habe überhaupt nicht daran gedacht, zuzustechen.
130Als seine Frau ihm vor dem Haus unverletzt entgegen gekommen sei, hätte die Situation jeden bedrohlichen Charakter für ihn verloren gehabt. Er sei sehr erleichtert gewesen. Seien Frau habe ganz sachlich gesagt, dass der Mann beleidigend sei und dass er nicht gehen werde. Sie habe nicht gesagt, wie er sie beleidigt habe. Er selbst habe den Geschädigten in der Situation nicht gehört. Er habe sich noch kurz mit seiner Frau besprochen. Man sei zu der Übereinkunft gekommen, den Mann nun gemeinsam darauf anzusprechen.
131Erst als er sich dem Geschädigten genähert hatte, habe er diesen wieder sprechen hören. Er habe ihn ansprechen wollen, dass „er sich demnächst mal auf den Weg macht“. Seine „Zielsetzung“ sei es gewesen, „die Situation zu beenden, damit wir schlafen können“. Er habe den Geschädigten fragen wollen, warum er noch nicht gegangen sei. Der Geschädigte habe ja schon gesagt gehabt, dass er gehen werde. Vielleicht sei ja etwas passiert. Vielleicht habe der Geschädigte ja einen Grund gehabt, dass er vielleicht abgeholt werde oder auf jemanden wartete.
132Er sei mit seiner Frau gemeinsam hingegangen, wobei er vorweg gegangen sei. Er habe freien Blick auf das Handy gehabt. Er sei sich des Messers nicht bewusst gewesen, gehe aber – so auf Nachfrage – davon aus, dass er es weiter so gehalten habe wie beschrieben. Sein vorher gefasster Plan B sei komplett weg gewesen. Er habe nicht mehr an das Messer gedacht. Vielmehr habe er sich überlegt, wie er ihn anspreche.
133Die nächste Wahrnehmung sei dieses laute Scheppern gewesen. Er sei völlig überrascht und erschrocken gewesen. Er habe Dosen fliegen gesehen. Wie viele könne er nicht sagen, nur, dass er drei Dosen später eingesammelt habe. Vor dem Scheppern habe er keine Dosen gesehen, könne also nicht sagen, wo die gestanden hätten. Er habe sofort das Gleichgewicht verloren, sei gestolpert und ins Leere getreten. Er habe nur noch Momentaufnahmen in Erinnerung.
134Er könne nicht sagen, wie nah er bis zu dem Scheppern an den Mann herangetreten war. Er habe „aus einer gewissen Entfernung angefangen zu sprechen“. Dann habe es angefangen zu scheppern. Der Mann sei dann aufgesprungen. Er habe „sich stark bewegt“. Er selbst habe, als es schepperte, nach unten geguckt. Er sei nicht so nah an dem Geschädigten gewesen, dass er ihn berührt hätte.
135Er habe den Satz „Warum machen sie das?“, den er habe sprechen wollen, mit einem sehr deutlich und möglicherweise auch etwas lauter gesagten „Warum“ angefangen. Er habe den Mann in seinem Telefonat ja unterbrechen wollen. Ob er den Satz beendet habe, wisse er nicht mehr sicher. Dann habe es das erschreckend laute Scheppern gegeben. Als er nach unten geguckt habe, habe er aus dem Augenwinkel eine „starke Bewegung“ mit einer „starken Dynamik“ darin wahrgenommen. Es hatte eine gewisse Gleichzeitigkeit. Der Mann sei wahrscheinlich auch erschrocken gewesen. Auf die Ansprache mit „Warum...“ habe sich der Geschädigte ihm zugewandt. Dessen Aufspringen sei eine Reaktion auf den Schreck gewesen. Als er den Geschädigten wieder vor sich gesehen habe, sei dieser ein ganzes Stück von der Stufe weg auf dem Parkplatz gewesen. Der Geschädigte sei nach vorne weggesprungen. Er habe sich Sorgen gemacht, dass er auf den Geschädigten fallen könnte. Aber der Geschädigte sei von ihm weggesprungen.
136Er selbst sei die Stufe, auf der der Mann gesessen hatte, runter gefallen. Er sei nicht „platt auf dem Boden gelandet“. Er habe sich irgendwie abfangen können. Er habe ein schmerzendes Handgelenk gespürt. In einer Hand habe er noch unbewusst das Messer gehalten.
137Der Geschädigte habe auf ihn sehr groß gewirkt. Er sei groß gewesen, über zwei Meter. Er habe „mit erhobenen Armen und Fäusten vor mir“ gestanden. Er sei sehr bedrohlich gewesen.
138[Der Angeklagte machte die Arm- und Handhaltung des Geschädigten mit den Oberarmen horizontal nach links und rechts ausgestreckt und den Unterarmen mit zu Fäusten geballten Händen vertikal nach oben abgewinkelt vor.]
139Der Geschädigte sei ihm „sehr, sehr groß, kräftig und mächtig“ erschienen. Er habe den Eindruck gehabt, der Geschädigte gehe auf ihn los. Er habe versucht auszuweichen, wobei er - ohne sich daran zu erinnern – davon ausgehe, dass er zurück gegangen sei. Er könne sich auch nicht daran erinnern, dass er oder der Geschädigte was gesagt hätten. Er sei voll und ganz damit beschäftigt gewesen, nicht zu stürzen. Er habe nicht stabil gestanden. Er habe der „Bewegung“ ausweichen wollen. Er habe sich gefragt, warum der Geschädigte auf ihn losgehe. Er habe seine Frau nicht gesehen. Er sei getroffen worden und habe einen „Halsschmerz“ gespürt. Er selbst habe in der Situation körperlich nichts getan. Auch den Geschädigten habe er nicht gesehen. Nachdem er getroffen worden sei, habe er versucht, sich abzufangen vor den Steinen der Randeinfassung des Beets auf seinem Grundstück, die er auf sich zukommen sah. Er habe nicht gesehen, wie die Hand des Geschädigten ihn getroffen habe. Jedoch habe er einen Halsschmerz und einen Stoß verspürt. Sein Körper habe einen Impuls nach hinten und zur Seite bekommen. Unterhalb des Kehlkopfes sei er getroffen worden. Eigentlich habe er was sagen wollen, „stopp“ oder so, aber es sei nicht raus gekommen.
140Weil die Steine seinen Augen näher gekommen seien, habe er später gedacht, dass der Geschädigte in die Steine gefallen sei und sich dadurch verletzt habe.
141Von dem Mann habe er dann die Worte „Ich bin 30 Jahre alt“ gehört. Damit habe er nichts anfangen können und sei perplex gewesen.
142Schließlich sei er wieder richtig auf die Füße gekommen und habe sich aufgerichtet, sei aber sofort zurückgedrängt worden. Es habe einen physischen Kontakt gegeben, durch den er zurückgestoßen worden sei. Im Brust und Schulterbereich habe er die „Masse“ des Geschädigten gespürt. Beide hätten dabei nichts gesagt. Die Situation sei „ja völlig absurd“ gewesen. Es sei „eine Lappalie“ gewesen. Es habe auch „kein böses Wort“ zwischen ihnen gegeben. Er habe den Geschädigten auch nicht geschlagen oder gemaßregelt, lediglich dessen Druck wahrgenommen. Der Druck sei nicht kontinuierlich gewesen. Zwischendurch habe er etwas Luft gehabt, bevor der Geschädigte wieder zugedrückt habe. Der Druck sei von oben nach unten gekommen. Der Geschädigte habe ihm gezeigt, „wer der Stärkere ist“. Wo genau man sich zu dieser Zeit auf den Parkplätzen befunden habe, könne er nicht einordnen. Sobald er etwas vor gekonnt habe, sei es dann umso stärker wieder zurückgegangen. Theoretisch hätte er weg gekonnt. Der Geschädigte sei aber völlig dominant gewesen.
143Irgendwann habe er dann „Stopp! Stopp! Stopp!“ gerufen. Er habe versucht, dagegen zu halten, meine, mit seinen Armen dagegen gehalten zu haben. Wie er das genau gemacht habe, wisse er nicht mehr.
144Er habe auch nicht entweichen können. Hinter ihm sei die Hauswand und die Natursteinmauer gewesen. Später korrigierte er, dass er die Hauswand nicht im Rücken gespürt habe. Er habe nicht weiter zurückgekonnt. Er sei in der Nähe der Stufe gewesen, habe aber nicht über die Stufe entkommen können. Der Geschädigte sei ihm überlegen gewesen. Doch dann habe der Geschädigte plötzlich gestoppt. Er sei erleichtert gewesen, dass er von ihm abgelassen habe. Er sei sich nicht bewusst, geschlagen oder gestochen zu haben. Dann habe er einen roten Fleck auf dem T-Shirt des Geschädigten gesehen und gedacht, der Geschädigte habe sich verletzt. Er habe zu seiner Frau gesagt: „Wir brauchen einen Krankenwagen.“ Anschließend sei der Fleck größer geworden. Der Geschädigte habe gerufen: „Du hast mich gestochen!“ Da sei ihm das Messer in seiner Hand bewusst geworden, er habe auf das Messer geguckt und es ungezielt zur Seite weggeworfen. Er habe an dem Messer kein Blut und keine Anhaftungen gesehen. In dem Moment sei er des festen Glaubens gewesen, der Geschädigte habe sich an den Steinen verletzt. Er habe nicht gespürt, gestochen zu haben, aber auch keine Stürze des Geschädigten auf Steine gesehen. Erst als der Fleck größer wurde, habe er gedacht, dass das Blut von dem Messer kommen könne.
145Der Geschädigte habe etwas am Boden gesucht, sei gestürzt und wieder aufgestanden. Er habe sein T-Shirt kraftvoll auseinander gerissen. Er sei „sehr mächtig“ gewesen. Er selbst habe angenommen, dass „der wieder auf mich losgeht“, was er aber nicht tat.
146Abgesehen von der späteren ersten Hilfe, habe es danach keinen Kontakt mehr zwischen ihm und dem Geschädigten gegeben. Auch von einem Gerangel mit seiner Frau habe er nichts mitbekommen. Irgendwann seien dann die Nachbarn gekommen. Der Nachbar habe auf den Geschädigten eingesprochen, dass dieser bei ihnen bleiben sollen oder dass er sich hinlegen solle. Der Geschädigte sei dann zwischen den Steinen und der Stele zum Liegen gekommen.
147Er habe nicht zu dem Geschädigten gesagt, dass dieser nun die Polizei rufen könne.
148Gemeinsam habe man versucht, die Blutung zu stoppen. Seine Frau habe gesagt, dass man ihn in die stabile Seitenlage bringen müsse. Das sei dann auch gelungen. Nachdem man den Geschädigten mit der Trage in den Rettungswagen gebracht habe, habe er nachgedacht, was passiert sei und was er tun könne. Er habe dann drei Getränkedosen eingesammelt und neben die Stehle gestellt. Er gehe „sehr stark davon aus“, dass er in diese Dosen getreten gehabt habe.
149Die Handschuhe habe er die ganze Zeit getragen, auch während der ersten Hilfe.
150Auf die Frage der Kammer, ob er das Messer gegenüber den Rettungs- und Polizeikräften erwähnt habe, und wenn nein, warum nicht, hat der Angeklagte angegeben, dass ihm die Fragen, was passiert sei und ob es ein Messer gegeben habe, gestellt worden seien. Auch sei er belehrt worden als Beschuldigter. Er habe – wenn man so wolle – eine Wahrscheinlichkeitsrechnung angestellt. Danach habe er es für wahrscheinlicher gehalten, dass die Verletzungen von einem Sturz auf die Steine herrührten, obwohl er die Möglichkeit einer Verursachung durch das Messer ab dem Zeitpunkt, als der Blutfleck auf dem T-Shirt immer größer wurde, weiter gesehen habe.
151Die Dosen eingesammelt zu haben, habe er gegenüber den Beamten nicht gesagt, weil es ihm zu dieser Zeit nicht wichtig erschienen sei.
152Was er im Einzelnen vor Ort gesagt habe, wisse er auch nicht mehr genau.
153Im weiteren Verlauf hat der Angeklagte dann mittels einer handschriftlich vorformulierten verlesenen Erklärung angegeben, dass er ab dem Zeitpunkt, als er gegen die Getränkedosen getreten und ins Straucheln gekommen sei, schon bei seiner ersten Vernehmung den Geschehensablauf nicht mehr genau habe rekonstruieren können. Das könne er bis heute nicht. An einige Details glaube er, sich zu erinnern, andere habe er nie wahrgenommen. Sicher wisse er, dass er ihn nie habe verletzen wollen. Mittlerweile wisse er auch nicht mehr genau, woher er welche Kenntnisse habe. Auch wisse er nicht, was er bis zu seinem Transport zur Polizei von anderen erfahren oder anderen gesagt habe. Er habe auch nach dem Geschehen nicht erfasst, was genau nach seinem Stolpern über die Getränkedosen passiert sei.
154Auf Nachfragen der Kammer hat er dann wieder bestätigt, dass der Geschädigte bedrohlich und mit erhobenen schwingenden Armen, wie zuvor schon beschrieben, auf ihn zugekommen sei.
155b. Soweit diese Einlassung von den Feststellungen der Kammer abweicht, ist sie zu deren sicherer Überzeugung aufgrund der Beweisaufnahme widerlegt.
156aa) Die Gegebenheiten am Tatort einschließlich derjenigen in der Wohnung A und die äußeren Umstände des unmittelbaren Tatgeschehens ergeben sich zunächst aus der umfangreichen fotografischen Dokumentation und den fotografisch gesicherten Tatortspuren, zu welchen die Kammer auch die Zeugen KHK N und KOK Q vernommen hat. Deren Angaben sind ergänzt und bestätigte worden durch die Bekundungen des MK-Leiters, des Zeugen KHK R, und der ersten Polizeikräfte vor Ort, der Zeugen POKin E, PK F und sodann PK´in O.
157KOK Q, der den Tatortbefundbericht erstellt hat, hat der Kammer die Lage des Hauses B-Straße ## an einer ruhigen Anwohnerstraße in W beschrieben, dessen Ausrichtung und unmittelbare Umgebung einschließlich der Lage zur H-Str. und dem Haus des Zeugen K. Der Zeuge hat auch mittels der zum Tatortbefundbericht gefertigten Lichtbilder den unmittelbaren Tatort erläutert, nämlich den an der nordwestlichen Hausseite gelegenen Bereich der Parkplätze und den auf dem Hausgrundstück befindlichen Durchgang mit der Stufe zum nördlich gelegenen Hauseingang, den umgebenden Beeten mit Natursteineinfassung und der Stele vor dem Haus mit dem Hinweis auf die Firma des Angeklagten und die im Haus befindlichen Arztpraxen. Wegen der Einzelheiten wird insofern auf die zu Bl. 47 bei den Akten befindliche Karte und zu Bl. 48 und 49 befindlichen Lichtbilder gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen. Der Zeuge Q hat auch die Penthousewohnung des Angeklagten und deren Aufteilung und Ausrichtung der Räume und der südwestlich umgebenden Dachterrasse beschrieben und bekundet, dass in der Wohnung im Wohnbereich das Handy Samsung des Angeklagten sichergestellt worden ist. Betreffend der Entfernung des zur Straße B-Straße gelegenen Balkons des Hauses des Zeugen K zum Tatort hat der Zeuge KHK R bekundet, dass diese mit etwa 35 m ausgemessen worden sei. Dieser Zeuge hat aufgrund seiner Recherche bei dem Sender auch bekunden könnten, dass der Film „Wenn Liebe so einfach wäre“ am Tatabend bei ZDF-Neo in der Zeit von 20.15 Uhr bis 22.05 Uhr ausgestrahlt wurde.
158KHK N, der mit der Spurensicherung befasst war, hat der Kammer die Spurenlage vor Ort berichtet und anhand der Lichtbilder, die zu dem von ihm verfassten Spurensicherungsbericht erstellt wurden, erläutert. Daraus, nämlich insbesondere den vorgefundenen Blutspuren, ergab sich, dass sich das Tatkerngeschehen mit der Verletzung Bs im nördlichen Bereich der Parkplätze vor dem Haus B-Straße ## ereignet habe, nahe des die Parkflächen nördlich begrenzenden Beetes, in welchem der Geschädigte nach den Bekundungen des Zeugen K bei dessen Ankunft auch verletzt gelegen habe, um dieses und die darin befindliche Stehe herum und im Bereich der genannten Natursteinstufe des Durchgangs zum nördlich gelegenen Hauseingang. Wegen der Einzelheiten wird insofern auf die bei den Akten zu Bl. 74 bis 99 gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO vorhandenen Lichtbilder verwiesen. Des Weiteren ergab sich aus den Bekundungen des Zeugen, dass sich am Tatort mehrere Getränkedosen befanden, und zwar zwei ungeöffnete und eine geöffnete Dose in dem Übergangsbereich zwischen gepflasterter Fläche und unbefestigtem Beetbereich vor der Stele und zwei leere Dosen in dem Beet direkt nördlich neben der Natursteinstufe. Hinsichtlich der Einzelheiten der Standorte bzw. der Positionen und Beschaffenheiten der Dosen wird auf die zu Bl. 89 unten und 90 oben, 91 oben, 92 unten, 93 und 94 oben und 108, 109 unten und 110 bei den Akten befindlichen Lichtbilder gemäß § 267 Abs. 1 S.3 StPO verwiesen.
159Weiter ergab sich aus den Bekundungen von KHK N, dass vor Ort das Tatmesser gefunden werden konnte, und zwar ebenfalls in dem nördlich die Parkflächen begrenzenden Beet im Bereich der Stufe, aber tiefer in diesem gelegen unter einem Busch und Bodendeckern, so dass es erst bei genauerer Nachschau in dem Beet sichtbar wurde. Hinsichtlich der Einzelheiten der Lage des Messers wird auf die zu Bl. 79 unten und Bl. 103 und 104 oben (jeweils Spurentafel Nr. 23) bei den Akten befindlichen Lichtbilder gemäß § 267 Abs. 1 S.3 StPO verwiesen. Den Fundort und -zeitpunkt des Messers hat auch die Zeugin PK´in O, die das Messer, nachdem länger danach gesucht worden sei, am ##.##.20## um 2.00 Uhr schließlich gefunden hat. Aus ihren sowie den Bekundungen von KHK N, den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen Ä und der Inaugenscheinnahme des Messers beruhen auch die Feststellungen zu dessen Beschaffenheit und Maßen. Insofern wird zudem auf die Lichtbilder zu Bl. 104 und 105 oben wegen der Einzelheiten gemäß § 267 Abs. 1 S.3 StPO verwiesen. Der Angeklagte hat bestätigt, dass es sich dabei um das von ihm aus der Wohnung mit zum Tatort genommene Messer handelt, mit dem er sich zuvor am Tatabend an der Essensvorbereitung beteiligt gehabt habe.
160bb) Der Inhalt der Notrufe, welche die Zeugen A6 und D2 abgesetzt haben, ergab sich aus den entsprechenden Tonbandaufzeichnungen wie er dem wesentlichen Inhalt nach von der Kammer festgestellt worden ist. Die Zeitpunkte des Eingangs und die Eingangsorte der Notrufe hat der Leiter der Mordkommission, der Zeuge KHK R, der Kammer vermittelt.
161cc) Die Situation vor Ort einschließlich der Anwesenden, wie sie sich bei Eintreffen der ersten Polizeikräfte, namentlich der Zeugen PK F und POKin E, darstellte, haben diese Zeugen der Kammer vermittelt. Die Beamten, insofern insbesondere der Zeuge PK F, haben auch angegeben, dass der Angeklagte und seine Frau sich vor Ort nach dem Erscheinen der Polizei wie festgestellt verhalten und geäußert haben. Dass die Zeugin A6 nach der Festnahme und Verbringung ihres Mannes zum Polizeipräsidium vor Ort zu weiteren Angaben nicht mehr bereit war, hat die Zeugin Pk´in O der Kammer vermittelt. Die Bekundungen der Beamten stehen im Einklang mit den Gegebenheiten am Tatort, der späteren Spurensicherung und den Bekundungen des Zeugen K, der nach eigenen und den Angaben der Beamten zu dieser Zeit ebenfalls vor Ort war.
162dd) Die Feststellungen dazu, wie der Angeklagte sich bei seiner polizeilichen Vernehmung am Morgen des ##.##.20## gegenüber dem Zeugen KOK S äußerte, beruhen auf dessen Bekundungen sowie auf der davon erstellten Audio-Video-Datei, die in Augenschein genommen. Daraus ergibt sich auch, dass der Angeklagte im Rahmen dieser Vernehmung an seinem Körper gezeigt hat, wie er das Messer – entsprechend der dazu getroffenen Feststellungen – beim Heruntergehen aus seiner Wohnung gehalten habe.
163Dass der Angeklagte sich wie festgestellt bei seiner richterlichen Vernehmung vom selben Tag durch die Richterin geäußert hat, ergibt sich aus dem verlesenen Protokoll der richterlichen Vernehmung vom ##.##.20##.
164Dass der Angeklagte nach dem Tatgeschehen im Wesentlichen unverletzt war, insbesondere keine Verletzungen aufwies, die auf den Erhalt eines Schlages im Halsbereich oder einer anderen Körperregion hinwiesen, ergibt sich aus den Ausführungen der rechtsmedizinischen Sachverständigen G im Rahmen ihrer gutachterlichen Ausführungen vor der Kammer, die den Angeklagten am ##.##.20## körperlich untersucht hat. Sie hat zudem zeugenschaftlich bekundet, dass der Angeklagte bei der Untersuchung durch sie auf Nachfrage angegeben hat, sich daran, Schläge erhalten zu haben, nicht erinnern zu können. Die Kammer hält diese Angaben der Sachverständigen zu den Angaben des Angeklagten bei der Untersuchung für verwertbar (vgl. BGH NStZ 1996, 145, 146). Ergänzt werden die Angaben der Sachverständigen zu etwaigen Verletzungen des Angeklagten durch die von der Untersuchung gefertigten Lichtbilder, die sich zu Bl. 612 bis 615 bei den Akten befinden, und auf die wegen der Einzelheiten gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen wird.
165Aus den vom Angeklagten und seiner Kleidung nach der Festnahme gefertigten polizeilichen Lichtbildern, den Angaben des Zeugen PK F und der Einlassung des Angeklagten ergibt sich weiter, dass dieser wie festgestellt zur Tatzeit bzw. zum Zeitpunkt des Eintreffens der Polizei einschließlich der getragenen Gartenhandschuhe und der Laufschuhe bekleidet war.
166Dass der Angeklagte zur Tatzeit weder unter dem Einfluss von Alkohol, illegaler Drogen oder zentralwirksamer Arzneimittel stand, ergibt sich zum einen aus den Bekundungen von POKin E, wonach ein vor Ort durchgeführter Atemalkoholtest negativ verlief, und aus den Angaben der Sachverständigen Ü über die von ihr durchgeführte forensisch-toxikologische Untersuchung des dem Angeklagten am ##.##.20## um 0.25 Uhr entnommenen Blutes auf Drogen und Medikamente.
167ee) Die Feststellungen zum Zeitpunkt des Todes des B beruhen auf den Bekundungen des Zeugen KOK Ca. Dieser hatte sich in die Chirurgie des Klinikums W begeben, in das der Geschädigte verbracht worden war. Ihm war dort nach seinen Angaben um 00:57 Uhr von dem leitenden Unfallchirurg Ea der Tod des B mitgeteilt worden, der nach den Angaben des Arztes an einem Herzdurchstich bei zwei Stichverletzungen rechts und links im Brustbereich und einer Stichverletzung im Bauch gestorben sei.
168Dass der Leichnam des B mit der Größe, dem Gewicht und dem Körperbau wie festgestellt die festgestellten forensisch relevanten Verletzungen neben durch die Notoperation in der Klinik entstandenen Verletzungen aufwies, hat übereinstimmend dazu der Sachverständige Ä, Facharzt für Rechtsmedizin am Institut für Rechtsmedizin des Klinikums W ausgeführt, der die Sektion des Leichnams durchgeführt hat. Auch die Todesursache hat der Obduzent wie festgestellt angegeben und die Stichverletzungen mit den anzunehmenden Tiefen und Stichkanalverläufen anhand der bei der Obduktion gefertigten Lichtbilder erläutert. Der Sachverständige hat zudem ausgeführt, dass als Abwehrverletzungen zu klassifizierende Verletzungen bei dem Geschädigten nicht festgestellt werden konnten. Insbesondere kämen als solche nicht die festgestellten kratzerförmigen Hautabschürfungen an Kopf, Körperstamm und oberen Extremitäten in Frage, die zwanglos vereinbar seien mit einem Sturz des Geschädigten in das Buschwerk des Beetes, in dem er aufgefunden wurde.
169Die Feststellungen zu den Ergebnissen der forensisch-toxikologischen Untersuchung von Urin und Leichenblut des B beruhen auf den Ausführungen der toxikologischen Sachverständigen Ü. Die der Kammer langjährig bekannte erfahrene Sachverständige hat ausgeführt, dass illegale Betäubungsmittel und zentralwirksame Arzneistoffe, nämlich Opiate wie Morphin und Codein, Cocain, Amphetamin, Cannabionoide, Benzodiazepine, andere Sedativa wie Zolpidem, Diphenhydramin, Antidepressiva wie Doxepin, Venlafaxin und Neuroleptika wie Clozapin und Quetiapin nicht nachweisbar waren, bis auf Tilidin bzw. Nortilidin, zu dem Tilidin schnell verstoffwechselt werde, im Oberschenkelvenenblut mit einer Konzentration von 2,5 ng/ml bzw. 11 ng/ml. Diese Konzentrationen liegen – so die Sachverständige – unterhalb des therapeutischen Bereichs, so dass von einer länger zurückliegenden Aufnahme des Wirkstoffs, der bei starken bis sehr starken Schmerzen verordnet wird, auszugehen sei, und der zum Todes- wie zum Tatzeitpunkt bei einer asymptotischen Abbaukurve keine Wirkung verursacht habe.
170Die Toxikologin hat des Weiteren ausgeführt, dass in den bei der Leichenöffnung entnommenen Körperflüssigkeiten Oberschenkelvenenblut und Urin eine Blutalkoholkonzentration von 1,49 o/oo und eine Urinalkoholkonzentration von 2,27 o/oo festgestellt worden sind. Schon nach dem Verhältnis dieser Werte sei bei einem in der Blase nicht stattfindenden Alkoholabbau davon auszugehen, dass der Geschädigte sich die Blutalkoholkonzentration betreffend zum Todeszeitpunkt in der Alkoholabbauphase befand. Unter Berücksichtigung des bis zum Todeszeitpunkt über die etwa 2 ½ Stunden seit der Tat noch stattfindenden Alkoholabbaus ist – so die Sachverständige unter Zugrundelegung eines aus biologischer Sicht anzunehmenden stündlichen Abbauwertes von 0,15 o/oo von einer Tatzeitblutalkoholkonzentration bei B von etwa 1,9 o/oo auszugehen. Diese ist – so die Sachverständigen Ü und Ä übereinstimmend – durch die Gabe von Blutersatzstoffen im Rahmen der Notfalloperation des Geschädigten wegen des nicht geschlossenen Blutsystems nicht in einem nennenswerten Umfang beeinflusst worden.
171Die Feststellungen dazu, wie der Geschädigte zur Tatzeit bekleidet war, beruhen betreffend das kurzärmelige weiße T-Shirt schon auf der Einlassung des Angeklagten und betreffend die beige Shorts und die weißen Turnschuhe auf den Bekundungen des Zeugen K, der den Geschädigten damit bekleidet in dem Beet liegend am Tatort bei seinem Hinzukommen vorgefunden hat. Die sichergestellte stark beblutete Kleidung ist zudem in Augenschein genommen worden. Daraus und aus den Lichtbildern von der Kleidung, die sich zu Bl. 409 bis 416 bei der Akte befinden, und auf die wegen der Einzelheiten gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen wird, ergab sich auch, dass das T-Shirt an der Vorderseite mit den Stichverletzungen korrespondierende Textildefekte aufweist. Dies belegt zusätzlich, dass die genannten drei Stiche in Brust und Unterbauch vor Ort zugefügt wurden und der Geschädigte das T-Shirt zu diesem Zeitpunkt noch trug.
172ff) Die Feststellungen der Kammer zu den Lebensumständen des B zum Zeitpunkt seines Todes und in der Zeit davor beruhen zunächst auf den Angaben seiner Lebenspartnerin und seiner Mutter, der Zeuginnen T und B1, die Wohnort, Arbeit und Familiensituation des Geschädigten wie festgestellt angegeben haben. Die Zeugin T hat zudem bekundet, dass ihr Partner unregelmäßig Cannabis konsumiert habe und ihm deswegen 2018 vom Straßenverkehrsamt die Fahrerlaubnis entzogen worden sei. Der Geschädigte habe Sport betrieben und sei hierzu auch ins Fitnessstudio gegangen. Dies ergibt sich ebenso wie der Cannabiskonsum des Geschädigten und der Verlust des Führerscheins auch aus seinem Chatverkehr mittels Whatsapp-Messenger mit seinen Bekannten und Freunden, in welchen er sich im Zusammenhang mit dem Training auch über als Testosteron bezeichnete Präparate austauscht. In welchem Umfang der Geschädigte entsprechende Mittel nahm, ließ sich danach aber eben so wenig feststellen wie die Häufigkeit seines Cannabiskonsums oder der Konsum weiterer Drogen. Dass B ebenso wie der Angeklagte nicht vorbestraft war, ergab sich aus ihren Auszügen aus dem Bundeszentralregister.
173Dass B den Angeklagten nicht kannte, ergibt sich zunächst aus der Einlassung des Angeklagten, der angegeben hat, den Geschädigten nicht gekannt zu haben, so dass es naheliegend ist, dass auch dieser den Angeklagten nicht kannte. Die Zeugin T hat zudem bekundet, dass ihr die Bewohner des nahegelegenen Penthouses auf dem Haus B-Straße ## nicht bekannt gewesen seien, sie sich auch nicht erinnern könne, auf der zu ihrer Wohnung gelegenen Dachterrasse jemals einen Menschen gesehen zu haben, ihr der Angeklagte und seine Frau auch vom Sehen unbekannt gewesen seien und sie deshalb davon ausgehe, dass auch B den Angeklagten überhaupt nicht gekannt habe. Gestützt wird diese Annahme auch dadurch, dass die Auswertungen der Handys des Angeklagten und des Geschädigten keinerlei Hinweise auf einen Kontakt von Täter und Opfer ergeben haben.
174gg) Die Feststellungen dazu, was der Geschädigte in den Stunden vor seinem Tod gemacht hatte, beruhen zunächst wiederum auf den Bekundungen der T, die angegeben hat, dass ihr Partner gegen 20.00 Uhr die Wohnung verlassen habe, um „Döschen“, die festgestellten Mixgetränke zu holen, wovon er zwei in der Wohnung zuvor schon getrunken hatte. Dass B in etwa zu dieser Zeit die Wohnung verlassen hatte, ergibt sich zudem aus den Bekundungen des Zeugen K, der angegeben hat, um 20.18 Uhr wegen einer erwarteten Lieferung der Firma „Flaschenpost“ draußen gewesen zu sein und den ihm bekannten Geschädigten, seinen in seinem Haus lebenden Mieter, draußen gesehen zu haben. Dieser sei in Richtung der Straße B-Straße zu Fuß unterwegs gewesen und habe den Mitarbeiter des Lieferdienstes mit „Hey Kollege“ gegrüßt. Davon, dass der Geschädigte sodann tatsächlich die genannten Mixgetränkedosen gekauft hatte und sich mit mindestens fünf davon zu den Parkplätzen vor dem Haus des Angeklagten begeben hatte, wo er sodann mit seiner Schwester und seinem Schwager videotelefonierte, spricht der Umstand, dass die fünf Dosen – wie ausgeführt – vor Ort gefunden worden sind und entspricht den Bekundungen seiner Schwester D1 und seines Schwagers D2. Dass der Geschädigte sich dort niedergelassen hatte, um zu telefonieren, hat die Zeugin T zudem bekunden können, die angegeben hat, ihren Partner um 20.41 Uhr angerufen zu haben, um zu fragen, wo er bleibe, worauf ihr B berichtet habe, dass er vor den Arztpraxen B-Straße sitze und mit D1 telefoniere. Der Zeitpunkt des Anrufs der T hat sich ebenso wie der Umstand, dass der Geschädigte ab 21.20 Uhr eine Videotelefonie mittels des Messengerdienstes Whatsapp mit dem Mobilfunkanschluss seiner Schwester führte, aus der Auswertung seines Handys und eines dies zeigenden Screenshots vom Display des Handys der B1 ergeben, die angegeben hat, dass man zuvor schon entsprechend telefoniert gehabt habe, es aber zu einer Unterbrechung gekommen sei.
175hh) Davon, dass der Geschädigten, anders als vom Angeklagten behauptet, bei diesem Telefonat nicht aufgebracht oder unglücklich war, dieses auch nicht von Streit geprägt war, B vielmehr in guter Stimmung war und bei dem in entspannter Atmosphäre geführten Telefonat auch lachte, ist die Kammer aufgrund der Bekundungen der Zeugen K, D2 und D1 überzeugt. Aus ihren Bekundungen ergab sich, dass normale Familiengespräche um Alltägliches zu Themen wie zu dieser Zeit schon „Corona“ und zu Urlaubsplänen geführt wurden.
176So hat die Zeugin D1 bekundet, dass sie mit ihrem Bruder ein angenehmes Videotelefonat geführt habe, nachdem ihr Bruder gegen 20:20 Uhr angerufen habe. B sei „gut drauf“ gewesen und habe draußen in der Sonne gesessen, um diese zu genießen. Man habe darüber gesprochen, dass man bald zusammen mit den Familien Urlaub machen wolle. Auch über Hobbys und viele andere Dinge habe man gesprochen. B habe auch mit ihren Kindern gesprochen und habe zudem mit ihrem Lebensgefährten, dem Zeugen D2, sprechen wollen, der aber zunächst noch nicht zuhause gewesen sei. Sie habe sehen können, dass ihr Bruder während des Telefonats auch unterwegs gewesen sei. Er sei zu einer Tankstelle gelaufen und habe Zigaretten und was zu trinken geholt. Nachdem dann ihr Partner zuhause erschienen sei, habe man zunächst gemeinsam mit der Familie mit B gesprochen. Ab 21:20 Uhr habe der Zeuge D2 das Telefonat allein weitergeführt, während sie sich mit den Kindern ins Schlafzimmer verabschiedet habe. Vorher habe der Geschädigte noch etwas Aufmunterndes zu ihrem Sohn gesagt, der unter Zahnschmerzen gelitten habe. Das Telefonat sie zwischendurch einmal kurz unterbrochen gewesen. Danach habe sich der Geschädigte gleich wieder über einen Videoanruf gemeldet. Während der Telefonate seien ihre Kinder immer mal wieder zum Telefon gekommen, so dass der Geschädigte abwechselnd auch mit ihren Kindern gesprochen habe. Ihr Bruder sei hingegen nach ihrem Eindruck draußen allein gewesen. Dass er etwas getrunken gehabt habe und in einem „gut angetrunkenen Zustand“ gewesen sei, habe sie schon bemerkt, er habe aber nicht gelallt oder sei gar „sturzbetrunken“ gewesen.
177Diese Bekundungen der Zeugin werden gestützt durch die Angaben ihres Partners D2. Dieser hat bekundet, dass bei seiner Heimkehr an dem Tag D1 schon mit B telefoniert habe. Er habe dann das Handy übernommen und das Videotelefonat über das Handy seiner Partnerin weitergeführt. Er sei während des Telefonats in der Küche der Wohnung gewesen, während der Geschädigte irgendwo draußen vor der Tür gesessen habe. B sei „lustig drauf gewesen“. Man habe zusammen gelacht. Man habe vorgehabt und darüber gesprochen, nach der Corona-Pandemie mehr zusammen zu machen als zuvor. Man habe über Kurztrips mit der ganzen Familie nach Holland und Kroatien gesprochen. B habe Zigaretten geraucht und was getrunken und habe auch gesagt, dass er vor der Tür sei und trinke. Er sei davon ausgegangen, dass es Alkohol gewesen sei. Man habe sich auch gegenseitig ein bisschen geneckt, wie es in Gesprächen mit B üblich gewesen sei. Dieser habe sich etwa über seine – D2s – seit dem Beginn der Corona-Pandemie länger getragenen Haare lustig gemacht. D1 sei zwischendurch mal dazu gekommen, einmal auch um zu sagen, dass sie ins Bett gehe. Kurz vorher habe der gemeinsame Sohn noch zu B gesagt, dass er Zahnschmerzen habe, worauf dieser erwidert habe, auch schon mal Zahnschmerzen gehabt zu haben. Während des Telefonats habe B gesessen, er habe nicht geschrien, wohl aber gelacht, aber nicht im Sinne von „ausgeflippt“. Es habe keine schlechte Stimmung gegeben, man sei nicht einmal ernster geworden. Man habe sich auch gar nicht über Ernstes unterhalten oder etwas, worüber man sich hätte aufregen oder beschweren können.
178Die bereits für sich genommen glaubhaften Zeugenangaben werden gestützt durch die Bekundungen des Zeugen K, der insofern unbeteiligt ist, als bei ihm eine direkte emotionale Betroffenheit, anders als diese insbesondere bei D1 und B1 sowie T nachvollziehbarer Weise bemerkbar war, nicht vorhanden ist, da er weder zu dem Geschädigten noch zu dem Angeklagten eine näheres Verhältnis pflegte. Der Angeklagte war ihm als Nachbar bekannt und der Geschädigte als sein im selben Haus lebender Mieter, mit dem und der Zeugin T er ein gutes, aber kein weitergehendes freundschaftliches Verhältnis hatte. Der Zeuge K hat insofern bekundet, dass er nach Erhalt der Getränkelieferung wieder in seine Wohnung im ersten Obergeschoss gegangen sei und sich ab etwa 20:45 Uhr auf seinem zur B-Straße gelegenen Balkon aufgehalten habe. Von dort habe er den Geschädigten telefonieren hören. Während er auf dem Balkon geraucht habe, habe er Wortfetzen gehört und so allgemein was von dem Inhalt des Telefonats mitbekommen. Der Fernseher draußen auf dem Balkon sei nebenbei gelaufen, der Ton sei aber fast aus gewesen, jedenfalls so leise gestellt gewesen, dass nicht zu verstehen gewesen sei, was im Fernsehen gesprochen wurde. Er habe auch mit dem Handy im Internet gesurft und sich einen schönen Abend gemacht. Seine Frau habe in der Wohnung gelesen. Von dem Telefonat habe er deshalb schon einiges verstanden. B habe mit seinem Gesprächspartner darüber gesprochen, dass man sich „nach Corona“ unbedingt treffen müsse, nach Holland fahren müsse. Auch sei davon die Rede gewesen, dass der Geschädigte über ein halbes Jahr keinen Kontakt zu seiner Mutter gehabt habe, er sie aber trotzdem lieb habe. Die Stimme, die er gehört habe, habe er definitiv B zuordnen können. Weitere Stimmen habe er zu dieser Zeit nicht gehört. Die Stimmung des Telefonats sei nach seiner Wahrnehmung gelöst gewesen. Verärgerung habe er nicht raus gehört. Es sei, soweit er das Gespräch mitbekommen habe, um positive Inhalte gegangen; dass man mal wieder zusammen was machen müsse. B habe er irgendwo in der Nähe B-Straße verortet. Die Stimme sei betreffend Lautstärke und Richtung, aus der sie zu vernehmen gewesen sei, relativ gleichbleibend gewesen. B habe durchaus etwas lauter geredet als dies vielleicht normal sei. Er sei aber auch Keiner gewesen, der leise gesprochen habe. Betreffend die Dauer des Telefonierens befragt, gab der Zeuge an, dass es länger gewesen sei; möglicherweise anderthalb bis zwei Stunden. Er sei währenddessen die ganze Zeit auf dem Balkon gewesen. Seine Frau sei auch mal zum Rauchen rausgekommen. Dann habe sie gesagt: „Ach, der telefoniert immer noch.“ Solange er auf dem Balkon gewesen sei, habe er außerhalb seines Wohnbereiches nur den Geschädigten gehört. Es sei ansonsten ruhig gewesen, auch seien keine Autos entlang gefahren, es sei „mega still“ gewesen. Dass B alkoholisiert gewesen sei, habe er nicht wahrgenommen.
179Auf aufgrund dieser Zeugenaussagen ist die Kammer davon überzeugt, dass das Telefonat des Geschädigten zunächst mit der Zeugin D1 und danach mit dem Zeugen D2 in einer entspannten und fröhlichen Stimmung geführt wurde, ohne dass es zu Streit oder Beschwerden des Geschädigten gekommen ist. Die drei Zeugen haben das Telefonat aus unterschiedlichen Rollen bzw. in unterschiedlichen Zeiträumen mitbekommen. Aber alle drei schildern gleichsam entspannte und von keinerlei Aggression oder Verärgerung geprägte Gespräche. Die Angaben decken sich in Details, wie etwa dem Zahnschmerzbericht des Sohnes und zu Gesprächsinhalten wie Corona, Urlaubsplanungen und familiäre Themen. Die Kammer ist – auch unter Berücksichtigung der Frage, ob diese Zeugen eine unberechtigte Belastungstendenz zu Lasten des Angeklagten oder eine unberechtigte Beschönigung des Geschädigten an den Tag gelegt haben könnten – davon überzeugt, dass die Zeugen die Grundstimmung des Telefonats zutreffend und mit Erlebnisbezug wiedergegeben haben. So hat der Zeuge D2 sein Bemühen gezeigt, eigene Wahrnehmungen von denen seiner Partnerin zu differenzieren. Ein Interesse, ein aufgebrachtes Telefonat des Geschädigten zu verheimlichen, ist bei dem Zeugen K aus den schon ausgeführten Gründen ohnehin nicht zu erkennen.
180ii) Dass der Angeklagte sich durch das jedenfalls nicht leise geführte Gespräch des B gestört fühlte, als er es wahrnahm, ergibt sich schon aus seiner Einlassung. Insofern ist seine Behauptung, er sei nicht „genervt“ gewesen, habe die Situation als eher lustig und absurd denn als störend empfunden, schon vor dem Hintergrund seiner weiteren Ausführungen zu seinem Entspannungs- und Ruhebedürfnis zur Tatzeit, aus welchem heraus er und seine Frau den Tag und Abend auf Erholung und einen guten Schlaf ausgerichtet hatten, wenig überzeugend. Nicht nachvollziehbar sind seine Ausführungen aber angesichts des Umstandes, dass er nach eigenen Angaben sodann den Geschädigten sogleich ansprach und ihn aufforderte, sich zu entfernen. Hätte ihn dessen Anwesenheit und Telefonat gar nicht gestört, hätte es hierfür keine Veranlassung gegeben, zumal nach seiner Schilderung, den Geschädigten überhaupt erst ganz kurz vor der Ansprache bemerkt zu haben, zu dieser Zeit nichts dafür sprach, dass sich das Problem nicht binnen Kürze von selbst erledigen werde. Betreffend die Worte seiner Ansprache ist die Kammer auch davon überzeugt, dass der Angeklagte insofern nicht die sehr höflichen Worte wählte, die er in seiner Einlassung vor der Kammer benannt hat, sondern diejenigen, die er hierzu übereinstimmend in seinen tatzeitnahen polizeilichen und richterlichen Vernehmung inhaltlich dahin angegeben hat, dass er mit dem Hinweis auf die Lautstärke des Gespräch und das Privatgrundstück die Aufforderung an B gerichtet habe, sich zu entfernen.
181Aus dem Einlassungsverhalten des Angeklagten wird auch hier ersichtlich, dass er bemüht war, die Rollen so zu verteilen, als dass er selbst entspannt und ausgeglichen gewesen sei, während der Geschädigte sich vom Anbeginn seiner Wahrnehmung desselben in einer angespannten Stimmung befunden habe.
182jj) Vor diesem Hintergrund hat die Kammer des Weiteren keinen Zweifel daran, dass der Angeklagte, der nach der Zusage des Geschädigten, sich zu entfernen, mit dem baldigen Ende der Belästigung rechnen konnte, verärgert war, als er bei dem Gang ins Bad kurz vor Ende des Films feststellen musste, dass der Geschädigte immer noch unter seinem Schlafzimmerfenster saß und telefonierte. Jeder andere Schluss wäre schon angesichts der offenbaren Missachtung seiner Aufforderung durch den Geschädigten und der gut vorbereiteten Nachtruhe, die nun bald anstehen sollte, fernliegend. Vor allem aber ist die Behauptung des Angeklagten, er sei lediglich überrascht und irritiert gewesen, aber nach wie vor nicht genervt und ebenso wie seine Frau auch nicht verärgert gewesen, nicht glaubhaft angesichts des sich anschließenden Geschehens. Insofern steht schon nach seiner Einlassung fest, dass die Zeugin A6 sich durch seine Mitteilung, der Mann sitze da immer noch und telefoniere, veranlasst sah, entgegen des gemeinsamen Vorhabens, den Abend nun bald mit dem Zubettgehen ausklingen zu lassen, herauszugehen und den fremden Mann zum Weggehen aufzufordern. Dass dies nicht mit der angestrebten Entspannung, sondern mit Unruhe und Anspannung verbunden war, liegt aus Sicht der Kammer auf der Hand.
183Die Kammer ist zudem aus den nachfolgend dargestellten Gründen davon überzeugt, dass der Angeklagte – was auch nur mit aufkommender Wut erklärbar ist – entweder direkt mit seiner Frau herunterlief oder ihr in kurzem Abstand mit dem Küchenmesser bewaffnet folgte:
184So ist seine Einlassung, er sei, nachdem seine Frau die Wohnung verlassen hatte, im Zuge des allgemeinen Abschaltens von Licht und Elektrogeräten, dazu übergangen, sich an der Brunnenanlage auf der Dachterrasse zu schaffen zu machen, wozu er Schuhe und die Gartenhandschuhe angezogen haben, konstruiert wirkend und schon für sich genommen nicht glaubhaft. Angesichts der aus den vorgenannten Gründen als angespannt anzunehmenden Stimmung ist ein solches Verhalten schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil das angeblich drohende Fließen des Wassers wegen eines falsch liegenden Steins bis dahin offenbar nicht eingetreten war und daher deswegen ein Tätigwerden nicht erforderlich war. Einer entsprechenden Befürchtung, das Wasser könne daneben laufen, hätte einfach dadurch begegnet werden können, dass man den Brunnen – wie allabendlich üblich – mit der Fernbedienung ausstellte, so dass auch aus diesem Grund ein sofortiges Tätigwerden mit Schuh- und Handschuhanziehen nicht erforderlich war. Auch glaubt die Kammer nicht, dass der Angeklagte in der gegebenen Situation keine Bedenken gehabt haben will, seine Frau allein zu dem als groß und kräftig wahrgenommenen Mann gehen zu lassen, der sich auf Ansprache trotz Zusage immerhin hartnäckig gezeigt und den der Angeklagte zuvor als in unguter Stimmung befindlich wahrgenommen haben will, auch wenn er dies – wie ausgeführt – nicht war.
185Die Kammer ist demgegenüber davon überzeugt, dass der Angeklagte die „Brunnengeschichte“ nur erfunden hat, und zwar um durch die auf der Terrasse angeblich wahrgenommene bedrohlich wirkende Stimme des Geschädigten und die Angst um seine Frau eine Erklärung für seinen Griff zum Messer zu Verteidigungszwecken bieten zu können. Seine panikauslösenden Wahrnehmungen anlässlich seines Gangs zum Brunnen hatte er in seiner ersten Schilderung vor Ort gegenüber dem Zeugen PK F auch noch nicht angegeben, was naheliegend dadurch zu erklären ist, dass er angesichts des Verschweigens des Messers zu diesem Zeitpunkt eine Erklärung für dessen Mitführen noch nicht brauchte.
186Widerlegt werden die Angaben des Angeklagten zu seinen angeblichen Wahrnehmungen auf der Terrasse betreffend den Kontakt zwischen seiner Frau und dem Geschädigten aber insbesondere durch die glaubhaften Bekundungen der Zeugen D2 und K, welche diesen Kontakt und dabei insbesondere die Reaktion B auf die Ansprache der Zeugin übereinstimmend und sich ergänzend gänzlich anders beschrieben haben.
187Der Zeuge D2 hat insofern bekundet, dass er, nachdem er bereits einige Zeit mit seinem Schwager telefoniert hatte, nämlich vielleicht 20 bis 30 Minuten, im Hintergrund zum ersten Mal eine andere Stimme gehört habe. Es sei die Stimme einer ca. 40 bis 45jährigen Frau gewesen, die seinem Schwager schon nahe gewesen sei, was er daran festmache, dass er die Stimme deutlich habe vernehmen können. Die „älteren Dame“ habe sinngemäß geäußert, dass er weggehen solle, dass es ihr langsam reiche und er zu laut telefoniere. Die Frau sei sehr aufdringlich gewesen. B habe daraufhin erwidert, dass sie „sich abregen“ solle. Er gehe ja gleich, würde aber noch zu Ende telefonieren. Die Frau habe daraufhin erwidert, er solle sofort gehen, sonst rufe sie die Polizei, worauf B gesagt habe, dass sie ruhig die Polizei rufen könne, bis die da seien, wäre er „eh schon weg“. B habe die Sache aus seiner Sicht „locker“ gesehen. Er sei nicht aggressiv, beleidigend oder laut geworden, habe sich vielmehr überhaupt nicht aus der Ruhe bringen lassen. Natürlich könne es sein, dass er etwas genervt gewesen sei, was aber „eher weniger“ merkbar gewesen sei.
188Er selbst habe währenddessen zu B gesagt, dass er die Frau doch reden lassen solle, was der aber wohl nicht gehört habe, darauf jedenfalls nicht reagiert habe. Er selbst habe zuhause „geschmunzelt“, weil die Frau sich so angestellt habe. Danach habe er die Frau nicht mehr gehört.
189Auch insoweit werden die Angaben des Zeugen D2 gestützt durch die damit in Einklang stehenden glaubhaften Bekundungen des Zeugen K. Dieser hat angegeben, dass er nach geraumer Zeit, während derer er seinen Mieter hatte telefonieren hören, die ihm bekannte und auch sogleich von ihm als solche erkannte Stimme der Frau A6 wahrgenommen habe, und zwar aus derselben Richtung, aus der er die Stimme Bs wie zuvor wahrnahm. Frau A6 habe mit normaler Stimme, höflich aber bestimmt gesagt, dass sie müde seien und ins Bett wollten und er gehen möge. Betreffend die Reaktion des Geschädigten habe er nur gehört, dass dieser „Ja, ja.“ oder „Ja, ja, ich gehe jetzt gleich.“ geantwortet habe. Dabei habe er in einem höflichen Ton und nicht „frech“ gesprochen. Die Erwähnung der Polizei in diesem Gespräch – so auf Frage – habe er nicht vernommen. Auch Beleidigungen von Seiten des Geschädigten oder eine erhobene Stimme habe er nicht gehört. Das Gespräch habe nichts Bedrohliches gehabt.
190Vor dem Hintergrund dieser beiden Zeugenaussagen ist die Kammer davon überzeugt, dass sich der Geschädigte der Zeugin A6 gegenüber während des kurzen Wortwechsels weder bedrohlich und aggressiv noch beleidigend verhalten hat, wodurch sowohl die dahin gehende Einlassung des Angeklagten als auch die Angaben der Zeugin A6 hierzu widerlegt sind. Diese hat bekundet, der Mann habe aggressiv wirkend gesagt, dass sie sich „verpissen“ solle und sie als „Alte“ bezeichnet, die „keinen Stress machen solle“. Worte von entsprechender Schärfe wären von dem Zeugen D2, aber auch dem Zeugen K, deren Aufmerksamkeit jeweils auf das Geschehen gerichtet war, zur Überzeugung der Kammer zumindest des beleidigenden und aggressiven Tons nach wahrgenommen worden. Der Zeuge D2 konnte die durch die Frau veranlasste Unterbrechung seines Telefonats mit dem Geschädigten nachvollziehbar und im Hinblick auf die Mitteilung seines inneren Erlebens dabei auch erlebnisbasiert schildern. Seine Bekundungen waren zudem konstant zu seinen polizeilichen Angaben bei seiner Vernehmung durch den Zeugen KHK R vom 07.08.2020. Der Zeuge hat auch Erinnerungsschwierigkeiten kenntlich gemacht, indem er z. B. angegeben hat, nicht mehr sagen zu können, ob der Geschädigte die Frau gesiezt oder geduzt habe. Er machte auch kenntlich, soweit er sich nicht an konkrete Wortlaute, sondern nur an Inhalte erinnerte. Gleiches gilt für den Zeugen K, der auch auf Vorhalte seine Angaben nicht an diejenigen des Zeugen D2 angepasst hat, sondern erkennbar nur das bekundet hat, was er als sicher selbst gehört wiedergeben konnte. Auch seine Bekundungen sind konstant zu seinen Angaben bei seiner polizeilichen Vernehmung durch den Zeugen KHK R vom 07.08.2020. Der Umstand, dass der Zeuge K nicht gehört hat, dass die Polizei zwischen dem Geschädigten und der Zeugin A6 Erwähnung fand, spricht nicht gegen die entsprechende Wahrnehmung des Zeugen D2. So ist es naheliegend, dass der Zeuge K, der von den Geschehnissen etwa 35 m auf seinem Balkon entfernt saß, nicht soviel von dem Wortwechsel mitbekommen hat wie der Zeuge D2, der diesen am Telefon akustisch aus nächster Nähe verfolgen konnte. Der Zeuge K hat auch selbst angegeben, von dem vorherigen Telefonat nur die erwähnten Teile wiedergeben zu können. Jedoch decken sich seine Angaben in den wesentlichen Punkten mit den Angaben des Zeugen D2, die insofern gleichlautend sind, als dass die von ihnen wahrgenommenen Worte des Geschädigten ohne Schärfe gewesen seien und weder aggressiv noch bedrohlich geklungen hätten. Da der Wortwechsel – wie sich auch aus den weiten Ausführungen ergibt – nur sehr kurz war, geht die Kammer nach diesen Bekundungen weiter davon aus, dass die Reaktion Bs auch betreffend von den Zeugen möglicherweise nicht wahrgenommene oder erinnerte Teile nicht anders war.
191Aufgrund der Bekundungen der Zeugen D2 und K ist die Kammer des Weiteren davon überzeugt, dass auf das Ende des Wortwechsels zwischen dem Geschädigten und der Zeugin A6 in solch kurzem zeitlichem Abstand das Eingreifen des Angeklagten folgte, dass auch dieser zu dieser Zeit schon in direkter Nähe des Tatortes gewesen sein muss.
192So hat D2 weiter bekundet, dass sein Schwager während des Wortwechsels mit der Frau sitzen geblieben sei, sich aber nach hinten linksherum gedreht und offenbar dieser zugewandt habe. Er habe kurzzeitig nur noch dessen Brust und Kinn sehen können. Er habe sich dann zum Ende des Wortwechsels wieder ihm, also dem in der Hand gehaltenen Handy zugewandt. Er habe wieder Bs Augen sehen können. Direkt danach habe er einen Schlag, ein lautes Klatschen gehört und das Display des Handys sei schwarz geworden, wohl hingefallen. Dies sei so schnell nach dem Ende des Wortwechsels mit der Frau geschehen, dass er das Gespräch mit B noch gar nicht wieder habe aufnehmen können. Es sei keine Zeit mehr gewesen, was zu sagen, bis es zu dem Schlag gekommen sei. Er, der Zeuge D2, habe gewollt, dass der Geschädigte weiter mit ihm rede und sich nicht weiter um die Frau kümmere. Schon aufgrund dieser glaubhaften Aussage des Zeugen D2 ist die Kammer davon überzeugt, dass nur ein Zeitraum von allenfalls wenigen Sekunden zwischen dem Ende des Wortwechsels mit der Zeugin A6 und dem Hinzutreten und Eingreifen des Angeklagten verstrichen ist. Der Zeuge D2 hat auch diese Angaben genau, bezogen auf Wahrnehmungen und Schlussfolgerungen differenziert, erlebnisbasiert und konstant zu seinen polizeilichen Angaben gemacht.
193Davon, dass das von ihm wahrgenommenen Klatschen bzw. Schlagen mit Schwarzwerden des Displays auf das Eingreifen des Angeklagten zurückging, ist die Kammer schon deshalb überzeugt, weil das Hinzutreten des Angeklagten nach den Angaben sowohl der Zeugen als auch des Angeklagten selbst das nächste Ereignis darstellte. D2 hat hierzu angegeben, dass er kurz darauf wieder die Stimme Bs mit Worten wie „Geh weg, was soll das“ gehört hat (wie unten noch näher ausgeführt wird), was darauf schließen lässt, dass der Geschädigte wieder ein Gegenüber hatte, wobei er – D2 – dann eine andere Männerstimme als die seines Schwagers gehört hat (worauf ebenfalls noch unten einzugehen sein wird).
194Der Zeugen K hat in Übereinstimmung mit seinen polizeilichen Angaben in seiner Vernehmung durch KHK R angegeben, dass er unmittelbar nach dem kurzen Gespräch zwischen dem Geschädigten und der Zeugin A6 die energisch klingende Stimme des Angeklagten vernommen habe. Es seien nur Sekunden bis dahin vergangen, vielleicht zehn Sekunden, eher kürzer als länger. Was der Angeklagte gesagt habe, könne er nicht sagen, es sei aber sicher die ihm bekannte Stimme des Angeklagten gewesen. Davon, dass der Zeitraum bis zum Eingreifen noch kürzer war als 10 Sekunden geht die Kammer wiederum aufgrund der Bekundungen des Zeugen D2 zu der Entwicklung der Ereignisse nach dem Wortwechsel mit der Zeugin A6 aus. D2 konnte nachvollziehbar und lebensnah schildern, dass es zu keiner Gesprächsaufnahme mehr zwischen ihm und seinem Schwager gekommen ist. Dabei war es sehr naheliegend, dass die beiden Männer die Ansprache der Frau direkt zum Gegenstand ihrer Unterhaltung gemacht hätten, wozu der Zeuge D2 nach seinen insofern sehr lebensnahen Angaben ja auch schon angesetzt hatte. Nach der Schilderung D2s habe der Geschädigte darauf aber gar nicht mehr reagiert, weil dann schon das Schlagen bzw. Klatschen mit Schwarzwerden des Handys kam.
195Die Kammer ist danach davon überzeugt, dass der Angeklagte unmittelbar dem nach Ende des Wortwechsels zwischen seiner Frau und dem Geschädigten in das Geschehen eingriff.
196Daraus ergibt sich zugleich, dass er sich zu dieser Zeit bereits in direkter Nähe zu B aufgehalten haben muss, wodurch aber auch seine Einlassung widerlegt ist, dass er erst einige Zeit nach seiner Frau heruntergelaufen sein will, nachdem er, auf der Dachterrasse wegen des Brunnens aufhältig, dessen aggressive, bedrohliche Stimme – offenbar gegenüber seiner Frau – wahrgenommen habe.
197Die Zeit, die zwischen der kurzen Kommunikation der A6 mit B und dem Eingreifen des Angeklagten verging, war nämlich viel zu kurz, als dass er sich nach dem Anziehen von Schuhen und Handschuhen erst noch auf die Terrasse zum Brunnen begeben haben kann, bevor er sich mit dem Messer versah, mehrere Etagen runter lief und sich vor der Ansprache Bs auch noch mit seiner Frau austauschte. Die glaubhaften und im Wesentlichen miteinander im Einklang stehenden Angaben der Zeugen D2 und K lassen keinen anderen Schluss zu, als dass der Angeklagte, wenn er nicht schon mit seiner Frau runter ging, dieser in sehr kurzem zeitlichem Abstand nachfolgte, was aus dem oben genannten Gründen auch deutlich plausibler ist.
198Da es demnach die bedrohliche Situation seine Frau betreffend weder objektiv noch in der Wahrnehmung des Angeklagten gegeben hatte, konnte diese auch nicht der Grund dafür sein, dass der Angeklagte sich mit dem Messer bewaffnete. Grund für den Griff zum Messer war vielmehr zur Überzeugung der Kammer seine aufkommende Wut über das als penetrant empfunden Verhalten des Geschädigten, der dort trotz seiner Aufforderung wegzugehen immer noch unter seinem Schlafzimmerfenster auf seinem Grundstück saß und laut telefonierte, und sein Wunsch, dem nun ein Ende zu setzen.
199Die Kammer ist vor diesem Hintergrund des Weiteren davon überzeugt, dass der Angeklagte das Messer zumindest zu dem Zweck mitnahm, damit drohen zu können, falls der Geschädigte sich nicht füge und weiterhin nicht weggehe. Dafür, das Messer, wie von ihm behauptet, zu Verteidigungszwecken mitzunehmen, gab es nämlich keinerlei Notwendigkeit, was dem Angeklagten auch klar war. Der Geschädigte hatte auf seine Ansprache zuvor angemessen und höflich reagiert. Abgesehen davon, dass er nicht weggegangen war, hatte es seitdem kein Ereignis gegeben, das zu der Befürchtung Veranlassung gab, es könne zu einem Verhalten des Geschädigten in aller Öffentlichkeit im noch Hellen kommen, das eine Verteidigung mit einem Messer erforderlich machen könnte. Mehr als dass der Geschädigte sich weiterhin nicht fortbewegte und es möglicherweise zu verbalen Unstimmigkeiten kommen würde, stand nicht zu erwarten. Insofern wirkten auch die Vergleiche des Angeklagten zu seinen Erlebnissen in den USA und zu dem „instinkthaften Verhalten“ der dort „auf der Straße lebenden Menschen“ völlig deplatziert, zumal er selbst angegeben hat, dass ihm zu jeder Zeit bewusst gewesen sei, dass er sich in W befand, wo er niemals angegriffen worden ist.
200Andererseits ließ sich nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen, dass der Angeklagte schon zu diesem Zeitpunkt entschlossen war, den Geschädigten, falls dieser nicht gehen werde, mit dem Messer anzugreifen. Insofern kann sich der Zweck der Messermitnahme zu dieser Zeit nämlich noch auf die Möglichkeit zu drohen beschränkt haben und der Angeklagte sich noch keine Vorstellung zu seinem weiteren Vorgehen gemacht haben, falls sich sein Ziel, den Geschädigten zu verscheuchen, auch durch bloßes Drohen mit dem Messer nicht erreichen lässt.
201kk) Davon, dass die Verärgerung des Angeklagten weiter anschwoll und er wütend war, als er – in direkter Nähe befindlich – die Reaktion des Geschädigten auf die Ansprache seiner Frau mitbekam, ist die Kammer schon deshalb überzeugt, weil sich hierdurch das seine Verärgerung auslösende Verhalten des Geschädigten in immer beharrlicherer Weise zeigte. Dieser ließ seine Frau und ihre Aufforderung, nun zu gehen, die diese schon mit der Drohung mit der Polizei hatte verstärken müssen, mit seinen Worten „ja, ja, machen sie nur, bis dahin bin ich schon weg“ geradezu „auflaufen“. Das Vorhaben, den Mann unter Anknüpfung an seine vorherige Zusage mit den Worten „es reicht“ nunmehr zum sofortigen Aufbruch zu bewegen, war damit klar gescheitert. Schon dadurch, dass der Geschädigte im Begriff war, sich wieder seinem Handy zuzuwenden, war vielmehr eindeutig erkennbar, dass die durch seine Anwesenheit bewirkte Belästigung – jedenfalls zunächst noch – weitergehen würde.
202ll) Davon, dass der Angeklagte, der dies alles auch erkannt hatte, nun in seiner Wut auf den Geschädigten dazu überging, auf B einzuwirken, um ihm das Handy aus der Hand zu schlagen, ist die Kammer aus den folgenden Gründen überzeugt:
203Wie bereits ausgeführt, hält die Kammer es für gesichert, dass das von dem Zeugen D2 vernommene klatschende bzw. schlagende Geräusch mit Schwarzwerden des Handys zeitlich einhergehend mit der von K wahrgenommenen energisch klingenden Stimme des Angeklagten auf das Eingreifen des Angeklagten zurückging. Dafür, dass B diesen bisher schon wahrgenommen hatte, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Dies ist wegen seiner grundsätzlichen Blickrichtung in die Gegenrichtung und seiner Beschäftigung mit dem Handy auch unwahrscheinlich. Der Zeuge D2 hat weiter glaubhaft bekundet, dass trotz des Schwarzwerdens des Handys „der Ton weiterlief“. Aus dieser Wahrnehmung hat er die Schlussfolgerungen gezogen, dass das Handy hingefallen ist. Dass es sich insofern um eine Vermutung von ihm handelte, hat er kenntlich gemacht hat, was nochmals zeigt, dass der Zeuge zwischen eigener Wahrnehmung und darauf gestützten Annahmen zu differenzieren vermag und die Erlebnisbasiertheit seiner Angaben kritisch hinterfragt.
204Die von ihm gezogene Schlussfolgerung bezüglich das zu Bodenfallen des Handys zieht indes auch die Kammer, weil dieses Ereignis in der Rahmensituation den einzigen plausiblen Grund dafür bietet, die Wahrnehmungen des Zeugen zu dem Handy, also das Schwarzwerden des Bildschirms bei fortlaufendem Ton praktisch zeitgleich mit dem schlagenden/klatschenden Geräusch zu erklären. Insofern wäre noch in Betracht zu ziehen, dass B, der sonst nichts bei sich hatte, das laufende Handy in die Tasche seiner Shorts gesteckt, das Display mit der Hand verdeckt, das Handy mit dem Display nach unten auf den Boden gelegt oder die Bildübertragung ausgeschaltet haben könnte. Die beiden zuerst genannten Möglichkeiten passen aber schon nicht zu der Wahrnehmung des D2 zu dem Handy, wie er diese schon in seinem polizeilichen Notruf und sodann auch bei der Polizei und gegenüber der Kammer beschrieben hat. Ein in die Hosentasche gestecktes Handy hätte zu einer akustisch anderen, nämlich insofern weniger klaren Wahrnehmungsmöglichkeit als von dem Zeugen beschrieben, geführt. Ein Verdecken des Displays mit der Hand hätte zu einer anderen optischen Wahrnehmung geführt, als ein gleichbleibend schwarzer Bildschirm. Für das Abschalten der Bildübertragungsfunktion gab es keinen plausiblen Grund, zumal das Telefonat mit D2 nicht beendet war, und das Zubodenlegen des Handys, noch dazu auf die Displayseite ist schon angesichts des Werts und der Bedeutung eines Handys abwegig und wird auch vom Angeklagten nicht beschrieben.
205Zwar befand sich das Handy beim Eintreffen des Zeugen K bei dem verletzt im Beet liegenden Geschädigten. K hat hierzu glaubhaft bekundet, dass das Handy dort auf Hüfthöhe neben B gelegen habe, er es genommen und T gegeben habe, die es wiederum der Polizei aushändigte. Die Kammer geht diesbezüglich aber davon aus, dass der Geschädigte das Handy nach Erhalt der Stiche wieder aufgehoben hatte, etwa um Hilfe wegen seiner erkannt schweren Verletzungen zu holen. Dass er es hingegen nicht sogleich nach dem Zubodenfallen wieder aufgehoben hatte, ergibt sich daraus, dass das Display bis zur Beendigung des Telefonats nach den Bekundungen der Zeugen D2 und D1 schwarz blieb. Dafür, dass der Geschädigte das Handy erst nach den Stichen aufhob, spricht auch die Einlassung des Angeklagten, der verletzte Geschädigte habe etwas am Boden gesucht, bevor er wieder gestürzt, aufgestanden ,weggetorkelt und in das Beet gestürzt sei. Der danach anzunehmende Ablauf, dass B sein Handy zuvor noch nicht wieder aufgehoben hatte, spricht auch zusätzlich dafür, dass sich das Geschehen vom Zubodenfallen des Handys bis zu den Messerstichen in kürzester Zeit ereignete, weil der Geschädigte zuvor noch gar nicht dazu gekommen war, das Handy aufzuheben.
206Die Kammer ist des Weiteren davon überzeugt, dass das Zubodenfallen des Handys Folge einer bewussten und gezielten Einwirkung des Angeklagten auf das Handy, die handyführende Hand oder den Arm des Geschädigten war. Ein anderer Grund für das Hinfallen des Handys ist nicht ersichtlich. Außer dem Angeklagten und seiner hinter ihm befindlichen Frau war niemand zugegen, als der Angeklagte sich auch nach eigener Einlassung dem Geschädigten von hinten über den Weg zwischen Hauseingangstür und Stufe annäherte und das Wort ergriff. Dass sein nach seiner Einlassung nun stattfindendes Stolpern über die Dosen zu einem Sturz auf den Geschädigten geführt hätte, der das Zubodenfallen des Handys bewirkt haben könnte, hat der Angeklagte selbst nicht angegeben und einen körperlichen Kontakt auch im Sinne eines Fallens auf den Geschädigten für diese Situation ausdrücklich verneint.
207Vielmehr belegt auch sein Treten in oder gegen die Getränkedosen, was auch zu einem Scheppern geführt haben mag, dass er B körperlich angegangen hat. Davon, dass es zu dem Stolpern über Getränkedosen gekommen war, geht die Kammer aus, weil der Angeklagte dies schon vor Ort gegenüber PK F erwähnte und zwei der Dosen – wie festgestellt – neben dem Geschädigten im Beet lagen und die drei weiteren Dosen vor der Stele und damit von dem Geschädigten entfernt lagen bzw. standen. Demnach wurde keine der Dosen in einer Position gefunden, dass B daraus auf der Stufe sitzend daraus hätte trinken können, was er aber nach der Wahrnehmung der Zeugen D2 zuvor getan hatte. Dass die Dosen sich hierzu zuvor, auch soweit sie ausgetrunken waren, in Reichweite des Geschädigten befunden hatten, ist anzunehmen, weil es einen plausiblen Grund für die Annahme, der Geschädigte könne die Dosen weiter in Richtung der Hauseingangstür auf dem Weg verbracht haben, nicht gibt. Der Standort der Dosen bei dem Geschädigten zu dem Zeitpunkt der Annäherung an diesen durch den Angeklagten entspricht zudem den Angaben der Zeugin A6 (siehe insofern unten).
208Der Angeklagte muss demnach in eine Distanz unter Armreichweite zu dem Geschädigten gelangt sein, als er sich diesem annäherte. Die ist aber mit seiner Einlassung, er habe diesen nur ansprechen und die Dinge sprachlich-kommunikativ regeln wollen, zur Überzeugung der Kammer nicht vereinbar ist. So unterschritt er hiermit schon die normale körperliche Distanzhaltung sich fremder Menschen, was bereits nicht zu der eher distanziert wirkenden Persönlichkeit des Angeklagten passt. Die körperliche Nähe, in die der Angeklagte sich zu dem Geschädigten begab, ist aber auch gar nicht in der gegebenen Situation nachvollziehbar, die angesichts des Verhaltens des Geschädigten, der sich zumindest penetrant und zuletzt auch nicht mehr kooperativ zeigte, nunmehr zu einer vorsichtigen Zurückhaltung Veranlassung gab. Dies gilt umso mehr, als dass die behauptete Ansprache von hinten an den Geschädigten herantretend erfolgen sollte. Die Distanzunterschreitung war auch gar nicht erforderlich, da es trotz des Telefonats Bs keine Veranlassung gab davon auszugehen, er sei nicht auch aus etwas größerer Normaldistanz von mindestens 1,5 m verbal stimmlich erreichbar.
209Des Weiteren spricht dafür, dass der Angeklagte in dieser Situation auf das Handy des Geschädigten abzielte, dass dieses „der Stein des Anstoßes“, weil das damit immer weiter geführte Gespräch für die Anwesenheit des Geschädigten verantwortlich war, der in dem Augenblick gerade im Begriff war, sich – die Ansprache von Frau A6 letztlich ignorierend – wieder seinem Telefonat zuzuwenden und damit die abendliche Ruhestörung fortzuführen. Das Handy war durch das beleuchtete Display aus der Position, aus der sich der Angeklagte annäherte, auch gut zu sehen.
210mm) Davon, dass B den Angeklagten trotz dieses aggressiven Übergriffs nicht körperlich anging oder angriff, sondern lediglich verbal empört reagierte, und der Angeklagte auf diese Reaktion dem Geschädigten bewusst und ohne rechtfertigenden Anlass die Stiche aus großer Wut und Zorn versetzte, ist die Kammer aus den folgenden Gründen überzeugt:
211(1) Zunächst ergibt sich die Reaktion des Geschädigten aus den glaubhaften Bekundungen der Zeugen K und D2 zu den weiteren von ihnen akustisch wahrgenommenen Geschehnissen.
212Der Zeuge D2 hat insofern geschildert, dass er nach dem Schlag und dem Schwarzwerden des Displays wieder seinen Schwager gehört habe, der so etwas wie „Was hast Du gemacht?“, „Was soll das?“, „Warum machst Du das?“, „Sag mal, spinnst Du?“, „Geh weg, sonst rufe ich die Polizei“ oder auch „Ich kann ja mal die Polizei rufen“ geäußert habe. Er, der Zeuge D2, habe darauf erschrocken seine Partnerin hinzu geholt, weil irgendwas mit ihrem Bruder sei. Das Handy habe weiter in die Küche auf dem Tisch in einer Halterung gestanden. Es sei nur ganz kurze Zeit vergangen, vielleicht zwei bis drei Sekunden, dann habe er seinen Schwager wieder gehört und zwar diesmal mit den Worten „Was hast Du gemacht? Du hast mir den Bauch aufgeschlitzt“ oder „Was hast Du gemacht? Du hast mich abgestochen“. Auch das Wort „Blut“ – so auf Nachfrage –könne gefallen sei, ohne das er dies konkret erinnere. Die Stimme des Geschädigten habe erschrocken, geschockt und panisch geklungen. Ob seine Partnerin zu dieser Zeit auch schon an das Handy herangetreten war, vermochte D2 nicht mehr zu sagen. Später habe sie jedenfalls hinter ihm gestanden und sich über ihn zum Tisch hin gebeugt. Eine dunkle, kalte, männliche Stimme habe gesagt: „Jetzt haben Sie (oder jetzt hast Du) einen Grund die Polizei zu rufen.“ Dabei habe es sich – so auf Nachfrage – sicher nicht um die Stimme seines Schwagers gehandelt, wobei er das Alter der zu dieser Stimme gehörenden Person – so auf weitere Nachfrage – nicht einschätzen könne. Er, der Zeuge D2, habe nach kurzem Zuhören dann ins Telefon rein geschrien: „B, B, was ist?“. Er habe B röcheln hören. Seine Partnerin und er seien dann hektisch geworden und D1 habe das Handy genommen. Wie das Telefonat beendet worden sei, wisse er nicht. Er wisse auch nicht sicher, mit welchem Handy sie sodann den Notruf absetzen. Nach seinem Anruf bei der Polizei hätten sie sich auf den Weg nach W gemacht. Dass die Zahl „30“ gefallen sei oder Dosen gescheppert hätten, könne er – so auf Nachfrage – nicht sagen.
213Die Bekundungen des Zeugen sind auch diesen Teil seiner Aussage betreffend uneingeschränkt glaubhaft. Dabei hat die Kammer gesehen, dass der Zeuge noch immer emotional betroffen vom Tod seines Schwagers war, er aber dennoch eine ruhige und geordnete Aussage machen konnte. Er war erkennbar bemüht, möglichst genau das von ihm Gehörte wiederzugeben und nicht etwa ein Geschehen, das sich ihm danach bildlich aufgedrängt haben mag. Auch machte er erneut Erinnerungslücken kenntlich und auch, soweit er sich nicht an genaue Wortlaute, sondern nur an den Sinn mancher Aussagen erinnerte. Der Zeuge hat auch mit keiner unberechtigten Belastungstendenz zu Lasten des Angeklagten ausgesagt. So hat er naheliegende Gelegenheiten hierzu nicht ergriffen, indem er etwa auf die Frage nach dem Alter des Mannes mit der dunklen, kalten Stimme nicht eine zu dem Angeklagten passende Aussage gemacht, sondern hat angegeben, dieses nicht einschätzen zu können. Gleichwohl vermochte er nachvollziehbar die Stimme des Geschädigten von derjenigen abzugrenzen, mit der die Worte „Jetzt hast du einen Grund, die Polizei zu rufen“ gesagt wurden. So beschrieb er die Stimme des Geschädigten als deutlich heller. Dass es sich bei der anderen männlichen Stimme um diejenige des Angeklagten gehandelt haben muss, steht schon mangels weiterer außer dem Geschädigten und ihm zu diesem Zeitpunkt vor Ort anwesenden männlichen Personen fest. Auch seinen Vergleich der Stimmen des Geschädigten und des Angeklagten vermochte die Kammer gut nachzuvollziehen, da die Stimme des Angeklagten im Vergleich zu derjenigen, die der Geschädigte hatte, tatsächlich deutlich dunkler ist, wie sich aus dem Abspielen zahlreicher Whatsapp-Sprachnachrichten des B in der Hauptverhandlung ergeben hat. Für den Wahrheitsgehalt der Bekundungen des D2 spricht zudem, dass er schon in dem Notruf Minuten nach dem Geschehen und ohne überhaupt wissen zu können, was genau geschehen war, die vorgenannten Sätze seines Schwagers und des hörbaren Mannes vor Ort benannt hat. Dass der Geschädigte den Satz „Du hast mich gestochen“ gesagt hat, hat auch der Angeklagte selbst angegeben und betreffend den Satz „jetzt kannst Du die Polizei rufen“ hat die Zeugin A6 bekundet, diesen gehört zu haben, wenngleich sie angegeben hat, dass der Geschädigte den Satz gesagt habe, was aber – die Zuordnung betreffend – aus den unten noch darzustellenden Gründen nicht glaubhaft ist. Die Einlassung des Angeklagten und der Zeugin A6 belegen hiermit aber nochmals, dass die Bekundung des Zeugen, die Sätze seien gefallen, zutreffend ist.
214Der Zeuge K hat zu dem Geschehen ab dem Eingreifen des Angeklagten mit energisch klingenden Worten, deren Inhalt er nicht wiedergeben könne, bekundet, dass er danach wieder die deutlich andere Stimme Bs gehört habe. Der Angeklagte habe – so der Zeuge zutreffend – anders als der Geschädigte eine eher monotone Sprechweise mit gleich bleibendem tiefem Klang. Der Geschädigte habe gesagt, dass er über 30 oder über 20 oder vielleicht auch 33 Jahre alt sei und „sich das nicht antun müsse“. Dabei habe die Stimme des Geschädigten leicht entsetzt und überrascht geklungen, nicht aggressiv. Ihm sei dann klar gewesen, dass dort mehr passiere, als ein normales Gespräch, weswegen er, der er von seiner Position nichts habe sehen können, zur Balkonbrüstung gegangen sei und von dort in Richtung der Parkplätze geschaut habe, die man aber von seinem Standort aus nicht sehen könne, so dass er auch den Angeklagten und den Geschädigten nicht habe sehen können, sondern nur so eine Kappe auf der Straße liegen gesehen habe, wie sie der Geschädigte getragen hatte und die er ihm auch zugeordnet habe. Er sei dann in die Wohnung ins Wohnzimmer gegangen und habe zu seiner Frau im Wohnzimmer gesagt, dass es Stress „mit A1“ gebe. Seine Frau habe gesagt, dass er sich nicht einmischen solle. Er sei daraufhin über die Küche ins Schlafzimmer gegangen und habe durch das dortige Fenster irgendwas wie „Ich blute.“ oder irgendwas mit „Blut“ sowie anschließend ein Röcheln ähnlich wie der Laut einer Robbe gehört. Die Aussage mit dem Blut und das Röcheln habe er B zugeordnet. Aufgrund des Röchelns habe er den Gedanken gehabt, dass eine Person eine andere im Schwitzkasten habe. Er habe zu seiner Frau gesagt, dass er jetzt runter gehe, habe sein Handy genommen und um 22:41 Uhr im Treppenhaus versucht, die Zeugin T anzurufen. Gerechnet von dem Zeitpunkt an, zu dem er die Stimme der Frau A6 vernommen habe, seien nach seiner Schätzung zu dieser Zeit erst zwei Minuten vergangen gewesen. Draußen sei er zu dem Angeklagten und seiner Frau gegangen und habe sich gefragt, wo B sei. Er habe dann dessen weiße Turnschuh gesehen und weiter das röchelnde Geräusch gehört, das von dem schwer atmenden Geschädigten herrührte, der komplett mit Blut „besudelt“, insbesondere im Brustbereich gewesen sei, wo sich eine Blutschicht gebildet hatte. Sein Oberkörper sei frei gewesen.
215Diese Bekundungen des Zeugen K sind uneingeschränkt glaubhaft. Sie sind auch diese seine Wahrnehmungen betreffend präzise, reflektiert und wirken durch die Mitteilung eigener Vorstellungen und inneren Erlebens, welches der Zeuge aber von den seinen Wahrnehmungen abzugrenzen vermochte, erlebnisbasiert.
216Die Schilderung des Zeugen steht im Einklang mit den Bekundungen seiner Frau, der Zeugin K1. Diese hat im Wesentlichen angegeben, dass sie B, der offenbar telefoniert habe, im Wohnzimmer sitzend immer mal wieder gehört habe. Da das Fenster geschlossen gewesen sei, habe sie aber nur wenig von draußen mitbekommen. Es sei dann ihr Mann vom Balkon hereingekommen und habe gesagt, dass es „Ärger mit A1“ gebe, worauf sie gesagt habe, ihr Mann solle sich da nicht einmischen. Der sei dann ganz kurze Zeit später aus Richtung Schlafzimmer wieder zu ihr gekommen und habe gesagt, dass jemand einen anderen im Schwitzkasten habe und er jetzt runter gehe, worauf er die Wohnung verlassen habe.
217Dass die Zahl, die K mit 30, 20 oder auch 33 benannt hat, im Zusammenhang mit seinem Alter von B genannt worden ist, haben auch der Angeklagte und seine Frau angegeben (diese mit 30), was auch dafür spricht, dass die Wahrnehmungen des Zeugen zutreffend ist
218Dass der Zeuge K den von Santino D2 mitgeteilten Satz des Angeklagten „jetzt hat du einen Grund die Polizei zu rufen“ ebensowenig gehört hat wie den Ausruf des Geschädigten „Was hat du gemacht, du hast mich gestochen“, spricht weder gegen die Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen noch gegen diejenige der Angaben des Zeugen D2. So passt es in zeitlicher Hinsicht gut mit den Angaben des K zusammen, dass er, der er nach den Worten Bs hereingegangen war und sich dann zunächst im Wohnzimmer befand, wo er die Sätze – ebenso wie seine Frau – nicht hörte. Er dann hörte er, ins Schlafzimmer gegangen, durch das Schlafzimmerfenster – offenbar nach den Stichen – das Röcheln und die Worte Bs „Blut“ bzw. „ich blute“. Dass die von K nicht gehörten vorgenannten Sätze gefallen sind und deshalb nicht etwa von D2 erfunden worden sind, ergibt sich auch daraus, dass sie vom Angeklagten bezogen auf den Satz des Geschädigten „Du hast mich gestochen“ und von der Zeugin A6 bezogen auf den Satz „jetzt kannst Du die Polizei rufen“ – wie schon ausgeführt – ebenfalls angegeben werden.
219(2) Schon mit diesen glaubhaft geschilderten Wahrnehmungen der Zeugen ist ein Angriff des Geschädigten auf den Angeklagten, wie dieser von ihm und seiner Frau (dazu unten) geschildert worden ist, nicht plausibel in Einklang zu bringen.
220So ist den Worten des Geschädigten „was soll das?“, „geh weg, sonst ruf ich die Polizei“ und „ich bin 30…“ oder auch „…über 30 und muss mir das nicht geben“ gemein, dass damit inhaltlich Empörung zum Ausdruck kommt. Insofern schränkt es die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen auch nicht ein, dass sie unterschiedliche Wortlaute in derselben Situation wahrgenommen haben, weil die Aussagen inhaltlich zueinander passen. Die Worte klangen nach den Angaben der Zeugen auch nicht aggressiv, sondern eher entrüstet und überrascht, was auch zu ihrem Inhalt und der Situation mit dem unmittelbar vorangegangenen Verhalten des Angeklagten passt, das für B völlig überraschend gewesen sein dürfte und durch seine aggressive Übergriffigkeit auf das Handy Anlass gab, sich darüber zu entrüsten.
221Zu den Äußerungen Bs passt aber das diesem von dem Angeklagten in seiner Einlassung zugeschriebene Verhalten, er habe sich nun vor ihm mit erhobenen Armen und geballten Fäusten aufgebaut, ihn dann auch geschlagen und am Hals getroffen, ihn zurückgedrängt und ihm gezeigt, wer der Stärkere ist, nicht. Vielmehr sprechen die Äußerungen des Geschädigten, auf die er binnen ganz kurzer Zeit die Stichverletzungen erlitt, was durch seinen nur Sekunden später folgenden Satz „was hast du gemacht, du hast mir den Bauch aufgeschlitzt“ oder „…du hat mich gestochen“ und sein Röcheln mit den Worten „Blut“ oder „Ich blute“ belegt ist, deutlich dafür, dass der Geschädigte sich lediglich sich tatsächlich nur verbal aufregte und empörte. Die Wendung „ich bin 30 Jahre alt und muss mir das nicht geben“ bringt zum Ausdruck, dass er den Konflikt nicht wollte und als aufgedrängt empfand. Durch seinen Hinweis auf sein (nicht mehr ganz junges) Alter brachte er zum Ausdruck, dass er sich so nicht behandeln lassen wollte und er deshalb die Polizei rufen könne. Dies zeigt deutlich, dass der Geschädigten in einer mit Worten geführten Auseinandersetzung verblieb und die Angelegenheit nicht sogleich selbst regelte, indem er den Angeklagten durch Schläge oder sonstige körperliche Übergriffe gleich selbst zur Rechenschaft zog. Dass nicht der Fall war, ergibt sich auch aus den Angaben des Angeklagten am Tatabend gegenüber PK F spricht, wonach „der Mann sich aufgeregt und in seine Richtung gestikuliert …“ habe.
222Insofern hat die Kammer bedacht, dass B nicht unerheblich alkoholisiert war und ein Alkoholisierungsgrad, wie er bei ihm vorlag, die Gefahr aggressiven und unkontrollierten Verhaltens grundsätzlich erhöht. Auch hat der umfangreiche Chatverkehr des Geschädigten, durch welchen sich die Kammer einen gewissen Eindruck von seiner Persönlichkeit zu verschaffen vermochte, gezeigt, dass es sich bei ihm um einen Mann mit teils roher bis hin zu vulgärer Sprache handelte bei Nutzung von vielen Worten und Wendungen, die aus dem regionalen Soziolekt Masematte aus den Arbeitervierteln von Münster stammen. Der Chat-Verkehr zeigt auch, dass B insbesondere dann, wenn er um seine Kinder oder auch um weitere Angehörige fürchtete, mit verbaler Gewalt und massiv verbal bedrohlichem Verhalten reagieren konnte. So äußerte er etwa im Chat vom 28.10.2019 mit seinen Freunden in Reaktion darauf, dass sein jüngerer Bruder bei einem Discobesuch brutal zusammengeschlagen worden war – diese Begebenheit hat auch die Zeugin B1 bekundet –, bezogen auf einen dafür verantwortlich gemachten C2 „Ach Jungs, Leute, macht alle nicht so ne Welle, ich fahr da hin, klatsch den um und gut ist“ oder auch „Wenn du mir sagst … der soll ne Abreibung kriegen, kriegt der ne Abreibung“. Seinen Bruder, der B2 nicht geholfen haben sollte, bezeichnet er als „Fotze“ und „Missgeburt“ und spricht davon, dass, wenn er den finde „…dann glaub mal, Gnade Gott, dass die Jungs den finden. …von mir kriegt der richtig Wixe“. Dabei belegen die Chats indes nicht, dass B seine Drohungen auch in die Tat umsetzte und sich diese nicht nur auf eine Art „Maulheldentum“ beschränkten. Andererseits zeigen seine Chatnachrichten und die von B dabei vielfach verwandte Sprache aber, dass mit den vom Angeklagten behaupteten körperlichen Reaktionen im Sinne eines „Umschaltens in einen Angriffsmodus“ ganz andere Äußerungen des Geschädigten verbunden gewesen wären, wie etwa „was willst du Missgeburt“ oder „ich mach dich platt“, wobei er auch keine Rücksicht darauf genommen hätte, dass diese auch andere Personen hätten hören können. Solche Äußerung des Geschädigten, die nach der Erfahrung der Kammer Gewaltdelikte regelmäßig begleiten, hat aber weder der Angeklagte behauptet noch haben die Zeugen solche wahrgenommen.
223(3) Die Angaben des Angeklagten sind demgegenüber nicht glaubhaft.
224Bezogen auf B waren seine Angaben in seiner Einlassung vor der Kammer von Anfang an von der Tendenz getragen, diesen als aufgebracht, streitend, „energetisch“ und unglücklich wirkend zu beschreiben, obwohl dies weder durch die Wahrnehmung der Zeugen K noch durch diejenigen der Telefonpartner Bs gestützt wird. Dadurch, dass er sich selbst demgegenüber betont als entspannt und – wie ausgeführt – wahrheitswidrig als nicht gestört und verärgert über das Verhalten des Geschädigten beschrieb, wurde sein Bestreben erkennbar, die Rollen von vornherein, nicht den Gegebenheiten entsprechend, so anzulegen, dass von dem Geschädigten aggressives, von ihm selbst hingegen nur defensives Verhalten zu erwarten war.
225Seine Schilderung des Sachverhalts erfolgte zunächst in abgehackten Sätzen mit schlagwortartiger Erzählweise, die inhaltlich ohne weitere Verbindung aneinandergereiht wurden. Diese Aneinanderreihung einer Vielzahl vermeintlich relevanter Informationen ließ nicht den Eindruck einer erlebnisbasierten flüssigen Darstellung aufkommen. Die Kammer verkennt hier nicht, dass der Angeklagte sich dabei in einer besonderen Situation befand und die Darstellungsweise seiner emotionalen Betroffenheit geschuldet gewesen sein könnte. Allerdings machte der Angeklagte diesen Eindruck während der gesamten Hauptverhandlung sonst nicht, so insbesondere nicht bei seinen Angaben zum Lebenslauf als auch sonst nicht bei seinen teils ausführlichen und in Detail gehenden Einlassungen zur Sache. Aber auch dabei wurden die Lücken zwischen den einzelnen schlagwortartig geschilderten Umständen der ersten Schilderung nur unzureichend ausgefüllt. In vielen Bereichen, gerade denen, in denen ein Abgleich mit der Spurenlage möglich gewesen wäre, blieb der Angeklagte unkonkret, so z. B. betreffend den Schlag, den er – insofern schlussfolgernd – erhalten haben will, das behauptete Drücken Bs und seine Messerhaltung dabei. Fragen beantwortete er dabei teils eher ausweichend, so auch die Fragen des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Ä zu den Stichen mit der Folge, dass seine Antworten einen Realitätsabgleich mit dem Verletzungsbild nicht ermöglichten.
226Auffällig war zudem, dass der Angeklagte Fragen zum Ablauf teils insofern nicht in dem Sinne direkt beantwortete, als dass er zeitlich an der Stelle des in Bezug genommenen Ereignisses einsetzte, sondern mit seinen Antworten in der zeitlichen Abfolge etwas vorher einstieg, um sich dann dem abgefragten Punkt anzunähern. Dies war z.B. bei den Fragen der Kammer zu der Situation, als er das Messer ergriff, der Fall. Die Kammer sieht insoweit ein Einlassungsverhalten, das nicht von Erlebnisbezug geprägt ist, weil andernfalls zu erwarten wäre, dass umgehend auf den gefragten Punkt eingegangen wird. Durch das zeitlich frühere Einsteigen in die Schilderung soll hingegen sichergestellt werden, dass die nicht erlebnisbasierte Einlassung widerspruchslos vorgetragen werden kann.
227Überhaupt nicht nachvollziehbar blieb die Einlassung des Angeklagten, dass er sich des Messers in seiner Hand, als er auf den Geschädigten zuging, gar nicht mehr bewusst gewesen sein will. Das Messer steckte in keiner Tasche, sondern war von ihm mit der behandschuhten Hand umfasst. Es hatte es kurz zuvor – nach seiner Darstellung zu Verteidigungszwecken, tatsächlich zu Drohzwecken – ergriffen, ein Vorgang, der für ihn keineswegs alltäglich, sondern höchst ungewöhnlich und mit Anspannung verbunden war, so dass das Messer gar nicht aus seinem Bewusstsein gelangen konnte.
228Insbesondere sind aber auch seine Schilderungen zum Tatkerngeschehen nicht nachvollziehbar. So entspricht die drohende Armhaltung des Geschädigten, die er beschrieben hat, keiner nachvollziehbaren Körperhaltung in einer sich – wie er beschrieben hat – rasant zuspitzenden körperlichen Auseinandersetzung. Auch dass dabei von beiden Männern nichts gesagt worden sein solle, ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung fernliegend. Die Darstellung spricht vielmehr dafür, dass dem Angeklagten klar war, dass er zu seiner Schilderung passende laute, aggressive und/oder angsterfüllte Äußerungen und Schreie nicht behaupten konnte, weil die Zeugen diese hätten gehört haben müssen.
229Nicht glaubhaft sind seine Angaben zum Tatkerngeschehen auch deshalb, weil er diesbezüglich die Handlungen und Körperhaltung des Geschädigten sehr genau zu beschreiben vermochte, aber eigene Handlungen nur unzureichend konkretisieren konnte. Dies gilt insbesondere für das behauptete Gegenhalten mit den Armen, während er in der einen Hand – immer noch unbewusst – das Messer gehalten haben will. So konnte der Angeklagte auch auf diesbezügliche Fragen des rechtsmedizinischen Sachverständigen Ä keine weiteren Angaben machen. Für die Kammer entstand hier wiederum der Eindruck, dass er es vermied, sich an den Stellen festzulegen, bei welchen eine Überprüfung durch objektive Beweismittel, also die Spurenlage, möglich gewesen wäre.
230Die Angaben des Angeklagten sind zudem gerade das Tatkerngeschehen betreffend nicht konsistent. So hat er bei seiner polizeilichen Vernehmung am Morgen nach der Tat dazu geschildert, dass er wisse, dass der Geschädigte mehrfach zum Schlag ausgeholt habe. Dieser habe auch zugeschlagen, sei gestürzt und habe dann nochmals zugeschlagen. Demgegenüber hat er sich in der Hauptverhandlung dahin eingelassen, dass er Schläge des Geschädigten oder ein Ausholen zu diesen gerade nicht gesehen habe, dass es dazu gekommen sei vielmehr nur wegen seines dann verspürten Halsschmerzes geschlussfolgert habe. Insofern verkennt die Kammer auch hier nicht, dass der Angeklagte bei der Polizei aufgeregt und aufgrund der vorangegangen Mitteilung, der Geschädigte sei verstorben, auch emotional betroffen gewesen sein mag. Beides wird gegebenenfalls aber in seinem Verhalten in der audiovisuellen Vernehmung, in der er ruhig und um eine sachliche Darstellung bemüht wirkt, nicht erkennbar. Bei seiner richterlichen Vernehmung hat der Angeklagte sich sodann abweichend zu seiner Darstellung in der Hauptverhandlung noch konkreter zu den Schlägen geäußert und angegeben, dass der Mann, nachdem er beim ersten Schlag gestürzt und dann wieder aufgestanden war, noch zwei, drei Mal geschlagen habe, ohne dass er wisse, ob er getroffen worden sei. Als er am nächsten Tag von der Sachverständigen G rechtsmedizinisch untersucht wurde, hat er angegeben, sich daran, Schläge erhalten zu haben, gar nicht erinnern zu können, und in dieser Situation auch nicht – wie in der Hauptverhandlung – angegeben, diese nur nicht gesehen, aber am Hals gespürt zu haben, was bei der rechtsmedizinischen Untersuchung auf der Hand liegend auch von Interesse gewesen wäre.
231Schließlich ist er in der Hauptverhandlung nach dem Ende seiner Befragung durch die Verfahrensbeteiligten durch die schriftliche Erklärung dazu übergegangen anzugeben, dass er Details nie wahrgenommen habe und den Geschehensablauf bis heute nicht genau rekonstruieren zu können, womit er die Erlebnisbasiertheit und den Realitätsbezug seiner zuvor teils detaillierten Darstellung selbst stark eingeschränkt hat.
232Die Einlassung des Angeklagten, von B angegriffen worden zu sein oder dies jedenfalls konkret befürchtet zu haben, und zwar kurz bevor er dessen „blutendes T-Shirt“ und das Messer in seiner eigenen Hand sah, ist des Weiteren deshalb nicht glaubhaft, weil er dies nicht schon bei der Befragung durch die Beamten am Abend angegeben hat. B befand sich zu dieser Zeit schwer verletzt im Rettungswagen. Seine schweren Verletzungen hatte der Angeklagten aufgrund des vielen Blutes auch spätestens wahrgenommen, als er sich daran beteiligte, den Geschädigten auf die Trage zu verbringen. Bei seiner Befragung durch die Beamten wurde schnell klar und wurde im Zusammenhang mit seiner Belehrung als Beschuldigter auch offen ausgesprochen, dass er von den Beamten als für die Verletzungen des Geschädigten Verantwortlicher betrachtet wurde. Hätte sich zuvor tatsächlich ein Geschehen zugetragen gehabt, bei welchem der Angeklagte in der geschilderten Weise massiv bedrohlich angegangen und auch geschlagen wurde, so hätte es mehr als nahe gelegen, dies zur eigenen Verteidigung auch sogleich zu sagen, statt von Stürzen und Stoßen seinerseits zu berichten und den Eindruck eines eher unglücklich verlaufenen Geschehens zu erwecken.
233Sein Verhalten vor Ort war von Anbeginn des Dazukommens Dritter von dem Bemühen um Verschleierung geprägt, woraus die Kammer schlussfolgert, dass der Angeklagte seine Verantwortlichkeit und fehlende Rechtfertigungsmöglichkeit mit den sich daraus für ihn ergebenden Folgen sah.
234So hat er nach dessen glaubhaften Angaben auf die Frage des am Tatort eintreffenden Zeugen K, was den passiert sei bzw. was sie – die Eheleute A – gemacht hätten „nichts“ gesagt, der Geschädigte sei durch eine leichte Abwehrbewegung gestürzt, die der Angeklagte dabei vormachte. Auf die nachvollziehbare Reaktion Ks, der die schweren Verletzungen des Geschädigten sah: „Laber keinen Scheiß“, hat der Angeklagte dann – so der Zeuge – in dieser Situation zunächst nichts mehr zu den Verletzungsursachen gesagt.
235Auch gegenüber den vor Ort eintreffenden Beamten machte der Angeklagte sodann bewusst wahrheitswidrige Angaben, indem er in verschiedenen Varianten von Stürzen und Stößen sprach, die zu den Verletzungen geführt hätten, und das Messer auf die ausdrückliche Frage des Zeugen PK F danach verschwieg. Dass ihm das Messer und die wahre Ursache der Verletzungen des Geschädigten zu dieser Zeit bewusst waren, ergibt sich schon daraus, der er dem Geschädigten die Stiche kurz zuvor bewusst und gewollt versetzt hatte (siehe insofern sogleich unten). Der Geschädigte hatte zudem auch nach seiner Einlassung gesagt „du hast mich gestochen“ und er – der Angeklagte – hatte bei dem Blick auf das Messer in seiner Hand nach Rotwerden des T-Shirts des Geschädigten es nach eigener Einlassung vor der Kammer auch für möglich gehalten, dass die Verletzungen von dem Messer herrühren könnten. Soweit er dazu weiter vor der Kammer angegeben hat, er habe dann aber nach „einer Art Wahrscheinlichkeitsrechnung“ doch wieder Stiche für „astronomisch unwahrscheinlich“ und ein Sturzgeschehen für wahrscheinlicher gehalten und das Messer deshalb nicht erwähnt, ist dies bereits in sich und vor dem weiteren Hintergrund, dass ihm ja von den Beamten auch mitgeteilt worden war, der Geschädigte habe nach Auskunft der Rettungskräfte Stichverletzungen erlitten, nicht nachzuvollziehen.
236Tatsächlich war dem Angeklagten bewusst, dass das Messer neben ihm im Beet unter Strauchwerk lag, wo er es kurze Zeit zuvor hingeworfen hatte. Dass er es nicht erwähnte, ist danach plausibel nur dadurch zu erklären, dass er sich seiner Schuld und der sich daraus für ihn bei Entdeckung ergebenden Konsequenzen bewusst war und er deshalb durch sein Verhalten nicht zum Fund der Tatwaffe mit daran möglicherweise zu findenden weiteren Nachweisen für seine Täterschaft beitragen wollte, sondern darauf hoffte, dass dieses nicht gefunden werde, oder er zuvor noch für dessen Wegschaffung sorgen könne.
237(4) Auch die Bekundungen der Zeugin A6, welche die Einlassung des Angeklagten partiell stützt, sind zum Tatkerngeschehen, aber auch im Übrigen in weiten Teilen nicht glaubhaft.
238Diese hat zunächst – insofern glaubhaft – die Angaben des Angeklagten zum gemeinsamen Lebensweg und der Gestaltung des Tattages einschließlich der Schlafprobleme ihres Mannes bestätigt.
239Betreffend den Kontakt zu dem Geschädigten hat die Zeugin geschildert, dass ihr Mann, als er zum Ende des Films wieder aus dem Badezimmer zurückkehrte, gesagt habe, der Mann sei immer noch da und spreche laut. Sie habe erwidert, dass sie mal runtergehe und ihn anspreche. Ihr Mann habe gesagt, er gucke nach dem Brunnen und mache alles aus. Ihr Mann sei natürlich nicht erfreut gewesen. Er habe gesagt, er habe jetzt gar keine Lust, sich aufregen zu müssen. Es sei „doof“, dass der noch da sei. Ihr Mann habe aber „da keine Welle machen“ wollen. Es sei kein Thema gewesen, ob er selbst runtergehe. Er habe sich vielmehr nicht weiter darum kümmern wollen. Ihr Mann sei entspannt gewesen. Ihr sei klar gewesen, dass er jetzt nichts mehr unternehmen, sondern ins Bett gehen würde. Weil sie aber gewollt habe, dass er gut schlafe, sei sie runtergegangen und er habe sie nicht abgehalten. Sie habe noch kurz überlegt, die Sache vom Balkon aus zu regeln, habe das dann aber nicht gemacht, weil der Mann ja schon einmal von oben herab angesprochen worden war, was sie nicht gewollt habe. Zu dem Zeitpunkt habe sie keine Probleme befürchtet. Sie habe ja nur gewusst, dass der Geschädigte dort saß und telefonierte.
240Sie sei daraufhin nach unten gegangen und habe sich dem Geschädigten von hinten genähert, der mit Blickrichtung zur Straße gesessen habe. Sie meinte, sie habe Dosen rechts hinter ihm – so auf Nachfrage – in Griffreichweite des Mannes gesehen. Er habe das Handy in der Hand gehabt, das auch erleuchtet gewesen sei. Es sei ein Gesicht auf dem Display gewesen. Sie sei von einer Videotelefonie ausgegangen. Der Geschädigte habe laut gesprochen und sei verärgert gewesen. Diese Verärgerung habe nicht dem Gesprächspartner gegolten, sondern jemand anderem. Sie habe ihn höflich und freundlich angesprochen mit den Worten „Sie sind sehr laut, sie sitzen unter unserem Schlafzimmerfenster. Wir können nicht schlafen.“ Der Geschädigte sei daraufhin unwirsch geworden und habe sie nicht angeguckt. Erst auf spätere Nachfrage erklärte die Zeugin, dass sich der Geschädigte nur kurz zu ihr umgedreht habe und versucht habe, sie abzuwimmeln. Er habe dann erwidert: „Ja, ja, gehe gleich.“ Daraufhin habe sie gesagt: „Nein, nicht gleich, bitte jetzt.“ Der Geschädigte, den sie nicht gekannt habe, habe ihr geantwortet, dass er auch hier wohne. Sie habe ihm daraufhin entgegnet: „Dann gehen sie doch bitte nach Hause.“ Dann habe der Geschädigte zu ihr gesagt: „Ach, geh mir nicht auf die Nerven.“ Er sei beleidigend geworden und habe sie die ganze Zeit geduzt. Er habe sie „Alte“ genannt. Auch habe er „Hau ab.“ und „Verpiss Dich.“ gesagt. „Irgendwas Unschönes kam da noch.“ Das sei eine Ebene gewesen, bei der sie gedacht habe, dass sie vorsichtig sein müsse. Der Geschädigte sei ihr auch nicht ganz nüchtern erschienen. Seine Reaktion habe sie als nicht angemessen empfunden. Sie habe dann zu ihm gesagt: „Sie sitzen auf unserem Grundstück, ich rufe jetzt die Polizei.“ Der Geschädigte habe erwidert: „Kannst Du machen. Bis die da sind, bin ich weg.“ Sie sei nicht verärgert gewesen, vielmehr irritiert und brüskiert. Ärger sei etwas Stärkeres. Auf Nachfrage erklärte die Zeugin: „Wenn sie von verärgert sprechen möchten, können wir das so nennen.“ Sie habe dann nichts mehr gesagt und sei zurückgegangen. Auf dem Weg sei ihr ihr Mann begegnet und habe sie gefragt, ob sie o.k. sei, was sie bejaht habe und hinzu gesetzt habe, dass der Mann aber noch da und beleidigend sei. Zusammen habe man „ganz kurz“ überlegt und sich entschlossen, es nochmal zu zweit zu probieren. Sie habe den Geschädigten in dieser Situation nicht gehört.
241Der Angeklagte sei vorausgegangen und sie sei ihm gefolgt. In dieser Situation habe sie weder die Handschuhe ihres Mannes noch das Messer wahrgenommen. Dann habe es plötzlich laut gescheppert. Nach dem ersten Schreck sei ihr klar gewesen, dass das Scheppern von den Dosen stammte, weil sie die Dosen ja gesehen hatte und sie dann da gelegen hätten. Mehrere Dosen seien über die Fläche der Parkplätze in Richtung der Straße geflogen. Wo die Dosen genau gestanden hätten, könne sie nicht sagen, weil ihr Mann vor ihr gewesen sei. Sie habe sich erschreckt, sei stehengeblieben und habe ihren Mann nach vorne stolpern und straucheln gesehen. Ihr Mann sei weder zu Boden gegangen noch auf den Geschädigten gefallen. Der Geschädigte sei aufgesprungen, habe sich umgedreht und aufgeplustert. Er sei auf ihren Mann mit ausgestreckten Armen zugerannt und habe irgendwas gesagt. Es sei keine abwehrende Haltung des Geschädigten gewesen, an Fäuste könne sie sich aber nicht erinnern. Die Männer seien aufeinander geprallt. Da habe es einen körperlichen Kontakt zwischen den Männern im Bereich der Brüste gegeben. Das habe sie von hinten gesehen. Die Hände ihres Mannes habe sie nicht gesehen. Dieser körperliche Kontakt sei von dem Geschädigten ausgegangen. Der Geschädigte habe rudernde Bewegungen mit den Armen gemacht. „Er hat vielleicht auch geschlagen. Das weiß ich nicht mehr.“ Sie habe mehrfach einen erhobenen Arm des Geschädigten gesehen. Sie habe eine „schon schlagende Bewegung“ gesehen. Ob ihr Mann getroffen worden sei, wisse sie nicht. Konkrete Angaben zu dem von ihr bezeichneten „Gerangel“ vermochte die Zeugin nicht zu machen. Eine Schlägerei sei es nicht gewesen. Die beiden Männer seien auf den Parkplätzen gewesen. Sie habe noch oberhalb der Stufe gestanden. Sie sei aus ihrer „Starre erwacht“. Es habe einen Spalt zwischen den Männern gegeben und sie sei dazwischen gegangen und habe an den Mann gerichtet gefleht: „Gehen Sie bitte weg. Wir wollen nur schlafen.“ Der Geschädigte habe ihr auf die Arme geschlagen und etwas mit der Zahl 30 und dem Begriff „schnell“ gesagt. Er habe sie an den Schultern gepackt, zu ihr gesagt „Das hier ist Männersache.“ und sie zur Seite geschleudert. Dies sei schmerzhaft für sie gewesen. Da habe sie große Angst vor dem Geschädigten und um ihren Mann bekommen. Während sie zur Seite geschleudert worden sei, sei der Geschädigte wieder auf ihren Mann losgegangen. Ihr Mann sei vom Geschädigten zurückgedrängt worden. Es habe ein Gerangel zwischen den Männern gegeben. Ihr Mann sei an die Stufe und in die Rosenbüsche gedrückt worden. Später gab die Zeugin an, dass der Angeklagte nur sehr nah an diese Rosenbüsche heran gedrückt worden sei. Der Geschädigte sei auch zu Boden gegangen, habe sich aber abfangen können. „Plötzlich endete es.“ Der Geschädigte habe sich umgedreht und vorne auf seinem T-Shirt habe sich ein Blutfleck gebildet. Der Geschädigte habe etwas von „gestochen“ gesagt. Sie habe ihn angestarrt und es nicht einordnen können. Sie habe ihren Mann angeguckt, der auch hilflos geguckt habe. Der Geschädigte sei auf dem Parkplatz hin und her gelaufen und sagte etwas wie „Polizei holen. Kannst die Polizei holen.“ Er habe damit ihre Androhung, die Polizei zu rufen, aufgegriffen. Ihr Mann habe zu ihr gesagt: „Hol Hilfe, hol Hilfe.“ Daraufhin sei sie los und habe ihr Handy aus der Wohnung geholt.
242Als sie wieder runtergekommen sei, sei „das Bild“ sehr chaotisch gewesen. Der Geschädigte habe neben der Stele im Beet gelegen. Es seien inzwischen Schaulustige und Nachbarn hinzugekommen. Der Zeuge K sei auch schon vor Ort gewesen, als sie zurückgekommen sei. Sie habe einen Notruf abgesetzt. Der Gesprächspartner beim Notruf habe irgendwann gefragt, ob der Mann in der Seitenlage sei. Das habe sie an ihren Mann und den Zeugen K weitergegeben, die den Geschädigten daraufhin in die Seitenlage gedreht hätten. Nach einer „gefühlten Ewigkeit“ sei der Rettungswagen eingetroffen. Zusammen mit dem Angeklagten und dem Zeugen K sei der Geschädigte auf die Trage gelegt worden. Sie habe sich nicht mehr mit ihrem Mann unterhalten. Dann sei die Polizei eingetroffen, sie seien getrennt worden und man habe ihnen viele Fragen gestellt. Ihr Mann sei zusammengesackt. Angaben zu den Gesprächen vor Ort, den Fragen der Polizei und den Antworten von ihr, ihrem Mann und auch dem Zeugen K könne sie nicht mehr machen. Es seien viele, viele Menschen vor Ort gewesen. Sie habe keine guten, klaren Erinnerungen an diese Situation. Um 02:30 Uhr sei sie weggefahren, weil sie nicht in die Wohnung durfte. Sie habe an dem Abend kein Messer mit dem Geschehen in Verbindung gebracht und weder das Messer noch die Handschuhe bei ihrem Mann zu irgendeinem Zeitpunkt gesehen.
243Zu ihrer richterlichen Vernehmung am 06. August 2020, in deren Rahmen sie sich nach dem Abend erstmals im Verfahren geäußert hat, erklärte die Zeugin, dass sie zunächst große Erinnerungslücken gehabt habe. Es seien schwere Wochen gewesen. Sobald ihr Dinge wieder eingefallen seien, habe sie diese aufgeschrieben. Dabei sei sie inhaltlich hin- und hergesprungen. In den ersten Wochen sei sie nachts schweißgebadet aufgewacht.
244Die Bekundungen der Zeugin sind – soweit sie von den getroffenen Feststellungen abweichen – nicht glaubhaft.
245Zunächst sind sie von derselben Tendenz wie die des Angeklagten getragen, den Geschädigten von ihrer ersten Wahrnehmung an wahrheitswidrig als angespannt und sodann auch als beleidigend und verbal aggressiv ihr gegenüber zu beschreiben, ihren Mann dagegen als entspannt und unengagiert betreffend die Störung durch die Anwesenheit des Geschädigten.
246Die Zeugin hat zu ihrem Wortwechsel mit dem Geschädigten weiter zunächst angegeben, dass dieser sie dabei nicht angeguckt habe. Auf Vorhalt der Bekundungen des Zeugen D2, der angegeben hatte, dass sich sein Schwager zumindest vorübergehend zu der Frau umgesehen habe, passte sie sodann ihre Aussage an. Ohne sich auf Erinnerungslücken zu berufen, gab sie nun das genaue Gegenteil zu ihrer vorherigen Aussage an. In diesem Aussageverhalten zeigte sich erneut ihre Tendenz und Bereitschaft, den Geschädigten – möglicherweise auch unreflektiert – negativ darzustellen.
247Dass die Zeugin nach den von ihr behaupteten Beleidigungen seitens des Geschädigten, der sie tatsächlich mit ihrem Ansinnen, er möge jetzt gehen, quasi auflaufen lassen hatte, darüber nicht verärgert gewesen sein will, ist ebenfalls weder in sich noch angesichts des tatsächlichen Ablaufs glaubhaft. Immerhin hatte die Zeugin ja zu dem Zweck, die Ruhestörung zu beenden, gerade den Aufwand betrieben, zu dem Mann herunterzugehen und diesen anzusprechen.
248Aus den oben bereits ausgeführten Gründen sind auch ihre Angaben zu dem Geschehen, nachdem sie die Wohnung verlassen hatte, nicht glaubhaft, da sie in zeitlicher Hinsicht nicht mit den sich ergänzenden glaubhaften Bekundungen der Zeugen D2 und K vereinbar sind, wonach es zu dem Eingreifen des Angeklagten direkt nach dem Ende des Wortwechsels der Zeugin mit B gekommen sein muss, so dass sie nicht noch zwischenzeitlich am Hauseingang ihrem Mann berichtet und das weitere Vorgehen mit ihm besprochen haben kann.
249Ihre Schilderung zu der körperlichen Auseinandersetzung ist ebenfalls nicht glaubhaft, da die Zeugin viele aggressive und diesen belastende Handlungen des Geschädigten trotz ihres in diesen Momenten zwischen ihr und dem Geschädigten stehenden Mannes konkret beschrieben hat, anderseits aber angab, keine Angaben zu ihrem Mann und dessen Verhalten machen zu können. So gab sie an, nicht sagen zu können, was ihr Mann mit den Händen und Armen gemacht habe. Auch betreffend die spätere von ihr geschilderte Situation, als sie das Geschehen zwischen den beiden Männern, nachdem sie zur Seite geschleudert worden war, aus einer mehr seitlichen Position gesehen haben will, vermochte sie keine Angaben zu Arm- und Handbewegungen des Angeklagten zu machen und will auch nunmehr weder die auffällig großen Gartenhandschuhen an seinen Händen noch das Messer gesehen haben. Durch ihre Darstellung, es habe einen Zusammenprall der Männer im Brustbereich gegeben, sollte erkennbar die Möglichkeit vom Angeklagten unbeabsichtigter Stichzufügungen im Sinne eines unglücklichen Verlaufs im Rahmen einer notwehrartigen Situation eröffnet werden. Auf den Vorhalt, dass sie das Zusammenprallen der Männer, das in der Hauptverhandlung inzwischen im Rahmen der Vernehmung des Obduzenten Ä unter Postulierung bestimmter Messerhaltungen diskutiert worden war, in ihrer richterlichen Vernehmung nicht erwähnt hatte, zuckte die Zeugin lediglich mit den Schultern und erwiderte: „Aber so war es.“ Insgesamt entstand der Eindruck einer starken Tendenz der Zeugin, ihren Mann auch ungerechtfertigt zu entlasten. Das gilt auch für die von ihr als Möglichkeit in den Raum gestellten Schläge, während sie gleichzeitig angegeben hat, dass sie es tatsächlich nicht wisse. Betreffend das angebliche Drücken ihres Mannes in die Rosenbüsche durch den Geschädigten findet ihre Bekundung keine Bestätigung in objektivierbaren Verletzungen des Angeklagten. So hat die rechtsmedizinische Sachverständige G keine zu erwartenden Verletzungen durch Rosendornen oder -zweige festgestellt. Die Zeugin hat ihre Aussage hierzu auch später dahingehend relativiert, dass ihr Mann nur sehr nah an diese Büsche heran gedrückt worden sei.
250Die Kammer glaubt der Zeugin auch nicht, soweit sie angibt, der verletzte Geschädigte und nicht ihr Mann habe den Satz „mit dem Holen der Polizei“ im Sinne einer Aufforderung, diese nunmehr zu rufen, gesagt. Eine Erklärung hierfür, nämlich das Anknüpfen des Geschädigten an ihre vorherige Drohung mit der Polizei, hat die Zeugin dazu gleich mitgeliefert. Dass B zum Rufen der Polizei aufgefordert haben soll, ist aber schon deshalb fernliegend, weil dieser angesichts seiner erkannt schweren Verletzungen in allererster Linie einen Rettungswagen brauchte. Viel naheliegender ist es auch, dass der Satz, der in der Auseinandersetzung der Männer fiel, anknüpfte an die Äußerung Bs „Geh weg, sonst rufe ich die Polizei“, wozu der von dem Zeugen D2 benannte Satz „Jetzt kannst du die Polizei rufen“ oder auch „Jetzt hast du einen Grund, die Polizei zu rufen“ genau passt. Wie bereits ausgeführt sind die Bekundungen des Zeugen D2 dazu auch glaubhaft. So hat der Zeuge den Satz nicht nur schon im Rahmen seines Notrufs unmittelbar nach dem Geschehen genannt, als er dessen Tragweite noch gar nicht erkennen konnte. Es ist auch wegen der stark unterschiedlichen Stimmen des Angeklagten und Bs ausgeschlossen, dass der Zeuge sich hinsichtlich des Sprechers vertan haben könnte.
251Auch die Zeugin A6 hat sich nach dem Geschehen bemüht gezeigt, dieses zu verschleiern. So hat sie in dem von ihr abgesetzten Notruf zunächst den Eindruck zu erwecken versucht, dass sie eher zufällig auf den blutenden Geschädigten in ihrem Vorgarten gestoßen sei und teilt erst auf Nachfrage etwas mehr mit. Sie sagt indes nicht, was schon zu diesem Zeitpunkt nahe gelegen hätte, wäre es so gewesen, nämlich dass der Geschädigte in Folge eines körperlichen Angriffs auf ihren Mann verletzt worden sei.
252Dass ihr Mann und auch sie selbst angeblich von dem Geschädigten körperlich angegangen worden war, erwähnte sie sodann auch den am Tatort erscheinenden Polizeikräften gegenüber nicht, obwohl auch für sie auf der Hand lag, dass ihr Mann beschuldigt wurde, so dass eine Erklärung und Rechtfertigung dafür, hätte es diese gegeben, sich aufgedrängt hätte. Zudem war auch für die Zeugin erkennbar, dass die schweren Verletzungen des Geschädigten im Brustbereich, die dann als Stichverletzungen auch schon vor Ort von den Beamten benannt wurden, nicht allein von einem Sturz herrühren konnten. Die Kammer glaubt der Zeugin auch nicht, dass sie das vergleichsweise große Messer auch zu dem Zeitpunkt, als der Geschädigte zurücktaumelte, sich sein T-Shirt schnell rot färbte und sie ihren Mann ansah, der dieses nun nach eigenen Angaben vor sich hielt, nicht gesehen haben will. Danach aber lag es auf der Hand, und war deshalb zur Überzeugung der Kammer auch von der Zeugin erkannt worden, dass die schweren Verletzungen des Geschädigten im Brustbereich mit großer Wahrscheinlichkeit mit dem Messer verursacht worden waren. Dass die Zeugin diese Möglichkeit verschwiegen hat, spricht deutlich dafür, dass sie von Anfang an bestrebt war, ihren Mann auch wahrheitswidrig vor den Konsequenzen seines Handelns zu schützen.
253(5) Die Kammer ist weiter davon überzeugt, dass der Angeklagte nach den Worten des Geschädigten „was soll das“ und „geh weg, sonst ruf ich die Polizei“ so wütend war, dass er aus dieser, sich zum Zorn gesteigerten Wut heraus und dem Wunsch, den Geschädigten für diese Dreistigkeit abzustrafen, B, der inzwischen aufgestanden war, sogleich in schneller Abfolge die drei Stiche bewusst und gewollt versetzte.
254So gab der Geschädigte durch seine Worte nicht nur zu verstehen, dass er immer noch nicht gehen wollte, sondern forderte nun sogar den Angeklagten auf, von seinem eigenen Grund und Boden wegzugehen.
255In Zorn versetzte es den Angeklagten aber, dass B nun auch noch durch den Hinweis auf die Polizei reklamierte, das Recht auf seiner Seite zu haben. Dieses aus Sicht des Angeklagten dreiste Verhalten stand dem Geschädigten ihm gegenüber in seinen Augen nicht zu. Dass der Angeklagte dies so sah, zeigte sich zur Überzeugung der Kammer schon daran, dass er den Geschädigten bei seiner Schilderung der in ihm angeblichen aufkommenden Angst um seine nach unten gegangen Frau in die Nähe der „instinkthaft lebenden“ Gewalttäter von der Straße brachte, mit denen er während seiner USA-Aufenthalte zu tun gehabt habe. Von so einem Menschen wollte er sich, als nach seiner Selbstwahrnehmung stets rational handelnden Menschen, nicht gefallen lassen, ins Unrecht gesetzt zu werden, und seine Wut über dieses als dreist empfundene Verhalten war sodann tatauslösend. Dies ergibt sich für die Kammer auch klar daraus, dass der Angeklagte in direktem Anschluss an die Stiche durch seinen Ausspruch „jetzt hast du einen Grund, die Polizei zu rufen“ auf die Ankündigung Bs, die Polizei rufen zu können, Bezug nahm. Dadurch gab er deutlich zu erkennen, dass sich der Geschädigte die Folgen seines Verhaltens, nämlich die Stiche, letztlich selbst zuzuschreiben habe, diese im Sinne eines „das hast du jetzt davon“ verdient habe.
256Gleichzeitig war dem Angeklagten aber auch bewusst, dass er dem Geschädigten das Handy nicht aus der Hand hatte schlagen dürfen. Dies lag nach den ihm bekannten Umständen auf der Hand, und dass B ihm seine Unrechtsposition auch noch deutlich durch den Hinweis auf die Polizei vor Augen führte, hatte ihn in noch größere Wut versetzt. Dabei waren ihm, der die ganze Entwicklung bis dahin mitbekommen hatte, auch die Umstände und Aspekte bekannt, welche seinen zur Tat führenden Zorn im Verhältnis zu dessen Auslöser als völlig unverhältnismäßig erscheinen ließen.
257Eine andere Schlussfolgerung, als dass die Worte Bs die tödlichen Stiche in dem Sinne auslösten, als dass der Angeklagte darauf ohne weitere Zwischenschritt zustach, ist auch im Hinblick auf das im Weiteren feststehenden Geschehen in zeitlicher Hinsicht nicht plausibel.
258So steht, wie ausgeführt, schon angesichts der Bekundungen des Zeugen D2 fest, dass sich das Stichgeschehen schnell angeschlossen haben muss, weil binnen Sekundenschnelle auf die vorgenannten Worte Bs schon dessen Ausruf „Du hast mir den Bauch aufgeschlitzt“ oder auch „du hat mich gestochen“ erfolgte. Die nur kurze Zeitdauer zwischen dem Eingreifen des Angeklagten und seiner Wahrnehmung „Blut“ oder „ich blute“ mit dem Röcheln Bs hat – wie ausgeführt – auch der Zeuge K angegeben, der zudem angegeben hat, dass das ganze Geschehen, von ihm wahrgenommen ab der Ansprache der Frau A6 bis zu seinem Verlassen der Wohnung nur etwa zwei Minuten gedauert hatte.
259Davon, dass der Angeklagten dem Geschädigten die Stiche bewusst und gezielt versetzte, ist schon angesichts seiner großen Wut auszugehen. Deutlich belegt wird dies aber auch durch die Äußerung des Angeklagten nach den Stichen, als er in zeitlichem Zusammenhang mit der Äußerung Bs „du hast mich gestochen“ sagte „jetzt kannst du die Polizei rufen“. Diese Äußerung lässt sich in dem gegebenen Kontext nicht anders plausibel erklären, als dass der Angeklagte genau wusste, was er getan hatte und das dieses Tun der Grund für die Verletzungen des Geschädigten war, wegen derer dieser nun Anlass habe, die Polizei zu rufen. Dieser sarkastischen Aussage ist keinerlei Überraschung, Bedauern oder Zweifel betreffend das vorangegangene Geschehen, hier die Verletzung Bs, zu entnehmen. Durch die darin enthaltene Anknüpfung an die vorherige Aussage des Geschädigten, dass er die Polizei rufen werde, wird deutlich, dass dies den Angeklagten so maßlos geärgert hatte, dass er sich für den Messereinsatz bewusst und gewollt entschied und zustach.
260Demgegenüber ist die Einlassung der Angeklagten, die Stiche, also das Eindringen des Messers in den Körper seines Opfers, gar nicht bemerkt zu haben, sich des Messers in seiner Hand auch gar nicht bewusst gewesen zu sein, angesichts der Gesamtsituation, der vom Geschädigten erlittenen drei Stiche und deren Tiefe, schon für sich genommen abwegig. Insofern vermochten auch Affekte, wie extreme Furcht und Schrecken, eine dermaßen eingeschränkten Wahrnehmung nicht erklären, weil weder der Angeklagte noch seine Frau zuvor von B angegriffen oder bedrohlich angegangen worden waren, dieser vielmehr – wie ausgeführt – nur empört und entrüstet reagiert hatte.
261Eine andere Annahme, als dass der Angeklagte dem Geschädigten die Stiche bewusst zufügte, ist auch mit den Ausführungen des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Ä nicht vereinbar.
262Auf dessen überzeugenden und uneingeschränkt kompetenten Ausführungen beruhen zunächst – wie ausgeführt – die Feststellungen der Kammer zu den vom Geschädigten bei der Tat erlittenen Verletzungen. Der Obduzent hat unter Erläuterung mittels Lichtbildern der Sektion zunächst klargelegt, welche der vorgefundenen Schnittverletzungen bei der Notoperation entstanden und damit nicht forensisch relevant sind. Betreffend die drei in den Feststellungen beschriebenen nicht operationsbedingten Stichverletzungen in den Rumpf hat der Sachverständige des Weiteren die Mindeststichtiefen und Stichkanalverläufe jeweils wie festgestellt benannt.
263Betreffend die beiden Bruststiche hat der Sachverständige die Wundmorphologie dahin beschrieben, dass sich jeweils rechtsseitig ein Schürfsaum habe finden lassen sowie jeweils stumpfe Wundwinkel kopfwärts und spitze Wundwinkel fußwärts, wobei sich Letzteres betreffend den Stich in die linke Brust wegen der in der Oberhaut stark klaffenden Wunde nur am Ende des Stichkanals an der Rückseite des Herzbeutels gezeigt habe. Hieraus und aus den jeweils eher tangential von rechts oben nach links unten verlaufenden Stichkanälen lasse sich der Schluss ziehen, dass die Stiche bei unveränderter Messerführung und -haltung erfolgt sind. Dies wiederum lasse auf eine schnell hintereinander erfolgende Stichzufügung schließen, da ansonsten das Bild nur durch ein im Wesentlichen statisches Geschehen zu erklären wäre, was aber mit einem Kampf- und/oder Abwehrgeschehen, in welcher sich die Stellung der Beteiligten zueinander nahezu zwangsläufig schnell verändern, nicht plausibel zu vereinbaren sei. Feststellungen zur Reihenfolge der Bruststiche seien demgegenüber eben so wenig möglich wie Feststellungen dazu, ob der Unterbauchstich vor oder nach diesen erfolgte. Dieser weise einen kopfwärts spitzen und einen fußwärts stumpfen Wundwinkel auf und sei eher orthogonal in den Körper mit Durchschneidung zweier Darmschlingen eingedrungen, was gut mit einer Drehung der messerführenden Hand vereinbar wäre. Auch diesen Stich betreffend sei aber davon auszugehen, dass er in engem zeitlichen Zusammenhang mit den weiteren Stichen erfolgte, da ansonsten Abwehrverletzungen bei dem Geschädigten in Folge einer ihm möglichen und zu erwartenden Reaktion auf den/die vorangegangenen Stich/e zu erwarten gewesen wären, die aber – wie schon oben ausgeführt nicht festgestellt werden konnten.
264Das aufgefundene Messer sei als Tatwerkzeug ohne weiteres geeignet.
265Der Sachverständige hat weiter überzeugend ausgeführt, dass anzunehmen sei, dass alle drei Stiche mit Wucht, der Herzstich mit großer Wucht ausgeführt worden sei. So erforderte schon das Durchstechen des Gewebes des T-Shirts, dass der Geschädigte aus den genannten Gründen noch getragen haben muss, und der Haut erfordere einen nicht unerheblichen Kraftaufwand, und zwar auch mit dem vergleichsweise scharfen, wenngleich nicht ganz spitzen Messer. Den knorpeligen Teil der Rippen zweimal zu durchtrennen und eine dritte Rippe in diesem Bereich anzuschneiden, wie es bei dem Herzstich der Fall sei, erfordere einen besonderen Kraftaufwand, da auch dieser Teil der Rippen eine Substanz habe, die sich durch eine Kombination aus großer Festigkeit und Elastizität auszeichne.
266Vor diesem Hintergrund, so der Sachverständige weiter überzeugend, sei auch von einem bewussten Messereinsatz auszugehen, da der erforderliche Kraftaufwand einen bewussten Muskeleinsatz erfordere. Bei einem intendierten Stich führe dieser auch zu einer beschleunigenden Bewegung der messerführenden Hand. Aber auch bei einem akzidentiellen Geschehen im Sinne eines Fallens in das Messer müsse Kraft über Muskeleinsatz im Sinne einer Versteifung der Skelettmuskulatur aufgebracht werden, weil ansonsten der Arm zurückweichen würde. Eine Stichzufügung ohne Kraftaufwand wäre danach nur denkbar im Rahmen eines Sturzgeschehens in das Messer bei einer Fixierung der messerführenden Hand, hier etwa vor der Brust des Angeklagten. Dies sei aber schon wegen der drei Stiche, die der Geschädigte erlitten habe, nicht lebensnah. Dieser müsste sich zweimal in kurzer Abfolge aus einer Position von schräg unten nach oben auf das fixierte Messer zubewegt haben und sodann nochmal orthogonal am Bauch getroffen worden sein. Diesen gut nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen schließt die Kammer sich insgesamt an und schließt danach eine vom Angeklagten nicht willentlich gesteuerte Zufügung der drei Stiche durch das in seiner Hand befinde Messer aus. Es ist vielmehr auch bei Berücksichtigung der weiteren dafür sprechenden Gründe davon auszugehen, dass die forensisch relevanten Stichverletzungen des Geschädigten auf einen bewussten und gewollten Messereinsatz des Angeklagten zurückzuführen sind.
267nn) Dass der Angeklagte mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz handelte, wird in kognitiver Hinsicht schon durch die auf der Hand liegende Gefährlichkeit der mit teils erheblicher Wucht und Tiefe geführten Stiche in Brust und Unterbauch belegt. Dass solches Einwirken auf den Körper eines Menschen tödliche Folgen für das Opfer haben kann, ist jedem bekannt und war demnach auch dem Angeklagten bewusst. Diese Gefährlichkeit zu erkennen, war dem Angeklagten auch nicht aufgrund seiner affektiven Aufladung erschwert. Insofern kommt hier nur seine Wut auf den Geschädigten in Betracht, weil es – wie ausgeführt – Anlass zu Furcht und Schrecken aufgrund des Verhaltens von B von Anfang an nicht gab. Aber auch sein Zorn versetzte den Angeklagten hier nicht in einen Zustand solcher affektiver Erregung, dass seine Kognitionsmöglichkeiten ernsthaft eingeschränkt waren, denn diese normal-psychologischen Affekte des Alltags verstellen die Einsicht in die Gefährlichkeit eines Tuns regelmäßig nicht, zumal wenn das Risiko – wie im Falle des mehrfachen wuchtigen Stechens in den Brust- und Bauchbereich mit einem großen, scharfen Messer – besonders anschaulich ist.
268Die große Wut des Angeklagten vermag aber anderseits zu erklären, warum er in dem Augenblick, als er zustach, bereit war, sich auch mit einem tödlichen Ausgang für sein Opfer abzufinden und diesen zu billigen.
269Auch der hier dazu kommende Wunsch, den Geschädigten für sein Verhalten abzustrafen, ihm einen Denkzettel zu erteilen, ließ das voluntative Vorsatzelement nicht entfallen, da zum einen der Wunsch nach nachhaltig spürbarer Bestrafung nur mit einer beabsichtigten Tötung unvereinbar ist und die Anzahl und Wucht der Stiche hier auch deutlich dagegen sprechen, dass der Angeklagte noch auf einen „guten Ausgang“ seines Handelns vertrauen konnte. Einen Hinweis darauf ergibt sich hier auch nicht daraus, dass der Angeklagte durch den Satz „jetzt hast du einen Grund, die Polizei zu rufen“ zum Ausdruck gebracht haben könne, der Geschädigte werde überleben, weil er ja andernfalls nicht die Polizei würde befassen können. Wie bereits ausgeführt, war dieser Satz in dem oben genannten Sinne sarkastisch gemeint und sollte eher das Gegenteil und seinen Spott über die nunmehrige Situation des Geschädigten zum Ausdruck bringen.
270oo) Davon, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers in feindlicher Willensrichtung bewusst ausgenutzt hat, ist die Kammer aus folgenden Gründen überzeugt:
271B rechnete zu dem Zeitpunkt, bis der Angeklagte ihm die Stiche mit Tötungsvorsatz versetzte, nicht mit einem Angriff auf sein Leben oder einem zumindest nicht unerheblichen Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit. Der Geschädigte kannte den Angeklagten nicht und auch aus dem vorangegangenen Kontakt mit diesem oder seiner Frau am Tatabend hatte sich keine Veranlassung zu solchem Arg ergeben. Der Geschädigte hatte seine Arglosigkeit auch nicht verloren, weil der Angeklagte ihm mit der energischen Ansprache das Handy aus der Hand geschlagen hatte. Diese Aggression richtete sich erkennbar gegen diesen Gegenstand und stellte – auch soweit er mit auf einem Einwirken auf Hand, Arm oder Schulter des Geschädigten einher ging – keinen ernsthaften körperlichen Angriff dar, wie sich schon daraus ergibt, dass sich Hinweise darauf, dass B entsprechende stumpfe Gewalt erlitten hatte, bei der Obduktion nicht finden ließen. Der Geschädigte musste deshalb nicht schon danach befürchten, dass ernsthafte körperliche Angriffe seitens des Angeklagten folgen würden, weil ja der offenbare „Stein des Anstoß“, das Handy, danach schon am Boden lag. Dass B davon auch nicht ausging, zeigt sich wiederum an seiner sich in Überraschtheit und verbaler Entrüstung erschöpfenden Reaktion, der inhaltlich kein Hinweis darauf zu entnehmen ist, dass er nunmehr ernsthafte körperliche Übergriffe seitens des Angeklagten fürchtete, sondern das Verlangen nach Erklärung („was soll das?“). Auch seine Aufforderung an den Angeklagten „geh weg“ brachte nicht seine Sorge vor nunmehr ernsthaften körperlichen Übergriffen zum Ausdruck. Diese Äußerung war schon durch die „Sachgewalt“ in Form von Wegschlagen des Handy gut erklärbar und war verbunden mit dem Hinweis, dass er „...sonst die Polizei rufen“ könne, was wiederum nicht Angst vor dem Angeklagten ausdrückte, sondern die zutreffende Sicht Bs, das nicht er, sondern der Angeklagte sich ins Unrecht gesetzt hatte.
272Dass sich B keinerlei ernsthaften Angriffs auf seine körperliche Unversehrtheit versah, kommt auch in seiner sodann überrascht klingenden Reaktion „du hast mir den Bauch aufgeschlitzt“ auf das Gewahrwerden seiner Verletzungen und zu diesem Zeitpunkt auch das Messer in der Hand des Angeklagten zum Ausdruck. Das Messer hatte er bis zu dieser Zeit zur Überzeugung der Kammer noch nicht gesehen. Dies ist schon angesichts der verdeckten Messerhaltung, die der Angeklagte selbst beschrieben hat, anzunehmen. Dass er das Messer schon bevor er in schneller Abfolge dreimal zustach aus dieser Position heraus befördert hatte und damit sichtbar gemacht hatte, ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil dadurch, wie er auch selbst angegeben hat, eine frühzeitige, von ihm nicht gewollte und kontrollierbare Eskalation hätte ausgehen können. Außerdem wäre zu erwarten gewesen, dass das Messer, hätte B es vor den Stichen zu einem Zeitpunkt gesehen, zu welchem er darauf noch hätte reagieren können, dieses verbal und/oder körperlich durch Verteidigungs- oder Flutverhalten auch getan hätte, worauf aber nichts hindeutet. Abwehrverletzungen, die darauf hindeuten könnten, dass der Geschädigte noch die Möglichkeit zu wirksamen Verteidigungshandlungen hatte, konnten bei der Obduktion – wie ausgeführt – nicht gefunden werden. Dies spricht zusätzlich dafür, dass B, der sich ansonsten gewehrt hätte, von dem Messerangriff durch den Angeklagten überrascht worden ist und auch davor nicht mit anderen ernsthaften körperlichen Angriffen gerechnet hatte und demnach infolge seiner Arglosigkeit auch wehrlos gegenüber den ihm in schneller Abfolge zugefügten tödlichen Stichen war.
273Dem Angeklagten waren diese Umstände auch bekannt und er nutzte sie, das Messer aus der verdeckten Haltung erst unmittelbar davor hervorziehend, bewusst zur Tatbegehung aus.
274pp) Die Feststellungen zur Tatzeit beruhen auf den Bekundungen der Zeugen D2, D1 und K. Die Zeugin D1 hat – wie ausgeführt – unter Hinweis auf den Screenshot, der vom Ende des Telefonats von ihrem Handydisplay gemacht worden ist, als dessen Uhrzeit 22.39 Uhr genannt. Sie habe das Videotelefonat zu dieser Zeit beendet, weil man nach den letzten gehörten Worten – wie festgestellt – die Polizei habe anrufen wollen, was D2, wie der Notruf belegt, auch kurze Zeit später machte. Maßgeblich aus den Bekundungen der Zeugen D2 und K ergab sich – wie ausgeführt –, dass sich das ganze Geschehen seit dem Hinzukommen der Zeugin A6 zuvor im zeitlichen Bereich von nur ganz wenigen Minuten abgespielt hatte. Die Kammer geht daher davon aus, dass es bereits nach 22.35 Uhr war, als der Angeklagte die Tat beging.
275qq) Die Feststellungen zu der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten fußen auf den Ausführungen der forensisch sehr erfahrenen Sachverständigen L, Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, und Dr. M, psychologische Psychotherapeutin und Rechtspsychologin. Diese haben aufgrund der Exploration des Angeklagten, der Akte, beigezogener Krankenunterlagen und ihrer Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung ausgeführt, dass sich bei dem Angeklagten im Ergebnis kein Hinweis auf das Vorliegen eines der vier Eingangsmerkmale der Schuldfähigkeitsbestimmungen der §§ 20, 21 StGB finden lassen.
276Der Sachverständige L hat hierzu ausgeführt, dass der Angeklagten kein Schädel-Hirn-Trauma erlitten habe und ein 2017 durchgeführtes MRT des Gehirns keinen auffälligen Befund erbracht habe.
277Im August 2014 sei bei ihm eine reaktive Arthritis an beiden Kniegelenken aufgetreten, von der ein sog. Anlaufschmerz verblieben sei. Parallel dazu sei eine vermehrte Mundtrockenheit aufgetreten, die fortbestehe. Mitte 2016 sei bei ihm eine leichte sensible Polyneuropathie diagnostiziert worden, eine Sensibilitätsminderung im Bereich beider Fußballen, die in der Folgezeit leicht fortschritt, aber im Wesentlichen auf den Bereich des Vorderfußes beschränkt blieb. Von psychiatrischer Bedeutung sei diese Polyneuropathie nicht, weil es sich dabei um eine periphere Nervenerkrankung handele, die keine direkten psychischen Begleiterscheinungen habe.
278Ansonsten gebe es bei dem Angeklagten anamnestisch keine Vorerkrankungen. Es gebe bei ihm auch – trotz der offenbar bestehenden familiären Belastung durch die Erkrankung der Mutter – keine Hinweise auf frühere oder aktuelle psychische Erkrankungen. Insbesondere gebe es für den hier fraglichen Tatzeitraum keinen Hinweis darauf, dass der Angeklagte unter einer schizophrenen oder affektiven Psychose gelitten hätte. Ebenfalls gebe es keinen Hinweis auf eine hirnorganische Erkrankung oder eine akute Intoxikation durch Alkohol, Medikamente oder Drogen. Insofern spreche nichts für das Vorliegen einer „krankhaften seelischen Störung“ i. S. des § 20 StGB. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass sich weder aus den jetzigen oder früheren Angaben des Angeklagten noch aus denjenigen der hier gehörten Zeugen Hinweise darauf ergeben, dass das Tatgeschehen im Rahmen eines ausnahmezustandshaften affektiven Erregungszustandes i. S. einer sog. „tiefgreifenden Bewusstseinsstörung“ begangen worden ist. Dazu fehle es schon an einer spezifischen Vorgeschichte, die Anlass für das plötzliche Ausagieren zuvor angestauter aggressiver Impulse hätte sein können. Dass bei dem promovierten Angeklagten keine intellektuelle Beeinträchtigung vorliegt, bedürfe keiner näheren Erläuterung. Auch lägen keine Auffälligkeiten in seiner Persönlichkeit vor, so die Sachverständigen M und L im Weiteren, die den Schweregrad einer Persönlichkeitsstörung und erst recht nicht solche vom Schweregrad einer schweren anderen seelischen Störung. Hierzu hat die Sachverständige M ausgeführt, dass der Angeklagte sich selbst als vor seiner Inhaftierung zuversichtlich und lebenszufrieden, als verantwortlich, hilfsbereit und mitmenschlich, als wenig leistungsorientiert, wenig ehrgeizig und wenig konkurrierend, als ruhig, gelassen und selbstbeherrscht, als wenig aggressiv, vielmehr als kontrolliert und zurückhaltend, als gesundheitlich unbekümmert und robust, als introvertiert, überlegt und ernst sowie als emotional stabil, gelassen und voller Selbstvertrauen beschrieben hat. Da der Wert auf der Skala „Offenheit“ im testpsychologischen Befund sehr niedrig gelegen habe, gäbe es Hinweise darauf, dass der Angeklagte verschlossen sei, über mangelnde Selbstkritik verfüge, auf einen guten Eindruck bedacht sei und sich an Umgangsformen orientiere. Besonders in der Exploration, aber auch in der Hauptverhandlung – wie auch die Kammer feststellen konnte – hätten sich narzisstische Persönlichkeitszüge bei dem Angeklagten gezeigt, der eine Tendenz gezeigt habe, sich als erfolgreich darzustellen und gewisse Bewunderung zu erhalten und die Gutachter durch seinen Lebensweg zu beeindrucken. Auch diese Züge wiesen aber keineswegs das Ausmaß einer Persönlichkeitsstörung auf. Der Angeklagte habe bislang einen erfolgreichen Lebensweg ohne Brüche beschritten, starre Denk- und Verhaltensweisen mit Beginn in der Kindheit lägen nicht vor, er verfüge über eine stabile Persönlichkeit mit vielen Interessen, Freundschaften und tragfähiger Partnerschaft.
279Hinweise auf eine akute psychische Belastung oder Abnormisierungen, die man im Sinne einer schweren Belastungsreaktion als eine passagere Form der schweren anderen seelischen Störung einordnen könnte, ergaben sich – so der Sachverständige L – auch nicht aus den Angaben des Angeklagten zu seinem beruflichen Stress und dessen Folgen im Vorfeld der Tat bedingt durch die Corona-Situation.
280Diesen nachvollziehbaren Ausführungen hat sich die Kammer aufgrund eigener Überzeugungsbildung angeschlossen und ist von einer uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit ausgegangen.
281rr) Die hilfsweise gestellten Anträge des Angeklagten vom 01.03.2021 sind zurückzuweisen gewesen.
282Der Antrag auf Einholung eines „auf dem Gebiet der Biomechanik und Unfallrekonstruktion besonders erfahrenen Sachverständigen“ ist zurückzuweisen, da das Gegenteil der behaupteten Tatsachen bereits durch das Gutachten des rechtsmedizinischen Sachverständigen Ä – wie von der Kammer oben festgestellt – erwiesen ist, dessen Sachkunde nicht zweifelhaft ist, dessen Gutachten auch nicht von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht und keine Widersprüche enthält und demgegenüber der andere Sachverständige auch nicht über überlegene Forschungsmittel verfügt, § 244 Abs. 4 S. 2 StPO. Im Sinne der vorgenannten Vorschrift wird auch die Anhörung eines „weiteren“ Sachverständigen beantragt. Der Sachverständige soll sich zur selben Beweisfrage wie der schon angehörte Sachverständige Ä äußern, nämlich zu dem zur Verursachung der forensisch relevanten Messerstichverletzungen des B erforderlichen Kraftaufwandes und den Entstehungsmöglichkeiten und -wahrscheinlichkeiten des konkreten bei der Obduktion vorgefundenen Verletzungsbildes. Diese Beweisfrage fällt zweifelsfrei in das Fachgebiet des Facharztes für Rechtsmedizin Ä. Soweit diese Frage auch in das Fachgebiet eines Sachverständigen auf dem Gebiet der Biomechanik und Unfallrekonstruktion, etwa auch einem Verkehrssachverständigen, fällt, überlappen sich die Kompetenzen in diesem Bereich, so dass hier die Anhörung eines „weiteren“ Sachverständigen i. S. von § 244 Abs. 4 S. 2 StPO auch trotz der unterschiedlichen Fachrichtungen, denen die Sachverständigen gegebenenfalls angehören, erstrebt wird (vgl. BGH, Urt. v. 21.04.1987 – 1 StR 77/87; KK-StPO/Krehl, 8. Aufl. 2019, § 244 Rn. 201 m. w. N.).
283Der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens eines „besonders auf dem Gebiet des menschlichen Verhaltens unter massivem Alkoholeinfluss ausgebildeten und erfahrenen Sachverständigen“ ist zurückzuweisen. Soweit mit Hilfe des Sachverständigen bewiesen werden soll, dass die friedliche Stimmung eines Menschen unter einer Alkoholisierung von 1,96 o/oo und den mitgeteilten weiteren Bedingungen unerwartet in Aggressivität umschlagen kann, liegt schon keine ausreichend bestimmt behauptete Beweistatsache vor und verfügt die Schwurgerichtskammer, die in zahlreichen Fällen das Verhalten alkoholisierter Menschen und die sich daraus ergebenden Gefahren zu bewerten hat, selbst über die erforderliche Sachkunde, § 244 Abs. 4 S. 1 StPO. Soweit behauptet wird, dass dies nicht nur möglich, sondern unter den mitgeteilten Bedingungen anzunehmen ist und bei B mit einer Wahrscheinlichkeit von über 30 % eintritt, ist der Antrag abzulehnen, da der Sachverständigenbeweis im Sinne von § 244 Abs. 3 Nr. 4 StPO völlig ungeeignet ist, dieses gegebenenfalls im Sinne einer Gesetzmäßigkeit behauptete Ergebnis zu erzielen.
284Der Antrag auf Vernehmung der Zeugin H war zurückzuweisen, da er bereits keine zulässige Beweistatsache enthält. Die Zeugin soll Angaben dazu machen, ob der Angeklagte bei dem nachmittäglichen Kaffeetrinken bei nach ihrer Einschätzung entspannter, freundlicher und friedlicher Atmosphäre in einer „durchgehend guten und friedlichen Stimmung ohne jede Aggressionen und einander und Dritten gegenüber zugewandt“ war. Die Zeugin soll damit eigene Bewertungen bekunden. Aber auch soweit Tatsachenbehauptungen vorlägen und diese über dasjenige hinausgehen, was die Kammer nicht ohnehin schon aufgrund der Einlassung des Angeklagten und der Bekundungen der A6 zu dem nachmittäglichen Kaffeebesuch festgestellt hat, wären diese für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung, § 244 Abs. 3 Nr. 2 StPO. Sie ließen nämlich allenfalls mögliche, aber keinesfalls zwingende Schlüsse auf das Tatverhalten des Angeklagten zu, welche die Kammer aus den oben genannten Gründen nicht zieht.
285Der Antrag auf wiederholte Verlesung der Textnachrichten und wiederholte Inaugenscheinnahme der Sprachnachrichten aus dem Whatsapp-Chat-Verkehr des B ist abzulehnen. Es liegt bereits keine zulässige Beweistatsache vor, da der Beweis bezogen auf alle Nachrichten aus den genannten „Themensammlungen“ erhoben worden ist. Auf die wiederholte Beweiserhebung, nunmehr in der Weise, dass die Nachrichten „themenbezogen und logisch wie thematisch zusammengehörig hintereinander … erfolgen“, besteht kein Anspruch. Es besteht auch nicht die berechtigte Erwartung, dass die Wiederholung in dieser Weise zu einem neuen oder anderen Ergebnis führt, als die nach den jeweiligen Chat-Partnern und in diesem Rahmen chronologisch geordnete Verlesung und Inaugenscheinnahme, wie in der Hauptverhandlung geschehen, zumal auch wegen der erfolgten Verlesung der entsprechenden Beweisanträge vom 08. und 16.12.2020 unter „themenbezogener“ Wiedergabe sämtlicher Sprach- und Textnachrichten der Kammer die Einordnung der Inhalte in der von der Verteidigung intendierten Weise ohne weiteres möglich war.
286Die Anträge auf Vernehmung der Zeugen I und K, sind zurückzuweisen. Die Zeugen sollen als langjährige Mitarbeiter bzw. Bekannte des Angeklagten bekunden, dass sie diesen „bei allen geschäftlichen oder sonstigen Handlungen und Entscheidungen ausnahmslos als absolut konsensbetonenden, auf Ausgleich bedachten, Konflikte vermeidenden und Konflikte ausnahmslos überlegt und friedlich lösenden Menschen erlebt haben, der in keiner Situation aus Wut oder Erregung spontan oder gar wörtlich oder tätlich aggressiv gehandelt hat“. Es liegt damit schon keine zulässige Beweistatsache vor, da die Zeugen eigene Wertungen bekunden sollen.
287Aber auch soweit es sich um zulässige Beweistatsachen handelte, wäre der Beweis nicht zu erheben, da die Tatsachen für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung sind, § 244 Abs. 3 Nr. 2 StPO. Der Schluss, dass der Angeklagte sich auch in der Tatsituation in der beschriebenen Weise besonnen und nicht aggressiv verhalten hat, wäre zwar möglich, jedoch keinesfalls zwingend.
288Die Anträge auf Vernehmung der Zeugen P1 und P2, X1 und X2, Z1, V1, KC3 und I sind zurückzuweisen, da die behaupteten Beweistatsachen für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung sind, § 244 Abs. 3 Nr. 2 StPO. Die Anträge zielen sämtlich darauf ab, den Angeklagten durch die Behauptung entsprechender Kredite, Geschenke und Gehaltszahlungen als finanziell großzügigen und hilfsbereiten Menschen darzustellen. Daraus den möglichen Schluss zu ziehen, der Angeklagte habe sich in der Tatsituation B gegenüber nicht wie festgestellt verhalten, ist aber nicht nur nicht zwingend, sondern mangels irgendeines Tatbezuges der behaupteten Tatsachen auch gänzlich fernliegend.
289IV.
290Nach den getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte des Mordes schuldig gemacht, § 211 Abs. 1 und 2 StGB. Er führte mit bedingtem Tötungsvorsatz den Tod eines Menschen herbei und handelte dabei heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen.
2911. Heimtücke ist gegeben, wenn der Täter die Tat unter bewusster Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers begeht (Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 211 Rn. 34). Maßgeblicher Bezugspunkt der Arglosigkeit in zeitlicher Hinsicht ist die Lage des Opfers bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs, hier des ersten Stichs mit dem Messer, an den sich die weiteren Stiche binnen weniger Momente anschlossen. Indem der Angeklagte dem Geschädigten plötzlich mit dem bislang verdeckt geführten Messer in kurzer Abfolge die Messerstiche zufügte, als sich sein Opfer keines Angriffs versah, nutzte er einen Zustand aus, in dem B die natürliche Abwehrfähigkeit und -bereitschaft fehlte. Diese Umstände hatte der Angeklagte auch erkannt und bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt.
292An der Arglosigkeit fehlt es hier auch nicht deshalb, weil der Angeklagte dem Geschädigten vorher das Handy aus der Hand geschlagen hatte. Arg- und Wehrlosigkeit können auch dann noch gegeben sein, wenn der eigentlich Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgegangen ist, das Tatopfer zur Tatzeit aber tatsächlich nicht oder nicht mehr mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben rechnet (BGH NStZ-RR 2004, 234, 235; NStZ 2009, 30; 2013, 232, 233; MüKoStGB/Schneider Rn. 126 f.; BeckOK StGB/Eschelbach, 49. Ed. 1.2.2021, StGB § 211 Rn. 49). Vorliegend zog der Geschädigte nach dem Wegschlagen des Handys nicht in Betracht, dass ihm ein gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteter erheblicher Angriff oder gar ein lebensbedrohlicher Angriff durch den Angeklagten drohte. Dies ergibt sich daraus, dass es danach noch Worte zwischen dem Geschädigten und Angeklagten gab, während welcher keinerlei körperliche Übergriffe stattfanden, auch nicht von Seiten des Angeklagten, was sich auch aus nicht vorhandenen, darauf deutenden Verletzungen des Geschädigten, insbesondere Abwehrverletzungen ergibt. Der Geschädigte war durch das Wegschlagen des Handys überrascht und reagierte entrüstet. Darauf, dass er davon ausging, der Angeklagte werde ihn nun auch körperlich ernsthaft angreifen, gibt es keinen Hinweis, zumal der Angeklagte das Messer bis zuletzt verdeckt hielt und der vorherige Übergriff sich klar erkennbar gegen einen Gegenstand, nämlich das Handy gerichtet hatte, was sich auch schon aus der Vorgeschichte ergab. Dadurch, dass B sage „was soll das“ und davon sprach, er könne ja die Polizei hinzu ziehen, brachte er keine Angst vor ernsthaften körperlichen Übergriffen zum Ausdruck, sondern seine Empörung, sein Klärungsverlangen und den Hinweis, dass der Angeklagte sich im Unrecht befinde und dies gegebenenfalls mit der Polizei geregelt werde. Zwar mag für ihn die große Verärgerung des Angeklagten erkennbar gewesen sein. Damit, dass dieser in solch maßlose Wut geriet, dass er ihn, den deutlich jüngeren und körperlich überlegenen Mann, ernsthaft körperlich angreifen würde oder sogar gezielt mit einem Messer auf ihn einstechen würde, musste und konnte B jedoch nicht rechnen. Der Angriff war für den Geschädigten völlig überraschend, wie auch seine Reaktion darauf zeigt. Zu wirksamen Verteidigungshandlungen war ihm angesichts des vom Angeklagten bewusst erst ganz kurz zuvor aus der Verdeckung gezogenen Messers keine Zeit mehr verblieben.
2932. Ein Mord aus niedrigen Beweggründen liegt vor, wenn die Motivationen der vorsätzlichen Tötung nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verwerflich, ja verachtenswert sind (MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, StGB § 211 Rn. 70). Diese Feststellung ergibt sich vorliegend aus einer Gesamtwürdigung, in welche die Umstände der Tat, ihre Vorgeschichte, die Lebensverhältnisse des Täters sowie dessen Persönlichkeit einzustellen sind (MüKoStGB/Schneider, a.a.O.).
294Aus einer Gesamtwürdigung der Tatumstände, der Nichtigkeit des Tatanlasses, also dem krassen Missverhältnis zwischen den im Konflikt stehenden Rechtsgütern und Interessen sowie von Anlass und Tat, des Bestrafungswillens sowie der Verantwortlichkeit für die Konfliktentstehung ergibt sich vorliegend die Annahme der niedrigen Beweggründe des Angeklagten.
295Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH können auch Gefühlsregungen wie Zorn oder Wut niedrige Beweggründe sein, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, also nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind (BGH NStZ 1995, 181, 182, beck-online). So ist im Rahmen dieser Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass es zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten keine Vorbeziehung gab, sie sich vielmehr gar nicht kannten. Auch wenn der Geschädigte sich vorher rücksichtslos und dreist gezeigt hatte, war es der Angeklagte, der mutwillig eine Auseinandersetzung „vom Zaun brach“ und sich dadurch seinem Zorn ungehemmt überließ. Bereits das zielgerichtete Einwirken, um das Telefonat zu beenden, zeugte von dieser ungehemmten Aggression. Auch wenn hierin normalpsychologische Motivlagen wie Wut und Zorn enthalten waren, denen jedermann je nach Anlass mehr oder weniger stark erliegen kann, trugen diese hier gleichwohl den Stempel des Höchstverwerflichen, weil sie ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Zorn und die Wut des Angeklagten und damit auch die daraus folgende Tötung in einem eklatanten Missverhältnis zum Tatanlass standen. So sind Wut oder Verärgerung als niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB einzustufen, wenn sie unter Berücksichtigung der Beziehung zwischen Täter und Opfer eines beachtlichen Grundes entbehren. Maßgebend sind insoweit normative Deutungsmuster, anhand derer zu entscheiden ist, ob die Tat aus der Situation heraus noch begreiflich und daher nicht höchststrafwürdig ist oder aber, ob sie einer sozial inakzeptablen, generell defizitären Disposition des Täters entspringt (MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, StGB § 211 Rn. 73).
296Zwar hatte hier der Geschädigte die Eheleute A durch sein Telefonat und auch durch seine Anwesenheit auf deren Grundstück gestört. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Bereich, wo B saß, mangels Einfriedung für Jedermann zugänglich ist, so dass in der dortigen Anwesenheit des Geschädigten keinerlei Übergriffigkeit lag. Zudem war klar, dass die mit der Anwesenheit des Geschädigten verbundene Störung nur von begrenzter Dauer sein würde, weil sie durch Telefonate des Störers veranlasst war, die nach der Lebenserfahrung anders als etwa nächtliches Feiern nicht zu der Befürchtung Veranlassung geben, dass sie bis tief in die Nacht oder gar bis in die Morgenstunden gehen. Solche Befürchtungen gehabt zu haben, hat der Angeklagte auch nicht angegeben.
297B war hier zwar entgegen seiner vorherigen Versicherung gegenüber dem Angeklagten, als ihn dieser von der Dachterrasse angesprochen hatte, nicht weggegangen und hatte sich sodann gegenüber der Zeugin A6 abweisend, restpektlos und rücksichtslos gezeigt, und so die zunehmende Verärgerung und den Zorn bei dem Angeklagten verursacht. Er gab aber in seiner Reaktion gegenüber der Zeugin A6 zu erkennen, dass er nach wie vor nicht darauf beharrte, vor Ort zu bleiben, sondern grundsätzlich bereit war, bald zu gehen, nämlich in einem Zeitfenster, bevor die Polizei vor Ort sein könne. Dies hatte der Angeklagte auch gehört, weil er sich schon in direkter Nähe befand. Im weiteren Verlauf gab B dann trotz des aggressiven Übergriffs des Angeklagten durch seine sinngemäßen Äußerungen „Ich bin über 30. Das muss ich mir nicht geben.“ und „Hör auf. Ich rufe gleich die Polizei.“ deutlich zu verstehen, dass er keine weitere Konfrontation wollte. Aber gerade die darin auch zum Ausdruck kommende Beanspruchung des Rechts für sich die Zuweisung, im Unrecht zu sein, an den Angeklagten, erzürnte diesen noch mehr. So bewertete er das Verhalten des Geschädigten nicht mehr nur als ungebührlich, rücksichts- und respektlos, sondern empfand es als weitere Dreistigkeit, dass dieser nun ihm sein Fehlverhalten und die Verantwortlichkeit zuschob.
298Sein dadurch bewirkter nun maßloser tatauslösender Zorn stand aber in einem eklatanten Missverhältnis sowohl zu dem im Verhalten Bs liegenden Auslöser als auch zu den Messerstichen, die der Angeklagte dem Geschädigten aus diesem heraus bewusst und gewollt versetzte. Hierbei war auch zu berücksichtigen, dass sich der Geschädigte nicht beleidigend, sondern nur respektlos und dadurch rücksichtslos verhalten hatte, dass er sich trotz des inzwischen zweifach geäußerten Wunsch der Eheleute A wegzugehen, noch nicht entfernt hatte. Aber selbst beleidigende Äußerungen bagatellhaften Zuschnitts – deren Qualität hier nicht erreicht ist – und auch geringfügige Körperverletzungen zu Lasten des Täters vermögen eine rechtlich bedeutsame Minderung des Tötungsunrechts deswegen nicht zu begründen, weil derartige Tatanlässe ungeachtet ihrer individualpsychologischen Dimensionen nach rechtlichen Maßstäben als „nichtig“ eingestuft werden müssen (MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, StGB § 211 Rn. 77).
299Im Hinblick auf die tatauslösenden Äußerungen des Geschädigten gegenüber dem Angeklagten nach dem Herunterfallen des Handys gilt dies umso mehr, als der Angeklagte diese Äußerungen erst durch sein Einwirken auf das Handy, die Hand oder den Arm des Geschädigten zurechenbar ausgelöst hatte.
300Aber auch bei der Betrachtung und Gesamtwürdigung des über Wut und Zorn hinausgehenden Motivbündels ergibt sich kein anderes Ergebnis. Zwar wirkten neben der Wut und dem Zorn über das Verhalten des Geschädigten Elemente des Eigentumsschutzes und Geräuschbelästigung mit, aber deren Auswirkung auf den leitenden, die Tat prägenden Handlungsantrieb bleibt niedrig. Diese Gesichtspunkte waren nämlich im Verlauf der zunehmenden Wut des Angeklagten über das Verhalten des Geschädigten mehr und mehr in den Hintergrund gerückt und stellten zum Zeitpunkt der Tatbegehung lediglich Fernziele dar, deren Wertigkeit gering zu veranschlagen sind.
301Fernziele besitzen die Kraft zur Relativierung der Höchststrafwürdigkeit des primären Tötungsantriebs wertungsmäßig allenfalls dann, wenn sie sich im Einzelfall intersubjektiv als überragend wichtig und somit tatprägend ausweisen lassen (MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, StGB § 211 Rn. 85). Hierbei spielen dem Täter verfügbare, jedoch von ihm nicht wahrgenommene Handlungsalternativen im Vorfeld der Tat eine ebenso relevante Rolle wie Aspekte der am Verhältnismäßigkeitsprinzip ausgerichteten Folgenverantwortung für eigenes (Fehl-)Verhalten (MüKoStGB/ Schneider, 3. Aufl. 2017, StGB § 211 Rn. 85). Handlungsalternativen bei Ruhestörungen im Umfeld waren dem Angeklagten, der in solchen Fällen auch schon die Polizei gerufen hatte, ohne weiteres bekannt.
302Hier war für die Tat des Angeklagten zudem dessen Wille ursächlich, den Geschädigten für seine – aus Sicht des Angeklagten – unverschämten Äußerungen abzustrafen, wie in seinem Ausspruch nach der Tat, dass nun der Geschädigte einen Grund habe, die Polizei zu rufen, besonders deutlich zum Ausdruck kommt. Durch diese sprachliche Anknüpfung an die vorangegangene Äußerungen des Geschädigten im Hinblick auf die Hinzuziehung der Polizei zeigt sich, dass diese den Angeklagten dermaßen erzürnt hatte, dass er den Geschädigten im Sinne eines „das hast du jetzt davon“ ohne Rücksicht auf dessen Leben abstrafen wollte. Dabei fand der Angeklagte die Äußerungen des Geschädigten auch deshalb als besonders dreist, weil diesem, der in seinen Augen zumindest mit „instinkthaft lebenden“ Menschen von der Straße zu vergleichen war, ein solches Verhalten ihm gegenüber nicht zustand.
303Danach erweist sich die Tötung Bs in Ansehung der einzelfallspezifischen Gegebenheiten nach normativen Deutungsmustern auch nicht ansatzweise als begreiflich oder menschlich verständlich, so dass das ihr zugrunde liegende Tötungsmotivbündel als niedrig zu klassifizieren ist.
304Der Angeklagte erfasste auch diese Aspekte und Umstände, die den Antrieb zum Handeln als besonders verwerflich erscheinen lassen, und erkannte sie in ihrer Bedeutung für die Bewertung der Tat. Auch wenn der Angeklagte hier gefühlsmäßig über das Verhalten des B stark erregt war, war er trotzdem in der Lage, diesen Antrieb zu beherrschen und willensmäßig zu steuern. Gründe hieran zu zweifeln, haben sich insbesondere auch nicht aus den Ausführungen der Sachverständigen M und L ergeben. Es zeigt sich aber wiederum auch an seiner kontrollierten Aussage kurz nach den Messerstichen „Jetzt hast Du einen Grund, die Polizei zu rufen.“, mit der er an die von ihm als Frechheit und Anmaßung empfundene Aussage des Geschädigten anknüpfte, und mit der er deutlich zum Ausdruck brachte, dass ihm völlig klar war, was er getan hatte, und dass er auch den motivatorischen Hintergrund erkannte, der als niedrig einzustufen ist.
305V.
306Gegen den Angeklagten war für seine Tat gemäß § 211 Abs. 1 StGB eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen.
307Eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB im Sinne der sog. Rechtsfolgenlösung kam vorliegend nicht in Betracht, weil der Angeklagte nicht nur heimtückisch, sondern auch aus niedrigen Beweggründen handelte.
308Darüber hinaus sind aber auch bei Hinwegdenken des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe bei der vorzunehmenden Gesamtschau der von dem Angeklagten begangenen Tat und seiner Persönlichkeit keine außergewöhnlich mildernden Gesichtspunkte zu erkennen, die die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen lassen.
309VI.
310Die besondere Schwere der Schuld gemäß § 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB war nicht festzustellen. Bei der hierfür vorzunehmenden Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit ist die Kammer zu der Einschätzung gelangt, dass keine erdrückende Vielzahl erschwerender schuldrelevanter Umstände, die insbesondere die Tatausführung, die Motivation, die Anzahl der Opfer oder die Anzahl und Art weiterer schwerer Straftaten betreffen, von solch erheblichem Gewicht vorliegen, dass die Feststellung der besonderen Schuldschwere geboten erscheint.
311Zwar hat der Angeklagte vorliegend zwei Mordmerkmale – niedrige Beweggründe und Heimtücke – verwirklicht. Eine noch darüber hinausgehende schwerwiegende Verwerflichkeit der Tatausführung ist jedoch nicht gegeben. Die besonders verwerfliche Tatmotivation des Angeklagten ist bereits ein das Merkmal der niedrigen Beweggründe begründender Umstand, mithin nicht in diesem Rahmen erneut wesentlich zu gewichten.
312Zugunsten des Angeklagten war demgegenüber zu berücksichtigen, dass der zur Tatzeit bereits 61 Jahre alte Angeklagte strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten ist und bis dahin ein sozial angepasstes Leben geführt hat. Schließlich konnte auch nicht außer Betracht bleiben, dass der Tatenschluss spontan gefasst worden war und die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe einen Menschen im fortgeschrittenen Lebensalter härter als einen jüngeren Menschen trifft.
313VII.
314Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 465 und 472 StPO.